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Einleitung.

Am Tische sitzend, die Feder in der Hand, wurde ich von einem Fieberanfall erfaßt: Seit fünfzehn Jahren war ich nicht ernstlich krank gewesen, darum erschreckte mich dieser plötzliche Anfall. Nicht als ob ich den Tod gefürchtet hätte, nein, durchaus nicht. Mit 38 Jahren hatte ich ein geräuschvolles Leben hinter mir, ohne etwas Tüchtiges geleistet, ohne alle meine jugendlichen Wünsche verwirklicht zu haben; ich hatte den Kopf noch voller Pläne, und so war mir dieser Anfall durchaus unerwünscht. Seit vier Jahren lebte ich mit Weib und Kind in einem halb freiwilligen Exil, ich hielt mich in einem bairischen Weiler verborgen, war abgehetzt, vor Kurzem war ich verklagt und gepfändet worden, ich war verbannt und auf die Straße geworfen; und nun beherrschte mich das Gefühl der Rache selbst noch in dem Augenblick, als ich aufs Bett sank. Jetzt entspann sich ein Kampf. Ohne Kraft, um nach Hülfe zu rufen, lag ich in meinem Dachstübchen allein da, und das Fieber schüttelte mein Inneres durcheinander wie ein Federbett, schnürte mir die Kehle zu, setzte mir die Kniee auf die Brust, meine Ohren glühten und die Augen schienen aus dem Kopf zu dringen. Ich zweifelte nicht daran, daß es der Tod sei, der in mein Zimmer gedrungen war und sich auf mich geworfen hatte.

Doch ich wollte nicht sterben. Ich leistete ihm Widerstand; es war ein erbittertes Ringen; die Nerven spannten sich, das Blut tobte in den Adern, das Gehirn tanzte wie ein Polyp in Essig. Doch plötzlich gewann ich die Ueberzeugung, daß ich in diesem schrecklichen Totentanz unterliegen müßte, ich ließ los, fiel rückwärts über und gab mich ganz dem schrecklichen Würger gefangen.

Doch da überströmte mein ganzes Wesen ein unsagbarer Frieden, eine wollüstige Schlaffheit überlief meine Glieder, eine süße Ruhe ergoß sich über Körper und Seele, die beide in den vielen arbeitsharten Jahren der wohlthätigen Erholung entbehrt hatten.

Das war ohne Zweifel der Tod: allmählich schwand der Wille zum Leben, ich hörte auf zu empfinden, zu fühlen, zu denken. Das Bewußtsein entschwand, und die wohlthuende Empfindung des Nichts füllte die Leere aus, die durch das Schwinden der namenlosen Schmerzen, der beunruhigenden Gedanken, der uneingestandenen Sorgen entstanden war.

Als ich erwachte, saß meine Frau am Bette und sah mich mit ängstlichem Blick forschend an.

– Was ist Dir denn, lieber Freund? sagte sie.

– Ich bin krank, antwortete ich; aber wie gut ist es, krank zu sein!

– Was sagst du? Ist das dein Ernst?

– Das Ende naht heran; ich hoffe es wenigstens.

– Laß uns um Gotteswillen nicht auf dem Stroh zurück, rief sie. Was soll aus uns werden in einem fremden Land, fern von Freunden, ohne Mittel!

– Ich hinterlasse euch meine Lebensversicherung, tröstete ich sie. Es ist nicht viel, aber es reicht hin, um in die Heimat zurückzukehren.

Sie hatte nicht daran gedacht, und etwas ruhiger fuhr sie fort:

– Aber, wir müssen etwas thun, lieber Mann, ich werde den Arzt holen lassen.

– Nein! Ich will keinen Arzt.

– Warum?

– Weil ... weil ich nicht will.

Wir wechselten verständnisvolle Blicke an Stelle von Worten.

– Ich will sterben, erwiderte ich schroff. Das Leben widert mich an, die Vergangenheit erscheint mir wie ein Knäuel Garn, den abzuwickeln ich nicht die Kraft fühle. Mag das Dunkel hereinbrechen! Vorhang herunter!

Sie blieb bei diesen edelmütigen Ergüssen kalt.

– Immer wieder das alte Mißtrauen, sagte sie.

– Ja, noch immer! Vertreibt das Phantom! Du allein, du hättest es gekonnt!

Wie gewöhnlich legte sie die Hand auf meine Stirn.

– Thut dir das wohl, schmeichelte sie mit dem Ton ihrer früheren mütterlichen Zärtlichkeit.

– O, wie wohl das thut!

Die Berührung dieser kleinen Hand, die so schwer auf meinem Geschick lastete, besaß wirklich die Macht, die schwarzen Gespenster zu bannen und die verstohlenen Zweifel zu beschwören.

Nach kurzer Zeit brach das Fieber noch heftiger aus. Meine Frau stand auf, um einen beruhigenden Trank zu bereiten. Als ich einen Augenblick allein war, setzte ich mich auf, um einen Blick durch das Fenster gegenüber zu werfen. Es war ein breites, dreiteiliges Fenster, draußen von Weinranken umrahmt; zwischen den grünen Blättern konnte man noch ein Stück Landschaft sehen: Vorn die Krone einer Quitte, mit ihren schönen, goldgelben Früchten zwischen den dunkelgrünen Blättern, weiterhin die mitten auf den Rasen gepflanzten Apfelbäume, der Turm der Kapelle, ein blaues Fleckchen vom Bodensee und im Hintergrunde die Tyroler Alpen.

Es war mitten im Sommer, rings herum war Alles beschienen von den schrägen Strahlen der Nachmittagssonne – es war ein entzückendes Bild.

Drunten ertönte das Plappern der Staare, welche auf den Leitern der Weinberge saßen, das Piepsen der jungen Enten, das Zirpen der Grillen, die Kuhglocken; und in dieses fröhliche Konzert mischte sich das Lachen der Kinder und die anordnende Stimme meiner Frau, welche mit der Frau des Gärtners über meine Krankheit sprach.

Da ergriff mich wieder die Lust zum Leben, und die Furcht vor der Vernichtung durchbohrte mich. Nein, ich wollte nicht mehr sterben, hatte ich doch noch viele Pflichten zu erfüllen, viele Schulden zu begleichen. Von Gewissensbissen gepeinigt, fühlte ich das dringende Bedürfnis zu beichten, die Welt für irgend etwas um Verzeihung zu bitten, mich, vor wem es auch sei, zu demütigen. Ich fühlte mich schuldig, mein Gewissen wurde von unbekannten Verbrechen gemartert. Ich brannte vor Begierde, mein Herz durch ein vollständiges Bekenntnis meiner eingebildeten Schuld zu erleichtern.

Während dieses Schwächeanfalls, der meiner angeborenen Verzagtheit entsprang, trat meine Frau ein und brachte den Beruhigungstrank in einem Milchnapf. Indem sie auf einen leichten Anfall von Verfolgungswahn anspielte, den ich früher einmal gehabt, kostete sie von dem Getränk, bevor sie es mir reichte.

– Es ist kein Gift drin, sagte sie lächelnd.

Ich schämte mich und wußte nicht, was ich darauf antworten sollte, und mit einem Zug leerte ich den Napf, um ihr eine Genugthuung zu gewähren.

Das einschläfernde Getränk, dessen Duft mich an meine Heimat erinnerte, wo der geheimnisvolle Hollunderstrauch Gegenstand eines populären Kultus ist, brachte einen Hauch von Sentimentalität mit sich, welche schließlich in einen Ausbruch meiner Gewissensbisse überging.

– Höre, liebes Kind, bevor ich den letzten Atemzug thue. Ich bekenne, daß ich ein rücksichtsloser Egoist bin, ich habe, um meines litterarischen Ruhmes willen, deine Theaterlaufbahn zerstört; ich bin bereit, Alles zu gestehen, verzeih mir. Sie wehrte ab und sprach mir Trost ein, ich aber unterbrach sie und fuhr fort:

Wir haben bei unserer Verheiratung nach deinem Wunsche beschlossen, daß deine Mitgift dir verbleiben sollte; dennoch habe ich sie verschleudert, um leichtsinnig übernommene Bürgschaften zu decken; und das bedrückt mich am meisten, weil du im Falle meines Todes nicht den Besitz meiner veröffentlichten Werke wirst antreten können. Laß einen Notar kommen, damit ich dir mein angebliches oder wirkliches Vermögen vermachen kann. Dann aber kehre zu deiner Kunst zurück, die du um meinetwillen aufgegeben hast.

Sie wollte ausweichen, indem sie die Sache scherzhaft nahm, sie empfahl mir, ein wenig zu schlummern, und versicherte mir, es würde sich alles ordnen, der Tod komme nicht so schnell.

Kraftlos faßte ich ihre Hand, bat sie an meiner Seite zu sitzen, während ich schliefe, flehte sie noch einmal an, mir alles Leid zu verzeihen, das ich über sie gebracht, und nahm ihre Hand fest in die meine; nunmehr senkte sich eine süße Müdigkeit auf meine Augen, ich fühlte, wie ich steif wurde wie Eis unter den Ausstrahlungen ihrer großen Augen, die mit unendlicher Zärtlichkeit auf mich blickten, unter ihrem Kusse, den sie wie ein kaltes Siegel auf meine heiße Stirn drückte – wie ich versang in unsagbare Seligkeit.

*

Als ich aus meiner Lethargie erwachte, war es heller Tag. Die Sonne schien auf das mit einer Schlaraffenlandschaft bemalte Rouleau, und nach dem Geräusch unten zu urteilen, mußte es fünf Uhr morgens sein. Ich hatte die ganze Nacht ununterbrochen traumlos geschlafen.

Der Napf mit dem Thee stand noch auf dem Nachttisch; auch der Sessel meiner Frau stand noch auf seinem Platz, ich aber war eingehüllt in einen Fuchspelz, dessen weiche Haare mir liebkosend das Kinn kitzelten.

Es schien mir, als habe ich in den letzten zehn Jahren nicht geschlafen, so frisch und ausgeruht fühlte sich mein bis zum Übermaß angestrengter Kopf. Die sonst wild durcheinander stürmenden Gedanken vereinigten sich zu geordneten, kraftvollen, gefestigten Gruppen, die den Anfällen von krankhaften Gewissensbissen, den Symptomen eines geschwächten Körpers bei degenerirten Personen Stand halten konnten.

Gleich zu Anfang fielen mir die beiden schwarzen Punkte in meinem Leben ein, die ich gestern als Bekenntnis eines Sterbenden der heißgeliebten Frau offenbart hatte, die mich Jahre lang gepeinigt und mir die Augenblicke, welche ich für meine letzten hielt, vergiftet hatten.

Jetzt wollte ich einmal näher an diese Fragen herangehen, die ich bisher in dem unbestimmten Gefühl, daß sich nicht alles in Ordnung befände, nicht gründlich geprüft hatte.

Sehen wir doch einmal näher zu, sagte ich zu mir, worin ich eigentlich gekündigt habe, ob ich mich wirklich als einen feigen Egoisten betrachten muß, der zum Vorteil seiner ehrgeizigen Pläne die Künstlerlaufbahn seines Weibes geopfert hat.

Sehen wir zu, wie sich die Sache in Wirklichkeit zugetragen hat. Zu der Zeit, wo wir uns aufbieten ließen, hatte sie beim Theater schon eine untergeordnete Stellung: man gab ihr mir noch zweite, nein dritte, Rollen. Beim zweiten Auftreten fiel sie durch aus Mangel an Talent, an Aplomb, an Charakteristik, kurz es mangelte ihr jedes Bühnentalent. Am Tage vor der Hochzeit erhielt sie ein blaues Rollenheft, welches nur zwei Worte enthielt, die eine Gesellschaftsdame in irgend einem Stücke zu sprechen hatte. Wieviel Thränen, wieviel Kummer brachte diese Ehe, die den Ruf einer Schauspielerin vernichtete. Noch vor Kurzem war sie als Baronin, die sich der Kunst zu Liebe hatte scheiden lassen, so anziehend.

Daran war sicher ich schuld; der Zusammenbruch begann, er endete mit einer brüsken Entlassung – nach zweijährigem Jammern vor immer dünner werdenden Rollenheften.

Gerade als ihre Theaterlaufbahn zu Ende ging, hatte ich als Romanschriftsteller Erfolg, und zwar einen wirklichen, unbestreitbaren Erfolg. Während ich früher kleine Stücke auf die Bühne gebracht hatte, deren Aufführung für mich ohne Folgen blieb, bemühte ich mich jetzt um die Vollendung eines annehmbaren Stückes, ich will sagen um eine geeignete Maschinerie, die den speziellen Zweck haben sollte, der heißgeliebten Frau wieder zu dem so sehr gewünschten Engagement zu verhelfen. Ich ging allerdings etwas widerwillig an die Arbeit, da ich seit lange Neuerungen in der dramatischen Kunst plante; ich ging daran, indem ich meine litterarische Überzeugung opferte. Ich mußte die geliebte Frau dem Publikum durchaus aufdrängen, sie ihm trotz aller bekannten Schauspielerinnen an den Kopf werfen, sie in die Sympathie dieser widersetzlichen Welt einschmuggeln. Aber, es half nichts.

Das Stück versagte, die Schauspielerin fiel durch, das Publikum remonstrierte gegen eine geschiedene, wieder verheiratete Frau, und der Direktor beeilte sich, einen Vertrag aufzuheben, der ihm nichts nutzen konnte.

Ist das denn meine Schuld, sagte ich zu mir, mich auf meinem Bett ausstreckend, ganz zufrieden mit mir, nach diesem ersten Versuch. O, wie gut ist es doch, ein ruhiges Gewissen zu haben! Und reinen Herzens ging ich drüber hinweg.

Ein trauriges, thränenreiches Jahr verfloß, trotzdem uns ein sehnlichst gewünschtes Töchterchen geboren wurde.

Plötzlich kehrte die Theaterwut mit erneuter Kraft zurück. Die Theaterbureaux wurden abgelaufen, die Direktoren bestürmt, Reklame gemacht, nirgend ein Erfolg, überall wurden wir hinauskomplimentiert und abgewiesen.

Der Abfall meines Dramas ließ mich kalt, hatte ich doch Aussicht eine ehrenvolle Stellung in der Schriftstellerwelt zu erringen, ich wollte kein Stück mehr schreiben für herumziehende Komödianten, da ich keine Lust hatte, unser Zusammenleben durch eine vorübergehende Laune stören zu lassen, ich beschränkte mich darauf, meinen Teil an dem unvermeidlichen Ärger hinunterzuschlucken.

Schließlich ging das über meine Kräfte. Ich benutzte meine Beziehungen zu einem Theater in Finnland und setzte endlich für meine Frau eine Reihe von Gastvorstellungen durch.

Da hatte ich mir aber selbst Ruten auf den Leib gebunden! Nachdem ich als Strohwittwer während eines ganzen Monats für Küche und Haus hatte sorgen müssen, fand ich nur einen mäßigen Trost in den zwei Kisten mit Bouquets und Kränzen, die sie in das eheliche Heim mitbrachte.

Aber sie war so glücklich, so verjüngt und so reizend, daß ich mich veranlaßt sah, sofort an den Direktor wegen eines Engagements zu schreiben.

Man bedenke, ich entschloß mich, meine Heimat, meine Freunde, meine Stellung, meinen Verleger zu verlassen, um eine Laune zu befriedigen. Doch, was hilfts, entweder liebt man, oder liebt man nicht.

Zum Glück hatte der gute Mann keinen Platz für eine Schauspielerin ohne Repertoire.

War das etwa meine Schuld, wie? – Ich wälzte mich vor Vergnügen auf meinem Bett. Wie gut ist es doch, von Zeit zu Zeit eine Enquete zu veranstalten, wie es die Engländer thun. Das macht mir das Herz ganz leicht, ah, ich werde sicher wieder jung und frisch.

Wie aber kam's nachher? Nach und nach kamen Kinder an, eins, zwei, drei, dicht gesät.

Doch die Theaterwut hielt noch immer an. Schließlich mußte aber ein Ende gemacht werden. Es wurde gerade ein neues Konkurrenztheater eröffnet. Was war einfacher, als daß ich demselben ein Stück anbot, diesmal eins mit einer weiblichen Heldenrolle, ein Sensationsstück, da ja die Frauenfrage auf der Tagesordnung stand.

Gesagt, gethan! Denn – wie gesagt, entweder liebt man, oder liebt man nicht.

Also ein Drama, eine Frauenrolle, Kostüme den Umständen angemessen, eine Wiege, Mondschein, ein Bandit als Gegenstück, ein Pantoffelheld, feige, in seine Frau vernarrt (das sollte ich sein); die Frau schwanger (das war etwas Neues), das Innere eines Klosters und das Übrige.

Für die Schauspielerin war es ein kolossaler Erfolg, ein Durchfall für den Autor, ein Durchfall ... ja!

Sie war gerettet und er verloren, total zu Boden geschmettert, trotz alledem, trotz des Soupers für hundert Francs, das wir dem Direktor gegeben hatten.

Daran hatte ich nicht schuld! Wer war der Märtyrer, wer das Opfer? Ich natürlich! Nichts destoweniger bin ich ein Abscheu für alle anständigen Frauen, weil ich die Karriere meiner Frau geopfert habe. Seit Jahren mache ich mir darüber Gewissensbisse, so daß ich meine Tage nicht in Frieden beschließen kann. Wie oft hat man mir ins Gesicht, vor fremden Leuten darüber Vorwürfe gemacht! Ich?! Umgekehrt ist's gerade! Eine Karriere ist zerstört, aber welche? Und durch wen?

Ein grausamer Verdacht steigt auf, und der Humor verfliegt bei dem Gedanken, daß ich hätte als Zerstörer der Karriere dahingehen können ohne einen Verteidiger, der mich hätte reinigen können.

Bleibt noch die verschleuderte Mitgift.

Ich erinnere mich, daß man mich zum Gegenstand eines Feuilletons machte, das den Titel »Mitgiftverschwender« hatte. Ich entsinne mich dessen ganz gut, wie man es mir unter die Nase rieb, daß meine Frau ihren Mann erhalten hatte. Dieses hübsche Wort veranlaßte mich, meinen Revolver mit sechs Kugeln zu laden. Untersuchen wir einmal die Sache, weil man doch untersuchen wollte, fällen wir ein Urteil, weil man es ja für angebracht hielt, ein Urteil zu fällen.

Die Mitgift meiner Frau, welche zehntausend Francs in zweifelhaften Aktien betrug, hatte ich für meine Rechnung auf Hypotheken zu fünfzig Prozent des Nennwerts angelegt. Da kam der allgemeine Krach, und die Effekten waren fast wertlos, da man sie im kritischen Moment nicht verkaufen konnte. Ich war genötigt, meine Anleihe in Höhe von fünfzig Prozent zu zahlen. Später zahlte der Bankier, der die faulen Aktien emittiert hatte, meiner Frau fünfundzwanzig Prozent, so viel Aktiva kamen bei dem Konkurs des Bankgeschäfts heraus.

Das ist nun ein Problem für Mathematiker: Wieviel habe ich eigentlich verschleudert?

Mir scheint: Nichts. Die unverkäuflichen Effekten bringen dem Besitzer ihren wirklichen Wert, während ich ihnen durch persönliche Bürgschaft einen Mehrwert von fünfundzwanzig Prozent gegeben hatte.

Wahrhaftig! Ich bin unschuldig in dieser Sache wie in der anderen.

Und die Gewissensbisse, die Verzweiflung, die häufigen Selbstmordversuche! Und immer wieder regt sich der Verdacht, das alte Mißtrauen, der bittere Zweifel, und ich werde zur Furie, wenn ich daran denke, daß ich nahe daran war, wie ein Elender zu sterben. Mit Sorgen und Arbeiten überlastet, hatte ich niemals Zeit gefunden, mir über das Gewirre des Geräusches, der Töne, die ich hörte, über die versteckten Reden klar zu werden, und während ich ganz der Arbeit lebte, bildete sich aus dem Geschwätz der Neidischen, aus dem Geklatsch der Cafés eine boshafte Legende. Und ich, wahrhaftig, ich glaubte aller Welt, nur nicht mir! Konnte es denn wirklich möglich sein, daß ich nicht verrückt, niemals krank, niemals degeneriert war? Konnte es denn möglich sein, daß ich mich ganz ruhig täuschen ließ, täuschen von einer geliebten Sirene, deren kleine Scheere im Stande gewesen wäre, Simsons Locken abzuschneiden, während er sein Haupt, von Sorgen um sie und die Kinder müde, ihr in den Schoß legte! Vertrauend, ohne Arg hätte er während seines zehnjährigen Schlafes in den Armen der Zauberin seine Ehre verloren, seine Mannhaftigkeit, seinen Willen zum Leben, seine Intelligenz, seine fünf Sinne und noch mehr!

Wäre es möglich – ich schäme mich, es zu denken – daß ein Verbrechen zu Tage käme in all den Wirrnissen, die mich seit Jahren wie ein Phantom verfolgen; ein ganz kleines, unbewußtes Verbrechen, hervorgerufen durch den unbestimmten Wunsch nach der Macht, durch die uneingestandene Lust des Weibes, den Mann zu unterjochen in diesem Kampf zu Zweien, den man Ehe nennt!

Ich war entschlossen, alles zu erforschen, ich erhob mich, sprang aus dem Bette, wie der Gelähmte, der die imaginären Krücken fortwirft, eilig kleidete ich mich an, um nach meiner Frau zu sehen.

Ich blickte durch die halb offene Thür, und ein bezauberndes Bild bot sich meinen entzückten Augen dar. Sie lag da auf ihrem Bette, das Köpfchen in die weißen Kissen vergraben, auf deren Bezug die goldigen Haare wie Schlangen sich ringelten; von den Schultern war das Spitzenhemd geglitten, das den jungfräulichen Busen kaum noch verhüllte; der zarte geschmeidige Körper zeichnete sich unter dem weiß und rot gestreiften Deckbett ab, es zeigte sich der kleine, leicht gewölbte, entzückende Fuß, über dessen rosige Zehen, die durchsichtigen, tadellosen Nagel hervorstanden, es war ein vollkommenes Meisterwerk, ein antiker Marmor, in den menschliches Leben gegossen war. Unschuldsvoll lächeln, betrachtete sie mit keuscher Mutterfreude die drei kleinen Puppen, die in dem geblümten Kissen wie in einem Heuschober herumkletterten und versanken.

Von diesem entzückenden Schauspiel entwaffnet, sagte ich zu mir: Sei vorsichtig, wenn die Baronin mit ihren Jungen spielt.

Von der Majestät der Mutter gebändigt und unterjocht, trat ich ziemlich unsichern Schritts und furchtsam wie ein Schüler ein.

Ah, du bist ja schon aufgestanden, Männchen, begrüßte sie mich überrascht, aber nicht so angenehm überrascht, wie ich es gewünscht hätte. Ich stotterte eine Erklärung und bückte mich, um meine Frau zu küssen, aber die Kinder warfen sich auf mich und erstickten mich beinahe.

Ist das eine Verbrecherin, fragte ich mich, im Fortgehen, besiegt von den Waffen der keuschen Schönheit, durch das offene Lächeln dieses Mundes, der noch von keiner Lüge besudelt war! Tausendmal nein! Ich zog mich, vom Gegenteil überzeugt, zurück. Aber grausame Zweifel peinigten mich von Neuem. Warum hatte meine unverhoffte Besserung sie kalt gelassen? Warum hatte sie sich nicht nach dem Verlauf des Fiebers, nach den Einzelheiten der verflossenen Nacht erkundigt? Und wie sollte ich mir ihre enttäuschte Miene, ihre fast unangenehme Überraschung, ihr überlegenes, spöttisches Lächeln erklären, als sie mich wohl und munter sah. Hatte sie leise gehofft, mich an diesem schönen Morgen tot, zu finden, befreit zu werden von dem Narren, der ihr das Leben unerträglich machte? Hoffte sie die paar Tausend Francs aus der Lebensversicherung zu erhalten, welche ihr einen neuen Weg zu ihrem Ziele eröffnen sollten. Tausendmal nein! Und doch! Die Zweifel bohrten sich mir ins Herz, Zweifel an allem, an der Ehrlichkeit meines Weibes, an der Legitimität der Kinder, Zweifel an meiner Zurechnungsfähigkeit, Zweifel, welche mich erbarmungslos verfolgten.

In jedem Falle muß dieser Gedankenwirrwarr ein Ende nehmen, ich muß Gewißheit haben oder sterben. Entweder ist da ein Verbrechen verborgen, oder ich bin ein Wahnsinniger! Ich muß jetzt die Wahrheit entdecken. Ein betrogener Gatte! Meinetwegen, wenn ich es nur wüßte! Ich könnte mich dann durch ein höhnisches Lachen rächen. Giebt es einen Mann, der sicher ist, der einzig Bevorzugte zu sein? Wenn ich alle meine Jugendfreunde, die jetzt verheirathet find, im Geiste durchgehe, so finde ich keinen, der nicht mehr oder weniger betrogen wird, Und sie ahnen nichts, die Glücklichen! Man muß nicht kleinlich sein, nein! Gleiche Rechte, gleiche Pflichten! Aber nicht wissen, das ist gefährlich! Wissen, das ist die Hauptsache! Wenn ein Mann hundert Jahre lebte, so würde er niemals genau wissen, wie seine Frau lebt. Er kann die Gesellschaft, sogar die ganze Welt kennen, ohne einen Einblick in das Wesen der Frau zu gewinnen, deren Leben an das seine gekettet ist. Darum ist der arme Herr Bovary bei allen glücklichen Gatten in so angenehmer Erinnerung!

Ich aber, ich will Gewißheit haben! Ich will forschen! Um mich zu rächen! Wie thöricht! An wem? An den Bevorzugten? Sie machen nur das Recht des Mannes geltend! An der Frau? Man muß nicht kleinlich sein! Die Mutter dieser Engel ins Verderben stürzen, was fällt dir ein?

Aber ich muß unbedingt Gewißheit haben. Und dazu werde ich eine gründliche, diskrete, meinetwegen auch wissenschaftliche Untersuchung anstellen; alle Hilfsquellen der neuen psychologischen Wissenschaft will ich benutzen, die Suggestion, das Gedankenlesen, die Geistestortur; auch die alten Mittel will ich nicht verschmähen: Einbruch, Diebstahl, das Auffangen von Briefen, Fälschung. Ist das Monomanie, der Ausbruch des Wahnsinns? Doch nicht an mir ist's darüber zu urteilen; möge der aufgeklärte Leser in letzter Instanz darüber sein Urteil abgeben, wenn er dieses Buch vorurteilslos liest! Er findet dann vielleicht Elemente zur Physiologie der Liebe, Bruchstücke der pathologischen Psychologie, außerdem noch ein Stück Kriminalphilosophie.


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