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Erster Aufzug

Erster Auftritt

Bertha. Nach fünf Jahren Dienst hätte man Aufbesserung verdient.

Ständer. Ich bin Arbeiter wie du, simpler Glasbläser, und habe nicht das Recht, von anderen Dienste zu fordern. Du dienst nicht bei mir, unser Verhältnis ist ein –

Bertha. Von dem wollte ich nicht sprechen.

Ständer. Beruht auf einem Gegenseitigkeitsvertrag, nach dem gegen Unterhalt und Ernährung du die Führung meines Haushalts freiwillig übernahmst.

Bertha. Mit einem Monatslohn.

Ständer. Einem Geschenk, das ich jeden Monatsersten wiederhole. Hast du dir einfallen lassen, es vor den Nachbarn hinzustellen, als seist du Magd im Haus?

Bertha. Ich spreche mit niemandem.

Ständer. Was sollte die Welt denken? Ein Arbeiter, der für sich arbeiten läßt, ein Proletarier, der Sklaven hält!

Bertha. Wenn ich aber um halb sechs Uhr früh aufstehen muß!

Ständer. Übereinkunft!

Bertha. Schweine füttern, den Abtritt räumen!

Ständer. Gesellschaftsvertrag!

Bertha. Bis in die Nacht mich schinde, um im Bett noch keine Ruh' zu haben.

Ständer. Das geht dich als Weib an. Ist außerhalb der Abmachung.

Bertha. Sie wollen mir den Lohn nicht erhöhen?

Ständer. Du hast zum Donnerwetter keinen! Freiwilliger Vertrag.

Bertha. Ich will einen neuen mit Ihnen machen. Fünf Mark monatlich mehr. Freiwillig.

Ständer. Du freiwillig. Aber ich nicht. Das ist doch der Unterschied zwischen Dienstbarkeit und freiem 5 Verhältnis: Der Sklave läßt sich die Sklaverei bis auf den Pfennig vom Herrn entgelten. Du aber widmest dem Genossen deine Kraft auf Gegenseitigkeit und wahrst Menschenwürde.

Bertha. Wenn ich wie ein Tier für ihn schufte.

Ständer. Aus freiem Antrieb. Was du an Entschädigung von mir erhältst, wiegt deine Arbeit nicht auf. Folglich kann der Lohn nicht Veranlassung sein, aber – deine menschliche Tugend. Du bist ganz einfach tugendhaft, Bertha; mußt es selbst gar nicht wissen. Es genügt, dir strahlt jetzt das Auge; du fühlst, da ich dirs zugestehe, innen großes Glück. Ja, Dicke, menschlich wohl bereitet und damit basta!

Bertha. Wär' nur der Schweinestall nicht!

Ständer. An einem Morgen – du fühlst dich stark, hast gut geschlafen und merkst, was du im Grunde für ein unabhängiges Geschöpf bist, räumst du ihn einmal gründlich und von allen Seiten auf. Er brauchts. Das ist der Segen eines solchen Vertragsverhältnisses: da man zu nichts gezwungen ist, treibt einen das Bedürfnis, sich selbst zu übertreffen, zu immer größerer Arbeitsleistung. Und du bist ein Muster dieser Regel.

Bertha. Fünf Mark!

Ständer. Fragst du dich, was du günstigenfalls mit deinem Leben vermöchtest, heißt die Antwort: was du auch wirklich leistest. Diese Gewißheit ist höchster Lohn des Daseins, den ich nicht überbieten kann.

Bertha. Dann soll ich in meinem alten Kleid das Fest mitmachen?

Ständer. Dahin hat's Zeit, und wer weiß, was noch geschieht.

Bertha. Aber der Tag kommt bestimmt, an dem die Fabriken hundert Jahre stehen.

Ständer. Sicher. Doch ob ein Mensch Lust haben wird, ihn zu feiern? Warts ab.

Bertha. Dann ists zu spät.

Ständer. Dein prachtvolles Bewußtsein! 6

Bertha. Schon.

Ständer. Das leuchtende Auge!

Bertha. Nur –

Ständer. Wie hübsch du bist, Mädel, vor lauter gutem Gewissen und Glück.

Bertha. Ach Herr Ständer!

Ständer (tätschelt sie). Siehst du.

Bertha (an ihn gelehnt). Sie haben am Ende recht.

Ständer. Und nun noch ein Stündchen fest an die Arbeit. Und stehst du von morgen ab um fünf Uhr auf, wirds nicht ungern gesehen.

Bertha (exit).

Ständer. Ihre ständige Unzufriedenheit hält sie lebendig, ist ein Glück für mich.

 

Zweiter Auftritt

Isolde (tritt auf).

Ständer. Ich sterbe vor Hunger, und du trödelst draußen. Spukt auch bei dir das Jubiläum?

Isolde. Wir Mädchen üben großartige Bilder und Tänze ein.

Ständer. Gut. Später. Schließ' ab.

Isolde. Die Türen sind zu.

Ständer. Den Vorhang herunter!

Isolde (läßt den Vorhang herab).

Ständer. Was bringst du?

Isolde. Fischmayonnaise, ein Rehkotelett in Gelee.

Ständer. Der Sherry?

Isolde. Ist da. (Sie stellt aus einem Körbchen alles auf den Tisch.)

Ständer (beginnt gierig zu essen).

Isolde. Noch ein Bund Radieschen; die frühesten auf dem Markt.

Ständer. Nicht hervorragend die Mayonnaise; das Öl an der Grenze der Bedenklichkeit. 7

Isolde (hat eine Spieluhr in Gang gesetzt).

Ständer. Herrgott, das Wichtigste vergißt du ja!

Isolde. Ist auch besorgt. (Sie gibt ihm einen verschlossenen Briefumschlag.)

Ständer (steckt das Papier zu sich). Ihr Mädchen mit Tänzen und lebendem Bilderkram seid auch die einzigen, die hier Lust spüren, irgendein Fest zu feiern. Der Rest, wir dreitausend Arbeiter von Rodau mit lastüberhäuften Weibern und Anhang, sind angeschmiedete Sklaven, die nicht die mindeste Neigung haben.

Isolde. Angeschmiedet?

Ständer. Vom Hahnenschrei bis zur Dunkelheit an die Maschinen. Nie eigene Person. Glasstaub in den Lungen. Schwindsucht, schließlich Faulen auf dem Mist. Betäubten uns nicht Alkohol und Nikotin, wir rissen die stählernen Ungetüme vom Platz, schmissen sie zum Fenster hinaus und befreiten uns mit einem Ruck zu bescheidenem Lebensgenuß.

Isolde (hat ihm den Frisiermantel umgelegt und beginnt, sein Haar mit schäumendem Wasser zu waschen).

Ständer. Je älter ich werde, um so weniger begreife ich unsere Lammsgeduld. Just so ein Jubiläum gäbe uns Proletariern die beste Gelegenheit, mit den Besitzern der Werke gründlich abzurechnen. Etwa: die Fabrik steht hundert Jahr, Dutzende von Millionen sind verdient. Der Arbeiter hat sie geschafft. Was wurde an ihn, was an die Eigentümer bezahlt? Wo ist da um Gotteswillen Gerechtigkeit? Gibt es unter uns nicht solche, die knapp vierzehn Mark die Woche verdienen? Es ist eine Schweinerei. Und dazu ein Jubiläum mit Fackeln und bengalischer Beleuchtung? Das Volk hat Milch in den Knochen, läßt sich durch Almosen einlullen, sonst müßte es, statt Feste der Fabrikanten zu feiern, endlich mit gepanzerter Faust auftrumpfen.

Isolde. Glaubst du wirklich?

Ständer. Ich spreche stets nur Überzeugungen aus, das weißt du aus Erfahrung. Habe ich dir verschwiegen, nach 8 deinem einundzwanzigsten Jahr gab ich dir nur darum noch Unterhalt, weil bis zum Eintritt entscheidender Veränderungen in meinem Leben deine hübsche Erscheinung im Zusammenleben mir inzwischen Spaß macht, und die mit mir angestellten Aufmerksamkeiten mich ergötzen.

Isolde (nimmt ihm den Frisiermantel ab und küßt ihn).

Ständer. Da du unter keinen Umständen selbst nennenswert arbeiten willst, sagte ich, mußt du die Talente wetzen, den Mann, den du eingefangen, zu unermüdlicher Leistung für dich zu spornen. Das geschieht, indem du seine Phantasie entflammst. Die Basis dafür schufen deine Eltern, als sie dir auf meinen Rat den überspannten Namen Isolde gaben. Was du aber bis heute aus eigener Kraft hinzugetan, reicht zu großen Hoffnungen bei weitem nicht aus.

Isolde. Was soll ich denn noch –?

Ständer. Methodischer Klavier.

Isolde. Artur ist ohne Gehör unmusikalisch.

Ständer. Eben darum bieten Beethoven und Konsorten hundert Schlupfwinkel für deinesgleichen. Mehr Französisch, das er nicht versteht, und Schiller.

Isolde. Schiller ist veraltet.

Ständer. Erprobt ist er. Was kann Vernunft gegen das eine Wort: »Ehret die Frauen, sie flechten und weben«? So etwas wirkt im Streitfall wie bombensicheres Bollwerk. Da du dich unbedingt von deinem Mann mästen willst – sieh deinen Bauch –

Isolde. Ich habe kein Korsett an. (Sie räumt den Tisch ab und bringt das Zimmer in Ordnung.)

Ständer. Du bist eine Fresserin, und nichts wird ihn im Wachstum hindern.

Isolde. Aber meine ausgeschnittene Bluse fürs Fest, die schon neue Rüschen hat und geplättet ist?

Ständer. Kein Wort mehr davon. Wollen sehen, ob Gerechtigkeit zuläßt, während das Elend und die Unfreiheit der arbeitenden Klasse gerade hier zum Himmel stinkt, daß kapitalistische Orgien gefeiert werden. Erst habe ich 9 der Gesellschaft mal einen Knüppel in die Räder geworfen. Gleich wird die Wirkung zu spüren sein.

Isolde. Und ich sollte die Abundantia, den Überfluß darstellen, weil ich körperlich am entwickeltsten bin. Die Arme wohltuend ausgebreitet und das Bein gehoben. (Sie macht die Stellung.)

Ständer. Die Stellung kannst du im Leben schon noch verwerten. Im übrigen – morgen mehr und gute Nacht.

Isolde (exit).

Ständer (erbricht den Briefumschlag und liest). »Wir teilen Ihnen mit, daß wir Sie für getrennte Dividendenscheine mit Mark fünfhundertfünfzig Valuta dato erkannt haben: ferner, daß wir für Sie gekaufte Mark sechstausend Vereinigte Rodauer Glasfabriken in Ihr Depot übernehmen.« Gut. (Er öffnet in der Mauer einen Kasten und schließt das Papier hinein. Man hört draußen einen schrillen Pfiff und noch einen.) Was für ein Indianerpfiff? (Er sieht zum Fenster hinaus.) Sturm! Werner Sturm. Mit solchem Firlefanz fällt er mehr auf, als kommt er geradewegs zur Haupttür hinein. Hoffentlich schläft Flocke schon. (Exit links und tritt gleich darauf mit Sturm wieder auf.)

 

Dritter Auftritt

Sturm. Geradewegs vom Bahnhof komme ich um nähere Auskunft und Belehrung.

Ständer. Du weißt aus meinen Briefen die Hauptsache.

Sturm. Ich will das Ding im Handumdrehen fingern, daß es schillert. Eine unfehlbare Methode habe ich, dösige Köpfe zu rebellieren. In zwei Tagen raucht hier außer den Kaminen alles.

Ständer. Die Kerls sind nicht dumm. Du mußt systematisch vorgehen.

Sturm. Wie werde ich denn nicht! Erst System auf den Tisch gehauen, daß die Bagage hüpft: Herrschaft des 10 Proletariats, Klassenkampf bis zur Vernichtung der Gegner. Dafür laß mich sorgen.

Ständer. Langsam ihnen eins nach dem andern beibringen.

Sturm. Und vor allem gleich ein paar zuverlässige Schlagworte jedem in die Fresse. Da habe ich eine ganze Speisekarte. Zehn Jahre arbeite ich nach bewährtem Rezept. Hast du Schnaps?

Ständer (zieht aus der Hose die gewöhnliche Branntweinflasche).

Sturm. Nichts Besseres?

Ständer (schüttelt den Kopf). Knappe Zeiten.

Sturm. Auf den Tisch springe ich, und dann gehts mit Alarm. (Er schreit.) Genossen! Aktionärbataillone und ihre Profitrate würgen euch schließlich den Magen aus dem Hals.

Ständer. Hier handelt es sich eigentlich um lokale Fragen.

Sturm. Alles wurzelt im großen, politischen, allgemeinen Ideal.

Ständer. Das sitzt uns tief in den Knochen; unnötig, davon zu sprechen.

Sturm. Im Gegenteil behaupte ich: lokale Fragen, die sich stets um ökonomische Vorteile drehen, um Bequemlichkeiten einzelner Gruppen vor der großen Masse, bedrohen geradezu die ewige Sichtbarkeit unserer politischen Forderungen.

Ständer. Es liegen besondere Verhältnisse vor.

Sturm. Nichts Besonderes! Als deine ersten Zeilen mit dem Notschrei kamen, du fürchtest, hier stürbe durch reichliche und fortwährende Konzessionen die Unzufriedenheit des Proletariers aus, da sah ich, du hiebst in die gleiche Kerbe mit anderen Besorgten, aber bewußter und fester. Da wußte ich, Rodau ist der Platz, endlich im Angesicht ganz Deutschlands die Genossen in flammender Proklamation vor ihrer Neigung zur Verweichlichung durch Fürsorge aller Art zu warnen. 11

Ständer. Aber –

Sturm. Schreiende Schande ist der Versuch der Kapitalisten, durch sogenannte Wohlfahrtseinrichtungen die Massen zu ködern. Verbrechen aber die Neigung unserer Führer, solche Dinge zu fördern und ihrerseits zu überfordern.

Ständer. Immerhin –

Sturm. Wie kann einem Unternehmen, in dem dem Arbeiter Konsum-, Vorschuß- und Kreditvereine, Speise-, Bade- und Erholungsanstalten, Säuglings-, Waisen-, Blinden-, Krüppelfürsorge neben Kranken-, Unfall-, Angestellten- und Invaliditätsversicherung den irdischen Rücken decken, ihn noch dringendes Bedürfnis an einer Umgestaltung der Lage seiner Klasse beseelen?

Ständer. Aber –

Sturm. Muß nicht die Sucht, sich nach allen Himmelsrichtungen durch Renten zu sichern, das Kontroll- und Verantwortlichkeitsgefühl, seinen theoretischen Sinn schwächen, da sie alle Sinne auf das praktische Leben lenkt? Die Partei ist dir tief verpflichtet, weil du durch deinen Hinweis Gelegenheit gabst, hier ein Exempel zu statuieren.

Ständer. Neben diesen richtigen Voraussetzungen wollte ich –

Sturm. Du nennst mir die maßgebenden Genossen. Gewissermaßen die, die auf größere Arbeitergruppen Einfluß haben. An sie pürsche ich mich zuerst heran.

Ständer. Grund meiner Aufforderung an dich, zu kommen, war rund heraus, eine Arbeiterbibliothek.

Sturm. Bibliothek?

Ständer. Die Glasbläser von Rodau fordern aus Gründen der Menschlichkeit eine großzügige Volksbücherei, die trotz des vor der Tür stehenden Hundertjahrfestes die Leitung der Werke nicht bewilligen will.

Sturm. Aber da haben wir die Korruption!

Ständer. Stellst du eine Bücherei mit Badeanstalten und Genossenschaftsschlächtereien auf eine Stufe – 12

Sturm. Unbedingt tue ich das.

Ständer. Für mich gibts da wesentliche Unterschiede. Auf ein Bad kann ich verzichten, die Fortbildung des Proletariats durch Bücher aber ist auch zur Erkenntnis des wirklich gottgewollten Systems Notwendigkeit.

Sturm. Ihre ungebrochene, zielbewußte Sehnsucht lesen sich die Leute auseinander, schnüffeln sie an Dingen, die sie nichts angehen, oder die sie nicht verstehen. Bücher sind eine Brücke mehr zur Oberschicht, denn mit Ausnahme von Parteischriften sind sie sämtlich vom Bourgeois geschrieben.

Ständer. Shakespeare, Goethe, Schiller?

Sturm. Schiller erst recht! Da gibts nichts als Herrschaften, die aus Mangel an wirklicher Arbeit und Sorge ums tägliche Brot Zeit haben, ihre nächsten Verwandten zu morden. Das ist sinnlos für unsere Welt. Großbürgerliche Vorstellungsreihen in Spiritus.

Ständer. Sittengesetze?

Sturm. Das Sittengesetz unserer Zeit wird geboren aus dem Kampf der Massen ums Dasein.

Ständer. Du scheinst auf deine Weise radikal.

Sturm. Ich bins. Und legt ihr die Ruten noch geschickter, den Leim der Bourgeoisie wittere ich in allen Schlupfwinkeln. Wir wollen den Erdball, alle Gesetze der Spießbürger aus den Angeln drehen, wir brauchen ihre Moral, ihre Fürsorge und vor allem ihre Bücher nicht. Eine neue Welt mit nagelneuen Begriffen wollen wir. Die Zeit liegt in Wehen. Das merkt ein Stockblinder. Nach innen und außen wankt unser Boden politisch. Wer ein Mann ist, wagt heut schon irgendwo sein Leben. Der Proletarier das seine an einen reinen ideellen Sozialismus. Keine Bibliothek, aber ein spießbürgersäurefreies Rodau schaffe ich dir eins, zwei, drei. Verlaß dich auf Sturm, alter Freund.

Ständer. Sehr schon alles in allem. Nur vielleicht ein wenig gemäßigter.

Sturm. Gemäßigt? Da hättest du einen anderen suchen müssen. Lauheit ist gerade jetzt Todsünde. Ich halte es 13 unverbrüchlich mit Befreiung durch politische Enteignung. Punktum.

Ständer. Na gut, dann schön.

Sturm. In diesem Sinn von morgen ab mit Dampf.

Ständer. Na schön.

Sturm. Weil du müde bist; jetzt nicht mehr das nötige Feuer aufbringst. Einverstanden?

Ständer. Gut.

Sturm (ernst). Konfiskation. Revolte!

Ständer. Na schön.

Sturm. Gasthaus zum Hahn, so hieß das Ding am Bahnhof wohl? Da wohne ich also. Und mit Hochdruck morgen.

Ständer. Schön.

Sturm (mit Händedruck exit).

Ständer. Ein törichter, theoretischer Mensch. Was so ein Bursche, höheren Aufschwungs unfähig, ohne im wesentlichen zu nützen, im einzelnen für Unheil anrichten könnte. (Er setzt sich und schreibt.) »An die Unionbank. Ich bitte Sie, für mich Mark achttausend nominal Vereinigte Rodauer Glasfabriken zum Kurs bis 190 Prozent zu verkaufen.«

 

Vierter Auftritt

Heinrich Flocke (tritt auf).

Ständer. Flocke, jetzt noch? Was gibts?

Flocke. Mit dem Elfuhrzug kommt Artur. Telegramm.

Ständer. So plötzlich?

Flocke. Wenn nur nichts Fürchterliches passiert ist.

Ständer. Was kann einem ausgewachsenen Journalisten Schreckliches zustoßen?

Flocke. Ich zittere immer, kommt der Junge. Sein Erscheinen hatte noch nie ruhige Gründe.

Ständer. Ruhe ist jetzt für keinen zu hoffen. Am wenigsten für dich. Unter unseren Füßen schwelt ein Vulkan. 14

Flocke. Nein?

Ständer. Ich stehe nicht an, dir zu erklären: unsere Existenz gilt mir fürs äußerste gefährdet.

Flocke. Ständer!

Ständer. Wobei ich mit nichts als einem Mündel besser gestellt bin als du mit sechs unmündigen Kindern zu dem Zeitungsschreiber.

Flocke (sich den Angstschweiß trocknend). Um Gottes willen – erkläre doch!

Ständer. Daß du nicht selbst das Unglück kommen sahst! Aber stumpf wie die Sau lebst du am Trog. Das Jubiläum ganz einfach! Im Gleichgang der Tage, mit Kontrolle des Einkaufs, der Produktion, Auszahlung der Gehälter – dem ständigen Geschäft, ist vom Generaldirektor bis zum Lehrjungen jeder froh, erfüllt er sein tägliches Pensum. Keine Veranlassung zu Extratouren.

Flocke. Natürlich.

Ständer. Da aber naht das Fest, das außergewöhnliche. Das hebt ruckhaft für Augenblicke alles aus dem gewohnten Geleis. Nach rückwärts und vorwärts wird geschaut, vigiliert, recherchiert, kontrekontrolliert. Überblicke, Tabellen und Statistiken werden im Schweiß des Angesichtes für die staunende Menschheit gefertigt, sich selbst und anderen zu imponieren. Da kommt mit einem alles unter die Lupe. Verstehst du endlich?

Flocke. Ich beginne.

Ständer. Da stößt das forschende Auge auf Besonderheiten des Betriebs, hakt plötzlich der schürfende Sinn in einen erstaunlichen Posten: zwei alte Glasbläser!

Flocke. Allmächtiger!

Ständer. Flocke und Ständer.

Flocke. Barmherzigkeit!

Ständer. Thronend über dreitausend Proletariern mit achthundert bis zweitausend Mark Jahresgehalt – angestellt der eine – Flocke mit fünftausendsechshundert, Ständer mit sechstausendvierhundert Mark jährlich. Sage und schreibe. 15

Flocke. Aber doch Kunstbläser beide.

Ständer. Daß ich nicht lache! Was hat zum Donnerwetter Kunst in unseren Betrieben zu suchen? Das sind ja Fossile, Mammute, die beiden. Stören unser glattes Massengeschäft. Liegen uns im Weg, wuchern als parasitäre Geschwüre an unserem gesunden Leib. Schmeißt sie, pfeffert sie, hängt die Blutegel!

Flocke (wird ohnmächtig).

Ständer. Flocke! Er hat wirklich schlapp gemacht. (Mit kaltem Wasser bringt er Flocke wieder zu sich.) Besser, alter Knabe? Jedenfalls hast du inzwischen begriffen.

Flocke (jammert). Ständer!

Ständer. Flenne nicht! Hab ich recht?

Flocke. Unbedingt. Meilenweit werfen sie uns hinaus, stoßen mit Füßen. Wir sind verloren. (Er weint.)

Ständer. Erstens wären wir nicht durchaus verloren. Für uns hätte die Konkurrenz am Ende immer ein Plätzchen.

Flocke. Nicht zu annähernd gleichen Bedingungen.

Ständer. Darum eben gilt es, sich zur Wehr zu setzen.

Flocke. Zwei vereinzelte alte Bläser! Rettungslos sind wir verloren.

Ständer. Nein! Was war zu tun, um im Gegenteil bei diesem nicht wiederkehrenden Ereignis die Gelegenheit für einen Hauptschlag zu erwischen?

Flocke. Ja was?

Ständer. Die Möglichkeit mußte man ihnen vor allem beschneiden, Nachforschungen, Spezialstudien machen zu können. Mit Unvorhergesehenem über die tägliche Arbeit hinaus sie beschäftigen.

Flocke. Wie?

Ständer. Man warf ihnen einen Knüppel zwischen die Beine.

Flocke. Du folterst mich.

Ständer. Man zeigte ein wenig Talent.

Flocke. Aber wie?

Ständer. In die beiderseitig ungetrübte Zufriedenheit fährt plötzlich die stürmische Forderung der Arbeiter. 16

Flocke. Die Bibliothek! (Er klatscht in die Hände.)

Ständer. Und nicht mit lumpigen fünfzig- oder hunderttausend Mark. Ein Monumentalbau mit bedeutender Bücherei, mit Fonds, Bibliothekaren und Angestellten wird verlangt. Voranschlag rund eine Million. Festgeschenk der Gesellschaft an die Arbeiter.

Flocke. Du hattest zuerst den Gedanken. Ich weiß es genau.

Ständer. Meinem Kopf ist der Plan entsprungen. Dann gab es einen bangen Augenblick lang die Befürchtung, der Aufsichtsrat bewilligt die Forderung der Angestellten.

Flocke. Er lehnte sie Gott sei Dank ab.

Ständer. Nicht der Kostenhöhe wegen. Aber seine Geschenke an uns läßt er sich nicht vorschreiben.

Flocke. Ja! (Er kichert.)

Ständer. Ich aber mache den Genossen klar: Geschenke mögen wir überhaupt nicht. Bei solcher Gelegenheit, dem Generalüberblick über unsere Tüchtigkeit, hätten wir das Recht, groß und bedeutend zu fordern.

Flocke. Bravo!

Ständer. Die Bewegung hin und wider nahm, wie vorausgesehen, täglich an Umfang zu, und heute beschäftigt die Leiter der Werke mit Konferenzen, gemischten Kommissionen und Beratungen so gut wie ausschließlich die Entscheidung der Frage.

Flocke. Ausgezeichnet! (Er schüttelt Ständer die Hände.)

Ständer. Langsam; die Gefahr ist nicht vorüber. Immer wieder gibt es Augenblicke, in denen beide Parteien auf dem Punkt stehen, im Hinblick auf das deutlich gemeinsame Interesse zur Einigung zu kommen. Besonders in den letzten Tagen war die Gefahr groß.

Flocke. Wirklich.

Ständer. Geschickt arbeitet Direktor Schippel mit sentimentalen Regungen, die auch den aufsässigsten Arbeiter bei dem Gedanken an hundert Jahr tüchtiger Arbeit bewegen, auf einen Vergleich hin. 17

Flocke (seufzt).

Ständer. Gestern war's einmal fast so weit, daß man sich hüben und drüben gerührt in die Arme sank. Da habe ich nun, weil meine eigenen Bewegungen gebunden sind, es scheinen muß, als wünsche ich auf der Basis unserer erfüllten Wünsche schnellen Frieden, hab ich mich um Hilfe nach Berlin gewandt, mir einen entschlossenen –

Flocke. Friedensstörer.

Ständer. – energischen Agitator verschrieben, der vor einer Stunde angekommen ist.

Flocke. Brillant!

Ständer. Noch immer nicht in Ordnung. Dieser Freund und Kupferstecher geht weit über das von mir vorläufig Gewollte hinaus, die Gesellschaft über die kritische Zeit hin ein wenig zu verwirren. Er ist radikal, will aufs Ganze.

Flocke. Auf welches Ganze?

Ständer. Revolution!

Flocke. Allgütiger!

Ständer. Droht mit Umsturz und Enteignung. Flocke, aus deinem sauer Ersparten besitzt du seit heute durch Kauf – (Er übergibt ihm einen Brief.)

Flocke. Schweißgroschen.

Ständer. Aus dreißigjähriger harter Arbeit mit deinen Fäusten –

Flocke. Für meine sechs Würmer im Fall der Not.

Ständer. – viertausend Mark Rodauer Glasaktien zu 190 Prozent. Durch das Auftreten dieses Burschen ist dein Notpfennig in starken Teilen gefährdet.

Flocke. Wie konntest du solchen Halunken, Rinaldo Rinaldini –?

Ständer. Meine zwingende Gedankenfolge legte ich klar.

Flocke. Du hättest dich vergewissern müssen. Jetzt ist meine arme Brut vielleicht des letzten beraubt. Besser wäre dir der Gedanke an die Bibliothek nie gekommen.

Ständer. Und die Schnüffelei, Generalrevision! 18

Flocke. Wahrhaftig!

Ständer. Fünftausendsechshundert! Sechstausendvierhundert!

Flocke. Heiland!

Ständer. Kommt doch mal her! Seht den Posten: Zwei alte Kunstglasbläser.

Flocke (ächzt). Blutgeschwüre!

Ständer. Wir wollen ihnen etwas blasen! Hinunter mit ihnen zu den andern ins Bagno!

Flocke. Meine sechs Kinder bei Wasser und Brot.

Ständer. Es darf nicht geschehen. Wir müssen –

Flocke. Was?

Ständer. Zuerst müßte – wie?

Flocke. Aber wer, wann, wo?

Ständer. Sturm muß – sofort –

Flocke (fast an ihm niedergleitend). Hilf, Wilhelm!

 

Fünfter Auftritt

Artur Flocke (tritt auf). Da seid ihr. Als ich oben niemand fand –

Flocke (auf ihn zu). Was ist geschehen?

Artur. Nichts Besonderes. Urlaub.

Flocke. Du verschweigst mir nichts?

Artur. Weder, Vater, werde ich von der Polizei noch vom Gerichtsvollzieher gesucht, habe keinen Eisenbahnunfall hinter mir, eine ansteckende Krankheit nicht zu verbergen.

Flocke. Es geht dir gut?

Artur. Ausgezeichnet.

Flocke. Aber?

Artur. Ohne Aber. (Zu Ständer.) Guten Abend, Onkel Wilhelm. Was macht Isolde? Ist es zu spät, sie zu sehen?

Ständer. Morgen.

Artur. Und Ihr?

Ständer. Ziemlich. 19

Artur. Besonderes?

Flocke. Leider.

Artur. Euer soziales Gewissen? Erzählt. Ich brenne.

Ständer. Kennst du Sturm?

Artur. Werner Sturm? Aber ja. Was ist mit ihm?

Ständer. Hier ist er.

Artur. Zu welchem Zweck?

Ständer. Ich rief ihn.

Flocke. Leider.

Artur. Was geht vor?

Ständer. Vorgeht das Jubiläum oder erst Vorbereitungen zum Hundertjahrsfest unserer Fabriken.

Artur. Richtig!

Ständer. Ferner: die Genossen haben ein großzügiges Leseunternehmen für diesen Tag von den Gesellschaftern gefordert. Aufwand rund eine Million Mark, und die Direktion hat den Antrag abgelehnt.

Artur. Hört, hört!

Flocke. Jawohl.

Ständer. Doch wir bestehen inzwischen auf unserer Forderung.

Artur. Und Sturm?

Ständer. Sollte sorgen, daß die Genossen, jedenfalls vor den Festtagen nicht, faulen Frieden schließen.

Artur. Aber er wird euch ein für allemal den Platz in Grund und Boden verhetzen, sinnlosen Kampf aufs Messer anstreben. Er ruht nicht, bis die Existenz der Werke in Frage steht.

Ständer. Ich kannte ihn vor einem Dutzend Jahren; wußte nichts von seiner Entwicklung.

Artur. Er hat keine. Steht auf dem Standpunkt von 1789. Terroristischer Aufwiegler.

Ständer. Sprach schließlich von Konfiskation des Eigentums. Revolution.

Artur. Da habt ihrs.

Ständer. Und nannte das einen idealen Sozialismus.

Flocke. Heiland im Himmel! (Zu Artur.) Stimmt das? 20 So ist doch um Gottes willen der Sozialismus nicht – wegnehmen, totschlagen?

Artur. Du bist selbst Sozialist. Frag' dein Herz.

Flocke. Ein durchaus friedliebender Mensch bin ich.

Artur. Du und Onkel Wilhelm Sozialisten.

Flocke. Aber man macht sich dabei wenig Gedanken.

Ständer. Man macht sich Gedanken, doch sind die Ansichten in ständigem Fluß. Man kann, was da eigentlich gewollt wird, nicht klipp und klar sagen.

Flocke. Aber gewiß nicht rauben und morden!

Ständer. Du, der an der Quelle sitzt, mußt formulieren können.

Artur. Warum hast du statt Sturms mich nicht gerufen?

Ständer. Für unsere Zwecke schienst du ein wenig zu sanfter Natur.

Artur. Aber hellen Verstandes. Sturm leidet an Überschätzung der schöpferischen Kraft revolutionärer Gewalt.

Ständer. Und was willst du und deinesgleichen?

Artur. Eroberung der politischen Herrschaft durch das als Partei organisierte Proletariat.

Flocke. Doch Eroberung!

Artur. Aber nicht auf gewaltsamem, sondern dem friedlichen Weg der Entwicklung. An die Stelle des »bevorrechteten« tritt der gleichberechtigte Bürger. Die Sozialdemokratie löst die bisherige Gesellschaft nicht auf und proletarisiert ihre Mitglieder, sondern hebt den Arbeiter aus der Stellung des Proletariers in die des Bürgers und verallgemeinert Bürgertum.

Ständer. Aber das ist ganz neu!

Artur. Das ist auch nicht neu.

Flocke. Ausgezeichnet ist es. Da kann man sich als Sozialdemokrat ja ordentlich sehen lassen. Sturm aber scheint ein ausgemachter Betrüger, der Unwissende mit Vorspiegelungen vom rechten Weg lockt.

Ständer. Ein Dummkopf.

Artur. Er predigt einfach die Lehre im Urzustand. 21

Ständer. Aber weiß von ihrer – quasi – Entwicklung?

Artur. Leugnet sie.

Flocke. Um im Trüben zu fischen. Stehlen ist freilich leichter als sich hinaufentwickeln.

Artur. Hier muß ihm das Handwerk gelegt werden.

Flocke. Er soll uns den Frieden nicht stören.

Artur. Die Propaganda darf er gar nicht beginnen. Wann kam er?

Ständer. Vor einer Stunde.

Artur. Dann fand er keine Gelegenheit –

Ständer. Hat außer mir kaum noch jemand gesprochen. (Zu Artur.) Stell' ihn!

Flocke. Heut' noch!

Ständer. Augenblicklich!

Artur. Es wäre das beste.

Flocke. Erbleichen wird er bei deinem Anblick.

Artur. Wissen jedenfalls: neben mir gibt es für ihn keinen Wirkungskreis. Wo wohnt er?

Ständer. Im Hahn. Läufst du, triffst du ihn noch wach.

Flocke. Lauf, lauf!

Artur (exit).

 

Sechster Auftritt

Ständer. Das ist nicht übel! Wie donnerte er gegen den Bourgeois. Erhabene Weltdichter hat er beschimpft, und nun stellt sich heraus –

Flocke. Man müßte mit solchen Subjekten kurzerhand tabla rabla machen.

Ständer. In der Sozialdemokratie ist nicht die Rede von Ach und Krach, kein Grund zur Aufregung.

Flocke. Höchst friedlich spielt die Geschichte sich ab. Artur ist doch ein Hauptkerl.

Ständer. Ausgleich durch Entwicklung. Gleichberechtigte statt bevorrechteter Bürger. Das ist das ganze 22 Geheimnis? Du lieber Gott! (Er zerreißt den Brief an die Bank.)

Flocke. Wie es mit den übrigen Dingen des Lebens auch ist. Erst Hund und Katze zum Sprung auf Tod und Leben gegeneinander. Schließlich, da man mitsamt auskommen muß, gibts Mittel und Wege. Der eine läßt hier, der andere dort nach, man befühlt die Angelegenheit von allen Seiten und einigt sich. Frieden will der Mensch am letzten Ende.

Ständer (nach einer Pause). Aber – haben wir vollkommene Ruhe – und wir hatten sie bis vor kurzem –

Flocke. Hier krümmte keiner einer Fliege ein Haar.

Ständer. Aber dann –

Flocke. Was?

Ständer. Flocke!

Flocke. Was gibts wieder?

Ständer. Was es immer, vor fünf Minuten, einer halben Stunde gab. Den reinen, durch nichts gestörten Frieden wollen wir auch nicht. Der ists ja gerade, der uns augenblicklich in der Existenz bedroht. Sie sollen oben in der Leitung nicht über Büchern sitzen dürfen.

Flocke. Sechstausendvierhundert, fünftausendsechshundert meinst du?

Ständer. Und Artur will mehr: Nicht vorübergehenden Ausgleich – endgültig durchgreifende Verständigung und Zufriedenheit. Das heißt aber, sich selbst ans Messer liefern. Gewinnt er Einfluß auf die Genossen, wird der mit allen Wassern gewaschene Schippel im Taumel der Festesvorfreuden ein geradezu inniges Band um Arbeitgeber und Arbeiter schlingen. Zügeln hätte man Sturm, ihn beaufsichtigen müssen. Aber nicht ohne weiteres ihn ausschließen.

Flocke. Ich hole Artur zurück.

Ständer. Sich besprechen, die Grundlinien des Vorgehens genau festlegen, mußte man unbedingt vor jeder Tat.

Flocke. Ich laufe.

Ständer. Sonst wird unter Umständen dein Sohn und 23 sein allgemeinbürgerlicher Taumel, schafft man nicht eine bedeutende Gegenbewegung, uns gefährlicher als der gute Sturm.

Flocke. Ich hole ihn.

Ständer. Habe ich denn nicht recht?

Flocke. Vollkommen. Ich fliege.

Ständer. Faß' ihn!

Flocke (exit).

Ständer. Da hätt' ich ums Haar die schönste Dummheit gemacht. Flocke, der Sanftmütige, hat sich in seinen Blondkopf von Sohn sublimiert. Schalmeien und Psalmen kann ich hier im Augenblick so wenig gebrauchen wie eine Revolte; aber ganz so gutmütig, schlummerrollenhaft kann auch der Sozialismus in Wirklichkeit nicht sein. Denn hätte Artur recht, wär so der Wind in der Partei, dann ist mein Plänchen schlecht. Was kümmerte den Kapitalisten unsere Bibliothek, was brauchte er uns um den Bart zu gehen, springt schon von selbst des Proletariers geheime Sehnsucht ihm entgegen? Dann verschwinde ich bei Gelegenheit mit einem Fußtritt in die Versenkung letzten Elends, und die Aussicht, doch noch einmal zu eigenem Leben aufzuerstehen, ist für immer dahin. Wie auch Sturm gefährlich würde, ließe man ihn frank und frei tun. Das war ein tolles Tempo, als er vom Katheder schrie. Andere Flamme als beim lahmen Flöckchen: Diktatur des Proletariats, daß die Bagage hüpft! Heißa, das war Rasse! Immerhin echtes Lebensgefühl. Kommt er mit dem, ohne daß man's gewahr wird, im richtigen Moment an die Schwefelbande, ginge freilich in Sekunden die Bescherung in die Luft. »In zwei Tagen raucht außer den Kaminen alles.« Aber wie will man trotz Arturs eigentlich hinter seine Schliche? Wie hat man vom Aufstehen bis zum Hinlegen ihn immer an der Kette? Ein Pfiff genügt doch da ins Pulverfaß: »Aktionärsbataillone würgen euch das Eingeweide bis auf die Stiefel.« Am Ende hat er auf dem Heimweg, im Wirtshaus noch 24 jemand erwischt? Aber warum nicht? Es ist kaum elf. Einen? Viele. Die ganze Gesellschaft sitzt beim Bier, er tritt ein – in diesem Augenblick kann die Brandrede steigen. Und da halte ich Artur auf, der ihn aufhalten soll? Bin ich von Sinnen – wart' mal – ich laufe selbst. Vor allem aber muß der Brief, muß an die Bank ein Telegramm fort. Wer besorgt das? Wer hindert Flocke, Artur nicht zu hindern? (Er eilt zur Tür links und ruft hinein.) Bertha!

Bertha (tritt auf).

Ständer. Lauf', wie du bist, geradeaus. Du triffst Herrn Flocke nicht weit von hier. Umkehren soll er, ohne weiteres zurückkommen, der Alte. (Er drängt sie hinaus, läuft an den Tisch zu Papier und Tinte.) Zu 185 verkaufe ich, 180 sogar. Wenn nur die Brüder nicht in dieser Nacht schon etwas unternehmen, und morgen früh die Börse weiß! (Er schreibt.) Ich bitte, Mark achttausend nominal Rodauer Glasfabriken – (Er springt auf und ans Fenster.) Wenn sie ihn nur noch erwischt!

Vielleicht ist Sturm gleich ins Bett gefallen; nach der Reise, mancherlei Getränk, war er hundsmüde. Artur freilich bringt es fertig, ihn im Schlaf zu überfallen. (Man hört von obenher Kinderstimmen weinen.) Ruhe!

Sie kriegen sich in die Haare, Artur vermag möglicherweise durch dies und das Pression auszuüben, findet den genialen Dreh und zwingt ihn zur Abreise mit dem Nachtzug, bevor man bei Tageslicht nüchterner Vernunft noch einmal hin und her überlegt hat. Und morgen früh sitze ich mit dem Heilsarmeebruder hier allein, pax vobiscum in der Patsche?! (Erneutes Kindergeschrei.) Ruhe! (Er zerreißt das Papier.) Das Telegramm hat bis morgen früh Zeit. Selbst muß ich die Geschichte einrenken. (Exit.) 25

 

Siebenter Auftritt

(Durch die offene Tür sieht man das erleuchtete Treppenhaus und alsbald eins – zwei – fünf – sechs Kinder im Nachtkleid über das Geländer spähen, herabkommen, in die Stube treten, sich um das älteste etwa fünfzehnjährige – Nettel Flocke – scharen und)

Papa!

(plärren. Dazu von oben wütendes Hundegebell.)

(Vorhang.)

 


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