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Mein Schwiegersohn.

Es half kein Dagegenankämpfen und kein Zureden, die Erlebnisse der letzten Wochen hatten mir den Dampf angethan, und wenn ich mir auch Mühe gab, zu lächeln, wie die Gebisse in den Schaukasten der Zahnärzte, Stimmung und Gesichtsfarbe wurden mit jedem Tage verdrießlicher und graugelblicher. So fest ich mir auch vorgenommen hatte, meinen Karl mit sanftester Nachgiebigkeit zu behandeln, war es mir dennoch unmöglich, das mürrische Wesen zu bezwingen, mit dem ich ihm und Betti das Leben verbitterte, ohne es zu wollen. Die Fliege an der Wand ärgerte mich und die Beiden kriegten die Schelte dafür. Frau Helbich brachte mir zwar ein Fläschchen mit selbst destillirter schwedischer Lebensessenz, aber die verdarb den Magen so gräßlich, daß ich einen Abscheu gegen sie faßte. – Ich war krank.

Als es gar nicht weiter ging, that ich endlich, wie mein Karl schon gleich anfangs wollte, und ließ Dr. Wrenzchen holen. – »Er hat sich reizend gegen Dich benommen, als er vor Gericht stand,« sagte mein Karl, »Du kannst ihm vollauf vertrauen.« – Ich aber befürchtete, er würde mir Medizin verschreiben, die mir schaden könnte. So umnachtet war mein Geist. Zuletzt mußte er doch heran.

Der Doktor examinirte mich eingehend und sagte, daß allein eine längere Kur in Karlsbad im Stande wäre, meine Gesundheit wieder herzustellen. – »Nein,« erwiderte ich, »so weit lasse ich mich nicht verschicken, wie soll es werden, wenn ich nicht hier bin?« – »Sie können ohne Sorge reisen, und zwar je eher um so lieber.« – »Damit ich Ihnen aus dem Wege bin!« – »Damit Ihr Zustand kein chronischer wird.« – »Aber wenn Emmi nach ihrer Mutter verlangt ...?« – »Wollen Sie sich und Ihren Kindern erhalten, so folgen Sie meinen Anordnungen; als Schwiegersohn willfahre ich Ihnen in allen billigen Dingen, als Arzt bin ich dagegen unnachsichtlich und verlange Gehorsam. Entweder Sie gehen in den nächsten Tagen nach Karlsbad, oder ich sende Ihnen den Notar, daß Sie Ihr Testament machen können.«

Das half. Die nöthigen Vorbereitungen waren bald getroffen, und nach einem erbärmlich traurigen Abschied setzten Betti und ich uns auf die Bahn. Konnte ich wissen, ob wir nicht statt nach Karlsbad direkt in den Tod fuhren? –

Betti hatte sich sofort entschlossen, mich zu begleiten, und ertrug meine unbewußten Launen mit duldsamster Langmuth. Eine wie ganz Andere war sie doch geworden, seitdem das Leben ihr bitteres Leid zufügte. Früher das Geballer mit den Thüren und Kopf-in-den-Nackengewerfe, und jetzt kaum hörbar und nur liebevolle Hingebung. Ich hatte ja auch Leiden genug gehabt, aber die waren auf Galle und Milz geschlagen. Ob Karlsbad helfen würde? Ich zweifelte daran.

Dazu hatte ich um so mehr Grund, als in den ersten Tagen keine Idee von Besserung zu spüren war. Das Wasser wurde vorschriftsmäßig getrunken, am frühen Morgen befand ich mich mit noch einigen Hunderten in der langen Menschenreihe, die an dem Marktbrunnen vorbei patroullirte und sich von den Quelljungfern das warme Wasser in weißen Porzellanbechern reichen ließ. Dann ward spazieren gegangen und irgendwo im Freien der Kaffee genommen. Betti meinte, Karlsbad sei wunderschön, wie es von Bergen und Waldungen eingeschlossen, von der Tepel durchströmt werde, aber das konnte ich nicht finden; mir war Alles zuwider.

Ich ließ auch den Ansichten über den nutzlosen Aufenthalt unverhohlen freien Lauf und äußerte an einem Morgen laut zu Betti, die nicht von meiner Seite wich, es sei unverantwortlich, hierher verstoßen zu werden, wo man statt besser nur noch gelber würde. »Das ist gerade richtig,« redete uns ein älterer Herr an, der unmittelbar hinter mir ging, »sehr häufig verschlimmert sich die Krankheit im Anfang, aber das ist ein Zeichen davon, daß das Wasser wirkt; nach acht Tagen werden Sie anders reden.« – »So?« fragte ich ungläubig. – »Verlassen Sie sich auf mich, ich besuche Karlsbad schon seit dreißig Jahren und kenne die Heilquellen. Mein Name ist Leopold Freund aus Breslau, es soll mich freuen, Ihnen mit Rath beistehen zu können.« – Ich stellte uns darauf vor und wir gingen miteinander brunnentrinkend weiter. Auf einmal sagte Herr Freund: »Warum braucht Ihr Fräulein Tochter nicht auch die Kur, sie ist ja ganz gelb?« – »Warum nicht gar?« rief ich, »der Schein kommt von dem Futter ihres Sonnenschirms.« – »Wirklich nur ein Reflex,« lachte Herr Freund, »es ist merkwürdig, wie leicht man Jemand für kurbedürftig hält, wenn man so für Karlsbad schwärmt, wie ich.«

Weil Herr Freund ein lebendiger Beweis für die Heilkraft der Quellen ist, betrachten die Karlsbader ihn, als wenn er ein Bürger ihrer Stadt wäre, und daß er wiederum vertraut mit den Verhältnissen ist, bezeugte die immer deutlicher zu Tage tretende Wirkung des Wassers.

Der Apfelsinenteint und der Mißmuth verschwanden allmählich. Lebenslust kehrte wieder zurück und das Auge erfreute sich immer mehr an den Schönheiten der Natur, während wir anfangs nicht weiter gingen, als höchstens zum Freundschaftssaal, oder Pupp, oder dem Posthof, machten wir jetzt größere Ausflüge und fast jeden Tag nannte Herr Freund uns eine neue Partie. Er selbst ging aber nie mit, sondern zog vor, spazieren zu sitzen. –

Eines Tags hatte er uns empfohlen, über die ›Otto's Höhe‹ und das ›ewige Leben‹ nach dem ›Bergwirthshaus‹ zu wandern, wir thaten auch demgemäß und kletterten rüstig auf die Höhen. Die Aussicht war anmuthig und der Wald dermaßen verlockend, daß wir immer tiefer in seine grüne Dämmerung drangen, bis wir uns regulär verlaufen hatten.

»Wir ruhen uns erst ein wenig aus und kehren wieder um,« rieth ich. – Betti sagte: »Setze Du Dich auf jenen Felsblock, ich werde vorangehen und den rechten Weg suchen.«

»Welchen Allarm hättest Du wohl geschlagen, wenn dies im Anfang der Kur vorgefallen wäre,« dachte ich und sann darüber nach, wie merkwürdig doch die Felsenbouillon ist, welche kochend aus der Erde hervorsprudelt und nicht nur den Körper reinigt, sondern auch das Gemüth. Noch eine kurze Zeit, und ich konnte meinem Karl so gut wie neu in die Arme fliegen, als wäre ich bei Spindler gewesen. Allwöchentlich kam ein Brief von Berlin, wo Alles in bester Ordnung war, während mir das Schreiben große Mühe machte, woran das Wasser schuld ist, das keine geistige Thätigkeit haben will.

Als ich mich schon über Betti's Ausbleiben beunruhigte, ward sie wieder sichtbar und zwar in Begleitung eines älteren Herrn, mit einem Strohhute, mit einer Brille, weißlichem Barte und einem Stocke, auf den er sich beim Gehen stützte. Er raisonnirte über sein Podagra, aber war trotzdem bereit, uns zu führen. Wir erzählten ihm, wie wir in die Wildniß gelangt waren, worauf er bemerkte, es gäbe theoretische und praktische Spaziergänger, aber die letzteren wären auch nicht viel werth, wenn die Potentaten ihren Dienst versagten.

Leidensgefährten machen bald Bekanntschaft, und noch ehe wir das Bergwirthshaus erreicht hatten, nannte er mich Mutter Buchholz und mußte Betti Papa Michaelsen zu ihm sagen. Er war aus Norddeutschland nach Karlsbad gekommen, um den Rothwein abzubüßen. Auf meinen Einwurf, er sollte ihn doch stehen lassen, wenn er ihm nicht bekäme, antwortete er, so grausam könne arm Vatter nicht sein.

»Was dies bedeutete?« fragte ich. – Er entgegnete, wenn man sich selbst nicht bedauerte, Andere thäten es nicht, und das müsse Jeder am besten wissen, wie viel er bedauert werden müßte. – Ob er es so nöthig hätte? fragte ich. – Je nachdem, das hinge von den Jahrgängen ab. –

Wir schlossen uns recht aneinander, da Herr Michaelsen die Gegend kannte und um so fleißiger mitging, je mehr ihm der Sprudel auf die Beine half.

Wir waren zusammen nach den Hans-Heilingfelsen, die einen versteinerten Hochzeitszug vorstellen sollen, und nach dem Aberg, wo wir an der schwarzen Madonna vorbeikamen, die als Bildniß in einem Baum angebracht ist. Arm Vatter Michaelsen hielt nicht viel von schwarzen Madonnen. Dagegen erklärte er uns Mineralogisches und den Bau der Erdrinde, wofür Betti ziemlichen Sinn hatte. Ich bemerkte, es sei doch eigenthümlich, daß der Brunnen an Ort und Stelle am wirksamsten wäre, wie mein Schwiegersohn der Doktor gesagt hätte, ob die Forscher, die doch Alles nachmachen, nicht z. B. solche Quelle in Berlin einrichten könnten. Wie er darüber dächte? – »Es giebt zwei Sorten von Chemikern,« antwortete er, »unnütze und schädliche. Beide haben schon genug Unfug angerichtet. Die Einen lehren das Verfälschen und die Anderen betreiben es.« –

Uns fehlte etwas, wenn wir nicht mit Papa Michaelsen beisammen waren, und der Alte hielt soviel von Betti, daß er uns vorschlug, noch acht Tage zuzugeben. Dann sei seine Kur zu Ende und wir könnten die Rückreise gemeinschaftlich antreten. Ich willigte ein, da auch Herr Freund eine Nachkur für sehr angebracht hielt; ich wollte aber, wir wären zur rechten Zeit daheim gewesen.

Wir sitzen nämlich am Morgen friedlich bei Pupp und frühstücken, Betti einen verkehrten Kaffee mit mehr Milch, und wir beiden Alten den kurgemäßen rechten mit so viel Sahne als bei vernünftigen Menschen seit Adams Zeiten Mode ist. Da kommt der Telegraphenbote mit einer Depesche an mich, von der Dienstmagd unseres Quartiergebers begleitet, damit er mich fände. Ich öffne und lese:

›Ein gesunder Junge, braune Augen, ganz der Vater, soll Franz heißen. Mutter äußerst wohl!

Wrenzchen,‹

Dies Ereigniß kam mir sehr unerwartet. Papa Michaelsen gratulirte auf das Herzlichste und nannte Betti gleich Tante. Ich konnte aber in den scherzenden Ton nicht einstimmen, denn wer sollte die Leitung des Ganzen übernehmen, wenn ich nicht da war? Aber noch mehr sollte ich überrascht werden, als eine halbe Stunde darauf eine zweite Depesche anlangte, worin es hieß:

›Ein gesunder Junge, blaue Augen, ganz die Mutter, soll Fritz heißen. Der Vater den Umständen nach wohl!

Wrenzchen.‹

»Ich weiß nicht, Herr Michaelsen, sind meine Verstandeskräfte noch von dem Brunnen angegriffen, oder was ist vorgefallen?« fragte ich. »Erst hat der Junge braune Augen und nun mit einem Male blaue ...«

»Es kommt vor, daß die Farbe der Augen wechselt,« belehrte arm Vatter uns, »nach Darwin ist das attavistisch begründet, aber der kurze Zeitraum, in dem es diesmal geschehen, macht den Fall höchst interessant. Er muß nothwendig in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht werden.«

»Und warum soll der Junge erst Franz und dann Fritz heißen? Einmal sieht er dem Vater ähnlich, ein andermal der Mutter, das ist doch menschenunmöglich.«

Papa Michaelsen sah mich einen Moment ungeheuer listig über die Brille an. »Sollten es am Ende gar zwei sein?« fragte er.

»Zwei? Wo sie nur auf Einen eingerichtet sind? Ach was, es ist alles Unsinn, hier steht ja deutlich: ›der Vater den Umständen nach wohl,‹ das hat kein Anderer angestiftet als Onkel Fritz. – Ich finde solche Späße sehr unkurgemäß.«

Am nächsten Tage kam ein Brief von meinem Manne, der die Zwillinge bestätigte. Onkel Fritz würde mir wohl depeschirt haben, auch daß sie Franz und Fritz getauft werden sollten. Der Doktor hätte keine Zeit gehabt und ihn gebeten, für ihn auf das Telegraphenamt zu gehen. Emmi sei wohlauf und voller Glück.

Franz und Fritz! Die Namen gefielen mir keineswegs. Den Einen konnte er ja Franz nennen, weil er selbst so heißt, aber wäre es nicht hübsch gewesen, wenn der Andere Wilhelm hieße, halb dem Kaiser und halb mir zu Ehren? – Was wird das für eine Wirthschaft; jedes Stück muß mit dem vollen Namen gezeichnet werden, wenn es nicht ewig Verwechslungen geben soll. Ich sah das Durcheinander bereits lebhaft vor mir.

Aber noch eine Nachschrift hatte der Brief: ›Franz ist in der letzten Stunde des letzten Mai und Fritz in der ersten Stunde des ersten Juni geboren, was sagst Du dazu?‹

»Daß, wenn man nicht überall dabei ist, nur Dummheiten gemacht werden,« rief ich aufgebracht aus. »Die armen Kinder; kein Mensch nimmt ihnen ab, daß sie Zwillinge sind, wenn der Eine seinen Geburtstag im Mai, der Andere ihn im Juni feiert. – Und obendrein Franz und Fritz! Warum nicht lieber gleich Max und Moritz?« –

»Herr Michaelsen,« sagte ich, »wir müssen Knall und Fall reisen, ich kann nicht eine Minute länger in Berlin entbehrt werden. wenn ich säume, finden wir ja wohl das Brandenburger Thor nicht mehr auf seinem Platz, so unerhörte Dinge gehen vor.«

»Brennt denn die Spree?«

»Wenn's weiter nichts wäre! Aber bedenken Sie blos: mein Schwiegersohn ist ohne Aufsicht!«


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