Robert Louis Stevenson
Catriona
Robert Louis Stevenson

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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Zu zweit

Ich glaube, es war am fünften Tage – genau weiß ich, daß James an einer seiner Depressionen litt – als ich drei Briefe erhielt. Der erste war von Alan und enthielt die Frage, ob er mich in Leyden besuchen dürfe; die beiden anderen kamen aus Schottland, beide aus dem gleichen Anlaß. Diesen Anlaß bildeten der Tod meines Onkels und mein endgültiger Eintritt in alle meine Rechte. Rankeillors Schreiben bezog sich natürlich ausschließlich auf geschäftliche Dinge; das von Miß Grant war ganz sie selbst, mehr witzig denn weise, voller Vorwürfe wegen meines Schweigens (was hätte ich ihr nur schreiben sollen, bei den Nachrichten, die es zu vermelden gab?) und voller Neckereien über Catriona, die mich, zumal ich den Brief in ihrer Gegenwart las, bis ins Herz trafen.

Denn selbstverständlich hatte ich die Briefe in meiner eigentlichen Wohnung vorgefunden, als ich zum Essen dorthin kam; so entfuhren mir meine Neuigkeiten im nämlichen Augenblick, da ich sie las. Sie boten uns alle drei eine willkommene Ablenkung, ohne daß einer von uns die daraus entstehenden schlimmen Folgen geahnt hätte. Der Zufall hatte es so gefügt, daß alle drei Briefe am gleichen Tage eintrafen, und daß sie mir überreicht wurden, als James More im Zimmer war. Von all den Ereignissen, die diesem Zufall entsprangen und die ich hätte verhüten können, hätte ich nur meinen Mund gehalten, kann man daher mit Recht sagen, daß sie vorherbestimmt waren, noch ehe Agricola nach Schottland kam oder Abraham seine Reise antrat.

Selbstverständlich öffnete ich als ersten Alans Brief; was war da natürlicher, als daß ich ein Wort über seine Absicht, mich zu besuchen, fallen ließ? Sogleich bemerkte ich, daß James sich gespannt und aufmerksam aufrichtete.

»Ist das nicht der Alan Breck, dem man die Schuld an dem Appiner Unglücksfall in die Schuhe schiebt?«

Ich sagte »ja«, es wäre der nämliche, und eine Zeitlang hielt er mich von meinen anderen Briefen ab durch allerlei Fragen über die Art unserer Bekanntschaft, über Alans Leben in Frankreich, von dem ich ja nur sehr wenig wußte, und über den Besuch, den er mir vorgeschlagen.

»Wir Verbannten hängen alle ein wenig zusammen,« erklärte er, »außerdem kenne ich den Gentleman; und obwohl seine Abstammung etwas zweifelhaft ist und er in Wahrheit gar nicht das Recht hat, sich den Namen Stuart beizulegen, wurde er bei Drummossie doch sehr bewundert. Er hat sich dort als echter Soldat gezeigt; hätten andere, deren Namen nicht genannt zu werden brauchen, sich ebenso benommen, der Ausgang würde jetzt nicht als so traurig in unserer Erinnerung haften. Zwei Männer haben an jenem Tage ihr Bestes hergegeben; das kittet uns zusammen.«

Es fehlte wenig, und ich hätte ihm die Zunge gezeigt; fast hätte ich wünschen mögen, Alan wäre da gewesen, um ihn über die Bemerkung betreffs seiner Abstammung etwas genauer zur Rede zu stellen (obschon man mir sagt, daß sie wirklich nicht ganz einwandfrei ist).

Inzwischen hatte ich Miß Grants Brief geöffnet und konnte mich eines Ausrufs nicht enthalten.

»Catriona,« rief ich – zum erstenmal seit ihres Vaters Rückkehr vergaß ich einen Schnörkel hinzuzufügen – »ich bin endlich zu meinem Eigentum gekommen, jetzt bin ich wirklich Gutsherr von Shaw – mein Onkel ist gestorben.«

Sie klatschte in die Hände und sprang von ihrem Sitz auf. Im nächsten Augenblick muß es uns beiden wohl klar geworden sein, wie wenig Grund zur Freude wir noch hatten, und wir starrten einander traurig an.

Aber James zeigte sich als vollendeter Heuchler. »Meine Tochter,« sagte er, »ist das ein Benehmen, wie meine Base es dich gelehrt hat? Mr. David hat einen nahen Freund verloren; wir sollten ihm vor allem zu seinem Verlust unser Beileid aussprechen.«

»Bei Gott, Sir,« erwiderte ich, mich in einer Art Zorn gegen ihn wendend, »ich bring's nicht fertig, Fratzen zu schneiden. Sein Tod bedeutet für mich eine so freudige Nachricht, als ich nur je empfangen werde.«

»Eine wackere Soldatenphilosophie«, meinte James. »'S ist der Weg allen Fleisches; wir müssen alle, alle sterben. Und wenn der betreffende Gentleman wirklich so wenig Eure Gunst genoß – nun, dann habt Ihr recht! Aber wir dürfen Euch doch wenigstens zum Antritt Eures Erbes beglückwünschen?«

»Das will ich auch nicht sagen«, entgegnete ich nicht minder eifrig. »Es ist zwar ein stattlicher Besitz; aber was hat das für einen Junggesellen, der bereits sein Auskommen hat, zu bedeuten? Da ich sparsam bin, genügte mir meine Rente bisher vollauf; außer durch den Tod dieses Mannes – der mich freut, zu meiner Schande sei's gesagt! – kann ich nicht finden, daß irgend jemand durch diese neuen Verhältnisse gewinnt.«

»Pah, pah,« sagte er, »Ihr seid tiefer gerührt, als Ihr zugeben wollt, sonst würdet Ihr Euch nicht für so einsam erklären. Hier sind drei Briefe; das bedeutet, daß Euch drei Menschen wohlwollen, und ich kann allein in diesem Zimmer noch zwei weitere nennen. Ich kenne Euch erst kurze Zeit, aber Catriona wird, wenn wir allein sind, nicht müde, Euer Lob zu singen.«

Der Blick, den sie ihm bei diesen Worten zuwarf, war ein wenig wild, und er glitt sofort in ein anderes Thema hinüber: den Umfang meiner Besitzungen. Dieser Gegenstand beschäftigte ihn den größten Teil des Mahles lebhaft. Aber seine Heuchelei war ganz umsonst; er hatte allzu plump an der Angelegenheit gerührt, ich wußte, was mir bevorstand. Das Essen war kaum vorüber, als er ganz offen seine Karten aufdeckte. Er erinnerte Catriona an einen Auftrag, den sie zu erledigen hatte, und hieß sie gehen. »Ich glaube nicht, daß du länger als eine Stunde fort sein wirst, und Freund David wird die Güte haben, mir bis zu deiner Rückkehr Gesellschaft zu leisten.« Sie beeilte sich, ihm schweigend zu gehorchen. Ich weiß nicht, ob sie ihn verstand, glaube es aber nicht; ich war mir dagegen vollständig im Klaren und stählte mich innerlich gegen das, was nun folgen mußte.

Kaum war die Tür hinter ihr ins Schloß gefallen, als er sich in seinen Stuhl zurücklehnte und sich mit affektierter Leichtigkeit an mich wandte. Eines nur verriet ihn: sein Gesicht, das plötzlich über und über von kleinen Schweißperlen glänzte.

»Ich bin recht froh, ein Wort mit Euch allein zu sprechen, weil in unserer ersten Unterredung einige Ausdrücke fielen, die Ihr mißverstanden habt und die ich lang schon aufzuklären beabsichtigte. Meiner Tochter Ehre ist über jeden Zweifel erhaben. Die Eure auch; ich bin bereit, das mit meinem Degen gegen alle Widersacher zu bezeugen. Aber, mein lieber David, diese Welt ist eine tadelsüchtige Welt – wer wüßte das besser als ich, der ich seit dem Tode meines seligen Vaters – Gott schenk ihm die ewige Ruh! – geradezu in einem Meer von Verleumdungen gewatet habe? Wir müssen dem entgegentreten; Ihr und ich müssen das berücksichtigen; wir müssen das berücksichtigen.« Hier schüttelte er sein Haupt mit der Miene eines Geistlichen auf der Kanzel. »Inwiefern, Mr. Drummond?« fragte ich. »Ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr zur Sache sprechen wolltet.«

»Ha, ha,« meinte er lachend, »das sieht Euch wahrhaftig ähnlich! Das ist gerade der Charakterzug, den ich am meisten an Euch bewundere. Aber die Sache, mein guter Junge, ist ein wenig heikel.« Er schenkte sich ein Glas Wein ein. »Obwohl es natürlich zwischen guten Freunden, wie wir es sind, gar nicht vieler Worte bedarf. Die Sache betrifft, wie ich Euch wohl kaum erst zu sagen brauche, meine Tochter. Vorausschicken möchte ich, daß ich Euch keineswegs tadele. Unter den damaligen unglücklichen Verhältnissen konntet Ihr wirklich kaum anders handeln. Ich wüßte wahrhaftig nicht, wie Ihr sonst hättet handeln sollen.«

»Ich danke Euch für dieses Wort«, sagte ich, scharf auf dem Quivive.

»Ich habe außerdem Euren Charakter studiert«, fuhr er fort. »Eure Talente sind recht anständig; Ihr scheint ein mäßiges Auskommen zu besitzen, was nie schaden kann; kurz, alles in allem bin ich sehr froh, Euch mitteilen zu können, daß ich mich für den zweiten der beiden mir offenstehenden Wege entschieden habe.«

»Ich fürchte, ich bin ein wenig schwer von Begriff«, sagte ich. »Von welchen Wegen redet Ihr?«

Er runzelte ungemein drohend die Stirn und schlug die Beine übereinander. »Sir,« sagte er, »ich glaube, ich brauche sie einem Gentleman Eures Standes nicht erst zu beschreiben: entweder ich schneide Euch den Hals durch oder Ihr heiratet meine Tochter.«

»Endlich habt Ihr die Gewogenheit, Euch deutlich auszudrücken«, bemerkte ich.

»Ich glaube, ich war von Anfang an recht deutlich«, rief er polternd. »Ich bin ein fürsorglicher Vater, Mr. Balfour, aber, Gott sei Dank, ein geduldiger, bedachtsamer Mann. Manch ein Vater, Sir, hätte Euch auf der Stelle entweder zum Altar oder auf den Kampfplatz geschleppt. Meine Achtung vor Eurem Charakter . . .«

»Mr. Drummond,« unterbrach ich ihn, »wenn Ihr überhaupt irgendwelche Achtung vor mir habt, bitte ich Euch, Eure Stimme zu dämpfen. Es ist vollkommen überflüssig, einen Gentleman, der im selben Zimmer mit Euch sitzt und der Euch seine volle Aufmerksamkeit schenkt, derart anzufahren.«

»Wahr, wahr«, sagte er, sofort in einen anderen Ton verfallend. »Ihr müßt die Aufregung eines Vaters entschuldigen.«

»Ich habe also zu verstehen,« fuhr ich fort – »ich ignoriere die zweite Alternative, die zu erwähnen vielleicht bedauerlich war – ich habe zu verstehen, Ihr würdet mich, für den Fall, daß ich Euch um Eurer Tochter Hand bitte, unterstützen?«

»Unmöglich könnte man meine Absicht besser ausdrücken«, sagte er. »Ich sehe, wir werden uns noch trefflich verstehen.«

»Das bleibt abzuwarten«, entgegnete ich. »Aber ich brauche kein Geheimnis draus zu machen, daß ich der betreffenden Dame die zärtlichsten Gefühle entgegenbringe; selbst im Traume vermöchte ich mir kein größeres Glück vorzustellen, als ihr Gatte zu werden.«

»Ich wußte es ja, ich war Eurer sicher, David«, rief er und streckte mir die Hand entgegen.

Ich übersah sie. »Ihr geht zu schnell, Mr. Drummond«, sagte ich. »Es sind da noch einige Bedingungen zu erfüllen; auf meinem Wege liegt ein Hindernis, von dem ich augenblicklich nicht sehe, wie wir es überwinden wollen. Ich habe Euch gesagt, daß meinerseits kein Bedenken gegen die Heirat vorliegt, aber ich habe guten Grund zu glauben, daß auf Seiten der jungen Dame um so größere bestehen.«

»Das steht nicht zur Diskussion,« sagte er, »ich verbürge mich für ihr Jawort.«

»Ich glaube, Ihr vergeßt, Mr. Drummond,« warf ich ein, »daß Ihr Euch bereits in den Verhandlungen mit mir zu zwei, drei unschmackhaften Ausdrücken habt hinreißen lassen. Ich dulde es nicht, daß Ihr ähnliche der jungen Dame gegenüber gebraucht. Ich stehe hier, um für uns beide zu sprechen und zu denken, und gebe Euch hiermit zu verstehen, daß ich ebensowenig gestatten würde, mir ein Weib aufzuzwingen, wie ich erlaube, daß man mich als Gatte einer jungen Dame aufoktroyiert.«

Er saß und starrte mich finster an, wie jemand, der mit Zweifel und heftigem Zorne kämpft.

»So stehen also die Dinge«, schloß ich. »Ich will Miß Drummond heiraten, und zwar mit größter Freude, vorausgesetzt, sie ist aus freien Stücken dazu bereit. Falls aber auch nur der geringste Widerstand von ihrer Seite besteht, wie ich Grund zu befürchten habe – werde ich sie um keinen Preis der Welt heiraten.«

»Pah, pah,« meinte er, »die Sache ist eine Lappalie. Sobald sie zurückkehrt, werde ich sie ein wenig sondieren und hoffe, Euch dann versichern zu können –« Ich unterbrach ihn abermals. »Ihr rührt keinen Finger, Mr. Drummond, sonst ziehe ich mich zurück und Ihr könnt Eurer Tochter einen Gatten suchen, wo es Euch beliebt. Ich bin in diesem Falle der einzige Handelnde und Richtende. Ich werde mich peinlichst von dem Tatbestand überzeugen; kein anderer darf sich einmischen – Ihr selbst am allerwenigsten.«

»Auf mein Wort, Sir,« rief er laut, »wer seid Ihr denn, darüber zu urteilen?«

»Der Bräutigam, wie ich glaube«, antwortete ich.

»Das ist Wortfechterei«, rief er von neuem. »Ihr kehrt den Tatsachen den Rücken. Dem Mädchen, meiner Tochter, bleibt keine Wahl. Ihre Reputation ist hin.«

»Vergebung,« sagte ich, »solange die Angelegenheit zwischen ihr und Euch und mir ein Geheimnis bleibt, ist das keineswegs der Fall.«

»Und welche Sicherheit habe ich?« meinte er heftig. »Soll ich meiner Tochter Ruf von einem Zufall abhängig machen?«

»Ihr hättet früher daran denken sollen,« erwiderte ich, »bevor Ihr so irregeleitet ward, sie zu verlieren, nicht jetzt, da alles viel zu spät ist. Ich lehne es ab, in irgendeiner Weise die Verantwortung für Eure Nachlässigkeit zu tragen und lasse mich von keinem Menschen auf der Welt schuriegeln. Mein Beschluß steht unerschütterlich fest; komme was da wolle, ich weiche auch nicht um Haaresbreite von ihm ab. Ihr und ich werden bis zu Eurer Tochter Rückkehr hier zusammen auf sie warten; dann werden sie und ich, ohne Wort oder Blick von Euch, zusammen fortgehen, um uns auszusprechen. Wenn sie mich von ihrer Bereitwilligkeit zu einem derartigen Schritt überzeugt, werde ich ihn tun; andernfalls tue ich ihn nicht.«

Er sprang, wie von einer Hornisse gestochen, von seinem Sitz auf. »Ich durchschaue Euer Manöver,« schrie er, »Ihr wollt sie dazu bewegen, nein zu sagen!«

»Vielleicht ja, vielleicht nein«, antwortete ich. »Es bleibt aber bei dem, was ich sage.«

»Und wenn ich mich weigere?« schrie er.

»Dann, Mr. Drummond, wird es wohl zum Halsdurchschneiden kommen müssen.«

Angesichts der Größe des Mannes, seiner gewaltigen Armlänge, in der er seinem Vater kaum nachstand, und seines Ruhmes als Fechter, sprach ich diese Worte nicht ohne geheime Angst. Dazu kam noch, daß er Catrionas Vater war. Aber ich hätte mir meine Befürchtungen ersparen können. Aus der Armseligkeit meiner Behausung – seiner Tochter Kleider, die ihm ja alle gleich neu waren, schien er überhaupt nicht bemerkt zu haben – und aus meiner Abneigung, ihm Geld zu borgen, hatte er eindeutig auf meine Armut geschlossen. Die unerwartete Nachricht von meinem Erbe überzeugte ihn von seinem Irrtum, und er hatte bei allen seinen neuen Versuchen nur das eine Ziel im Auge, an das er sich jetzt so fest klammerte, daß ich glaube, er hätte alles in der Welt eher getan, als mit mir gefochten.

Eine kleine Weile fuhr er noch fort, mit mir zu disputieren, bis es mir endlich gelang, ihn durch ein Wort zum Schweigen zu bringen.

»Wenn Ihr so abgeneigt seid, mich mit der Dame allein sprechen zu lassen, muß ich annehmen, Ihr habt guten Grund zu glauben, ich hätte mit meinen Befürchtungen recht.«

Er murmelte irgendeine Ausflucht.

»Aber all das stellt unser beider Geduld auf eine harte Probe«, fügte ich hinzu; »ich denke daher, es ist vernünftiger, wir bewahren jetzt ein taktvolles Schweigen.«

Das taten wir auch, bis das Mädchen zurückkehrte, und nahmen uns dabei vermutlich recht lächerlich aus; nur war niemand da, uns zu beachten.

 


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