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Das Preßfest.

Seitdem die Literatur ein Fach geworden ist, was sie früher bekanntlich nicht war, da sie in den seltensten Fällen etwas abwarf und nur nebenbei getrieben wurde, hat sich manches zu ihren Gunsten geändert. Es ist in der That keine Schande mehr, ihr anzugehören, und was nun die Presse ist, so sagt sie ja selbst, daß sie die siebente Großmacht sei, wenn ich auch eingestehen muß, daß mir noch nie ein Redakteur mit der Krone auf dem Kopfe und im Purpurmantel als Paletot begegnet ist. Es müßte großes Aufsehen erregen, wenn einmal Einer so Unter den Linden spazieren ginge und sich bei Kranzler Kaffee trinken setzte. Hat man jedoch zuweilen persönlich mit einem Redakteur zu thun, so macht er einen sehr liberalen Eindruck und ist gegen jedes Herrscherprinzip, außer, daß sein Blatt allein zu sagen haben soll. Ohne die Schnellpresse benimmt er sich jedoch wie andere Sterbliche und ist in der freien Zeit für das Amusement.

Aus diesem Grunde war der Preßball in Aussicht genommen, und da ein Fest um so hervorragender ausfällt, je zahlreicher die Theilnehmer sind, wurden auch Billete für Nichtfachleute in den Handel gebracht. Die siebente Großmacht gab gewissermaßen ihren Hofball, und es wäre oppositionell gewesen, zu fehlen. Ueberdies hatte ich den Wintergarten mit seinen tropischen Gewächsen nur während eines Konzertes besucht und die Säle nebenan noch gar nicht gesehen. Ich war daher gespannt, wie die Lokalitäten sich bei festlicher Gelegenheit ausnehmen würden, aber ich muß sagen: meine Erwartungen erwiesen sich viel zu unbeträchtlich, als ich der Wirklichkeit gegenüberstand. Es war ja enorm! Von oben das elektrische Licht und die Rosenguirlanden, von zwei Seiten Musik und auf dem künstlichen Parquetfußboden eine Ballgesellschaft, die geradezu graziös genannt werden mußte, das heißt, was die Damen anbetrifft, während die Außenseite der Herren sich nur durch die weiße Binde unterscheidet, welche verschieden geformt, von verschiedenem Stoff und verschiedenem Sitzen ist. Der Geist, welcher als des Mannes Zier gilt, tritt auf Bällen vor der Tanzfertigkeit zurück, so daß ein beiniger Sekondelieutenant einen Ministerialrath schlägt, dem die Würde seiner Stellung in die Kniekehlen gefahren ist. Die Damenwelt dagegen ist überirdisch, wenn sie in eleganter Toilette gegen die Herrenwelt einen ästhetischen Kontrast bildet.

Dies waren meine ersten Gedanken, als ich mit Onkel Fritz die Festsäle betrat. Mein Karl wollte nicht mitthun, so viel ich ihn auch bat, da er sich einredete, den schriftstellerischen Kreisen fern zu stehen. »Karl,« sagte ich, »liest Du nicht alle Morgen Deine Zeitung, kannst Du ohne sie existiren? Hast Du nicht das Verlangen, die Herren von Angesicht zu Angesicht zu sehen, welche Dich täglich mit geistiger Nahrung versorgen? Du kannst Dir ja die Abonnementsquittung ins Knopfloch stecken, um zu zeigen, daß Du auch zur Presse gehörst und zwar als lesender Theil.« –

Es war jedoch nicht möglich, ihn zu überreden. Da mir aber daran lag, den Ball der Presse mitzumachen, so ging ich Onkel Fritz um seine Begleitung an, der auch gleich zusagte, indem er meinte, da ich mit zum Fach gehörte, könnte er es wagen. Auch verspräche er sich viel Vergnügen, wenn ich ihn nicht fortwährend maßregeln wollte, wie meinen Karl. Um ihn nicht kopfscheu zu machen, behielt ich die passende Antwort diesmal für mich, zumal er immer noch an heimlichem Herzenskummer leidet.

Als ich ihm bei Gelegenheit zu verstehen gab, daß ich mir nichts Unergiebigeres denken könnte, als wenn der Gegenstand der Neigung unnahbar wäre, sagte er: »Du irrst, Wilhelmine, briefliche Liebe hat auch ihre Lichtseiten,« woraus mir sofort kund ward, wie fest entschlossen er ist, die Erika zu nehmen. Dis Großmutter giebt sie ihm aber nicht. –

Mein Karl hatte noch einen zweiten Grund, weshalb er den Preßball ausschlug, nämlich ein Fäßchen auswärtiges Bier, das sein Freund Moderow an demselben Abend zum Besten gab, und da sie Alle mitzutrinken versprochen hatten: der alte Bergfeldt, Schramke, Steinkohlen-Müller und außer den Uebrigen vielleicht auch Dr. Paber, so sagte ich: »In diesem Falle kannst Du gehen, denn wenn ein Arzt dabei ist, wird es dir wohl nicht schaden. Sei nur nicht der Letzte und komme nicht unter die Räder.« – Betti feierte bei Polizeilieutenants den Geburtstag Mila's, und so war Onkel Fritz meine einzige Stütze in einer Umgebung, die ich zwar theilweise gelesen, aber noch nie vis à vis vor mir gehabt hatte. –

Als wir ankamen, war das Tanzvergnügen bereits im Gange; mir wurde fast beklommen, als ich so viele Gäste versammelt sah, lauter fremde Gesichter, von denen man nicht wissen konnte, wie berühmt sie waren.

Da erblickte ich denn zum Glück Herrn Kleines, der einem gefälschten Gesandtschafts-Attaché glich und den ich mir sofort langte. »Kennen Sie die Koryphäen?« fragte ich ihn. – »Sämmtlich,« antwortete er. – »Dann stellen Sie mich denselben vor,« verlangte ich. – Er erwiderte, die Meisten sähen gerade so aus wie ihre Photographieen. Das genügte mir nicht. – Da er begriff, daß ich ihn nicht freilassen würde, gab er mir seinen Arm und lootste mich durch das Gewoge.

Er kannte in der That viele von den Kapazitäten, aber es schien mir doch, als wenn sie sich seiner nicht mit gleicher Genauigkeit erinnerten. Er fragte, ob ich schon mein Autographenalbum in Empfang genommen hätte. Als ich dies verneinte, führte er mich nach einem türkisch-arabischen Zelt

aus echten persischen Teppichen, in dem ein Herr stand, der jeder Dame ein Büchlein überreichte, in das die Kapazitäten etwas Geistiges niedergelegt hatten, damit sie auf dem Feste unbehelligt blieben und sich ganz dem Vergnügen hingeben konnten. Es muß ja auch sehr peinlich sein, wenn einer Kapazität auf dem Balle zugemuthet wird, aus heiler Haut geistreich zu sein. Ein Herr vom Komité hatte die Vertheilung der literarisch-poetischen Liebesgabe übernommen, was um so mühevoller war, als er bei jedem Exemplar zeigen mußte, wie es aufgemacht wurde. Man mußte nämlich den Deckel seitlich wegschieben, wenn man zu dem Inhalt gelangen wollte, was neu und überraschend war. Wer aber versuchte, den Deckel wie gewöhnlich aufzuklappen, der hatte das Buch gleich kaput, was nicht minder überraschte. Wenn alle Bücher so eingerichtet würden, könnte der Buchhandel einen ungeahnten Aufschwung nehmen, und da es die Aufgabe der Presse ist, für fortschreitende Entwickelung zu sorgen, so kann man diese Neuerung nur loben.

Die Toiletten der Damen, welche ich mit mehr Muße betrachten konnte, nachdem ich mich etwas einheimischer fühlte, waren mit einem Worte großartig. Da war rother Sammet, blauer, schwarzer, Alles mit Gold gestickt, Brokat, Seide in den wundervollsten Mustern, besetzt mit den echtesten Kanten und Blumen, Perlen und Diamanten gab es wie die ungezählten Sterne der Milchstraße. Mit einem Wort, es waren Kapitalien, die da tanzten.

Wenn auch Herr Kleines sagte, daß Manche sich ihre ganzen Familien-Simili angehängt hätten, so glaubte ich diese Verleumdung nicht, denn welche Dame würde es wohl wagen, dem durchdringenden Scharfblick der Presse mit falschen Steinen entgegenzutreten? –

Wie es sich gehörte, traf ich auch den Dr. Stinde, der erfreut war, mich einmal wieder zu sehen. Wir setzten uns seitwärts unter die Zweige der Orangenbäume, an welchen in sehr schlauer Manier richtige Apfelsinen mit Draht befestigt waren, die uns lebhaft an Italien erinnerten. »Es ist hier doch gefahrloser, als auf dem Vesuv,« begann ich das Gespräch, auf das er sogleich einging, und so schwelgten wir denn in köstlichen Rückerinnerungen. Nur wenn jemand Bedeutendes vorbeiging, erklärte er mir, wer es sei, was er mit der Feder fertig brächte und worin seine Spezialität läge. Dies war nicht zu sagen belehrend. – »Ist das auch eine Spezialität,« fragte ich, als ich einen Herrn mit einem ausdrucksvollen Zwicker auf der kühn geschwungenen Nase erblickte. – »Wie? Kennen Sie Paul Lindau nicht?« – »Den hätte ich mir anders gedacht,« erwiderte ich, »er sieht ja viel interessanter aus, als er schreibt. Namentlich den leidenden Zug um den Mund hätte ich ihm nicht zugetraut?« – »Den werden ihm wohl die Kritiker beigebracht haben.« – »Vergreifen die sich an einem so außerordentlichen Verfasser?« – »Kritiker vergreifen sich an Allem; aber er hat es ihnen ja selbst gezeigt, wie es gemacht wird.« – »Darüber bitte ich um Aufklärung.« – »Sehen Sie, verehrte Frau Buchholz,« begann der Doktor nach einer Weile, »es verhält sich mit den Dichtern, wie mit den Vögeln im Walde: jeder singt seine Weise so gut er kann, und wie nicht jeder Vogel eine Nachtigall ist, sind auch nicht alle Dichter Schiller und Goethe. Was thut es, wenn ihr Sang kein Meistersang ist? Da kam denn nun Lindau und griff sich bald diesen, bald jenen Sänger, rupfte ihm erbarmungslos die Federn aus und ließ ihn unter Spottgelächter vor aller Welt nackt und bloß davonhüpfen.«

»Das ist ja Thierquälerei!« rief ich empört aus. – »O nein, es sind nur Dichter, mit denen so umgegangen wird, damit die Gesellschaft kritischen Geist und Witz bewundert, und weil Niemand das heimliche Weinen der Verhöhnten hörte, weil ihr stiller Gram Keinen belästigte, klatschte das Publikum Paulchens Späßen Beifall.« – »Und diese Manier zu spaßen haben die Andern von ihm gelernt?« – »Mit großem Verständniß sogar, einige bildeten sich ausschließlich zu literarischen Neuntödtern aus.« – »Ganz ungenirt?« – »Je ungenirter, um so besser, aber als nun Lindau auch anfing zu sinnen und zu schaffen, als er, wie die anderen Vögel im Walde, sein Lied begann, da haben sie ihm die buntesten Federn aus dem Bürzel gerissen, und so weh das auch that, mußte er doch den Vergnügtgleichgültigen herausbeißen, um sich nichts zu vergeben. Können Sie sich jetzt den schwermüthigen Zug um seinen Mund erklären? Sie wissen doch: wenn Jemand verdrießlich wird, läßt er zuerst die Lippe hängen.« – »wie meine Betti mitunter,« bestätigte ich, und da ein Preßball vornehmlich die geeignetste Scenerie bietet, auf die Literatur zu kommen, fuhr ich fort: »Betti ist talentvoll, aber sie hat das Dichten noch nicht so recht heraus, wenn ich einen Fachmann wüßte, der sie anleitete, so könnte vielleicht etwas aus ihr werden. Das Rupfen wollte ich Paulchen schon versalzen.« – »Daran zweifle ich keinen Augenblick,« entgegnete der Doktor lächelnd. »Uebrigens begegnete ich vorhin einem Herrn vom ›Allgemeinen deutschen Reimverein‹, möglicherweise entspricht der Ihren Wünschen?« – »Er braucht nur die Anfangsgründe ertheilen und später etwas nachhelfen; mehr ist doch wohl bei Kunst und Wissenschaft nicht nöthig?« – »Für Damen völlig ausreichend,« sagte der Doktor, »das Fehlende ersetzt die Begabung.« – »Sie haben die Wahrheit auf den Kopf getroffen, Herr Doktor,« gab ich beifällig zur Antwort und fragte weiter: »Würde es vielleicht gelingen, den Herrn aufzufinden?« –

Wir machten uns auf die Suche und richtig entdeckten wir ihn gegen einen Palmenstamm gelehnt, das blonde Lockenhaupt nachdenklich auf den rechten Arm gestützt, deren Hand die Wange malerisch berührte. In der Linken hielt er ein rothsammetnes Notizbuch. Seine Kravatte war nicht weiß, sondern maigrün. So ungefähr hatte ich mir lebende Dichter stets gedacht. Der Doktor stellte uns gegenseitig vor: »Feodor Wichmann-Leuenfels ... Frau Wilhelmine Buchholz.« – »Sehr angenehm,« sagte ich. – »Sie dichteten wohl gerade?« fragte der Doktor und deutete auf das Büchelchen. – »Sie haben es errathen,« erwiderte Herr Feodor Wichmann-Leuenfels, »ich glaube, mir sind soeben einige Verse vorzüglich gelungen; urtheilen Sie selber.« – »Jetzt nicht,« sagte der Doktor abwehrend, »aber wenn Sie Ihre Dichtungen im Hause Buchholz gelegentlich vorlesen wollten ...« – »Darum möchte ich gebeten haben,« unterbrach ich den Doktor und nannte dem jungen Manne unsere Adresse mit der Bitte um seinen Besuch. Als er zugesagt hatte, zog der Doktor mich gewaltsam fort. – »Sind Sie kein Freund von Poesien?« fragte ich. – »Alles zu seiner Zeit,« versetzte er. »Am liebsten lese ich Verse allein für mich. Finde ich in einem Gedichtbuche unter vieler Spreu ein einziges Korn, bin ich hoch erfreut, weil ich weiß, daß das Mittelmäßige vergessen wird, das Werthvolle dagegen bleibt. Hat die Zeit es geläutert, dann schließt das Volk es in seine Schatzkammer ein, in sein Herz.« – »Hat das Volk denn so viel Verständniß?« fragte ich. – »Nein,« war die Antwort, »aber Gefühl. Das sogenannte Verständniß ist gerade der Freibrief, auf den hin die Kritik Unfug treibt. Nicht der Verstand schafft Kunstwerke, sondern die Empfindung; sie ist es, der wir das Herrlichste verdanken. Daher kommt es mir stets vor, wenn der Verstand den unerklärlichen Zauber der Poesie seinem vermeintlich unfehlbaren Urtheil unterzieht, als wollte Jemand den Duft der Blumen mit der Elle messen. Noch bis heute hat kein Philosoph ergrübeln können, was eigentlich das Schöne sei.« – »Giebt es etwas Einfacheres?« rief ich. »Das Schöne ist eben Alles, was schön ist. Das kann ja ein Blinder mit dem Stock fühlen.« – »Sie haben gewiß Hartmanns Philosophie des Unbewußten studirt?« fragte der Doktor. – »Wo denken Sie hin, einer praktischen Frau fehlt zum Studiren die Zeit. Trotzdem aber habe ich Sinn für das Schöne, denn es gefällt mir stets bester als das Häßliche.«

»Ich will Sie mit einem Herrn von Fach bekannt machen, der ganz Ihrer Ansicht ist,« sagte der Doktor. »Dort kommt er des Weges. Herr Ludwig Pietsch ... Frau Buchholz würde glücklich sein ...« »Ah, scharmant,« sagte der Herr und gab mir galant seinen Arm, aber ich war nicht im Stande, ein Wort hervorzubringen, so beengt fühlte ich mich, als ich an Ludwig Pietschen's Seite einherwandelte, denn eine Zeile von ihm in der ›Vossischen‹ und man steht am nächsten Tage makellos verherrlicht da, oder es kommt eine Andere hinein und die ausgewählteste Toilette ist für die Katze. Das Walten der Großmacht überschauerte mich, als er huldreich sprechend, sein Auge auf mir ruhen ließ, jedoch seine Art und Weise als vollendeter Kavalier gab mir successive die Kourage, mich mit einem flehenden Blick an ihn zu wenden und zu sagen: »Sehen Sie, bitte, nicht zu genau hin, Herr Pietsch, ich habe heute nur die zweite Garnitur übergestreift; wenn man bereits in die Jahre gekommen ist ...« – »Sie scherzen,« schnitt er mir verbindlich das Wort ab, »mit Ihren Reizen stellen Sie manche der Jüngsten in den Schatten.« – »Wenn die Presse das sagt, muß es wohl wahr sein,« entgegnete ich verlegen. – Er machte mich nun noch auf die wundervollen Farbentöne aufmerksam, welche das elektrische Licht bei den Toiletten einzelner Damen hervorrief und erläuterte mir das belebte Gesammtbild des Festes, worauf wir uns, wenn auch ungern trennten, da die Vorträge losgingen und noch viele Damen seiner harrten, um in Augenschein genommen zu werden. – Am Dienstag war ich richtig in der Morgennummer und die Kolporteure trugen mich, ausgezeichnet in die Reihe gemacht und für die allernächsten Bekannten ziemlich errathbar, durch ganz Berlin, in Hütten und Palästen strahlende Freude zu verbreiten. –

Nun begann der ideale Theil des Festes. Die Bühne war, wie mir ein archäologischer Feuilletonist erklärte, genau nach antikem Muster eingerichtet: nur mit einem Vorhang, einem Bettschirm und einem Bechstein'schen Flügel. Eine Dame vom Theater deklamirte. Sie hatte ihr Gedicht hinten auf dem Fächer befestigt, weil die alten Griechen auch keinen Souffleur hatten und sprach seelenvoll. Ich verstand leider kein Wort, weil die Akustik im Wintergarten verworren ist und ich ziemlich weit von der Arena entfernt war, aber der Ton ihrer Stimme rührte mich tief. Es ist ja auch ganz einerlei, was gemimt wird, wenn es den Zuhörer nur erschüttert, namentlich auf einem Ballfest.

Das umsichtige Komité ließ hierauf die Eßpause eintreten, da auch die Musikanten eine Erholung haben mußten. Eins aber gefiel mir nicht und hat mir schon lange nicht gefallen, das sind die Lohndiener, die ebenso im Frack herumlaufen, wie die Ballherren, nur allerdings mit dem Unterschiede, daß ihre Fräcke fettblank sind. Bei einem solchen Feste sollte man die dienenden Geister in eine kleidsame Livré stecken oder ihnen weiße saubere Schürzen vorbinden, wie es in einigen feineren Restaurants Sitte ist. Onkel Fritz aber meinte, daß diese Einrichtung eine Entwerthung der alten Fräcke zur Folge haben würde, die einen unverantwortlichen Rückschlag auf das Nationalvermögen ausüben müßte. Vom volkswirthschaftlichen Standpunkte mag er recht haben, was aber das festliche Aeußere betrifft, so bleibe ich bei meiner Ansicht.

Großes Vergnügen gewährte mir, die Bekanntschaft mit einer Kollegin zu machen, und zwar mit der Vely, welche so hinreißende Romane schreibt. »Velychen,« fragte ich sie, »wie kommen Sie zu all' den Kenntnissen, das menschliche Dasein hat für Sie ja kaum eine Verborgenheit?« – »Liebe Buchholzen,« antwortete sie offen, »ich schreibe mit Leonhardi's Alizarintinte, die legt den Flügeln des Geistes keinen Hemmschuh an!« – Ich nahm mir vor, gleich am nächsten Tage dieselbe Tinte anzuschaffen, denn ich bin keine von Denen, die sich guten Rath ungesagt sein lassen, und manchmal liegt ja sehr viel an unbeachteten Kleinigkeiten. Wir unterhielten uns noch sehr lange und kamen überein, daß das Fest unvergleichlich sei.

Das war es in der That, und wenn nach und nach auch die Apfelsinen von den Orangenbäumen verschwanden, so hoch Menschenhände, ohne aufzusteigen, anreichen: die Koryphäen blieben noch. Man war mit Berühmtheiten zusammen, die wir in der Landsbergerstraße nicht einmal abgemalt zu sehen bekommen, und schließlich spürte ich von meiner anfänglichen Zaghaftigkeit so gut wie gar nichts mehr. Ich nahm mir sogar die Freiheit, Ernst von Wildenbruch anzureden und ihm ebenfalls die Alizarintinte zu empfehlen, weil Alles, was damit geschildert würde, den Beifall der Großmacht hätte. – »Meine Gnädige,« antwortete er, »mit der nämlichen Tinte arbeite ich schon seit Jahren, ›Christoph Marlow‹ ist sogar ausschließlich damit geschrieben.« – »Dann begreife ich die Kritik nicht,« rief ich stutzig geworden aus. – »Mit dieser Ansicht stehen Sie nicht allein, verehrte Frau.« – »Wissen Sie was,« sagte ich, »geben Sie Ihren Trauerspielen recht lustige Schlüsse, die Großmacht hat für den Lacherfolg immer etwas übrig.« – »Die Thräne nur eines Menschen, die des Dichters Wort entlockte, löscht alle kränkenden Vorwürfe der Druckerschwärze aus; sie ist der Thau, der neue Keime weckt.« – »Sie arbeiten also unbeirrt weiter?« – »Ganz recht, meine Gnädige.« – »Wo Sie wissen, daß doch gleich über Sie hergefahren wird? Das nenne ich tapfer.« – »Die Dichtkunst ist meine zweite Heimath, ihr habe ich dieselbe Treue geschworen, wie meinem deutschen Vaterlande.« –

Leider wurde jetzt der Aufbruch ein allgemeiner und obgleich ich für mein Leben gerne noch mit mehreren Kapazitäten geistigen Austausch gepflogen hätte, mußte ich mit Onkel Fritz die Heimreise antreten. Er hatte sich hinreichend ergötzt und meinte der Damenflor sei großartig gewesen. – »Siehst Du,« sagte ich, »wie überflüssig es ist, auswärts herum zu suchen, wo am Platz viel mehr Auswahl und Besseres geboten wird?« – »Leider waren die Verheiratheten die Nettesten,« entgegnete er. – »Sind das Grundsätze?« begehrte ich auf. – »Sei so gut,« erwiderte er kurz und pfiff sich einen Walzer. »Wie war Ludwig Pietsch doch ganz anders,« dachte ich »und wie erziehungsvoll benahmen sich die übrigen Herren. Aber Brüder haben selten schwesterliches Zartgefühl.« –

Mein Herz war wie gespickt mit den Erlebnissen und erfüllt von den vielen Begegnissen mit hervorragenden Persönlichkeiten, daß ich meinem Karl das Wissenwertheste unverweilt mitzutheilen gedachte, aber er war eben so wenig munter zu kriegen wie das Dornröschen, welches soeben das erste Quartal von den hundert Jahren zu schlafen angefangen hatte. Ich rief: »Karl! Ich bin wieder da.« – Er rippte und rührte sich nicht. Ich schüttelte ihn. Das war auch zwecklos. So viel schien mir aber sicher: sie mußten ein besonders schädliches Gift getrunken haben, denn so angeäthert war er noch nie gewesen.

Wie er wohl ins Haus gekommen sein mochte! Am Ende gar ausgeraubt? – Nein, seine Uhr lag auf dem Nachttisch und das Glas war noch heil. Aber das Portemonnaie? Es stach stak mit den Schlüsseln in der Hosentasche, wo er es sonst im normalen Zustande nie läßt. »Er wird morgen sträfliches Gehirnkneifen haben,« sagte ich und untersuchte das Portemonnaie, dessen ungewohnte Dicke mir auffiel. Was war darin? Mindestens eine Handvoll Biermarken. Ich mußte wissen, was das bedeutete. »Karl,« schrie ich ihm ins Ohr, »Karl, was sollen die vielen Biermarken?« und richtete ihn milde schüttelnd auf, so gut es gehen wollte. – »Minna ... noch einen Schnitt ... zum Abgewöhnen!« brachte er mühsam hervor und entwand sich mit einem Ruck meinen Händen, um wieder in die Kissen zu versinken. – »Warum er mich wohl Minna nennt,« sann ich nach, »das ist doch ganz gegen seine übliche Manier. Na, nur Geduld, morgen werde ich schon erfahren, was sie mit ihm aufgestellt haben. Schade ist nur, daß er kein eingehendes Verständniß für das Preßfest haben wird, das nur mit einem völlig freien Kopf und Hingebung an das Ideelle begriffen werden kann.

Mit dem Gedanken, ob Ludwig Pietsch sich meiner wohl erinnern würde, löschte ich das Licht.


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