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Louis Fellrich.

Louis Fellrich,

unser erster Liebhaber, erzählt:

Ein griechischer Philosoph, aus jener Zeit, in welcher noch die Götter lebten und eine gewisse Amathusia auf dem Throne saß, sprach einst das sehr zu beherzigende Wort: »Die Menschen sind nur Gäste auf dem Planeten, welchen man Erde (damals Gäa oder Tellus) nennt.«

Bezieht man diese Worte auf unsere Kunst, so ergiebt sich, daß der ureigentliche Beruf eines echten Künstlers – das Gastspiel ist.

Der Mensch ist ein Gast, ergo ist der Gast der wahre Mensch. Der wahre Mensch aber ist die Krone der Schöpfung. Deshalb ist der auf Gastspiel reisende Künstler das Höchste, was es überhaupt giebt.

Ich hasse daher das feste Engagement aus der Tiefe meiner Künstlerseele. Ich verschmähe es, auf dem Lotterbette eines lebenslänglichen Kontrakts auszuruhen. Sollte mir jedoch ein acceptables Engagement für die Burg oder das Schauspielhaus angeboten werden – vielleicht griffe ich zu. Jedoch nur mit folgendem Vorbehalt: acht Monate Urlaub zu Gastspielen, zwanzigtausend Mark Gage und stets großgedruckt auf dem Zettel. Unter diesen Bedingungen würde ich – vielleicht mit mir reden lassen. Auch wäre ich nicht abgeneigt, mich am Deutschen Theater zu betheiligen, aber leider sehen sie dort zu sehr auf den Mammon.

Wie schon gesagt, bin ich Gastspieler ersten Ranges. Kaum komme ich in einem Städtchen an, das ich mit meiner Gegenwart beehre, so steht bereits in jedem Blatt und jedem Blättchen zu lesen: »Der berühmte Louis Fellrich weilt in unsern Mauern.«

Es giebt keinen zweiten Mauernweiler wie mich, weil es fast keine Mauern giebt, in denen ich nicht schon weilte. In jeder Kunsthandlung wird meine Photographie ausgestellt. Meine Kunst ist auch einzig.

Nie trete ich in einem Stücke allein auf: stets fülle ich den Abend mit einzelnen Akten von verschiedenen Stücken. Immer nur die Akte, in welchen die großen Scenen für mich Vorkommen.

Da kann das Publikum mich bewundern, sich so recht an meiner Kunst sättigen; es verdirbt sich den Magen so leicht nicht an einem Zuviel. Das Publikum hat Heißhunger nach Effekt.

Mein Fach ist erster Liebhaber. Meistens spiele ich an einem Abend den Ferdinand im letzten Akt von »Kabale und Liebe«, den Romeo im letzten Akt von »Romeo und Julia«, und den Hamlet im letzten Akt des gleichnamigen Stückes.

Ich rechne nach meiner Auffassung den Hamlet zu den Liebhabern.

Das Publikum bekommt an solchem Abend drei Giftmorde zu sehen. Dreimal sterbe ich auf der Scene. Es ist eine Pferdearbeit, aber ich bringe sie mit Glanz fertig.

Das Sterben ist meine Hauptforce. Als Ferdinand lege ich die Hand auf die Nabelgegend, um das Bauchgrimmen anzudeuten, mit dem Arsenik zu wirken beginnt. Ich habe in einem Doktorbuche studirt, auf welche Weise die verschiedenen Gifte sich äußern. Man kann an meinen Gesten sehen, welches Gift ich genommen habe.

Dann fange ich an zu würgen. Nach dem Würgen kriege ich Krämpfe und wälze mich in fürchterlichen Zuckungen über die Bühne. Stier blicke ich die Louise Millerin an, meine Hände ergreifen den Fuß des Klaviers, ich richte mich auf, die Augen verglast, die Zunge aus dem Halse, schnappe ich nach Luft, plötzlich reißt eine Saite auf dem Klavier und, bums, falle ich nieder und bin hin. Todtenstille im Hause – dann frenetischer Beifall. Ich stehe auf und verneige mich vor dem jauchzenden Publikum.

Als Romeo nehme ich Strychnin. Der Starrkrampf überfällt mich. Kopf, Nacken und Beine krümmen sich nach rückwärts. Ich knirsche mit den Zähnen. Mit Hülfe eines Stückchens Seife erzeuge ich den naturgetreuesten Schaum vor dem Munde. Noch ein Ruck, noch ein Ziehen der Glieder und in der schönsten Positur liege ich neben dem Sarge Julia's.

Spielt man eine Rolle in Trikothosen, so muß man darauf sehen, daß die Beine sich im Tode malerisch gruppiren. Die Sache habe ich durch gründliches Studium vor dem Spiegel heraus.

Als Hamlet setze ich voraus, die Spitze des Degens sei mit Klapperschlangengift getränkt. Apathisch sinke ich nieder. Dann springe ich in entsetzlicher Angst wieder auf, das Blut läuft mir aus Nase und Ohren. Furchtbare Athemnoth überfällt mich, mein Stöhnen wird im fernsten Winkel des Hauses vernommen. Bei den Worten »der Rest ist Schweigen« durchläuft ein Zittern meinen Körper, ein letzter Griff nach meinem Barett, ich verhülle mein Antlitz und strecke mich starr aus.

Horatio spricht seine Worte und nimmt das Barett wieder fort. Ein Schrei der Bewunderung geht durch das ganze Haus – mein Gesicht ist total schwarzblau: – die reine Wasserleiche.

Tobender Beifall. Ich trete vor, nehme den blauschwarzen Flor von meinen edlen Zügen und verneige mich. Da der Applaus sich nicht beruhigt, winke ich mit der Hand und gebiete Schweigen.

Hieraus halte ich folgende Rede: »Tief gerührt von Ihrem Beifall (seelenvoller Augenaufschlag nach der Gallerie) spreche ich Ihnen, hochverehrte Anwesende, meinen innigsten Dank für Ihre Güte und Ihr Wohlwollen aus und für die Nachsicht, die Sie mit meinen Leistungen haben. (Blick auf Parquet und Parterre. – Pause. – Applaus.) Wenn mir Etwas Muth und Kraft giebt, weiter vorwärts zu schreiten in meiner schweren und doch so erhabenen Kunst, so ist es das Bewußtsein Ihrer Anerkennung. Ich berührte die größten Städte Europas auf meinen Gastspielen, aber noch nie fand ich ein so verständnißvolles und kunstsinniges Publikum wie hier in – –« (folgt der Name des Ortes: Neutomischl, Polnisch Lissa, Buxtehude, Vöslau, Libau, Löbau, Laubau, wie sie gerade heißen). Lege die Hand auf's Herz und verneige mich huldvoll.

Fieberhafter Taumel. Applaus mit Händen und Füßen. Vorhang hoch und immer wieder hoch und wenn die Stricke reißen.

Deliriumartiger Jubel. Chaotische Existenz des Publikums. Ganz Neutomischl oder wie der Ort sich benennt, in dessen Mauern ich weile, aus Rand und Band.

Und wer macht das Alles? – Ich, Louis Fellrich, der erste Gastspieler der Welt. – Die Kritik, welche mir meine Triumphe nicht gönnt, hat mir wiederholt Vorwürfe darüber gemacht, daß ich nur immer einzelne Akte der Stücke gebe. Das ist Unrecht von ihr, denn wenn ich vom Besten das Allerbeste aussuche und dem Publikum darbiete, so thue ich doch nur meine Pflicht als Künstler und denkender Mensch.

Man hat meine wohlberechnete Auswahl einen dramatischen Gullasch genannt. Ich bin hoch erhaben über solchen Spott.

Man hat meine berühmten Sterbeszenen, auf die ich reise, zu realistisch gefunden. Ich machte einem Rezensenten den Vorschlag, einige elende Gran Arsenik zu schlucken, damit er an sich selbst die Wirkung des Giftes probiren möge, um inne zu werden, daß ich mich strenge an die Natur halte. Der Feigling wollte nicht.

Allerdings, reden und schreiben läßt sich viel über eine Sache, aber selbst machen, da liegt das Urwesen der Kunst begraben.

Enfin, es nützt alles Angreifen, Besserwissen und Schmälen ja doch nichts. Das Publikum verhätschelt mich trotzdem. Ich bin sein Schooßkind, sein Verzug, sein Gott.

Deshalb kann ich auch keine Götter neben mir dulden. Je miserabler meine Kollegen spielen, um so glänzender trete ich hervor.

Es giebt einfältige Leute, welche vor allen Dingen ein gutes Ensemble verlangen. Wo aber bleibt dann der Ruhm, auf den wir ersten Künstler Anspruch haben?

Schlägt man die großen Diamanten in kleine Stücke, so geht ihr Werth verloren. Entzieht man dem Applaus, der Jemand allein gebührt, wie z. B. mir, auch nur einen geringen Bruchtheil, um ihn einem Kollegen zukommen zu lassen, so ist er nicht mehr ungetheilt und dann – danke ich.

Heißt es in einer Rezension: »Neben dem berühmten Gaste, Herrn Louis Fellrich, dem Unerreichbaren, der sich selbst übertraf, wurde auch unser wackerer Herr X. und unsere talentvolle N. vom Publikum ehrend ausgezeichnet« – dann huste ich auf das Geschmiere.

Schreibt man dagegen: »Herr F. war wie gewöhnlich unter allem Muff und Frln. N. würde selbst von den Botokuden ausgegrunzt worden sein, während unser Gast, Herr Louis Fellrich, in überirdischer Glorie strahlte«, dann – bin ich leidlich befriedigt.

Ich bin der Popokatepetl, die Andern sind nur Sandhaufen. Den Applaus, der meinen Mitspielern gezollt wird, betrachte ich als Diebstahl an meinem Eigenthum.

Daß ich mich mit der Art und Weise der Meininger nicht einverstanden erklären kann, bedarf hiernach keiner Auseinandersetzung. Das Ensemble ist der Ruin des wahren, großen Künstlers. – Ich lasse mich nicht ruiniren. – –

Meine Wohnung besteht aus zwei Zimmern, aus einem Schlafgemach und einer Ruhmeshalle. Hier hängen die Kränze, welche mir geworfen wurden, und die Präsente von Enthusiasten und Korporationen.

Der Verein »Die grüne Bolle«, dessen Zweck ist, den Sinn für das Schöne, Erhabene und Aesthetische auf dem Wege der Abschreckungsmethode zu fördern, verehrte mir ein zierlich geschnitztes Zündholzgestell, das in seiner Form mich scharmant an die vielen Bahnhöfe erinnert, welche ich schon passirte. Seine Bestimmung für das Rauchzimmer wird durch die lakonische Inschrift »Für Herren« angedeutet. Ein Lorbeerkranz umgiebt dies theure Andenken.

Die Tafelrunde der »Schwachen«, welche hemdärmelig Erstaunliches im Vertilgen von Bitterbier leistet, schenkte mir ein Bierseidel mit einer herrlichen Dedikation. Ein zweites Seidel, ohne Dedikation, nur mit einer Nummer versehen, brachte mir der Kellner vom »gelben Affen« als Zeichen seiner Bewunderung. Diese rührende Ovation einer unschuldigen Jünglingsseele, die in ihrer Naivetät nach dem ersten besten, ziemlich werthlosen Gegenstande greift, um ihrem Enthusiasmus Ausdruck zu verleihen, entschädigt vollauf für so manche herbe unverdiente Kritik. Hier erhöht der Geber den Werth der Gabe.

An Kränzen ist meine Ruhmeshalle überreich; die ganze Provinz Posen könnte damit ein Jahrlang Bierfische kochen, ehe meine Lorbeerblätter aufgebraucht sein würden.

Besonders werthvoll ist der Direktionskranz von B.

Seine Blätter sind aus grünem Wachstuch der Natur täuschend nachgebildet – ewig bleibt er grün. So oft ich in B. auftrat, ließ die Direktion mir diesen Kranz werfen, jedoch war ich verpflichtet, ihn jeden Abend nach der Vorstellung der würdigen Jungfrau wieder einzuhändigen, die mir ihn von der rechten Proszeniumsloge des dritten Ranges mit einer Meisterschaft, welche nur durch jahrelange Uebung erreicht wird, zuschleuderte. Es war die Requisitrice. – Mein ganzes Sehnen und Denken war auf diesen Kranz gerichtet, allein der Direktor konnte sich von diesem ehrwürdigen Inventarstück des Theaters nicht trennen. Ich beschwor ihn, bat, flehte und drang so lange in ihn, bis er mir den Kranz für eine Gratisvorstellung versprach.

Ich spielte an jenem Abend mit ungewöhnlichem Feuer, meine große Szene war beendet, allein der Kranz blieb aus.

Was war geschehen? Lag eine Intrigue meiner Neider vor? War der Direktor wortbrüchig geworden und wollte er sich um die Anschaffung eines neuen Kranzes drücken?

Sämmtliche Furien, Lamien und Lemuren zerrissen mein Inneres. Ich spielte den Akt zu Ende, aber meine Kraft war gebrochen. Der Applaus kam nur dünne, da das Publikum den gewohnten Kranz ebenso sehr vermißte, wie ich, denn dieser war das Signal zum Beginn des Beifallssturmes.

Die Requisitrice wurde gesucht, allein vergebens.

Ich eilte spät in der Nacht nach ihrer Wohnung. Die Thür war verschlossen.

Donnernd pochte ich an. »Den Kranz!« rief ich. »Gieb mir den Kranz der Unsterblichkeit. Der Direktor hat ihn mir versprochen!«

Drinnen ward nach einer Weile Licht gemacht. Die Thür öffnete sich und in derselben stand im weißen Gewände die Requisitrice. Stumm reichte sie mir den Kranz.

Mehr als ich erwartete, als ich je zu träumen wagte, die geheimste Sehnsucht meines Herzens war erfüllt: eine weißgekleidete Jungfrau übergab mir den Lorbeer des Ruhmes!

Tief ergriffen, keines Wortes mächtig stand ich da. Erst das heftige Zuschlagen der Thür gab mich dem Leben wieder zurück.

Nur bedaure ich, daß diese überwältigende Szene sich spät in der Nacht, während der Dunkelheit, ereignete. Wie schön, wie erhaben hätte sich dieser Moment der Weihe bei Tage auf dem menschenerfüllten Marktplatze ausgenommen!

Es sollte aber nicht sein – die Götter sind oft neidisch auf die Sterblichen.

Dieser Kranz ist die höchste Zierde meiner Ruhmeshalle, mein Palladium, mein Penat.

Nur mit Mühe ist der Laie im Stande, sich zu den Gefühlen zu erheben, welche wir Gottbegnadeten bei der Spendung eines Kranzes empfinden. Je größer der Kranz, um so wonniger das Gefühl. Nota bene, wenn die Schleife daran nicht zu klein ist. Eine finzliche Schleife verdirbt den wohlgemeintesten Kranz. Sie müßte stets mit Goldfranzen versehen sein.

Die Kränze, welche wir uns selbst werfen lassen, haben dagegen die erforderliche Verfassung. Dank der chemischen Wäsche kann man die ältesten Schleifen wieder benutzen. Auch kann man sie für ein weniges wieder auffärben lassen. Trotzdem ist der Ruhm nicht billig.

Was man jährlich für Theaterzeitungen ausgeben muß, für die Meldung glänzend absolvirter Gastspiele, für die Notizen der Mauernweilung, für Lobdithyramben, ja blos dafür, daß man nicht gerissen wird, – das geht ins Kolossive.

Aber die Theaterzeitungen sind unser Hort. Schließlich glauben wir selbst an den Ruhm, den wir darin für unser eigenes, sauer erworbenes Kleingeld in die Welt setzen. Ich bin ein Feind der Reklame – aber was sein muß – das muß sein.

Aus meinem Gastspiel bei dem jetzigen Direktor wurde ein festes Engagement. Jedoch bin ich meinen Prinzipien keineswegs untreu geworden, wenigstens nicht auf die Dauer.

Was mich fesselt, ist ein hohes, weibliches Wesen, über dessen Haupt eine Grafenkrone schwebt.

Ich werde mich nicht getäuscht haben, wenn die Peperona ihren Vater entdeckt. Möge dies recht bald der Fall sein.

Welche Wonne, einen echten Grafen mit einem natürlichen Stammschlosse zum Schwiegervater zu haben!

Ebenbürtig sind wir Künstler den Größten der Erde.

Denn die Kunst adelt.

Erster Liebhaber und Gastspieler.


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