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Zweite Abteilung.

Der Ingwertopf.

Viertes Kapitel.

Als unsre Gesellschaft die kleine Insel im Stillen Ozean verließ, wo wir so glückliche Stunden verlebt und so angenehme Freundschaftsbande geknüpft hatten, und wo ich Ruth gefunden und zu meinem Weibe gemacht hatte, wölbte sich ein klarer Himmel über unsern Häuptern, ein günstiger Wind wehte hinter uns und die See unter unserm Kiel war glatt wie ein Spiegel. Das Boot war bequem und gut ausgerüstet und es fand sich sogar Platz genug, daß Mr. Enderton sich ausstrecken und sein Mittagsschläfchen halten konnte. Wir thaten alles Mögliche, um sein Behagen zu erhöhen, denn wir wußten aus Erfahrung, daß unsre Gesellschaft am glücklichsten war, wenn mein Schwiegervater über nichts zu klagen hatte.

In den ersten Vormittagsstunden gelang es dem Bootsmann, ein kleines Segel im Bug des Bootes zu hissen, und dies war eine so gute Beihilfe zu unserm stetigen und unausgesetzten Rudern, daß wir die größere Insel, unsern Bestimmungsort, vor Einbruch der Nacht erreichten. Mit Hilfe des Taschenkompasses des Bootsmanns war es uns gelungen, einen ganz geraden Kurs innezuhalten. Unsre Ankunft auf dieser Insel, die von einigen weißen Handelsleuten und einer mäßigen Zahl von Eingeborenen bewohnt wurde, erregte großes Erstaunen, denn als Schiffsmannschaft und Reisende unsres unglücklichen Dampfers dort angelangt waren, hatte es sich herausgestellt, daß Mrs. Lecks, Mrs. Aleshine und ich fehlten. Mancherlei Vermutungen über unser Schicksal waren aufgestellt worden. Die einen meinten, wir hätten uns gefürchtet, den Dampfer zu verlassen, hätten uns versteckt gehalten und seien mit untergegangen. Andre glaubten, wir seien in der Dunkelheit über Bord gefallen, entweder noch vom Dampfer, oder aus einem der Boote; selbst die Annahme, wir hätten uns in dem lecken Boot eingeschifft – was tatsächlich der Fall war – und wären so verloren gegangen, fehlte nicht. Jedenfalls waren wir verschwunden, und unser Untergang war viel besprochen und in gewisser Weise auch betrauert worden. Weniger als eine Woche nach ihrer Ankunft waren die Leute vom Dampfer von einem Segelschiff aufgenommen und nach Westen, ihrem Reiseziel, geführt worden.

Wir waren indessen nicht so glücklich, denn wir mußten mehr als einen Monat auf jener Insel verweilen. Nur ein Schiff lief während dieser Zeit dort an, und das fuhr nach Westen, konnte uns also nichts nützen, da wir beschlossen hatten, nach Amerika zurückzukehren. Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine hatten ihre Reise nach Japan aufgegeben und verlangten sehr nach ihrer ländlichen Heimat, während meine liebe Ruth und ich uns danach sehnten, uns an einem schönen Punkte der atlantischen Küste einen eigenen Herd zu gründen. Was Mr. Enderton für Absichten hatte, wußten wir nicht. Als er das lecke Schiff, worauf er und seine Tochter sich als Reisende befunden hatten, verließ, war er auf der Reise nach den Vereinigten Staaten gewesen, und sein Mißgeschick schien seine Pläne nicht geändert zu haben.

Mrs. Aleshine schickte indes mit dem nach Westen segelnden Schiffe einen Brief an ihren Sohn.

Unser Leben auf der Insel war eintönig und bot der Mehrzahl unsrer Gesellschaft wenig Abwechslung. Für uns aber war es der Schauplatz unsrer Flitterwochen, und meine Frau und ich werden ihr stets die freundlichste Erinnerung bewahren. Wir waren im Hause eines der weißen Kaufleute ganz behaglich untergebracht, und obschon Mrs. Lecks' und Mrs. Aleshines Zeit nicht durch Haushaltspflichten ausgefüllt wurde, gelang es ihnen, sich Wolle zum Stricken zu besorgen, und diese Arbeit, die sie auch nicht am Plaudern hinderte, vertrieb ihnen die langen Stunden. Die Pfeifen unsrer Freunde, der drei Matrosen, waren stets gefüllt, der Sand auf der Insel war warm und bot ein angenehmes Lager. Nur Mr. Enderton zeigte einige Ungeduld über unsren unfreiwilligen Aufenthalt. Er brummte und murrte und zog gegen die verbrecherische Nachlässigkeit der Dampfschiffsgesellschaften und der Reeder von Segelschiffen los, weil sie es nicht allen ihren Fahrzeugen zur strengsten Pflicht machten, bei jeder Reise diese Insel anzulaufen, wo doch jederzeit gebildete und bedeutende Persönlichkeiten als Schiffbrüchige weilen konnten.

Endlich aber wurden wir von einem nach San Franzisko bestimmten dreimastigen Schoner aufgenommen und trafen gesund und wohlbehalten in dieser Stadt ein.

Lange blieben wir jedoch nicht dort. Wir traten bald unsre Reise über den Kontinent an und ließen nur unsre drei Matrosen Zurück, die beabsichtigten, bei der ersten sich darbietenden günstigen Gelegenheit wieder Dienst zu nehmen. Von ihrem früheren Schiffe hatten sie weiter nichts in Erfahrung gebracht, als daß es in Honolulu angelangt sei. Vermutlich war es dort für zur weiteren Fahrt untüchtig erklärt worden, und die Bemannung hatte sich zerstreut. Da das Reisegepäck meiner Frau und meines Schwiegervaters an Bord dieses Schiffs zurückgeblieben war, hegte ich die stille Hoffnung, Mr. Enderton würde in San Franzisko Aufenthalt nehmen, um Schritte zu dessen Wiedererlangung zu thun, oder daß er vielleicht sogar in dieser Angelegenheit selbst nach Honolulu reisen würde. Allein ich sah mich getäuscht. Es schien ihm wenig an seinen verlorenen Koffern zu liegen, denn er hatte nur den Wunsch, nach Osten zu kommen, und überließ es mir, nach Honolulu zu schreiben, um die Nachsendung seines Gepäcks zu veranlassen. Bald darauf trat unsre aus fünf Personen bestehende Gesellschaft die Reise nach Osten an.

Es war inzwischen Herbst geworden, und obschon wir wünschten, unser Reiseziel vor Eintritt des Winters zu erreichen, glaubten wir doch noch Zeit genug zu haben, einige der Naturwunder Kaliforniens zu besuchen, ehe wir endgültig eine östliche Richtung einschlugen. Demnach unternahmen mir, ohne uns um die verdrießlichen Einwendungen Mr. Endertons viel zu kümmern, einige hübsche Ausflüge nach schönen Punkten.

Vom letzten fuhren wir in einer Postkutsche, deren einzige Insassen wir waren, nach einer Eisenbahnstation, von wo aus wir den Zug benutzen wollten. Auf dieser Fahrt hielten mir an einer kleinen, am Fuße der Berge gelegenen Poststation an, um die Pferde zu wechseln. Als ich aus dem Wagen stieg, fand ich, daß unser Kutscher und einige Leute des Ortes die einzuschlagende Richtung besprachen. Es waren nämlich zwei Straßen vorhanden, wovon die eine mehrere Meilen sanft an dem Bergabfall aufstieg und sich dann bis zur Eisenbahn hinabsenkte, an deren Seite sie herführte, bis sie den Haltepunkt erreichte, wo wir die Bahn zu benutzen beabsichtigten. Die andre folgte auf eine beträchtliche Strecke einem Thale und vereinigte sich dann mittels eines kurzen, aber ziemlich steilen Aufstiegs mit der ersten.

Es war recht kalt geworden, Himmel und Wind ließen auf kommendes schlechtes Wetter schließen, und da die obere Straße erheblich besser war, beschloß unser Kutscher, diese zu wählen. Statt vier Pferden wurden jetzt deren sechs an unsern Wagen gespannt, und da zwei davon jung und wild und in der gewöhnlichen Weise wahrscheinlich schwierig zu fahren waren, wollte unser Kutscher nach Art der Postillone das Stangensattelpferd reiten und ein Stallbursche sollte sich ebenso auf das Vordersattelpferd setzen. Mr. Enderton hatte große Angst vor Pferden und erhob die heftigsten Einwendungen gegen die jungen Tiere unsres Gespanns. Es waren indes keine andern zu haben, und so blieb denn seine Einsprache unbeachtet.

Der Wagen hatte drei Querbanke, und Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine, die meiner Frau und damit auch mir gegenüber aus eigener Machtvollkommenheit die Rolle des Wohlfahrtsausschusses und der Vorsehung übernommen hatten, wiesen uns die besten Plätze auf der hintersten Querbank an. Sie bildeten sich ein, die Gesundheit meiner Frau sei nicht sehr kräftig und sie bedürfe der Pflege, und hatte sie zwei Mütter gehabt, so hätte sie nicht mehr verhätschelt werden können, als es diese beiden guten Frauen thaten. Sie selbst saßen auf der mittelsten Bank, die Gesichter den Pferden zugelehrt, während Mr. Enderton die vorderste ganz für sich hatte. Er war jedoch so nervös und ruhelos und verdrehte fortwährend den Hals, um die Pferde oder die schlechten Stellen der Straße sehen zu können, daß die beiden Frauen ihre Stellung ihm gegenüber und in seiner unmittelbaren Nähe sehr unbehaglich fanden. Da die Rücklehne ihrer Bank beweglich war, drehten sie diese deshalb so, daß sie rückwärts fuhren, also uns ansahen.

Die Fahrt bergauf war mühsam und ging langsam von statten, und wir erreichten den höchsten Punkt der Straße ziemlich spät nachmittags. Von hier aus ging es etwa acht Meilen bergab bis zur Höhe der Eisenbahn. Jetzt, wo wir rasch dahinrollten, geriet Mr. Enderton in eine wilde Aufregung, Er öffnete die Fenster und schrie dem Kutscher zu, er solle langsamer fahren, aber Mrs. Lecks faßte ihn am Kragen und zerrte ihn auf seinen Sitz zurück, ehe der Kutscher antworten konnte.

»Wenn Sie haben wollen, daß Ihre Tochter sich auf den Tod erkältet, dann lassen Sie nur das Fenster offen!« Bei diesen Worten lehnte sie sich vor und riß mit ihrem kräftigen rechten Arm das Fenster in die Höhe, »Der Kutscher wird wohl wissen, was er zu thun hat,« fuhr sie fort, »er macht doch den Weg nicht zum erstenmal.«

»Soll das etwa heißen, Madame,« entgegnete Mr. Enderton, »daß ich nicht mit meinem Kutscher reden darf, um ihm meine Wünsche mitzuteilen?«

Mrs. Lecks würdigte diese Frage keiner Antwort. Sie saß sehr gerade und steif, und gönnte dem Sprecher nur ihre Rückansicht. Sie und Mr. Enderton standen schon seit einiger Zeit auf gespanntem Fuße, und sie gab sich keine Mühe, dies zu verbergen.

Mr. Enderton geriet nun allmählich in einen geradezu erbärmlichen Zustand, denn unsre rasche Fahrt und die Stöße an den schlechten Stellen der Straße schienen ihn fast von Sinnen zu bringen, und meine Versicherung, daß hierzulande die Postwagen immer so rasch bergab führen, hatte gar keine beruhigende Wirkung. Als wir nach kurzer Zeit eine ebene Straßenstrecke erreichten, hielt der Wagen an. Mr. Enderton war im Nu heraus, und auch ich stieg ab, um mit dem Kutscher zu sprechen.

»Mit den Gäulen is mit Anhalten nix zu wollen,« sagte er, »un se geh« ruhiger, wenn mer se laufen läßt, wenn nur gut gebremst is. Se können ganz ruhig sin. Wann nix nich bricht, geht alles gut.«

Mr. Enderton schien damit beschäftigt, sich zu überzeugen, daß der Wagen in gutem Zustande sei. Er untersuchte die Räder, die Achsen, die Ortscheite, zur großen Belustigung des Kutschers, der die Bemerkung machte, der alte Geselle würde wohl ietzt so klug sein wie zuvor. Ich war überrascht, daß mein Schwiegervater dies ohne Rüge hingehen ließ. Er sagte aber nichts, ausgenommen, daß er für den Rest der Thalfahrt seinen Platz auf dem leeren Kutscherbock nehmen wolle. Dagegen hatte niemand etwas einzuwenden, und er kletterte hinauf.

Als wir uns wieder in Bewegung setzten, schien Ruth beunruhigt, daß ihr Vater einen so ungeschützten Platz habe. Ich versicherte ihr jedoch, er sei dort sehr gut aufgehoben und es sei ihm gewiß viel lieber, wenn er selbst alles, was vorging, sehen könne.

Wir fuhren jetzt wieder ebenso rasch bergab als vorher, Unsre Geschwindigkeit war aber nicht gleichmäßig. Manchmal, wenn die Straße schlecht oder ebener war, ward sie geringer, dann, wenn sie wieder bergab ging, sausten wir stoßend und rasselnd dahin. Nach einer ganz besonders unangenehmen Strecke dieser Art schien es plötzlich, als ob der Wagen seine Richtung ändere, und nach einigen starken Stößen machte er eine scharfe Wendung, die eine Seite hob sich, die andre fiel schwer gegen irgend etwas und mir standen still. Ich hörte lautes Schreien und sah aus einem Fenster, von dem aus man jetzt die ganze Straße überblicken konnte, wie unsre sechs Pferde in vollem Laufe bergab rasten, während die Kutscher vergeblich versuchten die beiden, worauf sie ritten, zu zügeln.

Ruth, die durch den Stoß in Mrs. Aleshines Arme geschleudert wurde, war zum Tode erschrocken und schrie nach ihrem Vater. Ich war vorwärts auf Mrs. Lecks gefallen, raffte mich aber rasch auf, und nachdem ich mich vergewissert hatte, daß niemand von den Insassen des Wagens verletzt worden sei, öffnete ich die Thüre und sprang hinaus.

Mitten auf der Straße stand Mr. Enderton, vollkommen unbeschädigt, mit dem Ausdruck stolzer Befriedigung im Gesicht und einem großen geschlossenen Regenschirm in der Hand.

»Was ist vorgefallen?« rief ich aus und lief vor den Wagen, wo ich fand, daß die Deichsel etwa in der Mitte abgebrochen war.

»Nichts ist vorgefallen,« entgegnete Mr. Enderton. »Man kann von einer weisen und besonnenen That, die mit voller Ueberlegung ausgeführt worden ist, nicht als von etwas Vorgefallenem sprechen. Wir sind vor dem Zerschmettertwerden hinter jenem wilden und nicht zu zügelnden Gespann gerettet worden, und ich will hinzufügen, daß wir unsre Rettung meiner Umsicht und entschlossenen Handlungsweise verdanken.«!

Ich wandte mich um und sah ihn verständnislos an. »Was meinen Sie?« fragte ich. »Was haben Sie mit diesem Unfall zu schaffen?«

»Gestatten Sie mir, zu wiederholen,« antwortete Mr. Enderton, »daß es keineswegs ein Unfall war. Von dem Augenblick an, wo wir bergab zu fahren begannen, konnte ich mich der Wahrnehmung nicht verschließen, daß wir uns in der gefährlichsten Lage befanden. Der Kutscher war tollkühn, der Stalljunge unfähig und die Pferde unlenksam. Da meine Vorstellungen und Ratschläge keinen Eindruck auf den Menschen machten, und da Sie nicht die Absicht zu haben schienen, mich in meinen Bemühungen, ihn zu einer verständigen Gangart anzuhalten, zu unterstützen, beschloß ich die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ich wußte, daß es in erster Linie notwendig war, die Pferde los zu werden. So lange wir mit ihnen in Verbindung standen, drohte uns ein Unglück, Die Pferde mußten also vom Wagen getrennt weiden. Es war mir ganz klar, was zu geschehen hatte. Ich habe nämlich von Erfindungen gelesen, die den Zweck haben, ein Fuhrwerk von durchgehenden Pferden zu befreien. Thatsächlich waren unsre Pferde Durchgänger, oder sie wären es wenigstens sehr bald geworden. Ich stellte mir also setzt die Aufgabe, uns von diesen durchgehenden Pferden zu befreien. Deshalb stieg ich aus, als mir vorhin anhielten, und untersuchte sorgfältig die Bauart des Wagens. Dabei fand ich, daß die bewegliche Hinterbracke, woran die Ortscheite hingen, mittels eines Spannnagels und zweier Riemen mit dem Untergestell des Wagens verbunden war. Jener hatte oben einen großen Ring und ward unten durch eine eiserne Schraubenmutter festgehalten. Während Sie und der tollkühne Kutscher miteinander sprachen und mich nicht beachteten, schnallte ich die Riemen los und schraubte die Mutter mit meinen kräftigen, sehnigen Fingern ohne Hilfe eines Schraubenschlüssels vom Spannnagel ab. Dann nahm ich meinen Sitz auf dem Kutscherbocke und hatte das beruhigende Bewußtsein, daß unsre Sicherheit in meiner Hand lag. Eine Zeitlang ließ ich unser Fuhrwerk ruhig weiterfahren; als mir jedoch an diese lange, abschüssige Strecke kamen, die hier vor uns liegt, und unsre Pferde Zeichen zunehmenden Ungestüms wahrnehmen ließen, bog ich mich vor, führte den Hakengriff meines Regenschirms in den Ring des Spannnagels und riß diesen mit einer gewaltigen Kraftanstrengung heraus. Ich muß Ihnen freilich einräumen, die Thatsache, daß Mittel- und Vorderpferde an die Spitze der Deichsel angespannt waren, hatte ich übersehen; ich habe indes häufig die Erfahrung gemacht, daß dem Kühnen auch das Glück hold ist. So war es auch hier. Die Stangenpferde, plötzlich befreit, drängten auf die Mittelpferde, und brachten in gewisser Weise das ganze Gespann in Verwirrung. Dies schien die Pferde so zu erschrecken, daß sie zur Seite sprangen und die Deichsel abbrachen, worauf sie wie toll und den Reitern nicht mehr gehorchend, die Straße hinabrasten. Unser Wagen drehte sich und rannte sich mit einem nur mäßigen Stoß an der Seite der Straße fest, und als ich hinter den fliehenden Rossen herblickte, deren Reiter vergeblich versuchten, sie anzuhalten, vermochte ich nicht, eine Regung des Stolzes zu unterdrücken, daß meine Umsicht und Entschlossenheit mich selbst, meine Tochter und meine übrigen Reisegefährten aus einer nahen und sehr großen Gefahr errettet habe.«

Der Sprechende hielt mit einem selbstzufriedenen Lächeln inne. Einen Augenblick konnte ich vor Wut nicht reden. Aber wenn ich auch wirklich im stände gewesen wäre, etwas zu sagen oder zu thun, um der maßlosen Entrüstung, die mich erfüllte, Luft zu machen, ich würde keine Gelegenheit dazu gefunden haben, denn Mrs. Lecks trat vor und faßte mich am Arm. Ihr Gesicht war starr, und ihr Ausdruck gab einem eine Vorstellung von der Härte des Bessemerstahls.

»Ich habe gehört, was er gesagt hat,« sagte sie, »un ich möchte ein Wörtchen mit dem Menschen reden. Ihre Frau steht da drüben bei Mrs. Aleshine. Seien Sie so gut un gehn Sie 'n bißchen mit ihr auf der Straße spazieren, Sie können ungefähr 'ne Viertelstunde ausbleiben.«

»Madame,« warf Mr. Enderton ein, »ich habe nichts mit Ihnen zu reden.«

»Danach hab' ich Sie noch nicht gefragt,« entgegnete Mrs. Lecks. »Mr. Craig, wollen Sie so gut sein, Ihre Frau so rasch un so weit Sie können wegzuführen?«

Ich verstand den Wink und ging mit Ruth am Arm rasch die Straße hinab, Sie war ganz froh, sich entfernen zu können, denn sie war sehr erschrocken und wünschte mit mir allein zu sein und von mir zu hören, was vorgefallen sei. Mrs. Lecks hatte aus Mr. Endertons triumphierendem Gesichtsausdruck den Schluß gezogen, daß er bei dem Unfall die Hand im Spiele gehabt, und als sie Gewißheit darüber erlangt hatte, fürchtete sie, sie werde ihre Entrüstung nicht Zügeln können und hatte Mrs. Aleshine beauftragt, Ruth von ihrem Vater fern zu halten. Dadurch hatte sich indes die Angst des armen Kindes nur gesteigert, und sie war sehr gern bereit, sich hinwegführen und die Einzelheiten unsres Unfalls erzählen zu lassen.

Ich teilte ihr alles mit, was vorgefallen war, und urteilte so mild als möglich über Mr, Endertons Betragen, aber die arme Ruth brach in Thronen aus.

»O, ich wollte – ich wollte,« rief sie aus, »Vater reiste allein! Er ist so nervös und hat bei der geringsten Kleinigkeit solche Angst, daß er gewiß viel glücklicher wäre, wenn er auf seine eigne Art auf seine Sicherheit Bedacht nehmen könnte, und auch wir – das weiß ich – wären glücklicher ohne ihn.«

Diesen Empfindungen stimmte ich von Herzen zu, wenn ich es auch nicht für notwendig hielt, das auszusprechen, und nun fragte mich Ruth, was wohl aus uns werden würde.

»Wenn dem Kutscher und dem Stalljungen nichts zustößt,« erwiderte ich, »werden sie wohl nach der Station reiten, die wir erreichen wollten. Sie werden eine andre Deichsel besorgen, wenn etwas Derartiges dort zu haben ist, oder einen andern Wagen, und uns abholen. In unsrem Wagen in seinem gegenwärtigen Zustand zurückzukehren, kann gar nichts nützen.«

»Und wann meinst du wohl, daß sie wieder kommen?« fragte sie.

»Ein paar Stunden dauert's gewiß,« antwortete ich, »Der Kutscher hat mir gesagt, zwischen dem Ort, wo wir zuletzt angehalten haben, und der Eisenbahnstation gäbe es keine Häuser, und er wird ganz sicher nicht eher umkehren, als bis er einen Ort erreicht hat, wo er entweder eine neue Deichsel oder ein andres Fuhrwerk kriegen kann.«

Ruth und ich wanderten, bis wir eine Biegung der Straße am Fuße der langen abschüssigen Strecke, die unsre Pferde hinabgejagt waren, erreicht hatten. Von hier aus konnten wir ein langes Stück der Straße, die sich am Bergabhang hinwand, überschauen, aber weder unsre Pferde, noch sonst ein lebendes Wesen war zu erblicken. Ich erwartete freilich auch nicht, unser Gespann zu sehen, denn es wäre thöricht vom Kutscher gewesen, wenn er ohne die nötigen Vorkehrungen, uns zu helfen, zurückkehrte; und selbst wenn es ihm gelungen war, die wild gewordenen Pferde zu bändigen, so war es am besten, wenn er so rasch als möglich den Berg hinabzukommen suchte.

Als wir zurückkehrten, hatten wir einen ganz ordentlichen Spaziergang gemacht. Aber er hatte uns sehr wohl gethan, denn die Bewegung hatte uns beide beruhigt. Auf dem Rückwege bemerkten wir, daß eine kurze Strecke vorwärts der Stelle, wo sich unser Unfall ereignet hatte, eine zweite Straße, die von unten kam, sich mit der unsern vereinigte. Das war wahrscheinlich die Thalstraße, von der an dem Orte, wo wir die Pferde gewechselt hatten, die Rede gewesen war.

Mr. Enderton fanden wir allein, etwas entfernt von den andern stehend. Sein Gesicht hatte die Farbe der Holzasche, sein Ausdruck war verstört. Er erinnerte mich an einen Mann, der von einer beträchtlichen Höhe herabgestürzt und durch den Fall erschreckt und betäubt worden ist. Die Sachlage zu verstehen, ward mir nicht schwer, und ich war ziemlich sicher, daß er eine gesunde Tracht Prügel Mrs. Lecks' unverblümter Sprache bei weitem vorgezogen hätte.

»Was fehlt dir, Vater?« rief Ruth aus, als sie ihn erblickte. »Bist du verletzt?«

Mr. Enderton blickte seine Tochter wie geistesabwesend an, und es dauerte einige Augenblicke, bis er sich dessen bewußt ward, was sie gesagt hatte. »Verletzt? O, nein! Nicht im geringsten. Ich überlegte nur etwas. Ich werde zu Fuß nach dem Dorfe oder der Stadt, was es nun ist, gehen, wohin der Mann uns fahren sollte. Es kann nicht mehr als sieben bis acht Meilen bis dahin sein, wenn nicht weniger. Der Weg geht bergab, und ich werde den Ort leicht vor Dunkelwerden erreichen. Dann kann ich mich persönlich um eure Befreiung aus dieser Lage kümmern und werde dafür sorgen, daß euch unverzüglich ein Fuhrwerk geschickt wird. Auf diese dummen Kutscher kann man sich nicht verlassen. Nein,« fuhr er fort, seine Hand wie zur Abwehr erhebend, »versuche es nicht, mir davon abzureden. Deine Sicherheit und die der übrigen ist stets meme erste Sorge. Die Anstrengung kommt dabei nicht in Betracht.«

Ohne weitere Worte und den Vorstellungen seiner Tochter keine Beachtung schenkend, schritt er die Straße hinab.

Ich war froh, ihn fortgehen zu sehen. Seine Gesellschaft war mir unter allen Umständen unerwünscht, und unter den gegenwärtigen Verhältnissen märe sie unangenehmer als je gewesen. Er war ein guter Fußgänger, und daß er die Station leicht erreichen würde, war nicht zu bezweifeln. Dort konnte er wirklich von Nutzen für uns sein.

Mrs. Lecks saß aus einem Steine am Rande der Straße. Ihr Gesicht war noch immer hart und streng, aber ich nahm auch einen Ausdruck der Befriedigung darin wahr, den ich nicht bemerkt hatte, als ich meinen Spaziergang mit Ruth antrat.

»Sie haben wohl Ihre Unterredung mit Mr. Enderton gehabt?« fragte ich sie, als Ruth nach dem Wagen gegangen war, um ein Tuch herauszuholen.

»Unterredung!« erwiderte sie. »Na, ich meine denn! Wenn jemals ein Mensch begriffen hat, was andre von ihm denken un was er is, vom Kopf bis zu Füßen, innewendig un auswendig, Leib un Seel un Knochen, un was er in dieser un der andern Welt zu erwarten hat, dann is es der. Ich habe mich nicht bloß auf das beschränkt, was er uns heute hier besorgt hat. Nein, ich bin bis auf den ersten Augenblick zurückgegangen, wo er auf der Insel anfing zu brummen, daß er Kostgeld bezahlen sollte wie andre ehrliche Christenmenschen, un ich habe ihm nicht 'ne einzige Sünde geschenkt, die er seitdem begangen hat. Un nu fühle ich, daß ich, soweit er in Betracht kommt, meine Pflicht gethan habe, un da mir damit fertig sin, wär's, denke ich, Zeit, daß wir uns mal umgucken, un sehn, was wir für uns selbst thun können.«

Es war wirklich Zeit, denn der Tag nahte seinem Ende. Einen Augenblick hatte ich daran gedacht, wir wollten Mr. Enderton einen guten Vorsprung gewinnen lassen und ihm dann nach der Station folgen. Eine kurze Ueberlegung, zeigte mir jedoch, daß dieser Plan nicht ausführbar sei. Ruth war für einen so weiten Weg entschieden nicht kräftig genug, und wenn Mrs, Aleshine auch Thatkraft genug besaß, so war sie doch zu schwerfällig, um einen solchen Marsch zu versuchen. Außerdem hatte sich der Himmel inzwischen so umzogen, daß es nicht ratsam erschien, den Schutz, den der Wagen gewährte, zu verlassen.

Wie nicht anders zu erwarten war, übernahmen Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine sofort die Sorge für das leibliche Wohl der Gesellschaft, und das erste, was sie thaten, war, daß sie ein Mahl herrichteten. Glücklicherweise waren wir reichlich mit Lebensmitteln versehen. Mrs. Aleshine hatte die Sorge für unsre Frühstückskörbe, wie sie es nannte, übernommen, die aber thatsächlich mehr Marktkörbe waren; und da sie wenig Vertrauen in die Hilfsquellen der Wirtshäuser an der Straße setzte, dagegen die Nahrungsaufnahmefähigkeit Mr. Endertons während einer Reise auf Grund ihrer Erfahrungen sehr hoch schätzte, hatte sie in freigebigster, ja verschwenderischer Weise dafür gesorgt.

An der einen Seite der Straße befand sich ein Wald, und hier lagen große Mengen trockenen Holzes am Boden umher. Ich suchte einen Armvoll davon zusammen und zündete ein Feuer an, das sehr willkommen war, denn die Luft ward kälter und kälter. Nachdem wir ein kräftiges Abendbrot eingenommen hatten, setzten wir uns in den Wagen, um das Eintreffen der Hilfe abzuwarten. Dort blieben wir lange Zeit, ja die ganze Nacht. Unbehaglich war der Aufenthalt jedoch nicht, denn wir hatten jedes eine Ecke des Wagens für sich und waren reichlich mit Mänteln und Decken versehen.

Ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit sprachen Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine nicht viel. Hätten sie unter den Verdrießlichkeiten eines gewöhnlichen Unfalls zu leiden gehabt, selbst wenn er die Folge einer Nachlässigkeit gewesen wäre, dann würde ihre Eigenart sie dahin geführt haben, die Ereignisse hinzunehmen, wie sie kamen, und ihnen die beste Seite abzugewinnen. Hier lag aber ein ganz andrer Fall vor. Wir hatten auf einer Landstraße an einem Bergabhang in unbewohnter, trostloser Oede in einer kalten, unfreundlichen Nacht Schiffbruch gelitten, und alles dies war die Folge der vorbedachten und teuflischen Handlungsweise eines Mannes, der sich vor Pferden fürchtete und an niemand in der Welt dachte als an sich. Sie befanden sich demnach in einer Gemütsverfassung, daß sie nur schelten konnten, wenn sie überhaupt sprechen wollten. Dabei waren sie aber so von zartfühlender Rücksicht gegen meine Frau erfüllt, daß sie in deren Gegenwart nicht über ihren Vater losziehen mochten. Deshalb sprachen sie lieber gar nicht, drückten sich in ihre Ecken und schliefen bald ein.

Nach einiger Zeit folgte Ruth ihrem Beispiel, und auch mich überwältigte die Müdigkeit, obschon ich anfänglich sehr besorgt nach einem sich etwa nähernden Lichtschein ausgeschaut und gelauscht hatte, ob ich nicht Räder knarren höre. Es mag etwa Zehn oder Elf gewesen sein, als ich durch leise aber kalte Berührungen in meinem Gesicht erweckt wurde, deren Natur mir zunächst rätselhaft war. Allein bald erkannte ich, wo diese Berührungen herkamen. Das Fenster in der Wagenthür meiner Seite war ein wenig herabgelassen, um frische Luft einzulassen, und durch diese schmale Oeffnung kamen die kalten kleinen Gegenstände herein. Ich sah aus dem Fenster. Die Nacht war nicht sehr finster, denn wenn der Himmel auch bewölkt war, verhinderte der im zweiten Viertel stehende Mond doch das Eintreten völliger Dunkelheit. In dem fahlen Lichte konnte ich deutlich sehen, daß es schneite, und daß der Erdboden schon ganz weiß war. Diese Entdeckung erschreckte mich tief, denn was ein Schneefall in diesen Bergen zu bedeuten hat, war mir nicht unbekannt, und ich wußte sehr wohl, welche Folgen er für uns haben könne. Aber zu machen war dagegen nichts, und es wäre nutzlos und thöricht gewesen, meine Reisegefährtinnen zu wecken und sie mit neuer Sorge zu erfüllen. Und am Ende ward unsre Lage gar nicht so schlimm. Es war ja noch nicht wirklich Winter und der Schneefall ward vielleicht nicht so arg. Ich schloß leise das Fenster und machte es mir körperlich in meiner Ecke bequem, aber mein Geist fand, ich weiß nicht wie lange, noch keine Ruhe.

Beim Erwachen sah ich, daß in der Nacht doch eine große Menge Schnee niedergegangen war, und noch immer fielen die Flocken dicht und rasch. Als Ruth zuerst hinausblickte, fuhr sie erschrocken zurück. Sie war an ein solches Wetter nicht gewöhnt, und der Schnee flößte ihr Furcht ein. Auf Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine dagegen hatte der Anblick des Schneefalls eine ganz andre Wirkung. Hier war eine Schwierigkeit, eine Vermehrung der Unbequemlichkeiten, ein neues Ungemach, aber es kam auf natürlichem Wege, nicht durch die Hand eines erbärmlichen Feiglings von einem Manne. Gegen Schwierigkeiten, die die Natur bereitete, waren sie gewöhnt, ohne Furcht und Zagen zu kämpfen. Was Schnee war, wußten sie ganz genau; er hatte keine Schrecken für sie. Die vermehrte Schwierigkeit unsrer Lage brachte thatsächlich ihre gute Laune zurück, und aus den verdrossenen und stillen Wesen des vergangenen Abends wurden wieder die alten munteren, unerschrockenen, zungenfertigen Frauen, die ich früher gekannt hatte.

»Na, ich will nit Barb'ry Aleshine heißen,« bemerkte diese, als sie ihr Gesicht an das Wagenfenster drückte, »wenn das nit ein regulärer altmodischer Schneesturm is. Ich habe mir selbst manchen Pfad durch so einen geschaufelt, um zum Melken in den Kuhstall zu kommen, ehe die Mannsleute angefangen hatten, Wege zu machen, un ich glaube, ich kann's noch immer.«

»Barb'ry Aleshine,« entgegnete Mr. Lecks, »wenn du einen Weg von hier bis dahin, wo deine Kühe sin, schaufeln willst, dann mußt du gleich aussteigen un dich an die Arbeit machen, un ich meine wirklich, wenn du denkst, daß sie krank werden, wenn du nicht bald zum Melken kommst, darfst du keine Zeit verlieren.«

»Ich will noch lange nit behaupten,« antwortete Mrs. Aleshine mit einem freundlichen Grinsen, »daß, wenn's so wäre, ich nit Lust dazu, wenn auch nit die Menschenmöglichkeit hätte, aber ich weiß nit, ob's jetzt 'nen Platz gibt, wohin wir unser« Weg schaufeln könnten.«

Mrs. Lecks und ich waren andrer Ansicht. Auf der entfernteren Seite der Straße unter den großen Bäumen war der Boden verhältnismäßig, und an einigen Stellen, da, wo dichtes immergrünes Laub Schutz bot, gänzlich schneefrei. Dorthin zu gelangen, um Feuer anzuzünden, war sehr wünschenswert, denn wenn wir auch warm gekleidet und gut eingewickelt waren, fühlten mir uns doch steif und durchfroren. Ich wußte, daß im Gepäckraume des Wagens eine Axt war, und ich hoffte, dort auch eine Schaufel zu finden. Als ich die Wagenthür öffnete, bemerkte ich, daß der Schnee schon über die unterste Stufe des Tritts reichte. Von den Speichen des Hinterrads konnte ich leicht an den Gepäckraum gelangen und hatte die Axt bald hervorgeholt, fand aber keine Schaufel. Das schreckte mich jedoch nicht ab. Ich kletterte vom Hinterrad auf das Vorderrad und von da auf den Kutscherbock. Dort brach ich mit der Axt eines der dünnen Fußbretter los und formte daraus eine rohe Schaufel, freilich mit etwas breitem Stiel, aber doch ganz brauchbar. Mit diesem Werkzeug machte ich mich flott an die Arbeit und stellte einen Pfad über die Straße her. Auf dem schneefreien Raum an der andern Seite schlug ich dann einige trockene Aeste ab, las andre vom Boden auf und hatte bald ein prasselndes Feuer angezündet, um das sich meine Gefährtinnen erfreut sammelten.

Inzwischen hatte sich ein heftiger Wind erhoben und wehte den Schnee an einzelnen Stellen in hohen Haufen zusammen. Das Feuer war sehr angenehm, aber der Wind war schneidend kalt, und wir zogen uns bald wieder in den Schutz des Wagens zurück, wo wir frühstückten. Dies war nicht nur eine kalte Mahlzeit, denn Mrs. Aleshine hatte für einen kleinen Theekessel gesorgt und machte uns mit Schneewasser, das ich kochend vom Feuer im Walde hereinbrachte, einen heißen, uns sehr wohlthuenden Thee.

Der Vormittag verging mit Warten, Ausschauen und Vermutungen, was für eine Art von Fuhrwerk uns geschickt werden würde. Darüber waren wir alle einig, daß nichts, was auf Rädern lief, jetzt auf der Straße durchkommen könne, und daß wir also mit einem Schlitten abgeholt werden müßten. »Ich fahre gern Schlitten,« sagte Mrs. Aleshine, »wenn man gut eingemummelt is, un mit guten Pferden un 'nem heißen Stein für die Füße, aber ich muß sagen, ich weiß nit, ob ich nit 'en bißchen ängstlich bin, diesen langen Berg hinunterzufahren. Wenn mir erst 'mal ordentlich ins Rutschen kommen, Schlitten un Pferde un alles, dann weiß kein Mensch, wo wir schließlich unsre Knochen zusammenlesen können.«

»'s is nur ein Trost, Barb'ry,« bemerkte Mrs. Lecks, »un das is, daß wenn wir irgendwo ankommen, dann is es jedenfalls unten am Berge, un nicht oben drauf, un da wir ja nunter wollen, haben wir nichts zu klagen.«

»Das kommt sehr drauf an, ob wir mit den Füßen oder mit dem Kopf zuerst unten ankommen. Aber einstweilen beklagt sich ja noch niemand, besonders da der Schlitten noch nit da is.«

Ich beteiligte mich am Ausschauen und an der Besprechung, aber es gelang mir nicht, den heiteren Mut zu bewahren, der meine Gefährtinnen beseelte, denn nicht nur die beiden älteren Frauen waren lebhaft und munter, sondern auch Ruth schien durch ihr Beispiel belebt und ermutigt zu werden, und war ebenso tapfer und zufrieden als sie. Sie hielt an der Ueberzeugung fest, daß ihr Vater die Bahnstation erreicht habe, ehe es zu schneien angefangen hatte, und machte sich deshalb keine Sorgen um ihn. Mein Gemüt war aber von mancherlei Befürchtungen erfüllt.

Noch immer schneite es heftig, und der Wind trieb mächtige Schneewehen zusammen, von denen eine den Raum zwischen dem Wagen und der niedrigen Böschung an der Seite der Straße, wo er stand, zu füllen begann. Jede halbe Stunde etwa nahm ich meine Schaufel zur Hand und säuberte den Pfad, der an der andern Seite des Wagens nach dem Walde führte. Einigemal ging ich bei dieser Gelegenheit eine Strecke unter den Bäumen hin, wo der Schnee mich nicht am Fortkommen hinderte, bis zu einem Punkte, von wo aus ich den Bergabhang hinabschauen konnte, und ich sah ganz deutlich, daß die Straße an mehreren Stellen durch ungeheure Schneeverwehungen gesperrt war. Eine uns von der Bahnstation zu Hilfe kommende Abteilung hatte darum ein schweres und zeitraubendes Stück Arbeit vor sich, und waren denn überhaupt Menschen dort, die uns zu Hilfe kommen konnten? Das war die Frage, die mir die größte Sorge machte. Die Niederlassung bei der Bahnstation war voraussichtlich sehr klein, und daß sich dort ein Schlitten vorfinden würde und Leute genug, um eine zur Freilegung der Straße hinlänglich starke Arbeiterabteilung zu bilden, war kaum zu erwarten. Leute und Fuhrwerke waren vielleicht an einem entfernter gelegenen Punkt der Bahn zu bekommen, allein das kostete Zeit, und es war gar nicht unmöglich, daß auch die Eisenbahn durch den Schnee unterbrochen worden war. Ich konnte mir schlechterdings nicht vorstellen, auf welche Weise uns noch an diesem Tage Hilfe erreichen könne. Selbst das Eintreffen eines reitenden Boten war nicht zu erwarten. Jeder, der ein so abenteuerliches Unternehmen versuchte, mußte im Sturm und den Schneewehen untergehen. Morgen konnte vielleicht Hilfe kommen, aber ich mochte nicht viel an morgen denken, und meinen Gefährten sagte ich nichts von meinen Gedanken und Befürchtungen.

Von Zeit zu Zeit, wenn ich den Pfad frisch gesäubert hatte, liefen die drei Frauen, wohl eingehüllt, über die Straße zu dem unter den Bäumen brennenden Feuer. Es war dies die einzige Art, wie sie sich erwärmen konnten, denn wenn uns der Wagen wohl auch vor Schnee und Wind schützte, war er doch zu kalt, um andauernd darin zu sitzen. Aber da Wind und Schnee auch häufig unter die Bäume drangen, war auch dort ein längerer Aufenthalt unmöglich, und öfteres Hinundhergehen zwischen Wagen und Wald setzte die Frauen den Unbilden der Witterung aus und verschaffte ihnen nasse Füße. Ich besann mich daher auf eine bessere Art, uns warm zu halten, und kurz nach unsrem Mittagsmahl kam mir ein Gedanke, an dessen Ausführung ich mich sofort machte.

Die Schneeverwehung zwischen dem Wagen und der Böschung war jetzt höher als das Verdeck des Fuhrwerks, gegen dessen eine Seite sie sich fest anlehnte. Ich schaufelte nun zunächst einen Pfad um die Rückseite des Wagens und sing dann an, die große Schneeverwehung von unten tunnelartig auszuhöhlen. Nach etwa einstündiger angestrengter Arbeit hatte ich dicht vor der Wagenthür jener Seite einen freien Raum hergestellt, worin es mir möglich war, aufrecht zu stehen, und nun schaffte ich den Schnee soweit fort, daß die Thür geöffnet werden konnte. An dem dem niedrigen Eingang in diese Höhle entgegengesetzten Ende stellte ich in der oberen Wölbung eine Oeffnung her. Dies Loch hatte etwa einen Fuß Durchmesser, doch anfänglich siel der leichte Schnee von oben nach und schloß es immer wieder. Durch Klopfen der Seiten mit meiner Schaufel gelang es mir indes, ihm eine solche Festigkeit zu geben, daß es eine Art Schornstein bildete.

Nunmehr beeilte ich mich, trockenes Holz herbeizuschaffen, und nachdem ich aus grünen Aesten, die ich mit meiner Axt abhieb, einen Herd gebaut hatte, zündete ich in diesem Schneekamin ein Feuer an. Mrs. Lecks, Mrs. Aleshine und Ruth hatten mein Vorgehen mit großem Interesse beobachtet, und als das Feuer zu brennen und der Rauch aus meinem Schornstein abzuziehen begann, wurde die Wagenthüre geöffnet und die willkommene Wärme erfüllte allmählich das Innere des Fuhrwerks.

»Das muß ich sagen,« rief Mrs. Aleshine, »wenn das nit einer der famosesten Gedanken is, wovon ich je gehört habe! Ein Feuer mitten in einem Schneehaufen! Aber ich glaube, Mr. Craig, es märe gut, wenn Sie uns Ihre Schaufel reinreichten, damit wir Sie herausbuddeln können, wenn das Feuer Ihr kleines Haus schmilzt un es Ihnen auf den Kopf fällt.«

»Die Schaufel können Sie haben,« erwiderte ich, »aber ich glaube nicht, daß dieser Schneeberg über mir zusammenstürzen wird. Natürlich wird die Hitze den Schnee schmelzen, allein ich denke, er wird sich allmählich auflösen, so daß der Einsturz, wenn es dazu überhaupt kommt, nicht viel zu sagen hat, und dann haben wir einen großen, von allen Seiten geschützten und nur oben offenen Raum, wo wir unser Feuer unterhalten können.«

»Lieber Gott!« rief Ruth. »Du redest ja gerade so, als ob du noch eine Ewigkeit hier zu bleiben erwartetest, und das können wir doch nicht. Um nur eins zu sagen, wir würden ja verhungern.«

»Das brauchen Sie nit zu fürchten,« sagte Mrs. Aleshine. »Wir haben genug zu essen, bis die Leute kommen. Wenn ich für die Reise oder Landpartieen Körbe packe, dann knickere ich nit. Un en Feuer müssen wir unterhalten, denn es märe doch eklig für die Leute, wenn sie sich den Berg rauf geschuftet haben und finden uns dann steif gefroren.«

Mrs. Lecks lächelte. »Du bist ja sehr rücksichtsvoll für andrer Menschen Gefühle, Barb'ry,« meinte sie, »un ein Herz so warm wie' deins müßte dich allein schon vor, dem Frieren bewahren.«

»Un das hat's auch gethan soweit « entgegnete Mrs. Aleshine freundlich. Wie ich es erwartet hatte, fing das Wasser bald an, von der Decke und den Wänden meiner Höhle zu tropfen, und der Schornstein erweiterte sich rasch. Ich leitete das Wasser in eine Vertiefung hinter der Kutsche, und da ich ein starkes Feuer unterhielt, waren weder die Wassertropfen, noch gelegentlich hineinfallende Schneeklumpen im stände, es auszulöschen. Die Höhle vergrößerte sich immer mehr, und die Decke wurde so dünn, daß sie nach einiger Zeit, während ich draußen war und Holz sammelte, zusammenfiel und das Feuer erstickte. Dieser Zufall störte meine Bemühungen jedoch nur kurze Zeit. Ich schaffte den Schnee vom Boden der Höhlung weg und zündete mein Feuer auf der bloßen Erde wieder an. Die hohen Schneewälle, die es an drei Seiten umgaben, schützten es vor dem Winde, so daß keine Gefahr für den Nagen vorhanden war, wahrend der große offene Raum darüber dem Rauch freien Abzug gewährte.

Etwa um die Mitte des Nachmittags hörte es zu unsrer großen Beruhigung auf zu schneien, und nachdem ich den Pfad wieder aufgeräumt hatte, benutzten meine Gefährten mit Freuden die Gelegenheit, nach dem durch die Bäume geschützten Platz hinüberzuwandern, um sich etwas Bewegung zu machen. Während ihrer Abwesenheit beschäftigte ich mich eifrig damit, das Feuer in Gang zu bringen, als ich ein leises, knirschendes Geräusch neben mir hörte. Mich umwendend, bemerkte ich in der Wand meiner Höhle, ungefähr vier bis fünf Fuß vom Boden entfernt, ein unregelmäßiges Loch im Schnee von etwa einem Fuß Durchmesser, aus dem der Kopf eines Mannes hervorsah. Dieser Kopf war mit Ausnahme des Gesichts in eine dicke braune Decke gewickelt. Die Züge waren die eines Mannes von etwa fünfzig Jahren, etwas bleich, mager und völlig bartlos, wenn schon Wangen und Kinn erkennen ließen, daß er sich einige Tage nicht rasiert hatte.

Die erstaunliche Erscheinung dieses aus der Schneewand meiner Höhle hervorragenden Kopfes lähmte mich so vollständig, daß ich mich weder rühren, noch sprechen konnte, sondern gebückt beim Feuer stehen blieb und den Kopf anstarrte. Er lächelte etwas und sprach dann: »Könnten Sie mir wohl einen eisernen Topf leihen?«

Ich richtete mich auf, halb und halb mit der Absicht, davonzulaufen. War das ein Traum, oder gab es eine Menschenrasse, die in Schneehaufen lebte?

Das Gesicht lächelte wieder ungemein freundlich. »Erschrecken Sie nicht,« sagte es. »Ich sah Sie zusammenfahren und sprach deshalb zuerst von einem gewöhnlichen Topfe, um Sie zu beruhigen.«

»Um Himmels willen, wer sind Sie denn?« stieß ich hervor.

»Ich bin nur ein Reisender, Herr,« antwortete der Kopf, »dem anscheinend ein ähnlicher Unfall zugestoßen ist, wie Ihnen. Aber ich kann in dieser unbequemen Stellung nicht länger mit Ihnen sprechen. Auf der Brust in einem Schneetunnel liegend, könnte ich mich ernstlich erkalten. Könnten Sie mir wohl, ohne daß es Ihnen Umstände macht, einen eisernen Topf leihen?«

Nun war ich überzeugt, daß ich es mit einem gewöhnlichen, menschlichen Wesen zu thun hatte, und Mut und Besinnung kehrten zurück, aber mein Erstaunen war noch immer grenzenlos, »Ehe wir von Töpfen reden,« entgegnete ich, »muß ich wissen, wer Sie sind und wie Sie in den Schneehaufen gekommen.«

»Ich glaube nicht,« erwiderte mein Besucher, »daß ich mit dem Kopf voran zu Ihnen hinunter gelangen kann. Ich werde mich deshalb nach meiner Zufluchtsstätte zurückziehen, und vielleicht können wir uns dann durch diese Oeffnung verständigen.«

»Kann ich nach Ihrer Zufluchtsstätte durchkommen?« fragte ich.

»O gewiß,« war die Antwort, »Sie sind jung und gewandt, und auf meiner Seite ist der Absprung nicht so hoch. Aber ich will mich erst zurückziehen und Ihnen dann diese Schafpelzdecke zuschieben, die, wenn Sie sich darauf legen, Ihre Brust und Arme vor der unmittelbaren Berührung mit dem Schnee bewahren wird,«

Es war nicht leicht, in das Loch hineinzuklettern, aber es gelang mir, und ich fand dort die Decke, die mir der Mann mittels eines Regenschirms zugeschoben hatte. Nun sah ich mich in einem wagerechten Tunnel, kaum weit genug, um meinen Körper durchzulassen, und etwa sechs Fuß lang. Als ich mich hindurchgearbeitet hatte und meinen Kopf am andern Ende hinausstreckte, blickte ich in eine Art kleinen, hölzernen Schuppens, der nur durch eine Glasscheibe, die in eine mir gerade gegenüber befindlichen Thür eingelassen war, Licht empfing. Der ganze Ort war, wie ich sofort bemerkte, von einem starken Geruch nach Spirituosen erfüllt. Der Mann erwartete mich, und ich stieg mit seiner Hilfe auf den Boden herab. Dabei hörte ich etwas, das wie ein leises Kichern klang, und als ich mich umschaute, erblickte ich in einer Ecke ein Bündel von Tüchern und Reisedecken und oben darauf ein Paar Augen. Mich nochmal umwendend, konnte ich in einer andern Ecke ein zweites Bündel, ähnlich dem eisten, aber etwas größer, unterscheiden.

»Diese Damen sind meine Reisegefährtinnen,« sagte der Mann, der sich jetzt in einen weiten Mantel hüllte, und der von großer, aber etwas schlanker Gestalt zu sein schien. Sein Benehmen und seine Stimme waren die eines außerordentlich feinen und gebildeten Herrn. »Da Sie gewiß sehr neugierig sind – was ich für durchaus begreiflich halte – zu erfahren, wie wir hierhergekommen sind, will ich sogleich dazu übergehen, Sie davon in Kenntnis zu setzen. Wir fuhren gestern in einem Wagen nach der Eisenbahnstation, die, wie ich glaube, nur noch wenige Meilen von hier entfernt ist. Von dem Orte, wo wir uns zuletzt aufgehalten haben, führen zwei Straßen dahin, und wir wählten die, die sich zuerst durch ein Thal zieht, und die wir für die angenehmere hielten. Wir mieteten zwei Pferde, die sich jedoch als ziemlich schlecht herausstellten, und an einer etwa hundert Schritt von hier befindlichen Stelle konnte eines davon nicht mehr weiter. Der Kutscher erklärte, es sei weiter nichts zu thun, als das untauglich gewordene Pferd laufen zu lassen, das seinen Weg nach seinem Stalle zurück sicher finden werde, und er wolle auf dem andern nach der Bahnstation reiten, wo er ein frisches Gespann besorgen und dann so rasch als möglich zurückkehren wolle. Wir mußten uns darein fügen, denn wir hatten keine Wahl. Er sagte uns, wenn wir keine Lust hätten, im Wagen zu bleiben, würden wir ein Stück weiter vorwärts an der Straße eine Hütte finden, die zur Unterkunft für die Leute, die manchmal mit Pferden zum Wechseln hierher geschickt würden, errichtet worden sei. Nachdem er uns versichert hatte, daß er nicht länger als drei Stunden ausbleiben werde, ritt er davon, und seitdem haben wir ihn nicht wieder gesehen. Bald nachdem er uns verlassen hatte, suchte ich diese Hütte auf, und da ich sie wetterdicht und vergleichsweise behaglich fand, meinte ich, der Aufenthalt hier werde nach dem auf die Dauer unbequemen Sitzen im Wagen eine Erholung sein, und führte die Damen hierher. Gegen Abend ward es sehr kalt, und ich beschloß, ein Feuer anzuzünden, was in einem Wagen natürlich, unmöglich gewesen wäre. Glücklicherweise führte ich ein Kistchen mit kalifornischem Branntwein mit. Mit Hilfe eines Steines gelang es mir, den Deckel zu öffnen, und ich trug einige Flaschen hierher. In einer Ecke fand ich eine alte Blechpfanne, die ich mit Stroh aus dem Kistchen füllte; darüber goß ich Branntwein, der, angezündet, ein Feuer ohne Rauch erzeugte, das, als mir uns darum stellten, eine beträchtliche Wärme ausstrahlte.«

Diese Erwähnung des Brennmaterials, das der Sprecher gebraucht hatte, erklärte mir den starken Spiritusgeruch, der den Raum erfüllte, und ich gestehe, es war mir eine Beruhigung.

»Anfänglich,« fuhr der Herr fort, »schrieb ich das längere Ausbleiben des Kutschers den gewöhnlichen Verzögerungen zu, die so häufig an ländlichen, abgelegenen Orten vorkommen, allein nach einiger Zeit konnte ich es vernünftigerweise nicht mehr damit erklären. Als es dunkel ward, holte ich unfern Speisekorb und mir nahmen ein leichtes Abendessen ein. Dann machte ich es den Damen so behaglich als möglich und wartete mit großer Spannung auf die Rückkehr des Kutschers.

»Nach einiger Zeit fing es an zu schneien, und in der Besorgnis, daß der Schnee unsre Verbindung mit dem Wagen unterbrechen könne, schleppte ich, vielmal hin und her gehend, den Rest des Branntweins, unsre Decken und Mantel und die Wagenkissen herbei. Daß mir die ganze Nacht hier zubringen müßten, glaubte ich immer noch nicht, aber ich hielt es für klug, mich aufs Schlimmste einzurichten und an einem Orte zu bleiben, wo wir uns wenigstens ein Feuer anzünden konnten. Der Morgen zeigte, daß ich weise gehandelt hatte. Wie Sie wissen, mein Herr, fand ich die Straße in beiden Richtungen vollständig vom Schnee versperrt, und ich habe seitdem nicht wieder zu unserm Wagen gelangen können.«

»Haben Sie nicht alle sehr unter der Kälte gelitten?« fragte ich. »Und haben Sie Lebensmittel genug?«

»Ich will nicht behaupten,« erwiderte der Herr, »daß mir nicht neben unsrer Sorge auch etwas von der Kälte gelitten haben, aber wahrend des grüßten Teils des heutigen Tages habe ich ein Verfahren beobachtet, das für meine Gefährtinnen die angenehmsten Folgen gehabt hat. Ich habe sie sehr dicht und warm eingewickelt, und sie halten in jeder Hand ein hartgesottenes Ei. Ich hielt es für besser, diese aufzubewahren, um uns zu erwärmen, statt sie zu essen. Alle halbe Stunde koche ich sie in einem kleinen Reisetheekessel, den wir bei uns haben, auf. Sie halten die Wärme ziemlich lange, und diese wird in einem gewissen Grade durch die Hände dem ganzen Körper mitgeteilt.«

Bei diesen Worten ertönte von dem Bündel in einer Ecke ein leises Lachen, und auch ich konnte nicht umhin, über dieses sonderbare Erwärmungsverfahren zu lächeln. Ich richtete meine Blicke nach dem lustigen Bündel und erlaubte mir die Bemerkung, die Eier würden wohl jetzt ziemlich hart sein.

»Diese Damen,« hob der Herr wieder an, »sind an die kalte Luft dieser Gegend nicht gewöhnt, und ich habe ihnen deshalb das Sprechen untersagt, in der Hoffnung, so einer Erkaltung durch Einatmen der kalten Luft vorzubeugen. So weit haben mir nicht wirklich gelitten, und wir haben auch noch einige Nahrungsmittel. Gegen Mittag bemerkte ich, daß Rauch über diese Hütte hinwegzog. Ich öffnete mit einiger Anstrengung die Thüre und trat hinaus, um nachzusehen, wo er herkäme. Dabei hörte ich Stimmen auf der andern Seite der Ungeheuern Schneeverwehung hinter uns, aber hinüberzukommen war unmöglich. Da ich einsah, daß ich unter allen Umständen mit den menschlichen Wesen, die sich uns so nahe befanden, in Verbindung treten müsse, versuchte ich zu schreien, allein die Kälte hatte meine Stimme so geschwächt, daß ich das nicht konnte. Nun fing ich an zu überlegen. In der Rückwand dieser Hütte befindet sich ein durch einen hölzernen Laden von innen geschlossenes Fenster. Ich öffnete den Laden und fand, daß der Schnee draußen fest dagegen gepackt war. Er war aber nicht sehr hart, und es konnte meiner Ansicht nach nicht schwierig sein, einen Tunnel bis zu der Stelle, von wo ich die stimmen gehört hatte, zu graben. So machte ich mich unverzüglich an die Arbeit, denn ich fürchtete, wir würden gezwungen sein, die vier hartgekochten Eier, die die Damen in den Händen halten, und die ich nächstens wieder kochen muß, zu essen, wenn wir noch eine Nacht hier bleiben müßten.«

»Wie haben Sie es denn aber fertig gebracht, sich durch den Schnee hindurchzuarbeiten?« fragte ich. »Hatten Sie eine Schaufel?«

»O nein,« erwiderte der andre, »ich habe die Blechpfanne benutzt. Es ging ganz gut damit. Jedesmal, wenn sie voll war, warf ich den Inhalt zur Thür hinaus.«

»Das muß aber eine sehr zeitraubende und anstrengende Arbeit gewesen sein,« bemerkte ich.

»Ja, das war's freilich,« antwortete er. »Die Arbeit war mühsam und nahm mehrere Stunden in Anspruch. Aber als ich einen anständigen Herrn drüben bei dem Feuer sah und dicht dabei einen Postwagen, wußte ich, daß meine Mühe nicht umsonst gewesen war. Darf ich mir die Frage erlauben, wie es kommt, daß Sie auch eingeschneit sind?«

Hierauf erzählte ich ihm kurz die Geschichte unsres Mißgeschicks und war kaum damit zu Ende gekommen, als eine schrille Stimme durch den Tunnel erscholl. Es war Mrs. Aleshines Stimme.

»Hallo!« schrie sie. »Sin Sie da drinnen? Sie wollen doch nit behaupten, daß noch andre Leute in dem Loche sin?«

Da ich mir denken konnte, daß meine Frau und ihre Gefährtinnen auf der andern Seite der Schneeverwehung in großer Aufregung seien, antwortete ich, ich würde sofort zu ihnen zurückkehren, und erklärte dann dem Herrn, warum ich nicht länger bei ihm bleiben könne. »Aber ehe ich mich entferne,« schloß ich, »möchte ich fragen, ob ich etwas für Sie thun kann? Brauchen Sie wirklich einen eisernen Topf?«

»Der Rest unsrer Lebensmittel besteht aus Brocken,« entgegnete er, »und schmeckt den Damen so nicht. Ich möchte versuchen, irgend etwas daraus zuzubereiten, was schmackhafter ist. Aber ich will Sie nicht länger von Ihren Freundinnen zurückhalten und ich gebe Ihnen den guten Rat, mit den Füßen zuerst in den Tunnel zu kriechen, es würde Ihnen sonst schwer fallen, am andern Ende den Boden zu erreichen.«

Ich folgte diesem Rat, und es gelang mir mit seinem Beistand und der Hilfe des Fensterrahmens, mit den Füßen voraus in das Loch zu kommen, und bald darauf sprang ich am andern Ende mitten zwischen meinen erschreckten Gefährtinnen auf den Boden. Als sie vernahmen, wo ich gewesen war und was ich gesehen hatte, waren sie natürlich höchst überrascht.

»Wie? Noch eine Gesellschaft gerade hier an dieser Stelle verunglückt?« rief Ruth aus, die höchst erregbar war und eine sehr lebhafte Einbildungskraft besaß. »Das sieht ja sehr verdächtig aus. Sollen wir am Ende beraubt und ermordet werden?«

Bei diesen Worten sprang Mrs. Aleshine auf mich zu. »Mr. Craig,« rief sie, »wenn's Räuber sin, dann verlieren Sie keine Minute! Wir wollen uns nit überrumpeln lassen! 'raus mit Ihrer Pistole un schießen Sie durchs Loch!«

»Barmherziger! Barb'ry Aleshine!« sprach Mrs. Lecks, »du bildest dir doch nicht ein, daß die Armen da drüben Räuber sin? Un das Muß ich sagen, wenn's irgend 'was wie 'ne Verschwörung is, dann hat Ihr Schwiegervater mit ihnen unter einer Decke gesteckt, denn er war es, der uns gerade hier zum Stranden gebracht hat. Aber natürlich, so 'was glaubt ja keine von uns, un 's erste, was geschehn muß, is, daß wir uns besinnen, ob wir nichts für die armen Menschen thun können.«

»Sie scheinen noch etwas Lebensmittel zu haben,« sagte ich, »aber nicht viel, und ich fürchte, sie leiden unter der Kälte.«

»Könnten wir ihnen nit 'n bißchen Holz durch dies Loch zuschieben?« meinte Mrs, Aleshine, deren kriegerische Stimmung sich in das tiefste Mitleid verwandelt hatte. »Ich sollte denken, sie müßten beinahe erfroren sein, wenn sie nichts als hartgesottene Eier haben, um sich dran zu wärmen.«

Ich setzte den Frauen indes auseinander, daß in der Hütte keine Vorrichtung zum Feuermachen sei, und schlug vor, wir wollten ihnen aus unserm Vorrat etwas heißen Thee bereiten.

»So wird's gemacht,« sagte Mrs. Aleshine, »un Sie können ihnen auch zurufen, daß ich ihre Gier so oft für sie wärmen kann, als sie wollen, wenn sie sie uns durch das Loch herüberschieben.«

»Das muß ich aber doch sagen,« rief Mrs. Lecks, während sie und Mrs. Aleshine eifrig damit beschäftigt waren, einen Teil unsrer jetzt sehr zusammengeschmolzenen Mundvorräte in das kleinste unsrer Körbchen zu packen, »dies is das erste Mal in meinem ganzen Leben, daß ich von Leuten gehört habe, die sich mit Hühnereiern un Branntwein wärmen, außer in Gestalt von Eiergrog, un daß sie der Versuchung widerstanden un sich mit einfacher ehrlicher Wärme, wenn auch nur ein bißchen, begnügt haben, das zeigt, was für 'ne Art von Leuten sie sein müssen. Un meinen Sie, wir könnten jetzt den Korb durchschieben, ohne das Kesselchen umzuschmeißen?«

Nun rief ich dem Herrn zu, mir seien im Begriff, ihm einen Korb zu schicken, und hierauf schob ich diesen mit Hilfe eines Regenschirms vorsichtig in den Tunnel, bis zu einem Punkt, wo er ihn erreichen konnte. Herzliche Dankesworte kamen durch das Loch zu uns zurück, und als Korb und Kessel wieder in unfern Händen waren, bereiteten mir unser eigenes Abendessen. »Un wenn's das Leben gälte,« sagte Mrs. Aleshine, indem sie eine Tasse Thee schlürfte, »ich kann nit begreifen, weshalb wir nit bemerkt haben, daß 'n Haus so nahe bei uns is.«

»Auch ich habe mir darüber schon den Kopf zerbrochen,« entgegnete ich, »aber die andre Straße, woran die Hütte steht, liegt wahrscheinlich tiefer als diese, so daß der obere Teil des Daches nicht viel über den erhöhten Boden zwischen den beiden Straßen hervorragt, und wenn außerdem noch Gras oder niedrige Gebüsche darauf wachsen, wie das wahrscheinlich der Fall ist, dann erklärt es sich ganz natürlich, daß wir das Dach der verwitterten Hütte nicht bemerkt haben.«

»Besonders,« warf Mrs. Aleshine dazwischen, »da mir uns gar nit nach Hütten umgeguckt haben; soweit mir erinnerlich is, haben wir uns überhaupt auf der Seite des Wagens gar nit umgesehen, denn meine Augen hatten genug zu thun, sich auf der Seite, wo wir aus- und einstiegen, umzuschauen un die Straße 'nunter zu starren.«

»Na,« fügte Mrs. Lecks zum Schlüsse hinzu, »da wir die Hütte nicht gesehen haben, is es doch 'n Trost zu missen, daß das seine guten Gründe hatte, un daß wir nicht geborene Dummköpfe sin.«

Es wurde jetzt dunkel, und die Unterhaltung durch den Tunnel beschränkte sich auf wenige Fragen und Antworten.

»Ehe wir uns zum Schlafen einrichten,« meinte Mrs. Aleshine zuletzt – »denn da wir keine Lichter haben, werden wir wohl nit lange aufsitzen –, wär's da nit gut, wenn wir so 'ne Art kleinen Schlitten zurechte machten, mit 'nem Seil an jedem Ende, damit wir den armen Leuten, wenn sie etwa in der Nacht krank meiden, 'n Senfpflaster oder 'n paar Pfefferminzkügelchen schicken können?«

Diese kleine Vorsichtsmaßregel wurde jedoch nicht für notwendig erachtet, und nachdem mir von dem Herrn auf der andern Seite die Versicherung erhalten hatten, daß er im stande sei, seine Gesellschaft bis zum nächsten Morgen warm zu halten, wünschten wir einander gute Nacht. Ich legte noch einmal tüchtig Holz aufs Feuer und stieg sodann in den Wagen, wo meine Gefährtinnen es sich schon in ihren Ecken bequem gemacht hatten. Schlaf fand ich nur wenig, da ich häusig aussteigen mußte, um das Feuer zu unterhalten, und so hatte ich Zeit genug, mich mit den ernstesten Besorgnissen zu quälen. Unsre Nahrungsmittel waren fast aufgebraucht, und wenn uns nicht bald Hilfe erreichte, konnte ich nichts als ein langsames Sterben vor uns sehen, und soweit ich die Sachlage beurteilen konnte, war am nächsten Tage ebensowenig Hilfe zu erwarten, als an dem, der gerade zu Ende ging. Wo waren die Arbeiter zu finden, die sich durch diese meilenlangen Schneeverwehungen einen Weg zu uns bahnen konnten?

Meine Gefährtinnen sprachen nur wenig während der Nacht, aber ich zweifle nicht daran, daß sie den Ernst unsrer Lage sehr wohl fühlten und daß ihr Schlaf häufig unterbrochen und wenig erquickend war. Hätte irgend etwas geschehen können, dann wären Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine durch die Aussicht auf die Ansprüche, die an ihre Leistungsfähigkeit gestellt werden sollten, aufgemuntert worden; aber wir alle fühlten, daß wir nichts thun konnten.


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