Hermann Sudermann
Der verwandelte Fächer – Fröhliche Leut' – Thea
Hermann Sudermann

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Fröhliche Leut'

Der Weihnachtsbaum, der in der Ecke stand, neigte sich bedenklich nach vorne, weil man diejenige Seite, die sich den Wänden zukehrte und die deshalb schwer zu erreichen war, nicht so reichlich behängt hatte, daß sie den schatzbeladenen Zweigen der vorderen Hälfte das Gleichgewicht hätte halten können.

Papa bemerkte es und schalt. »Was würde Mama sagen, wenn sie das sähe? Du weißt, Brigit, daß Mama solche Nachlässigkeit nicht liebt. Wenn der Baum uns umfällt, müssen wir uns die Augen aus dem Kopfe schämen.«

Und Brigit wurde feuerrot, kletterte noch einmal auf die Stehleiter und befestigte, die Arme weit hinüberreckend, allerhand, was sie gerade noch erraffen konnte, auf der Wandseite, die sie, weil daran doch nichts zu sehen war, in der Tat ein wenig stiefmütterlich bedacht hatte.

Und dann erst konnten die Lichter angezündet werden.

»Nun wollen wir auch noch die Geschenke durchsehen,« sagte Papa. »Welcher ist Mamas Teller?«

Brigit zeigte ihn.

Diesmal war Papa zufrieden. »Gut, daß du so viel Marzipan daraufgelegt hast,« sagte er, »denn sie muß ja immer was zum Verschenken haben,« und dann prüfte er das schöne, blanke Safetyschloß, das daneben lag, und ließ die Finger liebkosend über die harten Fächer der Chamäropspalme gleiten, die Mamas Bescherungsplatz überschattete.

»Das Blumenglas hast du ihr gemalt?« fragte er.

Brigit bejahte. »Es ist ausschließlich für Rosen,« sagte sie, »und die Farben sind eingebrannt und ganz und gar wetterbeständig.«

»Was die Jungens ihr gemacht haben,« meinte Papa, »können sie ihr ja dann selber bringen. Mamas Geschenke hast du auch hingelegt?«

Gewiß hatte sie sie hingelegt. Für Fritz ein Fischnetz mit Holzgabeln zum Aufhängen und ein zehnklingiges Universalmesser, – für Artur eine Hobelbank mit Trittbrett und auswechselbaren Eisen und außerdem noch ein hochbordiges Hansaschiff mit einem goldhaarigen Meerweib als Gallionfigur.

»Das Meerweib wird Effekt machen,« sagte Papa und lachte.

Brigit hatte noch etwas auf dem Herzen. Sie steckte die kleinen, festen Arbeitshände unter den Schürzenlatz, der sich über der noch flachen Brust ein wenig sackte, und wippte auf den Absätzen hin und her.

»Ich will's dir nur gleich verraten,« sagte sie; »dir schenkt sie auch etwas.«

Papa wurde sehr hellhörig. »Was denn?« fragte er und revidierte seinen Bescherungsplatz, auf dem sich jedoch neben Brigits Handarbeit – über die hatten sie schon gesprochen – nichts Bemerkenswertes vorfand.

Brigit lief eiligst zu der entgegengesetzten Ecke des Saales und zog unter dem Klavier einen etwa zwei Fuß hohen, in Papier gehüllten Kasten hervor, der sich für seine Größe merkwürdig leicht in die Höhe heben ließ.

Und als die Papierbogen gefallen waren, kam ein Holzkäfig mit einem großen, bunten Vogel zum Vorschein, dessen Gefieder schillerte, als hätten Himmelblau und Sonnengold sich darinnen gefangen.

»Eine Mandelkrähe!« rief Papa, die Hände zusammenschlagend, und um seinen Mund zuckte die Freude. »So ein seltener Vogel! Und den schenkt sie mir?«

»Ja,« sagte Brigit. »Er hing im Herbst eines Morgens in der Drosselschlinge. Der Magazinverwalter hat ihn so lange aufbewahrt. Und weil er so schön und sozusagen eine Art von Paradiesvogel ist, darum schenkt sie ihn dir.«

Papa streichelte ihren Blondkopf, und sie war wieder rot bis an die Haarwurzeln.

»So, und nun wollen wir die Jungens rufen,« sagte er.

»Erst laß mich die Schürze ablegen,« rief sie, nestelte die Stecknadeln los und warf das häßliche schwarze Ding unter das Klavier, wo vorhin der Vogelkäfig seinen Platz gehabt hatte.

Nun stand sie in ihrem weißen, blauschleifigen Einsegnungskleide da und machte ein liebliches Schnäuzchen.

»Du hast recht daran getan,« sagte Papa. »Mama liebt die dunklen Farben nun einmal nicht . . . Alles soll licht und froh sein um sie herum.«

Und dann durften die Jungen hereinkommen.

Sie hielten die Prunkbogen ihrer Weihnachtsgedichte ängstlich in beiden Händen und scheuerten sich an den Türpfosten.

»Munter, munter!« sagte Papa, »oder glaubt ihr, euch wird heute der Kopf abgerissen?«

Und dann nahm er sie in beide Arme und knutschte sie ein wenig, so daß Arturs Gedichtbogen von rechts oben nach links unten einen Knick bekam.

Das war nun freilich ein Malheur, aber Papa tröstete, er wolle es schon verantworten, er sei ja selber schuld daran.

Herr Brüggemann, der lange Hauslehrer, steckte nun auch die Nase herein. Er hatte den feierlichen Predigtrock an, nickte vor sich hin wie ein Begräbnisgast und sagte mit einem kleinen Schnüffeln durch die Nase dreimal nacheinander: »Ja, ja . . . Ja, ja . . . Ja, ja.«

»Was seufzen Sie denn so gottsjämmerlich, Sie alte Tränenweide?« lachte Papa. »Hier sind wir fröhliche Leute! Was, Brigit?«

»Natürlich sind wir das,« lachte Brigit zurück, »und hier, Herr Kandidat, ist auch Ihr Weihnachtsteller.«

Und sie führte ihn zu seinem Platze, wo ein kleines kalbledernes Portemonnaie verschämt unter den Pfefferkuchen hervorsah.

»Dies schenkt Ihnen Mama,« fuhr sie fort und reichte ihm ein schwarzes, flaches Buch mit dickem Goldschnitte; »es sind ›Die drei Wege zum Frieden‹, die Sie doch immer so geliebt haben.«

Der Kandidat zerdrückte ein Tränlein der Rührung, aber bald darauf schielte er wieder nach dem kleinen Portemonnaie hinüber. Dieses war der vierte Weg zum Frieden, denn er hatte alte Kneipschulden.

Auch die Hausbeamten durften nun hereinkommen. Voran Frau Pönsgen, die Wirtschafterin, die mit ihren krummen, rissigen Händen einen Porzellantopf mit Alpenveilchen trug.

»Das ist für Mamachen,« sagte sie zu Brigit, und Brigit nahm ihr den Topf aus der Hand und führte auch sie zu ihrem Teller. Da gab es viele gute Sachen, unter anderen ein gestricktes, braunes Leibchen, wie sie es sich schon lange gewünscht hatte, denn in der Küche blies von Osten her durch die Fensterritzen ein böser Zugwind.

Frau Pönsgen sah es ebenso rasch, wie Herr Brüggemann sein Portemonnaie gesehen hatte. Und als Brigit sagte: »Das ist natürlich von Mama,« da wunderte sie sich nicht im mindesten. Sie wußte aus ihrer fünfzehnjährigen Dienstzeit: das Beste kam immer von Mama.

Die beiden Jungen wollten inzwischen ihre Herzenslast los sein und standen um Papa herum, um ihm ihre Gedichte aufzusagen.

Er, der mit den Inspektoren zu tun hatte, beachtete sie vorerst nicht, dann aber wurde er sich über seine Versäumnis klar und nahm ihnen lachend und bedauernd die Bogen aus den Händen.

Fritz stellte sich in Positur, und Papa tat desgleichen, aber als er die Überschrift gelesen hatte: »Seinen lieben Eltern zum Weihnachtsfeste,« besann er sich eines Besseren und sagte: »Das wollen wir lieber bis nachher lassen, wenn wir bei Mama sind.«

Nun durften die Jungen gleich zu ihren Weihnachtstellern gehen. Und da ihre Freude sich noch in seligem Erstarren barg, trat Papa hinter sie, schüttelte sie im Genick und sagte: »Werdet ihr wohl fröhlich sein, ihr Banditen . . . Was soll Mama denken, wenn ihr nicht fröhlich seid?«

Da löste sich der Bann, unter dem sie sich bisher befunden hatten. Fritz hängte das Schleppnetz auf die Gabeln, und als Artur auf seinem Schiffe gar noch eine »Barkasse« und eine »Pinasse« entdeckt hatte, da schlug das Gefühl unermeßlichen Reichtums in hellem Jubel über ihnen zusammen.

Wie das nun aber so geht. Kaum hatten sie alle ihre Herrlichkeiten durchstöbert, da lenkte sich ihr Begehren auch auf das, was ihnen nicht gehörte.

Artur hatte das schöne blanke Schloß entdeckt, das zwischen Mamas und seinem eigenen Teller lag. Wem es zukam, blieb ungewiß. Ein ziemlich sicheres Gefühl sagte ihm zwar, daß er nichts damit zu schaffen hätte, aber anderseits: was sollte Mama mit so einem Sicherheitsschloß anfangen, das übrigens, wenn man sich nicht sehr irrte, von einem Bramahmodell herstammte? Oh! Man war nicht umsonst im tiefsten Innern Mechanikus mit Leidenschaft und von Beruf.

Nun kam als zweiter Sachverständiger Fritz herzu. Der wieder hielt es für ein kombiniertes Chubbschloß. Was natürlich ein haarsträubender Unsinn war. Aber Fritz redete ja manchmal ins Blaue hinein.

Wie dem auch sein mochte, dieses Schloß war entschieden von allem das Schönste. Und wenn man den Schlüssel zurückschnappen ließ, dann gab es einen leisen, langsam verklingenden Ton, als säße in dem stählernen Leibe ein Geist, der die Harfe schlug.

Schnapp – ting! Schnapp – ting!

Aber da kam auch schon Papa und machte der Freude ein Ende. »Was fällt euch ein, ihr Schlingel?« schalt er scherzend. »Anstatt der armen Mama etwas zu Weihnachten zu schenken, nehmt ihr ihr noch das bißchen weg, was sie bekommen hat.«

Da schämten sie sich nicht schlecht. Und Artur meinte verlegen: sie hätten selbstverständlich was für Mama, aber sie hätten es draußen im Korridor gelassen, um es gleich mitzunehmen, wenn man zu ihr ginge.

»Holt es nur immer herein,« sagte Papa, »damit es um ihren Teller herum nicht so mager aussieht.«

Sie liefen eilig hinaus und brachten ihre Geschenke getragen.

Fritz hatte für sie eine Blumentopfmanschette gesägt, aus sechs Teilen bestehend, jeder mit dem anderen durch kunstvolle Scharniere verbunden. Aber das bedeutete gar nichts, verglichen mit Arturs Luftfenster, das aus Roßhaarsträhnen sorgsam geflochten war und sich zum äußeren Rahmen in jeden beliebigen Winkel stellen ließ.

Papa freute sich sehr. »Nun können wir uns schon allenfalls vor ihr sehen lassen,« meinte er. Und dann erklärte er ihnen auch den Mechanismus des Schlosses, und daß es den Zweck habe, die Blumen der lieben Mama in bessere Hut zu nehmen, denn schon öfters seien von ihren Lieblingsrosen einige weggekommen, was sich nur durch Anwendung von Nachschlüsseln erklären ließe.

»So – und nun wollen wir endlich zu ihr gehen,« schloß er. »Sie wird schon lange auf uns warten. Und fröhlich wollen wir dabei sein! Denn Fröhlichsein ist die Hauptsache, sagt Mama . . . Hol uns die Schlüssel, Brigit, zum Gitter und zur Kapelle.«

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Und Brigit holte die Schlüssel zum Gitter und zur Kapelle.



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