August Strindberg
Die Gespenstersonate
August Strindberg

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Im runden Salon: im Hintergrund weißer Ofen mit Stutzuhr und Kandelabern und einem Spiegel darüber; rechts Vorzimmer mit der Perspektive in ein grünes Zimmer mit Mahagonimöbeln; links steht die Statue, von Palmen beschattet, kann mit, einem Vorhang verhüllt werden; links im Hintergrund Tür nach dem Hyazinthenzimmer, wo das Fräulein sitzt und liest. Man sieht den Rücken des Obersten, der im grünen Zimmer sitzt und schreibt.

Bengtsson, der Diener, in Livree, kommt aus dem Vorzimmer mit Johansson in Frack und weißer Halsbinde.

Bengtsson. Sie können nun servieren, während ich die Röcke abnehme. Sie haben doch schon serviert?

Johansson. Am Tage rolle ich ja den Streitwagen, wie Sie wissen, aber des Abends serviere ich auf Gesellschaften, und es war immer mein Traum, einmal in dies Haus zu kommen ... Es sind sonderbare Leute, nicht wahr?

Bengtsson. Ja–a, ein bißchen ungewöhnlich, kann man wohl sagen.

Johansson. Ist es ein Musikabend, oder was soll es sein?

Bengtsson. Es ist das gewöhnliche Gespenstersouper, wie wir es nennen. Sie trinken Tee, sagen kein Wort, oder der Oberst spricht allein; und dann knabbern sie an kleinem Gebäck, alle auf einmal, so daß es klingt wie Ratten in einer Bodenkammer.

Johansson. Warum wird es Gespenstersouper genannt?

Bengtsson. Sie sehen aus wie Gespenster ... Und das haben sie nun seit zwanzig Jahren betrieben, immer dieselben Menschen, die dasselbe sagen, oder sie schweigen, damit sie sich nicht zu schämen brauchen.

Johansson. Ist hier nicht auch eine Frau im Hause?

Bengtsson. Freilich, aber sie ist töricht; sie sitzt in einer Garderobe, weil ihre Augen das Licht nicht vertragen ... Sie sitzt da drinnen ... zeigt auf eine Tapetentür in der Wand.

Johansson. Da drinnen?

Bengtsson. Da sitzt sie! Ich sagte ja schon, daß sie ein bißchen ungewöhnlich sind ...

Johansson. Wie sieht sie denn aus?

Bengtsson. Wie eine Mumie ... wollen Sie sie sehen? Öffnet die Tapetentür. Sehen Sie, da sitzt sie!

Johansson. Herr du meines Le– ...

Die Mumie lallt. Warum macht er die Tür auf, hab ich nicht gesagt, daß sie geschlossen sein soll!

Bengtsson plappert. Ta, ta, ta, ta! Die kleine Närrin soll jetzt artig sein, dann kriegt sie auch was Gutes! – Schönes Papchen!

Die Mumie wie ein Papagei. Schönes Papchen. Is Jakob da? Kurrrre!

Bengtsson. Sie glaubt, daß sie ein Papagei ist, und es ist ja möglich, daß es sich so verhält ... Zu der Mumie. Polly, pfeif uns mal was vor!

Die Mumie pfeift.

Johansson. Ich hab ja viel gesehn, aber so was doch noch nie!

Bengtsson. Sehen Sie, wenn ein Haus alt wird, so schimmelt es, und wenn Leute lange zusammensitzen und einander quälen, so werden sie närrisch. Diese Frau des Hauses – still, Polly! – diese Mumie hat hier vierzig Jahre gesessen – derselbe Mann, dieselben Möbel, dieselben Verwandten, dieselben Freunde ... Schließt die Mumie wieder ein. Und was hier im Hause passiert ist, – das weiß ich nicht so genau ... Sehen Sie diese Statue an ... das ist die Gnädige als junge Frau!

Johansson. Ach, Herr Gott! – Ist das die Mumie?

Bengtsson. Ja! – Das ist zum Weinen! Aber diese Frau hat, durch die Macht der Einbildung oder durch etwas anderes, gewisse Eigenschaften des geschwätzigen Vogels angenommen – sie kann es nicht ertragen, Krüppel oder Kranke zu sehen ... sie kann ihre eigene Tochter nicht leiden, weil sie krank ist...

Johansson. Ist das Fräulein krank?

Bengtsson. Wußten Sie das nicht?

Johansson. Nein!... Und der Oberst, wer ist das?

Bengtsson. Das werden Sie ja sehen!

Johansson. betrachtet die Statue. Das ist schrecklich zu denken ... Wie alt ist die Frau jetzt?

Bengtsson. Das weiß niemand... aber man erzählt, daß sie mit fünfunddreißig aussah, als sei sie neunzehn, und das bildete sie dem Obersten auch ein ... Hier im Hause ... Wissen Sie, wozu der schwarze japanische Schirm dient, der da hinter der Chaiselongue steht? – Der heißt der Totenschirm, und der wird aufgestellt, wenn jemand sterben soll, ganz wie im Krankenhaus...

Johansson. Das ist ja ein gefährliches Haus ... Und hier hinein wünschte sich der Student wie in das Paradies ...

Bengtsson. Welcher Student? Ach so, der! der heute abend kommen soll... Der Oberst und das Fräulein trafen ihn in der Oper und waren beide ganz von ihm eingenommen ... Hm!... Aber nun ist die Reihe zu fragen an mir: Wer ist Ihr Herr? Der Direktor im Rollstuhl...?

Johansson. Ja, ja! – Kommt der auch hierher?

Bengtsson. Geladen ist er nicht.

Johansson. Der kommt auch ungeladen! im Notfall!...

Der Greis im Vorzimmer, Überrock, Zylinder, Krücken, schleicht sich heran und lauscht.

Bengtsson. Ein richtiger alter Dieb, wie?

Johansson. Durch und durch!

Bengtsson. Er sieht aus wie der leibhaftige Satan!

Johansson. Und ein Zauberer ist er auch wohl! – denn er geht durch geschlossene Türen ...

Der Greis tritt vor, zupft Johansson am Ohr. Schurke! – Nimm dich in acht!– Zu Bengtsson. Melden Sie mich bei dem Herrn Obersten!

Bengtsson. Aber wir erwarten Gäste...

Der Greis Das weiß ich! Aber mein Besuch ist fast erwartet, wenn auch nicht ersehnt...

Bengtsson. Ach so! Wie war doch der werte Name? Direktor Hummel?

Der Greis Ganz recht, ja!

Bengtsson geht durch das Vorzimmer nach dem grünen Zimmer, dessen Tür er schließt.

Der Greis zu Johansson. Verschwinde!

Johansson. zögert.

Der Greis Verschwinde!

Johansson. verschwindet in das Vorzimmer.

Der Greis läßt den Blick durch das Zimmer schweifen; bleibt in tiefer Verwunderung vor der Statue stehen. Amalia! ... Das ist sie! ... Sie! – Er streift durch das Zimmer, befingert die Sachen, ordnet seine Perücke vor dem Spiegel, kehrt zu der Statue zurück.

Die Mumie in der Garderobe. Schönes Papchen!

Der Greis zuckt zusammen. Was war das? Ist hier ein Papagei im Zimmer? Aber ich sehe keinen!

Die Mumie. Ist Jakob da?

Der Greis. Es spukt!

Die Mumie. Jakob!

Der Greis. Mir wird bange! ... Solche Geheimnisse bewahren sie hier im Hause! Betrachtet, den Rücken der Garderobe zugewendet, ein Gemälde. Das ist er! ... Er!

Die Mumie erscheint hinter dem Greis und zupft an seiner Perücke. Kurrr–e! Sind Sie Kurrre?

Der Greis schreckt empor. Gott im hohen Himmel! – Wer ist denn das?

Die Mumie mit menschlicher Stimme. Ist das Jakob?

Der Greis. Ich heiße wirklich Jakob ...

Die Mumie mit Rührung. Und ich heiße Amalia!

Der Greis. Nein, nein, nein ... Ach, Herr Je ...

Die Mumie. Wie ich aussehe! Ja! – Und habe so ausgesehn! Zeigt auf die Statue. Es ist erbaulich zu leben – ich lebe meistens in der Garderobe, um nicht zu sehen und um nicht gesehen zu werden ... Aber du, Jakob, was suchst du hier?

Der Greis. Mein Kind! Unser Kind!

Die Mumie. Sie sitzt da.

Der Greis. Wo?

Die Mumie. Dort im Hyazinthenzimmer!

Der Greis betrachtet das Fräulein. Ja, das ist sie! – Pause. Was sagt ihr Vater? der Oberst, meine ich! Dein Mann?

Die Mumie. Ich war einmal böse auf ihn, und da sprach ich über alles ...

Der Greis. Nun?

Die Mumie. Er glaubte mir nicht, sondern antwortete: »So etwas pflegen alle Frauen zu sagen, wenn sie ihren Mann morden wollen.« – Es war auf alle Fälle ein schreckliches Verbrechen. Sein ganzes Leben ist ja gefälscht, seine Stammtafel ebenfalls; ich lese hin und wieder in dem Adelskalender, und da denke ich: Er läuft mit einem falschen Taufschein herum wie ein Mädchen, und das wird ja mit Zuchthaus bestraft.

Der Greis. Das tun viele; ich entsinne mich, daß du ein falsches Geburtsjahr hattest ...

Die Mumie. Das hat mich meine Mutter gelehrt ... dafür war ich nicht verantwortlich! ... Aber du trugst doch die größte Schuld an unserm Verbrechen ...

Der Greis. Nein, dein Mann rief dies Verbrechen hervor, als er mir meine Braut nahm! – Ich war so beschaffen, daß ich nicht verzeihen konnte, ehe ich nicht gestraft hatte – ich faßte es als gebietende Pflicht auf ... und tue das auch jetzt noch!

Die Mumie. Was suchst du hier im Hause? Was willst du? Wie bist du hereingekommen? – Ist es wegen meiner Tochter? Wenn du sie anrührst, mußt du sterben!

Der Greis. Ich will ihr Wohl!

Die Mumie. Aber du sollst ihren Vater schonen!

Der Greis. Nein!

Die Mumie. Dann mußt du sterben; in diesem Zimmer; hinter diesem Schirm ...

Der Greis. Mag sein ... aber ich kann den Biß nicht loslassen, wenn ich einmal zugebissen habe ...

Die Mumie. Du willst sie mit dem Studenten verheiraten; warum denn nur? Er ist ja nichts und hat nichts.

Der Greis. Er wird reich durch mich!

Die Mumie. Bist du heute abend hier eingeladen?

Der Greis. Nein, aber ich beabsichtige, mich zum Gespenstersouper laden zu lassen!

Die Mumie. Weißt du, wer kommt?

Der Greis. Nicht so recht.

Die Mumie. Der Baron ... der hier oben wohnt, und dessen Schwiegervater heute mittag begraben wurde ...

Der Greis. Er, der geschieden werden soll, um sich mit der Tochter der Pförtnersfrau zu verheiraten ... er, der einstmals dein – Geliebter war?

Die Mumie. Und dann kommt deine ehemalige Braut, die mein Mann verführte ...

Der Greis. Eine hübsche Versammlung ...

Die Mumie. Ach Gott, wenn wir sterben könnten! Wenn wir doch sterben könnten!

Der Greis. Warum verkehrt ihr denn miteinander?

Die Mumie. Verbrechen und Geheimnisse und Schuld binden uns ja zusammen! – Wir haben so unendlich oft miteinander gebrochen und sind unsere eigenen Wege gegangen, aber dann werden wir wieder zueinander hingezogen ...

Der Greis. Jetzt, glaube ich, kommt Der Oberst ...

Die Mumie. Dann gehe ich zu Adele hinein ... Pause. Jakob, bedenke, was du tust. Schone ihn ... Pause. Sie geht.

Der Oberst tritt ein, kühl, reserviert. Nehmen Sie gefälligst Platz!

Der Greis setzt sich langsam. – Pause.

Der Oberst sieht ihn forschend an. Sie sind der Herr, der diesen Brief geschrieben hat?

Der Greis. Ja! – Pause.

Der Oberst. Da ich jetzt weiß, daß Sie alle meine ausstehenden Schuldscheine aufgekauft haben, so ergibt sich daraus, daß ich in Ihrer Hand bin. Was wollen Sie jetzt?

Der Greis. Ich verlange Zahlung auf die eine oder die andere Weise.

Der Oberst. Auf welche Weise?

Der Greis. Auf eine sehr einfache – lassen Sie uns nicht von Geld reden – dulden Sie mich nur als Gast in Ihrem Hause!

Der Oberst. Wenn Ihnen mit so wenig gedient sein kann ...

Der Greis. Ich danke Ihnen.

Der Oberst. Und weiter?

Der Greis. Verabschieden Sie Bengtsson.

Der Oberst. Weswegen sollte ich das tun? Meinen treuen Diener, der ein Mannesalter bei mir war – der die vaterländische Medaille für treue Dienste besitzt – warum sollte ich das tun?

Der Greis. All dies Schöne ist er nur in Ihrer Einbildung – er ist nicht der, der er zu sein scheint!

Der Oberst. Wer ist das im Grunde?

Der Greis zuckt. Wohl wahr! Aber Bengtsson muß fort!

Der Oberst. Wollen Sie über mein Haus bestimmen?

Der Greis. Ja! da alles, was hier sichtbar ist, mir gehört – die Möbel, die Gardinen, das Service, der Leinenschrank ... und anderes!

Der Oberst. Was für anderes?

Der Greis. Alles! Alles, was hier sichtbar ist, gehört mir, ist mein!

Der Oberst. Gut, es gehört Ihnen! Aber mein adliges Wappen und mein guter Name bleiben mir!

Der Greis. Nein, nicht einmal das! Pause. Sie sind kein Edelmann!

Der Oberst. Schämen Sie sich!

Der Greis holt ein Papier heraus. Wenn Sie diesen Auszug aus dem Wappenbuch lesen, werden Sie sehen, daß das Geschlecht, dessen Namen Sie tragen, seit hundert Jahren ausgestorben ist.

Der Oberst liest. Ich habe allerdings dergleichen Gerüchte gehört, aber ich habe den Namen von meinem Vater geerbt ... Liest. Das stimmt; Sie haben recht ... ich bin kein Edelmann!– Nicht einmal das! – Da nehme ich meinen Siegelring ab. – Das ist wahr, er gehört Ihnen ... Bitte schön!

Der Greis steckt den Ring ein. Jetzt gehen wir weiter! – Sie sind auch nicht Oberst!

Der Oberst. Bin ich nicht Oberst?

Der Greis. Nein! Sie sind ehedem Oberst im amerikanischen freiwilligen Dienst gewesen, aber nach dem Krieg auf Kuba und der Neugestaltung der Armee sind alle früheren Titel eingezogen ...

Der Oberst. Ist das wahr?

Der Greis greift in die Tasche. Wollen Sie lesen?

Der Oberst. Nein, es ist nicht nötig! ... Wer sind Sie, daß Sie das Recht haben, dazusitzen und mich auf diese Weise zu entkleiden?

Der Greis. Das werden Sie sehen! Aber was das Entkleiden betrifft ... wissen Sie, wer Sie sind?

Der Oberst. Schämen Sie sich nicht?

Der Greis. Nehmen Sie Ihr Haar ab und sehen Sie in den Spiegel, aber nehmen Sie auch gleich die Zähne heraus und rasieren Sie den Schnurrbart ab, lassen Sie Bengtsson das eiserne Mieder aufschnüren, dann wollen wir sehen, ob nicht der Diener XYZ sich wiedererkennen kann, er, der Schmarotzer in einer gewissen Küche war ...

Der Oberst greift nach der Glocke, die auf dem Tisch steht.

Der Greis kommt ihm zuvor. Rühren Sie die Glocke nicht an, rufen Sie Bengtsson nicht, denn dann lasse ich ihn arretieren ... Jetzt kommen die Gäste – verhalten Sie sich jetzt ganz ruhig, dann spielen wir unsere alten Rollen weiter!

Der Oberst. Wer sind Sie? Der Blick und der Tonfall sind mir bekannt ...

Der Greis. Forschen Sie nicht, schweigen Sie und gehorchen Sie nur!

Der Student tritt ein, verbeugt sich vor dem Obersten. Herr Oberst!

Der Oberst. Willkommen in meinem Hause, junger Mann! Ihr edles Benehmen bei dem großen Unglück hat Ihren Namen auf aller Lippen gebracht, und ich betrachte es als eine Ehre, Sie in meinem Heim zu empfangen ...

Der Student. Meine geringe Herkunft ... Ihr leuchtender Name, Ihre edle Geburt ...

Der Oberst. Gestatten Sie, Herr Direktor Hummel, daß ich Ihnen Kandidat Arkenholz vorstelle ... Wollen der Herr Kandidat nicht näher treten und die Damen begrüßen, ich muß eine Unterredung mit dem Herrn Direktor beenden ...

Der Student wird in das Hyazinthenzimmer geführt, wo er sichtbar bleibt, in schüchterner Unterhaltung mit dem Fräulein.

Der Oberst. Ein prächtiger junger Mann, musikalisch, singt, schreibt Poesie ... Wäre er Edelmann und ebenbürtig, so würde ich nichts dagegen haben ... ja ...

Der Greis. Wogegen?

Der Oberst. Meine Tochter ...

Der Greis. Ihre Tochter! – Apropos, warum sitzt sie immer da drinnen?

Der Oberst. Sie muß im Hyazinthenzimmer sitzen, wenn sie nicht draußen ist! Das ist eine Eigenheit bei ihr ... Da haben wir Fräulein Beate von Holsteinkrona ... eine scharmante Dame ... Stiftsfräulein mit einer Rente, die groß genug für ihren Stand und ihre Verhältnisse ist...

Der Greis für sich. Meine Braut!

Die Braut, weißhaarig, sieht töricht aus.

Der Oberst. Fräulein Holsteinkrona ... Direktor Hummel ...

Die Braut verneigt sich und setzt sich.

Der Vornehme kommt herein, geheimnisvoll, in Trauerkleidung, setzt sich.

Der Oberst. Baron Skanskorg...

Der Greis beiseite, ohne sich zu erheben. Ich glaube, das ist der Juwelendieb ... Zu dem Obersten. Lassen Sie die Mumie herein, dann ist die Versammlung vollzählig...

Der Oberst in der Tür zum Hyazinthenzimmer. Polly!

Die Mumie kommt herein. Kurrrrr–e!

Der Oberst. Sollen die jungen Leute auch hereinkommen?

Der Greis. Nein! Die jungen Leute nicht! Die sollen verschont bleiben ... Alle sitzen jetzt stumm in einem Kreis.

Der Oberst. Wollen wir den Tee nehmen?

Der Greis. Was für einen Zweck hat das? Keiner mag Tee, und deswegen wollen wir nicht hier sitzen und heucheln.

Pause.

Der Oberst. Wollen wir dann konversieren?

Der Greis, langsam und mit Pausen. Über das Wetter sprechen, das wir kennen, fragen, wie es uns geht, was wir wissen; ich ziehe Schweigen vor, da hört man Gedanken und sieht das Verflossene; das Schweigen kann nichts verbergen ... was Worte können; ich las hierüber, daß die Verschiedenheit der Sprachen wirklich bei den wilden Völkern entstanden ist, mit der Absicht, die Geheimnisse des einen Stammes vor den andern zu verbergen; die Sprachen sind also Chiffern, und wer den Schlüssel findet, versteht die Sprachen der ganzen Welt; aber das hindert nicht, daß Geheimnisse ohne Schlüssel offenbart werden, und namentlich in dem Fall, wo die Vaterschaft bewiesen werden soll, aber der Beweis vor dem Richterstuhl, das ist etwas anderes; zwei falsche Zeugen dienen als vollgültiger Beweis, wenn sie einig sind, aber auf solche Expeditionen, wie ich sie beabsichtige, nimmt man keine Zeugen mit, die Natur selbst hat in den Menschen ein Schamgefühl niedergelegt, das zu verbergen sucht, was verborgen werden soll; doch gleiten wir in Situationen hinein, ohne es zu wollen, und es bietet sich oft eine Gelegenheit, wo das Geheimste offenbart werden soll, wo die Maske dem Verbrecher abgerissen wird, wo der Spitzbube entlarvt wird ...

Alle betrachten einander schweigend.

Wie still es geworden ist!

Langes Schweigen.

Hier zum Beispiel in diesem achtungswerten Hause, in diesem hübschen Heim, wo sich Schönheit, Bildung und Wohlstand vereinen ...

Langes Schweigen.

Alle, die wir hier sitzen, wir wissen, wer wir sind ... nicht wahr? ... ich brauche es nicht zu sagen ... und Sie kennen mich, obwohl Sie Unwissenheit heucheln ...! Da drinnen wiederum sitzt meine Tochter, meine, das wissen Sie ebenfalls ... Sie hatte die Lust zu leben verloren, ohne zu wissen warum ... aber sie welkte in dieser Luft, die Verbrechen, Betrug und alle Arten von Falschheit atmet ... deswegen suchte ich nach einem Freund für sie, in dessen Nähe sie das Licht und die Wärme von einer edlen Handlung spüren konnte ...

Langes Schweigen.

Dieses war meine Mission in diesem Hause: das Unkraut auszujäten, das Verbrechen zu enthüllen, den Bücherabschluß zu machen, so daß das junge Paar neu in diesem Heim beginnen kann, das ich ihnen geschenkt habe!

Langes Schweigen.

Jetzt bewillige ich freien Abzug für jeden einzelnen in Reihe und Ordnung; wer zurückbleibt, den lasse ich verhaften!

Langes Schweigen.

Hört, wie die Uhr tickt, wie die Totenuhr in der Wand! Hört ihr, was sie sagt? »Die – Zeit! Die – Zeit!« Wenn sie nach einer kleinen Weile schlägt, da ist eure Zeit um, da müßt ihr gehen, aber nicht früher. Sie sagt aber an, ehe sie schlägt! – Hört! jetzt warnt sie: »Die Uhr kann schlagen« – – Auch ich kann schlagen ... Er schlägt mit der Krücke auf den Tisch. Hört ihr?

Schweigen.

Die Mumie tritt an die Uhr heran und hält sie an; darauf klar, aber ernsthaft. Ich aber kann die Zeit in ihrem Lauf aufhalten – ich kann das Verflossene zu nichts, das Geschehene ungeschehen machen; doch nicht durch Bestechungen, nicht durch Drohungen – sondern durch Leiden und Reue – – – Tritt an den Greis heran. Wir sind arme Menschen, das wissen wir; wir haben gesündigt, wir haben gefehlt, wir wie alle; wir sind nicht die, die wir scheinen, denn wir sind im Grunde besser als wir selbst, wenn wir unsere Versehen mißbilligen; aber daß du, Jakob Hummel, mit falschem Namen dich als Richter aufwerfen willst, das beweist, daß du schlechter bist als wir Ärmsten! Auch du bist nicht der, der du zu sein scheinst! – Du bist ein Menschendieb, denn du hast mich einstmals mit falschen Vorspiegelungen gestohlen; du hast den Konsul, der hier gestern begraben wurde, gemordet; du hast ihn mit Schuldscheinen erwürgt; du hast den Studenten gestohlen, indem du ihn bandest mittels fingierter Schulden seines Vaters, der dir nie einen Heller schuldig war ...

Der Greis hat versucht, sich zu erheben und das Wort zu ergreifen, ist aber in den Stuhl zurückgefallen und schrumpft zusammen, schrumpft unter dem Folgenden mehr und mehr zusammen.

Die Mumie. Aber da ist ein dunkler Punkt in deinem Leben, den ich nicht genau kenne, jedoch ahne ... ich glaube, daß Bengtsson Bescheid darüber weiß! Klingelt mit der Glocke.

Der Greis Nein, nicht Bengtsson! Nicht Bengtsson!

Die Mumie. Also, der weiß es! Klingelt abermals.

Jetzt erscheint das kleine Milchmädchen in der Tür zum Vorzimmer, ungesehen von allen, ausgenommen vom Greis, den ein Grauen packt. Das Mädchen verschwindet, als Bengtsson eintritt.

Die Mumie. Kennst du diesen Herrn, Bengtsson?

Bengtsson. Ja, ich kenne ihn, und er kennt mich. Das Leben wechselt, das wissen wir ja, und ich habe bei ihm gedient, ein andermal hat er bei mir gedient. Er war zwei ganze Jahre lang Schmarotzer in meiner Küche –: da er um drei Uhr fort mußte, so wurde das Mittagessen für zwei Uhr fertig gemacht, und das Haus mußte aufgewärmte Speisen essen wegen des Ochsen da – aber er trank auch von der Fleischbrühe, die dann mit Wasser verlängert werden mußte – er saß da draußen wie ein Vampir und sog alle Kraft aus dem Hause, so daß wir wie Skelette wurden – und er hatte uns fast ins Gefängnis gebracht, weil wir die Köchin eine Diebin nannten.

Später traf ich diesen Mann in Hamburg unter einem andern Namen. Da war er Wucherer und Blutsauger; aber da war er sogar unter Anklage, ein Mädchen aufs Eis gelockt und sie ertränkt zu haben, weil sie durch ihr Zeugnis ein Verbrechen bekräftigte, dessen Entdeckung er befürchtete.

Die Mumie fährt mit der Hand über das Gesicht des Greises. Das bist du! Hol jetzt die Schuldscheine und das Testament heraus!

Johansson erscheint in der Vorstubentür und betrachtet den Auftritt mit großem Interesse, denn nun wird er von dem Sklavendienst befreit.

Der Greis zieht ein Bündel Papiere aus der Tasche und wirft sie auf den Tisch.

Die Mumie streichelt den Rücken des Greises. Papchen! Ist Jakob da?

Der Greis, wie ein Papagei. Jakob ist da! – Kakadora! Dora!

Die Mumie. Kann die Uhr schlagen?

Der Greis gluckst. Die Uhr kann schlagen! Ahmt die Kukkucksuhr nach. Kuk–kuck, Kuk–kuck, Kuk–kuck!

Die Mumie öffnet die Garderobentür. Jetzt hat die Uhr geschlagen! – Steh auf, geh in die Garderobe hinein, wo ich zwanzig Jahre gesessen und unser Vergehen beweint habe. – Da drinnen hängt eine Schnur, die kann die vorstellen, mit der du den Konsul da oben erdrosseltest, und mit der du deine Wohltäter erdrosseln wolltest... Geh!

Der Greis geht in die Garderobe.

Die Mumie verschließt die Tür. Bengtsson! Setz den Schirm vor die Tür. Den Todesschirm!

Bengtsson setzt den Schirm vor die Tür.

Die Mumie. Es ist vollbracht! – Gott sei seiner Seele gnädig!

Alle. Amen!

Langes Schweigen.

Im Hyazinthenzimmer sieht man Das Fräulein vor einer Harfe, mit der sie den Vortrag des Studenten begleitet.

Gesang mit vorausgehendem Präludium.

Sah die Sonne, und es war mir,
Als erschaut' ich den Verborgnen;
Seine Werke Menschen freuen,
Glücklich, wer da Gutes übet.
Für die Zornestat, die du vollbrachtest,
Buße nicht mit Bosheit;
Tröste, den du einst betrübet,
Gütig; und du hast gesühnet.
Niemand fürchtet, der nicht Böses wollte;
Schadlos sei, und du bist gut.

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