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Drittes Kapitel.

Als das Boot, das wir auf die Insel zukommen sahen, nahe genug gelangt war, daß wir seine Insassen unterscheiden konnten, fanden wir, daß es fünf Personen enthielt. Drei saßen im Stern und zwei ruderten. Eine der erstern war, wie wir bald erkennen konnten, eine Frau, und als wir unsre Augen aufs äußerste angestrengt hatten, konnten wir uns nicht länger verhehlen, daß nur ein weibliches Wesen an Bord war.

»Na, das is aber 'ne Enttäuschung,« sagte Mrs. Aleshine, »denn ich habe mir schon die ganze Zeit den Kopf zerbrochen, wer mir wohl am besten gefallen würde, Emily oder Lucille, un nu, wo nur eine gekommen is, kann ich das natürlich nit entscheiden.«

Das Boot steuerte beinahe gerade auf die Einfahrt im Riff los, und es dauerte nicht lange, bis die beiden Frauen im stande waren, zu erklären, Mr. Dusante sei ein ältlicher Herr, die Dame dagegen ziemlich jung und aller Wahrscheinlichkeit nach seine Tochter.

»Es kann sein,« meinte Mrs. Aleshine, »daß die Mutter, ob's nu Emily oder Lucille war, gestorben is, un daß sie deshalb früher zurückkommen, als sie ursprünglich beabsichtigt hatten.«

»Hoffentlich irrst du dich da, Barb'ry Aleshine,« entgegnete Mrs. Lecks, »denn sie würden hier eine Masse Sachen sehn, die ihren Schmerz erneuern müßten, un das würde sie nicht gerade zu sehr lebhaften Gesellschaftern machen.«

»Anderseits,« fuhr Mrs. Aleshine unbeirrt fort, »kann es auch sein, daß Emily oder Lucille sich verheiratet hat un mit ihrem Mann auf Reisen gegangen is, un wenn sie das erste Kleine hat, dann kommt sie hierher, damit das Wurm die Seeluft genießt, un das bringt dann Leben ins Haus, Mrs. Lecks.«

»Wie lange gedenkst du denn noch hier zu bleiben? Das möchte ich wohl wissen,« versetzte Mrs. Lecks, ihre Freundin etwas strenge anblickend.

»Das kann ich doch nicht sagen,« antwortete Mrs. Aleshine, »da ich nichts darüber weiß. Aber was ich sagen will, ist, daß ich hoffe, sie möchten etwas Waschblau mitbringen, denn das, was hier war, habe ich bei der letzten Wäsche fast ganz aufgebraucht.«

Während dieses Gesprächs hatte ich das nahende Boot aufmerksam beobachtet und mich dabei des Gedankens nicht enthalten können, daß es für die Besitzer eines solchen Anwesens doch eine eigentümliche Art sei, ihre Insel zu besuchen. Weshalb kamen sie in einem offenen Boot? Wo sie auch wohnen mochten, es schien mir durchaus nicht wahrscheinlich, daß sie sich von da bis hierher rudern ließen. Der allgemeine Eindruck und die Ausstattung des Hauses, worin wir Zuflucht gefunden hatten, ließen darauf schließen, daß seine Besitzer Leute in sehr guten Verhältnissen seien, daran gewöhnt, ihren Haushalt in sehr anständiger Weise zu führen und ohne ängstlich auf die Kosten zu sehen. Man mußte demnach auch erwarten, daß sie die Reise in der Regel in einem passenden Fahrzeug, das auch die für ihren Aufenthalt nötigen Vorräte mitführen konnte, machten. In jenem Boote dort aber konnte nur wenig oder nichts sein, und ich konnte mir nicht recht vorstellen, daß es die Besitzer der Insel bringe.

Mir eine bestimmte Ansicht zu bilden, wäre indes voreilig gewesen. Es konnte ihnen ja ein Unglück zugestoßen sein; ich vermochte, mit einem Wort, die Verhältnisse nicht zu beurteilen, und meine nächste Pflicht war offenbar, den Leuten bis zur Einfahrt entgegenzugehen; denn wenn sie die Schlüssel zu den die Stangen festhaltenden Schlössern nicht besaßen, konnten sie nicht herein, und ich mußte sie über die Lagune setzen. Ohne meinen Gefährtinnen meine Zweifel mitzuteilen, stieg ich eilig wieder in meinen Kahn und ruderte in die Einfahrt hinein, so weit ich gelangen konnte. Die Stangen, deren viel mehr vorhanden waren, als ich zuerst bemerkt hatte, waren so angeordnet, daß kein Boot, ohne sie zu entfernen, herein oder hinaus gelangen konnte, es mochte Ebbe oder Flut sein.

Ich war erst seit wenigen Minuten an meinem Platz angelangt, als das Boot von außen langsam zwischen die Felsen hereinfuhr; doch kaum war es erschienen, als seine Weiterfahrt auch schon durch eine versenkte Stange aufgehalten wurde.

»Hallo!« riefen mehrere Männerstimmen auf einmal.

»Hallo!« erwiderte ich. »Habt ihr die Schlüssel zu diesen Stangen?«

Ein kräftig gebauter Mann mit rotem Vollbart erhob sich im Stern des Bootes. »Schlüssel?« rief er. »Was für Schlüssel?«

»Dann gehört ihr also nicht hierher?« fragte ich zurück. »Wer seid ihr?«

Nach diesen Worten erhob sich der bei der Dame sitzende Herr. Er war über das mittlere Alter hinaus, groß und hager, und als er in dem leicht schwankenden Boote stand, wäre er fast gefallen.

»Bleiben Sie lieber sitzen, Herr,« sagte der Mann mit dem roten Bart, der, wie ich sehen konnte, ein Seemann war, »Sie können besser im Sitzen sprechen.«

»Mein Herr,« begann er, nachdem er sich wieder gesetzt hatte; »ich bin der Pfarrer Enderton, bisher Missionar in Nanfouchong in China, und dies ist meine Tochter, Miß Enderton. Wir befinden uns auf der Rückreise nach den Vereinigten Staaten, via Sandwichinseln, und hatten uns auf einem Segelschiff nach Honolulu eingeschifft. Vor zwei Wochen wurde das Schiff auf eine mir unbekannte Art seeuntüchtig –«

»Hauptmast merschtenteils verfault,« unterbrach der Seemann mit dem roten Bart. »Wäre bei einem Sturm sicher über Bord gegangen, un außerdem war das Schiff undicht.«

»Davon, daß der Mast faul war, weiß ich nichts,« antwortete der Herr, »allein als der anfänglich wirklich günstige Wind sich legte, sind wir kaum vom Fleck gekommen. Aber noch mehr, die ganze Bemannung hatte Tag und Nacht damit zu thun, die aus Thee bestehende Ladung wasserfrei zu halten, und das machte einen solchen Lärm, daß an Schlafen nicht zu denken war. Dazu kam, daß unsre Mahlzeiten sehr unregelmäßig bereitet und manchmal ganz vergessen wurden –«

»War nicht mehr viel zu beißen da,« warf der Rotbärtige dazwischen.

»Sie werden also begreifen, mein Herr,« fuhr der Pfarrer fort, »daß es mir und meiner Tochter unmöglich war, länger an Bord jenes Schiffes, dessen einzige Passagiere wir waren, zu verbleiben. Ich ersuchte deshalb den Kapitän, uns an der nächsten Küste auszusetzen, was er, nachdem er es mehr als eine Woche unter allerhand Vorwänden verweigert hatte, endlich zugestand.«

»Konnte 's doch nit eher thun, bis Land nahe genug war,« meinte der Seemann.

»Der Kapitän sagte mir,« sprach der Herr weiter, »daß diese Insel bewohnt sei, und daß ich hier Zuflucht und Ruhe finden werde, bis ein Schiff von Honolulu geschickt werden könne, um uns abzuholen. Er überließ mir dies Boot und drei Matrosen, wovon einer Bootsmann ist,« dabei zeigte er auf den Rotbart. »Seitdem haben wir bis diesen Morgen immerfort gerudert, mit sehr wenig Nahrungsmitteln und sehr viel Unbehagen. Nun, mein Herr, haben Sie meine Geschichte gehört, und ich frage Sie, ob Sie noch länger beabsichtigen, uns die Einfahrt zu sperren?«

»Ich habe die Einfahrt nicht gesperrt,« versetzte ich, »und ich würde sie gern öffnen, wenn ich nur könnte. Ich gehöre zu einer Gesellschaft Schiffbrüchiger, die vor etwa vierzehn Tagen hier Zuflucht suchten.«

»Wie sin Sie denn reingekommen?« fragte der rotbärtige Bootsmann eifrig.

»Unser Boot sank, als wir in Sicht dieser Insel waren, und wir sind auf Schwimmgürteln hierhergekommen und unter den Stangen hindurchgekrochen.«

Da wandten sich die beiden Männer, die bisher gerudert hatten, plötzlich um und sahen mich an. »Donnerwetter!« riefen die beiden schwarzbärtigen Gesellen gleichzeitig.

»Ich will mich nicht länger damit aufhalten, Ihnen jetzt unsre Geschichte zu erzählen,« fuhr ich fort. »Die Hauptsache ist, daß wir Sie an Land bringen und pflegen.«

»Das stimmt!« sagte der Bootsmann, und die beiden andern Matrosen murmelten: »Ja, ja, Herr.«

Die Stange, die das Weiterkommen des großen Bootes hinderte, befand sich dicht unter dem Wasserspiegel, während eine zweite, etwa einen Fuß darüber, meinen Kahn ungefähr sechs Fuß von dem Boot entfernt hielt. Die neu Angekommenen hatten einige lose Planken in ihrem Fahrzeug, und der Bootsmann ließ nun aus zweien davon eine Art Brücke herstellen, deren eines Ende auf dem Bug des großen Bootes, das andre auf der eisernen Stange vor meinem Nachen auflag.

»Jetzt,« sagte der Bootsmann, »die Dame zuerst.«

Der ältliche Herr erhob sich, als ob er lieber den Anfang machen wolle, allein der Bootsmann führte die Tochter, die bis jetzt noch kein Wort gesprochen hatte, vor, und einer der Matrosen stützte sie auf der Brücke und half ihr in meinen Kahn. Dann folgte ihr Vater, und ich ruderte beide nach der Landungsbrücke.

Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine begrüßten sie sehr herzlich.

»Wohl Mr. Dusante?« fragte Mrs. Lecks, während mir Mrs. Aleshine aufgeregt ins Ohr flüsterte: »Ist's Lucille oder Emily?«

So gut es mir mit wenigen Worten möglich war, klärte ich die Sachlage auf. Einige Augenblicke waren die beiden Frauen sprachlos. Nichts, was sie erlebt hatten, weder der Schiffbruch des Dampfers, noch der Untergang unsres Bootes, noch unsre Reise auf Schwimmgürteln hatte sie so außer Fassung gebracht, als diese Täuschung ihrer Hoffnung auf Lösung des Rätsels über die Familie Dusante. Eine Seereise war ihnen etwas Neues und Fremdes, und sie waren auf alle möglichen Abenteuer gefaßt gewesen, aber nie hatten sie daran gedacht, daß das Geschick so grausam sein könne, ihnen die Enthüllung dieses Geheimnisses sozusagen vor dem Munde wegzuschnappen. Trotz dieses plötzlichen Schlages aber fanden die beiden guten Frauen rasch ihre Fassung wieder und führten den Missionar und seine Tochter mit herzlichen und gütigen Worten nach dem Hause, während ich wieder wegruderte, um die Seeleute zu holen.

Diese fand ich damit beschäftigt, ihr Boot so zu befestigen, daß es durch das Fallen und Steigen der Flut nicht beschädigt werden könne. Als diese Arbeit beendet war, mußten sie einige Kletterkunststücke ausführen, um in meinen Kahn zu gelangen.

»Zuerst dachten mer,« sprach der Bootsmann, als ich sie über die Lagune ruderte, »Ihre Geschichten, daß Sie hier nit wohnten un keine Schlüssel zu den Schlössern an den Stangen hätten, wären Flausen, aber mer sin nun doch der Meinung, daß Sie sich diese Mühe nit gemacht hätten, wenn Sie sie einfach hätten aufschließen können.«

Nunmehr erzählte ich ihnen ausführlich unsre Geschichte, und die Männer waren höchst überrascht, als sie erfuhren, meine Gefährtinnen bei diesem Abenteuer seien zwei Frauen. Auf meine an den Bootsmann gerichtete Frage, weshalb er gerade diese Insel aufgesucht habe, erwiderte er, sein Kapitän hätte gehört, sie sei bewohnt, wenn ihm auch nichts Näheres über die Bewohner bekannt war. Bei dem herrschenden Winde wäre es fast unmöglich gewesen, die Brigg hierher zu bringen; überhaupt habe er keine große Lust gehabt, weit aus seinem Kurs zu segeln, und so habe er sich entschlossen, lieber drei Mann von seiner Bemannung zu entbehren, als den Missionar nur einen Tag länger an Bord zu behalten.

»Sehn Sie, Herr,« meinte der Bootsmann, als wir landeten, »der Schwarzrock wollte nie dran glauben, daß wir nit mehr viel zu beißen hätten un Wasser zögen, wie ein gesprungener Topf, un weil es an Bord nicht sehr gemütlich war, brummte er den lieben langen Tag, bis er für die Laune der Leute schlimmer war als der ranzige Speck, der ausgegeben wurde, und das Salzwasser, das hereinkam. Die Geschichte wurde gefährlich, un es hätte leicht kommen können, daß er eines Tages über Bord flog, un dann hätte er's ja mit einem Walfisch versuchen können. Und dann, wissen Sie, kriegen jetzt, wo wir weg sin, die Leute drei halbe Rationen täglich mehr, un das ist in 'ner solchen Klemme sehr viel.«

Als wir das Haus erreicht hatten, führte ich die drei Männer in die Küche, wo Mrs. Aleshine den Tisch schon gedeckt hatte. Es stand Brot und kaltes Fleisch darauf, und über dem Feuer brodelte der Theekessel. In wenigen Minuten saßen die glücklichen Matrosen am Tisch, während Mrs. Aleshine sie bediente und unzählige Fragen stellte. Sie hatten ihre Mahlzeit noch nicht beendet, als auch Mrs. Lecks in der Küche erschien.

»Ich habe diesen Pastor un seine Tochter in den beiden vorderen Schlafzimmern untergebracht,« sprach sie zu mir, nachdem sie die drei Leute freundlich begrüßt hatte, »die ich un Mrs. Aleshine rasch für Dusantes in Ordnung gebracht hatten, sowie Sie ihnen mit dem Boot entgegenfuhren. Die junge Dame war gewaltig müde un froh, Thee un so was zu kriegen un zu Bett gehn zu können. Aber der Herr, der verlangte ein weich gekochtes Ei, un als ich ihm sagte, es wäre mir noch kein Hühnerhaus auf der Insel aufgestoßen, sah er mich an, als ob er mir nicht glaube, un er meint vielleicht, ich wollte die Eier für mich behalten un auf den Markt bringen.«

»Was doch ganz albern wäre, mitten in so 'nem Ocean wie dieser,« bemerkte Mrs. Aleshine.

»Wenn er weiter nix wie weichgekochte Eier verlangt, Madame,« sagte der Bootsmann sehr ehrerbietig, »dann können Sie Ihrem Gott danken.«

»Ja, ja, Herr!« fügten die beiden Matrosen mit den schwarzen Bärten hinzu.

Miß Ruth Enderton und ihr Vater ließen sich erst am folgenden Morgen zur Frühstückszeit wieder blicken. Die junge Dame machte mir einen sehr angenehmen Eindruck. Ziemlich schlank von Gestalt und sehr hübsch war sie, so was man eine Blondine mit warmen Farbentönen nennt. Ihr Benehmen war entgegenkommend, und sie wußte die beiden Frauen sofort für sich einzunehmen.

Mr. Enderton dagegen war ein Mensch andern Schlags. Geziert und etwas steif, schien er sich nur mit sich selbst zu beschäftigen und sehr eigentümliche Ansichten über seine Umgebung zu haben. Er war keineswegs unliebenswürdig, eher freundlich als das Gegenteil, aber er trug den Umständen so wenig Rechnung, daß er nicht begriff, warum ihm die Zufälle des Lebens Unbequemlichkeiten verursachen sollten. Nachdem ich ihn etwas kennen gelernt hatte, war es mir ganz klar, daß er das Dasein an Bord der seeuntüchtig gewordenen Brigg noch unerträglicher gemacht hatte, als es an sich schon war. Mit seinem gegenwärtigen Zustand war er sehr wohl zufrieden, und es war ganz offenbar, daß er Mrs. Lecks, Mrs. Aleshine und mich als die Besitzer der Niederlassung betrachtete, und daß er meine Erklärungen über die Art, wie wir hierhergekommen seien, entweder überhört oder ihnen keinen Glauben geschenkt hatte.

Sobald sie es für passend hielt – und der Augenblick kam noch im Laufe des ersten Vormittags – sprach Mrs. Lecks mit Mr. Enderton über das Kostgeld, das er für Dusantes hinterlegen sollte. Sie setzte ihm auseinander, was wir in dieser Beziehung beschlossen hatten und thaten. Da er und seine Tochter die besten Räume im Haus bewohnten und jedes ein schönes, großes Zimmer hatte, meinte sie, daß fünfzehn Dollars wöchentlich für beide zusammen eine entsprechende Bezahlung wären.

»Wenn Ihre Tochter,« fuhr sie fort, »etwas im Hause leisten kann, was wirklich von Nutzen ist, obgleich ich mich ums Leben auf nichts besinnen kann, wo doch ich un Mrs. Aleshine schon alles besorgen, dann würde etwas für ihre Arbeit abgerechnet werden; aber Sie, Herr Pfarrer, Sie können natürlich gar nichts thun, es sei denn, daß Sie Sonntags predigen; da wir aber nicht wissen, zu was für einem Bekenntnis Dusantes gehören, wär's doch nicht billig, wenn wir Sie mit ihrem Geld für das Predigen von Lehren bezahlten, woran sie vielleicht nicht glauben.«

Dieser Vorschlag stieß bei Mr. Enderton auf entschiedenen Widerspruch. »Als ich hierherkam, Madame,« versetzte er, »habe ich überhaupt nicht erwartet, irgend welches Kostgeld bezahlen zu müssen, und überdies finde ich, daß Ihre Preise ungeheuerlich sind. Wenn ich mich recht besinne, kostete in Nanfouchong die beste Beköstigung nicht mehr als zwei oder drei Dollars die Woche.«

»Ich möchte nicht gern etwas Unehrerbietiges aussprechen, Herr Pfarrer,« entgegnete Mrs. Lecks; »aber so lange ich noch ein Gewissen in meiner Innerlichkeit habe, werde ich nicht ruhig dabeistehn und zusehn, wie Dusantes wegen der chinesischen Billigkeit Geld verlieren.«

»Von den Dusantes weiß ich nichts,« antwortete Mr. Enderton, »das aber weiß ich ganz bestimmt, daß ich für mich und meine Tochter keine fünfzehn Dollars Kostgeld wöchentlich bezahlen werde.«

Der Streit wurde noch eine Weile mit beträchtlicher Wärme auf beiden Seiten fortgeführt und endete schließlich damit, daß Enderton sich bereit erklärte, ebensoviel Kostgeld als die beiden Frauen und ich, also jede Woche für sich und seine Tochter acht Dollars, in den Ingwertopf zu legen.

»Es is Ihnen vielleicht nicht angenehm, Herr Pfarrer,« schloß Mrs. Lecks mit kalter Strenge, »daran erinnert zu werden, daß Mr. Craig, Mrs. Aleshine und ich noch Dienstleistungen zugeben, obschon sie allerdings nicht in den Topf kommen.«

»Ich weiß nur,« versetzte Mr. Enderton, »daß ich auch so einen unerhörten Preis zahle.«

Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine waren jedoch durchaus nicht dieser Ansicht und verständigten sich dahin, daß, soweit es in ihrer Macht stehe, Dusantes nicht durch diesen dickfelligen Missionar in Schaden kommen sollten.

Nach dem Mittagsmahl – und ich muß hier bemerken, daß die neuen Ankömmlinge in Beziehung auf die Zeit unsrer verschiedenen Mahlzeiten nicht gefragt wurden – hatte Mrs. Lecks eine Besprechung mit dem Bootsmann in betreff des Kostgelds für ihn und seine zwei Gefährten. Diese Angelegenheit wurde jedoch sehr rasch geregelt, denn die drei Leute besaßen zusammen nur einen Dollar und dreiundvierzig Cents, und das, erklärte der Bootsmann, möchten sie gern für Tabak behalten. Da die drei Matrosen also kein Kostgeld bezahlen konnten, wurde ausgemacht, daß sie so viel Arbeit als möglich leisten sollten, und dazu erklärten sie sich von Herzen und mit Freuden bereit.

»Nur um eins bitten wir, Madame,« sprach der Bootsmann zu Mrs. Lecks, »un das is, daß wir mit dem Schwarzrock nicht in eine Messe kommen. Wir haben jetzt zweimal mit den Passagieren gegessen, un meine Maate un ich sin der Ansicht, daß wir mehr nit aushalten können.«

Von da an erhielten demnach die drei Seeleute ihr Essen in der Küche, wo ihnen Mrs. Aleshine, die sich sehr wohl unter ihnen fühlte, gewöhnlich Gesellschaft leistete. Aber sie hielt es für notwendig, manchmal auch mit uns im Speisezimmer zu essen, nur um zu zeigen, daß sie dort ebensoviel Rechte habe, als irgend jemand sonst.

»Un was die Arbeit für diese Matrosenleute anlangt,« sagte Mrs. Aleshine, »so weiß ich wahrhaftig nicht, was wir ihnen zu thun geben können. Von der Gartenarbeit verstehn sie natürlich nichts, un mir scheint's am besten, daß wir sie fischen lassen.«

Mrs. Lecks hielt das für einen sehr guten Gedanken, und dementsprechend wurde dem Bootsmann mitgeteilt, daß er und seine Genossen täglich, mit Ausnahme Sonntags, acht Stunden fischen sollten. Dies erwies sich jedoch als unthunlich. In den ersten beiden Tagen fingen die Matrosen eine solche Unmenge von Fischen, daß es, trotz des guten Appetits, den sie selbst für diese Art Kost hatten, unmöglich war, alles, was sie einbrachten, aufzuzehren. Es wurde demnach festgesetzt, daß sie von nun an nur den wirklichen Bedarf fangen und sich im übrigen, Mrs. Aleshines und Mrs. Lecks' Anweisungen gemäß, im allgemeinen nützlich machen sollten.

Mit Miß Ruth Enderton bekannt zu werden, ward mir nicht schwer, da ich sie sehr bereit zur Unterhaltung fand. »Es ist solange her,« sagte sie, »seit ich jemand gesehen habe, mit dem ich hätte plaudern können.«

Sie hatte die Vereinigten Staaten schon als ganz kleines Mädchen verlassen und ihr Geburtsland nicht wieder gesehen. Demzufolge hatte sie sehr viel über Amerika zu fragen, auch war sie gern bereit, von ihrem Leben in China zu erzählen. Gesellschaft, wenigstens von der Art, wie sie sich wünschte, hatte es in der kleinen Missionsstation, wo sie solange gelebt hatte, kaum gegeben, und jetzt, da sie nach einem langweiligen Aufenthalt auf einem schlechten Segelschiffe, wo es keine andre Gesellschaft gegeben hatte, als die Schiffsbesatzung und ihren stets mit sich selbst beschäftigten Vater, war sie natürlich sehr erfreut, unter Leute gekommen zu sein, mit denen sie sich unterhalten konnte. Sie stand also bald mit Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine auf sehr freundschaftlichem Fuße, und es zeigte sich, daß sie ein sehr munteres und ansprechendes junges Mädchen war.

Ich that alles, was ich konnte, Miß Ruth den unfreiwilligen Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen. Ich ruderte sie auf der Lagune umher, lehrte sie fischen und zeigte ihr die hübschen Punkte der Insel, die man leicht zu Fuß erreichen konnte. Mr. Enderton schenkte uns nur wenig von seiner Gesellschaft, denn als er entdeckt hatte, daß sich eine gute Büchersammlung im Hause befand, verbrachte er seine Zeit meist in der Bibliothek.

»Sie haben bei Ihren Büchern eine gute Wahl getroffen, Mr. Craig,« bemerkte er mir gegenüber, »aber man kann aus der Art der Werke leicht sehen, daß Ihr Geschmack weder religiös noch streng wissenschaftlich ist.«

Ich hatte schon mehrfach versucht, ihn über den Besitzer des Hauses und der Bibliothek aufzuklären, aber er hörte mir entweder nicht zu, oder glaubte mir nicht. Wenn er am Ende der Woche sein Kostgeld bezahlte, händigte er es stets Mrs. Lecks ein, und obschon diese es vor seinen Augen in den Ingwertopf unter das Papier mit den Angelhaken legte, bin ich überzeugt, daß er annahm, er zahle es ihr zu ihrem eigenen Nutz und Frommen. Er wohnte behaglich, er erhielt alles zu essen, was er bedurfte – ja beinahe alles, was er verlangte – und ich weiß nicht, ob ich jemals einen Menschen gesehen habe, der mit seinem Los zufriedener war.

Auch für den Bootsmann und die beiden Matrosen war es eine angenehme Zeit, wenn auch Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine dafür sorgten, daß sie das Brot der Dusantes nicht in Müßiggang verzehrten. Nachdem sie einige Tage bei uns waren, teilte mir Mrs. Lecks mit, sie glaube, den Bootsmann und seine Gefährten zur Gartenarbeit anlernen zu können.

»Allerdings,« sagte sie, »wird diese Arbeit als ein Teil Ihres Kostgelds berechnet, aber fischen un Brennholz herbeitragen nimmt nicht den vierten Teil der Zeit der Matrosen in Anspruch, un wenn die Gartenarbeit nur überhaupt gethan wird, wird es Dusantes wohl einerlei sein, wer sie besorgt. Un dann haben Sie mehr Zeit, Miß Ruth den Aufenthalt angenehm zu machen, denn so viel ich sehn kann, gibt's für sie auch nicht das Geringste hier zu thun, selbst wenn sie was versteht.«

Die drei Seeleute waren mehr als gern bereit, alles zu thun, was Mrs. Lecks oder Mrs. Aleshine, zu denen sie mit großer Bewunderung und Hochachtung emporblickten, verlangten. Besonders Mrs. Aleshine war bei ihnen sehr beliebt, nicht nur weil sie ihnen häufig bei ihren Mahlzeiten Gesellschaft leistete, sondern auch wegen ihres freundlichen Wesens und ihres ungezwungenen Verkehrs mit ihnen. Die Leute versuchten immer, ihr die Arbeit zu erleichtern und ihr etwas zu Gefallen zu thun.

Einer von ihnen erkletterte einmal den Gipfel eines Baumes, eines »Palmblatt-Fächerbaums«, wie sie es nannte, und holte einige große Blätter herab, die er beschnitt und zurichtete und in echter Seemannsweise zusammennähte, so daß ein paar Fächer entstanden, zwar schwer und plump, die aber, wie er sagte, schon ein nettes Stürmchen aushalten würden, wenn es ihr Spaß mache, eins aufzurühren. Der Bootsmann fing zwei Seevögel, stutzte ihnen die Flügel und gab sich tagelang die erdenklichste Mühe, sie zu zähmen, in der Hoffnung, sie dahin zu bringen, soweit es in ihrer Fähigkeit lag, die Arbeit des Hausgeflügels – das Eierlegen – zu besorgen, denn den Mangel an Eiern beklagte Mrs. Aleshine beständig. Die beiden schwarzbärtigen Matrosen aber tanzten ihr jeden Abend Matrosentänze vor, was ihr die größte Freude machte.

»Ich habe oft gehört,« bemerkte sie einmal, »daß in diesen heißen Kokosnußländern die Späße der Affen genügen, um einen beständig im Lachen zu halten, aber Matrosen sin noch viel besser. Wenn man ihre Streiche un Narrheiten satt hat, kann man ihnen doch sagen, sie sollen aufhören. Bei Affen geht das nit.«

Als ich etwa zehn Tage nach Ankunft der Gesellschaft des Missionars einmal das Boot zurecht machte, worin Miß Ruth und ich gewöhnlich in der Abendkühle etwas umherruderten, sah ich Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine im Schatten eines niedrigen Baumes sitzen. Sie warteten augenscheinlich auf mich, und sowie sie meiner ansichtig wurden, winkte mir Mrs. Lecks, und ich trat zu ihnen.

»Setzen Sie sich 'mal dahin,« begann Mrs. Lecks, »ich muß etwas mit Ihnen besprechen. Mrs. Aleshine un ich, wir sin zu der Ueberzeugung gekommen, daß Sie etwas angetrieben werden müssen, um die Geschichte mit Miß Ruth zum Klappen zu bringen.«

Diese Bemerkung versetzte mich in Erstaunen. »Zum Klappen zu bringen?« rief ich aus.

»Ja!« fuhr Mrs. Lecks fort, »ich un Mrs. Aleshine, wir wissen sehr wohl, daß Sie's noch nicht gethan haben. Wir haben so Geschichten selber durchgemacht, un wir wissen ganz genau, wenn so 'was vorgefallen is.«

»Un wir hätten nix nit gesagt, um Sie 'n bißchen anzutreiben,« fiel Mrs. Aleshine hier ein, »aber die Vorräte, besonders das Mehl, fangen an knapp zu werden. Wir haben mit den Matrosen gesprochen, un die sin ziemlich sicher, daß wir nit mehr darauf rechnen können, ihr Kapitän werde sie abholen lassen, denn wenn er daran gedacht hätte, müßt's schon geschehn sein. Un vielleicht is er selbst gar nit an seinen Bestimmungsort gelangt, un dann konnte er's ja nit mal. Un sie sagen, das Beste, was wir thun können, is, wenn die Lebensmittel beinahe alle sind, un Dusantes kommen nit zur rechten Zeit, daß wir den Rest nehmen, un alle in ihr großes Boot gehn un nach der Insel rudern – wie weit sie is, weiß ich nit – wo der Kapitän unsres Schiffes hin wollte. Da können wir's ganz gut aushalten, bis 'n Schiff vorbeikommt un uns mitnimmt.«

»Aber was hat das alles mit Miß Ruth und mir zu thun?« fragte ich.

»Was das damit zu thun hat?« rief Mrs. Lecks. »Sehr viel hat's damit zu thun. Wenn alles zwischen Ihnen un Miß Ruth im Reinen is, dann gibt's nichts mehr, was uns hindern könnte, uns zur Abreise fertig zu machen, wenn wir Lust haben.«

»Aber, meine lieben Freundinnen,« sagte ich sehr ernst, »ich habe nicht die geringste Absicht, Miß Enderton einen Antrag zu machen!«

»Das habe ich gerade Mrs. Aleshine gesagt,« entgegnete Mrs. Lecks, »un das is eben der Grund, weshalb wir unsre Bügeleisen haben kalt werden lassen un hierher gekommen sin, um Sie ins Gebet zu nehmen. Das is so recht Junggesellenart, so 'was aufzuschieben; dies läßt sich aber nicht aufschieben.«

»So is es!« rief Mrs. Aleshine, »un nu will ich Ihnen 'mal zeigen, wie die Geschichte steht. Es gibt Haushälterinnen, die rechnen einen Schoppen Mehl täglich auf den Kopf, aber das is für Feldarbeiter un Leute, die hart arbeiten un stark essen, un ich habe gefunden, daß dreiviertel Schoppen ganz gut ausreichen, wenn der Teig ordentlich geknetet un recht leicht gemacht wird, daß er schön geht, wenn er in den Ofen kommt. Ich habe nu alles Mehl, was noch da is, gemessen, un ich un Mrs. Lecks, wir haben ausgerechnet, daß, wenn wir dreiviertel Schoppen für jedes von uns täglich annehmen, wir gerade noch acht Tage hier bleiben können – das heißt, wenn Dusantes nit vorher wieder kommen, worauf natürlich nit zu rechnen is. Sie sehen also selbst, Mr. Craig, daß Sie keine Zeit verlieren dürfen, selbst wenn Sie annehmen, daß sie nichts zurecht machen muß, worin sie sich trauen lassen kann.«

»Nein,« warf Mrs. Lecks ein, »für uns un die drei Matrosen is das nicht nötig.«

In stummem Staunen blickte ich von einer zur andern, aber Mrs. Lecks ließ mir keine Zeit, etwas zu sagen.

»Wenn's ein gewöhnlicher Fall wäre,« fuhr sie fort, »ließe sich alles aufschieben, bis wir irgendwohin kommen; so geht das aber nicht. Hier haben Sie alles in der Hand, sin wir aber erst 'mal von hier fort, dann hört das auf. Sie is so'n hübsches Mädchen, wie Sie's in 'nem ganzen Jahr von Sonntagen so leicht nicht wieder zu sehen kriegen, un wenn sie von hier fortgeht, ohne daß Sie sie fest haben, dann kann man nicht wissen, wer sie Ihnen wegschnappt. Wenn wir nach der andern Insel kommen, dann sehn Sie sie vielleicht einmal die Woche, vielleicht auch gar nicht. Sie geht möglicherweise in einem Schiff un Sie, Mr. Craig, in 'nem andern, un dann kann gerade jemand da sein, ein Missionar oder so 'was, der sie Ihnen wegnimmt, ehe Sie 'n Wort sagen können.«

»Un das is noch nicht 'mal das Schlimmste,« sagte Mrs. Aleshine. »Nehmen wir 'mal an, Dusantes kommen wieder, ehe wir fort sin. Was Mr. Dusante für 'n Mann is, kann man gar nit wissen. Un was hätten Sie noch für Aussichten, möchte ich wohl wissen, wenn er Miß Ruth hier im eignen Haus hat, un wo das Boot un alles ihm gehört? Oder er kann auch ein Witwer sein, un das wäre noch viel, viel schlimmer, da verlassen Sie sich nur drauf.«

»Das is ganz Wurst,« meinte Mrs. Lecks, »Witwer oder niemals verheiratet gewesen: es gibt's genug, die sie haben wollen werden, sobald sie sie gesehn haben, un wenn's nicht wegen des hübschen Gesichts des Mädchens is, dann is es wegen ihrem Vater seinem Geld.«

»Ihres Vaters Geld!« rief ich aus. »Was reden Sie da?«

»Mir brauchen Sie darüber gar keine Wippchen vorzumachen,« entgegnete Mrs. Lecks sehr bestimmt. »Ein Mann, der den Daumen so auf den Beutel drückt, wie Mr. Enderton, hat immer Geld.«

»Un Sie wissen ebensogut als ich,« sagte Mrs. Aleshine, »daß die Menschen in den Ländern, wo er gewesen is, Götzenbilder von Silber und Gold anbeten, un wenn die alten Heiden bekehrt werden, meinen Sie vielleicht, daß die Missionäre die nicht konfiszieren? Mr. Enderton hat gewiß Tausende von Heiden bekehrt.«

Ich mußte laut auflachen über diese Ansicht, aber Mrs. Lecks gebot mir Schweigen.

»Da is gar nichts zu lachen, Mr. Craig,« sagte sie. »Ich un Mrs. Aleshine, wir denken nur an Ihr un Miß Ruths Bestes. Von ihrem Vater habe ich keine besonders hohe Meinung, aber sein Geld is ebenso gut als das eines andern, un wenn sie auch ihre Koffer haben an Bord des Schiffes lassen müssen, das bißchen, was sie mitgebracht haben, zeigt, daß sie in allem an gute Sachen gewöhnt sind. Mrs. Aleshine un ich haben bis spät in die Nacht aufgesessen un diese Geschichte besprochen, un wir sin der Meinung, daß ihr beide nicht darauf rechnen könnt, jemals wieder 'ne so gute Gelegenheit zu haben, wie jetzt. Schon der Umstand, daß der alte Herr ein Pastor is und euch auf dem Fleck trauen kann, muß Sie zittern lassen, wenn Sie dran denken, was Sie aufs Spiel setzen, wenn Sie's aufschieben.«

»Ich muß jetzt ins Haus gehn un mich ums Abendessen kümmern,« bemerkte Mrs. Aleshine, sich erhebend, »un ich hoffe, Mr. Craig, wenn Sie sich Brot nehmen un Miß Ruth sitzt Ihnen gegenüber, dann denken Sie dran, daß dreiviertel Schoppen wenig genug ist zum Leben, un daß die Zeit fliegt.«

Auch Mrs. Lecks stand auf, ich hielt aber die beiden Frauen noch einen Augenblick zurück.

»Ich hoffe, Sie haben doch mit Miß Enderton nicht von der Sache geredet,« sprach ich.

»O nein,« antwortete Mrs. Aleshine, »das haben wir nicht gethan. Wir waren beide der Ansicht, daß Sie thun müssen, was geschehen muß, um daß wir also mit Ihnen sprechen müßten. Un da wir das alles selbst schon durchgemacht haben, wissen wir auch sehr gut, daß je weniger ein Frauenzimmer davon weiß, um so leichter sie sich fangen läßt, wenn sie sich überhaupt fangen lassen will.«

Die beiden Frauen verließen mich, und ich blieb in halb belustigter, halb ärgerlicher Stimmung zurück. Ich hatte nicht die mindeste Absicht, Miß Ruth Enderton einen Antrag zu machen. Sie war ja ein reizendes Mädchen, heiter und lebhaft und dabei doch, wie ich zu glauben Grund hatte, sehr verständig. Aber es waren noch keine vierzehn Tage, seit ich mit ihr bekannt geworden war, und der Gedanke an eine Verbindung mit ihr war mir noch gar nicht in den Sinn gekommen. Hatten Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine, oder wichtiger als alles, hatte Miß Enderton Ursache zu glauben, daß ich den Liebhaber spiele?

Der letzte Teil dieser Frage wurde beinahe sofort zu meiner vollkommenen Zufriedenheit durch Miß Ruths Erscheinen beantwortet, die den zur Landungsbrücke führenden Pfad herab auf mich zugetänzelt kam und mich schon von weitem in der freien, ungezwungenen Weise begrüßte, die ein junges Mädchen wohl einem Freunde oder guten Bekannten, niemals aber einem Manne gegenüber an den Tag legt, in dem es einen Liebhaber vermutet. Sie dachte augenscheinlich ebenso wenig an den Plan der beiden Frauen als an dem Tage, wo wir uns zuerst gesehen hatten.

Während ich jedoch mit ihr in der Lagune umherruderte, empfand ich eine gewisse Befangenheit, die mir bisher fremd gewesen war. Es war nicht die geringste Begründung für die abenteuerlichen Einbildungen der beiden Frauen vorhanden, aber die Thatsache, daß sie sich etwas derartiges eingebildet hatten, beeinträchtigte ganz bedeutend die zwanglose Freiheit, die bisher meinen Verkehr mit Miß Ruth so angenehm gemacht hatte. Sie bemerkte übrigens, glaube ich, keine Veränderung an mir, denn sie plauderte und lachte und zeigte, wie sie es von Anfang an gethan hatte, die harmlose Freude, die sie über unser Inselleben unter so eigentümlichen Umständen empfand.

Bei unsrer Rückkehr trat uns Mrs. Aleshine vor dem Hause entgegen. »Ich werde Ihnen beiden das Abendessen dort unter dem Baum anrichten,« sagte sie. »Wir andern haben schon alle gegessen, da die Matrosen Hunger zu haben schienen. Ihrem Vater habe ich's in die Bibliothek gebracht, wo er jetzt wohl noch sitzen wird, in einer Hand ein Buch, in der andern den Theelöffel, womit er seinen Thee rührt un rührt, bis er beinahe den letzten Tropfen auf den Fußboden gerührt hat, was aber nichts schadet, denn morgen früh werde ich schrubben, bis er so weiß wie neu ist.«

Diese Anordnung machte Miß Ruth großes Vergnügen, aber ich erblickte darin den Anfang der Ausführung eines schlau angelegten Planes. Ich war im Begriff mich zu setzen, als Mrs. Aleshine mir zuflüsterte: »Bedenken Sie, daß wir jetzt mit den ersten dreiviertel Schoppen pro Kopf den Anfang machen.«

»Sind Sie nicht auch der Meinung, daß Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine ganz reizend sind?« sagte Miß Ruth, als sie den Thee einschenkte. »Sie scheinen sich immer den Kopf zu zerbrechen, wie sie andern eine Freundlichkeit erweisen können.«

Ich stimmte Miß Ruth von Herzen zu, konnte aber doch nicht umhin, daran zu denken, wie überrascht sie sein würde, wenn sie ahnte, was für eine Art von Freundlichkeit sie jetzt für sie im Sinne hatten. –

»Haben Sie schon Schritte gethan?« fragte mich Mrs. Lecks am folgenden Tage; und als ich ihr entgegnete, ich hätte noch keine Schritte in der Richtung gethan, worauf sie anspielte, entfernte sie sich mit sehr nachdenklichem und ernstem Gesicht.

Einige Stunden später suchte mich Mrs. Aleshine auf. »Es ist noch ein Grund vorhanden, die Geschichte etwas zu beeilen,« sagte sie. »Diese Matrosen scheinen beinahe alles in der Welt entbehren zu können, außer Tabak, un Mrs. Lecks hat ihnen welchen aus dem großen Kasten, den sie in dem Wandschrank oben gefunden hat, zu fünf Cents eine Tasse voll verkauft, was ich für furchtbar billig halte. Aber sie sagt, auf den Inseln sin die Preise immer niedrig, un sie hat das Geld in Papier gewickelt un drauf geschrieben: ›Geld, das die Matrosen für Tabak bezahlt haben,‹ un so hat sie's zum Kostgeld in den Ingwertopf gelegt. Aber nu haben sie ihren Dollar un dreiunvierzig Cents ziemlich aufgebraucht, un Mrs. Lecks sagt, daß sie auch nicht 'ne Prise von Mr. Dusantes Tabak haben sollen, wenn sie nicht bezahlen können, Un wenn sie nichts mehr zu rauchen haben, dann werden sie unzufrieden un wollen die Insel gewiß verlassen, sobald sie nur können, ohne zu warten, bis das Mehl alle is.«

So wurde also noch ein andrer Druck auf mich ausgeübt. Nicht nur das mangelnde Mehl, sondern auch das rasch schwindende Tabaksgeld wurde als Waffe benutzt, um mich zu der Werbung zu treiben, die sich Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine in den Kopf gesetzt hatten.

Ich hatte es aber gar nicht so eilig, die Insel zu verlassen, und hoffte sehr, daß unsre Abreise in einem etwas bequemeren Fahrzeug, als einem Rettungsboote bewerkstelligt werden könne. Um also einem vorzeitigen Verlangen zur Abreise seitens der Matrosen vorzubeugen, gab ich ihnen Geld genug, daß sie noch viele Tassen voll Tabak kaufen konnten. Allein ich fürchte, daß ich durch diese Handlungsweise Mrs. Lecks' und Mrs. Aleshines Gefühle tief verletzte, wenn ich auch natürlich nicht voraussehen konnte, daß mein Geschenk diese Folge haben würde. Sie sagten nichts darüber, aber ihre Blicke und ihr Benehmen gegen mich zeigten mir deutlich, daß sie meine Handlung für nicht ganz anständig hielten. Zwei Tage sprachen sie nur das Nötigste mit mir, und dann kam Mrs. Aleshine, um, wie ich glaube, einen letzten Versuch zu machen,

»Mrs. Lecks un ich, wir wollen versuchen,« sagte sie, und dabei blickte sie mich mit sehr traurigem Ausdruck und einem wässerigen Glanz in den Augen an, »Ihnen noch etwas mehr Zeit zu verschaffen. Wir wollen den Matrosen mehr Fisch zu essen geben, un was ich un sie sin, wir wollen uns ziemlich ohne Brot behelfen, un es, so gut als wir können, durch 'was andres ersetzen. Sie un Miß Ruth un der Pastor, ihr sollt nun dreiviertel Schoppen täglich haben, wie bisher, aber was wir dadurch sparen, reicht höchstens drei bis vier Tage länger.«

Diese Rede bewegte mich aufs tiefste. Ich konnte nicht zugeben, daß diese beiden gutherzigen Frauen halb verhungerten, um mir mehr Zeit zur Werbung zu verschaffen, und ich sprach deshalb sehr ernst mit Mrs. Aleshine und drang in sie, den wunderlichen Plan aufzugeben, den sie und Mrs. Lecks ausgeheckt hatten.

»Wir wollen doch jeden Gedanken an diese Verbindung fallen lassen,« sprach ich, »und glücklich, wie bisher, nebeneinander leben. Es ist die seltsamste Grille, die mir je vorgekommen ist. Wenn die Vorräte aufgezehrt sind, ehe Dusantes zurückkommen, werden wir freilich wohl in dem Boot abreisen müssen, aber bis dahin wollen wir das Leben hier genießen, so gut wir können, und so gute Freunde bleiben, wie mir bis jetzt gewesen sind.«

Aber ich hätte ebenso gut zu einer der Palmen sprechen können, deren Wipfel über uns in die Lüfte ragten,

»Wie gesagt,« fuhr Mrs. Aleshine fort, als ob sie gar nicht auf meine Worte gehört hätte, »was wir an meinen und Mrs. Lecks' und den drei Matrosen ihren dreiviertel Schoppen ersparen, reicht uns drei bis vier Tage länger.« Und damit kehrte sie ins Haus zurück.

Während dieser ganzen Zeit hatte der hochwürdige Mr. Enderton in der Bibliothek gesessen und gelesen oder war, in tiefes Nachdenken versunken, mit einem Buche in der Hand, am Strande spazieren gegangen. Die drei Matrosen hatten Fische gefangen, die ihnen übertragenen Arbeiten verrichtet und, wenn sie nichts zu thun hatten, im Schatten gelegen und in Frieden ihre Pfeifen geraucht. Miß Ruth und ich hatten täglich unsre Ruderfahrten und Spaziergänge gemacht, uns zu den gewohnten Stunden angenehmer Unterhaltung erfreut, und alle Glieder unsrer kleinen Ansiedelung schienen glücklich und zufrieden, ausgenommen Mrs. Lecks und Mrs, Aleshine. Diese beiden gingen ernst und traurig ihren Geschäften nach und Mrs. Aleshine verlangte nicht mehr nach den Tänzen und Liedern der drei Matrosen.

Allein aus einer mir unerklärlichen Veranlassung nahm Mr. Endertons friedliches Traumleben ein plötzliches Ende, Er wurde launisch und mißvergnügt, hatte am Essen und der Bedienung zu mäkeln, und statt den größten Teil des Tages in der Bibliothek zuzubringen, wie das früher seine Gewohnheit gewesen war, fing er an, auf der Insel umherzuwandern, in der Regel mit zwei, drei Büchern unter dem Arm, um sich bald an diesem, bald an jenem Platz niederzulassen und dann plötzlich wieder aufzuspringen und brummend ins Haus zurückzukehren.

Eines Nachmittags, als Miß Ruth und ich auf der Lagune umherruderten, sahen wir Mr. Enderton am Strande auf uns zukommen. Sobald er uns so nahe gekommen war, daß wir ihn verstehen konnten, rief er seiner Tochter zu: »Ruth, verlaß das Boot! Wenn du frische Luft schöpfen willst, kannst du ebenso gut mit mir spazieren gehen, als mit – mit einem beliebigen Menschen umherrudern!«

Diese ungezogenen und herzlosen Worte brachten mein Blut in Wallung, und meine Begleiterin erbleichte vor Verdruß. Der Mann hatte bisher nicht die geringste Einwendung gegen unsern freundschaftlichen Verkehr erhoben, und für diesen unerwarteten Angriff fehlte jede Entschuldigung.

»Bitte, bringen Sie mich ans Land,« sagte Miß Ruth. Und ohne ein Wort zu sagen, denn ich getraute mich nicht zu sprechen, aus Besorgnis, heftig zu werden, setzte ich sie ans Land. Unter verdrießlichen Klagen, daß sie ihm nie einen Augenblick ihre Gesellschaft widmete, führte er sie hinweg.

Der Sturm tobte noch immer in mir, wenn sich auch die Heftigkeit des Wellenschlags etwas gelegt hatte, als ich etwa eine Stunde später einen der Pfade betrat, die das Gehölz durchschnitten. Nach einigen Windungen erreichte ich eine Stelle, von wo aus ich eine lange Strecke bis dahin, wo der Pfad auf den Strand mündet, übersehen konnte. Dort erblickte ich Mr. Enderton auf der Bank sitzend, wo ich Emilys Buch gefunden hatte. Er drehte mir den Rücken zu und schien ganz in sein Buch vertieft. Halbwegs zwischen ihm und mir gewahrte ich Miß Ruth, die mir entgegenkam. Ihre Augen waren auf den Boden gerichtet und sie bemerkte mich nicht.

Zur Seite tretend, erwartete ich sie.

»Miß Ruth,« redete ich sie an, als sie nahe genug gekommen war, »hat Ihr Herr Vater mit Ihnen über mich gesprochen?«

Sie blickte rasch auf und war augenscheinlich überrascht, mich da zu finden. »Ja,« entgegnete sie nach kurzem Zögern, »er hat mir gesagt, es wäre nicht – nicht passend, daß ich so viel mit Ihnen zusammen sei, wie das der Fall war, seit wir hier sind.«

Es lag etwas in dieser Bemerkung, was den Sturm in mir, der sich schon zu legen begonnen hatte, aufs neue erregte. Durch dieses Benehmen legte Mr. Enderton so viel Ungerechtigkeit und Tyrannei und – was mich vielleicht noch tiefer berührte – einen solchen Mangel an Rücksicht und Achtung an den Tag, daß allerlei sehr wenig freundliche Empfindungen in mir emporstiegen. Ich war in sehr hochmütiger Weise beiseite geschoben worden, und ich fand, daß ich zornig war. Es sollte mir etwas entrissen werden, und ich entdeckte, daß ich dieses Etwas liebte.

»Ruth,« fragte ich, dicht zu ihr hintretend, »möchten Sie auch ferner so mit mir zusammen sein, wie Sie es bisher gewesen sind?«

Hätte Miß Ruth nicht den größten Teil ihres Daseins in dem weltentrückten Dorfe Nanfouchong verbracht, hätte sie nicht unter jenen einfachen Missionaren gelebt, wo sie niemals in die Lage gekommen war, ihre Empfindungen verbergen zu müssen, wenn sie überhaupt jemals Empfindungen gehabt hatte, die zu verbergen notwendig waren; ich glaube nicht, daß sie, als sie mir antwortete, ihre Augen mit einem Blicke zu mir aufgeschlagen hätte, als ob man den tiefblauen Himmel durch den zarten Duft des Nachsommers schaue, und daß sie mit diesem Blick geantwortet hätte: »Natürlich möchte ich das gern!«

»Dann wollen wir dafür sorgen, daß es sich schickt,« entgegnete ich, ihre Hand ergreifend.

Und wieder strahlte mich der Blick an, in dem sich der Himmel klar und rein widerspiegelte und – in einem Augenblick war alles gethan.

Etwa fünf Minuten später fragte ich sie: »Ruth, wollen wir zu deinem Vater gehn?«

»Gewiß,« sagte sie, und nun wandelten wir zusammen in dem tiefen Schatten des Pfades.

Der Missionar las noch immer eifrig in seinem Buche und drehte uns den Rücken zu. Ich glaubte es daher wagen zu können, wenn ich ihn im Auge behielt, meinen Arm um Ruth zu legen, bis wir ihn beinahe erreicht hatten. Dann faßte ich sie bei der Hand und so traten wir vor ihn hin.

»Vater,« sagte Ruth, »Mr. Craig und Ruth Enderton empfehlen sich als Verlobte.«

Auf diese überraschende Bemerkung erhob Mr. Enderton sofort die Augen von seinem Buche und richtete sie zuerst auf seine Tochter und hierauf auf mich. Dann ließ er sie sinken und blickte durch die zusammengekniffenen Lider über die See hin.

»Nun, Vater,« fuhr Ruth etwas ungeduldig fort, »was sagst du dazu?«

Er beugte sich nieder, hob ein Blatt vom Boden auf, legte es ruhig zwischen die Seiten seines Buches und klappte dieses zu.

»Es scheint mir,« hob er endlich an, »daß die Verbindung, die ihr beabsichtigt, in mancher Hinsicht ausgezeichnet ist. Ja,« fügte er in entschiedenerem Tone hinzu, »ich glaube, das wird sich wirklich sehr gut machen. Es würde mich nicht im geringsten wundern, wenn wir noch eine beträchtliche Zeit hier auf dieser Insel bleiben müßten, und ich meinerseits, habe gar nicht den Wunsch, sie jetzt schon zu verlassen. Und wenn du, Ruth, in eine Stellung kommst, wodurch die Leitung der häuslichen Angelegenheiten naturgemäß in deine Hände fällt, dann hoffe ich, wirst du darauf achten, daß die Sache im allgemeinen mit mehr Rücksicht auf Anstand und Behagen und, wie ich mit Beziehung auf das Essen hinzufügen will, mit mehr Rücksicht auf Schmackhaftigkeit geleitet wird.«

Ruth und ich schauten einander an und versprachen dann zusammen, daß wir, soweit es an uns liege, Mr. Endertons Leben verschönern wollten, nicht nur, solange wir noch auf der Insel verweilten, sondern auch später.

Das war ein großes Wort, aber in dem Augenblick waren wir sehr dankbar.

Nunmehr erhob er sich, schüttelte uns feierlich die Hände und schlug ruhig sein Buch wieder auf, dem wir ihn auch überließen.

Als Ruth und ich aus dem Gehölz traten und uns dem Hause näherten, stand Mrs. Aleshine im Freien nicht weit von der Küche. Sobald sie uns erblickte, sah sie uns einige Augenblicke starr an, wobei ein sonderbarer Ausdruck in ihrem Gesicht aufstieg. Dann schlug sie die Hände zusammen, und ohne ein Wort zu sagen, wandte sie sich um und rannte ins Haus. Noch ehe wir dies erreicht hatten, kamen Mrs. Lecks und sie in großer Eile wieder heraus und liefen uns mit einer solchen Hast und Aufregung entgegen, wie ich sie noch nie an ihnen beobachtet hatte, und dann schloß erst die eine und dann die andre Ruth in die Arme, und beide küßten sie mit tiefer Bewegung. Hierauf wandten sie sich mir zu, schüttelten mir herzlich und kräftig die Hände und gaben mehr durch Blicke und Gebärden als durch Worte ihrer hohen Befriedigung über das, was ich gethan hatte, Ausdruck.

»Sofort als ich euch erblickte,« sagte Mrs. Aleshine, »wußte ich, daß alles im Reinen war. Zu fragen brauchte ich nicht lange.«

Jetzt ward ich besorgt, die beiden Frauen könnten im Uebermaß ihrer Freude Ruth die Pläne enthüllen, die sie für unser gemeinsames Glück geschmiedet, und den Widerspruch, mit dem ich diese aufgenommen hatte. Mein Gesicht muß meine Besorgnis verraten haben, denn Mrs. Aleshine, deren Antlitz von Wärme, äußerer wie innerer, glühte, blinzelte mir zu und zog mich beiseite.

»Sie dürfen nicht denken, daß wir Miß Ruth etwas gesagt haben oder sagen wollen; es is viel besser, wenn sie denkt, Sie hätten alles von selbst gethan.«

Ich hatte das Gefühl, als ob ich diese Andeutung, meine Werbung sei nicht ganz freiwillig gewesen, zurückweisen müsse, allein in diesem glücklichen Augenblick mochte ich mich nicht auf Auseinandersetzungen einlassen und begnügte mich daher mit einem Lächeln.

»Ich freue mich so, ich kann's gar nicht sagen,« fuhr Mrs. Aleshine fort, während Mrs. Lecks mit Ruth dem Hause zuschritt.

Im Begriffe zu folgen, wurde ich von meiner Gefährtin zurückgehalten.

»Haben Sie schon mit dem Pastor gesprochen?«

»O freilich, und er scheint ganz befriedigt zu sein,« entgegnete ich. »Das überrascht mich etwas, denn in der letzten Zeit war er sehr schlechter Laune.«

»So is es,« antwortete Mrs. Aleshine, »darüber kommen wir nit fort, er war brummiger als 'n Bär. Sehn Sie, Mr. Craig, was Mrs. Lecks und ich sin, wir waren ganz einer Meinung, daß es nit billig gegen Dusantes war, den reichen Missionar bloß vier Dollars wöchentlich à Person für sich un seine Tochter bezahlen zu lassen, un wenn wir auf die eine Weise nit mehr aus ihm rauspressen konnten, dann mußten wir's auf 'ne andre versuchen. Wenn er nit mehr bezahlen wollte, dann war's doch nur recht un billig, daß er weniger kriegte. Wir haben ihm also mehr Fisch un weniger Brot gegeben, gerade so wie den Matrosen, un wir haben auch seinen Thee en bißchen verdünnt un immer nur genau so viel Zucker hineingeschickt, als er brauchte, un nit en Stückchen mehr, un was nu das Aufmachen von Sardinenbüchsen für ihn anlangt, die sich ganz gut halten, bis Dusantes wiederkommen, das fiel mir gar nit im Traum ein, wenn er auch noch so oft sagte, er hätte sich frische Fische in China zuwider gegessen. Un dann kamen wir überein, es sei die höchste Zeit, die Bibliothek mal gründlich reine zu machen, un das thaten wir, ohne uns drum zu kümmern, was er sagte, denn damit braucht er mir nit zu kommen, daß vier Dollars die Woche genug sei für en Vorderzimmer un gutes Essen un die Benutzung der Bibliothek den lieben langen Tag. Un da wir nit alle beide dazu nötig waren, die eine Stube zu putzen, machte sich Mrs. Lecks an das Wohnzimmer, wo er sich mit seinen Büchern hingesetzt hatte, un fing da an. Un dann kriegten wir Mr. Dusantes Schlafrock zu fassen. Das war doch die reine Unverschämtheit, für vier Dollars wöchentlich auch noch den Gebrauch des Schlafrocks zu verlangen, wir haben en also hübsch ausgeklopft un gebürstet, gekampfert un weggepackt. Wir wollten ihm doch zeigen, daß er besser thäte, seine Ruppigkeit bei jemand anders zu versuchen als bei uns. Wir konnten sehn, daß ihn die Geschichte ganz aus dem Geleise brachte, denn wenn es jemals en Menschen gegeben hat, der gern alles um sich rum ruhig un behaglich hat, un daß sich alles nach ihm richtet, dann is es der Missionar. Aber was lag uns dran, wenn's ihm unbequem war; Mrs. Lecks un ich, wir meinten, es wäre ihm ganz gesund. Er war ja immer so in Gedanken, daß er nicht einmal merkte, wie seine Tochter mit einem jungen Mann ging un sich jeden Tag mehr in ihn verliebte, der nit die geringste Absicht hatte, sie zu heiraten, wie sich durch Zeugen beweisen ließe.«

»Mrs. Aleshine,« entgegnete ich, sie fest ansehend, »ich glaube, Sie und Mrs. Lecks haben schließlich doch Ihren Willen durchgesetzt, diese Angelegenheit zu beschleunigen.«

»Ja,« antwortete sie mit glücklicher Selbstzufriedenheit, »es sollte mich weiter nit wundern, wenn's so wäre. Den Pfarrer en bißchen aufzukitzeln war unser letztes Mittel, un es hat keine große Mühe gekostet,«

Mrs. Lecks, deren Benehmen mir gegenüber sich in der letzten Zeit durch kalten Ernst ausgezeichnet hatte, war jetzt wieder so freundlich wie früher, wennschon sie es nicht über sich gewinnen konnte, die Sache ohne einige Worte des Vorwurfs hingehen zu lassen.

»Das muß ich aber sagen, Mr. Craig,« bemerkte sie am nächsten Morgen, »ich war nahe daran, die Geduld mit Ihnen zu verlieren. Ich fing schon an zu denken, daß ein junger Mann, der nicht sehn konnte un nicht sehn wollte, was gut für ihn sei, es gar nicht verdiente, un wenn Miß Ruths Vater ein Machtwort gesprochen un der ganzen Geschichte ein Ende gemacht hätte, dann weiß ich nicht, ob ich Sie besonders bedauert haben würde. Aber nu is ja alles in Ordnung un wir wollen die Vergangenheit ruhen lassen. Un jetzt haben wir weiter nichts zu thun, wie alles für die Hochzeit fertig zu machen.«

»Die Hochzeit!« rief ich aus.

Mrs. Lecks sah mich mit einem Ausdruck an, worin sich tugendhafte Entrüstung und Mitleid mischten. »Mr. Craig,« sagte sie, »wenn es jemals einen Menschen gegeben hat, der einen Vormund sehr nötig hatte, dann sin Sie's. Hören Sie mir mal zu. Der Mr. Enderton, das is en Mensch, dem nicht weiter zu trauen is, als wie man ihn sieht, un nicht mal so weit, wenn man's nicht nötig hat. Jetzt is er ganz bereit, Ihnen Ruth zu geben, weil er ziemlich fest überzeugt is, daß wir hier bleiben, un er betrachtet Sie als den Besitzer dieser Insel un meint, es wäre ganz gut für ihn, wenn seine Tochter die Besitzerin wäre. Zunächst glaubt er, er brauchte dann kein Kostgeld mehr zu bezahlen. Lassen Sie ihn aber nur erst mal von der Insel fortkommen, un wenn er dann irgend so nen Milchbart von nem jungen Menschen zu Gesicht kriegt, von dem er glaubt, daß er ihn aufnimmt un umsonst mit Büchern un Thee versorgt, dann – haste nicht gesehn – wirft er Sie über Bord, ohne ne Miene zu verziehen. Un Miß Ruth is auch keine von denen, die Sie gegen seinen Willen heiraten würde, wenn er seine Bibel aufmacht un sie mit Sprüchen bombardiert, was ich ihm zutraue. Wenn ihr beide auf irgend eine Weise getrennt werdet, nachdem ihr von hier fort seid, dann is gar nicht vorauszusagen, ob ihr euch jemals im Leben wiederseht, denn wo er sie hinschleppen wird, weiß kein Mensch. Das is einer von denen, die weiter nichts wollen, als sich irgendwo festzusetzen, wo sie's gut haben. So was is mir noch nie vorgekommen.«

»Natürlich bin ich bereit,« erwiderte ich, »jeden Augenblick zu heiraten, aber ich glaube nicht, daß Miß Ruth und ihr Vater mit einer solchen Uebereilung einverstanden sein werden.«

»Nu fangen Sie mir nur ja nicht an, gleich dies un das zu glauben,« versetzte Mrs. Lecks. »Das lohnt sich nicht. Gehn Sie nur geradeswegs zu ihrem Vater un sprechen Sie mit ihm, un wenn er un Sie sich verständigen, dann is es 'ne Kleinigkeit, auch sie 'rum zu kriegen. Bringen Sie's nur mit ihm ins reine, dann will ich schon dafür sorgen, daß alles bereit is. Un am besten wär's, wenn Sie die Hochzeit schon auf morgen festsetzten, denn viel länger können wir nicht hier bleiben, un ehe wir fortgehn, is 'ne Masse Reinemacherei un Backen un Kochen zu besorgen.«

Ich befolgte diesen Rat und trug Mr. Enderton die Angelegenheit vor.

»Ihr Vorschlag, Mr. Craig,« sagte er, sein Buch niederlegend, »ist allerdings entschieden seltsam; ich kann wohl sagen, wirklich sehr seltsam. Allein er ist im Grunde genommen nicht seltsamer als manches, was ich erlebt habe. Unter den verschiedenen Sekten, die ich kennen gelernt, habe ich Vorfälle gesehen, die ganz ebenso seltsam waren, ganz ebenso seltsam. Ich, meinerseits, habe gegen eine alsbaldige Vornahme der Trauungsfeierlichkeit nichts einzuwenden. Im Gegenteil, ich bin der Ansicht, daß ein gewisses Maß von Beschleunigung dieser Angelegenheit sehr zum Behagen aller, die zunächst dabei in Betracht kommen, beitragen wird. Es ist für mich sehr unbefriedigend gewesen, meine Tochter eine so untergeordnete Stellung in unsrer kleinen Familie einnehmen zu sehen, wo sie nicht einmal in der Lage gewesen ist, die Führung der Haushaltsangelegenheiten in Wege zu leiten, die geeignet waren, mir den Aufenthalt vollkommen behaglich zu machen. Also morgen! Das wird sich sehr gut machen lassen. Selbst wenn Regenwetter einträte, wäre das meines Erachtens kein Grund, die Trauung zu verschieben.«

Ruth nahm dagegen den Vorschlag, die Feierlichkeit schon am nächsten Tage stattfinden zu lassen, nicht so günstig auf. Sie war auf eine solche Uebereilung durchaus nicht vorbereitet, gab indessen schließlich den Vorstellungen nach, nicht so sehr meinen, fürchte ich, als denen der beiden Frauen.

Den Rest jenes Tages über waren die drei Matrosen sehr beschäftigt, Grünes zur Ausschmückung des Wohnzimmers herbeizuschaffen und alle möglichen zur Vorbereitung für eine Hochzeit nötigen Arbeiten zu verrichten, die Mrs. Aleshine ihnen auftrug. Sie selbst und ihre liebe Freundin aber bestanden jetzt ihre Probe als Festordner. Sie machten Kuchen, Pasteten, und wenn ihr wissen wollt, was sonst noch für gute Dinge gebacken und gekocht wurden, so braucht ihr nur die drei Matrosen zu fragen. Daneben halfen sie noch Ruth, so gut es ging, einen für eine Braut passenden Staat herzurichten. Einige leichte und hübsche Verzierungen für das Kleid wurden von Emily oder Lucille entliehen – von wem von beiden wußten sie natürlich nicht –, und nachdem sie Von Mrs. Lecks »zurechtgestutzt«, geplättet und getollt worden waren, wurden sie von Ruth mit so viel Geschmack bei ihrem Anzug verwendet, daß sie mir am Hochzeitsmorgen reizender gekleidet zu sein schien, als ich je eine Braut gesehen hatte.

Die drei Seeleute, die sich ihr Zeug selbst gewaschen und geplättet hatten, erschienen in sauberen Anzügen und wohl angefeuchteten und gebürsteten Haaren und Bärten. Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine hatten sich mit Kragen und Busenstreifen geschmückt, und Mr. Enderton hatte die geistlichste Miene aufgesetzt, als er hinter dem als Altar dienenden Tisch im Wohnzimmer stand und Ruth und mich traute.

»Dies,« sagte Mr. Enderton, als wir beim Hochzeitsmahl saßen, »ist eine sehr anerkennenswerte Ausstellung lockender Gerichte, allein ich kann aussprechen, meine liebe Ruth, daß ich den Einfluß dieses glücklichen Ereignisses schon wahrzunehmen geglaubt habe, ehe es wirklich stattgefunden. Ich habe schon während der letzten zwei Tage mehr Freude an meinen Mahlzeiten gehabt und auch größeres Behagen an meiner Umgebung empfunden.«

»Das will ich meinen,« flüsterte Mrs. Aleshine mir ins Ohr; »wir mußten nicht so bald, daß es mit euch beiden in Richtigkeit war, als wir einen Extralöffel Thee in seine Kanne thaten un mit dem Schrubben der Bibliothek aufhörten.«

Während der nächsten beiden Tage herrschte eine eifrige Thätigkeit auf der Insel. Sie zu verlassen, ohne alles in bestmögliche Ordnung gebracht zu haben, so daß Dusantes bei ihrer Rückkehr keinen Grund zur Klage über den Zustand ihres Hauses fänden, war für Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine einfach ein Ding der Unmöglichkeit. Die beiden Frauen strebten augenscheinlich danach, ihren Stolz auf ihre Tüchtigkeit als Hausfrauen dadurch zu befriedigen, daß sie alles in einem noch besseren Zustand zurückließen, als sie es angetroffen hatten.

Mr. Enderton war über diese Vorbereitungen zu sofortiger Abreise höchlich überrascht. Er war mit seinem Leben auf der Insel ganz zufrieden und hatte sich in Gedanken vollständig auf dessen unbegrenzte Fortsetzung eingerichtet, mit der angenehmen Veränderung, daß nunmehr seine nachgiebige und liebevolle Tochter die Stelle der unleidlichen und eigensinnigen Mrs. Lecks einnehmen werde. Er hatte übrigens durchaus keinen triftigen Grund zur Beschwerde, denn die Angelegenheit wegen des Verbrauchs der vorhandenen Lebensmittel und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit einer Fahrt im offenen Boot nach einer bewohnten Insel war von uns oft und weitläufig in seiner Gegenwart besprochen worden. Seine Gedanken waren aber so ausschließlich mit seinem eigenen Wohlbehagen beschäftigt, daß diese Besprechungen keinen Eindruck auf ihn gemacht hatten. Jetzt bemächtigte sich seiner die Ueberzeugung, daß wir eine Verschwörung gegen ihn angezettelt hätten, und er ward sehr schlechter Laune. Das machte auf uns indessen wenig Eindruck, denn wir hatten zu viel zu thun, um uns um ihn kümmern zu können. Dieser plötzliche Wechsel in seiner Stimmung zeigte mir jedoch, wie richtig ihn Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine beurteilt hatten. Hätte ich die Insel verlassen, während meine Verheiratung mit Ruth noch im geringsten von Mr. Endertons gutem Willen abhängig war, dann waren meine Aussichten auf das Glück meines Lebens der Gnade seiner Launen anheimgegeben gewesen.

Sehr zeitig an einem prachtvollen Morgen traten Ruth und ich unsre Hochzeitsreise in dem großen Boote an. Für Mr. Enderton war ein möglichst bequemer Platz im Heck des Bootes hergerichtet und Ruth war in seiner Nähe untergebracht worden. Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine saßen einander gegenüber und hatten jede einen in braunes Papier gehüllten Gegenstand neben sich liegen. Es waren die Schwimmgürtel, auf denen sie nach der Insel gelangt waren. Diese sollten als Andenken an ein wunderbares Erlebnis aufbewahrt werden. Die drei Matrosen und ich ruderten abwechselnd. Die See war spiegelglatt und wir hatten allen Grund, anzunehmen, daß wir das Ziel unsrer Fahrt vor Ende des Tages erreichen würden. Mrs. Aleshine hatte für reichlichen Mundvorrat gesorgt, und mit Ausnahme von Mr. Enderton, den wir verhindert hatten, mehrere von Mr. Dusantes Büchern mit zunehmen, waren wir alle ganz zufrieden.

»Hätte das Mehl angehalten,« bemerkte Mrs. Aleshine, »würde mich nichts dahin gebracht haben, die Insel vor Dusantes Rückkehr zu verlassen. Wären sie gekommen, dann hätten wir Emily oder Lucille – die, die den Haushalt besorgt – überall umhergeführt un hätten ihr gesagt, was wir alles gemacht haben. Aber wenn sie zurückkommen,« fügte sie hinzu, »un lesen den schönen Brief, den Mr. Craig geschrieben un für sie zurückgelassen hat, un erfahren, was in ihrer Abwesenheit auf ihrem Landsitz alles vorgefallen is, un wie zwei von uns hier fürs Leben glücklich geworden sin, un zwei andre, nämlich Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine, ihre Reise nach Japan aufgegeben haben, un statt dessen lieber an meinen Sohn schreiben wollen, er solle nach Amerika zurückkommen und sich in dem Lande niederlassen, wo er hingehört – wenn dann Dusantes nicht zufrieden sin, dann – dann können sie mir gestohlen werden.«

»Das meine ich auch,« sagte Mrs. Lecks, »mit den Hochzeitskarten auf dem Tisch im Wohnzimmer, kein Stäubchen m einer Ecke, un dem Kostgeld im Ingwertopf!«


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