Max Stirner
Essays
Max Stirner

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Über die Verpflichtung der Staatsbürger zu irgendeinem Religionsbekenntnis

[111] Berlin, 4. Juli.

Am Rande steht eine Bemerkung des Zensors: »darf nicht abgedruckt werden K. 6. Juli. Abegg

Es ist schlimm, wenn wohlmeinender Unverstand sich in Sachen mischt, die über seinen Gesichtskreis hinausliegen, wie dies der Kölnischen und der Spenerschen Zeitung in bezug auf den projektierten Verein der »Freien« begegnet ist; beide überbieten sich in faselnder Altweiberweisheit, krassen Mißdeutungen und sinnlosen Voraussetzungen. Und doch war es so leicht, hier das Wahre zu finden, da der Boden, aus welchem dieser Entschluß hervorgewachsen ist, für keinen Gebildeten mehr eine terra incognita sein kann. Es wäre nur nötig gewesen, auf Strauß, Feuerbach, Bauer und auf die »Deutschen Jahrbücher« zurückzugehen, um sich solche phantastischen und abenteuerlichen Vorstellungen vom Halse zu halten. Aber es sollte ja die Religion verteidigt, es sollte die freie durch die christliche Gesinnung bekämpft werden; das gibt der Sache freilich ein anderes Ansehen, und was zunächst als Unverstand erscheint, ist vielleicht wohlberechnete, durch alle bisherigen Präzedenzen und durch die Heiligkeit der Sache berechtigte Taktik. Dann erscheint freilich die Redensart von den Panzerhemden nur als eine prächtige rhetorische Figur, die Erinnerung an die Vernunftgöttin als ein Popanz, der für schwache Geister hergestellt wird. Diesen nun mag daher auch die Versicherung gelten, daß sie nach wie vor ruhig schlafen können, wenn sie ein gutes Gewissen zum Kopfkissen haben und der Polizei das wohlverdiente Zutrauen schenken, daß sie meuch- [112] lerische Angriffe auf das Leben friedlicher Bürger und ehrbarer Familienväter zu verhüten wissen werde. Überdies wissen wir wohl, daß im Namen Gottes und der Religion Scheiterhaufen errichtet, Dolche gezückt, Verfolgungen verhängt worden sind; der größte Bogen, der je aus Englands Papierfabriken hervorgegangen ist, würde nicht genügen, um eine vollständige Martyrologie der Schlachtopfer der Religion aufzunehmen. Von der Philosophie ist nichts dergleichen bekannt; sie ist nur immer die Unterdrückte und Verfolgte gewesen und wird diese edlere Stelle auch schwerlich gegen die der Verfolgung vertauschen wollen. Allerdings haben die Zeiten sich etwas gebessert: man steinigt nicht mehr, man kreuzigt nicht mehr, man verbrennt nicht mehr; – aber man hat noch andere, nicht weniger probate Mittel: man vertreibt die Lehrenden von Amt und Brot, man verjagt diejenigen, welche ihrem alten Glauben treu bleiben, aus der Heimat, man verdächtigt diejenigen, welche die Vernunft als einzige und ausschließliche Norm ihres Lebens und Handelns anerkennen, man ruft gegen sie die Leidenschaften des Pöbels auf. Man sagt nicht: steinigt die Verruchten!, aber man meint mit einer versteckten argumentatio ad hominem, der gesunde Sinn der Mitbürger werde solches Treiben nicht dulden. Vielleicht wirkt’s; wo nicht, so versucht man’s anders. Oder man deutet auf eine sehr verständliche Weise an, daß Leute, die eine freie Gesinnung haben, Halunken, Mörder, Banditen sein müssen.

Was wollen denn nun die »Freien«, was so lächerliche Anklagen hervorrufen konnte? Die Antwort ist einfach: sie wollen eben frei sein, frei von allem Glauben, aller Überlieferung und Autorität, weil diese unmenschlich sind. Sie wollen keine Religion, weil alle Religion nur [113] äußerlich fixiert und als Fremdes dem Menschen vorführt, was in seiner eigenen Brust lebt. Es ist daher lächerlich, ihnen die Vernunftreligion oder die Vernunftgöttin unterzuschieben. Von Vernunftreligion konnte nur da die Rede sein, wo man die Kette zwar zersprengt, aber noch nicht abgeworfen hatte. Die »Freien« kennen keinen jenseitigen, in nebelhafter Ungewißheit schwebenden Gott, keinen geoffenbarten, kein être suprême, oder wie es sonst heißen möge, sondern nur den Gott im Menschen und in der Geschichte, wenn man diesen noch so nennen will. Sie allein sind bei ihm, weil er in ihnen ist. Alle anderen Stufen des Bewußtseins haben nur ein trügerisches Spiegelbild, eine leere Phantasmagorie. Für sie gibt es natürlich keine Offenbarung, denn dem Menschen kann sein eigenes Wesen nicht geoffenbart, sondern nur zum Bewußtsein gebracht werden; für sie gibt es nicht die gemeine Vorstellung der persönlichen Unsterblichkeit, weil sie wissen, daß der Geist allein unsterblich ist, für sie nicht so viele andere entwürdigende Vorstellungen, welche nur darauf hinausgehen, das Endliche zu verunendlichen und den Geist durch rohe Versinnlichung zu schänden.

Also jammert, ihr Sklavenseelen, denen das Bewußtsein ihrer Knechtschaft angeboren ist und deren Knie zu biegsam geformt sind, um sich in der Stellung zu gefallen, welche dem freien und edlen Menschentum allein geziemt. Also zittert, ihr ehrbaren Leute, haltet eure Börsen fest und nehmt eure Hälse in acht! Wer wird euch eure 4 Prozente garantieren, wenn es keine Religion mehr gibt? Wer euch vor Mord und Totschlag schützen? Indes vertraut nur der Polizei, vor allen Dingen mißtraut aber denen, welche nicht müde werden, [114] euch zu sagen, daß die Religion die Bedingung der Moral und der Sittlichkeit sei. Seid überzeugt, daß, wo ihr diese Redensart hört, immer im Trüben gefischt wird. Freilich haben uns unsere Seelsorger versichert, daß man nicht guter Mensch sein könne, ohne guter Christ zu sein. Jawohl, so haben sie gesagt, aber wer hat’s ihnen geglaubt? In dem Interesse ihrer Kaste mag es liegen, daß das Christentum als der einzige Quell aller Tugenden erscheine, denn sie sind dessen Verweser; in ihrem Interesse mag es liegen, von einem jenseitigen Gott zu sprechen, denn sie sind seine Leibgarde, seine Söldlinge, seine Hofschranzen, welche aus guten Gründen die Entfremdung zwischen ihm und uns so viel wie möglich zu erweitern suchen. Aber wir? Wir sollten glauben, daß es ohne Religion, besonders ohne Christentum, keine Tugend, keine Moral, keine Sittlichkeit gebe. Mit solchen Märchen äfft man Kinder. Wir wissen, wo wir das Rechte und Gute zu suchen haben, und werden uns wohl hüten, es aus zweiter Hand zu nehmen, da wir leider nur zu gewiß sind, daß wir es nicht rein und unverfälscht aus derselben erhalten. Wer wahrhafter Mensch sein will, der greife in seinen Busen, der suche das Edle und Große in der Menschennatur und in der Geschichte der Menschheit, und wem das nicht genügt, der betrachte das als ein Kennzeichen, daß er der Freiheit nicht wert ist, und daß ihm wahre Menschenwürde fehlt. Nein, ihr Pharisäer, das werdet ihr uns nicht vorreden, daß es außerhalb des Christentums keine Moral und keine Sittlichkeit gibt. Dieses hat vielmehr beiden Begriffen den Stempel des Eigennutzes aufgedrückt, indem es die Lehre der Vergeltung und der Belohnung einführte. Seien wir edler und tun wir das Gute nicht im Hinblick auf das Jenseits und den jenseiti- [115] gen Lohn, sondern weil es unserer und der menschlichen Natur würdig ist.

Hat man uns doch auch vorgeredet, daß man guter Christ sein müsse, um guter Bürger zu sein; spricht man uns doch unaufhörlich vom christlichen Staate, als ob Kirche und Staat nicht zwei ganz getrennte, nur zufällig und unrechtmäßig vermischte Gebiete wären. Als ob ich nicht meine Pflichten gegen den Staat erfüllen könnte, ohne irgendeiner Kirche anzugehören. Ob nicht vielleicht sogar besser, da die konsequente Durchführung der religiösen Forderungen zu gänzlicher Negation des Staates führt. Freilich liegt es wiederum im Interesse der schwarzen Männer, unter dem Schutze des Staates die Gewissen zu binden, die Überzeugungen zu fesseln. Schlimm für den Staat, wenn er auf sie hört, wenn er christlicher Staat sein will. War’s doch der christliche Staat, der die Juden der Religion wegen aus der Gemeinschaft ihrer Mitbürger ausrangieren und in besonderen Korporationen belassen wollte; war’s doch der christliche Staat, der die Altlutheraner nicht dulden und die Lehrfreiheit nur innerhalb der Grenzen des Christentums gestatten wollte. Die »Freien« ehren den Staat, nur nicht den christlichen; sie sind ihm mit Leib und Seele ergeben, sie werden Gut und Blut opfern, wenn seine Zwecke erheischen, und wollen fürs erste wenigstens seine Donner-Legion sein. Aber sie wollen nichts mit der Kirche zu schaffen haben und werden suchen, den unvermeidlichen Scheidungsprozeß zwischen Kirche und Staat nach Kräften zu beschleunigen. Sie erkennen das Christentum nicht an, aber da der Staat gewisse religiöse Formen zur Bestätigung bürgerlicher Akte adoptiert hat, so müssen sie sich diesen unterwerfen, sie müssen sich taufen, einsegnen, trauen lassen usw. Sie können nicht ins Leben treten, dasselbe [116] nicht verlassen, keine wichtige Handlung begehen, ohne mit der Kirche in Kollision zu kommen; ja sie müssen selbst den Namen Gottes, den sie nicht kennen, als Zeugnis der Wahrheit anrufen. Das ist ein unleidlicher Zustand für sie, dem sie sich um jeden Preis entziehen wollen.

Das ist alles, was sie fordern; sie wollen Bürger sein dürfen, ohne eine Religion zu haben. Und das scheint nicht zuviel verlangt. Wo die Unvernunft in so vielen Formen herrscht, da wird doch auch der Vernunft eine Existenz vergönnt werden können. Also keine Religion! Austritt aus der Kirche! Aber Moral, Sittlichkeit, Pflichten gegen Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat. Kein Götzendienst, aber Verehrung der sittlichen Mächte und alles wahrhaft Menschlichen. Aber warum jetzt schon damit hervortreten?, fragst du, wackerer Th. H., dessen Christentum selbst nicht ganz unverdächtig scheint, da du die Sache nur um ein paar Jahrtausende vertagt wissen willst. Warum jetzt? Weil endlich eine Zeit kommt, wo die Hülse gesprengt werden muß. Früher war die Freiheit nur in der Wissenschaft, und da auch nur in dunkle Formeln gehüllt. Leibniz, Spinoza, Hegel hatten die Wahrheit, aber das war eine esoterische. Jetzt endlich macht sie Miene, aus der Wissenschaft ins Leben überzuspringen und exoterisch und praktisch zu werden. Hoffen wir, daß es ihr schon gelingen werde.

Und nun, du furchtsamer Mann. der du von Mord und Dolchen träumst, wird auch wohl Deine Angst gestillt sein. Oder nicht? So wollen wir dir beim engeren Ausschuß der »Freien« eine Sicherheitskarte für dich und deine Familie und eine sauve garde für dein Haus erwirken, damit du siehst, daß sich »Freie« edel rächen. Und dann, si fractus illabatur orbis, du bist geborgen!

 


 


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