Auguste Supper
Der Heß und sein Buch
Auguste Supper

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Heß, der nicht weit von meinem Pfarrhaus wohnt, ist nicht allein ein vorzüglicher Musikant, der die Fiedel streicht, daß einem das Herz lacht, und der auf einem x-beliebigen leeren Milchhafen Posaune blasen kann, daß sein Häuschen wackelt – er versteht auch die edle Schneiderkunst aus dem ff, ist dazu ein halber Tier- und Menschenarzt, der oft mehr weiß als ein ganzer, hat für jeden seiner Langenbacher Mitbürger und zu Zeiten auch für mich, seinen Nachbar, den Pfarrer, einen guten Rat bereit und ist absolut verschwiegen.

Ich kenne ihn seit vielen Jahren. Schon ehe ich selbst ins Dorf kam, wußte ich von ihm.

Man würde sich wundern müssen, woher der Heß alle seine Weisheit und Vielseitigkeit habe, wenn es nicht allgemein bekannt wäre, daß er ein Buch hat, in dem alles drin steht. 2

Sobald jemand zu ihm kommt und ein Anliegen vorbringt, tut er nicht neunmalgescheit, als ob er sich alles aus den Fingern sauge, sondern er schiebt sacht die Brille in die Höhe, leckt mit der spitzen Zunge rasch an der Oberlippe, die immer ein wenig schlecht rasiert ist und sagt bescheiden und bedächtig: »Wart no, Hannesle,« oder »wart no, Gretle, do muß i' g'schwind in mei'm Büechle gucke.« –

Und dann geht er in seine Kammer nebenan. Man hört ihn einen knarrenden Truhendeckel heben, hört das leise Knistern von umgeschlagenen Blättern, murmelndes Lesen in langen Pausen, hört auch wohl einen Seufzer oder ein ganz leises Lachen, je nachdem die fragliche Angelegenheit betrüblicher oder freudiger Art ist. Danach kommt der Heß mit federndem Schritt gegangen und verkündigt, was er in seinem Buch gefunden hat. Nicht anmaßend tut er das, sondern mit der frohen und stolzen Demut dessen, der sich als Werkzeug und Sprachrohr einer fremden Weisheit fühlt.

Hätte der Heß sein Buch nicht, es wäre, wie gesagt, nicht leicht zu erraten, woher er seine Klugheit haben sollte. Von den Vätern ererbt wohl nicht. 3

Sein Erzeuger war ein Samenhändler gewesen, der gar nicht eigentlich aus Langenbach stammte. Nur ganz uneigentlich hatte den seine Mutter, die auch eine Samenhändlerin gewesen sein soll, in Langenbach auf der Durchreise geboren. Sie war dann einen ganzen Sommer lang im Ort krank gelegen. Heute noch, nachdem man alles mögliche aus jener längst entschwundenen Zeit vergessen hat, tut man sich im Ort etwas darauf zugut, daß »man« das fremde kranke Weib so gut versorgt hat dazumal. Wenn von dem Subjekt »man« etwas recht Gutes ausgesagt wird, dann steckt man immer selbst auch unter den »Man«-Leuten, während sie einen sonst von Haut und Haar nichts angehen. »Man« hat dazumal das Weib gepflegt, und aus Dankbarkeit oder aus weiß Gott welchen Gründen ist sie immer wieder gekommen, immer länger geblieben, bis Langenbach sozusagen ihre Heimat war, in der sie ihren Buben aufzog, den Samenhandel weitertrieb, ihn ihrem Sohn hinterließ, sich hinlegte und starb.

Der Sohn war nun ein uneigentlicher Langenbacher, führte als einziger im Ort das ausländische Gewerbe des Samenhandels fort und 4 hieß »der Heß«, obgleich er im Kirchenbuch als Johann Kaspar Bader eingetragen war. Es war ruchbar geworden, daß irgendein Zipfelchen hessischen Landes die Urheimat des fremden Weibes gewesen war und so wurde ihr Bub »der Heß«.

Dieser Heß senior war in den Augen der Langenbacher nicht der Mann, der seinen Kindern Weisheit als Erbteil hinterlassen konnte. Der Samenhandel war ihm mehr ein Vorwand zum Vagabundieren als herbe Lebensmüh. Mit seinem blauen Zwerchsack zog er durch die Umgegend. Auf seinen einsamen Gängen blies er Mundharmonika, schaute nach den Mädchen und schrie sein Sprüchlein in den Dorfgassen. Das Sprüchlein war auch so etwas Unerhörtes. Kein anderer zeitgenössischer Samenhändler kannte und gebrauchte es. Es lautete:

Same', Same',
Kaufet in Gottes Name'!
Durchg'siebt ist'r, sauber g'halte',
's Unkraut han i' selber b'halte'.
Wie der Teufel, seller Racker,
Streu' i's hehlings auf de' Acker.

Ein leichtfertiger Spruch! Die Langenbacher sahen nicht gut dazu und sagten, in Langenbach 5 und Umgegend sei man nicht im Hessischen und der Kerl solle sich schämen.

Aber das Schämen war schon gleich gar nicht dem Heß seine Sache. Dreimal hatte man der Dorothee, der Tochter vom Geißenhannes, getauft, und dreimal hatte das Mädchen als Vater ihrer Buben den Heß genannt. Dreimal war der Heß mit ungebeugtem Kopf vor dem Pfarrer gestanden und hatte sich schelten lassen, und dann erst hatte es eine Hochzeit gegeben.

Und was für eine! Der älteste Bub des Brautpaares, der heutige Heß, hatte dazumal schon auf einem leeren Milchhafen Posaune geblasen, und sein eigener, leibhaftiger Großvater, der Geißenhannes, hatte dazu getanzt. Die Langenbacher gingen am Ochsen vorüber, wo die Lustbarkeit stattfand, spien aus und sagten laut: »Bande!« Aber als es Nacht war, tiefe, gute, verschwiegene Nacht, da kamen etliche und sahen nach, ob der Unfug nicht bald ein Ende nehme. In den Ecken drückten sie sich herum, dann warfen sie dem Büblein ein paar Kreuzer in den Milchhafen und dann – – ja dann ward es immer später in der Nacht, immer tiefer, dunkler, verschwiegener. – Des Geißenhannes Dorothee machte dann in Ehren wieder gut, was 6 sie in Unehren verschuldet hatte. Ja, sie tat fast noch ein Übriges, so daß nahezu wieder Ärgernis entstand. Alle Jahre war da ein Kleines, ein paarmal sogar zwei, so daß niemand übersehen konnte, wo all der Segen hinaus wollte. Nur der Vater Heß und die Dorothee lachten. Ihnen war keines zu viel.

In des Geißenhannesen Haus, das eine gute, zentrale Geschäftslage hatte, tat die Dorothee einen Kramladen auf. Schuhnägel gab es da und Heringe, Peitschenschnüre und amerikanisches Schweineschmalz, Waschblau und Käse, Seife und Kandiszucker, Leim und Johannisbrot, Schmieröl und Wachholdergesälz. Für alle Bedürfnisse und alle Ansprüche war da gesorgt, und als der Schulze einmal um Tinte herschickte, da legte die Dorothee ihrem Warenbestand auch noch diesen Saft der Hölle zu.

Das war ein großer Fehler, denn mit der Hölle soll der Mensch nichts zu tun haben. Absonderlich nicht, wenn er etwas leicht von Gemüt und Geblüt ist, wie die Dorothee, die ihrer Lebtag nicht verstand, mit dem rechten Ernst und der richtigen Schwere an eine Sache heranzutreten.

Es kam, daß das Weiblein nicht nur, wie 7 früher schon, mit dem Schmalzlöffel in die grüne Seife fuhr, oder den Hering zum Kandiszucker in eine Tüte legte, sondern sie goß jetzt auch zuweilen Tinte in die Erdölkannen der Weiber, und ihr erstgeborener Sohn, der Posaunenbläser, fing vor der Zeit das Schreiben an, weil ihm die Tinte von der sorglosen Mutter nicht aus den Fingern getan wurde. Tausend Stücklein leben von diesem längst toten Weib unter den Langenbachern fort. Tausend Stücklein, aber darunter kein einziges, das dartun könnte, daß der Heß seine Klugheit von der Mutter habe.

Also bleibt ganz allein das Buch.

Ich muß sagen, manchesmal hat mich der Fürwitz gestochen, daß ich gar zu gern hätte wissen mögen, was das für ein Buch ist. Aber wenn ich den Heß frage, dann leckt er mit der spitzen Zunge ein wenig an der Oberlippe, und entgegnet bedächtig: »Des Büchle verstand bloß i, des ist e' b'sondere Sach' mit dem Büchle.« –

Hin und her riet ich schon. Einem alten Kerl wie mir, und wenn er auch nur ein Dorfpfarrer ist, ist doch auch schon mancher Band durch die Hände gegangen. Zuweilen, ja sogar sehr oft, meine ich, es müsse das Buch des Strach sein, dieses Tischleindeckdich, das nach mehr als 8 zweitausend Jahren noch für jeden einen Bissen hinstellt, der nicht verschimmelt ist.

Ein andermal, wenn es um medizinische Dinge geht, glaube ich, den Paracelsus zu hören, wie er von dem vielen, was er weiß, das wenige herausgibt, was seinen Zeitgenossen zu wissen gut tut.

Und ein drittes Mal, wenn die Langenbacher mit ihren Fragen und Anliegen dem Heß gar zu faustdick kommen, dann klingt sein Bescheid, als sei sein Buch der Götz von Berlichingen ohne Gedankenstriche.

Ganz herzlich und dringend, so gut ich's nur fertig brachte, habe ich den Schneider gebeten, er solle mich nur einen einzigen Blick auf seines Buches Titelblatt tun lassen. Für einen Pfarrer sei es doch auch wichtig, sagte ich ihm ein Buch zu haben, in dem auf so viele Fragen die Antworten stehen.

Er sah mich über die Brille hinweg an und lachte. Ich weiß nicht, warum es mir immer ein bißchen auf die Nerven geht, wenn der Heß so lacht. Er lacht nicht spöttisch oder vorlaut oder überlegen. Er lacht ganz fröhlich hell hinaus wie ein Kind. Und doch meint man dann immer, der Heß sei arg gescheit, und selbst sei 9 man arg dumm. Das greift mich heillos an. Also der Heß lachte und dann sagte er: »Ganget Se mer weg, Herr Pfarrer! Sie brauchet mei' Büchle net. Sie könnet's auswendig. Aber i' – i' muß halt ällemol in mei' Büchle neigucke. –«

Mehr war absolut nicht aus ihm herauszubringen. Weder Verfasser noch Verleger, noch Ort und Zeit der Ausgabe ließ mich der eigensinnige Schneider wissen. Und so bleibt's denn dabei: der Heß ist der Klügste von Langenbach. Nicht von Natur oder durch Vererbung, sondern weil er eben sein Buch hat, in dem alles steht.

* * *

Heute ist mir draußen hinter dem Kirchhof der Heß begegnet. Mit seinen dünnen Schneiderbeinen und seinem vergnüglichen Musikantengesicht ist er über die Aecker hergestiegen. Die Klarinette hat ihm aus der Tasche geguckt, das neueste Instrument, das er um des lieben Friedens willen weit weg von den menschlichen Wohnstätten einübt, da Geige und Milchhafen seinem Künstlerdrang und ‑ehrgeiz nicht mehr genügen. Ich habe ihn angesprochen, er hat sich zu mir hergesetzt und ich habe ihn gefragt, was er von den Obstaussichten halte, und ob er 11 glaube, daß die Imker ein gutes Jahr haben würden.

Er senkte den Kopf, als wolle er über die Brille hinwegsehen, obwohl er gar keine aufhatte, da er sie nur zur Arbeit und zum Lesen braucht. Ein klein wenig leckte er an der Oberlippe, wie er immer tut, dann sagte er kopfnickend: »Mei' Büchle wenn i' do hätt', no könnt i' em Herr Pfarrer älles g'nau sage'. –«

Ich war heute so – – ich weiß nicht wie – – wie der schwache Mensch eben oft ist: unausgeglichen und reizbar wie ein Truthahn, der auch gleich kollert über Dinge, die ihn von Haut und Haar nichts angehen.

»Heß,« sagte ich, »das mit dem Büchlein ist mir jetzt am Hals oben. So gibt's überhaupt kein Buch, in dem alles drin steht: Das von den Imkern und den Obstaussichten und den Krankheiten und den Pfandbriefen und dem Milzbrand und der Kartoffelfäule und den bösen Weibern und den treuen Schätzen. An der Nase führt Ihr die Leute herum, Heß, das sage ich, und das werd ich sagen, bis Ihr mir Euer Buch zeigt. –«

So – nun war's heraus, was mich gewürgt hatte. Aber der Mensch spielt nicht ungestraft den kollernden Truthahn. Ich kann das nicht 12 vergessen, wie der Schneidermusikant mich angeguckt hat. So zum Verbarmen gottsjämmerlich. Nur ein paar Schritte saßen wir von der weißen Kirchhofsmauer. Der Heß sah sich um, als ob er fürchte, es könne ein Lebendiger oder ein Toter meine Worte erlauscht haben. Dann, als er merkte, daß alles ganz ruhig blieb bis auf die paar Lerchen, die hart vor uns aus den Ackerfurchen schwirrten, zog er sein rotes Schnupftuch, das neben der Klarinette steckte, und trocknete sich die Stirn, indem er mit zitternder Hand die Schildkappe lüftete. Wie er so still blieb und das alles so langsam und umständlich tat, – ich glaube, da fing auch ich an zu schwitzen.

Aber ich habe mein Herz vor Gott und dem Heß verhärtet und habe mir eingeredet, daß ich im Recht sei. Den Stock habe ich auf den Boden gestoßen. »Ja, Heß, das sage ich und dabei bleib ich.«

Der Schneider stand auf, tat die paar Schritte und lehnte sich mit dem Rücken an die weiße Mauer. Der schwarzgrüne Wipfel von dem Lebensbaum – Thuja orientalis – auf der dicken Bäckenmarie ihrem Grab ragte hart über ihm in den Himmel, und eine Eidechse sah ich auf 13 den schrägen Decksteinen der Mauer fröhlich im Sonnenschein der Jagd obliegen. Solche kleinen und nebensächlichen Dinge beobachtet man nie besser und schärfer, als wenn man mit seinen Gedanken recht himmelweit davon ist.

»Herr Pfarrer,« sagte der Heß, »ist des Ihne Ihr Ernst?« – Ich bin vierzig Jahre im Amt, und da wird man schon gewissermaßen abgehärtet und auch sozusagen einigermaßen unverfroren; aber vor dem Heß habe ich die Augen niedergeschlagen. Die Sonne hat mir auch hell ins Gesicht geschienen, da habe ich mich halb umwenden müssen, Langenbach zu.

»Ja,« sage ich, und die Stimme kommt mir fremd, stets, wie an Händen und Füßen gebunden aus dem Hals, »ja, das ist mein Ernst.« –

Der Mann an der Kirchhofsmauer schaut vor sich nieder und nickt mit dem Kopf. Verstohlen betracht' ich ihn. Er sieht aus, als sei er soeben über mich ins klare gekommen und denke in seinem Innersten: So, so, Pfarrer! Also so einer bist du! So sieht's in deinem Herzen aus, dem ich immer etwas anderes zugetraut habe! –

Dann auf einmal schlägt er sich mit dem roten Sacktuch den Staub von den Stiefeln. Erst 14 hebt er den rechten Fuß hoch und dann den linken.

Andächtig, als ob ich da etwas lernen könnte, sehe ich ihm zu, obgleich mir der Staub ins Gesicht fährt.

Wir haben ja Zeit, wir zwei alten Kerls vor der Kirchhofsmauer, in aller Ruhe können wir unser Sträußlein miteinander ausfechten.

Der Heß steht jetzt und schaut vornübergebeugt aufmerksam auf seine Stiefel, ob die sauber sind, dann gibt er sich einen Ruck, hebt den Kopf und fragt kurz: »Ganget mer?«

Ja, wir gehen. Eigentlich hatte ich noch weiter hinauslaufen wollen bis zu dem Wegweiser auf Winterberger Markung, auf dem von unbekannter Hand geschrieben steht:

Kommst von Langenbach du 'rum,
Wandrer kehr' glei' wieder um!
Z' Winterberg ist's grad' so drecktg,
Älle Gasse krumm und eckig,
Und die Leut, – 's muß wohl so sei' –
Passet in die Gasse nei'. –

Es heißt, der alte, selige Heß sei der Verfasser der Inschrift gewesen und sein pietätvoller Sohn sorge dafür, daß sie nicht verwittere und verlösche. Aber Beweise hat man keine für 15 diese Behauptung. Sie ist auch wohl nur aufgetaucht, weil außer vom alten Heß seit Menschengedenken weder in Langenbach noch in Winterberg gedichtet worden ist.

Bis zu diesem Wegweiser geht sonst meistens mein Spaziergang, aber heute hielt ich mich hart neben dem Schneider. Die Angelegenheit war zu weit aufgerollt, als daß man sie wieder stillschweigend hätte ruhen lassen können. Trotzig schritt ich neben dem Heß. An mir war es nicht, zu reden. Meine Ansicht wußte er. Auf einmal steht er still und sieht mir hell in die Augen. »Also auf de' B'schiß kommt älles 'naus, meinet Sie, Herr Pfarrer?« Er nimmt die Schildmütze ab. Sein Gesicht ist merkwürdig aufgehellt, von einer überlegenen und heiteren Ruhe förmlich überstrahlt.

»Jetzt frog' i' Sie: rot' i' de' Leut schlecht, oder rot' i' de Leut guet? – Bin i' uf mein' Nutze' aus oder auf de Langebächer ihr'n?– Schwätz i' dumm raus oder verstand i' ebbes? Verhetz i' d' Leut oder schwätz i' zum Friede? Bring i' ebber um sei' Sach oder hilf i', wo i' ka'?«

In mir ist ein furchtbares Unbehagen: »Jawohl,« sage ich, »jawohl. Alles recht, alles gut; aber das Buch! Es gibt kein Buch, in dem 16 das alles steht. Ich weiß keins. Mir soll's ja recht sein.« – –

Er leckt sich die Oberlippe, dann lacht er das Lachen, bei dem man sich dumm vorkommt. »I' versprech' Ihne', wenn i' stirb, vermach i' Ihne' mei Büchle. Send Se no z'friede'?« –

»O Heß,« sage ich, »Ihr seid zehn Jahre jünger als ich und gesund wie die Fische im Langenbach.«

Er zuckt die Achseln. »Wege' sellem! – – Die sind vorige' Sommer älle an ei'm Tag verreckt, wie des bös Wetter g'we ist.« Dann setzt er die Schildmütze wieder auf und schreitet fürbaß. »Herr Pfarrer,« sagt er leiser, und sein Ton hat auf einmal fast etwas Feierliches, sogar die plumpsten Breiten seines Dialektes gibt er dran, »Herr Pfarrer, wenn Sie's ganze Lebe' lang ohne e Büchle predige' tätet, wenn Sie de' Leut' sage' tätet: es kommt alles aus mei'm Herze' raus, wie e Quell aus em Waldbode – – was meinet Se, wie viel Ihne' glaube' und Ihne' folge' tätet, und wenn Sie no' so rechte und gute Sache' sage tätet? – Die große Bücher in Ihrer Stub, Herr Pfarrer, die machet, daß d'Langebacher 's recht' Zutraue zu Ihne' hänt.« 17

Das Lachen kam wieder auf sein Musikantengesicht.

»Wie oft werdet Sie 'nei' gucke in älle die Bücher, Herr Pfarrer? Vielleicht in jedes äll' Schaltjohr e Mol. s'ist gnueg! Wäger jo,'s ist gnueg! Sag i' deswege' zu Ihne, 's sei älles B'schiß?« –

Mir stieg das Blut in den Kopf. Seine listig zwinkernden Augen reizten mich auf. »Ich lasse aber meine Bücher sehen,« rief ich zornig, »jeder kann einen Blick hineintun, sobald er will, und wenn ich den Leuten aus meinen Büchern Rat gebe, so sage ich ihnen auch, wo der Rat steht.« –

Jetzt war's, als ob den Schneider die Tarantel gestochen hätte. Er machte Sprünge und lachte, dann zog er die Klarinette heraus und blies ein paar Töne, die mir fast die Ohren sprengten. Endlich stand er still vor mir und rief: »O Herr Pfarrer, o Herr Pfarrer!«

Wie wenn er großes Mitleid mit meiner Dummheit hätte, so klang der Ton. Das brachte mich aufs neue auf. »Ihr seid, Ihr seid –« stieß ich hervor. Ich wollte schimpfen und fand nicht gleich das rechte Wort.

Es mochte ihm leid tun, daß er mich so in 18 Harnisch gebracht hatte. »Wenn Sie wieder zu mir kommet, zeig i' Ihne mei' Büchle,« sagte er auf einmal ganz ernst. Und dann bog er ab und ging hinten ums Dorf.

* * *

Nun bin ich gestern beim Heß gewesen.

Die rote Mine saß in der Stube und wartete auf den Ausspruch des Schneiders, der eben drinnen in der Kammer sein Buch befragte über die beste Art und Weise, wie der Mine ihr Mann von dem vielen Trinken und vielen Wirtshauslaufen wegzubringen wäre. Als er heraustrat und mich sah, kam es mir vor, als erschrecke er. Es ging wie ein Schatten über sein Gesicht. Aber alsbald faßte er sich wieder.

»Also horch Mine,« sagte er und hob die Hände, als wolle er an den Fingern zählen, »koch' net so scharf! Lieber e weng guet fett als scharf! Und net immer 's gleich. Und jo nie em e dreckete Schurz durch d' Stub! Älleweil sauber! Älleweil adrett! Und sorg, daß er sich net verzürne mueß, d'r Schorsch. D'r Zorn, der goht durch d' Leber, und vo' d'r Leber kommt no d'r Durst. Und heiz' ihm net z'scharf ei'. Net mit 'm Maul und sonst net. D' Hitz 19 ist nix. E kühle Stub, e saubers Weib und e kräftigs Esse, des sei's Best, stoht in mei'm Büechle.«

Ein kurzer, rascher Blick aus den Musikantenaugen streifte mich.

Die rote Mine stand auf. In ihrem grämlichen Gesicht war ein nachsinnender Ausdruck.

»Was kost's?« fragte sie kurz.

Der Schneider schüttelte den Kopf. »Nix! Was unter ere Viertelstund ist – nix. Was drüber ist – je nachdem. – Oft versäumt mer viel, oft nix. Dernoch mer G'schäft hot. Älles was recht ist, heißt Gottlieb.« –

Da zog die Mine ab, ohne ein Wort zu sagen.

Mir aber winkte der Schneider zu, und ich trat hinter ihm in die Kammer.

Hastig kam er mir vor und erregt. So, als wolle er etwas zu Ende führen, ehe es ihn wieder reuen würde.

Den Truhendeckel, den ich oft von außen hatte knarren hören, tat er auf. Eine Menge Stoffreste, Flickflecke und leere Fadenrollen lagen da drin. Er kramte eine Zeitlang unter dem Wust, den Kopf weit hinabgebeugt, so daß ihm das Blut im Gesicht stand, als er sich aufrichtete. 20

Ein dickes Heft von mit Faden zusammengestochenen, grauweißen Blättern hielt er mir hin. Ich streckte die Hand aus, da zuckte er kaum merklich zurück, aber dann gab er mir's.

Und nun hatte ich ihn, den Band, der mich so oft und oft beschäftigt. Aber auf einmal fehlte mir der Mut, darin zu blättern. Wie ein Erpresser kam ich mir vor. Unschlüssig sah ich auf das sonderbare Heft.

»No zue!« sagte leise der Schneider.

Da schlug ich die erste Seite auf.

Ich möchte jetzt sehr gerne nicht sagen, was da stand. Ich möchte überhaupt über mein ganzes freches Eindringen in des Schneidermusikanten Lebensgeheimnis einen dichten Schleier legen. Nicht dem Heß zulieb. Nein, mir zulieb, denn ein Pfarrer sollte viel zartere Finger haben, als ich sie in der ganzen Sache zeigte.

Also da stand von einer ungelenken und offenbar sehr schmutzigen Kinderhand geschrieben:

»Der Heß, der ist mein Vatter,
Elf Kinder und mich hatter.«

Ich blätterte weiter. Es kamen Seiten, auf denen nur Federzeichnungen zu sehen waren. Dreieckige Köpfe und Schweine mit 21 geringelten Schwänzchen. Dann wieder eine Reihe Text: »Der Schulzenfritz ist ein Esel und der Heinrich vom Hirsch ist auch ein Esel und der Schorsch ist auch ein Esel.«

Dann leere Blätter mit großen und kleinen Fingerabdrücken, Fettflecken und abgerissenen Ecken. Dann eine ganze Seite voll Text, aber alles durchgestrichen bis auf dies:

»Die Mutter, die heißt Dorle,
Des Hirschwirts Hund heißt Mohrle.
Die Mutter kocht Kaffee,
Das Mohrle hat viel Fleh. –«

Weiter blätterte ich, weiter, weiter. Die Weisheit wollte ich suchen, die der Heß schon so viele Jahre lang aus diesem Buch verzapfte.

Der Schneider stand neben mir, hatte die Hände in den Hosentaschen und rührte sich nicht.

Da ging draußen die Tür. Man hörte jemand in die Stube treten und »Heß, Heß« rufen.

»Des ist d'r Hans-Adam, den kenn' i' am Schreie wie d' Kuh ihr Kälble,« sagte der Hausherr und ging langsam aus der Kammer, die Türe nur so weit zumachend, daß der draußen mich nicht sehen konnte.

Der Hans-Adam ist ein alter, schwerhöriger Junggesell, der es verstanden hat, seit der ersten 22 Stunde, da ich im Dorf bin, alles aus mir herauszupumpen, was etwa an seelsorgerlicher Begabung in mir steckt. Ich weiß nicht, ob das viel ist, aber ich weiß, daß es für das Männlein lang nicht genug ist. Als er – es ist schon Jahre her – mich nahezu bankerott gefragt und sich nahezu bankerott sinniert hatte, habe ich ihm das Pfeifenrauchen und das Holzmachen angeraten. Ich habe ihm selbst Pfeife und Tabak gespendet, habe auch im Pfarrhof etliche Klafter buchene Scheiter von der härtesten, astigsten Sorte auffahren lassen. An denen läßt der Hans-Adam jetzt aus, was er früher an mir ausließ: die hungrige Gier nach dem Sinn des Lebens.

Ich selbst, wenn ich diese Gier einmal so stark spüren würde, wie dieser Bauer sie spürt, ich würde auch gar nichts anderes tun, als astige Buchenscheiter zersägen und Pfeife dazu rauchen. Ich glaube, da kommt man noch am ehesten dahinter.

Aber ich bin, Gott sei Dank, kein Hans-Adam. Bei mir tun noch gelindere Mittel den Dienst. Ich sehe des lieben Gottes blauen Himmel an und seine Wolken, die über die Berge ziehen, ich gucke den Lerchen nach, wie sie aus 23 den Furchen schwirren; ich mache auch meine Predigt wie's recht ist, halte meine Bücher sauber und denke an mein Annele, das seit fünf Jahren unter dem Rasen liegt, und das immer gesagt hat: »Wenn man zu gar nichts anderem auf die Welt käm', Heiner, so wär's schon so schön, daß man einander so lieb haben darf.« Sie war so, mein Annele. Das Liebhaben war ihre starke Seite.

Also dieser Hans-Adam stand jetzt da draußen vor dem Schneider, und ich hörte umso besser, was die beiden verhandelten, als der Ton ihrer Wechselreden der Schwerhörigkeit des Besuchers angepaßt war.

Ja, mir kam es sogar vor, als schreie der Schneider unnötig laut. Aber ich hatte und habe die volle Unbefangenheit nicht, um da objektiv urteilen zu können.

»Jetzt, was soll's heut wieder?« fragte der Heß.

Der Hans-Adam fing das Gehüstel an, das ich an ihm kenne und fürchte und sagte langsam: »Also i' han d'rs no sage' wölle, Heß: 's ist nix, du host nix g'wüßt und in dei'm Büchle stoht net's Recht'. – Du rotest halt au' rom, wie's d'r Pfarrer au' macht, und nix G'wiß weiß 24 keiner net.« Ich hörte den Schneider kurz auflachen. »'s sell wär,! Wo stimmt's net, was stimmt net?»

Wieder hüstelte der Hans-Adam. »Wenn mer also älles doch vom Herrgott hat, Leib und Seel' und Lebe' und Odem, worom laufet no so Galgestrick wie 's M'rie-Madeles Gottlieb uf d'r Welt rom? Des Mändle ist scho mit drei Johr an meine Geißhirtle gange, und heutigs Tags ist nix vor ihm sicher als glühend Eise und Mühlstei'. Kei' Mädle läßt er laufe, und kei' Tierle läßt er passiert, und derweil betet sich sei' Mueter d' Lung r'aus. – Überhaupt, Heß – warum fahrt denn d'r Herrgott net drei', wie Semmes Michel in d' Quäcke', und macht e mol d' Welt sauber vom U'kraut? Wenn unsereiner älles wachse läßt, no heißt's, er sei e liederlicher Tropf. Könnt denn do d'r Herrgott net au' e mol sauber mache in der Welt, daß die Sauerei e End hätt? 's schönst' Lebe' könnt mer han, wenn des G'schmeiß net wär. Zu was denn die Schinderei? D' Leut sind g'schunde und d'r Herrgott ist au' g'schunde. I' glaub' halt, er bringt's net fertig, sonst tät er's. Do ka' in dei'm Büchle stande was will, und d'r Pfarrer ka' mer au' sage', was er will: Wenn's d'r Herrgott fertig brächt, 25 daß d' Lumperei uf d'r Welt ufhöre tät, no hätt se scho' lang ufg'hört. Aber er ka' halt au' nix mache' – des ist's!«

Es blieb eine Zeitlang still da draußen. Eine kurze Zeit, in der es mir durch den Kopf ging, daß ich vielleicht den Tabak und das Buchenholz hätte versparen können, weil bei manchen Leuten eben nur das eine Mittel hilft, das auch bei der Hühnercholera einzig und allein Dienste tut: Kopf herunter!

In meinen leisen Ärger hinein hörte ich den Schneider sagen: »So, des ist also 's Neuest? Des hast jetzt rausbrocht, du Ällerweltsg'scheitle? Viel ist's net, des kann i' d'r sage'. Und wenn i' mei' Büchle hätt', no wöllt i' dir no ganz ananderst nausge' –«.

»Dei' Büchle?« – erwiderte in fragendem, ja erschrockenem Ton der Hans-Adam, »ja, wo host's denn?«

»Em Pfarrer han i's g'liehe',« schrie der Schneider so laut, daß es ein Schwerhöriger auch im dritten Haus hätte hören können, »d'r Pfarrer hot's scho' lang vo' mer wölle', weil älles drin steht, und weil er selber kei' so Büchle hot.«

Mir gab's da drinnen in der Kammer einen 26 ganz gewaltigen Ruck. Jenen Ruck etwa, den es in der heutigen humanen und philanthropischen Zeit einem Schulmeister gibt, wenn er einen Bubenmund frech daherreden hört und zwei Bubenohren frech hinausstehen sieht. Aber wie bei dem Schulmeister waren die Zeitläufte und der Zeitgeist meinen Intentionen hinderlich. Ich verhielt mich also äußerlich ruhig und hörte den Hans-Adam sagen: »So so, so ist des Deng! D'r Pfarrer holt em Heß sei' Büchle! Do hot's de rechte' Schlag, des muß i' sage'. Aber 's ist mer scho' lang so fürkomme, wie wenn in dei'm Büchle Sache drin stande tätet, wo unser Pfarrer net so versteht. Er ist jo keiner vo' de Domme', beileib net. Aber i' han ihn ällbott ebbes froge' könne, no hot er nix drauf g'sait, als: Hänt 'r au' no' Tabak, Hans-Adam? Oder: wann kommet 'r denn zum Holzmache, Hans-Adam? I' han d'r ällemol guet g'merkt, wo's naus will. Aber i' han 's net merke lau'! Mer mag's net hau' beim Pfarrer! – Und i' han ebe ällemol denkt: frogst halt de Heß, der wurd scho' in sei'm Büechle gucke. So so – jetzt hot d'r Herr Pfarrer 's Büechle zum Lese. Ei ei! Beim Blitz! Könnt'st mi's au' e'mol lese lau, Heß, wann d' es doch herleihst.« – 27

Äußerst gern hätte ich meinen Kopf zur Türe hinausgestreckt, um des Hausherrn Gesicht zu sehen. Aber es lag mir, ehrlich gesagt, nicht viel dran, den Hans-Adam hier zu treffen und von ihm hier getroffen zu werden.

Ich hörte den Heß laut auflachen, so laut, wie meine echten, vollblütigen Langenbacher nie lachen. Es spielt da bei dem Schneider unverkennbar das ungebundene Samenhändlerblut herein.

»Des tät dir g'falle, Männle,« schrie er, »meinst denn du, weil du e mol 's Lese g'lernt host, no könnst du no so mir nix dir nix mei' Büchle in d' Hand nemme? Narr, 's mueß gut gau', wenn's d'r Pfarrer verstoht. Die Sach will g'lernt sei und studiert sei! Heut no, so oft i' in mei' Büchle nei'guck, find i' ebbes Neus drin, ebbes wo net jeder verstoht. Kommst noch Feierobed wieder. Bis dort na hot's d'r Pfarrer ausbraucht, no kann i' d'r sage, was de wisse witt.«

Hans-Adam gab nicht sogleich Antwort. Ich hörte ihn zu der Türe schlürfen und glaubte schon, er werde ohne weitere Entgegnung abziehen, da blieb er noch einmal stehen und sagte:

»I' zahl' dir en Schoppe, wenn du mir älles sage' ka'st, was i' wisse' will. Und i' sag e mol, 28 d' »Erbsünde« g'hört abg'schafft! Des ist 's Erst«.

Jetzt mußte ich vor mich hinlachen in heller Schadenfreude. Wie oft hat mich der Hans-Adam geplagt mit der »Erbsünde«. Er spricht das Wort immer ganz umständlich nach der Schrift aus, daß gewiß nichts von seiner Wucht verloren gehe. Mit Mühe und Not habe ich ihm darüber gesagt, was ich weiß und hoffe und glaube. Es hat ihm nie genügt. Immer hat er mir wieder einen Prügel zwischen die Füße geworfen, und sein Schlußwort war stets das: »D'r Herrgott soll d' »Erbsünde« abschaffe', no gibt's mit ei'm Schlag Ruh' uf d'r Welt!«

Nun mochte der Alte den Heß mit der Erbsünde schikanieren! Das Wunderbüchlein, das ich in der Hand hatte, gab mir mit ein mal die Gewißheit, daß dem Schneider keine Nuß zu hart sein werde.

Noch einmal durchstöberte ich es, sah mir die schmierigen Blätter an, und las auf der letzten, halbzersetzten Seite das Sprüchlein:

»Dieses Büchlein hab ich lieb,
Und wer mir's nimmt, der ist ein Dieb.«

Es ist derselbe Reim, den die Schulkinder von Langenbach auch heutigentags noch in ihre Schulbücher kritzeln. Ich legte es zur Seite. 29 Draußen ging die Tür und der Schneider kam zurück in die Kammer.

»Hänt Se's g'lese, Herr Pfarrer?« fragte er, als er sah, daß ich sein Buch weggelegt hatte. »Ja«, antwortete ich und sah ihm in die Augen, die er über die Brille hinweg scharf auf mich gerichtet hielt. Er blinzelte nicht und er schaute nicht unter sich.

»So,« sagte er und wartete.

Da tat ich einen Atemzug, wie man ihn tut, wenn man etwas aus dem 30 untersten Schubfach seines Herzens herausholt, etwas, was einem nicht so ohne weiteres zur Hand liegt. »Heß«, redete ich ihn an, »Ihr seid doch ein rechter, ein rechter, ein rechter – –«

»Spitzbub« hatte ich sagen wollen, aber das Wort hat in der Gegend von Langenbach einen so starken Einschlag von Lob und Beifall, daß es mir für meinen pfarrherrlichen Gebrauch in diesem Fall nicht tauglich vorkam. Aber der Schneider schien gar nicht darauf erpicht zu sein, von mir rubriziert zu werden.

»Weiß scho', weiß scho',« sagte er und wehrte mit der Hand ab, »also des ist mei' Büechle, jetzt hänt Se's g'sehe, und jetzt wisset Se, daß nix U'rechts dabei ist und kei' Hexerei und nix. G'schriebe han i's, wo i' e kleiner Bue gwe' be' und mei' Mueter selig de Tintekrug immer hot umenander stande lau'. Des Versle vo's Hirschwirts Mohrle, des hot mei' Vatter g'macht. Der hot's no besser könne' wedder i'. Des ischt überhaupt e Spitzbue gwe!« Ein klarer Schein überflog des Schneiders Gesicht beim Gedanken an den Vater, dann fuhr er fort, indem er sich mit beiden Armen auf den Truhendeckel stützte und mir von unten heraus ins Gesicht sah: 31

»Wenn i' mei' Bier net 'zahle ka',
No schreibt's der Wirt ins Buech.
Han i' kei' seude's Wammes a',
No han i' ei's vo' Tuech –

hät ällemol mei Vatter gsonga'. Und so sag i' au' mit met'm Büchle. Hätt i' a anders, e dicks, e rechts, wie Sie daheim umenander stehe hänt, no tät i 's sell nemme. So nemm i' ebe was i' han. D' Hauptsach ist, daß 's e' Büechle ist. Ohne e Büechle tätet Sie und tät i' bei de dickkopfete Langebächer nix ausrichte. Glaubet Se sell?«

Ich nickte. Er sah mich so scharf an, daß ich keinen Widerspruch riskierte. Und ich glaubte und glaube es auch wirklich.

Langsam bin ich davongegangen.

Und als ich heimkam in mein kühles Studio, wo früher immer mein Annele mit dem Strickzeug am Fenster saß, da habe ich leise meine dicken Bücher gestreichelt.

Am zärtlichsten das, in dem geschrieben steht: Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.

 


 


 << zurück