Rudolph Stratz
Der mysteriöse Cavalier und andere Novellen
Rudolph Stratz

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Louisabeth

Aus ihrem Tagebuch der Vergangenheit

Es standen seit dem 11. May 1812 Jupiter und Venus einander am Himmel in nächster Nähe, und die Venus war von nun ab mit bloßem Auge am hellen Tag zu sehen. Der deutsche Damen-Kalender auf 1812 vermerkte es, daß diese seltene Constellation zu allen Zeiten empfindsamen Gemüthern eine Stunde der Andacht als ein Gleichniß menschlichen Lebens gewesen sei. So fielen mir alle, auf meinem Schlosse Reuterswiese, bei mir habenden, Gäste – Chapeaux wie Damen – eifrig zu, als ich vorschlug, einem dieser sanften Maientage einem unschuldigen Fest der Liebe und der Freundschaft zu weihen.

Der große Saal war unseres Vorhabens unwerth. Er öffnete sich mit seinen Fenstersöllern gegen die Landstraße im Thal. So tief da unten, zwischen steilen Waldhängen auch der Weg führte, so wäre doch immer wieder unser attisches Kränzchen roh von dem heraufschallenden Trommelschlag und Hörnerklang gestört worden, mit dem tagaus, tagein, nun schon seit Wochen, wie eine Völkerwanderung, die Grande Armée des Kaisers Napoleon durch unser Thüringen hindurch gegen Rußland zog. Ich wählte darum lieber für unsere Fête der Sentimentalität und Rührung den abseits nach dem Park hin und drei Stockwerk hoch gelegenen Raum, den ich der eigenen, in mir wohnenden schönen Seele geweiht hatte – in dem ich für die anderen edleren Naturen, die ihn zu betreten gewürdigt waren, nicht mehr Louisabeth, sondern Herme hieß – nicht mehr die Letzte aus dem Geschlecht der Freyherren von der Lehen, sondern die Erste eines schwärmerischen Freundschaftsbundes war.

Als Tempel der Freundschaft zeigte sich in der Ecke ein künstlicher Hain mit Altar und Lyra und der Inschrift: »Dem unbekannten Gott«. Auf der anderen Seite stand das Spinett, das Stickerei-Rähmchen am Fenster. Den großen runden Tisch in der Mitte, um den sich unsere kleine Akademie gefällig gruppierte, hatte ich mit Rosenblättern bestreut. Sonst waltete in diesem Raum eine edle Simplicität.

Die Morgensonne schien herein. Die Frauenzimmer hatten ihre Handarbeiten vorgenommen, die Herren sahen über ihre hochgeschlungenen schwarzen Binden in lächelnder Feierlichkeit mich verantwortungsvoll an, und ich (schwärmte) hingegeben:

»Freundinnen! Freunde! Es ist die Absicht wahrer Vervollkommnung, mit Menschen in eine höhere Verbindung zu kommen als mit jenen allzuhäufigen Naturen, die unser Raupenstand uns darbietet. Dieses Verlangen, uns einander auf das Erhabendste zu steigern, beseelt unsern Kreis! Und welcher Tag wäre würdiger, uns vor uns selber zu verschönern, als der heutige, in dem die Göttin der Schönheit selber milde am Himmel regiert? Darum schlage ich vor, daß ein Jeder jetzt eines Anderen Charakter uns, mit schicklichem Tadel, wo es nöthig – doch aber mit dem Auge der Freundschaft gesehen, entwerfe, seine vorzüglichen Eigenschaften und Gaben aufzeige, das Werthvolle und Eigentliche seines Wesens umreiße und ihn uns so nur noch liebenswürdiger mache!«

Die freudetrunkene Zustimmung – das Händeklatschen der Herren, das beifällige Erröthen der Frauenzimmer beschämte mich. Pamela rief:

»Laßt mich bei der Würdigsten beginnen: Bei der göttlichen Louisabeth selber . . .!«

»Nicht ich! . . . Nicht ich zuerst!« wehrte ich erschrocken ab. Doch wer will Pamela das Wort nehmen?

». . . bei der hehren Priesterin, die wir in ihrem Tempel Herme nennen dürfen! . . . Betrachten wir sie mit den Augen der Liebe! . . . Zielen wir zuerst auf ihr Äußeres ab . . .«

»Nein!« Ich hob beschwörend die Hände. »Was sucht Ihr Ungemeineres in der Form? . . .«

». . . als in der schönen Form die schöne Seele!« fiel Pamela mit dem zärtlichen Eifer der Freundschaft ein.

»Lasset mich Herme abschildern: Sie ist groß und schlank und hält ihre jungfräulichen Formen im erfreulichsten Ebenmaß – jungfräuliche, wiewohl sie vorgestern ihr einundzwanzigstes Wiegenfest feierte! Gott Hymen – höre dies Wort, das deiner Allmacht spottet!«

»Kann ich dafür?« unterbrach ich und wies bebend nach dem Freundschaftstempel mit der Inschrift: ›Dem unbekannten Gott!‹ – »Kann ich dafür,« wiederholte ich thronenden Auges, »daß dieser Gott mir nicht erschien?«

Auch Pamela weinte und Alle im Zimmer durchschauerte eine sanfte Rührung.

»Und wer möchte doch würdiger gefunden werden, einen Mann zu veredeln, indem sie ihn beglückt?« frug Pamela im Kreise. »Ihr graziöses Lächeln, ihr geistreicher Mund, ihre klugen Augen, die edle Gesammtform dieses ovalischen Antlitzes deuten auf ein Wesen von nicht gemeiner Artung und Bildung, das sich, voll einer heiteren Anmuth, in einer reizenden Freude an sich selbst vollendet! Ist aber diese Freude nicht allzunahe verschwistert der Grausamkeit einer spröden Artemis . . .? Ist diese Freude nicht einem Andern geschuldet?«

»Euch!« Ich faltete bittend die Hände. »Freunde: Euch!«

In diesem Augenblick tritt Külps herein . . . mein Amtmann Külps – wie er vom Felde kommt – in seinem verschossenen blauen Inspektor-Frack und hohen Reitstiefeln, und meldet: »Gnädiges Fräulein! Die Merino-Schafe . . .«

Meine Seele seufzte. Die guten Geister reiner Freuden flohen. Elysium war verscheucht. Ich sprach wehmüthig, in meiner klassischen Attitüde mit aufgesetztem Ellenbogen und gleich einer Trauerweide seitlings gestütztem Haupt: »Sie nahen sich mir, liebwerther Herr Külps, wie der Famulus dem Faust in dem nun vollendeten, außerordentlichen Poem des Herrn Geheimrath von Goethe!« Mein Amtmann aber versteht von der höchsten, hier niedergelegten Imagination Seiner Exzellenz so viel wie ich von meinen Kühen und Schafen. Was bleibt mir übrig, als mich diesem treuen Diener zu unterwerfen, der mir, der Doppelwaise, der Letzten des Geschlechts, – ein Menschenalter in unseren Diensten, meine weiteren Ländereien – ach, leider nur aus der Ferne ein Arkadien, – mehr aber voll Düngers, Schweinegrunzens – oh pfui – und Stallgeruchs – so untadelig verwaltet?

»Es ist spanische Artillerie auf dem Weg nach Rußland im Durchmarsch!« versetzte er. »Wenn diese kleinen, gelben Kerle Merino-Schafe sehen, so erwacht in ihnen die Erinnerung an ihre Weiden in Estremadura und sie scheeren sie auf der Stelle mit geübter Hand . . .«

»Welch glücklicher Instinkt!« rief ich. Der Herr Külps war anderer Meinung: ». . . und verkaufen die Wolle im Lager! Eine Reuterswiese'sche Administration aber hat das Nachsehen! Möchte daher um gnädige Erlaubniß bitten, die Heerde in die Höhle drüben in dem Wald treiben lassen zu dürfen, bis die Spanier durch sind!«

»Oh weide die Lämmlein, guter Hirte!« sprach ich träumerisch und entlockte der zur Hand genommenen Laute ein paar schluchzende Äols-Töne. »Weide sie, lieber Schäfer! . . . Unsere Pulse schlagen sanft zum Läuten deiner Heerde! Auch wir wandeln hier in Bukolien.«

Der Herr Külps ging. Verzückung und Thränen waren dem Redlichen fremd. Pamela, die liebliche Schwärmerin – Pamela, dies feurige Kind, das wie der Wind durch Europa fliegt – wenn anders es die Kriegszüge des großen Korsen gestalten – Pamela, die sich flüchtigen Fußes bei den Vorzüglichsten unserer Litteratoren und Gelehrten zu Gaste lädt und wie die Biene mit Honigseim beladen wieder heimfliegt – Pamela zeichnete mit dem Griffel des Herzens mein sonntägliches Bild:

»Was ist doch unsere Herme anders«, sagte die liebe Schmeichlerin, »als ein vortreffliches Medium von Engel und Mensch, wie das denn der Ehrgeiz jedes Frauenzimmers von höherer Ordnung sein sollte.«

Ich hielt mir, geziemend erröthend, die Ohren zu. Doch las ich Billigung in den Mienen unseres Symposions und Pamela, die süße Schwätzerin, plauderte weiter:

»Ein spekulativer Kopf und ein nervenreiches Herz! Nicht Weibchen und nicht Männin! – sondern das wahre Weib im eigentlichsten Verstand! Ein Frauenzimmer von Sinn und Verdienst! Sie ist mir, von all den Frauenzimmern hier, die respektabelste in Hinsicht der Anordnung ihres Lebens unter geistige Elemente! . . . Oh Herme: weißt du, wie ich dir verbunden bin?«

»Ich weiß es, Schwesterseele!« Ich stand auf und umarmte sie schluchzend, indem ich, im Geschmack der Madame Händel-Schütz, die Schleppe zurückschlug und das Knie plastisch zu einer gerührten Gruppe beugte. Denn Pamela, die Gute, war einen Kopf kleiner als ich und kurz und dick – und auch schon den Vierzig nahe. .

»Oh schönste Frauenseele auf dieser sublunarischen Welt!« jauchzte sie in einem seligen Überschwang zu mir empor. Ich wehrte mild lächelnd: »Hast du dich nun bald an mir armem Meteor müde gegafft?« Pamela aber, das genialische Kind, jubelte im ätherischen Rausch ihrer Gefühle: »Du bist keine irrende Sternschnubbe! Du ruhest wie der Nordstern unverrückt in dir, du schönste Priesterin! Du Kalte! Du giebst! Doch wer darf dir geben?«

»Kein Gedanke,« erwiderte ich empfindsam, »ist mir schmeichelhafter als die Freundschaft reiner Wesen!«

Pamela aber ließ von mir ab und sank in das Canapé. »Oh – du Welt- und Himmel-Volle!« klagte sie. »Hört es, Ihr Ewigen dort oben: In den Vorhöfen deiner Seele ist ein Gedränge! Doch dein Herz steht uns allen leer!«

»Ich kann keine zwei Menschen auf einmal ins Herz fassen!« sprach ich mit einem Augenaufschlag. »Nur Einer hat Platz darin. Oder Keiner!«

»Oder Keiner!« wiederholte Pamela, die Freundin, und deutete bebend auf den Tempel in der Ecke. »Verkünde es nur, das Donnerwort: Auf diesem Altar raucht kein Opfer eines versengten Herzens! Du hast dich selbst noch nicht erfunden! Wehe, du einsame Göttin!«

Dieses kirchenbrecherische Wort: Göttin – verdroß die Stiftsdame, die mir gegenüber saß, wie Pamela zu meiner Linken. Sie häkelte heftig. Sie grollte: »Oh – Ihr Herzen, die Ihr lieber mit einem Hündlein tändelt als mit Christo redet . . .«

Ich ehrte die exzentrische Frömmigkeit dieses schönen und ruhelosen, unstät schweifenden Gemüths. »O Phila!« faltete ich innig die Hände. »Giebt es nicht hier einen Seelen- Nektar von einer himmlischen – dort von einer irdischen Artung?« Sie aber schalt weiter: »Räsonnieret nur Gott aus der Kirche hinaus. Ihr freien Geister! Er bleibt doch ewig in der Welt. Ihr sehet ihn nur nicht in der Trunkenheit Eures Gemeinnutzes. Auch über mich kam erst in Rom das Licht!«

Ihre Nadeln rührend setzte Phila, nach ihrem Brauch, vor sich, mit verbissenen Lippen, hinzu: »Katholisch aber werde ich darum doch nicht!«

Wer mochte die Hadernde durch eine Entgegnung kränken? War nicht das Stift, in dem sie, unten im Städtchen, uns allen, in einer unvergleichlichen Harmonie, als eine Kerze der Freundschaft funkelte – war dieses Stift nicht auf einen Wink Napoleons in jetziger Rheinbundzeit, in seinem Hauptbau zu einem Gefängniß und Krankenhaus umgewandelt, und die jungen und alten adeligen Fräulein in die nothdürftigen Hintergebäude verwiesen? Trug nicht seitdem Phila, dieser starke Geist, ihr Licht, – Gott suchend, wie Pamela Menschen suchte – irrend durch die Welt, und taumelte wie ein trunkener Falter zwischen Wittenberg und Rom – zwischen der Weihe des Gedankens und der Sinnfälligkeit des Glaubens?

Für Pamela, die kleine, runde, lebensfrohe Heidin, saß ich indessen auf einem irdischen Thron. Sie kniete vor mir nieder. Sie breitete die Arme aus.

»Oh Herme!« rief sie in einer schönen Extase. »Lasse dir einigen Begriff von deinem zukünftigen Zustand geben! Lasse dir dieses Räthsel deuten: du bist reich, Freundin, und bist doch erst reich, wenn du arm bist! Du bist dir gegeben und besitzest dich doch erst, wenn du dich dahingeschenkt hast! Du blühst im Maiensäuseln, Herrliche, und wirst dich doch erst erschließen, wenn die Gewitter des Junius dich mit Blitzen und Schlossen verheeren! Hast du die Lösung gefunden? Das sanfte Morgenroth deiner Wangen beschämt die Rosenblätter auf dem Tische! Oh schäme dich dieser lieblichen Wallung nicht! Neige dein schönes Haupt vor dem tändelnden Flügelkind der Lüfte . . .«

»Trete der Herr Amtmann nur ein!« rief ich erleichtert auf ein Pochen an der Thüre, an dem ich die unzarte Faust des Herrn Külps erkannte. Denn dies schalkhafte Klopfen Pamela's am verschlossenen Schrein meines Herzens that meiner friedlichen Keuschheit weher, als der mit dem Herrn Külps wandernde Geruch von Kuhstall, Knaster und Stiefelthran sonst meine, nach dem Lob von Kennern der Antike, wahrhaft griechisch gebildete Nase beleidigte und mein Auge an dem pfeffer- und salzfarbenen Mißton seiner Weste Anstoß nahm. Meine Ohren aber kränkte, wie er auf der offenen Schwelle stand, der mit ihm eindringende, die Musen scheuchende, tägliche Trompetenschall aus dem Thal. Ich versetzte mit sanfter Entschiedenheit: »Wolle der Herr Amtmann die Thüre schließen! Meine weibliche Zierde ist es, im Friedens- nicht im Kriegsgewand der Pallas Athene zu erscheinen!«

Herr Külps machte ein böotisch verblüfftes Gesicht – denn er verstand mich nicht – und erwiderte: »Es ist nur eine kleine Streifpartie neapolitanischer Cavallerie!« Doch Lisette, meine fürwitzige Zofe, brachte uns gerade ein Schälchen Thé de France aus getrockneten Melissenblättern – nachdem der Kaiser uns, durch die Kontinentalsperre, grausam China's Pecco-Blüthe abgeschnitten! – und widersprach und man durfte ihr in Dingen des bunten Tuches und des Säbelgeklirrs wohl glauben: »Es sind polnische Ulanen! Sie kommen von einem Land am Ende der Welt – Portugal geheißen – wo sie Krieg geführt haben, und reiten jetzt an das andere Ende der Welt nach Rußland!«

»Wie dem auch sei, Demoiselle Naseweis!« sprach der Herr Amtmann. »Wer findet sich noch unter allen den Nationen zurecht, die der Empereur gegen den Zaren aufbietet? Diese Reiter fahnden auf einen Menschen, der sich in hiesiger Gegend der Aufwiegelei wider die Franzosen unterstanden haben soll . . .«

»Vorzüglich der Spionage in der Großen Armee«, schaltete die kundige Lisette ein, »um den Moskowitern zu dienen!«

»Wolle die Jungfer Vorlaut sich bezähmen! Die Lanzenreiter frugen, ob in hiesigem Schloß etwa ein solches Subjekt sich verhalte . . .«

»Er soll aus Preußen gekommen sein!« merkte das unstillbare Maulwerk meiner Zofe an.

»Ich refüsierte mit einiger Empörung diese Zumuthung« fuhr der wackere Külps fort, »und gab den Unbescheidenen zu verstehen, daß Gehorsam die vornehmste Bürgerpflicht sei und wir hier friedlich und als treue Unterthanen unter Rheinbundobrigkeit lebten! Darauf ritten sie weiter! Doch nicht davon wollte ich sprechen, gnädiges Fräulein, sondern bitten, einen eiligen Boten zu Fuß – denn einem reitenden wird unterwegs unfehlbar das Pferd requiriert! – zu dem Ordonnateur-en-Chef des in Hellmerode liegenden Armeecorps zu schicken und den Herrn französischen General zu bitten, dem Treiben der holländischen Marketenderinnen unten auf unserer Wiese Einhalt zu gebieten! Diese Frauen sitzen in ihren Uniformröcken auf der Weide und melken am hellen Tage unsere Kühe aus, trotz meinem Schweizer!«

Ich patschte in die Hände: »Welch ein bukolisches Bild!« rief ich vergnügt. »Wahrlich – eines Niederländers würdig!« Aber der Herr Külps theilte meine Begeisterung nicht. »Die Weiber verhökern unsere Milch an ihre Friesländer von dem Ponton-Park!« rügte er mich.

»Des weiteren haben die französischen Voltigeurs heute Nacht wieder in drei Häusern die Treppen davongetragen und als Lagerfeuer gebraucht, weil unsere schönen Weidenköpfe, die sie zuerst umhieben, ihnen zu grün waren! Ihre Karrengäule stehen und sie selber liegen auf ungedroschenem Stroh als Streu. Das liebe Brot liegt in breiter Spur von der Tenne bis zum Biwak und die Hühner picken es. Von diesen ist freilich ein guter Theil schon heute Nacht gestohlen! Ein Bauer drüben auf dem Nachbargut, der wehren wollte, liegt auf den Tod . . .«

Wo war unsere Vergnügung des Geistes und Verstandes – wo war unsere, so harmonisch begonnene Akademie geblieben?

Ich blätterte zerstreut und betrübt in den artigen Chodowiecki'schen Kupfern, deren mir der letzte Postwagen ein ganzes Cahier vom Buchhändler gebracht hatte. Bei der Betrachtung dieser, mit delikatester Nadel gestochenen Vignetten war eine mißvergnügte Minute unmöglich. Meine bewölkte Stirne erheiterte sich in einem vertieften Interesse und ich hörte nur noch halb auf die, ach so ermüdenden, weil jeden Tag wiederkehrenden Klagen des Amtmanns über die Plünderung unserer Mehlkasten, Haferböden und Räucherkammern durch die vorbeimarschierenden Franzosen. Wozu braucht der Mensch zu essen? Was soll diese Prosa des Seins? Nehme man sich an mir ein Beispiel: Ich lebe oft, mit schönen Dingen beschäftigt. Freunden und Freundinnen schreibend, in meiner süßen Wehmuth träumend – ich lebe oft von Zuckerwasser und etwas Bisquit bis zum Abend . . .

Da klirrte es, im Triumph des Mars über Minerva, die Treppe hinauf, und vor mir stand, vom Diener geführt, ein wirbelbärtiger polnischer Ulan. Er schien Einer ihrer Oberen zu sein, denn er verbeugte sich mit einigem Anstand und versetzte in gutem Französisch, zu mir und dem Herrn Külps allein gewendet – abseits von dem Andern:

»Der deutschen Sprache gegenüber Ihren Bediensteten nicht genügend mächtig, müssen wir uns an Sie, Baronesse, als die Grundherrin dieser Gegend wenden. Es sind expresse Befehle an den Adjutant-General der Division ergangen – Immediatbefehle aus Paris, Madame – sich sofort eines Ausländers aus Preußen zu versichern . . .«

»Mein Verwalter, mein Herr – leider verbietet mir meine Unerfahrenheit in den Waffen, Sie bei dem Ihnen gebührenden Rang zu nennen . . .«

»Ich bin Oberst in der Großen Armee, Madame!«

»Dies muß kein gemeiner Handel sein!« raunte neben mir besorgt der Herr Külps, dem ich das dolmetschte. »Wenn ein so hoher Ofizier persönlich . . .« Ich sagte:

»Der Amtmann hier, mein Oberst, meldete bereits Ihren Tapferen . . .«

». . . daß von einem solchen Fremdling hier nichts bewußt sei! Und doch zielen alle Meldungen darauf ab, daß er sich, – wenn nicht unter Ihrem Dach – dann im Umschwung des Schlosses, in den Wäldern und Bergen, umtreibt! Man hat ihn gesehen und verfolgt! Man war ihm auf den Fersen! Plötzlich verschwand er, als habe ihn die Erde aufgenommen.«

»Und wer ist dieser schwer zu entziffernde Mann?« warf ich ein.

»Ein Mensch – wie schon gesagt, preußischer Nation – in der Rauhheit seiner Mundart den Ostpreußen nicht verläugnend – der sich den Kandidaten Friedrich Wilhelm Prussatis nennt . . .«

Ein Name aus der ultima Thule – fremd – barbarisch meinem Ohr. Ich bewegte, sanft verneinend, meine hochgelöckelte blonde Frisur. Ich hatte wenige Bürgerliche, als wie Medicinä Doktoren, Sachwalter, Negocianten, in meinem Leben kennen gelernt. Noch weniger und seltener Preußen. Am allerwenigsten aber einen preußischen Bürgerlichen, unter dem ich mir etwas Deutliches und Eigentliches nicht recht vorstellen konnte.

»Vielleicht sind Sie ihm begegnet, ohne es zu wissen, Baroneß!« versetzte der Herr polnische Colonel und entfaltete ein Blatt. »Lassen Sie mich in großen Strichen sein Äußeres entwerfen: Dieser Mann mag an die dreißig zählen. Er ist über das Mittel gewachsen, von einer länglichen und wohlgemessenen Statur. Haar und Augen sind dunkler als man sonst bei seiner Rasse gewohnt ist. Seine, übrigens bartfreie, Gesichtsbildung ist richtig und zeigt nichts Außerordentliches, – es sei denn ein rauher und schroffer Ausdruck, der ihm zuweilen aufleuchtet, und ein Blick von einer verächtlichen und verwegenen Natur, womit er die Menschen von oben bis unten abzumessen und dabei zu lächeln liebt!«

»Dies Bild ist eines Lavater würdig!« rief ich lebhaft. »Wahrlich: Der Unbekannte steht leiblich vor mir – doch so, wie Sie, mein Oberst, meiner Einbildungskraft die Farben des Portraits mischten – nicht im Spiegel meiner Erinnerung!«

»Der, den wir suchen,« fuhr der Oberst des Großherzogthums Warschau fort, »ist nach gewöhnlicher Art gekleidet. Er trägt einen gemsfarbenen Tuchfrack mit schwarzer Halsbinde, eine roth und weiß gestreifte, baumwollene Weste, sehr weite gelbe Lederhosen, hohe, schwarze Stiefel, unter einem runden Hut offenes, kurzes Haar. Er möchte etwa, in seiner Erscheinung, einem reisenden Kaufmannsdiener oder Musterreiter ähneln, für den er sich denn auch wohl ausgiebt . . .«

»Doch, wer ist der verrätherische Postträger in Wirklichkeit?« frug ich, nachdem ich dem Herrn Külps den Steckbrief übersetzt.

»Wenn wir ihn erst haben, werden wir es ihm auf die Stirne zusagen und die Welt wird schaudern!« sprach der Pole und auch mich überlief bei diesen schwarzen und unheimlichen Worten ein Schauer. Ich sagte: »Sollte dieser Mensch, der so weithin den behördlichen Gewalten Beschwerde und Ekel verursacht, meinen stillen und engen Bezirk der Musen hier heimsuchen, so soll mein Urtheil über ihn nicht zweideutig sein . . .«

»Und darf es nicht, Madame!« schaltete der Pole ein. »Denn Sie machen hier im Schloß die Hausgesetze!«

». . . sondern wie ich gegen diesen, sicherlich nicht mit Unrecht verfolgten Preußen nützen und helfen kann, so soll es geschehen!«

Meine sanftmüthige Dienstwilligkeit rührte den Herrn Oberst. Er umschrieb, durch das Fenster blickend, mit der Hand in weitem Umkreis den Horizont anmuthig gewellten Landes, der sich aus der Thalenge des Vordergrundes in einer freundlichen Art öffnete. Man hätte befürchten mögen, daß alle Dörfer in der Runde brannten, wie wir dieses vor sechs Jahren, nach dem Treffen bei Jena, bebenden Herzens erlebt. Allein nun war ja Friede und die Rauchsäulen, die allerorts auf den Fluren an dem schönen Maientag zum blauen Himmel aufstiegen, entquollen aus den Lagern der Großen Armee, die ohne Ende bei uns durch gegen die aufgehende Sonne zog.

»Seitdem die Erde steht, wurde noch keine solche Heeresmacht gesehen«, sprach der Pole. Seine Augen glühten.

»Der Kaiser hat alle Völker Europa's von den Säulen des Herkules bis zum Njemen aufgeboten, um den moskowitischen Drachen von seinem goldenen Stuhl zu werfen. Er wird mit diesem ungeheuersten aller Kriegszüge die neue Ordnung der Welt vollenden und sich in Moskau zum Kaiser von Europa krönen lassen!«

»Wie ließe sich auch der Genius in seinem Adlerflug die Flügel binden?« fiel ich dem Obersten bei. »Napoleon ist im absoluten Besitz seiner erhabenen Natur. An seinem Willen mißt sich wie an einem Zollstock die Welt!«

»Und die Welt ist ohne ihn undenkbar!« sprach der Großherzoglich Warschau'sche Militär in einem dunklen und warnenden Ton und fuhr ebenso geheimnißvoll, in einer gedämpften Art, fort: »Der Kaiser hat am 9. Mai Paris verlassen, um zur Großen Armee zu reisen. Er flog in drei Tagen von Paris nach Mainz! Er wird in Dresden alle Könige und Fürsten des Rheinbundes vor dem Aufbruch gegen Rußland um sich versammeln. Er kommt in diesen Tagen auf dem Weg nach Dresden – er kommt durch hiesige Gegend, Madame!«

»Oh – wer den großen Mann sehen könnte!«

»Es möchte leicht sein, Baroneß, daß er die hier unten im Thal führende Straße einschlägt! Wenn Sie den Mameluckenschwarm mit bunten Turbanen und Krummsäbeln dahinjagen sehen und zwischen ihnen, in gestrecktem Galopp der offene Reisewagen – derjenige von den einsitzenden Generalen, die Landkarten auf den Knieen, der keine goldgestickte Uniform, sondern den einfachen Rock der Voltigeure oder den grünen Frack der Jäger zu Pferde trägt – das ist Er! . . . Wehe, wenn in diesem Lande ein Zwischenfall den Empfang verwirren möchte, der ihm gebührt! Die Folgen wären furchtbar!«

Ich mußte den, von der Rede erhitzten, Sarmaten belächeln.

»An uns soll es nicht fehlen!« sprach ich. »Der Kaiser der Franzosen ist ein Genius von der ersten Größe und unsere geziemende Ehrfurcht ihm sicher! Wie sagte doch der Herr von Goethe in Weimar, der Ihnen, mein Oberst, unfehlbar nach seinem Namen gewärtig ist . . .«

Nein! Der Colonel hatte nichts von dem Geheimbden Rath vernommen. Ich schmückte Seine Exzellenz also mit dem ihm gebührenden Titel und verbesserte: »Der Herr Staatsminister von Goethe, der seit vielen Jahrzehnten so musterhafte Werke der Poesie hervorbringt – als er vor etlicher Zeit einer Audienz beim Kaiser gewürdigt wurde – mit welchen Worten ging er da ab: Er sei nun froh und sicher, allezeit an Napoleon einen gnädigen Herrn zu wissen! . . . Einer solchen Meinung, mein Oberst, sind wir simpeln Sterblichen hier, in unserem geringen Kreise, denn nun auch!«

»Mit dieser Hoffnung nehme ich von Ihnen Urlaub!« Der Ulane beugte sich und wischte ritterlich mit seinem Schnauzbart meine Hand. Ich faßte meinen Tarlatanrock rechts und links mit den Fingerspitzen, neigte mich sittig in den Knieen und versetzte: »Mein Oberst – ich bin die Ihrige!«

Als er die Treppen hinabgerasselt, litt es auch den Herrn Külps nicht länger bei mir. Ihm lagen seine Merinoschafe im Sinn, deren Vließ er durchaus vor dem Scheermesser der Wälschen bewahren wollte. Er ließ die blökende Heerde aus dem Stall treiben und wanderte, den Knotenstock in der Hand, selbst rüstig hinter Hirten und Hunden mit.

Nicht ohne innige Wehmuth sah ich vom Fenster oben das ausziehende Gewimmel der Pelze. Oh – du entweihter, verschwiegener Tempel der Schwärmerei im Walde! Das rohe Volk nennt dies Geklüft, zu dem kein Unkundiger so leicht durch Dickicht den Eingang findet, von alters her das Mäuseloch. Ich hatte es die Nymphengrotte getauft und liebte es, mit anderen sentimentalen Herzen an heißen Sommertagen, in luftig weißen Gewändern, Blumenkränze im Haar, in diesem Schattenreich zu träumen und, dem Orte angepaßte, schmerzliche und thränenreiche Verse zu recitieren, deren klagende Bewegung Geisterstimmen im Echo an den feuchten Wänden auffingen. Nun aber würde Herr Külps seine Schafe dorthinein weisen und diese stumpfen Thiere sich in die poetische Gelegenheit nicht fügen, sondern durch ihre unvermeidlichen Überbleibsel am Boden der Weihe des Ortes Abbruch thun und, trotz alsbaldiger Säuberung, meine Nymphengrotte mir entheiligt und vergällt sein . . .

* * *

Diese liebliche Höhle lag in halber Höhe des Berges, über dem Schloß Reuterswiese, inmitten von dickem Wald. Die gemächlich steigende Poststraße führte dicht daran vorbei. Von ihr hatte Herr Külps seine Schafe und Böcke und hüpfenden Lämmlein seitwärts nach dem Eingang zum Tartarus treiben zu lassen. Er befliß sich der Eile und schaute sorgend um die Wegbiegung zurück. Er glaubte, in dem rasch nahenden Hufschlag und Säbelgeklirr bereits den Spanier zu gewärtigen. Doch die Reiter – es mochten ihrer nicht mehr sein als die Finger einer Hand – trabten vorbei, ohne sich um den Herrn Amtmann und seine Schafschur zu kümmern, und schienen ihm, in ihren gelbverschnürten rothen Jacken und schiefsitzenden Pelzmützen, Husaren des Königs von Westfalen zu sein. Dies begriff sich für ihn um so leichter, als er wußte, daß eine Anzahl Könige in den Lagern der Umgegend auf Napoleon warteten.

Mit gestilltem Gemüth half also der Herr Külps selber, mit geschwenktem Ziegenhainer, die profanen Schaaren der Schafe in mein dämmerndes Tusculum zu treiben. Die Thiere drängen sich denn auch, in ihrem bescheidenen Gehorsam und, gemäß ihrer geringen Vernunft zu einem dicken blökenden Klumpen geballt, heftig nach hinten! Doch was ist das: Wird dort der Gott der Grotte wach und zürnt den Eindringlingen? Ward der große Pan aus dem Schlaf geweckt oder gar rauh unterbrochen, als er, der Bocksfuß, just mit einer Dryade schäkerte? Eine rauhe Stimme hebt sich hinten in der Höhle und vervielfältigt sich dräuend an den Wänden, während sie sich gegen den pressenden Ansturm der Merino-Heerde mit zornigem Zuruf wehrt – genügend für die Schafe – dies leicht erschreckte und verwirrte Geschlecht – daß sie sich angstvoll umkehren und in einem wirren Geflüchte wieder aus der Grotte herausspritzen . . .

Wer aber tritt als Charon, der dunkle Fährmann, vom Ufer der Unterwelt hinaus in das Blau des Mai? Wer ist dieser erhitzte und ungestüm athmende Unbekannte, der blinzelnd die Lider gegen den grellen Kuß der Sonne schließt? Wahrlich keine unedle Erscheinung! Seine Gestalt ist hoch, artig und einnehmend. In der Gefälligkeit seiner Bewegungen wohnt die Jugend. In seinen Gesichtszügen folgt die Natur nicht genau der Richtigkeit, aber sie hat sie eben darum einnehmend, wenn auch mit einem düsteren und wilden Schein darüber gebildet, und so ging denn auch ein Wetterleuchten aus den heißen und dunkeln Augen des Troglodyten und er rief mit einer halb grimmigen, halb lachenden Stimme, in der Mundart des fernen Ostpreußen: »Trautstes Männchen! Beinahe hätten Ihre vielen Schöpse mich erstickt! Erbarmen Sie sich: die Heerde holt sich da drinnen nur den Husten! Es ist da viel zu kalt und feucht für spanisches Halbblut!«

Der Amtmann stand stille vor Entsetzen. Er sah wohl: Das vor ihm war ein Wesensbild von der kecksten und abenteuerlichsten Art. Aber nicht das war es, was dem guten Külps den Mund verschlug, sondern sein, der Unschuld des sanften Landlebens gewohnter, Blick bebte schaudernd zurück vor der Gemsfarbe des Tuchrocks, in den sich der Fremde kleidete, dem Roth und Weiß der baumwollenen Weste, dem Gelb der Lederhosen über schwarzen Stulpstiefeln, dem lose hängenden Haar unter schwarzem Hut! – wahrlich: Zoll für Zoll dem verlesenen und von mir übersetzten Steckbrief des Herrn Warschauer Obersten entsprungen, stand der Sohn der Wälder leibhaftig da – der von den Dienern des neuen Cäsar so emsig Gesuchte – und entsetzte den redlichen Külps.

Inzwischen aber hatte das blinde Herausprellen der Schafe die vorgerittenen, rheinbündischen Husaren stutzen heißen. Sie kamen zurückgesprengt und zugleich bog von unten um die Wegkehre eine offene, im Schritt aufwärts fahrende Kutsche, zu deren Convoi oder Sauvegarde sie offenbar dienten. Denn es folgten noch Etliche Rothröcke zu Pferd hinterher und innen in dem Wagen hatte sich ein Herr in der bürgerlichen Tracht eines Reisenden von Rang auf die Füße gestellt, deutete wild mit seinem Krückstock auf den, aus der Grotte gelockten Feind der Menschheit, und rief den Husaren Etwas zu.

Schon lösen die hinter ihm, an seinem Kopf vorbei, aus dem Sattel ihre Karabiner wider den Fremden. Die vorn wälzen sich ungeschlacht und eilends von den Gäulen, stapfen steifbeinig vom Reiten und schwerfällig, mit gezückten schweren Säbeln, durch das Dickicht nach der Grotte, bleiben mit den Sporen im Brombeergerank, mit den Pelzmützen im Laubgeäst hängen. Der Höhlenbewohner drüben aber, den vorhin das, ihm rächend an den fliehenden Fersen haftende, Signalement als den Candidaten Friedrich Wilhelm Prussatis allen Rechtlichen gemeldet hat – er ist flinker! Des Turnens, nach der eingerissenen preußischen Unsitte, kundig! Der Wälder gewohnt! Er wirft sich wie der Schwimmer in die Brandung, mit erhobenen Armen in das schier undurchdringliche, steil abschießende Tannendickicht, unter dem sich, tief am Hang, die Wetterhähne auf den Thürmen meines Schlosses freundlich im Maiwind drehen. Wie sollen ihm die zu Fuße plumpen Husaren da folgen? Wo sollen die Ärmsten ihre Rosse lassen? Die grünen Wellen nehmen den Taucher auf! Es kracht in den Büschen und er ist verschwunden.

* * *

Oh Triumph der Empfindsamkeit . . . Aber wir, die Genossen und Genossinnen unseres geistigen Cirkels und ich – wir fanden, nachdem der Kriegslärm sich mit dem Herrn Colonel und der Alltag sich mit dem Herrn Külps empfohlen – wir fanden nicht mehr die olympische Ruhe der Seele, um die Seligkeiten der Cultur wählerisch zu genießen. Wohl nöthigte mich Pamela, die Gute, wieder auf das Gerichtsstühlchen und wollte meine leibliche und geistige Erscheinungsform weiter verhimmeln. »Löse dein Räthsel, wunderbare Sphinx!« rief sie stürmisch. »Sprich: Bist du die Nebenbuhlerin der Venus, oder der Minerva? Oder Beides göttlich in Einem?« Ich aber strafte die schmeichlerische Freundin mit einem wehmüthigen Klaps und sagte: »Ihr sollt nicht fürder meine Tugenden mit heuchlerischer Gerechtigkeit aufstutzen! Genug davon! Wie traurig wäre ich, wenn ich wenigstens mit einem Fuß in der Gelehrsamkeit fest stände! Es ist so erquicklich, frei auf dem Meer des Wissens hinzusegeln!«

»Ach – leider ist das Studium der Wissenschaften jetzt am Putztisch der Frauenzimmer Mode geworden!« seufzte Phila, die Stiftsdame, der denn freilich die Gottesdiener beider Confessionen es eingeflößt, daß Spinnrock und Nadel einer frommen Eva die geräumigste Schule der Arbeitsamkeit bieten! Gerade darum versetzte ich, als die Präsidentin unseres schönen Bundes: »Laßt uns die Frage abwandeln, ob es einem unverheiratheten Frauenzimmer, vorzüglich in jetziger Zeit, zukomme, das Studium der schönen Wissenschaften zu treiben?«

». . . und dabei nicht lange im Vorhof verweilen!« rief Pamela, »und nicht als Pflanzen, sondern als Menschen reden! Gründe suchen und nicht Regeln! Wahrheiten und nicht eingerissene Gewohnheiten!«

»So ist es!« sagte ich. »Deswegen möchte ich das Beispiel der vortrefflichen, im Thurm zu London sammt ihrem Gatten und Vater schnöde enthaupteten englischen Prinzessin Johanna Grey anziehen, welche, wie Michel Angelo es bezeugt, es noch kurz vor ihrem Tode großmüthig bekannt hat, daß ihr in der ganzen Welt Nichts mehr wahres Vergnügen verschafft habe als die Kenntniß dreier gelehrter Sprachen . . .«

Wir schwiegen ergriffen und betuppten uns still die Augen. Wahrlich: Dies waren reinere Principien einer weiblichen Seele, als sich, nach unserer Erziehung, verschämt kichernd beim Pfänderspiel Mäulchen rauben lassen oder, nach jetzigem Europäischen Brauch, mit Wuth auf allen Redouten tanzen!

Die Sonne war inzwischen in den höchsten Punkt des Mittags-Cirkels gestiegen. Vor den Fenstern unseres hochgelegenen Saals stand der grüne Bergwald in schwarz durchschatteten Massen, deren Conturen den weichen Willen der Natur zu harmonischer Rundung und besänftigendem Ausgleich zwischen Licht und Dunkel verdeutlichten. In die mitempfindende Stille, mit der wir noch die Thränen um Johanna Grey auf unseren Augenlidern zittern fühlten, trachten plötzlich gell und roh wie Peitschenknall Schüsse und wieder Schüsse hintereinander aus der baumbestandenen Bergwand ob dem Schloß und kränkten uns, indem sie die Musen und Grazien aus unserem Kreis vertrieben.

»Oh pfui des Lärms!« Ich sprang auf und ein leichter Unmuth röthete meine Wangen. »Wem von meinen Förstern und Hegern ist es plötzlich entfallen, daß ich die Rohheit der Jagd unter meinen Fenstern und unter meinen Augen ein- für allemal untersagt habe? Eine Wachtel oder ein junges Häslein will ich auf unserm Tisch schon gelten lassen! Aber das Leiden der Creatur mag ich nicht sehen!«

Ich war so erzürnt, daß ich nicht erst nach dem Schellenzug langte und irgend einen langsamen und ungeschickten Tölpel von Bedienten in den Wald hinaussandte, sondern fliehenden Fußes selber auf die Garten-Altane des Schlosses hinabeilte, um von da aus rasch und mit eigenem Munde die Bitte um Schonung den vorwitzigen Nimroden in ihr Dickicht hinüberzurufen.

Diese Terrasse war ein ländlicher Sitz der Ruhe. Eine perspektivische Aussicht durchschnitt in ihrer Länge und weiter durch das Thal hin die lieblichen, fern ausgebreiteten, offenen Gefilde. Hohe, epheuschwärzliche und moosgrüne Mauern wehrten den Sonnenstrahlen, das Haupt der Spazierenden anders als von der Höhe des Zeniths anzufallen. Wer einen Ausblick gewinnen wollte, mußte, auf steinerner Schnecke, eines der Thürmchen erklimmen, die in gemessenen Zwischenräumen die Anmuth dieses Ortes krönten.

Im Begriff stand ich, den Fuß zur untersten Stufe zu erheben. Nun jedoch fühlte ich es mehr als ich es sah, daß über mir ein Schatten das Blau der Luft verdunkelte. Ich blickte empor. Über meinem Scheitel saß rittlings auf der Mauer ein Mann . . .

Sein eines Bein hing, gelblich-bauschig bekleidet, in einem schwarzen Stulpstiefel, in mein Arkadiem hernieder. Gemsbraun schimmerte sein dieshälftiger Frackschoß. Der Rundhut hatte sich ihm in den Nacken verschoben und gab ein reichliches und loses dunkles Haar frei, unter welchem ein, in männlicher Art rauhes und störrisches Gesicht doch recht wohl den Augen eines Frauenzimmers gefallen konnte.

Ich mäßigte meinen Schrecken. Denn auf den ersten Blick hatte ich begriffen, daß dieses nothwendig der aus den preußischen Wäldern in die Milde unserer Breiten verschlagene Wolf des Ostens war, auf dessen düsteren Spuren die polnischen Reiter von vorhin trabten, und wagte doch nicht, allein mit dem Entsetzlichen, und aus Furcht vor seinem Rachestahl, zu verrathen, daß ich ihn kannte.

Noch wollte ich mühsam einige Worte erraffen, da kam er mir zuvor und rief von oben herab: »Guten Tag, mein angenehmes Kind!«

War dies die Anrede eines Fräuleins meines Standes? Ähnelte ich einer Hufnerstochter oder Fröhnerin? Trug ich etwa einen bäurischen Rock von groben flachsenen oder wollenen Fäden? War mein Mieder etwa ohne Fischbein? Kniete ich vielleicht am Boden und säuberte rupfend den Kies vom hervorschießenden Gras? Wahrlich – diese schwer vergütbare Sottise, mich, die letzte Reichsfreiin von der Lehen, ein artiges Kind zu nennen, gab mir, im doppelten Spiel des Worts, mit dem Unmuth auch den Muth wieder. Ich frug strenge, wenn auch mit zitternder Kehle: »Was tut Er dort oben?«

»Ich bin an den alten Epheuknoten von außen hinaufgeklettert, Mariellchen!«

»Mag Er seine Turnerkünste aufgaukeln, wo er will!« gebot ich. »Hier in meinem Schloß leide ich es auf keinem Wege!«

Daß ich mich als die Grundherrin dieses Orts darstellte, reizte den Sohn der Wälder nicht zur Ehrfurcht. Er hob im Gegentheil auch das zweite, gelblederne Bein über die Mauerkante auf die Schloßseite herüber. Ich sagte mir, in innerlichem Zittern: Wärme nur schmeidigt Wachs, den rohen Klumpen! – ich bat also bewegt und die Hände faltend: »Denken Sie ritterlich, mein Herr . . .«

Diese Weichheit fiel mir nicht schwer. Irgend Etwas an diesem jungen Mann führte mich, ohne daß ich es wollte, aus dem kalten Gebiet der Gleichgültigkeit in die milderen Gegenden der Empfindung hinüber. Ich fügte leise hinzu: »Bringen Sie eine Waise nicht ins Unglück!«

»Was befiehlt das Fräulein, daß ich thue?«

»Verlassen Sie diese Mauer wieder, mein Herr!«

Wie habe ich, dieser wenigen und unbedachten Worte wegen, noch an diesem Tag die Schläge des Geschicks erdulden müssen! Denn der Mauer-Reiter oben legte die paar Sylben in seinem Sinne aus. Er stemmte sich, lang an einer Hand hängend, mit der anderen von der Mauer ab und landete in einem tiefen und schwindligen Fall neben mir auf seine Füße.

Hier nun stand er und sah mich in einer düsteren und dennoch freimüthigen Weise an. Soll ich sagen, daß er mir mißfiel? Ach, meine Lippen würden Lügen lispeln. Doch aber lohete in dem Eindruck, den er auf mich machte, die Furcht. Mich däuchte, daß ich hier eine Brandfackel vor mir erblickte statt eines Menschen! Ach – diese dunklen Augen glühten in meiner zarten Seele und leuchteten schonungslos in mein weiches Herz, dessen bislang so sorgsam bewachten Thore wie unter der Berührung eines Magierstabs mit einem Schlage aufsprangen! Wie dieser kleine geflügelte Zauberer hieß? Ach – die unschuldigen Liebesgötter, die unsichtbar über den zur Nymphengrotte ziehenden Lämmlein gegaukelt waren – sie hatten in muthwilligem Ernst mit Pausbacken in die Segel meines Lebensschiffleins geblasen und Herze zu Herzen gelenkt . . .

Denn schon merkte ich wohl, daß auch mein Bild in hochgegürtetem, weißfließendem antikischem Gewand ihm nicht mißfiel . . . Oh, nein! Es ging, als er mich betrachtete, ein freudiges Leuchten über ihn, das nicht die Sonne von oben, als eine trügerisch-gefällige Kupplerin verklärte, sondern welches warm und wahr aus seinem schönen Inneren brach . . .

Ich fühlte, wie mein Wille vor dem göttlichen Fremdling erlahmte und ich seinem Willen unterthan wurde. Noch raffte ich meine Kraft zusammen und hauchte: »Ich beschwöre Sie: Gehen Sie, mein Herr!«

»Gewiß doch! Heute abend, wenn es dunkel ist!« sagte er in der rauhen, kernigen Sprache seiner fernen Heimath. »Bis dahin müssen Sie mir hier eine Unterkunft und Nahrung geben! Ich werde verfolgt!«

Wehe – wie wurde mir! Ein Gesetzesverächter, vielleicht mit Blutschuld Beladener, stand in dieser königlichen Erscheinung vor mir! Oh, wäre ich doch blind gewesen, das gebieterische Flammen dieser Augen nicht zu sehen . . .

»Dem Unglücklichen öffnet sich die Freistatt dieses Schlosses!« stammelte ich. »Dem Schuldigen nicht! Die Nemesis eilt auf ihrer Fußspur! Sie haben ein Verbrechen begangen!«

»Welches?« frug er drohend und blitzte mich aus sengenden Augensternen an. Ich senkte verwirrt das Haupt. Ich wußte es nicht . . .

Eben da, wo wir standen, umgürtete ein trauernder Epheu zwei steinerne, griechische Urnen auf mannshohen Sockeln. Tauben schnäbelten sich, ein Sinnbild ehelicher Liebe, auf ihrer Wölbung. Ernst senkte darunter der Todesgott die Fackel. Rasch ruhte auf diesem Wesen der Blick des Herzenstürmers. Ich beantwortete seine Frage, noch ehe er sie gethan.

»Es ist ein Denkmal kindlicher Freundschaft und Liebe für meine entschlafenen Eltern!« sprach ich leise. Schon berührten die Fingerspitzen seiner Linken die Thränenkrüge, hoben sich die der rechten feierlich zum Blau des Himmels. Er versetzte, in einem priesterlichen Anstand und einer natürlichen Würde: »Bei den Gräbern Ihrer Eltern: Ich schwöre, daß ich kein Verbrechen begangen habe!«

»Vielleicht nicht vor Ihrem Gewissen!« wagte ich, mich zu verteidigen, »aber vor den Gesetzen der Menschen . . .«

»So wahr ein Gott im Himmel lebt und auf uns herniedersieht: Ich habe kein göttliches und kein menschliches Gesetz auf Erden verletzt!«

Mich durchschauerte es. Er sprach in gewöhnlichem Ton – nein doch – er befahl: »Führen Sie mich in das Schloß! Weisen Sie mir ein Zimmer an und lassen Sie mir Nahrung reichen! Ich habe Hunger!«

Ich stieg betäubt vor ihm die Thurmtreppe empor. In ihren engen und dämmerigen Windungen fing sich einen Theils der unbestimmte Lärm, mit dem meine Dienerschaft da und dort im Hause ihre Hantierung abwartete, zum andern von oben der Stimmenfang meiner Gäste. Der neue, aus Wald, Geheimniß und Gefahr geborene Gast hinter mir blieb stehen und warnte streng und gebot: »Verbergen Sie mich nicht! Denn dieses könnte gerade bei Ihrer schönen, dort oben versammelten Welt wie bei Ihren Domestiken Verdacht erwecken! Führen Sie mich, unter einem schicklichen Vorwand, als einen über Tag abgetretenen Besucher ein!«

Tief seufzte ich auf und that, wie er befahl, und es läutete mir, der armen Bajadere, aus dem unsterblichen Lied des Herrn von Goethe in den Ohren: »Ist Gehorsam im Gemüthe – wird nicht fern die Liebe sein!«

Umsonst versuchte ich die aufkochende Leidenschaft mit der Kälte des Weisen zu dämpfen. Ich schlug die Wimpern zu Boden. Ich öffnete die Thüre. Ich ließ den unbekannten Gott, von dem ich nur den finsteren Barbaren-Namen: Prussatis im Sinne behalten, in die innen versammelte Societät eintreten und quälte mir indessen eilends eine Erfindung ab, unter der ich ihn vorstellen könne. Wie denn mein ganzes Wesen, die Nichtigkeiten unseres zügellosen Jahrhunderts verachtend, die Muße nicht in den besten Dingen, sondern die besten Dinge in der Muße sucht, und sich also der beschaulichen Ergötzung an den Gaben der vorzüglichen Geister aller Zeiten zuneigt, so war ich diesmal darin nun übel berathen, als ich auf das mir am Nächsten Liegende verfiel und hastend sagte: »Liebwertheste! Hier haben wir den Herrn Werner, welcher zu Zeiten aus Weimar sich einstellt, um selber mit mir meine Aufträge an die dortige Buchhandlung und auf die Leipziger Messe zu bereden. Denn auf den Fuhrmann ist leider in geistigen Materien wenig Verlaß. Womit er also Ihrer Gunst empfohlen sei!«

Die schönen Geister, die in meinem Tusculum zu Gaste weilten, vertrieben sich in diesem Raum die Zeit in einer, Jedem angemessenen Weise. Der Eine durchblätterte eine Mappe voll Kupferstiche, der Zweite verlor sich in der Betrachtung der Gyps-Abrisse klassischer Köpfe, die ich von einem, in unseren deutschen Nebel verworfenen Italiener gekauft hatte. Treffliche Geßner'sche Radierungen waren die Freude der Dritten, während Andere neu von mir ausgeschnittene Silhouetten – vielleicht nicht die schlechtesten, mir gestern Abend geglückten Spiele des Storchschnabels – beifällig von Hand zu Hand reichten. Alle hoben nun die Köpfe und musterten erfreut den Ankömmling aus dem deutschen Mekka an der Ilm, der sich, höherer Dinge uneingedenk, voll Eifer in eine rasch herbeigeschaffte Collation versenkte.

Weimarer Klatsch war eine kleine Schwäche unseres trefflichen Hagemeister und er trug gerne, als Kaiserlicher und Königlicher Hofrath, diesen giftigen Blüthenstoff wie eine Biene, an seinen Frackschwänzen und Escarpins haftend, mit sich heim nach Wien.

»Nun – mein Guter? Was bringen Sie Schönes aus Weimar?« stichelte er neugierig. »Was macht doch das Theater? Sind die Tänze der Familie Kobler auch in der Erinnerung noch des Lobs der Kenner theilhaftig? Wie steht es doch um den jungen vielgenannten Histrionen Durand . . .?«

Mein Held aber – oh könnte ich schweigen – kaute, blickte vom Teller nur flüchtig auf und sagte stumpf: »Ich weiß es nicht!« Ich lenkte flugs ab. »Weimar befindet sich zur Zeit unter dem Stern des Herrn Theodor Körner aus Wien,« schwärmte ich, »von welchem jungen Poeten der Herr Geheimrath hat drei Piecen hintereinander im Theater aufführen lassen!«

»Und was halten Sie von diesem neugebackenen Dramaturgen der Kaiserlichen Hofburg?« erkundigte sich unser trefflicher Freund, der Herr von Burbeck, der sich jetzt, am Vorabend des Kreuzzugs Europens wider Moskau, des Titels eines russischen Staatsraths nicht mehr bediente. Der Hungerige jedoch am Tisch schüttelte die Haare, die ihm allein, nicht durch Beutel noch Band gezähmt, lose herabhingen, und erwiderte nur: »Ich kenne diesen Stückeschreiber nicht!«

»Herr Werner hat zu viel mit der eigentlichen Materie seines Handwerks zu thun!« half ich ein und wies auf die verschwenderisch rings aufgeblätterte und verstreute Nahrung des Geistes: »Er hat die artigsten Modekupfer mitgebracht! Das neueste Stück der »Leitung für die Elegante Welt«. Bertuch's »Journal des Luxus und der Moden« . . .«

»Die Weiber brauchen jetzt weder Moden noch Luxus noch Eleganz, wo das Vaterland darniederliegt!« versetzte, grimmig, mein Geblüt vor Schrecken erkältend, der Fremde. Zu allem Glück hatte der Herr Baron Ruschepohl, dieser naturforschende Landedelmann und Mitglied vieler gelehrten Gesellschaften – zum Glück hatte er in die herben Worte des neuen Gastes, sie unhörbar machend, hineingerufen: »Möchte doch der Herr nicht ermangeln, für mich auf das neue Opus unseres tüchtigen Ramdohr: ›Von den Verdauungswerkzeugen der Insekten‹ zu subskribieren!«

»Es ist, bei dem derzeitigen Zustand Europas, ganz gleich, wie die Insekten verdauen!« sagte der furchtbare Fremdling. Man blickte sich an. Man wollte sich die Frage vorlegen, was dieses denn für ein wunderlicher junger Buchhandlungs-Diener sei? Vielleicht nicht von der höheren Art, sondern ein Markthelfer oder diesen Schlags? Um ihn nicht zu beschämen, senkte sich sie, die Ruschepohl, meine Seelenfreundin, auf die Gewöhnlichkeit der Dinge hinab. »Was denkt man in Weimar von dem niederen Stand des Papiergeldes?« wollte sie hören. »Halten sich die neu eingeführten Anticipations-Scheine wenigstens auf der Höhe einer beständigen Rente?«

»Es wäre Zeit an dem!« bekräftigte unser weißhaariger Philosoph, der Professor Jurisch, dessen ungemeine Verstandesschärfe selbst unseren ungelehrten frauenzimmerlichen Köpfen alle Wurzeln der »Kritik der reinen Vernunft« völlig aufzuzeigen vermochte. »Wahrlich, Freunde – wie weit muß es mit deutscher Währung gekommen sein, wenn schon der Herr Staatsminister von Goethe selber sich zum Ende vorigen Jahres wörtlich und öffentlich hat vernehmen lassen: »Die Verkäufer und Empfänger können dem sinkenden Papierwerth nicht nachrücken! Der Zustand ist von der Art, daß er auch den Besonnensten zur Verrücktheit hinreißt!« . . .

»Und wie stand wohl gestern bei Euch in Weimar das Silber zu den Bankzetteln?« forschte der elegant durch ganz Europa geschweifte ehemalige kurkölnische Hofjunker Graf von Wasichen.

Wehe, Freunde: Mauern vermochte der Gefragte zu überwinden. Sein eigenes Schweigen nicht. Lisette, die naseweise Zofe, die die Collation abräumte, mischte sich in das Gespräch. »Der Cours war gestern Abend um sechs Uhr in Weimar zehn zu eins!« meldete sie. »Beim Postmeister unten wußte man es schon heute früh!«

Um wieviel mehr hätte dies ein reisender Geschäftsbeflissener wissen müssen, – wenn anders er überhaupt aus Weimar kam oder das deutsche Athen jemals betreten hatte! Diese Unwissenheit auf dem gewöhnlichen Markt war erstaunlicher als die Trägheit auf dem Felde der Bildung! Sie erzeugte Verdacht und Mißbehagen, wer sich denn wohl unter diesem stacheligen Pelz verkrieche und das reine Auge des Staatsbürgers scheue? Ach – wußte ich es denn selber? Aber vorwurfsvolle Augen suchten stumm die meinen, die ich pochenden Busens niederschlug.

In dieser ahnungsschweren Sekunde trat ein Diener ein und meldete wichtig und laut: »Herr Gaston de Gast aus Luxemburg, Senateur des französischen Kaiserreichs, bittet, auf der Durchreise zum Handkuß vorgelassen zu werden!«

»Welch eine allerliebste Visite!« stürmte Pamela, das enthusiastische Kind, empor. »Rasch denn – Liebste: Wirf uns, ehe er uns erscheint, mit zwei Worten sein Bild an die Wand, damit wir der fliehenden Stunde mit ihm den rechten Vortheil abgewinnen! Oh Ihr Götter – welche Lust, sich an fremden Seelen zu bereichern!«

»Ich aber kenne dieses, hier anklopfende schöne Gemüth gar nicht!« sprach ich erstaunt und verwirrt. Phila, aus ihrem Fräuleinstift unten im Städtchen vertrieben, schüttelte die grauen Schläfenlocken: »Und deswegen beschwert dich seine Aufwartung?« versetzte sie bitter, »wo die schwindlige und wirblige Welt eine große Herberge geworden ist, in der die Stiftsdamen auf die Straße hinausgenöthigt werden und die Couriere des Kaisers – denn ein solcher ist dieser Herr Senateur offenbar – sich auf eigene Faust Quartier machen!«

»Es ist ein Herr von besonderer Bedeutung!« flüsterte in hohem Respekt der Diener. »Sein Reisewagen wird von einer ansehnlichen Sauvegarde von westfälischen Husaren escortiert!«

Zugleich fast verbeugte sich der Lakai tief. Denn der Gerühmte zeigte sich schon auf der Schwelle und näherte sich mir, mit einem zu kurzen Bein zwar hinkend und auf einen Krückstock gestützt, – doch aber mit der freien und leichten Geläufigkeit eines Mannes von großer Welt.

Er mochte an die Vierzig zählen. Seine Bauart war von einer gedrungenen und breiten, schweren Natur. Sein, vom Scheermesser geglättetes, Antlitz groß, rund und blatternarbig, häßlich dadurch und wiederum von Geist und Sarkasmus erhellt. Starke Buckeln auf beiden Seiten der Stirne verriethen den Mann von Kopf und Wissen. Wälsche Bildung lächelte in den Winkeln des, übrigens strengen, Mundes. Man mochte ihm nicht in die Augen sehen. Denn ihr Stich war kalt und grausam.

Der so umschriebene Kömmling trug einen langschößig bis zu den Knieen reichenden, vorn geschlossenen und mit hochgeschlagenem Kragen die Ohren deckenden Rock aus feinstem, fast schwarzem Tuch, das, ohne den grellen rothen Blutflecken des Bändchens der Ehrenlegion, leicht an einen weltlichen Abbé hätte erinnern können. Doch stund die Doppelreihe der Hornknöpfe oben offen und ließ ein weiß-atlassenes, hochgebauschtes Brusttuch und unterhalb das Stück einer kornblumblauen Weste sehen. Die, ganz eng an seinen – sei es denn gesagt: etwas gekrümmten, Beinen anliegenden Pantalons waren vom sanften Grau der Tauben und endeten in zierlichen, schräg nach hinten abgeschnittenen, schwarzen Halbstiefeln.

»Mein Weg führte mich an einem Schloß vorbei,« sagte er, sich gefällig räuspernd und mit einem ermuthigenden Lächeln meine Furcht scheuchend, »das weithin als ein Tempel des Apollo bekannt ist! Durfte ich, als ein düsterer Barbar, hier passieren, ohne mich der Priesterin dieses Altars zu Füßen zu legen? . . . Wahrlich nein! Auch unter den Waffen schweigen die Musen nicht, wie der Dichter fälschlich stammelt, darum verzeihen Sie, Freiin in der edelsten Art des Wortes, dem Anbeter des Schönen seine Dreistigkeit! Meine Husaren unten im Hof sänftigen ihren Durst am kalten Wasser Ihres Schloßbrunnens! Laben Sie mich hier oben mit einem Stegreiftrunk aus dem Kastalischen Quell!«

Dies alles brachte der Conseiller de Gast, indem er zugleich flüchtig die im Zimmer Gruppierten überblickte, in der flüssigsten Weise – nun in reinstem Französisch – nun wieder in klarstem Deutsch – und in einer gewählten Sicherheit des Benehmens dar, mit der er sich nun, auf meinen einladenden Handwink hin, in einem Lehnstuhl niederließ.

»Unsere Zeit klirrt im Kriegslärm!« sagte er, ohne mir, befremdlicher Weise, Zeit zu lassen, ihm die im Raum versammelte Welt zu präsentieren, die er doch im Sprechen nicht aus dem Auge ließ. »Auch ich folge der Schalmei des Mars, wenn schon durch die Grausamkeit der Natur, die mir in zarter Kindheit durch einen Unfall das Bein verkürzte, vom Feld der Ehre ferngehalten! Was das Geschick mit der, zur Faust geschlossenen Rechten vorenthält, spendet es freundlich mit der geöffneten Linken doppelt: Es reihte mich gnädig unter die glückliche Schaar der Schatten, die untrennbar sind von dem Sonnenball über Europa, der Napoleon heißt!«

»Gnädiges Fräulein« . . . der Diener neben mir wisperte es und wagte dabei, mit seinen bebenden, plebejischen Fingern am weißen Musselinhauch meines Ärmels zu zupfen. Mein Blick schlug den Verwegenen zu Boden. Doch nein: der Schrecken, der sich auf der Einfalt seiner groben Züge abzeichnete, flog wie ein Feuerfunke hinüber in mein Herz. Er raunte: »Die Husaren unten vertheilen sich um das Schloß herum . . . Man sieht es durch das Fenster!«

»Napoleon . . .« sprach, in seinem Fauteuil, immer noch die Anwesenden musternd, statt sich, nach Schick und Sitte, mit ihnen bekannt zu machen, in einem feierlichen Ton der Herr de Gast. »Napoleon! . . . In der geheiligten Erhabenheit dieses Namens klingen alle Glocken eines Jahrhunderts – in ihm dröhnt der Schritt der Weltgeschichte – jauchzen, nach umgestürzter Tyrannei, nach gebändigter Revolution, die Jubelrufe der Nationen . . .«

»Die Husaren besetzen alle Schloßausgänge!« flüsterte an meinem Ohr der Diener, der, leider, wohl auch noch eine Knoblauchwurst zum Frühstück verzehrt. »Gnädigste Baroneß: Was will das bedeuten?«

Konnte ich es sagen? Ich winkte bebend, zu schweigen, und hängte mich an die dünnen, grausam harten und gefällig beredten Lippen des Senators des Kaiserreichs, welcher eifrig fortfuhr: »Napoleon – dieses Schicksalswort strebt jetzt, so wie die Sonne nun in Zenithhöhe steht, nach seiner vorbestimmten Vollendung. Im Kreml-Schloß in Moskau, bei der Salbung zum Herrn der Welt, wird diese Vollendung sich erfüllen! Alle Völker Europas ziehen frohlockend dem großen Ziel zu. Alle Heerstraßen wimmeln. Auf alle seine Verbündeten – den herrlichen Franz von Österreich, die treuen Könige des Rheinbunds, Westfalens, Spaniens, der Niederlande, Italiens – auf die edeln Polen, auf die kernigen Bewohner des Nordens, von Kopenhagen bis Stockholm, auf die biederen Söhne der Eidgenossenschaft – kann der Kaiser bauen! Er läßt sie, soweit sie nicht unter seinen Befehlen für die Freiheit und Gesittung kämpfen, als Freunde im Rücken!«

»Es treten Husaren mit geladenen Karabinern in das Schloß hinein!« ächzte, halb hinter mir, der Diener.

»Doch, was das einzige Land anlangt, dem auch die Großmuth eines Napoleon nicht mehr trauen darf als der Inderfürst dem gezähmten Tiger« fuhr Monsieur Gaston de Gast fort, die breiten Hände über dem Leib faltend und gelassen, fast behaglich sich im Kreis umschauend. »– Preußen – das stets hinterlistige – stets blutgierige – stets das edelmüthige Frankreich lauernd im Rücken umschleichende – nun – die werthvollen Sanktionen des Friedens von Tilsit haben dem Tiger die Krallen gestutzt – wie: Oder ist der junge Herr dort in der Ecke einer anderen Meinung – der Herr in dem gamsfarbenen Rock und den hirschledernen gelben Pantalons, da er mich so zweifelnd – abweisend – darf ich sagen: feindselig ins Auge faßt?«

Mein unglücklicher Freund hielt an sich und ließ keine Antwort verlauten. Doch konnte er auch, er, der Hitzige, die stumme Sprache seiner Augen meistern? Diese nächtigen Sterne glühten und verriethen den in seinem Inneren schlummernden Vulkan. In mir erlosch der Puls des Herzens und durch den ganzen, schon vorher bedeutsam gewarnten Cirkel rauschte dumpf ein Bangen. Der Senateur hub wieder, in einem kaltblütigen Spiel, an, wie er es wohl seinem Meister Buonaparte abgesehen.

»Preußen – dieser Staat, dessen Handwerk der Krieg, dessen Waffe der Verrath, dessen Witz der Überfall – vornehmlich auch auf das friedliche und arglose Österreich – zu allen Zeiten und Gelegenheiten gewesen – Preußen ist – beglückwünschen wir die Menschheit – nunmehr zu einer Ohnmacht verwiesen, die ihm eben nur noch die pünktliche Erfüllung der ihm auferlegten Reparationen und Contributionen gestattet – . . . nochmals bitte ich den Herrn im braunen Frack und roth- und weißgestreiften Gilet, es mir zu melden, wenn ich das Unglück haben sollte, daß meine Worte ihm mißfallen!«

Den Zeigefinger auf den Lippen, eine warnende Göttin des Schweigens, beschwor ich hinter des Versuchers Stuhl den heißköpfigen Herzensfreund, sein adeliges Ungestüm an sich zu halten, und sah mit Grauen, wie die Dämonen seiner fernen, nordischen Nation in ihm wach wurden und seine Augen rollen ließen! Hatte ich doch von jeher gehört, daß den Preußen ein, dem Deutschen gänzlich fremder, Stolz und ein Bewußtsein eigenen Werthes innewohne, und sie auch in bedrängter Gelegenheit nicht verlasse – ja – durch die Einsicht in vorhandene Gefahr noch auf das heftigste sich steigere! Der auf den ersten Blick Geliebte, den mir Amor aus Waldesnacht gesandt – wehe – er begann dräuend am ganzen Leibe zu zittern, indessen der Diener Napoleons, in dessen Luxemburger Geblüt wälsche und deutsche Art Tropfen an Tropfen rollten – indessen der hämische Menschenfischer aufs Neue den vergifteten Köder auswarf.

»Preußen!« versetzte er launig, »hat sich durch den Frieden von Tilsit wehrlos machen lassen! Es ist nur noch ein Kinderschreck, dieser Oger von einst, der unter Friedrich ganz Europa widerstand – mit seinem winzigen, ihm in Gnade belassenen Heer . . .«

»Ihr werdet dies Heer noch kennen lernen!« grollte es wie der erste Sturmstoß eines aufziehenden Gewitters aus der Ecke, wo mein göttlicher Fremdling, nun finster und schwer athmend, lehnte. Die Wohlmeinenden, die schönen Geister und freien Seelen, traten scheu von dem Wildling rechts und links zur Seite. Er stand in einem leeren Umkreis.

»Gnädiges Fräulein! Die Husaren kommen leise, auf den Fußspitzen, mit angehaltenem Säbel, die Treppe heraufgeschlichen . . .«, wimmerte hinter mir der klagende Lakai.

»Ganz recht!« Der Senator des Kaiserreichs nickte dem Einwurf meines Freundes einen böswilligen Beifall. «Preußen wird zeigen, was es kann! Denn es hat nur noch die Ordres der Großen Nation zu erfüllen – ich weiß nicht, was an meinen Worten den Herrn zum Lachen reizt.«

»Laßt die Preußen nur zuletzt lachen!« rief, trotz meiner flehend gerungenen Hände, der Ungezähmte, Unvorsichtige dagegen.

». . . und diese Ordres befehlen Preußen, mit seinen Regimentern zur Großen Armee zu stoßen und sich gegen die Moskowiter, Baschkiren und Kosacken zu gruppieren!«

»Lieber die Tataren im Land als die Franzosen!«

»Es wäre bedauernswerth,« der Herr de Gast erhob sich plötzlich forschenden Auges, »wenn die Preußen ihren vormaligen Kriegsberuf vergessen hätten, und die allgemeine Rede sich bewahrheiten sollte, Preußen sei bereits völlig und für immer, zur Erleichterung seiner armen Nachbarn, ab und todt!«

»Es lebt! Bei Gott im Himmel: Es lebt!«

»Still!« schrie ich entsetzt. Der Diener keuchte neben mir: »Die Husaren dringen in den Vorraum!« Der Senateur schritt schwer und hinkend auf den theuren Fremdling in der Ecke zu. Sein häßliches, blatternarbiges Antlitz lachte. In seinen Augen züngelte die Bosheit einer Viper.

»Dies ist – unter uns sei es gesagt – auch die Meinung des Kaisers, daß Preußen nicht mehr beißen kann und nicht mehr bellen darf!«

»Bonaparte wird sich noch an uns irren!«

»Und in dieser erhabenen Verachtung« – alle Teufel spielten um die schadenfroh gekräuselten Lippen des hinkenden Senators – »hat, bei dem Monarchenkongreß zu Erfurt, vor vier Jahren, der Kaiser der Franzosen unweit von hier, auf dem Schlachtfeld von Jena, als einen Witz der Weltgeschichte, eine große Hasen-Treibjagd veranstaltet!«

Unter dieser höhnischen Meldung rückte er seinen massigen Leib nicht ungeschickt hinter den Rundtisch und pflanzte dergestalt ein Bollwerk zwischen sich und den Gegner, der, zu blindem Jähzorn entflammt, wider ihn losschnob, wie, in den Tagebüchern der Weltreisenden, der Stier auf den ihn neckenden Spanier.

»Hütet euch vor Preußens Rache!« schrie er dabei mit einer furchtbaren Stimme und der hartherzige Bösewicht ihm gegenüber kreuzte die Arme und frug kalt: »Was geht den Herrn wohl Preußen an?«

»Eine Hasenhetze! . . . Ha – Fridericus! . . . Ziethen! . . . Blücher . . . Wir Preußen . . .«

»Also der Herr ist ein Preuße?«

». . . wir werden Euch Sonntagsjäger jagen wie bei Roßbach . . .«

»Preußen ist mit Frankreich verbündet!«

»Nennt Sklaverei ein Bündniß! Nennt Faustrecht einen Frieden! Nennt Tyrannei einen Völkerbund vom Rhein!« tobte mein göttlicher, in Weißgluth seines Grimms verklärter Berserker. »Wir werden unsere Ketten brechen!«

». . . Also Gewalt . . .« Der Andere zückte triumphierend den Zeigefinger gegen die Heldenbrust vor ihm.

». . . jedes Mittel ist uns recht . . .«

»Das ist mir bewußt, daß es dem Herrn auf Verbrechen nicht ankommt! . . . Husaren her . . . Husaren!«

». . . Gift und Dolch der Hüllenbrut!«

Im Elysium oben mochte der Herr von Kleist, wenn er seinen Vers der Rache vernahm, wohl in Todesgemeinschaft deine Hand, Henriette, drücken! Hier unten, unter uns Lebenden, nickte der Herr de Gast und donnerte: »Ich weiß es, daß Sie auch vor dem fürchterlichsten aller Verbrechen nicht zurückschrecken, um frevelhaft die Ordnung der Welt zu erschüttern! . . . Ich verhafte Sie, Kandidat Prussatis aus Ostpreußen! Husaren: ergreift den Hochverräther!«

Der Krieg rasselte in das Zimmer mit Sporengeklirr und Säbelgeblitze. Er füllte es mit Thürmen von Bärenfell über martialischen Schnauzbärten, barbarischer gelber Verstrickung auf verschossenem Scharlachroth, Dunst von Schweiß und Pferden, Tabak und Tuch. Es war wohl ein Dutzend Troupiers des Königs von Cassel, die da ungestüm eindrangen – und drüben an der Wand er – der Einzelne – der Waffenlose – gegen die Söldner Jerômes!

Nun jedoch hatte ich diese Wand, nach der neuen Übung, zierlich mit Buntpapier und Borten verkleben lassen. Ein Viereck kaum sichtbarer Fugen war in die Anmuth gedruckter, farbiger Blumenkörbe eingeschnitten. Eine Tapetenthüre, die sich nur dem kundigen Handgriff nach einem verborgenen Knopf öffnete, führte – ach – soll ich sagen, wohin – Sei es denn niedergeschrieben – in mein Schlafgemach nebenan –, damit ich, in schlummerlosen Nächten oder des Morgens beim Erwachen, mit drei Schritten der Erquickungen an Gipsgüssen und Kupferstichen, Musen-Almanachen und Musiknoten, theilhaftig sei.

Das Pförtchen sprang auf. Ich drängte den Freund hinein. Ich schloß es hinter ihm mit dem Gewicht meines Körpers, den ich, mit seitlings weit ausgebreiteten Armen, schützend an die Wand lehnte, mit den bittenden Augen eines wunden Rehs die rohen Reiter vor mir entwaffnend. Ihr klirrender Haufe stand und stutzte. Durch sie bahnte sich de Gast, der hinkende Napoleonsdiener, den Pfad vor mich hin. Die Blatternpfännchen seines Gesichts schienen aus Erz, seine Augen waren eisige Schlangen, während er herrschte: »Öffnen Sie die Thüre!«

»Nein, mein Herr!« schrie ich empört. Das Blut schoß mir in die lilienbleichen Wangen.

»Ich befehle es Ihnen im Namen des Kaisers!«

»Hier endet selbst Napoleons Macht! Denn diese Thüre, Herr Senator, führt in mein Schlafgemach!«

». . . in dem Sie, Baronesse von der Lehen, einen fremden Mann verbergen!« sprach der Staatsrath des Empire, die grausamen Mundwinkel zu einem satanischen Lächeln verzogen. Wehe – es war wahr! Ich schloß schwindelnd die Augen: Wo, Ihr Götter, blieb mein Ruf? Ich stand, eine Vestalin, die sich selbst auf dem Altar der Liebe zum Opfer bringt! Doch dies heilige Feuer der Vesta verglimmte nicht in mir – nein – zu hellen Flammen blies es in mir der Orkan der Zeit. Oh süßer Sturm – nimm mich hin! Schüttele dies zu Leiden bereite Herz! Es beugt sich dir in Demuth wie der Myrthenstrauch dem Märzwind! Alles für dich, du Geliebter da drinnen – alles für dich!

Der Freund meiner Seele konnte mein Schlafgemach nicht räumen. Denn vor dessen eigentlicher, innen verriegelter Thüre hatten sich außen auf dem Flur schon die Husaren postiert. Mich aber knirschte der Senateur de Gast mit dem heißen Athem eines Raubthiers an: »Wenn Sie nicht sich aufzumachen entschließen, so weichen Sie zur Seite! Mit drei Fußtritten stoßen wir die Tapetenwand ein!«

»Ich bleibe!«

»Sie wollen, den Gesetzen trotzend, einen Verbrecher der Gerechtigkeit entziehen?«

»Er ist kein Verbrecher!« rief ich schwärmerisch. »Er nicht!«

»Ha, ha! Woher ist diese Post dem Fräulein gekommen?«

»Durch ihn selbst!« Ich faltete bewegt die Hände. »Bei den Urnen meiner Eltern that er einen Schwur, vor dessen Bruch es selbst einem Unmenschen schaudern würde – einen Schwur, mein Herr Senator, daß dies edle Herz kein Verbrechen begangen hat!«

». . . aber ein Verbrechen im Sinn hat, unter dem die Säulen der Welt wanken!« rief der Herr de Gast mit einer Donnerstimme, und wieder floh mir alles Blut aus den Wangen. »Unsere wachsamen Augen verfolgen den Kandidaten Prussatis, seitdem er das wilde, am äußersten Ende deutscher Länder gelegene Ostpreußen, diese gefährliche Hochburg aller Ideologen, Tugendbündler und Teutschthümler, verließ! Wissen Sie, die mit dem Entsetzen tändelt und der Weltgeschichte ins Handwerk pfuscht . . .«

»Ich? . . .« hauchte ich ungläubig, mit aufgerissenen Augen.

». . . Wissen Sie, daß die frevelhafteste Blutschuld sich unter dem Dach Ihres Schlosses verkroch! Dieser Mann da drinnen, vor den sie Ihren eigenen Leib zum Schutze werfen . . .«

»Was ist um ihn?« stöhnte ich auf.

»Er will heute noch den Kaiser Napoleon, auf der Durchfahrt hier unten im Thal – ermorden!«

»Das will ich!« schrie von innen eine Stimme, bei der mir alle Fibern bebten. Ich schloß die Augen. Soldaten ergriffen mich an den Armen – ich fühlte es – zerrten mich bei Seite. Ich hörte das wehklagende Krachen des eingetrampelten Tapeten-Pförtchens. Ich öffnete die Lider. Ich rang die Hände . . .

Mein Schlafgemach war ein Eckzimmer. Eines seiner Fenster schaute, schon auf der Schmalseite des Schlosses, gen Osten. Wie liebte ich es, da in stiller Frühe zu stehen und mich am Glanz der Morgenröthe zu erlaben. Drei Stockwerke tief sah man von ihm in das Thal hinab, vorzüglich aber in ein hoch zu dem Fenster emporragendes, breitästiges, windgefächeltes Gewimmel grüner Wipfel des Parks, der seitlings Thürme und Giebel von Reuterswiese umzog.

In diesem offenen Fensterrahmen stand, als die Husaren sich, Einer hinter dem Anderen, durch das Nadelöhr des Tapetenthürleins zwängten, ein aufrechter, großer, dunkler Schatten. Ehe noch der Vorderste ihn mit der Plempe anspringen – ehe noch sein Hintermann die kurze Büchse an die Backe bringen kann – ist es schon geschehen: Der Geliebte springt in weitem Bogen in die Tiefe. Noch flattern die braunen Schöße seines Fracks in der Luft – der Rundhut fliegt ihm bei der Fahrt vom Haupt – da krachen und biegen sich elastisch die Äste, in die er fällt . . . Seid von einem blutenden Mädchenherzen bedankt, Ihr lieblichen Schwestern – Nymphen des Hains! Bedankt, Ihr Dryaden, die Ihr, in Bäume verwandelt, mit grünenden Armen weich den Sturz des Freundes auffingt! Es splittern Zweige. Dürre Hölzer plumpen zu Boden. Doch kein Fall und Aufschlag eines Körpers. Er ist hängen geblieben! Er ist gerettet! Er klettert nun wohl schon, im freundlichen Schatten der Blätter, mit umsichtiger Hast am moosigen Stamm zur Mutter Erde . . .«

»Ihm nach!« tobt der, nicht von Campagnen, sondern nur von den Pocken narbige Senateur. Die Husaren poltern, schon ehe er es befahl, die Treppe hinab. Sie werfen sich unten im Hof auf die Gäule. Die Hufschläge flitzen. Der Herr Gaston de Gast selber nimmt sich nicht mehr die Zeit, mich noch eines Blicks zu würdigen. Er humpelt athemlos, in seiner Aufregung fast lächerlich zu beobachten, hinterher, stürzt sich in seine Kutsche, fährt zu Thal . . . Schloß Reuterswiese liegt still, als sei dies Ganze nur ein Spiel müßiger Einbildungskraft gewesen – das Gaukeln eines Papillons über blumig besonnten Wiesen.

Stunden flohen. Dann trat, bedächtig und ehrenfest wie immer, Herr Külps, der treue Amtmann, bei mir ein. Ich flog ihm mit wehenden, weißen Kleidern, entgegen. Meine Augen frugen, noch ehe meine Lippen es stammelten: Wie steht es um den Unseligen – um den Geliebten – um den Gott – nein: um den Mörder – noch ist er es nicht . . . Er haßt Buonaparte . . . Er liebt mich . . . Er irrt, von meinem Heizen gerissen – Rache im Herzen – Schuld – Amoretten und Erinyen zugleich folgen seiner flüchtigen Spur. Und ich – ich – das einzige Menschen-Angesicht, das ihm mit sanftem Zwang den blutigen Dolch noch vor der schaurigen That zu entwinden sich unterstände – ich von ihm fern – und er – der freie Sohn dieser grünen Wälder – vielleicht schon in den Händen der Häscher . . .

Ist dies Gottes Strahlensonne selber oder nur das braune, gefurchte Antlitz des redlichen Verwalters? Ist dies seine Stimme oder das Jauchzen der Seraphim? Er schüttelt das Haupt. Er spricht: »Dieser Ausländer aus Preußen, der das Unheil über unser Haus gebracht hat, ist ohne jedwede Spur verschwunden, als habe er sich im Sprung zauberisch in der Luft aufgelöst oder sei gauklerisch in der Erde versunken! Der Park ist hochstämmig, ohne Unterholz, und erfüllt von Hutzelweiblein, die da, dank der Milde des gnädigen Fräuleins, Laubstreu stehlen. Auf den Hängen hat es Tagfröhner und Hirtenkinder genug. Das Thal wimmelt von Truppenzügen und Frachtfuhren. Doch hat Niemand den mordbereiten Menschen mit einem Auge gesehen! Noch mißbraucht er die Freiheit! Oh wäre doch der Kaiser Napoleon schon ohne Schaden durch Reuterswiese'sche Herrschaft durchpassiert!«

Das war freilich auch mein innigster Wunsch. Dennoch hüpfte mir heimlich das Herz. Ich wandte das Haupt zur Seite, um den verräterischen Glanz der Augen nicht dem wackeren Alten zu zeigen. Zugleich doch durchrieselte mich eisiges Grauen. Kann man denn lieben, wo man schauert? Wohnen Abscheu und Bewunderung denn wie ein schnäbelndes Taubenpaar im gleichen Herzen? Oh wehe mir! Heute morgen noch spiegelte meine Seele wie ein klarer Waldsee den milden Maientag wider, der draußen blaute. Jetzt drehte sich mein Wesen in einem schwindeligen Wirbel und verloren meine Sohlen den Halt auf dem Erdgrund, so, als risse mich ein Tanzwind wie ein welkes Blatt in die Lüfte . . .

Der Amtmann Külps sagte traurig: »Eine weitere Hiobspost, gnädiges Fräulein: Ehe nicht der verwegene Ausländer ergriffen und unsere Unschuld hier durch die Untersuchung deutlich aufgedeckt ist – solange – so ist der Befehl gekommen – haben wir – das gnädige Fräulein besonders, aber auch ihre Diener – sich im Schloß als Gefangene zu betrachten und es unter keinem Vorwand zu verlassen!«

»Oh – meine armen Gäste!« rief ich aus. An sie dachte ich eher als an mich selbst! Herr Külps jedoch meldete: »Die zu Besuch sich aufhaltenden Herrschaften haben ohne Ausnahme und in aller Eile, ehe jetzt der Thorschluß kam, Reuterswiese geräumt!«

Oh Ihr Freundesherzen – Ihr seid schnöde geflüchtet – ohne ein tröstendes Wort . . . Ihr laßt mich selbstisch allein in der Noth . . . Ist das Euere Stärke, Ihr starken Geister? Sind das die Früchte alles Guten und Edeln, die wir, gesellig schwärmend, mitsammt vom Baum der Jahrhunderte pflückten? Ach – es ist ein Baum der Erkenntniß, unter dem ich einsam sitze, und in seinem Laub lispelt die Schlange: Schöne Seelen handeln nicht immer schön! . . . Merke es dir an, Louisabeth . . .

Lisette, meine Zofe, platzte in meine trüben Träume. Ihre geschwätzige Weltlichkeit kam mir ungelegen und fiel mir auf das beschwerte Gemüth. Dennnoch nahm ich ihre Nähe gütig an. Es war mir Verlassenen immerhin eine Menschenschwester. Lisette, der neugierige Vogel, hatte natürlich schon Allerlei läuten gehört. In hellem Eifer plapperte sie mir zu: »Kaiser Napoleon mit vielen Königen und Marschällen – die Generale gar sind nicht zu zählen – ist – nur eine Stunde von uns, in Hellmerode eingetroffen und besichtigt von da aus die in der Umgegend lagernden Regimenter . . .«

»Oh schweige mir vom Krieg!« wollte ich thränenreich die Elster bändigen. Doch ihr Mundwerk mahlte weiter: »Nach Mittag wird sich der Kaiser der Franzosen in seinen Reisewagen setzen – s–prechen unten die um das Schloß aufges–tellten Westfalen – und hier bei uns vorbeifahren – in der Richtung nach Norden.«

»Ach – schone mein betrübtes Herz!« bat ich und preßte die Hände auf den, in tausend Ängsten wogenden, Busen. Ihn, den holden Wildling, da draußen zu wissen, die Häscher auf seiner Spur, er aber wieder, mit verborgenem Dolch auf der Fährte des Mächtigsten der Erde – welche mitternächtige Geheimnisse brüten unter diesem blauen Himmelszelt, über diesen grünen Wäldern und Höhen! . . . Geliebter! Besinne dich auf dein reineres, dir eingeborenes Selbst! Oh könnte ich als ein guter Genius neben dir schweben und deine Schritte zur Unschuld lenken!

Hier aber stand ich, zur Ohnmacht verwiesen! Die lose Lisette hatte wirklich eine Weile ihr Zünglein an die Kette gelegt. Nun wollte sie wissen, ob sie mir den Nachmittags-Kaffee – oder was wir, Opfer der Continentalsperre, an dessen Stelle schlürften – ob sie mir den wässerigen, mit Honig versüßten, schwarzen Gersten-Absud präsentieren dürfe.

»Nicht hier! Nicht in diesen entweihten Wänden!« rief ich schmerzlich. In meinem Buen Retiro auserlesener Humanität brütete der Dunst der Wachtstube. Straßenstaub hatten die Husaren an ihren Stiefeln mit hereingetragen. Tisch und Stühle standen verschoben. Auf dem weißen Sand der Dielen trauerten die Trümmer des Tapetenthürchens.

Fort von hier – so weit wie möglich! »Bringe mir Kanne und Schälchen in den Ahnensaal!« sprach ich matt. Er lag zu ebener Erde – eben auf dieser Schmalseite des Schlosses. Vor seinen niederen Fenstern grünte der Park. Maiwind fächelte durch ihre offenen Wölbungen. An den Wänden hingen gemalt die Freyherren und Freyfrauen von der Lehen, die mich als Letzte in dieser kalten Welt zurückließen. Wehmuth überströmte mich. Ich mochte den Kaffee, den Lisette gebracht, nicht schmecken. Ich verriegelte hinter ihr die Thüre, um allein mit meinem Schmerz zu sein. Ich barg, am Tische sitzend, das weinende Antlitz in den Händen. Thräne um Thräne entlief meinen Augen, als köstliche Perlen, die ich der Freundschaft opferte. Oh Freund – wo bist du? . . . Oh Freund – Unseliger – was sinnst du? – Oh Freund – Wer möchte dein rettender Engel sein? Oh – wärest du bei deinem Mädchen! . . . Wärest du bei mir!

Die Hände vor den Augen, in einem tröstenden, der Gemeinheit der wirklichen Dinge entrückten, Dunkel, rief ich mir den Geliebten. Ich entbot ihn vor mein Gesicht. Ich formte seine adeligen Züge, seine zärtliche Gestalt – umgekehrt wie Gott Vater bei der Schöpfung – ich, das Weib, formte mir den Mann aus meiner siebenten Rippe über dem ungestüm und sehnsüchtig pochenden Herzen. Siehe das göttliche Wunder des Traums: Er ist plötzlich da . . . Er lebt . . . Er spricht . . .!

»Ich hab's vom Fuchs gelernt. Schon als Junge. Mein Großvater ist Förster an der russischen Grenze,« sagte über den Tisch mir gegenüber eine Stimme. »Man muß, wenn es kraus hergeht, das Nächstliegende thun! Denn es ist das Unerwartete. Darum bin ich, sowie ich, durch die Bäume herunter, heil auf den Beinen stand, ungesäumt durch das offene Fenster wieder eingestiegen. Überall suchen sie mich, nur hier nicht!«

War das die Sprache dieser armen Erde? Bethörte die Musik der himmlischen Sphären mein Ohr? Nein doch, Ihr Götter liebender Herzen – nein – nein! Da sitzt er – in seiner irdischen und leiblichen Gestaltung – da sitzt er, der Himmlische und gießt sich Kaffee ein – mit einer Verbeugung um Erlaubniß – und brockt sich einen Kipfel! – Nicht aus Licht und Luft zusammengeflossen, sondern ein Mensch – ein Mensch – der Hunger hat! Ach – dieser Herrliche – dieser Verfolgte – hat immer Hunger . . .

»Es war angenehm kühl, an diesem schwülen Maitag, in diesem Todtensaal!« sagte er kauend, als sei er en passant abgestiegen. »Ich saß da, wo leider sonst die meisten Teutschen sitzen, – hinter dem Ofen. Bin nun aber vorgetreten, um mich bei dem Fräulein zu melden!«

Ach – er las in meinen Augen, daß ich ihm mehr war als das Schloßfräulein . . . Und ich las dasselbe in seinen. Zwei Flammen brachen aus unseren Seelen, wirbelten und züngelten, und schlugen zusammen, in einer ewigen Lohe, bis zum Himmel.

Oh – verstumme, gestutzter Gänsekiel, vor dieser Viertelstunde, die ein Menschenleben war! Vor dieser Viertelstunde, in der sich mir die Welt in ihrem letzten Sinn und Räthsel enthüllte! Denn ich war ein Weib und liebte. Vor dieser Viertelstunde, die, unter den kalten Augen der Ahnen, pfeilgeschwind dahinflog wie die Schwalbe, der Frühlingsbote, vor dem Fenster . . .

»Du mußt fort von hier, mein Fritz!« drängte ich, mir die Thränen des Glücks abtupfend, nachdem wir uns gänzlich außer Athem geküßt, und gewann die Erde wieder. »Hier lauert Entdeckung und Verrath!«

»Sprich, Louisabeth: Wohin?«

Oh – du Schicksalsfrage: Wohin? Oh – du Schloß – so groß, daß die Menschen darin verschwanden – so klein, daß kein Raum da war, den nicht ein Mensch betrat! Nein – im Schloß war des Bleibens des theuren Mannes nicht! Draußen aber hatte die Natur heute große rothe Blutstropfen in des Schlosses grünenden Umkreis gestreut – die grellen, gelbverschnürten Jacken der westfälischen Husaren, die, an allen Ausgängen postiert, Reuterswiese mit bloßem, sonnenflimmerndem Säbel bewachten.

Doch zwischen dieser Schergenkette und uns – mein Auge schweifte in die warm vor dem Parkgrün zitternde Luft – schmiegte sich da nicht mit niederem First das alte Gärtnerhaus an den Eckthurm, der die Wegkrümmung dicht darunter im Thal bewachte? Hausten, im Schatten des grauen Riesen, nicht Philemon und Baucis, das ehrwürdige greise Paar, das, längst schon von mir abgedankt und auf Altentheil versorgt, doch noch, in der Betreuung der bunten Kinder Flora's, die einfältige Freude seiner alten Tage fand? Hatte ich ihnen nicht ein winkliges Oberstübchen abgeschmeichelt und, wenn ich nicht Schloßfräulein, sondern Blume unter Blume, und ein naivisches Landmädchen sein wollte, als ein Nestchen inniger Schwärmerei ausgefüttert? – Nun denn: Ich fasse Muth! . . . Ich winke dem Freund! . . . Wir gleiten durch das ebenerdige Fenster . . . Oh pfui – oh stille – du garstig knirschender, gelber Kies unter unseren beschwingten Sohlen! . . . Die Welt ist still und heiß . . . Der große Pan schläft . . . Kein Giftpfeil eines Feindesblicks durchbohrt rücklings die Flüchtigen . . . selbst die beiden Alten werken irgendwo im Garten, an der ganz nahen Heerstraße – wir stehen ungekränkt, Hand in Hand, in dem golden durchsonnten Gaubstübchen . . .

Vor uns die wuchernde süße Wildniß . . . Blumen vor dem Fenster . . . Blumen, wie sie wachsen und einander überblühen und überdrängen und, in vermeintlicher Unordnung, nach ewigen Gesetzen in eine tönende Harmonie zu Ehren der Schöpfung sich ineinander fügen mochten.

Denn wie ein großes, wohlgeschultes Orchester war mir immer diese fessellose, jubelnde, von genäschigen Bienen umsummte, von kosenden Lüften gestreichelte Blüthenpracht erschienen: Die Tulpen waren die grellen, kalten Trompeten in diesem Concert der Blumen – die mächtige Sonnenblume schlug die Pauke – lieblich blies das bescheidene Veilchen die Hirtenschalmei – süß, in farbigen Tönen, flöteten die Nelken, – feierlich, wie weißgekleidete Engel, rührten die Lilien die Harfe – in lustiger Janitscharenmusik, mit Schellenbaum und Triangeln, lärmte der buntscheckige Chor der Bauernblumen, – in brausender Tonfluth aber trugen das alles – und blühten purpurn und weiß, gelb und rosa, und fiedelten selig, von der Baßgeige zur Violine, von der Bratsche zum Cello, unsere lieben Frauen, die Rosen.

Und in den Pausen des Lobgesangs der Blumen vernahm das arkadisch abgestimmte Ohr das sanfte Gurren der Tauben, die sich auf dem Dachbalken ob dem Fenster schnäbelten. Rothkehlchen horsteten dort oben und trugen schwirrend ihre Halme zum Nest. Ein paar Böcklein hüpften in possierlichen Sprüngen. Oh heilige Unschuld des Landes . . . Hier, am Busen der Natur, mußte ein Jeder wieder ein guter und reiner Mensch werden . . .

Damon saß und blies die Flöte . . . Bang suchte mein Auge von der Seite meinen Damon: . . . Wirst auch du das liebliche Mundholz an die Lippen führen und ihm die weichen Töne des zufriedenen Hirten entlocken, in dessen stilles Thal kein Streit der Mächtigen dringt?

Ach – unser Thal hier gab die Aussicht auf weite, hügelige Felder draußen frei. Diese Felder waren noch braun vom kürzlich vollendeten Werk des Pflugtreibers oder schon grün von winterlicher Saat. Mitten auf ihnen schimmerten ferne, da und dort, schwärzliche, viereckige Klumpen oder lange Reihen, und vor ihnen, noch unbestimmter, ein Gewimmel weniger farbiger Pünktchen. Wo das Auge versagte, da half das Ohr nach: Der Wind trug uns deutlich den dumpfen, brausenden Ruf herein: »Vive l'empereur!« Kriegerische Musik und Paukenschlag. Der Kaiser der Franzosen besichtigte auf der Durchfahrt, von Dorf zu Dorf, seine Regimenter, ehe er, der Sturmwind Europens, seine fliegende Reise auf der Straße hierher fortsetzte.

Die Straße lief, weithin zu überschauen, gerade auf das, kaum zwanzig Schritte überhöhte, Gärtnerhaus am Thurm zu, und legte sich dann, dicht unter ihm, in einer Schwenkung, die einen Wagen zu verhaltener Gangart nöthigte, um den Vorsprung des Thals. Der harte Freund an meiner Seite prüfte bedächtig die ganze Gelegenheit des Orts. Dann drehte er sich gegen mich und drückte mir schlicht die Hand.

»Dank dir, Louisabeth – du deutsches Mädchen!« sprach er. »Du hast mich gut geführt! Dieses ist die auserwählte Stelle . . .«

»Wofür . . .?« bebte ich zurück.

». . . wie sich eine schicklichere weit und breit nicht finden mag . . .«

». . . Wofür . . .?« stammelte ich nochmals mit bebenden Knieen.

»Soll man das noch aussprechen, was man thut? Du weißt es, Louisabeth! Du, Germanenkind – würdige Enkelin Thusneldens – du hast mich an diesen Platz gestellt!«

»Bei Gott im Himmel: Nein!« schrie ich in hellem Entsetzen auf. »Wenn es geschah, geschah es blind von mir und in frauenzimmerlichem Unbedacht!«

»Nein! Dann war es, in dir, der Wille der Sterne, der unsere Schritte hierher trieb!« sprach der furchtbar Entschlossene. »So, wie in dem einzigen dramatischen Gedicht, das ich ja, um der Freiheit willen las, der Professor von Schiller es seinen Helden murmeln läßt: Hier vollend' ich's – die Gelegenheit ist günstig . . .!«

»Was vollendest du? . . . Nein . . . nein . . . ich will nicht fragen . . . Leihe dem Entsetzlichen nicht Worte . . .!«

»Hier wird ein armer Gottesgelahrter zum Schützenkönig und holt sich den Adler von der Stange!«

»Still! Bei Gottes Gnade!« stöhnte ich.

»Diese Stelle wird zur Wallfahrt werden, Geliebte! Eherne Lettern an der Felswand werden es andächtigen Enkeln verkünden: ›Hier that ein frommer Deutscher seinen Meisterschuß‹ . . .«

»Oh schweige . . . schweige . . . du geliebter Mund . . .«

». . . Hier richtete Friedrich Wilhelm Prussatis aus Ostpreußen den Kaiser der Franzosen!«

»Vive l'empereur!« dröhnte es vielhundertstimmig herüber, nun schon viel näher, von einem der letzten schwarzen Vierecke auf grünem Plan.

»Zu allem Glück . . . du hast keine Waffen!« keuchte ich.

Doch er entnimmt der Sacktasche seiner gelben Lederhose ein handliches, dickläufiges Pistol und wiegt es rachegierig in der um den Kolben geklammerten Faust.

»Ich habe es geladen!« sagt er halsstarrig und verfinstert, »und jeder Stoß des Stockes war ein Fluch wider wälsche Tyrannei – und jeder Stoß des Stockes war ein Schwur für Deutschlands Freiheit! Die Kugel trifft ins Herz! Ich bin eines Försters Enkel!«

Ich griff aufschreiend nach der Mordwaffe. Ich wollte sie ihm in Todesangst entwinden. Er hielt sie empor zur Decke. Ich konnte sie nicht erreichen – den hochgestreckten Arm nicht biegen. Zu ehern strotzten unter dem Rockärmel die Muskeln des gewaltigen Mannes.

»Vive l'empereur!« jubelten draußen die Legionen des neuen Cäsar. Der Maiwind verwehte kriegerische Musik. Sie brach ab. Es war Stille.

»Die Revue ist zu Ende!« Kalt starrte mein verirrter Held durchs Fenster. »Er kommt!«

Ich flog wie ein gescheuchtes Wild zur Thüre. »Halt! Wohin?« Donnernd vertrat er mir den Pfad.

»Dem Kaiser entgegen . . .«

»Wage es . . .!«

»Ihn warnen!«

»Du bleibst!«

War das die Hand des Geliebten, die mich rauh in das Gemach zurückschleuderte? Ach – sie that weh. – Nach Athem keuchend – mit thränenden Augen – wankte ich wider den Tisch – fühlte meine Gliedmaßen schlottern – mein Gebein beben . . .

»Ist dieses deine Liebe?« jammerte ich. »Vollende es denn! – Zertrete dies blutende Herz!«

Doch! . . . Doch! . . . Jubelt mit mir. Ihr Engel dort oben! . . . Er liebt mich . . . Er . . . mein Held! Wie Sonnenblitz zwischen Gewittergewölk erhellt ein begeistertes Lächeln das bronzene Braun seiner Züge. Er tritt mit offenen Armen auf mich zu. Sturmwind umweht ihn. Sein Haar scheint im Orkan zu fliegen. Um ihn blasen die Trompeten des Todes . . .

»Gieb mir den Weihekuß, Louisabeth!«

Ach – wie gern! Ach – seine Lippen waren Feuer. Ach – dieser Schnurrbart versengte mich – ach – diese Augen waren zärtliche Donnerkeile mitten in mein, zwischen Lachen und Weinen, Furcht und Hoffnung gewirbeltes, zitterndes Herz!

Oh – ich küßte – oh – ich küßte ihn . . . Mögt Ihr es gezählt haben, Ihr Liebesgötter! Ich feilschte nicht rechnend um das rinnende Glück der flüchtigen Sekunde! Ich gab – ich gab – ich gab ihm brennend Lipp' auf Lippe meine Liebe – ach, eine Gluth, die auch ein steinern Herz erweichen mußte. Ich bettelte glückselig unter rollenden Zähren:

»Komm! Verwahre das Pistol wieder in deinen Pantalons, mein Held!«

Er aber – mir war, als kräuselte sich mein Stirnhaar vor Entsetzen gesträubt aufwärts! – er spannt den Hahn! Er spricht, den Arm um meine hohe Taille:

»Dank! Deine Küsse segnen mich!«

». . . Nicht zum Mord!« kreischte ich und prallte vor ihm gegen die Wand, daß ich den harten Anschlag meines Körpers an dem Kalkanstrich spürte.

»Deine Liebe, Louisabeth, lenkt mir die Kugel!«

»Nein! Nein! Sie läßt sie im Rohr!«

»Deine Nähe festigt meine zielende Hand bis in die letzte Fiber, Louisabeth!«

»Sie reißt sie von dem Pistolenkolben!« Meine Kleider wehten. Flatterten durch das Stübchen. Schon stand ich vor ihm. Beugte, mit verbissenen Zähnen, mich in den Knieen. Rang, wie in Demuth geneigt, das Haupt gesenkt, und doch in Liebe und Verzweiflung knirschend – rang mit ihm, um ihm das Todesrohr zu entwinden.

Er hielt es wider die Dielen – die Mündung zur Erde. Oh – mir kämpften – er, der Recke – ich, das Mädchen – oh, du mein schwaches – mein armes – mein leidendes Geschlecht . . .

Ich taumelte erschöpft zurück. Stand betäubt, die Hände auf dem tanzenden Herzen. Er spähete durch das Fenster. Jägerlist . . . Waidmannsblut . . . Die unerbittliche Spannung des Schützen auf dem Anstand . . . Ein kaltblütiges Lauern . . . Ein befriedigtes Lächeln . . . Oh . . . welch ein schaudernder Triumph . . .

»Er steigt zu Pferde!« rief er erfreut. »Das Gefolge mit ihm! Er reitet ab! Er salutiert den letzten Adler!«

»Hülfe! Hülfe!« schrie ich auf. Seine schwere Hand schloß mir den Mund. Oh – ich hätte sie küssen mögen, die mich fast erstickte – meine klappernden Zähne flehentlich in ihr vergraben, um sie festzuhalten – zurückzuhalten vor der unseligen – der welterschütternden – der durch die Jahrhunderte rollenden Unthat!

»Er lenkt seinen Schimmel auf die Heerstraße! Miserabel sitzt der Kerl zu Pferd! Hohe Kniee – krummer Rücken – schlappe Zügel – das will ein Feldherr sein!«

»Oh gehe vorbei, wo du verachtest!« stöhnte ich, meine Lippen vom Druck seiner Rechten befreiend. »Lasse ihn leben!«

»Hätte er Preußen am Leben gelassen – mein Preußen! Bübisch hat der Hund es unter die Füße getreten! Der Königin Luise brach das Herz . . .«

Noch ein rettender Gedanke! . . . Ich lauerte . . . Ich senkte mich verstohlen an seiner Seite gegen seinen Arm . . .

»In deinem Namen, Schill! . . . Für Alles, was der Bonaparte verbrach! . . . Komm, Teufel der Hölle . . . Komm!«

Er stand – ein Thurm – unverrückbar – an dem Wind und Wellen – Seufzer und Thränen ohnmächtig zerschellten! Die Inbrunst seines befehlenden Willens zog mit magischer Kraft den kleinen, grauen Dämon im Dreispitz auf der Schimmelstute zu sich heran, der langsam, vor seiner buntfunkelnden Suite, von farbigen Mamelucken umsprengt, über die weiß-staubige Landstraße näher ritt! Ich sprach ein Stoßgebet: Ich krallte, jäh vorprallend, die Hand nach der gesenkten Pistole und suchte mit gezücktem Zeigefinger den Bügel zu erreichen, um den Abzug des Hahns zum Schnappen zu bringen und die Ladung ohne Schaden in das Holz der Diele zu lösen. Doch schon fuhr die Waffe in die Höhe, ehe ich sie erfassen konnte! Sein starker linker Arm knäuelte mit einem rauhen Handgriff das Mullgewebe meines sturmbewegten Busenausschnitts und hielt mich ihm einen Schritt vom Leibe.

»Muß ich noch mit dir kämpfen, Verrätherische!« wetterte er, ein grimmiger – in seiner Grausamkeit Ehrfurcht heischender Held. »Feinde vorn und Feinde hinten! Recht so! Der alte – der ewige deutsche Fluch! Aber auch du, mein Mädchen . . .«

»Das dich retten will!«

»Rette das Vaterland, Louisabeth!«

»Unser Vaterland ist geistiger Artung . . .!«

»Mein Vaterland heißt Preußen!«

»Das unendliche Heilige Reich deutscher Geister . . .«

»Mein Preußen, Louisabeth! Sein König . . . sein Volk . . . sein Land . . .«

». . . Der Olymp ewiger deutscher Gefühle und Gedanken, die uns kein schnöder Korse raubt!«

»Preußen! Dir leb' ich . . . dir sterb' ich! . . . Ich bin ein Preuße . . .«

»Du bist mehr! Du bist ein Mensch!«

»Ich will nicht mehr sein, Louisabeth! Was weißt du Vaterlandslose – du armes Rheinbundkind – was weißt du von der Liebe zum Vaterland?«

Der Kaiser der Franzosen war nun schon ganz nahe . . .

»Mein Theurer!« rief ich. »Es ist eine sündige – so wie du sie bewähren willst – es ist eine frevlerische Liebe zu dem, was du Vaterland nennst!« Ich klammerte mich an ihn. Meine Arme verstrickten ihn. Ich hing an ihm. Meine Last zog ihn nieder. Meine Worte peitschten – nein – sie streichelten – sie beschworen, innig flüsternd, seine Ohren: »Schau! Hier ist die Liebe! Hier kniet sie vor dir! Hier schaut sie zu dir auf als zu ihrem Gott! Oh – stürze mein Idol nicht vom Altar in den Staub! Heb' mich aus dem Staub zu dir! . . . Liebe mich – statt Jenen zu hassen! . . . Zur Liebe schuf uns die Natur!«

»Du redest recht, wie ein Frauenzimmer es eben versteht, Louisabeth!« Er zog mich sanft zu sich hinauf. Thränenüberströmt ruhte ich an seiner Brust, barg das bleiche Antlitz in seiner Schulter – oh – welch ein erhabener, schauernd durchbebender, langer Kuß auf die Stirne – ein Todeskuß. – Ich spürte es . . . Er machte sich schonend frei. Er trat, die Pistole zur Hand, langsam, lauernd, seitlings an das Fenster . . .

Hufschläge galoppierten unten. Mamelucken in farbigen Kopftüchern, bunten Schärpen, krummen Säbeln, fegten vorbei. Auf tänzelndem Vollblut gaukelte feurig wie sein Roß, ein schnurrbärtiger Kriegsgott in Gold, Purpur, Reiherstutz und Pantherfell – der König Mürat, der einst als Kellner, in der Weinstube seines Vaters, den Landleuten Rebensaft und Trüffeln der Garonne zugetragen. Doch was lag an dem Theaterhelden? Da! . . . Da! . . . Er kam . . . Er . . . Er . . . die Weltgeschichte nahte. Napoleon hatte sich in Trab gesetzt. Er ritt eilig – den Blick starr auf die Schimmel-Ohren vor sich geheftet, in brütende, erderschütternde Gedanken verloren. Sein Antlitz war gelblich und gedunsen. Tiefe Gleichgültigkeit gegen alles Menschliche wohnte darauf.

»Der Bursche sollte erst 'mal ordentlich reiten lernen!« sagte der Brutus am Fenster wild lachend. »Doch jetzt ist es für ihn zu spät!«

Langsam, prüfend, wie auf dem Zielstand, ein Auge zugekniffen, hob er die Pistole. So fest, wie in einen Schraubstock gespannt, stand das Rohr in der Luft. Kein Nerv seiner ehernen Hand bebte. Jetzt . . . jetzt . . .

Mir gab ein Gott Muth: Ich unterlief, mich hastig duckend, seinen magerecht ausgestreckten Arm. Ich schnellte, unter ihm durchgeschlüpft, vor dem Fenster in die Höhe. Ich stand zwischen ihm und dem Fenster – dem einzigen in dem Dachraume. Ich füllte seinen schmalen Rahmen mit meinem Körper. Ich verdunkelte die Fensteröffnung gegen das Himmelblau, und verwehrte die Aussicht. Ich legte meinen Leib und Leben zwischen die Straße draußen und – dicht vor meinen viereckigen, mit gekräuselten Spitzen besetzten, Brustausschnitt – den schwarzen Rachen des Handgewehrs.

»Schieße!« rief ich, im Jubel des Opfers, mit halbgeschlossenen Augen. Ich fühlte seine nervige Linke mit einem gewaltigen Griff an meiner Schulter reißen. Doch meine Hände umklammerten rückwärts mit allen Kräften die Fensterbrüstung.

»Schieße!« jauchzte ich. »Doch du triffst nicht den Kaiser der Franzosen! Du triffst mich – dein Mädchen!«

»Fort, Louisabeth!« keuchte er. Oh – welche Wucht in seinem Arm! Doch mir borgte die Verzweiflung eine Stärke, die ich nicht besaß! Ich heftete mich, unter seinem Griff mich windend, an dem Gesims. Nun glühten seine Augen. Er stieß einen ungeduldigen, erstickten Wuthschrei aus. Er suchte mit der Pistole an meinem Kopf vorbei zu zielen. Doch ich warf mein vorgeneigtes Haupt, seiner Hand schnell folgend, hin und her. Wo die Rohrmündung hinfuhr, da war auch schon, im Zickzack mit ihr, meine Stirne. Sekunden nur . . . Sekunden . . . Eine Ewigkeit . . .».

»Es wird zu spät!« stöhnte er, in einer leidenden Verzweiflung. Er sammelte alle seine Gewalt. Nun hatte er mich vom Fenster gerissen. Ich taumelte gegen den Mauervorsprung – schaute auf die Straße, der ich bisher den Rücken gekehrt . . . So, als seien in der Kaiserlichen Menagerie zu Schönbrunn, die ich einst, zum Besuch beim Onkel in Wien, gesehen – die Sittiche und Kakadus und Papageienvögel aller Sorten ihrem Zwinger entflogen, so buntscheckig trabte da unten die schillernde Wolke der Napoleonischen Suite. Ein siebenfarbiger Regenbogen von Reitern – so schien es mir – spannte sich vor dem Thränenregen meiner Augen . . .

Freudenthränen . . . denn diese Lasten von gold- und silberbesäten Uniformen auf Araberhengsten – diese Bärenmützen und roßschweifgesäumte Stahlhelme, waren ja nur noch das Gefolge des Sohnes der Bellona – der Schweif des Kometen der Welt! Napoleon selber war schon um die Wegbiegung geritten und unseren Blicken entrückt . . .

Hinter ihm her klapperten seine farbentrunkenen Schatten: die Marschälle – die Generale – die Adjutanten. Ihr Hufschlag umhastete die Ecke. Der letzte Schimmer des Kriegs verblich. Nichts setzte sich mehr von der weißen Leere der Straße ab, als die kleinen Staubwirbel, die der neckische Maiwind aufblies . . .

In der Gaube oben lächelte nach den Stürmen nun freundliche Stille. Sie war so vollkommen, daß man die Fliegen in der heißen Luft summen hörte. Der Held meines Herzens hatte sich auf einen Stuhl geworfen, die Ellenbogen auf die schlichte, fichtene Tischplatte, das wortlose Antlitz in die Hände gestemmt. Sonnenstrahlen vergoldeten von dem Schicksalsfenster her sein edles, dunkles, mir schweigend abgewandtes Haupt. Sein, in Schmerz gelöster, in sich gesunkener Körper zuckte. Weinte er – der Arme? Ach nein: dies war kein Charakterbild, das sich in Thränen ergoß! Dieser Cato Ostpreußens schluchzte mit Nichten. Doch aber sah ich nie zuvor einen Mann so bis in das Mark erschüttert.

Meine Liebe suchte ihm Tropfen des Trostes in die wunde Seele zu träufeln. Ich kauerte neben ihm hin. Ich küßte und streichelte seine jetzt herabhängende kalte Hand, indessen er die andere vor Stirn und Augen preßte – so, als wollte er die Welt nicht mehr schauen, aus Gram darüber, daß er keinem Herostrat den Rang abbuhlte . . .

»Siehe – du warst ein Herkules am Scheideweg, Geliebter!« sprach ich treu-innig und weich. »Deine Louisabeth hat die eingeborene Zaghaftigkeit ihres Geschlechts überwunden und dich den rechten Weg geführt! Lasse nur erst dein Wesen sich in sich selber wiederfinden und stillen – dann wirst du es ihr danken, und eine süße Zufriedenheit kehrt bei dir ein!«

Meine Rede war ein Ruthenhieb an einen Fels, der sich nicht regt. Ich beharrte liebevoll weiter:

»Wie wird die köstliche Empfindung der Unschuld dich erquicken, in der dir keine blutige Chiffre im Kalender den heutigen Tag auszeichnet! Der wahre Menschheits-Kalender ist elysäischer Natur! Er merkt nicht die Mordtage an, sondern die Feste der Liebe: Den Tag, an dem sich heute unsere Herzen fanden . . .«

Oh rede . . . rede . . . geliebter Mann! Er aber blieb todtenstill! Ich eiferte in thränender Liebe weiter: »Durchmustere die ganze Ökonomie der moralischen Tugenden! Niemals, solange unser lehmiger Planet umkreist, kann Mord zu Wohlthat – nirgends kann Rache zu Recht werden!«

Noch blieb das stumm abgekehrte Bild des Freundes ohne Leben. In mir drängte ein heiliger Eifer. »Du rühmst dich mit Recht, ein Preuße zu sein!« hastete, in einer letzten Eingebung, meine Zunge und mein Odem flog. »Doch wie: Hat Euer Kurfürst, den man den Großen, selbst bei seinen Feinden, nennt – hat er diese Feinde heimlich, aus dem Mansarden-Kämmerchen herab, erlegt? Hat der gewaltige Fridericus die drei, wider ihn verklüngelten, Kaiserinnen und Unterröcke zu ermorden versucht? Er wartete auf das Mirakel im Osten, daß der Tod die unversöhnliche Russin vom Thron stieß, und inzwischen kämpfte er heldisch weiter! Du siehst, mein Freund: Und ob du auch ein Preuße bist – dein finsteres Vorhaben war nicht preußisch . . .«

Es schüttelte ein leises Beben durch die Freundesgestalt. Ich rechnete es mir zum Vortheil. Ich setzte dem schwer Athmenden weiter zu.

»Bleibe nun hier, im stillen Kämmerlein, verborgen!« schmeichelte ich. »Lasse das Kriegsgewölk aus unseren Thälern weiter ziehen! Der furchtbare Heerwurm unten, der jeden Tag sich erneut – einmal muß er doch ein Ende nehmen! . . . Einmal blauet uns doch der Himmel lächelnd über der Stunde, wo die letzte Marketenderin, ihr Pfeifchen rauchend, auf ihrem Krümperwäglein, hinter den Bärenmützen der Grenadiere karrt – wo die letzte schwarze Fahne vor dem Troß der Pulverwagen schwankt – die letzten wälschen, spaniolischen, neapolitanischen, siamischen, sarmatischen Lagerflüche auf den Heerstraßen verhallen! Möge das Unwetter sich fern, im Land des Moskowiters, entladen – ein unschuldiger Friede breitet sich hier bei uns über diese Gefilde und senkt sich auch in unsere Brust . . .«

Oh . . . sein Antlitz . . . Er wandte mir schweigend die edlen Züge zu. Nicht furchte da der Zorn Wetterblitze – so wie ich bang erwartet – auf der gebräunten Stirne. Nein – um den herbe verbissenen Mund wohnte ein wildes Wehe, als müsse er eine, sein Mark verbrennende, körperliche Pein niederzwingen. In den Augen jedoch stand ein Staunen. Dies mochte der Blick eines Nachtwandelnden sein, den man von seinem Todesgang längs der Dachkandel aufgeschreckt, und der nun verwirrt um sich schaut und nicht fassen kann, was mit ihm geschah!

»Du aber, theuerster Freund.« Ich streichelte sein dunkles, wirres Schopfhaar. »Du träume indessen in diesem gefälligen Stübchen, wo dich kein Häscher des Korsen sucht! Träume den Traum des Friedens! Blumen blühen und duften dir durchs Fenster. Bienen umsummen dich. Maivögel zirpen dir im Nest. Und Nächtens schluchzt sie melodisch dort, hinter der Geißblattlaube – sie – die Süße – die Nachtigall. Oh – wie wird dein vom Menschenhaß verhärtetes, herrliches, hohes Herz sich zu mildem Wachs erweichen, in Zwiesprache mit der Einfalt der Natur . . .«

Wer deine tiefen, mächtigen Augen entziffern könnte! Mit der Fackel der Liebe in die Dunkelheit leuchten, die dahinter in deiner Seele wohnt! Dort, in deinem Heiligsten, im Innersten des Tempels deines Gemüths – dort findet die Liebe sich wieder, stößt meine Liebe mit deiner zu einer Flamme zusammen! Das fühle ich, in einem göttlichen Schauer, daß du mich liebst! Dies prophezeit mir selbst der Gram um deine Lippen, die düsteren Linien der Schwermuth auf deinem Antlitz! Und doch ahne ich, in ihnen lauernd, einen nachtgeborenen Geist, der Louisabeths Widersacher ist – wehe – der hämisch sich zwischen dich und mich zu drängen trachtet . . .

»Fürchte nicht die Langeweile allzu gleichmäßiger Tage hier in Philemons Hütte« schmeichelte ich. »Jede würdig ausgefüllte Stunde birgt ihren Reichthum in sich. Dein Mädchen kommt, dich zu besuchen, Geliebter! Sie huscht auf leichten Sohlen herüber, wenn die Luft rein ist – vorzüglich, wenn Luna am Himmel leuchtet! . . . Wir werden uns lieben! Wir werden uns in Unschuld schnäbeln, wie es uns Täuberich und Taube unterm Dachfirst weisen. Wir werden, Hand in Hand, träumend auf dem Canapé sitzen – selbdritt – denn Amor schmiegt sich zwischen uns . . . Aus diesen vier Klaftern Dielen und Gebälk wollen mir uns eine Insel der Seligen zimmern – und selig sein . . .«

Glänzte ein Spiegelbild meiner zärtlich verzückten Worte auf seinem, schweigend verhaltenem, in einem furchtbaren Ernst mir zugewandten, länglichen und hageren Umriß seines Antlitzes? Über dieses liefen unergründliche Schatten der Unterwelt – es lohte ein Widerschein aus der Tiefe, wo Dämonen im Geklüfte eines Charakters hausen! Oh – wie mir bangte! Doch aber setzte ich mich ihm freimüthig gegenüber. Ich legte meine Hand auf sein Knie. Ich redete, um mir selber Muth zu machen, in einer heiteren und zuversichtlichen Weise, die den Gebeugten aufrichten sollte.

»Wie viele Ergötzungen des Gemüths – wie viele Belehrungen des Verstandes und des Wissens sind dir noch verschlossen und vorbehalten, du mein Bester!« sprach ich seelenvoll! »Lasse deine Louisabeth deine freudige Dienerin und Zuträgerin alles Guten und Schönen in der Welt sein! Das Köstlichste, was ich besitze, will ich dir bringen! Das Auserlesenste, womit die vorzüglichsten Geister aller Zeiten den besseren Theil der Menschheit beschenkten! Du sollst hier nicht nur die Sprache der Vögel vor den Fenstern lernen, sondern staunen und erkennen, was Almanache und Gazetten, Kupferstiche und gipserne Güsse, Stammbücher und andere Bücher, Noten und Silhouetten und Zeichnungen, in Bleistift, Kohle, Öl und Wasser – was die schönen Künste zu einem höheren, geistigen Wohlgefallen beizutragen und den Menschen erst recht eigentlich in den Stand seiner selbst zu versetzen – nein, zu erhöhen – vermögen, so daß er die niederen Händel des Tages von sich weist und verachtet!«

Immer noch schwiegen die hart und schmerzlich gepreßten Lippen des Freundes. Ich endete und zwang mich, mit zitternder Kehle, zur Fröhlichkeit: »Ich will dir eine geduldige und unermüdliche Lehrmeisterin sein! Deß sei gewiß! Wir Beide . . .« mich riß in hohem Flug die Schwärmerei dahin, »du und ich – Hand in Hand auf dem Hymettos! . . . Ihr Seligen – neidet Ihr uns unser Glück?«

Mir gegenüber aber – wie jäh verwelkte der Frühling meiner Begeisterung – schürzte jetzt ein grausamer Hohn die Mundwinkel meines Helden! Unheil verkündend lächelte seine Frage – das erste Wort, das er sprach – oh, wie schmeckte es nach Alltag und Sturz aus himmlischen Höhen: »Muß ich dir dann nicht auch den Garnwickel halten und mit gespreiteten Armen dir aufwarten?«

»Wie denn . . .?« beugte ich mich angstvoll, ungläubig vor.

». . . den Stickrahmen beitragen?«

Ich hob die Hände. »Oh – spotte nicht!« bat ich bewegt.

». . . die Nadeln einfädeln? . . . Die Seidensträngchen nach den Farben ausmustern?«

»Ach . . . nicht so . . . nicht so . . .«

»Bei meinen Schwestern in Ostpreußen hab' ich's gelernt! Die Mariellen war schon eingesegnet und ich noch ein halbgewachsener Junge! Nun aber bin ich ein Mann! Das schreibe dir hinter die Ohren!«

Er lüftete sich in rauher Größe vom Stuhl. Nie werde ich – und wenn ich das Alter der Patriarchinnen auf dieser besten aller Welten erreiche – nie werde ich den furchtbaren Groll seiner Stimme vergessen. So durchwandelt wohl ein gefangener Löwe seinen Zwinger, wie er das Gaubgemach.

»Dein empfindsamer Kram mag einem Frauenzimmer taugen!« In wegwerfender Härte schleuderte er die Worte. »Mir schneidest du nicht die Haare im Schlaf und machest aus einem Manne eine Memme, wie deren bei euch Rheinbund-Seelen hier vierundsechzig auf ein Groß-Schock gehen!«

Er lachte wild. Er breitete die Arme, als wollte er mit Bären und Wölfen seiner Wälder ringen. Mich durchschlotterte bitteres Weh . . . Dies mir . . . deiner Louisabeth . . . oh du mein starker Held . . . Herkules am Scheidewege hatte ich dich genannt! Du aber wähnst, ein Herkules am Spinnrocken zu werden, wenn unsere Seelen sich zum Flug in das Elysium vermählen . . .

»Liebst du mich denn nicht?« jammerte ich hell auf, und gerade im Grimm seiner Antwort lebte die Liebe. »Oh – hätte ich dich nie gesehen!« Dies war sein Schrei aus Herzensnoth. Seine zürnenden Augensterne durchfunkelten mich. Wie die Trompeten von Jericho – wie die Posaunen des Jüngsten Tags füllten seine aufbrausenden Worte die Ohren seiner armen, zärtlichen Louisabeth: »Ein Mann ist nicht zu Schnurrpfeifereien der Poesie und Gewinsel am Spinett geschaffen! Das ist Spielzeug für Weiber! Ein Mann lebt zum Handeln auf der Welt! Du hast dich, als ein Frauenzimmer, ungebeten in mein Handeln gemengt! Du hast mir ins Handwerk gepfuscht und es verdorben! Die große Stunde ist verloren. Niemals wieder gewinne ich Napoleon vor das Rohr. Bis Dresden kann ich ihn nicht mehr einholen, und von dort reist er in der Mitte aller seiner Völker in den Krieg! Einmal nur brauchte ich, am Pharao- Tisch des Schicksals, soixante-leva zu bieten, um die Welt zu befreien – und hätte gewonnen, ohne dich . . . du Verrätherin . . .!«

»Brich mir nicht das Herz!« schrie ich auf und wankte. Der Boden öffnete sich zu meinen Füßen! Unterwelt – verschling' mich! Nimm die Unselige auf, an deren Liebe der Geliebte zweifelt! Aus seinem Mund aber zucken die verheerenden Blitze:

»Du hast dich als eine rechte Rheinbündische und treulose Napoleonsmagd bewährt und Preußen – Preußen, das dir in mir vertraute – hinterrücks verrathen! Dafür fluche ich dir!«

Ich wimmerte unter dem Schreckenswort auf. Ich fiel zu Boden und lag da auf den Knieen – ein geopfertes Lamm – und schuldlos wie ein Lamm. Oben aber, über mir, dräute er – der Schreckliche – der Vergötterte: »Ich lasse meinen Fluch auf diesem Schloß und allem, was es in sich begreift.«

»Oh – sei barmherzig!« stöhnte ich, knieend, das Gesicht in den Händen.

»Hattest du Mitleid mit meinem Vaterland, Louisabeth, das nun schon erlöst dastünde! Ha – was ist Euch Preußen! . . . Oh – hätte ich dich nie gesehen . . .«

»Stoße mir lieber den Dolch ins Herz, als diese Worte!«

»Fort von dir . . . fort!«

»Mein Fritz . . . mein Held . . . höre meinen Jammer.«

»Was du mir auch sein magst – es darf nicht sein! Der Verrath eines deutschen Mädchens steht dazwischen! Fahr' wohl, Louisabeth!«

»Oh – höre mich!«

»Fort von hier für immer!«

Damit schnob der Wildling flammenden Auges nach der Thüre. Ich lag davor, ein Wurm im Staube. Ich krümmte mich, aus meiner Zertretenheit, empor. Ich raffte mich taumelnd auf die Füße. Ich lehnte mich, in einer beschwörenden Abwehr, gegen das brüchige Holz. »Wohin?« flüsterte bang mein geknicktes Herz.

»Es giebt nur noch eine Freistatt in Europa! Die ist bei dem Kaiser aller Reußen! Unsere Besten sind schon dorthin voraus! Ich folge! Ich fliege nach Rußland! Dort dreht sich jetzt, ehe das Korn reift, die Weltenwende! Dort heißt es: ›Fechte – falle – oder siege!‹ – Tritt aus dem Weg, Mädchen!«

»Du darfst nicht gehn! . . . Sie lauern draußen auf dich . . .«

»Ha – Philister über dir! . . .« Berserkerhaft donnerte sein Lachen. »Der Eselskinnbacken da auf dem Tisch ist scharf geladen! Mit dem komplimentiert sich ein armer Gottesgelehrter schon seinen Durchlaß heraus! Lasse du mich jetzt vor allem durch, du wälsche Vestalin! Lebe wohl – Franzosen-Mädchen . . . Ich wende mein Gesicht von dir, um dich im Abschied nicht mehr zu sehen! . . . Ich fluche dir . . .«

Meine flatternden Finger suchten den Riegel der Thüre. Doch er . . . oh . . . der Gewaltige . . . erhaben in seinem vernichtenden Zorn – er faßt die Zapfen des morschen Bretterwerks – er wuchtet es mit einem Ruck aus den aufknirschenden Angeln – er lehnt es säuberlich – kaum athemlos – bei Seite.

»Dies Hausthor trage ich noch lange auf den Berg!« höre ich den Kriegsruf des neuen Simson. Er stürmt, in den Sätzen eines ostpreußischen Füllens, drei Stufen auf einmal, die wackelige Hühnerleiter der Treppe hinab. Ich fliege hinterher. Erreiche ihn unten, da er – des Ortes unkundig – einen Augenblick sich spähend umschaut und den Fuß hemmt.

»Nun hätte ich bald das Beste liegen lassen!« murmelt er zu sich, ohne mir mehr Beachtung zu gönnen, als wehte ich körperlos im säuselnden Abendwind oder umseufzte als Silberstrahl des eben aufgegangenen Mondes wehmüthig seine geliebte Nähe. Er faßte sich in den Hosensack, und ich begriff: dort fehlte ihm das auf dem Tisch oben vergessene Pistol. Er machte eine schnelle Kehrtschwenkung. Er eilte, an mir vorbei, hinauf in die Mansarde, um die verhängnißvollste der Waffen zu holen.

Ich stand unten, vor der dämmernden, friedvollen Hütte der beiden Alten. Schon hatte die Nacht sich in ihr goldgesticktes Sternengewand gehüllt, und unsere Erde unten sich in ein träumevolles Schattenreich gewandelt. Eine erquickende Kühle fächelte aus den schwarzen, wie mit der Scheere ausgeschnittenen Baum-Umrissen des Parks – eifrig, wer wohl geübter musicieren könne, zirpten die Grillen und läuteten – sanft und tief – die Unken. Am Himmel regierte der Vollmond. Freigebig goß der gelbe Freund vom Liebespfeil getroffener Herzen seinen geisternden Schein über die Erde. Gewürzig füllte der Hauch der Gärtnerei – der berückenden kleinen Wildniß – die klare und reine Luft. Es war ein Abend für Liebende, um Arm in Arm zu wallen – nicht für den Hader Kains wider Abel.

Hatten mir schon Mittsommer-Nacht? Loderten schon nahe und weit die Johannisfeuer? Ach nein: der Junius war noch nicht da, und die Reihen der Scheiterhaufen, die, wo man hinsah, im nächtigen Lande lohten, waren – Gott zum Lob und Dank – nicht, wie vor sechs Jahren, nach den Affairen von Jena und Auerstädt, die Feuersbrünste angezündeter Dörfer, sondern nur die Beiwacht-Feuer der Großen Armee, in denen freilich – mir, als der Grundherrin von Reuterswiese, nur zu betrübter Weise bekannt – denn auch die Weidenköpfe der Koppeln, die Zaungitter, die jungen Obststämmchen – ja selbst die Thüren und Haustreppen des geplackten Landvolks Nachts zu verschwinden pflegten.

Hatte ich jetzt Zeit, Napoleanischem Wirrwarr und Europens Brudermord nachzuhängen? Näheres heischte der fliegende Zeiger an Chronos' Uhr! Ich lugte mit angehaltenem Athem in das milde Zwielicht des Abends. Etwas räusperte sich dort. Hier trug mir ein Lüftchen eine Handvoll verwehten Kanasterdampfes an die Nase. Da überragte, als ein unbewegter Schattenriß, eine geschulterte Säbelspitze einen pelzbedeckten Kopf. Überall standen die westfälischen Husaren. Das Schloß war im Umkreis bewacht.

Sollte er, der Theure, sich in den Netzen der Schergen verstricken? Fast ehe das grünliche Meteor, das jetzt eben hoch oben am funkelnden Sternhimmel unheimlich seine pfeilschnelle Bahn riß – ehe noch dieser warnende Fremdling einer anderen Welt wieder in der Ewigkeit erlosch, mußte der geliebte Prussatis wieder aus dem Gärtnerhaus herabsteigen. Schon hörte ich die wurmstichige Treppe unter seinen tastenden Tritten seufzen. Hellgelblich schimmerte vor mir am Boden die Kiesschüttung, mit der der Raum vor der Schloßflucht in schicklicher Breite bestreut war. Auf ihm glitten, Flügel der Angst an den Fersen, meine Füße. Ich wollte zum mindesten um die Ecke des mächtig vorspringenden Thurmes lugen, ob jenseits nicht die Bosheit der Menschen lauere?

Noch hatte ich nicht drei Schritte gethan – da stand, mit meinem Sohlenpaar, mein Herzschlag still! Ein eisiger Schauer des Schreckens überrann mir den Rücken. Hinter der rauhen, rissig abgesetzten Kante des Thurms, noch war es nicht Fleisch und Blut, was da dräute – ein Schatten lief wesenlos und gespenstisch der körperlichen Bildung der Gefahr voraus – ein Mondschatten legte sich schwarz – breitschulterig, vierschrötig – auf die bläulich beschienene Fläche des Kieses . . .

Gleich darauf bog der furchtbare Mann vom Monde selbst um die Ecke. Vor mir stand der Senateur Gaston de Gast. Er war es, der seinen Hinkefuß argwöhnisch gleich einem Wachhund rings um das Schloß schleppte! Mit der Linken stützte er sich auf den Krückstock. Mit der Rechten lüftete er den breitrandigen schwarzen Hut. In seinem langen dunklen Habit schien er mir wie der Teufel selbst, der Nächtens umgeht und sieht, wen er verschlinge. Ach – ich wußte, auf welch edles Wild der Parasit Buonaparte's zielte! Ein gräßliches, sarkastisches Lächeln verzerrte sein, von Blatternarben dicht gesprenkeltes, großes, rundes Antlitz.

»Das gnädige Fräulein genießen der Abendkühle?« sprach er mit einer ironischen Höflichkeit.

Er hatte das bartlose Pockengesicht, in dessen Augen die Nattern züngelten, gegen die Gärtnerei gerichtet. Er mußte den Freund sehen, wenn Jener dort in der Thüre erschien. Ich that, als wollte ich mich scheu an dem Conseiller des Kaisers der Franzosen vorbei drängen. Gottlob – er folgte meiner Bewegung und wendete sich so, daß er nun Philemon und Baucis im Rücken hatte! In dieser Position nöthigte er mich, stehen zu bleiben. Wie eine Viper stach seine verbindliche Frage: »Diese schöne Nacht – und Sie, Baronesse – ihr schönster Stern – birgt doch für mich armen Irdischen ein Räthsel! Eine Bitte liegt mir auf den Lippen: Zeigen Sie mir Ihre Tarnkappe, Holdseligste der Zauberinnen!«

Oh hätte ich solch ein Wunderhütlein besessen, um es auf das geliebte, dunkle Haupt drüben zu stülpen und es vor allen Nöthen zu bewahren! Verwirrt starrte ich auf den Sohn der Nacht vor mir, der fortfuhr: »Denn anders, schönste Louisabeth, läßt sich Ihre beglückende Anwesenheit hier nicht begreifen noch erklären! Alle Ausgänge des Schlosses sind von Doppelposten bewacht. Keine Maus kommt über die Schwelle . . .«

»Ich bin durch das Fenster gesprungen!« sagte ich und deutete nach dem Ahnensaal neben uns zur ebenen Erde. Der Herr Gaston de Gast lachte in einer verhohlenen Weise. »Ich beglückwünsche Sie!« sprach er ironisch, und immer unverschämter, mit den Lippen wie mit den Augen. »Ich beglückwünsche Sie, holdseliges Kind, – zu der gelenkigen Anmuth Ihrer schlanken Glieder, die sicherlich diesen gewagten Sprung mit dem Schleier der Grazie umhüllte! Sind doch sonst die Kunststücke neumodischer Turnerei die Merkzeichen gährender, wildbuschiger Gehirne auf der Berliner Hasenheide – Jahns- Jünger . . . aufrührerische, viel zu viel durch die Langmuth des Kaisers geduldete, preußische Schwarmgeister!«

Oh du mein Preuße . . . Dort lehnte er – ich stand ja nun so, daß ich die Gärtnerhütte vor dem Angesicht hatte – dort lehnte er an dem Hauspfosten. Der dunkle Hintergrund des Flurs umdämmerte ihn. Man mußte wissen, daß er da war – man mußte die Augen der Liebe haben, um die schwachen Umrisse des angebeteten Schattens im Zwielicht zu erkennen. Noch rührte er sich nicht. Er stand und beobachtete uns Beide hier. Oh – bleibe – theures Schattenbild – bleibe, wo du bist . . .

»Es war gewiß nicht recht von mir!« sagte ich sanft und versöhnlich zu dem pockigen Feind. »Ich will gerne wieder in das Schloß zurückgehn!«

»Warum aber hat das hohe Fräulein es überhaupt verlassen?«

Diese Frage schnellte mir der Senateur tückisch in das erbleichende Gesicht. Seine grausamen, ganz dünnen Lippen verzogen sich abermals zu seinem widrigen, lautlosen Lachen, das nur seine viereckige Gestalt durchschüttelte. Oh – ich arme Waise! . . . Hülflos in meinem Schloß dem kichernden Teufel ausgeliefert!

»Ich wollte frische Luft schöpfen!« sagte ich.

»Vortrefflich, Liebenswürdigster der Engel! Dafür bricht man die Befehle des Kaisers? Dafür riskiert man die Kugel aus einem Husaren-Karabiner? Dafür giebt man sich den kitzeligsten Mißdeutungen Preis? Darf ich, mit zwei Worten, die Art dieser Mißdeutungen umreißen – unvorsichtiges Götterbild . . .?«

Zu allem Glück: Mein anderes Ich dort im wohlthätigen Dunkel des Hausthors – mein Fritz – vernahm die gedämpfte Sprache des Unverschämten hier nicht. Oh bleibe – wo dich die bösen Buben nicht ahnen! Werde taub! Denn hörst du die frechen Worte, mit denen die wälsche Creatur mich umbuhlt, wehe – ich kenne deinen zum Himmel lodernden Preußenzorn . . . Ich kenne ihn an mir selber zu gut . . .

Also lächelte ich, hell und sichtbar im Mondschein stehend, mit blutendem Herzen, und stellte mich an, als plauderten wir, der Conseiller und ich, über die süßen Reize einer milden Maiennacht. »Wollen Sie mir nunmehr gnädigst verstatten . . .«, begann ich unterwürfig und wollte fortfahren: ». . . in meine Appartements zurückzukehren?« und zugleich krumpfte sich mir die Seele in Verzweiflung zusammen. Inzwischen floh ja der Geliebte zürnend in die Nacht hinaus . . . auf Nimmerwiedersehen . . . auf Nimmerwiederkehr . . . ein schöner Traum – ein vergänglicher Gast aus dem Lande Eden – und mein Leben ohne ihn leer und lang . . . Nein – nein . . . Alles – nur das nicht: – die Trennung von ihm! Ich mußte hier ausharren – in seiner Nähe – oh – was thun? Oh – ich Unselige! – Denn diese Nähe war ja zugleich auch die abscheuliche Gegenwart des lüsternen Bösewichts vor mir, der nicht wankte, noch wich . . .

Er that so, als hätte er mein Flüstern gar nicht vernommen. Er zielte mit seinem Stock nach einem freundlich vorbeisummenden Maikäfer, und freute sich, als das Geschöpf, das Gott doch auch in seiner ewigen Liebe erschaffen, zerschellt zur Seite flog. Ach – niemals war mir, die ich sonst meinen Verstand an den Alten schliff und nach antikischer Klarheit strebte, niemals war mir, in meiner Bedrängniß, Gott so nahe gewesen wie jetzt, wo drüben er, sein zorniger Verkünder, der Jünger der Gottesgelahrtheit, unbewegt am Pfosten lehnte und die feurigen Zungen Ostpreußens zu mir eine fremde und gewaltige Sprache redeten.

»Hm . . . ja dann . . .« versetzte der Herr Kaiserlich französische Staatsrath. »Lassen wir denn, ma belle, die Umschweife bei Seite! Sie präsentierten mir heute Vormittag unter dem fälschlichen Charakter eines Buchhandlungsdieners – also offensichtlich im Einverständniß mit ihm – einen, unter geschickter Behandlung leicht aufbrausenden, Starrkopf, der sich als der Hochverräther Prussatis aus Ostpreußen erwies. Der Nichtswürdige . . .«

»Der Heldische . . .« flüsterte ich und ballte die Hände.

»Aha . . . Dank für den Wink, reizende Louisabeth – gut denn: Er floh. Man hat ihn nirgends gefunden und hätte ihn doch finden müssen, wenn nicht . . .«

Der Günstling des Korsen schaltete eine Pause ein. Er lächelte. Oh – In diesem Lächeln auf der geistvollen Häßlichkeit seiner Züge grinste die Hölle. ». . . wenn nicht . . .« fuhr er mit Bedacht fort, »der Gesuchte gerade an den Ort, wo er entsprungen, zurückgeschweift ist, und sich unmännlich hinter den Röcken des Schloßfräuleins verkrochen hält . . .«

Ach – wie kochte es in mir! . . . Ich zwang meine Wallung nieder . . . Für dich, Theurer . . . drüben im Schatten . . . für dich! . . . Zürne deiner armen Louisabeth nicht, wenn sie, mit zerrissener Seele, zu den schimpflichen Worten des Tyrannen schweigt . . .

»Von diesem Verdacht geplagt«, fuhr Jener in einer krächzenden und gierigen Bosheit fort, »umkreiste ich selbst in aller Stille das Schloß. Siehe: das Erste, worauf ich stieß, waren Sie, – liebliches, blondes Reh . . .«

»Oh – schweigen Sie!«

». . . Sie, unschuldige, blauäugige, schönste Heilige, die ich jemals, jenseits der Alpen, im kalten Deutschland fand . . .«

»Genug . . .« lächelte ich verzweifelt. Denn durfte ich, durch eine Gebärde des Abscheu's, den heißblütigen Freund drüben herbei und ins Verderben locken? Der Feind vor mir aber mißverstand die Weichheit meiner Lippen. Sie entflammte nur seinen unkeuschen Muth, und also wuchs das Unheil von hier wie von dort, aus sich heraus, immer höher . . .

»Ich traf Sie!« sprach der Conseiller mit funkelnden Augen und beugte sich, beide Hände auf seinen Stock gestützt, so nahe und verlangend nach mir vor, daß sein heißer Athem widerwärtig meine Wangen badete. »Wo aber – die Wahrheit jetzt, Baroneß, – es geht ums Leben! – wo ist er?«

»Ich weiß es nicht!« sprach ich mühsam. Still – aber sprungbereit – argwöhnisch – das wußte ich – stand drüben, im Rücken des blutigen Satyrs vor mir – der Schatten in der Hausthüre.

»In der That . . .« Er rieb sich geschäftig die Hände. »Sie können mir darüber nichts verrathen, spröde Stumme?«

»Nein – wahrhaftig nicht!« stammelte ich.

»Nun! Es macht auch Nichts!« Gräßlich war das belustigte Zwinkern seiner Augenlider und Mundwinkel. »Sie sind die Verstellung nicht gewohnt, Schönste der Schönen! Man merkt es Ihnen an! Das Schloß ist im vollen Umfang abgesperrt und ich, – ah – umsonst vertraut mir nicht der Kaiser! – ich habe eine feine Nase! Wir werden Ihren Galan auch ohne Ihre Hülfe finden . . .«

Ich wollte zornig aufschreien! Ihm den Schimpf in die Pockenpfännchen seines höhnenden Gesichts zurückschlagen . . . halte an dich, Louisabeth . . . senke das Haupt und trage es . . . um des Geliebten willen . . . dort drüben . . .

»Wir werden ihn fangen und er wird seinem Urtheil nicht entgehen – so wenig wie der Bauer Andreas Hofer – der Buchhändler Palm – und andere, von dem sonst großmüthigen Frankreich füselierte deutsche Verbrecher« versetzte der Blatterige in der deutschen Sprache, die er durch den Inhalt seiner Worte schändete. »Nicht um ihn handelt es sich, sondern um Sie, seine Complicin . . .«

Ich, – seine Mitschuldige – ich – die ich meinen eigenen Leib vor seine Pistole geworfen, um ihn vor Tyrannenmord und Blutschuld zu bewahren! . . . Aber durfte ich denn reden . . . durfte ich auch nur andeuten – ohne alles zu verrathen? . . . Oh . . . schweige, Louisabeth – unglücklichste der Frauenzimmer . . . schweige, und wenn es dir das Herz bricht – besser, als daß die Zunge zum Judas wird . . .

»Der Kaiser«, sprach vor mir sein höllischer Trabant, oh Geliebter drüben – ich beginne deinen heiligen Haß – deinen himmlischen Zorn wider wälsche Tücke im tiefsten Herzen mitzuempfinden, »– der Kaiser« sprach der Senateur streng und gemessen, mit einem unerbittlichen, mir vor seinen entflammten Lüsten willkommenen, Gesichtsausdruck, »ruht schweigsam wie das Schicksal, in seiner Allmacht. Nur selten langt er nach ihr und gebraucht sie – dann aber, wenn Frevlerhand, wie einst die des duc d'Enghien, seine Allmacht bedroht – dann schleudert er seine Donnerkeile und sie vernichten! So wird es auch Ihnen ergehen! Ihr Schicksal wird furchtbar sein!«

Oh – mit dir sterben, Geliebter – für dich sterben – mehr begehr' ich nicht – als mit dir, theurer Schatten im Hauspfosten dort, Hand in Hand hinab ins Schattenreich! Ich faltete schwärmerisch die Hände. Ich hob die Wimpern zu den ewigen Sternen. In mir war heilige Ruhe. Doch was ist dies? Die häßlichen Mienen des Ungesitteten, des Auswürflings vor mir, beginnen zu glühen – seine Kehle röchelt in Leidenschaft – seine Zunge plappert ein wildes, sinnentrunkenes Gefasel.

»Das aber soll nicht geschehen . . .« keucht er. »Dir nicht, Louisabeth . . . dir . . . dem Urbild der Schönheit . . . Auf den ersten Blick . . . wie ich dich heute sah . . . Im Traum hatte ich dein Bild in mir getragen . . . da wurde es wahr . . . Komm an meine Brust, Louisabeth . . . komm . . . komm . . .«

Ich wich entsetzt vor ihm zurück. Er folgte mir. Er stammelte. Er drängte: »Ich habe Macht . . . Ich führe die Akten . . . Ich kann es richten, daß dein Name nicht . . . Ich kann dich retten . . . Ich werde dich retten . . . Nur erhöre mich . . .«

»Zurück!« rief ich. Ich selber konnte nicht weiter nach hinten schreiten. Denn ich lehnte schon mit dem Rücken an der Mauer des Schlosses. Er aber warf sich gegen mich. Er faßte meine Hände. Seine übernarbten Züge dräuten. »Weißt du, wer ich bin?« leuchte er. »Der Herr über Leben und Tod! Ich bin dein Schicksal, Louisabeth . . . Du bist mein . . .«

Er empfing von meiner rechten Faust, die ich seiner Umklammerung entwunden, einen festen Schlag mitten auf seinen lästerlichen Mund. Er taumelte zurück. »Daß sollst du gedenken!« knirschte er.

Gleich darauf siegte in dem Rheinbund-Schergen wieder der blinde Rausch der Leidenschaft. Er stürzte wie ein Wahnwitziger auf mich zu und preßte mich in seine Arme. Diesmal konnte ich mich seiner nicht mehr erwehren. Er war zu stark. Wir rangen Brust an Brust.

Furchtbar packte den Verwegenen von hinten eine Faust an seinem hochgeklappten Rockkragen und schleuderte ihn mit nervigem Schwung über den Kies. Flammenden Auges, wie Erzengel Michaels aus dem Gartenhaus herabgestiegen, der eigenen Gefahr – ach – nicht achtend, stand schirmend vor mir der Freund.

Vor ihm am Boden rollte sich das Napoleonische Gewürm. Der narbige Wicht erkannte das edle, ihm ins Garn geeilte, Wild. Eine gebliche und giftige Schadenfreude ließ, indem er sich aufraffte, die Höllenartung seines Äußeren noch abstoßender erscheinen. »Hab' ich dich, du Mordbube!« heulte er im Tonfall der Unterirdischen. »Ha! Husaren herbei! . . . Gieb dich! . . . Du bist gefangen!«

Zugleich nestelt seine Hand im Rockschoß, reißt ein Terzerol heraus und legt es an. Ihm gegenüber aber er – der Held – hielt die Pistole, die er sich aus der Gaube geholt, schon schußfertig in der Hand. Der böse Geist bemerkt es zu spät. Im Flug eines Augenblicks kommt mein Prussatis ihm zuvor. Ein Feuerstrahl zuckt rothflammend aus seinem kurzen Handgewehr. Drüben fällt der Herr de Gast vornüber vor ihm auf die Kniee, als wollte er ihn für alle schwarzen Thaten seines Lebens um Verzeihung bitten, dann mit dem Antlitz zur Erde, und liegt da in einer rasch ausströmenden dunklen Lache und nur noch das Zucken seiner Gliedmaßen zeugt von dem entfliehenden Leben. So hatte die Kugel, die dem Kaiser der Franzosen zugedacht war, seinen Diener gerichtet . . .

Husaren aber . . . Husaren auf seinen Ruf – auf den Donner des Pistolenschusses – von rechts und links – Husaren von überall und auf den nun wehrlosen Geliebten. Denn ihm blieb keine Zeit – weder zu fliehen, noch, seine Waffen abermals zu laden. Die Meute warf sich auf den gestellten königlichen Hirsch . . . Ich weiß nicht mehr, was weiter geschah . . . Eine wohltätige Dunkelheit senkte sich, indem ich zusammenbrach, über meine Augen . . .

Als ich sie wieder aufschlug, saß ich noch, an derselben Stelle, gegen die Schloßmauer angelehnt. Lisette, meine Zofe, kniete neben mir und sprengte mir kaltes Brunnenwasser in das bleiche Gesicht. Ein paar andere Mägde standen angstschlotternd hinter ihr, bereit, mich in das Haus zu tragen. Vor meinem Boden war ein großer, schwärzlich-feuchter Flecken in dem zertrampelten Kies. Doch diese Fläche leer von Menschen. Von Allen, deren Streit, Mord und Gewalt der Mond beschienen, ich allein noch hier. Achtlos zurückgelassen. Ach – ich begriff: die Reiter des Königs von Cassel hatten den Freund meiner Seele weggeschleppt und den todten Senateur mit sich getragen. Daß ich in diesen Handel mit verstrickt sein könne – ich – ein schwaches und scheues, adelig geborenes Mädchen – das hatten die kurzen Kriegergehirne wohl nicht bedacht, sondern vermeint, ich sei, gleich ihnen, durch den Lärm der beiden Kämpfenden aus dem Schloß gelockt morden und, vor Abscheu über den, so gerechten! – Todschlag einer Ohnmacht verblichen.

Bald aber würden Höhere als diese Husaren – würden die Nachfolger der hier erstorbenen Creatur auf das eigentliche Verhältniß der Dinge kommen und nach mir fragen und fahnden! Doch was lag an mir . . . oh – du König meines Herzens . . . in dir ist auch mein armes Erdenloos beschlossen . . .

»Wo ist er?« stöhnte ich. Lisette, die Kammerzofe verstand mich.

»Sie haben ihn in die Stadt hinuntergebracht!« flüsterte sie. »In das neue Gefängniß, das im Stiftsgebäude eingerichtet ist!«

Dies waren die Räume, aus denen, bisher altjüngferlicher Beschaulichkeiten geweihten, die Faust des Rheinbundes meine Freundin Phila und die anderen Präbendinnen vertrieben hatte. Ich erhob mich erschöpft. Ich wies, fast unwillig, die hülfreichen Mägde zurück, die mich unter den Armen fassen und in das Schloß führen wollten! Zu ihm – nur zu ihm – für Nichts Anderes hatte dieses verwirrte und doch seines Weges klare Haupt einen Raum.

Rauscht der Wald vor dir düster und warnend, Louisabeth, und munkelt von Gefahren? Laß die Hölle dräuen! Zu ihm . . . zu ihm! . . . Nistet eine undurchdringliche Finsterniß in dem Parkgeäst, als stiegest du, statt zum Städtchen, mit tastenden Füßen in dein dunkles Grab? Die Liebe macht hellsehend! Zu ihm! Zu ihm! Bedankt, Ihr freundlichen Glühwürmchen – Ihr geschäftigen, lebenden Lämpchen der Nacht! In unzähligen Sternenfünkchen durchgaukelt Ihr geheimnißvoll und tröstend das Schwarz der Erde und weist Louisabeth den Dornenpfad der Liebe zu ihm . . . zu ihm . . .

Ich gebot mit einer heftigen Handbewegung den Mädchen, an ihrem Ort zu bleiben. Ich huschte quer über die mondbeschienene Sandfläche. Husarenvedetten waren nun, da sie den Herrlichen erhascht, nirgends mehr zu besorgen. Ich stürzte mich in die nächtigen Schatten der Bäume. Ich schaute mich nicht um. Was ich bisher gewesen und besessen – meine unschuldigen Mädchenjahre – meine harmlosen Zerstreuungen des Geistes und Gemüths – mein Schloß – mein Hab und Gut – mein ganzes, friedevolles bisheriges Dasein – alles versank hinter mir. Zu dir – jauchzte meine Seele – zu dir . . .

* * *

Oh – diese Bilder der Nacht, auf dem Weg zum Städtchen unten im Thal! Diese röthlich den Himmel färbende Brunst der Biwaks nahe und fern – das Geflacker der Feuerzungen vor den, aus jungen Maien geflochtenen, grünen Laubhütten, der Gesang und das fremdartige Geschrei der, die Flammenstöße umkauernden, dunklen Waffengestalten.

Oh – diese zertretenen Gerstenbrote im Straßenstaub, und wimmernden und hungernden Kindlein! Diese seitwärts auf den Äckern unter den freien Sternen nächtigenden, flüchtigen Bauern und Weiber mit ihren Kühen, ihrem Hausrath auf Karren. Oh diese Staubwirbel, die höhnend im Mondschein auf der Heerstraße des Korsen mit den tamerlanisch verstreuten Getreide-Ähren, dem fliegenden Flaum zerschnittener Federbetten spielten! Diese, mit den Händen in Stücke gerissenen Ziegen und, mit dem Pallasch enthauptete, unnütz im Graben faulenden Schweine . . . dies fürchterliche aufschießende neue Gewimmel frischer fichtener Kreuze auf dem Friedhof vor der Stadt, Merkzeichen des Nervenfiebers, das in den geleerten, besudelten, ausgebrannten Häusern Mann, Weib und Kind würgt – diese langen Reihen deutscher Kindergräber – Louisabeth – wo waren bisher deine Augen? . . . In welchen Regionen schwebte dein ätherischer Geist, daß du dich zwar an der göttlichen Heiterkeit der Alten erlabtest, den Nothschrei lebender Creatur um deine Ohren aber als eine Philosophie ertrugst? Nun brennt in dir plötzlich, was Schmach eines Volkes heißt! Nun fühlst du den Übermuth eines fremden Tyrannen. Nun siehst du mit seinen Augen – mit denen eines Preußen! Zu ihm . . . zu ihm . . .

Die Hauptgasse des Städtchens – sie war ein großer mächtiger Jahrmarkt, voll Fackeln, Peitschenknall, Gekarre, Gewühl und Gelärm. Indessen die Truppen bei Nacht ruheten, zog hier unabsehbar der Troß der Großen Armee durch, füllte das Pflaster, stopfte sich zu einem Knäuel an der Brücke, wo das Stiftsgebäude lag. Die französischen Commissarien ritten schreiend auf und nieder, die Fuhrleute in blauen Blusen fluchten, – Marketender, Marschkranke auf Wägen, Stimmen aller Nationen riefen und kreuzten sich in der Dunkelheit.

Gottlob: Auf mich achtete in diesem Thurmbau zu Babel Keiner. Ungefährdet sah ich mich dem Stiftsgebäude am Ausgang der Stadt gegenüber. Mit seinen massigen Umrissen sich vom Sternenhimmel absetzend, ließ es, in Thurm und geräumiger, seitlings mitten in einem kleinen Gottesacker stehender Kapelle, das ehemalige Kloster nicht verkennen. Mochten in dem finsteren Hauptbau die Fenster schon von früher her vergittert gewesen sein – nun jedenfalls diente, indeß zur ebenen Erde Wachtstuben und, jetzt noch helle, Kammern für Büralisten und andere Schreiberseelen der Profosse, Proviantmeister, Regiments-Medikusse, Heereslieferer leuchteten, – nun diente der Oberstock in seiner südlichen Hälfte als ein Lazareth der Großen Armee, in der anderen, nach dem rauhen Norden gehenden, als Kerker für die Opfer schnöder Gewalt. Schwaches Licht leuchtete in diesen unglücklichen Zellen, die ich vorsichtig, um nicht von dem schildernden Posten bemerkt zu werden, am einsamen und dunklen Ufer umkreiste – da, wo das Flüßchen die Rückwand der Klostermauern plätschernd umspülte und sich am jenseitigen Hang ein weites Feld leer in die Nacht verlor. Dort oben bist du – mein Theurer! Hier unten harrt deine Louisabeth – in deiner geliebten Nähe . . . Doch wie zu dir gelangen – Ihr Ewigen . . . Ihr Himmlischen: wie?

War es eine Stimme von den Sternen, die zu mir sprach: Siehst du denn nicht, Louisabeth, hinter den hohen Dächern des Stiftshauses einen bescheidenen niederen Giebel dämmern? Unter diesen langgestreckten First des Seitenbaus verwiesen, hausen nun, in Nothdurft und so gut es gehen mag, die vertriebenen Stiftfräulein. Auch Phila, die aus deinem Schloß geflüchtete, mag jetzt da weilen! Denn wo sollte sie sonst im Kriegsgebrause hin? Ihre Fensterscheibe in dem Stübchen, in dem du ihr manche Visite abgestattet, ist die Dritte in der Reihe. Dort brennt Licht. Dorthin, verliebtes Mädchen, lenke deine Schritte! Dort sammele dich, überschlage deine Kräfte und Mittel und plane das Heil des nahen Freundes.

Freilich denn: dieses Gemach – ohne Mühe von mir über die offene Treppe erstiegen – barg, als ich pochend die Schwelle übertrat, nicht allein Phila, die befreundete Seele, sondern – um sie versammelt, den ganzen, aus meinem Schlosse Reuterswiese an diesem Mittag entstobenen, Cirkel schöner Geister, die, in Eleusis lustwandelnd, es nicht vorbedacht hatten, daß in Thüringen, im Marsch der Völker auf Moskau, Postpferde oder Bauernvorspann platterdings nicht erhältlich waren, und als welche sich nun, nach ihrem voreiligen Abschied von mir, in diesen vier Pfählen hier festgepflöckt und zum Bleiben genöthigt sahen.

Diese schwärmerischen, auf Matratzen und Canapés gelagerten Geister vom starken wie vom schönen Geschlecht – wiewohl Beides nicht recht zutreffen wollte – sie hatten aus der Noth eine Tugend und aus einem böheim'schen Zigeunerdorf eine platonische Akademie gemacht. Indessen die Frauenzimmer häkelten und die Chapeaux schmauchten, schritt der Hofrath Hagemeister begeistert die Dielen auf und nieder, die Hornbrille auf der Nase, das Talglicht in der linken, das Heft in der rechten Hand und las ergriffen in dem verzückten Lauschen der Anderen. »Oh Philosophie – du Menschenbeherrscherin – oh, Buch der Natur! welch unvergleichliche Harmonie herrscht nicht in diesen beiden Wissenschaften! Wie viel Hülfe – wie viel Licht giebt eine der anderen – und beide zusammen der Menschenseele, und stärken sie zu einer edelmüthigen Freiheit vor den gemeinen Begebenheiten der Welt und zu der wahren Furchtlosigkeit des Weisen . . .«

Nun erblickt er mich! Das Buch entfällt dem Peripatetiker zur Erde – keine Sylbe will mehr aus dem geöffneten Mund – die Kerze in seinen spinnigen Fingern flackert. Phila aber steckt entsetzt den Graukopf hinter die Dürftigkeit seiner Körpergestaltung und wehrt, rechts und links hinter seinem verschossenen Schwalbenschwanz, mit weitgespreizten Händen gegen mich ab, als sei ich nicht die sanfte, blonde Louisabeth, sondern ein schauriges Gespenst.

»Nicht herein!« wimmert sie. »Nicht herein!« Neben ihr kniet Pamela, das göttliche, vierzigjährige Kind, am Boden und hebt, in theatralischer Manier, die gefalteten Hände. »Unglückliche! Habe Mitleid mit uns! Bei unserer einstigen Freundschaft!«

»Aber was geht Euch bei?« stammele ich. Ein Schrei, durcheinander, aus allen Mündern – und – der Wahrheit sei es geklagt – das dumpfe Greinen der Bässe noch merklicher als das helle Flennen der Soprane.

»Der hohe Beamte des französischen Kaiserreichs . . . greift Euch an die Schläfen . . . Es ist nicht zu fassen . . .«

»Er ist in deinem Schloß ermordet!«

»In deiner Gegenwart . . .«

»Auf dein Anstiften – geht das allgemeine Gemurmel . . .«

»Denn du – oh Ihr Götter – wir waren Zeuge – du hast den Mörder freventlich in unseren attischen Circle eingeführt . . .«

»Du reißest uns Freunde sittlicher Form und gefügter Gesetze gleich einem Tartarus mit in den Acheron!«

»Die Militärgewalt sucht dich schon überall!« wimmerte die kleine und dicke Pamela. Die Stiftsdame, spitz und hager, keuchte: »Vorhin ist ein Pikett Husaren mit einer angespannten, leeren Kutsche, eilends nach deinem Schloß abgeritten, um dich zur Stelle zu schaffen . . .«

»Erlöse uns von der fürchterlichen Gefahr deiner Nähe!« kreischte Pamela, die Schwärmerin, wie sinnlos. »Gehe! . . . Um Gottes willen! . . . Gehe!« zitterte das fromme Herz der Stiftsdame. Oh Phila – ist dieses deine seraphische Nächstenliebe, – Phila – die du mir so oft meine gleichmüthig olympisch gestillte Seele verwiesest?

»Fahre hin, Traum der Freundschaft!« sprach ich. »Euer Geschwätz ertönt mir zu laut!« Traurig schaute ich auf das Häuflein geknickter starker Geister und legte die Schwelle zwischen mich und Jene. Noch auf den Stufen, die ich hinabtrat, hörte ich sie oben barmen und zetern: »Oh – dieser bemitleidenswürdige Senateur . . .«

»Ein Mann – kein Endymion zwar – aber voll von der Politesse des Kaiserreichs . . .«

»Was werden die Franzosen sagen?«

»Dem General-Ordonnateur en chef ist durch eine Stafette Rapport erstattet! Die Leiche des Herrn Conseiller de Gast wird morgen mit allem Pomp in das Stabsquartier überführt . . .«

»Oh – ich habe es mit thronenden Wimpern gesehen, wie sie vorhin den Todtenkorb die Treppe im Stiftshaus hinauftrugen und im Oberstock abstellten . . .«

Nun Nichts mehr von dem Gemurmel der Kleinmüthigen. Ich stand vor dem Thor, wieder von den leisen Schleiern der gülden gestickten Sternennacht umweht, etwas fernab von dem Völkermarkt des Kriegs in der Hauptgasse. Hier, in dem dunklen Nebensträßlein, war es stiller. Da kreischte nur der Hobel, surrte die Säge, hüpfte der Hammer, querüber, in der noch erleuchteten Werkstatt des Meisters Rheinboth, des betagten Tischlers, der auch meinen Eltern ihr letztes Haus auf Erden – sechs Bretter und zwei Brettchen, an Stelle der vielen Thürme und Zinnen von Reuterswiese – gezimmert. Ach – er hatte auch jetzt noch allabendlich bis in die Mitternacht zu thun – der würdige, weißhaarige Schreiner und ein aufrechter Mann, der sich auch vor den Franzosen nicht bangte und einem Marschall ungescheut ein deutsches Wort ins Gesicht sprach. Jeden Tag ließen die durchpassierenden Regimenter ihre Maladen, ihre Maroden, ihre Sterbenden im Spital im Stiftshaus zurück. Ach – wo beteten jetzt vielleicht – da und dort – weithin in Europa – Mutterherzen für den geliebten, dem Trommelschlag des Korsen folgenden Sohn, und ahnten nicht, daß seine wächserne, entseelte Hülle zu gleicher Stunde auf Stroh in der Todtenkapelle des Stifts ruhte! Denn dieser schaurige Raum, dessen schmale, matt erhellte Spitzfenster durch die Nacht herüberblinzelten, – er füllte sich täglich bis zum Abend mit stillen Gästen, die es nicht mehr nach »Vive l'empereur!« und entrollten Adlern, sondern nur noch nach kühler Erde und drei Musketensalven über dem Grab verlangte, wie ich sie jeden Morgen dumpf bis nach Reuterswiese hinaufschallen hörte.

Es standen seit dem 11. May 1812 Jupiter und Venus einander in nächster Nähe, wie ich heute morgen oben auf meinem Schloß den versammelten gleichgetönten Seelen verkündet und vorgeschlagen hatte, diesen holden Lenztag als ein Fest der Liebe und Freundschaft zu begehen. Du Frühlingssonne – du bist gesunken! Ihr Freunde – Ihr habt mich verläugnet! Mein Schloß meiner Väter – du bist mir verehrt. Aber vom Himmel leuchtest du ewig, oh Liebe! Da steht Ihr in strahlendem Glanze, nebeneinander, – Jupiter und Venus – und Eure Liebe funkelt tröstend hernieder und erhellt mit göttlichem Glanz die betrübten Herzen derer, die auf dunklen Erdenpfaden, über Stein und Dornen, wandern. Oh mein Jupiter in Banden – mein trauter Gesell – dein Licht grüßt mich aus deinem Kerker! Deine Freundin ist dir nahe und bleibt bei dir heute und alle Tage! Oh du Göttlicher, der du mir die Seele versengtest, heute früh war ich noch im Blüthenstand, von keinem Windhauch versehrt – die Rosenknospe ist aufgegangen und senkt ihre entfalteten Blätter todesmatt in Mittagsgluth und Mitternachtssturm, und dennoch – hätte ich die Wahl, ob du in mein Leben treten solltest oder nicht – Vater im Himmel: Ich wollte alles noch einmal erfahren . . . Alles . . . Alles . . . was war . . . was ist . . . was kommt! Mein Gemüth lacht. Mein Leib breitet die Arme sehnend durch die Nacht: Ich lebe! Ich leide! Ich liebe! . . . Siehe: Ich bin ein Mensch, und war eine Blume . . .

Rauch wogte drüben, auf der menschenvollen Gasse, die Wirklichkeit der Dinge. Dort suchten mich die wälschen Schergen. Jedes Kind im Städtchen kannte mich, das Schloßfräulein – die Baronesse von der Lehen. Ach – verrätherische und nach fränkischen Goldstücken gierige Hämlinge gab es überall. Ich mußte besorgen, nicht hundert Schritte zu thun, ohne daß die Faust der Tyrannei mich faßte . . .

Nun – so sei es denn! Soll ich es besser haben als du, mein Geliebter! Ihr flammet da oben enggesellt, Ihr Sterne der Liebe! So wollen mir Beide hier unten, die wir Euch Sterne im Herzen tragen, als ein Doppelgestirn unlöslich von einander, Noth und Tod der finsternen Welt durchsegeln! Ich komme, mein Jupiter –! Dein Mädchen theilt dein Schicksal.

Wie ruhig tragt Ihr mich dem Verhängniß entgegen – ihr meine Füße! Wie leicht athmet meine Brust! Wie bleich und durchsichtig seid Ihr gespenstige Schatten, die Ihr, als Große Armee und ihr Troß vermummt, auf der Hauptgasse an mir vorüberströmt! Merkt Ihr noch nicht, wer opferbereit – todesmuthig, zwischen Euch wandelt? Noch bin ich nicht zehn Schritte gegangen – wann werdet Ihr mich entdecken? Da, stark und still, mein Herz! – es naht! Muth – meine Mädchenseele! – Das Fatum vollendet sich: Es gewinnt die Umrisse eines gutbejahrten, derben, breitschulterigen Mannes in langem Tuchrock und hohen, ländlichen Stiefeln. Er schreitet, nach rechts und links verstohlen forschend, durch die Menge. Sucht. Sieht mich. Stutzt . . . Ach . . . Es ist Herr Külps – mein redlicher Amtmann! . . . Er faßt mich an der Hand! Reißt mich in einen dunklen, ungesehenen Winkel . . .

»Gott sei Dank, daß ich Sie finde, gnädiges Fräulein!« raunt der Wackere mit einem halben, besorgten Baß. »Sie bewegen sich in der äußersten Gefahr! Sie müssen auf der Stelle fliehen! Ich habe Alles vorgerichtet! Ich halte mit unserer Jagdkutsche und den beiden ungarischen Juckern gleich nach Mitternacht, wenn die Stadt stille wird und die Truppenzüge aufhören, jenseits des Flüßchens, gegenüber der Stiftskapelle! Ich habe alles, was an Gefällen und Zins in der Rentkasse war, zusammengekratzt und mein Eigenes dazugelegt. Es ist ein dicker Beutel voll Dukaten und Napoleons-d'or! Damit kommt man weit!«

»Wie doch, Herr Külps?« frug ich leise, wie er, in die Finsterniß des Winkels geborgen. »Warum überlassen Sie mich denn nicht meinem grausamen Schicksal? Alle meine Freunde und Freundinnen haben sich doch in bleicher Franzosenfurcht von der Verlorenen abgewendet!«

»Ihr Vater, der Herr Baron, und die Frau Baronin, waren mir jeder Zeit, seitdem ich vor vierzig Jahren als junger Jagdbursch in das Schloß kam und aufstieg, eine gnädige und gütige Herrschaft, der ich Alles im Leben verdanke«, sprach der treue Mann. »Ich habe dem Herrn Baron auf dem Todtenbett in seine Hand gelobt, Ihnen, als einer verlassenen Waise, nicht aus der Nähe zu weichen, sondern Ihnen treu zu dienen, wie ich Ihren Eltern gedient habe, und Ihnen zu rathen und zu helfen, wie ich vermag!«

»Hier aber ist Gefahr, lieber Külps! Sie sagen es selbst!«

»Die Gefahr zu tragen, bin ich meiner Pflicht schuldig, und allezeit bereit! . . . mit meinem Leib und Leben, Baroneß! . . . darauf mögen Sie sich verlassen!«

Wie oft war der Herr Külps breit und schwer und sonnenbraun, mit lauten Stiefeln, in meinen Musentempel gestapft und hatte mit Holzgeld, Kriegs-Contribution, Hand- und Spann-Dienst, störrischen Pächtern und losen Mägden, mein schwärmerisches Ego aus dem siebenten Himmel, wohin es sich verflogen, unsanft an den Beinen herabgezogen und auf die platte Erde gestaucht! Wie oft hatte ich unter der Prosa des unmusischen Mannes geseufzt und mich mit betauten Wimpern an den Busen Pamela's und Phila's geflüchtet! Nun offenbarte sich mir, nicht aus dem vergänglichen Gelispel der Schöngeister, mit denen ich mich, wie in einer Muschel, selbstisch von der Welt abgekapselt – nein – in den schlichten Worten meines alten und bäurischen Amtmanns – da erstand vor mir die treue, einfältige Seele Deutschlands, die in ihrer ganzen Herrlichkeit zu mir sprach.

»Guter Külps!« sagte ich und trocknete meine Thränen, »daß wir, dank Ihrer Fürsorge, Geld in Händen haben, das ist vortrefflich! Aber nicht auf meine Flucht wollen wir es verschwenden – ich gewinne für meine, auf mir tragenden, Fingerringe und Ohrgehänge Geld zur Genüge von der Judenschaft in jeder Stadt . . .«

»Sollen wir das Dukaten-Säcklein hier denn in den Mühlbach werfen, Baroneß?«

»Ei doch – Vater Külps – wir müssen ihn doch damit frei machen!« versetzte ich und blickte voll Vertrauen dem treuen Diener ins Antlitz.

»Ihn . . .?« wiederholte er fragend und las die Antwort in meiner, als Wegweiser, gegen das Stiftshaus erhobenen Hand, und schüttelte rasch und entschieden den Kopf.

»Dies ist unmöglich, gnädiges Fräulein!« verneinte er, »und geht in keiner Weise an!«

»Doch, bester Amtmann – es muß sein!«

»Ihnen, Baroneß, habe ich Treue geschworen! Nicht aber einem fremden, unbekannten, Mann . . .«

»Ja aber Liebster . . . Bester . . .« lachte ich erstaunt. »Welcher Menschenwitz kann denn das scheiden? Welches Wort Gottes selber kann denn das trennen – ihn und mich. Er ist ich – und ich bin er . . . Ich stehe nur zur Hälfte hier, Herr Külps – und er liegt nur zur Hälfte oben im Kerker! Was geschieht, muß sich an uns Beiden gemeinsam erfüllen! Das fordern die Sterne!«

»Ich spüre wohl, daß das gnädige Fräulein heftig und bis über die Maßen verliebt ist« – oh – dieses Achselzucken des trefflichen – des bewährten Verwalters. »Es vermag mich doch nicht von meiner Einsicht und Verantwortung abzubringen, so daß ich mich denn schmerzlich weigern muß . . .«

»Warum denn, treuer Külps?«

». . . weil dieses Unternehmen – wenn auch nicht unausführbar – denn wer widersteht heutzutage einem Beutel Gold, – und ich kenne den Schließmeister oben, nach seinem üblen Leumund und nach seiner Person – weil das Unterfangen trotzdem so unberechenbar und gefährlich ist, daß weit eher zu besorgen sein würde, die Baronesse gerathe mit ins Unheil, als der Herr dort oben aus seinen bösen Umständen heraus! Davor aber muß ich das gnädige Fräulein pflichtschuldig behüten! Ich denke nicht an mich!«

»Ja doch – tapferer ehrlicher Külps!« rang ich die Hände und begriff nicht, daß sein gerader Sinn mich nicht verstand. »Dieses ist doch ein- und dasselbe, was Ihr Mund in zwei Theile zerlegt? Glauben Sie, daß ich befreit – und er nicht –, lebend – und er todt – daß ich da nicht vor Wehmuth und Sehnsucht noch vor Abend stürbe?«

»Man spricht derlei, Baroneß! . . . Zumal, wenn man, wie die Baroneß, in den schmachtenden Jahren steht . . . Es ist hart, gnädiges Fräulein! Doch die Zeit wird es lindern!«

Der Herr Külps war aus dem Bauernstand und Bauernblut hervorgestiegen. Er hatte die harte Stirne des Landmanns. Jupiters Blitze – ich wußte es von früher – hätten seinen Willen nicht erschüttert! Es trappelte vor uns auf der Straße. Ein verspäteter französischer General mit seinem Stab ritt im Schritt vorbei. Er war noch jung, wie alle diese Napoleonischen Soldaten vom Glück. Sein Antlitz barsch, befehlsgewohnt und finster. Ich reichte dem Amtmann die Hand.

»Adieu, Herr Külps!« sagte ich sanft.

»Wohin, Baroneß?«

»Ich danke Ihnen, Sie Biederer, gewiß mein Bestes wollender Freund! Leben Sie wohl!«

»Um Gottes willen – gnädiges Fräulein – was haben Sie vor?«

»Was Anderes denn wohl« sprach ich seelenvoll, »als an diesen General herantreten, sein Pferd an den Zügeln aufhalten, und dem Marschall oder wer es sein mag, auf französisch sagen: Ich bin es, die Ihr sucht! Macht rasch ein Ende! Ich habe nur die eine Bitte: Legt uns Beide in dasselbe Grab!«

Der Herr Külps faßte rasch mit seinen beiden großen braunen Händen mein Armgelenk und ließ mich nicht los. Denn er merkte wohl, daß dies mein heiligster Wille und Vorsatz war, und ich meine Absicht, selbst wenn dieser General sich inzwischen in die Nacht hinausgeschlagen, gleich bei dem nächsten Buonapartistischen Trabanten oder dem ersten, besten Rheinbund-Corporal, der mir aufstieß, ausführen würde. Des Külps fest meinen Arm umspannenden Finger zitterten. Ich aber war ganz ruhig. Er schaute mich an. Er las Etwas in meinen Augen . . . Der wind- und wetterbraune Mann konnte sich eines bleichen Scheines auf den bärtigen Zügen nicht erwehren . . .

»Kommen Sie, Baroneß!« murmelte er, nahm mich bei der Hand und führte mich im Dunkel zu einem nahen, einzeln in einem Garten stehenden Haus. Wenige waren rund im Lande so leutekundig wie mein Amtmann, der seit Jahrzehnten die Herrschaft Reuterswiese verwaltete. Jeder kannte ihn und er kannte Jeden – so auch den Mann, der ihm vorsichtig auf sein Pochen öffnete, ihm stumm die Hand drückte und uns die Stiege hinauf in ein Putzstübchen in bürgerlichem Geschmack wies.

»Hier, bei meinem Freund, sind Sie außer Gefahr!« sagte der Herr Külps. »Bitte warten das gnädige Fräulein hier auf mich!«

Er ging, zusammen mit dem anderen Hausvater. Ich saß und hörte mein Herz pochen. Der Wachsstock auf dem Tisch flackerte. Motten umflogen ihn. Unten, zur ebenen Erde, murmelten Stimmen. Mir dünkte, es wurde da um huflahme Pferde gefeilscht. Denn dies war das Gewöhnliche, daß die Franzosen, was ihnen auf dem Marsch an Gäulen hinkend wurde, gegen gutes Geld unterwegs abstießen. Nur fanden sie unter den Bauern keine, unter den Roßkämmen, Postwirthen, Zigeunern spärliche Käufer, weil die nächste durchkommende Truppe ihnen das Thier ja doch wieder ausspannte und mitlaufen hieß.

»Oh möchte doch der Herr Külps ohne viel Schneckengang und Pfiffe zu Rathe kommen!« seufzte ich bei mir. »Oh – wäre er doch schon wieder hier!«

Oh Külps – Guter . . . Redlicher . . . wo bleibt du . . .?

Die Stunde rann dahin in das ewige Meer der Zeit. Ich saß und harrte. Draußen hatte sich der Lärm des Tages gestillt. Es war nicht mehr das Karren und Peitschen, das Kanonenrasseln und Trappeln der Pferde und Massentritt der Marschstiefel – das Brausen über die Erde: Nach Moskau! Nach Moskau! – sondern selten nur noch ein ›Halte-lá!‹ und ›Qui vive‹ der nächtigen Posten, die um das Stiftshaus schilderten. Von dessen Thürmchen räusperte sich das Uhrwerk wie ein alter, gichtiger Mann, und hüstelte in blechernen Schlägen. Ich zählte mit gefalteten Händen mit. Eins – zwei – drei – vier . . .

Külps . . . lieber, bester Külps . . . komme doch . . . komme . . . Lieber Gott! Schick' mir meinen Amtmann! Jetzt blinzelte ich nicht mehr nach dem Olymp, und alle Götter Griechenlands und Weimars helfen mir Nichts, sondern ich betete, wie dermals als kleines Mädchen, fromm zum lieben Gott . . .

Elf . . . Zwölf . . . Die Stiftsuhr meldete die Geisterstunde . . . Um drei, halb vier – graute schon wieder ein junger Tag . . . Külps . . . harter Mann . . . Grausamer . . . lasse dich rufen . . . Da: Tritte die Treppe empor . . . die Thüre auf . . . der niedergebrannte Wachsstock auf dem Tisch überflattert den Schattenriß des biederen Amtmanns auf der Schwelle, übertupft den gefurchten Ernst unter dem sorgenvollen Graubart mit einem trügerischen Rosenschein der Tugend, wo aus den Augen doch das Alter mich Schauernde auf die Gebrechlichkeit alles Menschlichen und die Vergänglichkeit irdischer Pläne und Hoffnungen hinleitet . . .

». . . Külps . . . Sprechen Sie mir mein Schicksal . . . Ich bin bereit . . .«

Er verschloß sich in Schweigen.

»Külps . . . was haben Sie vor sich gebracht, mein väterlicher Freund . . .? Noch lese ich auf Ihren umwölkten Mienen einige vermischte Buchstaben des Himmelswortes: Hoffnung . . .«

»Es geht . . .« Der Herr Amtmann zauderte. Verneinend wiegte sich sein ehrwürdiger Kopf. »Und es geht doch nicht . . .«

»Oh jetzt keine Sprüche der Sphinx! . . . Nur die klare Majestät der Wahrheit! . . . Louisabeth von der Lehen ist willig, sie zu tragen . . .«

»Nun denn!« sprach der Bedächtige und Betrübte vor mir. »Vater Rheinboth, der Sargtischler, den ich antraf, war, als Einer der neu aufgekommenen teutschen Patrioten, gleich zu dem Handel bereit. Er hat, in seinen jungen Tagen, als wandernder Handwerksgesell in vieler Herren Länder geguckt und über den Alpen bei den Wälschen in die Karten gesehen, wie man sein Spiel abgefeimt und verschlagen dem Andern abgewinnt. ›Krumme Händel, Herr Amtmann‹ – waren, unter dem Klopfen am Sarg, seine Worte – ›darf man nicht mit Gewalt gerad hämmern wollen, wie ein deutscher Grobschmied, sondern muß sie fein am andern Ende anpacken – dann werden sie von selber gerad – und aus dem Übeln das Gute herausholen! Steckt immer drin, wie der Kern in der Nuß. Man muß es nur sehen . . .‹ . . .«

»Weiter doch!« drängte ich. Denn was schierte mich nun die Lebensregel eines alten Schreiners?

»Gemach nur, Baroneß! Gut also: der Meister Rheinboth fährt fort: ›Beispielsmäßig: Hier zimmere ich den Sarg für einen Herrn Franzosen – genannt de Gast! Wer hat ihn in den Sarg eingewiesen: Ein Preuße – des Namens Prussatis! In einem halben Stünd'chen etwa habe ich mit meinen Löhnen den Sarg ins Stiftshaus hinüber zu bringen, ihn mit dem Leichnam des Herrn Staatsrath zu füllen und hinunter in die Todtenkapelle zu tragen und hinzusetzen, von wo er morgen mit aufgehender Sonne zu einer gebührlichen Trauerfeier nach dem Hauptquartier des französischen Herrn Marschalls abgeführt werden soll!‹ . . .«

»Ei ja doch!« verzweifelte ich. »Lasset doch den todten Mann! Mir geht's um den Lebenden!«

»Habe das Gleiche dem Meister Rheinboth vermeldet, Baroneß! Da lacht der Alte über sein ganzes Fuchsgesicht und spricht: ›Der lebende Mann ist Herr im Haus – auch im Sarg! . . . Wenn ich statt des Todten aber, der ihn getödtet hat, in den Sarg legt – ich trag' lieber einen lebendigen Preußen unten an der Hauptwache im Stiftshaus vorbei in die Leichenkammer, als einen todten Franzosen, und lass' ihm, als ein zünftiger Schreinermeister, schon Luft zur Genüge und sperre das Kapellenthürchen nach dem Kirchhof hinaus von innen auf, daß man außen aus der Nacht zu ihm kommen kann und ihn holen! Es geht nur darum, den Schließmeister oben zu bestechen . . .‹ . . .«

Ach du liebes Dukatenbeutelchen in des Herrn Külps hornigen Händen – was bist du schmächtig und faltig und leer geworden! »Und er hat es genommen?« jubelte mein Herz.

»Pscht – leise – Baroneß! . . . Jawohl: Der Schließmeister war zäh und rauh. Er lief mich mit einer harten Unbescheidenheit an. Doch endlich dämpfte ich mit den Goldstücken seine Begierde. Es ist an dem, daß Alles jetzt im Einverständniß steht! . . . Braucht also nur der Sarg hinübergeschafft zu werden! . . . Der Meister Rheinboth wartet . . .«

»Flugs . . . Ihr Lieben . . . flugs!«

»Und da hat der Handel seinen Haken!« Külps, der Hilfsbereite – der Unverzagte – krauste die Stirne und fuhr sich mit den fünf Fingern hinterm Ohr durch das ehrwürdig graue Haar. »Noch einen Fremden darin einzuweihen – Es heißt ein alter Grundsatz – und dem tritt auch Meister Rheinboth bei: Ein Mitwisser mehr bei solch kitzlichen Anschlägen macht die Gefahr nicht doppelt, sondern zehnfach . . .«

»Wozu braucht man auch noch einen . . .?«

»Ja – Baroneß: der preußische Herr kann Nichts thun als mucksstill liegen. Weiß nicht, wann er dem Sarg entsteigen darf! . . . Kennet sich durchaus nicht in der Umgebung aus. Findet nimmermehr allein in der Nacht den Weg über das Flüßchen zu dem Weidenbusch, hinter dem ich mit dem Wagen halte. Ich kann nicht von den Pferden fort. Die Rheinboth'schen aber müssen ohne Säumen ledig aus der Kapelle den Weg zurück, den sie mit dem Sarg gekommen. Sonst schöpfen die Wälschen auf der Wache im Stiftshaus gleich Verdacht! . . .«

»Das begreift sich!« nickte ich eifrig.

»Es muß also ein Vertrauter von außen sich über den Kirchhof in die Leichenkammer schleichen . . .«

»Ohne einigen Zweifel!« flog ich dem Amtmann bei.

»Nun halten Baroneß zu Gnaden: Wer soll das sein?«

»Ei: Ich!« sprach ich verwundert.

Die guten Augen des Herrn Külps musterten mich wehmüthig vom Kopf zur Sohle ab. Er lächelte traurig.

»Die Baronesse sind an Freundschaftstempel und Nymphengrotten und Urnensäulen mit Epheu gewohnt« sprach er. »Nicht an Grabsteine und Wind und Töne, allein, auf dem Friedhof zur Mitternacht!«

»Schnell – Külps! Wir wollen uns sputen!«

Er hielt mich am Arm fest: »Die Kapelle ist voll Leichen. In dem Marseille'schen Regiment, das heute durchkam, tobt ein Nervenfieber aus Afrika. Es liegen wohl ein halbes Dutzend Todte auf Stroh. Man muß über sie wegtreten, um zu dem Sarg zu gelangen . . .«

»Setzen Sie Ihren Hut auf, Külps! Sie könnten sich auf der Treppe erkälten!«

»Der Sarg ist geschlossen! Sonst sähe ja die Wache beim Vorbeitragen, wer darin liegt! Man muß herantreten und leise rufen! Dann öffnet sich langsam von innen der Deckel . . .«

»Ich helfe von außen nach . . . Oh . . . ich hab' Kräfte . . . Rasch . . . Külps . . .«

»Aber, Baroneß . . . dieses sind doch nicht Sie!« Der alte Mann rang fassungslos die Hände. »Sie, die Sie, in einem weißen Gewand, mit Sandalen an den Füßen und einem Blumenkranz im Haar, im Gemach auf und nieder wandelten und Ihren Gästen die neuesten Poeme aus Weimar deklamierten . . .«

»Es hat Alles seine schickliche Zeit, Vater Külps!«

». . . wie Sie thränend, vor meinen Augen, am Spinett Trauer-Akkorde griffen und sangen, als zwei Lämmchen zu Osterbraten die Hälse durchgeschnitten wurden . . .«

». . . und es wächst Alles aus der Zeit und nimmt uns mit empor . . .«

». . . Sie – die Sie mir unsere schönen Rübenfelder einen schnöden Anblick für höhere Gemüther – und unsern herrlichen neuen Schweinestall eine Verirrung der menschlichen Vernunft nannten – oh – ich habe die kränkenden Worte nicht vergessen – Sie, Baronesse – armes, unerfahrenes, verwöhntes Kind – Sie wollen sich jetzt mutterseelenallein an diese wirklichen Orte des Schreckens wagen?«

Ich faßte den getreuen Warner stürmisch an seinen beiden Schultern. Ich lachte ihm ins Gesicht: »Alter – Alter – Alter . . . hast du denn nie geliebt?«

Ein Sonnenschein über den Runzeln dort: »Wie ich jung war – schon!«

»Wie fragst du also noch, was selbstverständlich ist?« Komm! Komm! . . . Nun zeige, Liebe, daß du allmächtig bist . . .«

* * *

Nun zeige, Liebe, daß du allmächtig bist . . .

Winkt nur, Ihr Leichensteine, im Geisterschein des Monds! Louisabeth schreitet aufrecht zwischen Euch hindurch! Verfange dich nur, mein Mantel, rücklings an einem Grabkreuz, als hielte eine Knochenhand meinen Saum und wollte mich zu sich in die Erde raffen! . . . Die Liebende entsetzt sich nicht! Raschele nur, Nachtwind, mit Gespensterlauten in Laub und Epheu! . . . Mein Ohr ahnt da drinnen das Athmen des Freundes . . .

Zu dir . . . zu dir . . . Lasse dein rauhes Holz küssen, du Pförtchen – du bist entriegelt – du öffnest dich, leise wimmernd, meinem Druck . . . Huh . . . Grabeskälte . . . Ungewisser Schein der Laterne von der Decke . . . Was verzerrt Ihr die wachsgelben Gesichter, Ihr Schläfer auf der Strohschütte, daß die weißen Zähne und Augäpfel Louisabeth feindselig zublinken? Was habt Ihr die Glieder unordentlich verrenkt, die geballten Fäuste erhoben –, als wollet Ihr mir drohen, nach mir schlagen, weil ich über Euch wegschreiten muß? Zürnet mir nicht, Ihr Menschenbilder von gestern. Ihr Opfer des Korsen, wenn mein Rock im Wehen Eure fahlen, starren Züge streift . . . Ich muß doch zu ihm . . . zu ihm . . .

Zwei Fingerknöchel hüpfen an dem Holz des Sargs. Finster, still steht er, inmitten der Todtenkammer, unter der Ampel. Noch strömt er würzig aus seinen weißen Fichten-Fasern den Geruch des Waldes. Poch . . . poch . . . unheimlich zu mir, der auf den Steinplatten Knieenden, der Widerhall von den beschatteten Wänden! Doch innen im Sarg – regt sich da Nichts? Das Herz steht still: Liegt am Ende doch er darin – der Senateur – öffnet er gar, durch Teufelsblendung lebendig geworden – den Deckel und richtet sich grauenhaft auf – nein – sei stark, liebendes Herz . . . hilf meiner Hand . . . So . . . so . . . der schwere Deckel lüftet sich . . . Es schiebt Etwas von innen nach . . . oh . . . umjubelt mich, Ihr Engelschaaren . . . zur strahlenden Mittagssonne wird das Todtenlämplein über mir – denn es erhellt die lebenden Züge des Theuren! Die Leichenkammer wandelt sich zum blühenden Paradies! Denn der Geliebte entsteigt seiner hölzernen Gruft! Balsamisch mild fächelt die Grabesluft, freundlich lachen die Todten! Denn ich führe den Freund hinaus – in das Glitzern der Sterne – den weiten Wind – die allerbarmende Nacht – in die Freiheit . . .

In einem flatternden weißen Leichenlaken schreitet er barhaupt, langsam, hochaufgerichtet über die Grabhügel. Ich hinter ihm. Umher schweigt die Mitternacht. Ferne einmal der trompetende Ruf eines spanischen Maulthiers. Der Hunde Gekläff und Gemurr. Der Raum zwischen dem Friedhof und dem Flüßchen ist öde und leer. Nein – um Gotteswillen: Menschenzungen! . . . Italiänische Laute . . . cosa è? – Oh – ich kenne die Sprache des göttlichen Dante . . . Es ist die abgelöste Wache . . . Drei Mann . . . sie kommen vorbei . . . Sie müssen das weiße Mitternachsgespenst auf dem Kirchhof sehen, hinter dem ich mich verborgen duckte . . . Es sind kleine, braune Kerle . . . Neapolitaner . . . Gottlob: Es sind Neapolitaner! . . . Sie werden ganz still . . . sie laufen schnell, auf den Fußspitzen –, mit abgewendeten Gesichtern, an dem weißen Schatten zwischen den Todtenkreuzen vorbei . . . sie glauben noch an Gespenster . . .

Nun rasch – das Flüßchen rauscht – der schmale Holzsteg wankt . . . die Weiden am Ufer winken . . . ungeduldig schnauben und scharren da zwei Pferde, ich bringe ihn – Vater Külps – ich bringe ihn! . . . Hinein in den Wagen – Fort – auf Waldwegen, die die Große Armee nicht zieht – Fort vor den Franzosen und ihrem Kaiser – nach Osten – in ferne Lande, wo uns keine Tyrannei mehr dräut . . .

* * *

Du Dorfkirche – im entlegenen Ostpreußen – wo uns, Flüchtlinge auf der eiligen Durchreise, der würdige Pfarrer, der Vater meines Helden, traute . . . du Morgen an der Bernsteinküste – vor dem finstern Krug Nimmersatt am Meer – am äußersten Ende preußischen Reiches. Auf struppigen Gäulchen, in Pelzmützen, mit langen Lanzen drüben im Tagesgrauen, vor dem kurischen Markt Polangen, die Kosacken des Zaren. Wir waren gerettet. Feierlich, ein ungeheures Flammenmeer, hob sich vor uns die Sonne und wies der Welt den nahen Brand von Moskau, das kommende Wunder des Ostens.

Wir – er und ich – sahen in den russischen Eiswüsten, bei dem Heer des Zaren, in dem mein Mann stritt, den fernen Feuerschein Moskau's über dem ganzen Himmel. ›Er hat uns erlöst!‹ klangen die Glocken. Wir sahen die Beresina – das nasse Grab der Großen Armee – und ahnten das Ende des wälschen Despoten. Da nahm er, mein Tapferer, meine Hand und gestand: Du hast wohlgethan, als du mir damals das Ziel auf den Korsen verdecktest! Nicht Menschenhand – ein Höherer wird ihn stürzen – durch unsere Kraft, wenn wir innerlich würdig geworden sind, frei zu sein!

Die Kriege der Freiheit hat mein Mann durchgekämpft. Von der letzten Gottesschlacht bei Waterloo oder zum Schönen Bunde kehrte er glorreich heim. Nun blühet uns Beiden und dem kleinen Fridericus auf meinem Schoß ein deutscher Frieden in dem grünen Thüringer Wald auf unserm Schlosse Reuterswiese. Oh – wer mißt den Rausch dieser Seligkeit, in der unsere liebenden Herzen sich ineinander erfüllen, eines in dem anderen verschwindet und Beide desto reicher schlagen? Oh mögen doch unserem deutschen Vaterland überall gleiche glückliche Umstände beschieden sein und Nord und Süd, wie Mann und Weib, sich vermählen! Und möge es mir der verblichene und doch unsterbliche Herr von Schiller aus dem Elysium herab nicht verargen, wenn ich ihn hier, zum Schlusse, mit veränderten Worten anziehe: Doch Schöneres find' ich nicht, solang ich wähle – als in dem Preußengeist die deutsche Seele . . .

 


 


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