Robert Louis Stevenson
Catriona
Robert Louis Stevenson

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Dreizehntes Kapitel

Gillane Sands

Ich lernte aus Alans Führung weniger als er aus General Cope's Manöver, denn ich weiß kaum, welchen Weg wir nahmen. Meine Entschuldigung ist, daß wir sehr rasch reisten. Teils liefen, teils trabten wir, und die übrige Strecke marschierten wir in einem verteufelten Tempo drauflos. Zweimal prallten wir mitten im Lauf mit Landleuten zusammen, und obwohl der erste ganz unversehens an einer Ecke auftauchte, war Alan schlagfertiger als eine geladene Muskete.

»Habt Ihr mein Pferd gesehen?« keuchte er.

»Nee, nee, wir haben überhaupt kein Pferd gesehen,« antwortete der Bauer.

Und Alan nahm sich die Zeit, ihm ausführlich auseinanderzusetzen, wir hätten höchste Eile; unser Rößlein hätte sich losgemacht, und wir fürchteten, es sei auf dem Wege in den Stall nach Linton. Damit nicht zufrieden, fing er an, unter Aufwand des geringen Atems, der ihm noch geblieben war, sein Pech und meine Dummheit, die an allem schuld wäre, zu verfluchen.

»Wer nicht die Wahrheit sagen kann,« bemerkte er im Weitergehen zu mir, »sollte stets eine ehrliche, handfeste Lüge bei der Hand haben. Wenn die Leute nicht wissen, was du vorhast, Davie, sind sie verflixt neugierig; glauben sie aber Bescheid zu wissen, dann fragen sie so wenig danach, wie ich nach einem Linsengericht.«

Da wir zuerst landeinwärts marschiert waren, führte unsere Straße zuletzt fast unmittelbar nach Norden; die alte Kirche von Aberlady war unser Wegzeichen zur Linken, zur Rechten die Anhöhe von Berwick Law; so erreichten wir dicht bei Dirleton die Küste. Westlich von North Berwick bis Gillane Neß liegen in einer Reihe vier kleine Inseln: Craigleich, The Lamb, Fidra und Eyebrough, alle bemerkenswert durch die Verschiedenheit ihrer Größe und Gestalt. Fidra ist die eigenartigste: eine seltsame, graue Insel mit zwei Höckern, die obendrein noch eine Ruine trägt; und ich erinnere mich, die See spähte, als wir uns ihr näherten, fast wie ein menschliches Auge durch die Türen und Fenster dieser Trümmerstätte. Die Leeseite von Fidra bietet bei Westwind einen guten Ankerplatz; und dort sahen wir auch schon von weitem die ›Thristle‹ sich an ihren Tauen wiegen. Die Küste ist gegenüber diesen Inseln vollkommen verödet; nirgends eine menschliche Behausung und nur sehr selten ein menschliches Wesen; höchstens verirren sich gelegentlich ein paar strolchende Kinder beim Spielen dorthin. Gillane ist ein kleiner Ort jenseits der Neß – die Bewohner von Dirleton haben ihre Felder weiter nach dem Innern verlegt, und die von North Berwick betreiben unmittelbar von ihrem Hafen aus die Fischerei – so daß wenige Teile der Küste einsamer sind. Trotzdem erinnere ich mich, daß wir scharf nach allen Richtungen spähten, und daß unsere Herzen gegen die Rippen hämmerten, als wir platt auf dem Bauche durch dieses Labyrinth von Hügeln und Tälern krochen; und die Sonne schien so hell, der Wind pfiff so lustig durch das Dünengras, und es herrschte ein derartiger Lärm von auffliegenden Möwen und sich niederduckenden Kaninchen, daß die Wüste einem bevölkerten Orte glich. Zweifellos war der Platz für eine heimliche Einschiffung – falls sie wirklich geheim war – in jeder Hinsicht gut gewählt. Und selbst jetzt, da wir verraten waren und man den Ort beobachtete, vermochten wir uns unbemerkt bis nach der vordersten Dünenkette, die unmittelbar auf Strand und Meer niederschaute, heranzupirschen.

Dort aber hielt Alan plötzlich an.

»Davie,« sagte er, »das hier ist ein kitzliger Weg! Solange wir stillliegen, sind wir sicher; aber ich bin dann meinem Schiff und der französischen Küste nicht viel näher. Und das Aufstehen und Heranwinken der Brigg ist auch 'ne heikle Sache. Wo, meinst du, stecken deine Herrschaften?«

»Vielleicht sind sie noch gar nicht da«, entgegnete ich. »Und selbst wenn sie da sind, spricht ein Umstand klar zu unseren Gunsten: sie haben sich zwar versammelt, um sich auf uns zu stürzen, aber sie sind darauf vorbereitet, daß wir aus Osten kommen, und hier befinden wir uns westlich von ihnen.«

»Ja,« sagte Alan, »trotzdem wünschte ich, wir wären unserer mehr, und das hier wäre eine Schlucht, dann hätten wir sie fein überlistet! Aber es ist nun mal nicht der Fall, David, und so wie die Dinge liegen, wirken sie ein bißchen ernüchternd auf Alan Breck. Ich schwanke, Davie.«

»Die Zeit flieht, Alan«, drängte ich.

»Ich weiß«, sagte Alan. »Ich weiß nichts anderes, wie die Franzosen sagen. Aber es ist ein schreckliches Lotteriespiel. Ach, wüßte ich nur, wo deine Herrschaften stecken!«

»Alan«, entgegnete ich, »du bist gar nicht du selbst. Es gilt: jetzt oder nie.«

»Das bin ich nicht, sagt er,
Ich bin es nicht, du bist es nicht,
Nein, Johnnie, Mann! Wir beide nicht,
«

sang Alan mit komischem Ausdruck, halb drollig, halb beschämt, und plötzlich hatte er sich kerzengerade aufgerichtet und marschierte, ein wehendes Taschentuch in der Rechten, auf den Strand zu. Auch ich stand auf, hielt mich aber etwas im Hintergrund und beobachtete im Osten die Dünenkette. Sein Auftauchen blieb anfänglich unbemerkt; Scougal erwartete ihn nicht zu so früher Stunde und ›meine Herrschaften‹ hielten nach der anderen Richtung Ausguck. Dann erwachten die Leute an Bord der ›Thristle‹ zum Leben; alles schien in Bereitschaft, denn nach einem sekundelangen Durcheinander auf Deck sahen wir sie am Heck ein Boot zu Wasser lassen, das eilig auf das Ufer zuhielt. Fast im gleichen Augenblick erschien auf einem Hügel etwa eine halbe Meile nach Gillane Neß zu blitzschnell die Gestalt eines Mannes, der mit den Armen gestikulierte, und obwohl er ebenso rasch wieder verschwand, fuhren die Möwen an jener Stelle fort, eine Weile unruhig hin und her zu flattern.

Alan hatte ihn nicht bemerkt, da er unentwegt meerwärts nach Schiff und Boot ausschaute.

»Es muß kommen, wie es will!« sagte er, als ich ihm berichtet hatte. »Wenn nur mein Boot sich eilt, sonst wird mein Schädel wohl einige Püffe aushalten müssen.« Der Strand dehnte sich an jenem Teil der Küste lang und eben und bot bei Ebbe ein bequemes Gehen; ein kleiner, kressereicher Bach ergoß sich an der einen Stelle ins Meer, und die Dünen zogen sich gleich einem Mauerwall an seiner Mündung hin. Keiner von uns konnte sehen, was sich in den Senken ereignete, keine noch so große Eile unsererseits vermochte die Fahrt des Bootes zu beschleunigen. Für uns schien die Zeit während dieses unheimlichen Harrens stillzustehen.

»Das eine möchte ich wissen.« meinte Alan, »jener Herren Befehle. Wir beide zusammen sind unsere vierhundert Pfund wert; wie wenn sie nun Gewehre gegen uns herangeschleppt hätten, Davie? Von jener langen Sandböschung aus könnten sie einen feinen Schuß gegen uns abgeben.«

»Logisch unmöglich«, entgegnete ich. »Das ist es ja gerade: Gewehre haben sie nicht. Sie sind allzu heimlich ans Werk gegangen; sie haben vielleicht Pistolen, aber keine Gewehre.«

»Ich glaube, du hast recht«, bestätigte Alan. »Trotzdem sehne ich mich ganz ungemein nach jenem Boot.« Und er schnippte mit den Fingern und versuchte, es wie einen Hund heranzupfeifen.

Die Jolle hatte jetzt vielleicht den dritten Teil der Strecke zurückgelegt, und wir selbst befanden uns fast am Meeresrande, so daß der weiche Sand in meine Schuhe drang. Wir konnten nichts anderes tun als warten und, so gut es ging, beobachten, wie das Boot näher kroch, und so wenig wie möglich nach der unerbittlichen Front der Dünen schauen, über der die Mövenflügel funkelten und hinter der zweifellos unsere Feinde sich sammelten.

»Ein schöner, prächtiger, passender Ort zum Erschießen«, sagte Alan plötzlich; »Mann, ich wollte, ich hätte deinen Mut.«

»Alan,« rief ich, »was sind das für Redensarten? In dir lebt nichts anderes als Mut; er ist die Wurzel deines Charakters; das kann ich allein schon beweisen, falls keine anderen Zeugen da sind.«

»Um so mehr würdest du dich irren«, widersprach er. »Den Unterschied machen lediglich mein großer Scharfblick und meine Kenntnisse der Lage aus. Aber was alten, kalten, forschen, tödlichen Mut betrifft, so bin ich nicht wert, dir die Schuhriemen zu lösen. Sieh uns beide an, wie wir hier am Strande stehen. Da bin ich und verzappele mich vor Ungeduld, wegzukommen, und da bist du und weißt (wenn ich mich nicht täusche) nicht einmal, ob du gehen oder bleiben sollst. Meinst du, ich könnte oder würde das tun? Ich nicht! Erstens hätte ich nicht den Mut und würde mich nicht getrauen, und dann bin ich ein Mann von großem Scharfsinn und würde dich eher zum Teufel gehen lassen.«

»Also darauf willst du hinaus!« rief ich. »Ach, Alan, Mann, deine alten Weiber magst du an der Nase herumführen, mich aber nicht.«

Erinnerung an meine Versuchung im Walde machte mich fest wie Eisen.

»Ich muß ein Stelldichein einhalten«, fuhr ich fort. »Ich habe mich mit deinem Vetter Charlie verabredet und habe mein Wort gegeben.«

»Ein schönes Stelldichein, und schön wirst du's einhalten«, sagte Alan. »Den Herrschaften dort hinter den Dünen wirst du in die Arme laufen; dabei wird's bleiben, ein für allemal. Und weshalb?« fügte er mit bedrohlichem Ernst hinzu. »Sag mir nur, weshalb, mein Jungchen! Will man dich verschwinden lassen wie Lady Grange? Oder wollen sie dir den kalten Stahl zu fressen geben, um dich dann in den Dünen zu verscharren? Oder haben sie sich das Gegenteil in den Kopf gesetzt, und wollen sie dich mit James zusammen vor Gericht schleppen? Sind das etwa Leute, denen man vertrauen kann? Willst du wirklich deinen Kopf Simon Fraser und den anderen Whigs direkt in den Rachen stecken?« schloß er mit auffallender Bitterkeit.

»Alan,« rief ich, »es sind alles Lügner und Schelme, das gebe ich zu. Um so wichtiger, daß unter solchem Gaunerpack wenigstens ein anständiger Mensch bleibt! Ich habe mein Wort gegeben und werde daran festhalten. Damals schon sagte ich zu deiner Base, ich würde vor keinem Risiko zurückschrecken. Erinnerst du dich noch jener Nacht, als Colin Campbell fiel? Hier bleibe ich. Prestongrange hat mir mein Leben versprochen, und wird er meineidig, so sterbe ich hier.«

»Schön, schön«, antwortete Alan.

Die ganze Zeit über hatten wir nichts mehr von unseren Verfolgern gesehen oder gehört. In Wahrheit hatten wir sie völlig überrumpelt. Wie ich später erfuhr, hatte die Bande sich noch nicht vollständig versammelt; die zur Stelle waren, lagen zwischen den Hängen nach Gillane zu verstreut. Es war keine leichte Sache, sie zu alarmieren und zusammenzutreiben, und inzwischen kam das Boot gut vorwärts. Außerdem hatten wir es mit feigem Pack zu tun: einer Rotte von Hochlandsräubern, die sich nur aufs Viehstehlen verstand, aus verschiedenen Clans zusammengestellt, ohne einen Gentleman-Anführer, und je länger sie Alan und mich dort stehen sahen, umso weniger (nehme ich an) gefiel ihnen unser Aussehen. Wer immer Alan verraten hatte, der Kapitän war es nicht. Der begleitete selbst das Boot und lenkte und feuerte seine Ruderer an gleich jemandem, der mit dem Herzen bei der Sache ist. Schon war er uns ganz nahe, schon wollte das Boot auf dem Sand auflaufen, und Alans Gesicht glühte vor Aufregung über seine Rettung – da stießen unsere Freunde in den Dünen, sei es aus Verzweiflung, ihr Opfer entrinnen zu sehen, sei es in der Hoffnung, Andie abzuschrecken, einen schrillen, mehrstimmigen Schrei aus.

Der Lärm hier an dieser gottverlassenen Küste war wirklich furchterregend, und sofort hielten die Männer in dem Boote an.

»Wer da? Was ist los?« schrie der Kapitän, der sich jetzt bequem in Rufweite befand.

»Freunde von mir«, entgegnete Alan und begann auf der Stelle durch das seichte Wasser zum Boot hinauszuwaten. »Davie,« sagte er, noch einmal innehaltend, »Davie, kommst du wirklich nicht mit? Ich kann dich nicht hier lassen.«

»Nicht einen Zoll weit«, sagte ich.

Eine Sekunde zögerte er immer noch, bis zu den Knien im Salzwasser.

»Wem nicht zu raten ist, dem ist nicht zu helfen«, sagte er und wurde, jetzt bis zu den Hüften naß, an Bord der Jolle gezogen, die sofort wieder auf das Schiff zuhielt.

Ich stand, wo er mich verlassen hatte, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Alan saß mit dem Gesicht zu mir gekehrt und sah mich an, und das Boot glitt unbehindert weg. Plötzlich war ich so nahe daran, in Tränen auszubrechen, wie nur je in meinem Leben, und fühlte mich als den verlassensten, einsamsten Burschen in ganz Schottland. Da drehte ich mich mit dem Rücken dem Meere zu, den Dünen entgegen. Kein Mensch war zu sehen oder zu hören; die Sonne schien über nassem und trockenem Sand, der Wind wehte durch die Dünen, die Möwen schrieen traurig. Als ich den Strand hinaufschritt, hüpften die Sandflöhe munter durch den angeschwemmten Tang. Kein Laut oder sonstiges Merkmal von Leben an jenem unheimlichen Ort. Und doch wußte ich, Menschen waren da und belauerten mich zu irgendeinem verborgenen Zweck. – Es waren keine Soldaten, sonst hätten sie uns längst überfallen und gefangen genommen; zweifellos hatte ich es nur mit ganz gemeinen Halunken zu tun, gedungen zu meinem Schaden, vielleicht um mich zu verschleppen, vielleicht auch, um mich kaltblütig zu ermorden. Nach dem Range der Mietlinge hielt ich das erstere für wahrscheinlicher; was ich von ihrem Charakter und ihrer Liebe zu diesem Geschäft wußte, ließ das letztere als möglich erscheinen, und bei dieser Vorstellung fror mir das Herzblut.

Mir kam der tolle Gedanke, mein Schwert in der Scheide zu lockern; denn war ich auch völlig außerstande, mich Klinge gegen Klinge mit einem Gentleman zu messen, so glaubte ich doch in einem Handgemenge ganz gehörigen Schaden anrichten zu können. Doch ich erkannte rechtzeitig die Torheit eines Widerstandes. Ohne Zweifel war dieser Überfall der ›bestimmte Weg‹, über den Prestongrange und Fraser sich geeinigt hatten. Der eine, des war ich sicher, hatte gesorgt, daß man mein Leben schonte; der andere aber hatte höchstwahrscheinlich Neil und seinen Gefährten gegenüber irgendeinen gegenteiligen Wink fallen lassen, und zog ich blank, so spielte ich meinem Todfeinde vielleicht einen Trumpf in die Hand und besiegelte eigenhändig meinen Untergang.

Diese Gedanken hatten mich bis zu der Strandböschung begleitet. Ich sah mich um; das Boot näherte sich der Brigg. Alan ließ als Lebewohl sein Taschentuch flattern, und ich winkte ihm meine Antwort mit der Hand. Aber selbst Alan war für mich angesichts meiner schrecklichen Lage zu einer nebensächlichen Angelegenheit zusammengeschrumpft. Ich drückte den Hut fest ins Gesicht, biß die Zähne zusammen und schritt gerade auf den Dünenkranz los. Es war eine schwierige Kletterpartie, der Sand gab unter meinen Tritten nach wie Wasser. Aber schließlich packte ich oben an der Dünenkuppe ein Büschel des langen Seegrases und zog mich auf festeren Boden hinauf. Im nämlichen Augenblick rührte sich etwas, und sechs bis sieben Männer, sämtlich zerlumpt und jeder mit einem Dolch in der Hand, tauchten hier und dort wie aus dem Erdboden auf. Die Wahrheit ist, ich schloß die Augen und betete. Als ich sie wieder öffnete, waren die Halunken, schweigend und ohne jede Eile, einen Schatten näher gekrochen. Aller Augen waren auf mich gerichtet, und mit seltsam starken Empfinden spürte ich ihr Leuchten und die Furcht, mit der die Burschen sich auch weiterhin mir näherten. Ich streckte ihnen meine leeren Hände entgegen; da fragte mich einer mit starkem, hochländischen Akzent, ob ich mich ergäbe.

»Unter Protest,« entgegnete ich, »falls Ihr das versteht, was ich bezweifle.«

Nach diesen Worten stürzten sie alle über mich her, wie ein Schwarm Vögel über Aas, packten mich, nahmen mir meinen Degen ab und das Geld aus meinen Taschen, banden mich, Hand und Fuß, mit einem starken Strick und warfen mich auf einen Klumpen Seegras. Dort setzten sie sich im Halbkreis um ihren Gefangenen und starrten ihn schweigend an, wie reißende Tiere, Löwen oder Tiger auf dem Sprung. Nach einer Weile ließ ihre Aufmerksamkeit nach. Sie rückten näher aneinander heran, fingen an, sich auf gälisch zu unterhalten und verteilten mit größter Unverfrorenheit vor meinen Augen unter sich mein Eigentum. Währenddessen war es mein Trost, daß ich von meiner Lage aus meines Freundes Flucht verfolgen konnte. Ich sah, wie das Boot die Brigg erreichte, wie es hochgezogen wurde, wie die Segel sich blähten, und wie das Schiff hinter den Inseln an North Berwick vorbei das offene Meer gewann.

Im Verlauf der nächsten zwei, drei Stunden stießen mehr und mehr zerlumpte Hochländer zu uns, darunter als einer der ersten Neil, bis die Gesellschaft an die zwanzig Mann zählte. Mit jedem Ankömmling wurde das Gespräch wieder lebhaft, und es klang, als folgten Beschwerden und Erklärungen einander. Das eine fiel mir auf: keiner der Nachzügler erhielt einen Anteil an der Beute. Die letzte Auseinandersetzung war äußerst heftig und bewegt, und einmal dachte ich, es käme zu einem Kampf. Das Ergebnis war, daß sie sich trennten; die Mehrzahl zog vereint in westlicher Richtung davon, während Neil mit zwei anderen als Bewachung zurückblieb.

»Ich kenne jemand, dem Eure Tagesarbeit sehr schlecht gefallen würde, Neil Duncanson«, sagte ich, als die anderen sich entfernt hatten.

Als Antwort versicherte er mir, man würde mich schonend behandeln, da ich ›ein Bekannter des Fräul'ns‹ wäre.

Das war unsere ganze Unterhaltung; sonst ließ kein Muttersohn sich an jenem Teil der Küste blicken, bis die Sonne hinter den Bergen des Hochlands versank und die Dämmerung sich zur Nacht vertiefte. Um diese Zeit bemerkte ich einen langen, hageren, knochigen Tiefländer von auffallend dunkler Gesichtsfarbe, der uns zwischen den Dünen auf einem Ackergaul entgegenritt.

»Jungens, habt ihr einen Ausweis wie diesen hier?« rief er, ein Papier hoch haltend. Neil zog ein zweites hervor, das der Fremde durch eine Hornbrille studierte, worauf er erklärte, alles wäre in Ordnung; wir seien die Leute, die er suche. Dann saß er ab, und ich wurde statt seiner auf das Pferd gesetzt; man band meine Füße unter den Bauch des Tieres zusammen, und wir machten uns unter der Führung des Tiefländers auf den Weg. Er muß seine Route gut gewählt haben, denn die ganze Zeit über begegneten wir nur zwei Menschen, einem Liebespärchen, die uns vielleicht für Schmuggler hielten und bei unserem Kommen flohen. Einmal befanden wir uns hart am Fuße des Südhangs von Berwick Law; ein andermal, als wir einige offene Hügel passierten, gewahrte ich die Lichter eines Dorfes und in der Nähe, zwischen Bäumen, einen alten Kirchturm, alles aber noch so fern, daß jeder Hilferuf, selbst wenn ich daran gedacht hätte, umsonst gewesen wäre. Endlich hörten wir wieder das Meer. Der Mond schien, wenn auch nicht hell, und in seinem Licht konnte ich die drei mächtigen Türme und bröckelnden Bastionen von Tantallon, dem alten Stammsitz der Roten Douglas, erkennen. Das Pferd wurde in der Tiefe eines Grabens zum Grafen angekoppelt, und mich führte man hinein durch den Hof und von dort in einen verfallenen, steinernen Saal. Hier, mitten auf den Fliesen, bauten meine Wärter ein lustiges Feuer, denn die Nacht war kühl. Meine Hände wurden losgebunden, ich wurde an dem einen Ende der Halle gegen die Mauer gesetzt und erhielt (nachdem der Flachländer Mundvorrat hervorgeholt hatte) Haferbrot und eine Kanne französischen Schnapses. Danach ließ man mich wieder mit meinen drei Hochländern allein. Diese scharten sich eng ums Feuer und tranken und schwatzten; der Wind pfiff durch die Mauerlücken, wirbelte den Rauch und Flammenwolken umher und heulte durch die Turmspitzen. Ich konnte das Meer am Fuße der Klippen hören, und da ich in bezug auf mein Leben beruhigt und nach diesem Tage an Leib und Seele erschöpft war, drehte ich mich auf die Seite und schlief.

Wie spät es war, als man mich weckte, vermochte ich durchaus nicht zu erraten, aber der Mond war untergegangen, und das Feuer brannte schwach. Man löste meine Fußfesseln und schleppte mich durch die Ruinen einen steilen Pfad den Klippen entlang an eine Stelle, wo ich in einem natürlichen Felshafen ein Fischerboot fand. Dieses mußte ich besteigen, und wir stießen bei leuchtendem Sternenlicht vom Ufer ab.

 


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