Theodor Storm
Ein Fest auf Haderslevhuus
Theodor Storm

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

An demselben Abend, nur etwas früher, saß zu Haderslevhuus die alte Base in ihrem stillen Gemache; an einer Wand stand das schmale Bettchen Dagmars, an einer andern das der Dame mit dem großen Himmeldach; daneben hing ein Gefäß mit Weihwasser, darüber die geschnitzte Mutter Gottes; in einer Wandnische lagen handschriftliche Dichterwerke, an denen sie sich einstmals in der Jugend die Wangen heiß gelesen hatte. Sie selber saß an einem Tischchen vor dem Fenster mit den Butzenscheiben, durch das der Abendschein hereinfiel; ihr gegenüber Dagmar, und beide mit einer heiligen Arbeit in den Händen; denn bei der letzten Firmelung hatte der Bischof dem Reliquienschrank der Kirche zu Haderslev eine Anzahl Schädelknochen der zehntausend Jungfrauen zum Geschenk gemacht, und die Alte wie die Junge waren jetzt damit beschäftigt, sie mit rotem und weißem Samt und mit Goldstickereien zu überziehen.

Es war ganz still im Gemach; nur das Sticheln der Nadeln wurde hörbar und das eintönige Geräusch eines Dompfaffen, der in seinem Bauer innerhalb des Fensters unaufhaltsam auf und nieder hüpfte. Das junge Kind führte heute ihre Nadel nicht mit gewohnter Sicherheit, und die Blättchen hingen oft nicht richtig an den goldenen Ranken; sie schaute nach jedem zehnten Stiche hastig durch das Fenster, das nach Osten lag, aber der Mond war noch nicht da. Ihr Atem wurde kürzer; in ihrem Innern war heute eine fremde Kraft, die ihr die Nadel aus der Richte stieß.

Endlich legte sie Alte ihr besticktes Schädelstückchen auf den Tisch. »Fertig!« sagte sie. »Guck her, Dagmar! Ob wohl dieser Kopf im Leben solchen Schmuck getragen hat?«

Das Kind hatte nicht gehört: der Mond war eben über den Bäumen aufgegangen.

»Dagmar!« rief die Base. »Was ist dir? Du glühest ja wie Purpur!«

Mit verschleierten Augen sah das Mädchen auf die Alte. »Du hast wohl in deinen Truhen gekramt, Bas'«, erwiderte sie; »es ist so schwüler Duft hier; es hemmet mir die Luft!«

Aber die Alte hatte ihr die Stickerei aus der Hand genommen und wiegte jetzt den Kopf, indem sie sorglich darauf hinsah. »Ei, ja, Dagmarlein«, sagte sie, »du hast noch eine Kinderhand; aber doch nicht allemal so sehr! Ich sagt's dir schon: was wollten deine Finger bei dem Totenbein! Schelle nach der Grete, daß sie die Kerze bringt; der Tag ist aus, und der da draußen« – sie zeigte mit ihrem mageren Finger nach dem Mond –, »der leuchtet nur Verliebten, aber nicht Kindern und alten Frauen!«

Ein heißes Rot schoß über das jung Antlitz; aber die Alte gewahrte es nicht. »So schelle doch, Kind!« wiederholte sie; »du kannst dann deinen Silbergürtel weitersticken! Ist der erst fertig zu dem weißen Seidenkleide, da wirst du aussehen wie die heidnische Diana; es fehlt nur noch der Silbermond an deiner Stirn!«

Sie bog sich über den Tisch und streichelte die zarten Mädchenwangen. »Wart nur ein Jährlein, Dagmar! Da nimmt dein Vater dich mit hinaus, nach Wordingborg, nach Kopenhagen! Da kommen die jungen Erdensöhne und werden um einen Blick der keuschen Göttin werben; auch einer, wohl so schön als wie der junge Ritter Lembeck, der letzthin auf Dorning eingezogen ist?«

»Auf Dorning?« frug Dagmar achtlos. »Der Ritter Claus ist ja schon alt!«

»Ei Kind! Sein Sohn, sein ältester! Und mit einem schönen, stolzen Weibe; gar einer Schauenburgerin!«

»So? Einer Schauenburgerin?«

»Ei freilich; aber doch nur einer Witib – ein Pfirsich, dran schon ein andrer seine Lippen setzte!«

»Pfui, Bas'! Aber ich kenne sie ja gar nicht; was kümmern mich die fremden Menschen!«

Dagmar war schon mit der Schelle an die Tür gegangen, kehrte aber zurück, ohne sie geöffnet zu haben. »Nein, Bas'«, sagte sie mühsam; »mir ist das Herz bedrückt; ich muß hinaus, in die Luft!«

»Ei, Kind, es wird ja Nacht, und du weißt, der alte Joseph sagt, die Unholden schauen dann aus dem Boden!«

»Nur in den Garten, Base; da gibt es keine!«

Die Alte wurde unruhig; sie rückte an dem Kinntuch, das sie über ihr schwarzes Käppchen gebunden hatte. »Du weißt, sieh mich nur an!« sagte sie; »das dumme Kopfreißen; ich darf nicht in die Abendluft! Wenn dich was ankäme! Dein Vater ist in Wordingborg!«

»O Bas', ich nehme Heudan, die Dogge, mit!« rief Dagmar beklommen; »sie war auch gestern abend bei mir!«

Die Alte nickte: »Ja, ja, Dagmar, die Dogge, ja, das geht! Du zogst ihr neulich auch den Dorn aus ihrer Tatze, wie Androklus dem Löwen! Du kennst doch die Geschichte?«

Sie sah sich um; aber da war Dagmar schon hinausgeschlüpft, und die Glocke stand wieder auf dem Tische. »Ei ja«, sagte die Alte seufzend, »da läuft sie mit dem Hunde in die Nacht hinaus, und ich kann hier im Mondschein meine lieben Schatten zu mir laden; wir brauchen keine Lichter!«

Der Nachtschein fiel durch die kleinen Scheiben; und mitten im Gemache saß die alte Dame und sah mit geisterhaften Augen in die Dämmerung: nur mitunter eine leise Handbewegung, als sei es ein Willkommen.

– – Dagmar aber war hochaufatmend die Treppen hinabgeflogen; unten in dem großen Flur erhob sich die Dogge und sprang freudig ihr entgegen. »Heudan, mein Hund, komm, komm mit mir!« rief sie ängstlich, und das Tier drängte sich an die schmächtige Gestalt, daß sie dem Ungestüm kaum wehren konnte.

Sie schritten aus einem hinteren Tore durch einen weiten Hof, an dessen Ende ein Gelaß zur Absonderung bissiger oder neuer Hunde war; und Heudan sah verwundert zu dem Mädchen auf, als sie dort eingetreten waren. Dagmar aber schlug das Herz bis in den Hals hinauf, da sie eine der ledig hängenden Ketten faßte und das Halsband des Tieres daran befestigte. Es war nur Liebes von der jungen Hand gewohnt und leckte mit der roten Zunge nach ihr hin; da schlug sie die Arme um seinen rauhen Nacken: »O Heudan, ich bin treulos, aber – du, du bellst auch gar zu schreckbar!« Und eilig lief sie hinaus und schob den Riegel vor; dann ging sie durch eine Pforte in den Garten, durch Lindengänge und zwischen düsteren Taxusbüschen; da kam vom Hof ein Winseln, und einen Augenblick stand ihr der Atem still; aber sie drückte beide Hände vor die Ohren, und als sie auf den Platz hinaustrat, wo die Würzebeete waren und wo das volle Mondlicht ihr entgegenquoll, da hörte sie nur noch die Nachtigall, die drüben am Waldesrande schlug. Der Atem ging heftig durch ihre offenen Lippen; sie setzte sich auf die Bank und blickte vor sich auf den Wipfel der hohen Pappel, deren Blätter im Nachthauch sich bewegten. Doch aus den beklommenen Atemzügen wurden Worte: »Was wolltest du hier, Dagmar?« sprach sie leise. »Die Nachtigall?« – Sie horchte eine Weile, und der Vogel sang, als müsse er einen Preis ersingen – aber Dagmar schüttelte das Köpfchen, und ihre Lippen flüsterten, indem sie die Hände vor die Augen schlug: »O heilige Jungfrau, wenn du mir hold sein wolltest!«

Da rauschten neben ihr die dichten Pappelzweige; und ehe sie es fassen konnte, schwang ein Mann sich auf die Mauer und hinab in den Garten. Ein Schrei rang sich aus ihrem Munde, aber sie erstickte ihn; denn schon lag er ihr zu Füßen, jung und schön, und sah mit flehenden Augen zu ihr auf: »Seid milde, Fräulein! Oh, wie hold seid Ihr! Ich sah noch nimmer Euresgleichen!«

Sie sagte nichts; mit kindisch weit geöffneten Augen blickte sie ihn an, erschreckt und doch entzückt, als wollte sie die Worte ihm von den Lippen lesen. Doch das Winseln der Dogge scholl vom Hof herüber durch die Büsche, und des Ritters Hand fuhr jäh nach einem Jagdstahl, der an seinem Gürtel hing.

Aber sie schüttelte nur leise mit dem Köpfchen, da ließ er die halb gezogene Waffe wieder fallen. »Wer seid Ihr?« frug er. »Wollet Ihr mir's sagen?«

Und sie antwortete: »Ich bin Dagmar, des Hauses Tochter; und wer seid Ihr?«

Er erschrak und wollte schon eine Mär erzählen, wie er zu andern Zeiten wohl getan; doch da er in dieses Kinderantlitz blickte, so konnte er es nicht; er sagte nur: »Ich, süße Fraue, bin ein selig unseliger Mann, seitdem ich Euch gesehen habe!«

»Aber, Herre, das ist nicht rechte Antwort!«

Da hob er die Hände bittend zu ihr auf: »Verlanget nicht Weiteres; es wäre auf Nimmerwiederkehr!«

»So redet nicht!« rief sie hastig; aber ein Zug der Angst flog dennoch über das zarte Antlitz, und sie setzte bei: »Nur, um der Gottesmutter Leiden, schweigt nicht zu lang; es täte mir weg!« Und wie durch körperlichen Schmerz getrieben, drückte sie die Hand auf ihre linke Brust. Da er sorgenvoll mit den Augen folgte, sprach sie: »Ihr wisset, das große Sterben, als das ins Land kam... aber« – unterbrach sie sich – »wo waret Ihr denn damals?«

»In Paris«, sagte er leise, als wolle er den Laut ihrer Stimme nicht verlieren; »in Prag dann später, auch dort am Königshof.«

Sie sah ihm in sein schönes Antlitz, auf den gestickten Samtrock und wie die goldenen Knöpfe im Mondlicht blitzten. »So wisset Ihr nichts von uns – o herzliebe Mutter! Süße Schwester Heilwig!« rief sie; »o meine Brüder – alle sind gestorben!« Plötzlich ergriff sie seine Hand: »Kommt!« rief sie und zog ihn mit sich auf eine kleine Höhe, von wo man seitwärts bei dem Walde in das flache Land hinaussehen konnte. Er glaubte eine Niederung zu gewahren und einzelne Pfähle, durch dunstigen Nebel schimmernd, der dort umzog. »Dort!« sprach sie kaum hörbar und zeigte mit ausgestreckter Hand dahin.

Er schwieg: er wußte, das sei der Pestacker, wohin sie gewiesen hatten. – Ein Nachthauch kam und hob ihr dunkles Haar ein wenig von dem schmalen Antlitz und wehte das Gewand um ihren zarten Körper; ihm war auf einmal, als sei auch sie unhaltbar auf der Erde. »Wenn dort Eures Blutes einer ruht, so gönnet ihm die Ruhe!« sprach er zitternd.

Doch sie streckte die Arme aus und rief! »Mein Vater! Mein armer Vater! Wir werden nimmermehr vom Tode geheilet!«

»Das klang hart von Euren jungen Lippen«, sprach der Mann.

Da wandte sie ihr Haupt und sah den Schmerz in seinen Augen. »Ich wollte Euch nicht Leid tun!« sprach sie bittend; »nur sagen: von all dem Sterben habe auch ich mein Teil behalten!« – Und sie faßte wieder mit der Hand nach ihrem Herzen. »Des Königs Arzt, der spanische Jude, ich hörte ihn einst zur Base sagen, es sei zu groß, ich könnte einmal so hingehen; starkes Leid und Freude könnte ich nicht ertragen. Und die gute Bas', will sie mir liebtun, so sagt sie, ich hätte weiße Rosen auf den Wangen!«

Sie schwieg, und er antwortete ihr nicht; aber sie sahen sich in die Augen, und drunten aus der Tiefe schlug die Nachtigall. »Frühling!« sprach er leise und öffnete die Arme ihr entgegen. Da lag sie an seiner Brust, die Augen geschlossen, die Hände um seinen Hals gestrickt; und für die Worte, welche ihnen fehlten, sang die Nachtigall, als müsse ihr die Brust zerspringen – und nun ein Ton, lang ausatmend, ohne Ende. »Sie stirbt!« rief Dagmar, warf das Haupt zurück und schaute in des Mannes Augen. »Oh, kann man auch vor Liebe sterben?« – Er aber, in dem Törichttun der Minne, hob ihre leichte Last gegen den Silberschein des Mondes und küßte ihre Wangen: »O meine weißen Rosen! O heilige Jungfrau, beschütze mir mein ganz unfaßlich Glück!«

Da scholl vom Schlosse her das Klirren einer Pforte, und sie wandte sich jäh aus seinen Armen. »Scheiden!« rief sie schmerzlich; dann nahm sie seine Hand, doch nur für eines Atemzuges Dauer. »Nein, fort! – fort!« rief sie in Schrecken. »Oh, vergiß nicht mein; ich müßte sterben!«

Sie fühlte einen heißen Kuß auf ihrem Mund; dann rauschte es in den Pappelzweigen, und sie war allein. Sie stand, als wäre sie nicht lebend; ihre Wangen waren blaß, von ihren Lippen aber schimmerte es rot: das war die Minne, die dort des andern Paares harrte. »O Herzliebe, o sehnende Not!« seufzte das Kind und sank auf ihren Sitz. »Und wie heißt er denn nun? – Er? Er?« Und lächelnd antwortete sie sich: »Das weiß ich nicht – o heilige Jungfrau!«

Da kamen Schritte näher, und aus den Büschen sprach ein altes Stimmchen: »Nein, nicht dorthin; hier Grete, hier bei dem Taxus! O heilige Mutter Gottes!« Und die BASE IN IHREM Marderpelz, den Kopf mit einem dicken Tuch vermummt, trat mit der alten Grete in den Mondschein hinaus. »Kind, Kind, wo bleibst du!« rief sie. »Muß deine alte Base dich suchen gehen!«

»O Bas' es ist so schön hier!«

»Und« – die Alte sah sich um – »du bist ja ganz allein; wo ist der Hund, der Heudan?«

»Der Hund?« sprach Dagmar hastig. »Ist der nicht hier?«

»Ei, Kind, das mußt du ja doch selber wissen!«

»O Bas', du hättest die Nachtigall nur hören sollen!« Und wie gerufen drang der Vogelschall von Neuem aus der Tiefe, und das Mondlicht glitzerte auf den Blättern der Hülsen und den Nadeln des Taxus; von Düften schwamm es in der Luft. Einen Augenblick stand die Alte, das Ohr geneigt: »Ja, ja; du heil'ger Gott; das wäre ein Plätzchen für die Minne hier!« sprach sie murmelnd vor sich hin. »Vor Zeiten; ach, vor langen Zeiten!« Dann aber trieb sie zu rascher Rückkehr in das Haus, denn ein Abendwind hob sich und rauschte durch die Wipfel der Bäume.

Dagmar ging mit unhörbaren Schritten, da sie dem Gelaß vorbeikamen, worin sie Heudan, die Dogge, eingesperrt hatte. »Morgen, mein Hund«, sprach sie leise gegen die verriegelte Tür; »ich hol dich früh!« Aber der Hund schien zu schlafen; es blieb alles still.

Und bald lag sie in dem schmalen Bettchen in der Kemenate der Base; aus dem großen Himmelbette scholl das gleichmäßige Atmen einer ruhig Schlafenden; von dem jungfräulichen Lager hob sich in dem zweifelhaften Mondlicht noch ein blasses Köpfchen, das schwarze Haar in ein weißes Seidennetz gehüllt. »O Mutter der Gnaden«, flüsterte das Kind, »ich habe sie beide belogen, Heudan erst, den Hund, und dann die gute Base! Ach, Heilige, aber wenn man erst so alt ist! Sie verständen das doch beide nicht!« Dann legte sie die Hände über die junge Brust, und sanft wie eine Wolke kam der Schlaf.

– Rolf Lembeck wanderte indessen mit langsamen Schritten heimwärts; er wußte wohl, auf Dorning erwartete ihn auch ein schönes Weib, und sie war sein mit allen ihren Wonnen; aber ihn überfiel es, als fürchte er die starken Weiberarme, und ging den Weg hinab wie in ein Tal des Todes.

 


 << zurück weiter >>