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Erste Abteilung.

Der Schiffbruch.

Erstes Kapitel.

Ich befand mich auf der Reise von San Franzisko nach Yokohama, als ich mit Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine, wenn auch zunächst nur sehr oberflächlich, bekannt wurde. Der Dampfer, der uns in mäßig rascher Fahrt dem Lande des sagenumwobenen Fächers und der lackierten Schachteln zutrug, war mit Reisenden, meist Amerikanern, gut besetzt, und unter diesen lenkten vom ersten Tage an zwei Frauen mittleren Alters, die durchaus keine Aehnlichkeit mit gewöhnlichen Reisenden hatten, meine Aufmerksamkeit auf sich. Beim ersten Anblick konnte man sie wohl für Farmersfrauen halten, die aus irgend einer ungewöhnlichen Veranlassung eine Fahrt über den Stillen Ocean unternahmen; bei schärferer Beobachtung drängte sich einem indes die Vermutung auf, daß man es mit Familiengliedern wohlhabender Geschäftsleute aus irgend einer kleinen Landstadt zu thun habe, die Gelegenheit bot, außer mit den Künsten einer ländlichen Haushaltung auch noch in gewissem Grade mit der Art und Weise der Welt bekannt zu werden. Sie gehörten anscheinend nicht zu den Kreisen, die gewohnt sind, erster Kajüte zu fahren, und doch war die von Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine benutzte Kabine eine der besten des ganzen Schiffes. Obgleich sie ziemlich für sich lebten und kein Verlangen nach Verkehr mit den andern Reisenden oder den Wunsch, von ihnen bemerkt zu werden, an den Tag legten, ging doch aus ihrem Benehmen hervor, daß sie sich für ebensogut als irgend jemand sonst an Bord hielten und sich des Rechts bewußt waren, in jeder ihnen zusagenden Weise nach jedem beliebigen Orte der Welt zu reisen.

Mrs. Lecks war ziemlich groß, etwas eckig und muskulös, und in ihrem gebräunten Gesicht trat das Bewußtsein der Ueberlegenheit zu Tage, das allmählich in denen emporwächst, die gewohnt sind, die Geschicke eines Staates oder die mannigfachen Angelegenheiten eines großen Landhaushaltes selbständig zu leiten. Mrs. Aleshine war etwas jünger als ihre Freundin, etwas kleiner und sehr viel dicker. Auch in ihr kam dasselbe Bewußtsein persönlicher Tüchtigkeit zum Ausdruck, das Mrs. Lecks kennzeichnete; daneben aber war eine gewisse Herzensgüte bemerkbar, die ahnen ließ, daß sie weitgehende Nachsicht für solche besitze, die nie Gelegenheit hatten oder denen die natürlichen Anlagen fehlten, so durch und durch tüchtige Hausfrauen zu werden, als sie selbst eine war.

Diese beiden würdigen Damen verbrachten den größten Teil ihrer Zeit an Deck, wo sie stets zusammen an einer Stelle im Stern des Schiffes saßen, die guten Schutz gegen Wind und Wetter bot. Dabei beschäftigten sie sich stets mit ihren Strickzeugen, allein, wie ich beobachtete, wenn ich bei meinen Wanderungen an Deck bei ihnen vorbeikam, hinderte sie diese Arbeit keineswegs, eine unausgesetzte Unterhaltung zu führen. Eine Frage, die Mrs. Lecks über ein in der Ferne sichtbares Segel an mich richtete, bahnte unsre Bekanntschaft an. Es befand sich sonst niemand an Bord, an dessen Gesellschaft mir etwas gelegen gewesen wäre, und da das Wesen dieser beiden ländlichen Damen etwas eigentümlich Anziehendes hatte, war ich ganz froh, durch eine gelegentliche Plauderei mit ihnen etwas Abwechslung in meine einsamen Spaziergänge auf dem Verdeck bringen zu können. Ueber ihre persönlichen Verhältnisse waren sie durchaus nicht zurückhaltend. Beide waren Witwen, und Mrs. Aleshine reiste nach Japan, um einen Sohn zu besuchen, der in einem dortigen Handelshaus angestellt war. Mrs. Lecks dagegen hatte keine Kinder. Sie begleitete ihre Freundin, weil sie, wie sie sagte, nicht zugeben wolle, daß Mrs. Aleshine eine solche Reise allein unternehme, und weil sie nicht einsehe, weshalb sie die Welt nicht ebensogut als andre Leute kennen lernen solle. Ihre Mittel erlaubten's ihr ja.

Die beiden Freundinnen waren nicht eigentlich gebildete Damen. Sie machten beim Sprechen häufig grammatikalische Fehler, und in Aussprache und Ausdrücken kamen viele Provinzialismen zum Vorschein. Sie hatten zwar viele ihrer ländlichen Vorstellungen mit aufs Meer gebracht, allein sie besaßen ein gut Teil jenes gesunden Verstandes, der überall von Nutzen ist, und sie machten davon häufig in einer Weise Gebrauch, die für mich höchst belustigend war. Auch glaube ich, daß sie in mir eine große Fundgrube an Kenntnissen über nautische Angelegenheiten, fremde Länder und meine eigenen Angelegenheiten fanden, deren Ausbeutung uns zu sehr guten Schiffsgenossen machte.

Unser Dampfer lief die Sandwichinseln an, und es war etwas mehr als zwei Tage nach unsrer Abfahrt von Honolulu, als wir eines Abends gegen neun Uhr das Mißgeschick hatten, mit einem nach Osten fahrenden Schiff zusammenzustoßen. Die Schuld lag gänzlich am andern Schiffe, dessen Ausguck trotz der dunklen und nebeligen Nacht unsre Lichter rechtzeitig hätte sehen können, um einen Zusammenstoß zu vermeiden, wenn er nicht geschlafen oder seinen Posten verlassen hätte. Sei dem, wie ihm wolle, das fremde Schiff, anscheinend ein kleiner Dampfer, traf das unsre mit großer Gewalt in der Nähe des Bugs, fuhr dann etwas zurück und verschwand im Nebel, und wir haben nie wieder etwas von ihm gehört oder gesehen. Die allgemeine Ansicht war, daß es, viel schwerer beschädigt als das unsrige, wahrscheinlich bald nach dem Zusammenstoß gesunken sei, denn als etwa eine Stunde später sich der Nebel verzog, war von seinen Lichtern nichts mehr zu sehen.

Wie das bei Unfällen auf der See so häufig der Fall ist, wurde die unsrem Schiff zugefügte Beschädigung anfänglich für leicht gehalten, allein es stellte sich sehr bald heraus, daß sie sehr schwer, ja verderblich war. Der Rumpf unsres Dampfers war am Backbordbug eingedrückt worden, und das Wasser drang in beunruhigender Weise ein. Beinahe zwei Stunden arbeiteten die Mannschaft und ein großer Teil der Reisenden an den Pumpen, und es wurde alles Mögliche versucht, den ungeheuren Leck zu verstopfen, aber alle Anstrengungen, das Schiff zu retten, stellten sich bald als vergeblich heraus, und kurz vor Mitternacht verkündete der Kapitän, daß es unmöglich sei, den Dampfer schwimmend zu erhalten, und daß nichts übrig bleibe, als von den Booten Gebrauch zu machen. Die Nacht war jetzt klar, die Sterne funkelten, und da wenig Wind ging, war die See verhältnismäßig ruhig. Der Kapitän versicherte uns, daß unter so günstigen Umständen keine Gefahr zu befürchten sei. Er meinte, daß wir gegen Mittag des nächsten Tages eine kleine bewohnte Insel erreichen könnten, wo wir Schutz und Zuflucht finden würden, bis uns ein vorübersegelndes Schiff aufnehmen könne.

Es war Zeit genug vorhanden, alle erforderlichen Vorbereitungen zu treffen, und es herrschte dabei Ordnung und Gehorsam. Einige Damen unter den Kajütspassagieren waren zwar sehr ängstlich und zeigten Neigung, hysterisch zu werden. Auch unter den Herren gab es bleiche Wangen. Aber jedermann gehorchte den Befehlen des Kapitäns, und alle machten sich zum Besteigen der Boote fertig. Der erste Offizier sagte einem jeden von uns, welchem Boote wir zugeteilt worden seien und wo wir uns an Deck versammeln sollten. Ich wurde einem großen Boote zugewiesen, das im übrigen meist mit Zwischendeckreisenden gefüllt werden sollte, und als ich aus meiner Kabine, wohin ich mich begeben hatte, um mein Geld und meine Wertsachen zu holen, wieder hinaufstieg, begegnete mir Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine auf der Treppe. Sie waren enttäuscht, als sie vernahmen, daß ich nicht mit ihnen in demselben Boote fahren würde, eilten jedoch hinunter, während ich an Deck stieg. Dort kam nach etwa zehn Minuten Mrs. Lecks zu mir, die mich augenscheinlich gesucht hatte. Sie sagte mir, sie habe mir etwas Besonderes mitzuteilen, und führte mich nach dem Stern des Schiffes, wo wir Mrs. Aleshine fanden.

»Sehn Sie 'mal da,« sagte Mrs. Lecks, mich an die Brüstung ziehend und nach unten weisend. »Sehn Sie das Boot da? Es is hinabgelassen und es is niemand drin. Das Boot an der andern Seite is eben voll bis zum Rande abgegangen. Ich habe noch nie so viele Menschen in einem Boote zusammengedrängt gesehen. Die andern werden wohl ebenso voll gepackt werden. Ich sehe darum gar nicht ein, weshalb wir nicht dies leere Boot nehmen sollen, da sich die Gelegenheit bietet, statt uns in die überfüllten zwängen zu lassen. Wenn nachher noch andre Leute kommen, dann haben wir wenigstens als erste das Recht, unsre Plätze zu wählen, un das is in solchen Zeiten was wert.«

»So is es,« entgegnete Mrs. Aleshine, »un ich un Mrs. Lecks, wir wären ohne weiteres eingestiegen, als wir sahen, daß das Boot leer war, wenn wir uns nicht ohne Mann gefürchtet hätten, denn es hätte fortschwimmen können, un von uns beiden versteht keine was vom Rudern. Un da dachte Mrs. Lecks an Sie un meinte, ein junger Mann, der soviel von der See versteht, werde wohl auch rudern können.«

»O ja,« versetzte ich, »aber ich kann gar nicht begreifen, weshalb dies Boot unbesetzt geblieben ist. Ich sehe ein Wasserfäßchen und die Ruder und einige Blechdosen darin, und glaube, es ist für jemand bereit gemacht. Wollen Sie einen Augenblick warten? Ich will 'mal nach vorn laufen und sehen, wie's dort steht.«

Ich bemerkte, daß mittschiffs und vorwärts unter den Leuten, die noch nicht in ihre Boote eingeschifft waren, einige Verwirrung herrschte, und ich fand, daß die Fahrzeuge stärker belastet werden würden, als anfangs erwartet worden war. Leute, die geglaubt hatten, in einem bestimmten Boot fahren zu sollen, fanden dort keinen Platz mehr und rannten nach andern Booten. Es ward mir dadurch klar, daß keine Zeit zu verlieren sei, wenn wir uns das Boot sichern wollten, das Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine gefunden hatten, und das wahrscheinlich für einige begünstigte Personen zurückgestellt worden war, da die Offiziere die Leute auf dem Vorderteil des Schiffes zusammenhielten und das andre Sternboot schon abgefahren war. Gründe, weshalb andre mehr begünstigt werden sollten, als die beiden Frauen und ich, konnte ich nicht als berechtigt anerkennen. Ich ging deshalb rasch wieder nach hinten und suchte Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine wieder auf.

»Wir müssen so rasch als möglich einsteigen,« sprach ich leise, »denn dies Boot kann entdeckt werden, und dann wird sich alles hineinstürzen. Ich vermute, es ist für den Kapitän und einige Offiziere zurückbehalten worden, aber wir haben ebenso viel Recht, als sie.«

»Noch mehr,« erwiderte Mrs. Lecks, »denn wir hatten mit dem Steuern un dem Zusammenstoß nichts zu thun.«

»Aber wie kommen wir hinunter?« fragte Mrs. Aleshine. »Treppe is nich.«

»Das ist wahr,« antwortete ich. »Wahrscheinlich wollen sie dies Boot nach vorwärts holen, wenn die andern gefüllt sind. Wir müssen so gut als möglich an den Tauen, woran es hängt, hinunter klettern. Ich will zuerst gehen und es so dicht wie möglich ans Schiff heranziehen.«

»Das wird 'ne kitzliche Geschichte,« meinte Mrs. Lecks, »un ich bin der Ansicht, wir warten, bis das Schiff noch 'n bißchen gesunken ist, dann kommen wir etwas näher ans Boot.«

»Warten dürfen wir nicht,« entgegnete ich, »sonst kommen wir überhaupt nicht hinein.«

»Du meine Güte!« rief Mrs. Aleshine aus. »Ich kann nicht hier stehn un kaltblütig fühlen, wie das Schiff unter mir sinkt, bis wir so weit gekommen sind, daß wir springen können.«

»Also gut,« sagte Mrs. Lecks, »dann warten wir nicht. Vor allen Dingen muß aber jedes von uns einen von diesen Rettungsgürteln anlegen. Zwei habe ich aus unsrer Kabine mitgebracht, den dritten habe ich nebenan gefunden, wo die Leute ihn auf dem Fußboden hatten liegen lassen. Ich meinte, wenn auf dem Wege nach der Insel was passierte, würden die Dinger vielleicht ganz gut sein, jetzt scheint mir's aber so, als ob wir sie hier, wenn wir an den Stricken 'runterklettern, nötiger haben als sonstwo. Ich wollte zuerst zwei selbst anziehn, um Mrs. Aleshines Fett auszugleichen, aber jetzt müssen Sie einen davon nehmen, Mr. Craig, da Sie mit zu uns gehören.«

Da ich wußte, daß Mrs. Lecks keine zwei Rettungsgürtel nötig hatte, ja daß ihr der zweite im Gegenteil sehr unbequem sein würde, nahm ich das Anerbieten unbedenklich an, weigerte mich aber, ihn eher anzulegen, als es nötig sei, da er mich in meinen Bewegungen sehr hindern würde.

»Schön,« sagte Mrs. Lecks, »wenn Sie meinen, daß Sie wohlbehalten hinunterkommen. Aber Mrs. Aleshine un ich, wir werden unsre anziehn, ehe wir diese Matrosenkletterei unternehmen. Wir wissen damit Bescheid, denn wir haben sie kurz nach der Abreise von San Franzisko anprobiert. Un jetzt, Barb'ry Aleshine, bist du auch sicher, daß du alles hast, was du brauchst, denn wenn das Schiff erst gesunken ist, kann's nicht mehr nützen, wenn dir noch was einfällt?«

»Ich wüßte nichts, was ich noch mitnehmen möchte,« entgegnete Mrs. Aleshine, »wenigstens nichts, was ich tragen könnte, un ich dächte, es wäre gut, wenn wir 'n Anfang machten, denn dein Gerede von wegen Sinken des Schiffs gibt mir ein Gefühl, als ob mir 'ne Auster im Rücken 'rauf und 'runter krabbelte.«

Mrs. Lecks blickte über die Brüstung in das Boot, in das ich schon hinabgeklettert war. »Ich will zuerst gehn, Barb'ry Aleshine,« sagte sie dabei, »und dir zeigen, wie man's macht.«

Die See war ruhig, und der Dampfer war schon so tief gesunken, daß Mrs. Lecks Stimme mir schrecklich nahe vorkam, obgleich sie leise sprach.

»Nu paß auf,« sagte sie zu ihrer Gefährtin. »Ich werde es gerade so machen wie er, und dann mußt du ebenso folgen.«

Bei diesen Worten trat sie auf eine an der Brüstung stehende Bank, hierauf ergriff sie, einen Fuß auf die Brüstung selbst setzend, die Taue, womit der Bug des Bootes an einem der Davits hing. Dann blickte sie hinab und zog sich wieder zurück.

»Es geht nicht,« rief sie aus. »Wir müssen warten bis das Schiff noch mehr gesunken ist, dann geht's leichter.«

Diese Bemerkung versetzte mich in einige Unruhe, denn jeden Augenblick konnte ein Gedränge nach dem Boot entstehen, oder der Dampfer ganz unerwartet sinken. Das an unsrer Seite in der Mitte des Schiffs befindliche Boot war vor einigen Minuten fortgerudert, und ich konnte in der Dunkelheit ein andres Boot nahe am Bug erkennen, das im Begriff war, abzustoßen. Zu versuchen, in ein andres Boot zu gelangen, dazu war es für uns jetzt zu spät; ja, ich hatte das Gefühl, daß ich nicht einmal mehr Zeit haben würde, dies Boot an eine andre Stelle zu rudern, wo das Einsteigen für die Frauen leichter gewesen wäre. Mich aufrichtend rief ich ihnen deshalb zu, nicht länger zu zögern.

»Ich kann Sie fassen,« sagte ich, »sobald Sie sich von der Brüstung abgestoßen haben, und werde Ihnen helfen.«

»Wenn Sie sicher sin, daß Sie uns vor dem Reinfallen bewahren können, wollen wir's versuchen,« entgegnete Mrs. Lecks; »aber mir wär's ebenso lieb, zu ertrinken, wie mit 'nem gebrochenen Bein auf 'ne Insel zu kommen. Un was Mrs. Aleshine anlangt, wenn die fällt, dann geht sie, plumps, durchs Boot auf den Grund. Also fertig! Ich komme!«

Bei diesen Worten stieß sie sich von der Brüstung ab und kam mir so nahe, daß ich sie erfassen und ihr das Einsteigen verhältnismäßig leicht machen konnte. Mit Mrs. Aleshine war die Sache viel schwieriger. Selbst als ich ihre umfangreiche Taille fest umfaßt hatte, wollte sie, aus Furcht, statt ins Boot ins Meer zu fallen, die Taue nicht fahren lassen. Allein Mrs. Lecks' Vorwürfe und mein eigenes nach unten ziehendes Gewicht lockerten ihren krampfhaften Halt, und obgleich wir beinahe über Bord fielen, gelang es mir doch, sie wohlbehalten auf eine der Querbänke zu setzen.

Nunmehr löste ich die Taue am Stern; allein ehe ich auch die am Bug abwarf, zögerte ich, denn ich wollte diejenigen, welche darauf gerechnet hatten, sich in dem Boot einzuschiffen, nicht ohne weiteres im Stiche lassen. Aber ich vernahm nichts von sich nähernden Schritten, und von meinem Platze dicht am Dampfer konnte ich auch nichts sehen. Ich stieß also ab, ergriff die Riemen und ruderte etwas von dem Schiffe fort, bis ich das Deck überblicken konnte. Da ich niemand bemerkte, rief ich, und als ich keine Antwort erhielt, wiederholte ich meinen Ruf, so laut ich konnte. Hierauf wartete ich beinahe eine Minute, da ich aber weder etwas hörte, noch sah, konnte ich überzeugt sein, daß niemand mehr auf dem Schiffe sei.

»Sie sind alle fort,« sagte ich, »und nun wollen wir ihnen so rasch als möglich folgen.«

Damit begann ich nach dem Bug des Schiffes zu rudern, in der Richtung, die die andern Boote genommen hatten.

»Ein Glück, daß Sie rudern können,« bemerkte Mrs. Lecks, während sie sich's im Stern des Bootes bequem machte, »denn was Mrs. Aleshine un ich mit den Riemen hätten anfangen sollen, das is mich schleierhaft.«

»Ich wäre nie ins Boot gekommen,« fügte Mrs. Aleshine hinzu, »wenn Mr. Craig nicht hier gewesen wäre.«

»Wahrhaftig nicht,« entgegnete Mrs. Lecks. »Du wärest mit auf den Grund gegangen un hättest ums Leben die Stricke nicht losgelassen.«

Als ich den Bug des Dampfers, der rasch zu sinken schien, umschifft hatte, sah ich in geringer Entfernung mehrere Lichter, die natürlich zu den andern Booten gehörten, und ruderte mit aller Kraft, in der Hoffnung, sie einzuholen oder wenigstens ihnen hinlänglich nahe zu bleiben. Es konnte möglicherweise meine Pflicht sein, einige Leute, die die andern Boote, vielleicht in der Voraussetzung, daß dies schon beladen und abgegangen sei, überfüllt hatten, herüberzunehmen. Wie ein solcher Irrtum entstanden sein könne, war mir allerdings unklar, ging mich aber auch nichts an. Vollständig sicher, daß niemand auf dem sinkenden Dampfer zurückgeblieben war, hatte ich weiter nichts zu thun, als den andern Booten zu folgen, um sie so bald als möglich einzuholen. Ich glaubte, das würde nicht sehr lange dauern, allein nach halbstündigem Rudern meinte Mrs. Aleshine, die Lichter seien noch ebenso weit entfernt, wenn nicht weiter, als im Anfang. Mich umsehend überzeugte ich mich, daß sie recht habe, und das überraschte mich. Mit nur zwei Personen hätte ich die schwerbeladenen Boote bald erreichen müssen, allein nach einiger Ueberlegung fiel mir ein, daß jedes davon wahrscheinlich von einem halben Dutzend kräftiger Matrosen gerudert werde, und nun erschien es mir nicht mehr so verwunderlich, daß sie ebenso rasch oder rascher vom Fleck gekommen waren, als ich.

Bald darauf bemerkte Mrs. Lecks, die Lichter der andern Boote schienen zu erlöschen; wahrscheinlich hätten die Matrosen vergessen, vor der Abfahrt ihre Laternen mit Oel zu füllen.

»So was kommt oft vor,« sagte sie, »wenn die Leute Hals über Kopf einen Ort verlassen.«

Aber als ich mich umdrehte und über das dunkle Wasser blickte, war es mir ganz klar, daß es nicht Mangel an Oel, sondern die vergrößerte Entfernung sei, was die Lichter so schwach erscheinen ließ. Ich konnte jetzt nicht mehr als drei sehen, und da die Oberfläche nur von einem schwachen Wellenschlag bewegt wurde, war auch nicht anzunehmen, daß einige durch die Wogen verdeckt würden. Wir blieben zurück, das war klar, und ich vermochte weiter nichts zu thun, als so lange und so gut wie möglich in der Richtung zu rudern, die die andern Boote eingeschlagen hatten. Ich war ans Rudern gewöhnt und hielt mich für einen guten Ruderer. In dieser Weise zurückzubleiben, hatte ich jedenfalls nicht erwartet.

»Ich glaube, dies Boot ist seit dem letzten Regen nicht ausgeschöpft worden,« sagte Mrs. Aleshine nach einiger Zeit, »denn meine Füße sind naß, obgleich ich das vorher nicht bemerkt habe.«

Bei diesen Worten zog ich die Riemen ein und fing an, das Boot zu untersuchen. Der Boden war mit beweglichen Planken bedeckt, und als ich meine Hand darauf legte, fühlte ich, wie das Wasser zwischen diesen emporquoll. Nunmehr hob ich eine der Planken auf und stellte fest, daß sechs bis acht Zoll Wasser im Boot standen.

Jetzt war mir mit einemmale die Sache so klar, als ob ich sie gedruckt vor mir gehabt hätte. Dies Boot war für seeuntüchtig befunden, seine Benutzung untersagt worden, und deshalb hatte man die Leute in den andern Booten zusammengedrängt. Dadurch erklärte sich die im letzten Augenblick entstandene Verwirrung, und natürlich wurden wir in einem der andern Boote vermutet.

Da war ich also mitten im Stillen Ocean mit zwei Frauen mittleren Alters in einem lecken Boot!

»Etwas mit dem Boden nicht in Ordnung?« fragte Mrs. Lecks.

Ich ließ die Planke an ihren Platz zurückfallen und blickte empor. Meine Begleiterinnen sahen mich gespannt an, das zeigte mir das Sternenlicht. Sie ahnten offenbar, daß irgend etwas nicht in Ordnung sei und wollten wissen, was. Ich zögerte keinen Augenblick, ihnen die Wahrheit zu sagen, denn sie schienen mir Frauen zu sein, die in einem solchen Falle zu täuschen weder ratsam noch möglich sei.

»Das Boot hat einen Leck,« sagte ich. »Es ist schon eine Masse Wasser drin, und das ist auch der Grund, weshalb wir so langsam vom Fleck gekommen sind.«

»Un deshalb is es auch leer geblieben,« fügte Mrs. Aleshine hinzu. »Das hätten wir uns wohl sagen können, daß man uns dreien allein nicht ein ganzes Boot überlassen würde, wenn die Sache nicht einen Haken hätte. Es wäre, glaube ich, viel verständiger gewesen, wenn wir versucht hätten, uns mit in eins der andern Boote zu drängen.«

»Barb'ry Aleshine,« versetzte Mrs. Lecks, »nu fang mir nur nit an zu brummen. Hier haben wir ein bequemes Boot mit Platz genug zum Sitzen, un wir können uns auch mal strecken, wenn wir wollen. Wenn's Wasser rein kommt, dann müssen wir eben davor sorgen, daß es so rasch wie möglich wieder naus geschafft wird. Das is alles, was wir zu thun haben. Wie läßt sich das am besten machen, Mr. Craig?«

»Wir müssen schöpfen, und das sofort,« antwortete ich. »Wenn ich den Leck finde, kann ich ihn vielleicht verstopfen.«

Hierauf sah ich mich nach einem zum Schöpfen tauglichen Gegenstand um, die beiden Frauen halfen mir eifrig dabei, und wir fanden einen ledernen Eimer. Da es jedoch gut war, wenn wir uns alle an die Arbeit machten, nahm ich zwei Blechdosen, die jemand in das Boot gelegt hatte, um es zu verproviantieren, und begann sie mit meinem Taschenmesser zu öffnen.

»Verlieren Sie nit, was drin is,« sagte Mrs. Lecks, »das heißt, wenn's was is, was wir essen können. Sind's Tomaten, dann werfen Sie sie ins Wasser, denn Tomaten in Blechdosen darf man nit essen.«

Ich reichte ihr rasch die Dosen und sah, daß sie eine davon in die See entleerte, während sie den Inhalt der andern auf eine aus der Tasche gezogene Zeitung schüttete und in den Stern des Boots legte. Nachdem ich sodann die Planken vom Boden aufgenommen, und über Bord geworfen hatte, fing ich an zu schöpfen.

»Ich meinte,« sagte Mrs. Aleshine, »wenn ein Boot leck würde, hätte man Pumpen.«

»Barb'ry Aleshine,« entgegnete Mrs. Lecks, »nu knie dich 'mal auf eine von den Bänken und mach dich an die Arbeit. Je weniger wir schwätzen un je mehr wir schöpfen, um so besser is es.«

Sehr bald fand ich, daß es schwierig gewesen wäre, zwei tüchtigere Helferinnen als Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine zu finden. Sie waren augenscheinlich an Arbeit gewöhnt und verstanden es, sich in die außergewöhnlichen Umstände zu schicken, in denen sie sich befanden. Wir schafften das Wasser sehr rasch heraus, und ich hielt von Zeit zu Zeit mit Schöpfen inne und versuchte, die Stelle zu finden, wo es eindrang. Da diese Versuche ohne Erfolg blieben, gab ich sie bald auf und begann mit frischem Eifer zu schöpfen, in der Hoffnung, daß ich den Leck finden würde, wenn wir das Boot ziemlich trocken kriegten.

Nach halbstündigem Schöpfen kam ich wieder zu der Ueberzeugung, daß das eine lange Arbeit kosten würde, und wenn wir uns alle gleichzeitig anstrengten, würden wir auch gleichzeitig ermüden, was verhängnisvoll werden konnte. Ich schlug deshalb vor, daß wir uns abwechselnd ausruhen, sollten, und Mrs. Aleshine wurde angewiesen, die Arbeit eine Zeitlang einzustellen. Dann kam Mrs. Lecks an die Reihe zu ruhen, und als sie wieder anfing zu arbeiten, hörte ich auf zu schöpfen und suchte wieder nach dem Leck.

Zwei Stunden lang arbeiteten wir auf diese Weise. Dann kam ich zu der Ueberzeugung, daß es nutzlos sei, uns noch länger so anzustrengen. Wenn wir alle drei schöpften, waren wir eben im stande, das Wasser auf der Höhe zu halten, wie wir es zuerst gefunden hatten. Arbeiteten aber nur zwei, dann stieg es langsam, so daß jetzt mehr Wasser vorhanden war, als bei der ersten Entdeckung. Das Boot war von Eisen, und ich konnte den Leck nicht finden, also auch nicht verstopfen. Er war wahrscheinlich durch das Verziehen des Metalls in der heißen Sonne entstanden, was, wie ich wußte, bei eisernen Booten häufig vorkommt. Das kleine Fahrzeug, das mit unversehrten, luftdichten Kammern ein Rettungsboot gewesen wäre, war jetzt wahrscheinlich vom Bug bis zum Stern leck, und beim Suchen nach dem Leck ohne den druckverteilenden Boden hatte mein Gewicht ohne Zweifel die Nähte noch weiter geöffnet, denn es war ganz augenscheinlich, daß das Wasser jetzt noch rascher eindrang, als zuvor. Wir waren sehr ermüdet, und selbst Mrs. Lecks, die uns fortwährend zugeredet hatte, an der Arbeit zu bleiben und unsern Atem nicht durch Sprechen zu verschwenden, gab jetzt zu, daß weitere Versuche, das Wasser auszuschöpfen, nutzlos seien.

Seit ich aufgehört hatte zu rudern, waren mehrere Stunden vergangen, aber ob wir während der Zeit getrieben oder an derselben Stelle geblieben waren, konnte ich natürlich nicht wissen. Es lag auch wenig daran; denn unser Boot sank langsam unter unsern Füßen, und es war ja ganz gleichgültig, an welcher Stelle wir untergingen. So setzte ich mich denn hin und zermarterte mir den Kopf, was in dieser furchtbaren Lage zu thun sei. Noch weiter zu schöpfen, war fruchtlose Arbeit, und was konnten wir sonst thun?

»Wann wird's Zeit sein, die Rettungsgürtel anzulegen?« fragte Mrs. Lecks. »Wenn das Wasser die Bänke fast erreicht hat?«

Länger als bis dahin dürften wir nicht warten, entgegnete ich, allein ich für meinen Teil konnte keinen Nutzen darin finden, sie überhaupt anzulegen. Warum sollten wir unser Leben durch einige Stunden hilflosen Umherschwimmens im Ocean zu verlängern suchen?

»Gut,« sagte Mrs. Lecks. »Ich werde das Wasser beobachten. Eine von den Blechbüchsen war mit Hummer gefüllt, der uns sehr schlecht bekommen wäre, deshalb habe ich ihn fortgeschüttet; aber in der andern waren gebackene Bohnen, und das beste wäre, wenn wir gleich etwas davon äßen. Sie sind ungeheuer nahrhaft und werden uns so gut als was andres bei Kräften halten, und dann is, wie Sie sagten, ein Fäßchen mit Wasser im Boot, davon können wir alle trinken, und dann werden wir wie neu geboren sein. Ihr müßt die Bohnen in die Hand nehmen, denn Teller oder Gabeln gibt's nicht.«

Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine hatten sich so zusammengekauert, daß das Wasser sie nicht erreichen konnte, diese im Stern, jene auf der letzten Querbank. Der Tag brach an, und wir konnten ganz gut sehen. Ehe sie die Hände ausstreckte, um ihren Anteil an den Bohnen in Empfang zu nehmen, wusch Mrs. Aleshine sie in dem im Boote stehenden Wasser, wobei sie bemerkte, wenn es einmal da sei, wolle sie's auch benützen. Nachdem sie sich die Hände am Kleide getrocknet hatte, ließ sie sie von Mrs. Lecks mit Bohnen füllen, die sie dann mir reichte. Ich war sehr hungrig, und als ich meine Bohnen verzehrt hatte, stimmte ich mit meinen Unglücksgefährtinnen überein, daß sie mit Butter, Pfeffer und Salz aufgewärmt zwar besser gewesen wären, aber auch so sehr willkommen gewesen seien. Nun wurde mir eine der leeren Blechbüchsen gereicht, und nachdem mich Mrs. Lecks ersucht hatte, sie recht sorgfältig auszuspülen, stillten mir unsern Durst mit dem Wasser aus dem Fäßchen.

»Kalte gebackene Bohnen und lauwarmes Wasser is gerade kein sogenannter Genuß,« meinte Mrs. Aleshine, »aber mancher Arme würde froh sein, wenn er sie kriegte.«

Ich konnte mir zwar keinen Armen vorstellen, der sich unter den obwaltenden Umständen über ein solches Mahl gefreut hätte, allein ich sprach das nicht aus.

»Das Wasser ist jetzt noch einen Finger vom unteren Rande der Bank,« rief jetzt Mrs. Lecks, die sich vorgebeugt und gemessen hatte, »Es ist Zeit, die Schwimmgürtel anzulegen.«

»Schön,« entgegnete Mrs. Aleshine, »reich mir meinen.«

Wir legten nunmehr unsre Rettungsgürtel an. Ich stellte mich dabei auf eine Bank und sah mich um. Es war inzwischen ganz hell geworden, und ich konnte eine weite Strecke des Meeres übersehen, das von einem leisen, in langen Wogen dahinrollenden Wellenschlag bewegt wurde. Als wir auf die Spitze einer dieser Wellen gehoben wurden, bemerkte ich gerade am Rande unsres nicht sehr ausgedehnten Gesichtskreises einen dunkeln Fleck. »Kann das der Dampfer sein?« dachte ich, »und ist er noch nicht gesunken?«

Bei diesem Gedanken stieg ein Schimmer von Hoffnung in mir empor. Daß der Dampfer so lange schwimmend blieb, hatte seinen Grund wahrscheinlich im Vorhandensein wasserdichter Abteilungen oder etwas Aehnlichem. War diese Vermutung richtig, dann sank er vielleicht überhaupt nicht weiter, und dann konnten wir gerettet werden, wenn es möglich war, ihn wieder zu erreichen. Aber wie sollten wir wieder hin gelangen? Das war leider eine schwere Frage. Ehe ich eine solche Strecke rudern konnte, würde unser Boot lange, lange gesunken sein.

Ich teilte jedoch meine Entdeckung meinen Gefährtinnen mit, worauf Mrs. Aleshine sich anschickte, auf eine Bank zu steigen, um sich selbst zu überzeugen. Allein Mrs. Lecks hielt sie zurück.

»Mach die Geschichte nit dadurch schlimmer, daß du über Bord fällst, Barb'ry Aleshine,« sagte sie. »Müssen wir einmal ins Wasser, dann wollen wir's wenigstens anständig un ordentlich machen. Wenn das das Schiff ist, Mr. Craig, meinen Sie nicht, daß wir auf irgend eine Art hinkommen könnten?«

»Mit Hilfe des Schwimmgürtels würde jemand, der schwimmen kann, wohl hingelangen,« erwiderte ich.

»Aber wir können, beide nicht schwimmen,« entgegnete Mrs. Lecks, »denn da, wo wir wohnen, is das Wasser niemals tiefer als einen Fuß, außer bei Überschwemmungen, un dann kann weder Mensch noch Tier schwimmen. Aber wenn Sie's uns vormachen, können wir vielleicht folgen. Jedenfalls müssen wir's versuchen, das is alles, was wir thun können.«

»Das Wasser is jetzt meiner Bank so nahe gekommen, daß ich stehn muß, ob ich über Bord falle oder nicht,« bemerkte Mrs. Aleshine.

»Gut,« sagte Mrs. Lecks. »Es wäre am besten, wenn wir uns alle aufrecht stellten und dann das Boot unter uns versinken ließen. Dann brauchen wir nicht zu springen oder herauszupurzeln, was eklig werden könnte.«

»Großer Gott!« rief Mrs. Aleshine. »Du machst wieder, daß Austern auf mir 'rum krabbeln! Erst sprichst du davon, daß das Schiff unter uns versinken soll, un nu is's das Boot. Eh's zum Sinken kommt, möchte ich wohl 'raus sein.«

»Jetzt, Barb'ry Aleshine,« erwiderte Mrs. Lecks, »stell dich aufrecht un schwätz nicht so viel. Es is viel besser, wenn man allmählich ins Wasser kommt, als wenn man 'reinfällt wie 'n Klotz.«

»Gut,« antwortete Mrs. Aleshine. »Es is vielleicht besser, wenn man sich nach und nach daran gewöhnt, aber ich muß sagen, ich wollte, ich wäre zu Haus.«

Ich, für meine Person, würde es bei weitem vorgezogen haben, sofort über Bord zu springen, statt in dieser kaltblütigen Weise zu warten, aber da meine Gefährtinnen soweit ihre Geistesgegenwart bewahrt hatten, mochte ich nichts thun, was sie außer Fassung bringen konnte. Ich glaubte nicht, daß der durch das Versinken eines so kleinen Bootes verursachte Wirbel uns gefährlich werden würde, und wenn wir Sorge trugen, nicht auf irgend eine Weise hängen zu bleiben, konnten wir Mrs. Lecks' Rat wohl befolgen. Wir standen demnach alle auf, Mrs. Lecks im Stern, ich im Bug und Mrs. Aleshine auf einer Bank zwischen uns. Diese schien für eine sichere Stellung nicht Raum genug zu bieten; sie bemerkte indes, es käme nicht darauf an, da es ohnehin nicht lange dauern werde.

Ich bin ans Schwimmen gewöhnt und habe mich nie besonnen, in einen Fluß oder ins Meer zu springen, aber ich muß gestehen, daß es mich sehr nervös machte, so ruhig da zu stehen und zu warten, bis das Boot unter mir versank. Was die beiden Frauen dabei empfanden, weiß ich nicht. Sie sprachen kein Wort, aber in ihren Gesichtern konnte man lesen, daß sie etwas sehr Unangenehmes erwarteten, und daß es um so besser sei, je weniger darüber gesprochen werde.

Das Boot war jetzt so weit gesunken, daß das Wasser Mrs. Aleshines Füße umspülte, da sie etwas tiefer stand als wir. Ich vergewisserte mich, daß sich in meiner Gefährtinnen und meiner Nähe keine Taue oder ähnliches befanden, worin wir uns verwickeln konnten, und wartete. Bug und Stern des Bootes schienen eine gewaltige Schwimmkraft zu besitzen, denn es nahm sich furchtbar viel Zeit beim Sinken. Die Spannung ward so unerträglich, daß ich mich versucht fühlte, meinen Fuß auf den Rand zu setzen und durch Umkippen dieser Nervenqual ein Ende zu machen, allein die Erwägung, daß dadurch die beiden das Gleichgewicht verlieren und sich bei einem Fall verletzen könnten, ließ mich davon Abstand nehmen. Ich hatte die Absicht eben aufgegeben, als sich zwei kleine Wellen, eine auf jeder Seite, zu erheben schienen, die ruhig über die Seiten des Bootes strömten und Mrs. Aleshines Füße überschwemmten.

»Haltet den Atem an!« rief ich; und dann hatte ich eine Empfindung, die der sehr ähnlich sein muß, die ein zum Gehenktwerden verurteilter Verbrecher bei den ersten Anzeichen haben mag, daß die Riegel der Fallklappe, worauf er steht, fortgezogen werden. Dann kam ein gräßliches Gefühl des Sinkens, ein Gurgeln, und das Meer, über das ich eben noch geblickt hatte, schien sich zu erheben und mich zu verschlingen.

Mein Kopf war jedoch im Augenblick wieder aus dem Wasser, und mich hastig umsehend, erblickte ich Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine, die ebenfalls mit Kopf und Schultern aus dem Wasser emporragten. Diese prustete und blinzelte heftig, denn sie hatte etwas Wasser geschluckt, allein sobald sie mich erblickte, rief sie: »Das kam viel plötzlicher, als ich glaubte.«

»Ist Ihnen beiden nichts zugestoßen?«

»Mir nicht, glaube ich,« entgegnete Mrs. Aleshine, »aber ich hätte nie gedacht, daß ein Mensch mit einem Schwimmgürtel ganz unter Wasser kommen könne.«

»Da du aber wieder zum Vorschein gekommen bist,« antwortete Mrs. Lecks, »kannst du zufrieden sein. Und nun,« fuhr sie fort, sich an mich wendend, »in welcher Richtung sollen wir zu schwimmen versuchen? Und haben wir denn auch alles, was wir mitnehmen wollen?«

»Was wir jetzt noch nit haben, können wir auch nicht mehr kriegen,« bemerkte Mrs. Aleshine, »und was das Schwimmen anlangt, werde ich mich wohl ziemlich ungeschickt anstellen.«

Ich hatte die Hoffnung, die indes nicht stark genug war, um Glauben genannt zu werden, daß die beiden Frauen sich mit Hilfe der Schwimmgürtel vorwärts plätschern könnten, und daß ich sie, wenn ich sie abwechselnd unterstützte, schließlich bis zum Schiff bringen würde. Die Wahrscheinlichkeit des Mißlingens war freilich groß! daran mochte ich aber nicht denken.

Ich schwamm nun vor meinen Gefährtinnen her und bemühte mich, sie zu unterweisen, wie sie sich mit Armen und Händen vorwärts bewegen könnten. Gelang erst das, dann wollte ich ihnen zeigen, wie sie die Füße gebrauchen müßten. Nachdem sie mich aufmerksam beobachtet hatten, gelang es Mrs. Lecks, in dem ruhigen Wasser langsam vorwärts zu kommen, aber die arme Mrs. Aleshine konnte weiter nichts thun, als plätschern.

»Wenn nur etwas da wäre, woran ich mich halten könnte,« sagte sie zu mir, »dann ging's vielleicht, aber ich kann das Wasser nicht fassen, was Sie so gut zu verstehn scheinen. Gucken Sie 'mal da!« fügte sie lauter hinzu, »Schwimmt dort nicht ein Ruder? Wenn Sie mir das holen könnten! Ich glaube, ich könnte mich besser vorwärts rudern, als schwimmen.«

Das war ein sonderbarer Gedanke, aber ich holte ihr das Ruder. Doch als ich ihr zeigen wollte, wie sie es brauchen müsse, wies sie meinen Rat zurück.

»Wenn ich's überhaupt brauchen soll,« sagte sie, »muß ich's auf meine Weise thun.« Und das Ruder mit ihren beiden kräftigen Händen erfassend, machte sie damit Bewegungen im Wasser, etwa in der Art, wie sie einen Besen beim Kehren brauchen würde. Anfangs tauchte sie das Blatt zu tief ein, aber sie verbesserte diesen Fehler, und bald gelang es ihr, langsam, aber stetig vorwärts zu kommen.

»Famos!« rief ich, »Sie machen das ausgezeichnet!«

»Jeder, der so viele Zimmer gefegt hat, wie ich,« antwortete sie, »muß im stande sein, mit allem fertig zu werden, was wie'n Besen gebraucht werden kann.«

»Ist nicht noch 'n Ruder da?« rief Mrs. Lecks, die jetzt etwas zurückgeblieben war. »Wenn noch eins da is, möchte ich's haben.«

Mich umschauend, entdeckte ich bald ein zweites Ruder, das ich Mrs. Lecks brachte. Nachdem sie es in verschiedenen Stellungen versucht hatte, um, wie sie sagte, »den besten Griff zu finden«, begann sie es bald mit derselben Gewandtheit zu handhaben, wie ihre Freundin. Wären sie gezwungen gewesen, die Ruder in der gewöhnlichen Art zu bewegen, würde es ihnen, fürchte ich, schlecht ergangen sein; indem sie das Werkzeug jedoch im Lichte eines Besens betrachteten, wurden sie alsbald damit vertraut und kamen sehr gut vorwärts.

Ich nahm nunmehr meinen Platz etwas vor meinen Gefährtinnen, und da ich langsam schwamm, konnten sie leicht mit mir Schritt halten. Mrs. Aleshine, die sehr dick war, ragte viel weiter aus dem Wasser hervor, als Mrs. Lecks und ich, und das erleichterte ihr den Gebrauch des Ruders. Manchmal führte sie einen so kräftigen Schlag, daß sie sich ganz um sich selbst drehte; bald aber lernte sie eine derartige Kraftvergeudung vermeiden.

Ganz sicher, daß wir die rechte Richtung innehielten, war ich nicht, denn meine Stellung machte es mir nicht möglich, weit über das Wasser zu schauen, aber ich entsann mich, daß, als ich im Boote aufrecht gestanden und meine Entdeckung gemacht hatte, die Sonne gerade vor mir aufgegangen war, während der dunkle Fleck im Meere zu meiner Linken gelegen hatte. Nach dem gegenwärtigen Stande der Sonne zu urteilen, die noch nicht sehr hoch gestiegen war, schwammen wir in nördlicher, also entsprechender Richtung. Wie weit der Dampfer entfernt sei, konnte ich nicht wissen, denn ich hatte keine Uebung im Schätzen der Entfernungen auf See; allein ich glaubte, daß, wenn wir mit unsern Kräften haushielten und das Meer so ruhig blieb, wie es jetzt war, wir das Schiff schließlich erreichen würden, vorausgesetzt, daß es noch schwamm.

»Wenn man einmal ordentlich im Wasser drin is,« sagte Mrs. Aleshine, als sie vorwärts fegte, wenn auch nicht mit der Geschwindigkeit, die durch diesen Ausdruck gewöhnlich angedeutet wird, »is die Geschichte nit halb so schlimm, wie ich dachte. Es kommt mir gar nit so vor, als ob ich eingesalzen würde, aber ich muß sagen, es schmeckte scheußlich, als ich zuerst unterging.«

»Du hast doch nicht erwartet, es würde wie Pöckelfleischbrühe schmecken, was?« fragte Mrs. Lecks. »Ja, wenn's das wäre, könnten wir, glaub' ich, sitzend schwimmen.«

»Un was die Kälte anlangt,« fuhr Mrs. Aleshine fort, »so ist das Stück von mir, des im Wasser is, wärmer als des, des draußen is.«

»Vor einem würde ich Angst haben,« sagte Mrs. Lecks, »wenn wir uns nicht drauf eingerichtet hätten, un das sin Haifische.«

»Eingerichtet!« rief ich aus. »Wie in aller Welt haben Sie sich denn auf Haifische eingerichtet?«

»O, sehr einfach,« erwiderte Mrs. Lecks. »Als wir in unsre Kabine gingen, um uns für die Boote fertig zu machen, haben wir beide schwarze Strümpfe angezogen. Ich habe nämlich gelesen, daß Haifische niemals Neger anknabbern, aber einen Weißen wie der Blitz wegschnappen, wenn sie ihn im Wasser sehn, un schwarze Strümpfe war das beste, wie wir 'n Neger nachmachen konnten. Sehn Sie, ich dachte, wir könnten sehr leicht umkippen, ehe alles zu Ende sei.«

»Es is mir 'ne große Beruhigung,« bemerkte Mrs. Aleshine, »un ich bin sehr froh, daß du daran gedacht hast, Mrs. Lecks. Von jetzt an werde ich mir's zur Regel machen: gegen Haifische schwarze Strümpfe.«

»In Ihrem Fall,« wandte sich Mrs. Lecks an mich, »werden wohl schwarze Hosen ebensogut wirken.«

Worauf ich antwortete, daß ich das aufrichtig hoffte.

»Noch für etwas anders bin ich dankbar,« fuhr Mrs. Aleshine fort, »un das ist, daß ich die Vorsicht gebraucht habe, ein Flannellhemd anzuziehn.«

»Das wird was rechtes nützen,« versetzte Mrs. Lecks, »wenn's quatschnaß is.«

»Flannell is Flannell,« erwiderte ihre Freundin, »naß oder trocken, un wenn du so viel Rheumatismus hättest wie ich, würdest du mir beistimmen.«

Mrs. Lecks antwortete nur mit einem von einem Nasenrümpfen begleiteten Pah! und fragte mich dann, wann wir wohl das Schiff in Sicht bekommen würden, denn wenn wir in der falschen Richtung schwämmen und müßten umkehren, so wäre das sehr ärgerlich.

Ich wäre sehr froh gewesen, wenn ich auf diese Frage eine befriedigende Antwort hätte geben können. Jedesmal wenn eine Welle uns emporhob, musterte ich mit raschem Blick den ganzen Gesichtskreis, und endlich, etwa eine Viertelstunde nach Mrs. Lecks' Frage, hatte ich die Freude, den dunkeln Fleck fast genau in der Richtung, wo ich ihn vermutet hatte, wiederzusehen. Mit lauter Stimme verkündete ich die frohe Nachricht, und als wir wieder von einer Welle emporgetragen wurden, richteten meine Gefährtinnen ihre Blicke nach der von mir angedeuteten Stelle.

»Jetzt scheint's doch wenigstens,« sagte Mrs. Aleshine, »als ob wir uns nicht umsonst abrackerten,« und sie schwang ihr Ruder mit neuer Kraft.

»Wenn du deine Kräfte aufbrauchen willst, ehe wir hinkommen, Barb'ry Aleshine,« bemerkte Mrs. Lecks, »dann mach' nur so weiter. Mein Rat is, daß wir jetzt 'mal ganz aufhören zu rudern un 'was essen; es is nötig, daß wir unsern Kräften aufhelfen.«

»Essen!« rief ich. »Was wollen Sie denn essen? Beabsichtigen Sie etwa einen Fisch zu fangen?«

»Un ihn roh essen?« fragte Mrs. Lecks zurück. »Ne, ich danke! Aber denken Sie etwa, Mr. Craig, Mrs. Aleshine un ich würden das Schiff verlassen, ohne etwas zu essen mitzunehmen? Kommt 'mal hierher, Kinder. Wir wollen 'mal sehn, was für 'n Frühstück wir zusammenbringen. Un Barb'ry Aleshine, wenn du dein Ruder hier aufs Wasser legst, dann empfehle ich dir, es an dein Hutband anzubinden, sonst schwimmt es fort, un dann kannst du hinterher pfeifen.«

Bei diesen Worten versenkte Mrs. Lecks ihre rechte Hand ins Wasser und wirtschaftete damit umher, augenscheinlich nach einer Tasche suchend. Ich mußte unwillkürlich lachen, als ich an den Zustand dachte, worin sich die Nahrungsmittel befinden mußten, nachdem sie länger als eine Stunde ein paar Fuß unter Wasser gewesen waren; aber ich bekam eine ganz andre Ansicht von der Sache, als ich sah, wie Mrs. Lecks zwei deutsche Würste zum Vorschein brachte und die salzigen Tropfen von ihrer glatten und glänzenden Außenseite abschüttelte.

»Bei 'nem Schiffbruch geht nichts über Würste oder so 'was,« sagte sie dabei. »Sie sind sehr nahrhaft, un da sie eine dichte Pelle haben, kann das Wasser nicht dran, man mag sie tragen wie man will. Im Boot wollte ich sie nicht hervorholen, denn wir hatten ja Bohnen un konnten die essen. Haben Sie ein Messer, Mr. Craig?«

Ich zog ein triefendes Messer hervor, und nachdem ich die geöffnete Klinge eine Zeitlang in der Luft geschwenkt hatte, um sie zu trocknen, machte sich Mrs. Lecks daran, eine der Würste zu zerschneiden, während ich die andre hielt.

»Nun eßt die Wurst, aber nicht ohne Brot, sonst bekommt sie euch schlecht,« sprach jetzt Mrs. Aleshine, wobei sie an ihrer submarinen Tasche herumzerrte.

»Ich fürchte, dein Brot is etwas eingeweicht,« entgegnete Mrs. Lecks.

»Das wird sich finden,« erwiderte ihre Freundin und beförderte endlich plätschernd ein Einmachglas mit Metallverschluß ans Tageslicht.

»Das habe ich beinahe leer in der Vorratskammer des Schiffs gefunden un so viele weiche Biskuits hineingesteckt, als hineingehn wollten. Auf dem Grunde war noch etwas Marmelade, un wer das letzte Biskuit kriegt, erhält sie als Zugabe. Un nu, Mrs. Lecks,« fuhr sie, den Verschluß abschraubend, fort, »siehst du, den Gummiring? Der hat sie so trocken wie Sägespähne gehalten. Das freut mich ungeheuer, denn ich hatte Mühe genug, das Ding in die Tasche un wieder heraus zu kriegen.«

Das war das erste Mal in meinem Leben – und es wird hoffentlich auch das letzte Mal sein – daß ich bis an die Schultern im Wasser schwimmend ein aus Wurst und weichen Biskuits bestehendes Frühstück einnahm; es war übrigens gar nicht übel.

»Barb'ry Aleshine,« sagte Mrs. Lecks, als ihre Freundin sich anschickte, die zweite Wurst zu zerschneiden, »leg nicht etwa das Messer auf den Tisch, wenn du fertig bist, es könnte sonst etwa sechs Meilen tief sinken. Ich habe gelesen, daß das Meer an einigen Stellen so tief is.«

»Allmächtiger!« rief Mrs. Aleshine, »ich hoffe, wir sind nicht gerade über einer von den tiefsten Stellen.«

»Das kann man nicht wissen,« entgegnete Mrs. Lecks, »aber wenn's dich beruhigt, daß es nur drei Meilen tief is, dann wollen wir das so annehmen. Nun also,« fuhr sie fort, »wollen wir unser Mahl mit einem kleinen Schluck beschließen. Ich habe sonst keine Neigung für Spirituosen, aber ich reise nie ohne 'en bißchen Whisky, gleich mit Wasser vermischt, daß man's sofort trinken kann.«

Bei diesen Worten tauchte sie mit der Hand wieder in eine ihrer Taschen und zog eine fest verkorkte Flasche hervor, die dann die Runde machte, wobei Mrs. Aleshine bemerkte, wir könnten, abgesehen von einem Kolikanfall oder Schüttelfrost, den wärmenden Schluck niemals besser brauchen, als in diesem Augenblick,

So erfrischt und gestärkt, griffen die beiden Frauen wieder zu ihren Rudern, während ich voraus schwamm. Nachdem wir mit gelegentlichen Ruhepausen und viel Unterhaltung etwa eine Stunde geschwommen waren, rief Mrs. Lecks plötzlich: »Ich kann das Ding jetzt viel deutlicher sehn, aber mir sieht's gar nicht aus wie ein Schiff, eher wie Gebüsch.«

»Ohne Brille bist du furchtbar weitsichtig,« entgegnete Mrs. Aleshine, »un am Ende hast du recht.«

Ich hatte mir schon seit zehn Minuten über das sonderbare Aussehen des schwarzen Gegenstands, der jetzt beständig in Sicht war, den Kopf zerbrochen. Seine eigentümliche Form, das Fehlen von Masten und Schlot, hatten mich auf den schrecklichen Gedanken gebracht, daß es der Dampfer mit dem Kiel nach oben sei, obgleich ich genug vom Schiffswesen verstand, um dies für höchst unwahrscheinlich zu halten. Ich bin nicht weitsichtig, aber als Mrs. Lecks von Gebüschen sprach, betrachtete ich den fernen Gegenstand mit ganz andern Augen und kam bald zu der Annahme, daß es gar kein Schiff, weder aufrecht, noch gekentert, sondern vielleicht eine Insel sei. Diese Vermutung teilte ich meinen Unglücksgefährtinnen mit, und eine Zeitlang arbeiteten wir, getrieben von dem Wunsche, näher zu kommen und Gewißheit zu erlangen, mit erneutem Eifer.

»So wahr ich hier stehe,« rief Mrs. Lecks, die in die Ferne sehr scharf sah, trotzdem sie ohne Brille nicht zu lesen vermochte, »das sin Bäume un Buschwerk, obgleich sie unmittelbar aus dem Wasser zu wachsen scheinen.«

»Dann ist auch eine Insel darunter,« entgegnete ich, »darauf können Sie sich verlassen, und das ist viel besser, als ein sinkendes Schiff.«

»Das weiß ich doch nicht,« bemerkte Mrs. Aleshine. »Ans Schiff bin ich gewöhnt, un so lange 's nicht wirklich sinkt, würde ich's vorziehn. Es ist genug zu essen an Bord un gute Betten zum Schlafen, un das is mehr, als wir an einem kleinen buschigen Ort, wie der da vor uns, erwarten können. Aber allerdings, das Schiff mit Betten un Viktualien un allem kann plötzlich untergehn.«

»Glauben Sie, daß das die Insel ist, die die andern Boote suchen wollen?« fragte Mrs. Lecks.

Diese Frage hatte ich mir schon selbst gestellt. Ich wußte, daß die Insel, wohin der Kapitän seine Boote führen wollte, etwa dreißig Meilen südlich von der Stelle lag, wo wir den Dampfer verlassen hatten. Daß wir aber noch keine dreißig Meilen zurückgelegt hatten, konnte ich ungefähr berechnen, und dazu kam, daß wir während des letzten Teils unsrer abenteuerlichen Fahrt eine beinahe nördliche Richtung innegehalten hatten. Es war nicht anzunehmen, daß die Lage der vor uns befindlichen Insel unserm Kapitän unbekannt sei, und es lag somit nahe, zu vermuten, daß er sie für ungeeignet zum Landen seiner Passagiere gehalten habe. Mancherlei Gründe mochten dagegen sprechen. Die Insel konnte durchaus unfruchtbar und unbewohnt sein, oder ungastliche Eingeborne beherbergen, und wichtiger als alles, es war vielleicht ein Ort, in dessen Nähe niemals Dampfer vorbeikamen.

Was indessen auch seine Schattenseiten sein mochten, ich war von einem wilden Verlangen erfüllt, den Ort zu erreichen, mehr, glaube ich, als eine meiner Gefährtinnen. Ich will damit nicht sagen, daß sie sich nicht klar über die sie bedrohenden Gefahren gewesen seien, aber sie waren Frauen, die, allem Anscheine nach, schon viel im Leben durchgemacht hatten, und die deshalb, als sie aus dem engen Kreis ihrer ländlichen Erfahrungen heraustraten, die Widerwärtigkeiten, die den Menschen in der großen Welt begegnen, mit Gleichmut und beinahe als etwas Selbstverständliches hinnahmen.

»Ich glaube nicht,« antwortete ich auf Mrs. Lecks' Frage, »daß dies die Insel ist, wohin der Kapitän uns bringen wollte, aber, was es auch sein möge, es ist jedenfalls festes Land, und wir müssen sobald als möglich hinzukommen suchen.«

»Sehr richtig,« sagte Mrs. Aleshine. »Es wäre mir sehr lieb, wenn ich etwas weniger als sechs Meilen von meinen Füßen festen Grund hätte, un wenn wir nichts zu essen un keinen Platz zum Schlafen finden, dann is das nicht mehr, als von unserm gegenwärtigen Aufenthaltsort auch gesagt werden muß.«

»Du bist zu anspruchsvoll in Beziehung auf dein Behagen, Barb´ry Aleshine,« entgegnete Mrs. Lecks. »Wenn du die Erde zu hart zum Schlafen findest, kannst du ja deinen Schwimmgürtel umthun un im Wasser zu Bett gehn.«

»Sehr gut,« erwiderte Mrs. Aleshine, »un wenn diese Inseln, wie ich 'mal gehört habe, von Korallen gemacht sin, dann haben sie eine Masse kleiner Spitzen, wie 'n paar Korallen, die ich zu Hause habe, un dann wirst du ganz froh sein, wenn ich dir einen Platz neben mir anbiete, Mrs. Lecks.«

Ich gab meinen Gefährtinnen den Rat, mir so rasch als möglich zu folgen, und wir schwammen eifrig vorwärts. Als wir der Insel so nahe gekommen waren, daß wir ihre Beschaffenheit erkennen konnten, sahen wir, daß sie nur wenig aus dem Wasser hervorragte und dem Anschein nach mit Pflanzenwuchs bedeckt war. So viel wir zu erkennen vermochten, wenn eine Welle uns in die Höhe hob, war sie von einem felsigen Riff umgeben, vor dem eine ziemlich hohe Brandung stand. Es war mir genug von der Formation dieser Koralleninseln bekannt, daß ich wußte, es müsse sich innerhalb dieses Riffs eine Lagune ruhigen Wassers befinden, wohin man durch Oeffnungen im Riff gelangen könne. Es handelte sich also darum, eine dieser Oeffnungen zu finden, denn ein Versuch, durch die Brandung zu dringen, war schwierig und konnte gefährlich werden.

Vor uns sahen wir eine zusammenhängende Reihe schaumgekrönter Sturzwellen. Ich führte meine kleine Gesellschaft also nach rechts, in der Hoffnung, daß wir bald eine Oeffnung im Riff entdecken würden.

Wir schwammen und ruderten jedoch eine lange Zeit, und immer noch rollte die Brandung drohend über die Felsen zu unsrer Linken. Jetzt waren wir dieser so nahe, als wir uns ohne Gefahr wagen durften, und ich war entschlossen, sie, wenn nötig, lieber ganz zu umschwimmen, ehe ich mit den zwei Frauen den Versuch machte, auf dem zackigen Riff zu landen. Endlich gewahrten wir in geringer Entfernung vor uns eine Stelle, die frei von Sturzwellen zu sein schien, und als wir sie erreichten, fanden wir zu unsrer unaussprechlichen Freude, daß dort die Flut ruhig durch eine weite Oeffnung des Riffs strömte. Die Felsen waren hier hoch übereinander getürmt und das Riff, an dieser Stelle wenigstens, sehr breit, denn als wir uns der Oeffnung näherten, bemerkten wir, daß sie sich bald verengerte und nach links wandte, so daß wir von außen nicht in die Lagune sehen konnten.

Gefolgt von Mrs. Lecks und Mrs, Aleshine, schwamm ich in das ruhige Wasser. Die Nähe der Felsen machte den Gebrauch der Ruder jedoch bald unmöglich, und die beiden Frauen ließen daher diese nützlichen Werkzeuge fallen und versuchten, sich mit den Händen vorwärts zu helfen. Sie waren nicht weniger erstaunt als ich, als wir, nachdem mir die erwähnte Ecke umschwommen hatten, etwa acht bis zehn Zoll über dem Wasser eine starke eiserne Stange wahrnahmen, die den schmalen Eingang sperrte. In geringer Entfernung, dahinter erstreckte sich eine zweite Stange, etwa zwei bis drei Fuß über dem Wasser, von einer Felswand zur andern. Ohne ein Wort zu reden, untersuchte ich die erste dieser Stangen und fand, daß sie mittels eines riesigen Vorhangschlosses in einem in den Fels eingelassenen Ring befestigt war. Das andre Ende hing mit einer Oese in einem ebenfalls in den Felsen eingelassenen Kloben.

»Diese Stangen sind hier angebracht,« rief ich aus, »um Boote bei jedem Wasserstand am Einlaufen zu hindern. Sie können nur entfernt werden, wenn man die Schlösser abnimmt.«

»Sie werden uns nicht lange aufhalten,« entgegnete Mrs. Lecks, »denn wir können unterducken. Die Leute, die sie dahin gehängt haben, werden wohl nicht gedacht haben, daß jemand auf Schwimmgürteln ankommen werde.«


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