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Drittes Stück

Wirtsstube

Eine junge Bäuerin geht durch den Raum

Casanova: Potz Blitz! Wer war das?

Fremder: Die Wirtin.

Casanova: Welche Schönheit!

Fremder: Weit und breit berühmt. Signore Alfreddo ist wohlhabend durch sie geworden. Es gibt Burschen, die eine Stunde Weges kommen, ihren Schoppen hier zu trinken.

Casanova: Sapperlot!

Fremder: Und bekommen sie doch nur selten zu sehen, äußerst selten. Und wagen auch nur verstohlen zu fragen, nachdem Alfreddo den ersten, der ein wenig näher an sie heranging, für alle Zeiten gezeichnet. Er ist wahnsinnig, was sein Weib betrifft.

Casanova: Wie heißt das Dorf?

Fremder: Torre del Greco.

Casanova: Unsagbar!

Fremder: Wir werden uns eilen müssen, bis zur Dunkelheit in die Stadt zu kommen.

Casanova: Wir haben einen tüchtigen Weg hinter uns.

Fremder: Brechen wir auf.

Casanova: Die Schwüle ist unerträglich, und es sitzt sich gut hier.

Fremder: In Neapel wird es sich besser sitzen. Bei der sore Anina.

Casanova: Wer weiß.

Fremder: Was sagen Sie?

Casanova: Daß ich hier bleibe.

Fremder: Sie scherzen.

Casanova: Warum? Der Bauer wird ein Bett haben.

Fremder: Das wohl; aber ... Sollte es möglich sein?

Casanova: Was, wenn's beliebt?

Fremder: Lassen Sie sich raten.

Casanova: Von Ihnen?

Fremder: Ich kenne alle Umstände, die in Betracht kommen. Ihr Versuch ist aussichtslos.

Casanova: Mein Versuch zu schlafen wird sehr bald von Erfolg gekrönt sein.

Fremder: Zu schlafen ist es Ihnen nicht zu tun.

Casanova: Herr, wollen Sie mir in den Weg treten?

Fremder: Gott behüte. Ich meine es gut mit Ihnen. Sie sind mir sympathisch.

Casanova: Niemand meint es so gut mit mir wie ich selbst. Niemand, kein Mensch auf der Welt übersieht die Lage besser als ich.

Fremder: Verzeihen Sie.

Casanova: Sie wären denn der Prinz von Condé.

Fremder: Wie kommt der dazu?

Casanova: Er kommt nicht mehr dazu; er ist tot. Sehen Sie zu, nach Neapel zu kommen. Glück auf den Weg.

Fremder: Sie sind gewarnt.

Casanova: Ich bin gewarnt.

Fremder: Wirtschaft!

Alfreddo (der Wirt kommt): Was soll's?

Fremder: Was ich schuldig bin?

Alfreddo: Zwei Pistolen.

Der Fremde zahlt

Alfreddo (zu Casanova): Und dieser Herr?

Fremder: Bleibt zur Nacht.

Alfreddo: Aber Sie kommen noch reichlich in die Stadt.

Fremder: Er weiß es und will trotzdem bleiben.

Alfreddo: Wir sind schlecht vorbereitet.

Casanova macht dem Wirt heimlich ein Zeichen

Alfreddo (für sich): Was heißt das?

Fremder: Wenn er doch müde ist.

Alfreddo: Es wollen Bauern auf dem Rückweg von der Stadt hier übernachten.

Casanova macht dem Wirt erneute Zeichen

Alfreddo (zu sich): Was will er nur?

Fremder: Leben Sie wohl.

Casanova: Leben Sie wohl.

Fremder: Also wirklich?

Casanova (scharf): Pst!

Alfreddo bringt den Fremden hinaus

Casanova: Es müßte mit dem Teufel zugehen!

Alfreddo (kehrt zurück): Was soll das alles, Herr?

Casanova: Pst!

Alfreddo: Ja, aber ...

Casanova: Pst! Pst! (er geht auf den Fußspitzen und mit ausgebreiteten Armen durchs Zimmer; plötzlich ruft er:) Ha!

Alfreddo: Was tun Sie? Was ist das?

Casanova: Willst du schweigen! Willst du alles vernichten? (er geht wieder wie vorher) Ha! Ha!

Alfreddo: Maria und Josef!

Casanova: Coribi, Coribi, Pamphlati, Pamphlati! Ha!

Alfreddo bekreuzigt sich

Casanova: Pamphlati, Coribi. Ha! Ha! ... So ist es Wahrheit. Ich habe es geahnt!

Alfreddo: Was gibt es denn?

Casanova: O du Glückseliger!

Alfreddo: Ich ...

Casanova: Gebenedeiter. Dem Unmündigen gibt's der Herr im Schlaf. Eine Ahnung hielt mich, eine Unruhe trieb mich, seitdem ich unter dieses Dach trat. In den Armen zuckte es – endlich, endlich entfernte sich der Überflüssige, und ich konnte zur Prüfung des Wunders schreiten.

Alfreddo: Ein Wunder?

Casanova: Ein Wunder in deiner Hütte. Das du mit bäurischer Derbheit beinahe gestört hättest. Wer heißt dich so zu brüllen? Kannst du deine Stimme nicht mäßigen? Bist du mit dem Vieh groß geworden? O Herr, deine Wege sind dunkel und unerklärlich. Statt die Würdigen zu bedenken, überschüttest du die Unwürdigen mit Segen.

Alfreddo: Mich?

Casanova: Ja, dich. O welche Chimäre! Ὦ διος ἄδυεπὲς φάτι τίς ποτε τὰς πολυχρύσου

Alfreddo: Wen beschwören Sie?

Casanova: Die neidischen Geister. Das Heer der Parasiten und Mitesser, die schon in den Lüften kreisen, dir den Schatz zu entreißen.

Alfreddo: Einen Schatz?

Casanova: Pst! Πυδὤνος αγλαἇς. ἐβἇς. Warte Bursche! (er schlägt in die Luft) Dir soll's vergehen!

Alfreddo: Einen Schatz?

Casanova: O du Spitzbube, vermaledeiter! Herbei, herbei, meine Getreuen! Und so! Und so! Aus dem Wege!

Er wischt dem Wirt eins aus

Alfreddo: Oh! Soll ich helfen?

Casanova: Siehst du wen?

Alfreddo: Nein.

Casanova: So halte dich still – Pausanias, Epaminondas, Vergil, Katull, Properz, Tibull, Seneca, Seneca! – Ah, sie weichen, sie weichen! Endlich. Ah, ah, ich bin zu Tode ermattet.

Er fällt auf einen Stuhl

Alfreddo: Herr, Herr, kommt zu Euch. Welch Entsetzen, welche Freude.

Casanova: Wo bin ich? Antonio? Der Friede glänzt an deiner Stirn. Sei demütig, o Antonio.

Alfreddo: Ich heiße Alfreddo.

Casanova: Der Himmel nennt dich Antonio. Sei es zufrieden. Dir ist ein großes Glück widerfahren.

Alfreddo: Nun? Nun? Sagen Sie es, Herr!

Casanova: Irgendwo unter dem Grunde deines Hauses, deines Besitzes liegt ein Schatz vergraben.

Alfreddo: Wirklich ein Schatz?

Casanova: So ist es. Ein weiterer Zweifel wäre Verbrechen an der Gottheit.

Alfreddo: Mein Heiland!

Casanova: Ist es zu glauben, daß einer solchen Kreatur ...

Alfreddo: Ich habe meine Verdienste, Herr, und mein Weib die ihren.

Casanova: Du bist verheiratet?

Alfreddo: Wissen Sie das nicht?

Casanova: Was schiert mich Frauenvolk?

Alfreddo: Ich rufe mein Weib, sie muß es hören.

Casanova: Zurück! Willst du dich wohl gebührlicher betragen?

Alfreddo: Ich kann es nicht erwarten.

Casanova: Das glaube ich.

Alfreddo: Es ist möglich, daß Sie sich irren.

Casanova: Ich bin Doctus.

Alfreddo: Verzeihen Sie, aber wie kommt der Schatz hierher? Ist er groß?

Casanova: Groß.

Alfreddo: Er gehört mir, wenn er doch auf meinem Grunde liegt; ist mein, sagt das Gesetz. Die Gesetze sind sehr streng hierzulande.

Casanova: Was hier geschieht, ist himmlisch. Ist hochheilig, ist ein Wunder, und hat mit dem Gesetz nichts zu tun. Es lächelt über das Gesetz. Alles steht in der Gnade Gottes.

Alfreddo: Ich war stets ein guter Christ und bin Gottes Gnade würdig.

Casanova: Du hast es nicht verdient.

Alfreddo: Ich bin nicht schlechter als andere.

Casanova: Du mußt dich heiligen. Glaubst du, einem solchen unreinen Vieh naht sich Gott? Vermeinst du, ich lasse mich mit einer so schmutzigen Seele ein?

Alfreddo: Ich bin ein ehrlicher Mann.

Casanova: Eben noch hast du den Fremden um eine Pistole betrogen.

Alfreddo: Es ist mein Preis.

Casanova: So betrügst du einen jeden. Heilige dich. Sonst ist dir der Schatz verloren.

Alfreddo: Da ich doch weiß, wo er liegt.

Casanova: Weißt du es?

Alfreddo: Ich lasse meinen ganzen Grund umgraben.

Casanova: Du Otterngezücht, Satansbrut! Der Herr wird mit jedem Spatenstich, den du tust, den Schatz um zwei Klafter tiefer in die Erde versenken. Ich aber hebe mich von hinnen.

Alfreddo: Nein, Herr, nein doch! Ich scherzte! Ihr sollt auch einen Teil vom Schatze haben. Wieviel meint Ihr wohl? Den Zehnten?

Casanova: Ich bin Doctus, ich bin Doctissimus. Mein Lohn ist im Himmel.

Alfreddo: So ist es recht. Man soll beizeiten an die ewige Seligkeit denken.

Casanova: Heilige dich.

Alfreddo: Was muß ich tun?

Casanova: Es wird dir alsbald verkündet. – Aber ist dein Weib auch ein so schmutziges Gefäß?

Alfreddo: Sie ist rein und brav.

Casanova: Wie du.

Alfreddo: Besser sozusagen.

Casanova: Es wird unsagbare Schwierigkeiten machen. Es wird vielleicht unmöglich sein.

Alfreddo: Aber nein, Herr, nein!

Casanova: Mir scheint es beinahe; ja, ganz beinahe.

Alfreddo: Das wäre entsetzlich.

Casanova: Du bist zu sehr verworfen.

Alfreddo: Ich will mich heiligen.

Casanova: Ich versuche es. Ich befrage die Bücher. Ich beantrage die Beichte.

Alfreddo: Die Beichte beantragen?

Casanova: Setze dich. (er entnimmt seinem Gepäck ein. Buch und liest den Titel) La nouvelle Justine ou les malheures de la vertu. Hm.

Alfreddo: Das ist französisch.

Casanova: Geraten Schuft. Es ist die Sprache des Himmels. Aufgepaßt. (er murmelt vor sich hin)

Alfreddo: Was sagt das Buch?

Casanova (murmelt weiter)

Alfreddo: Ist es schwer zu erfahren?

Casanova (murmelt weiter, plötzlich): Wer schläft im Haus?

Alfreddo: Nur ich und mein Weib.

Casanova: Die Knechte, die Mägde?

Alfreddo: In den Scheunen.

Casanova: Es muß noch ein Wesen hier schlafen.

Alfreddo: Aber nein.

Casanova: Aber ja! Das Buch sagt es.

Alfreddo: Der Hund?

Casanova: Soll fort!

Alfreddo: Aber ...

Casanova: Muß fort für diese Nacht. Unter dem Dach dürfen nur geheiligte, gereinigte, geeinigte Wesen sein. Willst du den Hund heiligen?

Alfreddo: Manches Tier ist besser als ein Mensch.

Casanova: Willst du dich mit ihm einigen?

Alfreddo: Wie einigen?

Casanova: Einen. Mit ihm eins sein.

Alfreddo: Eins sein? Bin ich denn eins mit Euch?

Casanova: Du mußt es werden.

Alfreddo: Mit Euch?

Casanova: Noch heute. Denn morgen früh will ich weiter und soll schon alles geschehen sein. Heilige dich zuerst. Dann wirst du gereinigt. Wahrscheinlich ein hartes Stück. Und dann sollen unsere Leiber und Seelen den Abstand der dreißig Jahre zwischen ihnen vergessen. Doch wie verstehe ich das?

Alfreddo: Ja, wie, Herr?

Casanova: Laß mich das Buch befragen. (er murmelt wieder)

Casanova: Gemeinsam auf demselben Lager sollen wir die Nacht in brünstigem Gebet verbringen.

Alfreddo: In einem Bett?

Casanova: Mir graust! Nein, Himmel, nein, das kannst du nicht von mir verlangen. Ich bin dein gehorsamer Diener, doch du verlangst Ungeheures. Mich diesem borstigen Vieh aussetzen, zu viel, zu viel!

Alfreddo: Aber, Herr, wenn das Buch es doch so verlangt.

Casanova: Aber zum Teufel, Herr, was geht mich dein Schatz an?

Alfreddo: Aber zum Donnerwetter, wer hat mir denn davon erzählt?

Casanova: Ich sehe ein, es war unvorsichtig.

Alfreddo: Und jetzt wollen Sie plötzlich nicht mehr mittun! Wegen einer solchen Albernheit. Ich beiße Euch nicht.

Casanova: Und dein Weib? Kannst du für sie bürgen? Sie ist mir vielleicht noch unappetitlicher als du.

Alfreddo: Oho! Mein Weib! Soll das denn mittun?

Casanova: Es muß.

Alfreddo: Mit Euch?

Casanova: Wir drei, die es angeht. Im Denken und Fühlen müssen wir morgen früh gewissermaßen derselbe Mensch sein.

Alfreddo: Das ist eine kitzlige Geschichte.

Casanova: Es ist mir horrible.

Alfreddo: Die Frau könnte doch in der Scheuer schlafen.

Casanova: Es darf nichts am Gewohnten geändert werden.

Alfreddo: Der Hund geht doch auch hinüber.

Casanova: Der Hund ist Vieh.

Alfreddo: Das ist – das muß man doch überlegen.

Casanova: O du wackerer Mann! Sollte ich mich in dir getäuscht haben? Welche Hoffnung! Ja, du bist es. Ich sehe es. Du verzichtest auf den Schatz. Empört sagst du zu mir: Holla, Herr, das sind unziemliche Spaße. Gehen Sie weiter. Ich bin nur ein Bauer; aber mein Weib steht mir zu hoch; sie dient mir nicht zum Gelderwerben. Beglücken Sie, wen Sie wollen mit Ihrem Gold; mich lassen Sie ungeschoren. – Du hörst es, Himmel, er sagt es. Es ist eine große Seele. Ich habe mich gedemütigt, ich war schließlich bereit; aber er selbst, der höchst Ehrenwerte, mag nicht.

Alfreddo: Was schreien Sie so? Ich habe noch nichts gesagt.

Casanova: Aber du warst doch empört?

Alfreddo: Empört, empört! Das ist zu viel. Empörung ist etwas für reiche Leute. Verdutzt war ich, sage ich Ihnen. Nicht mehr.

Casanova: Du warst empört, Bauer.

Alfreddo: Ich war verdutzt.

Casanova: Empört!

Alfreddo: Verdutzt! Donnerwetter, ich weiß es bestimmt. Und wenn ich noch einmal überlege, dann ...

Casanova: Was?

Alfreddo: Die Sache ist so schlimm nicht.

Casanova: Wie? Nicht schlimm? Pfui Teufel. Danke. Was ist das für eine niedrige Mannsseele, die sein Weib preisgibt.

Alfreddo: Nun, nun, wenn es ein tüchtiges Stück Geld ist; es sind schlechte Zeiten, Herr. Gold ist rar. Und wenn ich meinem Weibchen ein neues Kleid schenke, gar mit Seidenbändern? Was setzt sie denn ein?

Casanova: Was sie einsetzt? Ah, jetzt weiß ich Bescheid. So ist sie also eine solche?

Alfreddo: Was für eine?

Casanova: Hm, hm.

Alfreddo: Halt Er das Maul, sonst komme ich ihm drüber!

Casanova (nach einem Augenblick): Kurz und gut, ich will nicht.

Alfreddo: Wie?

Casanova: Nein.

Alfreddo: Herr!

Casanova: Was?

Alfreddo: Reizt mich nicht!

Casanova: Ich kann tun und lassen, was ich will.

Alfreddo: Aber ich bitte Euch.

Casanova: Nein, es ist zu schmählich.

Alfreddo: Warum denn? Wir liegen zusammen, wir beten.

Casanova: Es geht nicht.

Alfreddo: Und wenn ich Ihnen sage: es muß!

Casanova: Das wollen wir doch sehen.

Alfreddo: Ja, das wollen wir sehen. Ich nehme einen Prügel und schlage ihn zu Brei.

Casanova: Besieh dir diese Klinge, Freund.

Alfreddo (fuchtelt Casanova vor dem Gesicht): Sind diese Fäuste nichts?

Casanova: Nun, so hoffe ich noch das eine: Dein Weib sträubt sich.

Alfreddo: Mein Weib gehorcht.

Casanova: Ein schönes Los.

Alfreddo: Wollt Ihr nun?

Casanova: Mir scheint, ich muß.

Alfreddo: Ich bin kein Bandit. Aber Sie haben die Geschichte angefangen; nun soll's auch geschehn.

Casanova: Leider. Ich bedaure es ungemein. Aber der Trieb war zu mächtig, (leise wie für sich) Es muß ein großer Schatz sein.

Alfreddo (gierig): Ja?

Casanova: Viel Geld. Ich fühle es.

Alfreddo: Ja? Donnerwetter, dann keine Bedenken. Und bis morgen früh muß alles geschehen sein.

Casanova: Bis morgen früh um zehn.

Alfreddo: Sie sind ein Goldpüppchen. Ich habe Euch lieb. Ich fühle mich Ihnen schon ganz nah. Ohne Scherz. Es wird da nicht mehr viel zu tun sein.

Casanova: So laß uns das letzte hören.

Alfreddo (setzt sich wieder): Ja.

Casanova (murmelt):

Eins und zwei bis Mitternacht.
Zwei, drei bis der Hahn erwacht,
Und der dritte gebe acht

Alfreddo: Wie ist das zu verstehen?

Casanova: Von jetzt bis Mitternacht sind wir beide zusammen. Das ist eins und zwei.

Alfreddo: Ist das sicher?

Casanova: Eins ist immer der Herr des Hauses, die stärkste Potenz.

Alfreddo: Aha!

Casanova: Zwei ist der Mittler.

Alfreddo: Warum?

Casanova: Sagt die Kabbala. Das ist ein alter Witz. Zwei ist immer der Mittler. Eben die Mitte zwischen eins und drei.

Alfreddo: Aha. Verstehe.

Casanova: Bleibt drei: dein Weib. Währenddem wir drinnen zusammen beten, wacht bis Mitternacht dein Weib hier vor der Tür. Das will sagen: und der dritte gebe acht. Von Mitternacht bis morgens der Hahn kräht gibst du hier acht.

Alfreddo: Ich dachte, wir drei beten gemeinsam.

Casanova: Und wer schützt das Tor vor den Parasiten, den Trabanten und den Korybanten des Teufels?

Alfreddo: Das kann nur er, Herr, denn ich sehe die Viecher gar nicht

Casanova: Deine alsdann gereinigte, geheiligte Seele versperrt ihnen den Eingang. Auf die Seele kommt's an, das Fleisch ist schwach. Keiner vermag einzudringen, wenn du gut aufpassest Das muß man auch der Frau vor allem einschärfen: gut achtgeben. Denn wenn nur einer durchschlüpft ist alle Mühe verloren.

Alfreddo: Man soll's nicht glauben.

Casanova: Ah, da sind die Vorschriften sehr streng. Ich könnte dir einen großen Vortrag halten über die Disziplin der Teufel. Sie zerfallen in drei Klassen, Urteufel, Teufel schlechthin und Teufeliden. Mit einem Worte: kein Stand ist so gut organisiert wie die Teufel. Selbst der tiers état in Frankreich nicht

Alfreddo: Ich werde sie schon in Schach halten.

Casanova: Aber dein Weib?

Alfreddo: Es wird ihr eingeschärft. Nötigenfalls eingebläut.

Casanova: So?

Alfreddo: Sie ist's gewohnt.

Casanova: Es ist Unrecht, ein Weib zu schlagen.

Alfreddo: Da lassen Sie sich von mir belehren: ein Weib braucht Schläge wie das liebe Vieh.

Casanova: Manche.

Alfreddo: Alle. Ich seh's bei den Mädchen. Die sonntags nicht ihre Tracht hat, arbeitet kommende Woche schlecht. Ausgeprobt. Und sie verlangen nichts anderes.

Casanova: Bist du sicher?

Alfreddo: Vollständig sicher. Eine merkwürdige Rasse.

Casanova: Gut. Dann gälte es zuerst, dich zu heiligen. Du nimmst dies Buch und gehst, indem du laut diese Zeilen liest, tausend Schritt die Straße gegen die Kirche geradeaus und kehrst wieder hierher.

Alfreddo: Das hat einen Haken, Herr. Ich kann nicht lesen.

Casanova: Gut. Aber eine Litanei kannst du.

Alfreddo: Freilich.

Casanova: So sage sie her und wandle den befohlenen Weg. Aber erst schicke mir dein Weib, daß ich es vorbereite. – Oder besser erst noch eins. Ich will dir aus meinem eigenen Vermögen hundert Pistolen auf den Tisch legen, wenn du mir das alles erläßt. Es ist mir zu peinlich, mit dir, mit einem fremden Weibe das Lager zu teilen.

Alfreddo: Nichts mehr davon, Herr, nichts mehr davon.

Casanova: O du habgieriger Bauer!

Alfreddo: Es sind schlechte Zeiten, Herr, und meinem Weibe tut eine Nacht beten einmal sehr wohl.

Casanova: Ich habe alles getan.

Alfreddo: Ihr habt noch sehr wenig getan. Ich hoffe aber. daß Ihr noch viel an mir tun werdet (er ruft) Maria!

Casanova: Maria, o Wort des Himmels.

Maria (kommt): Bauer?

Alfreddo: Dieser Herr hat dir etwas zu sagen. Daß du aufmerkst und ihm in allem folgst. Sonst – du kennst mich.

Maria: Ja, Bauer.

Alfreddo: Tausend Schritt?

Casanova: Tausend Schritt.

Alfreddo (geht murmelnd hinaus)

Casanova: O du liebe Frau.

Maria: O mein Herr.

Casanova: Du bekommst Schläge von diesem Ungeheuer, diesem Barbaren.

Maria: O mein Herr.

Casanova: Dieser zarte Leib, diese vollendeten Glieder unter dem Stock dieses Lümmels. Dieser Hals, der geschaffen ist einen Fürsten des Geschmacks durch seine Vollendung zu begeistern, dieser Rücken, dieser Busen, wie ihn Raffael nicht fand. Ach, und dieses Haupt mit dem Kissen schwarzer Haare. Diese duftenden, diese schweren, schönen, glänzenden Haare tragen eine Dornenkrone.

Er küßt sie aufs Haar

Maria: O mein Herr.

Casanova: Hände, ihr müßt arbeiten, schmutzige, schwere Arbeit verrichten, für die ihr nicht gelohnt werdet. Weniger als an eine Dienstmagd gelangt an dich das große, schöne, heilige Leben mit seinen neuen Freuden jeden Tag. Keine Aussicht hast du für morgen, keine zarte Hoffnung für den nächsten Tag, und bald ist deine Jugend vergangen, diese überirdische Schönheit die mich trunken macht, da ich dich anschaue. Weißt du, daß du Correggios Jo gleichst und einer Lucrezia, die ich in Rom kannte, das schönste Weib, das ich je gesehen.

Maria: O mein Herr.

Casanova: Bedenkst du auch, welches Glück dir von diesem Menschen gestohlen ist, der dich seit Jahren in Gefangenschaft hält? Weißt du etwas von solchen Küssen?

Maria: O mein Herr, o mein Herr ...

Casanova: Still. Höre mir zu und vertraue mir. Alles, was heute geschieht, füge dich ihm. Frage nicht und gib dich hin. Sage womöglich kein Wort, auf daß du nichts zerstörst von dem Wundervollen, das kommen soll. Gott schickt mich dir wie einen Engel in dein finsteres Elend. Gott hat Erbarmen mit dir und sendet dir Freude auf Leid und bestraft diesen Elenden. – Doch eines Maria: hast du mich lieb?

Maria: O mein Herr.

Casanova: Sieh mich an. Die Welt ist so schön. Glaubst du das auch? Es gibt Dinge ... Dein süßes Ohr. Warum schließt du die Augen, Maria, warum schließt du sie fester? Was überläuft dich, Maria, so sonderbar?

Maria (tut die Arme um seinen Hals): O mein lieber, mein lieber Herr.

Casanova: Evviva! Und du wirst staunen, Lieb. Wie wirst du deine Augen wieder weit öffnen, wenn du siehst und hörst, was sich ereignet. Der Himmel kommt zu uns, Maria, heute nacht.

Maria: Herr!

Casanova (küßt sie): Maria ... Still. Er kommt. Halte dich gut und schweige.

Alfreddo (kommt): Da bin ich. Wie ging es?

Casanova: Ein wenig besser, als ich gedacht.

Alfreddo: Nun gut. So ist alles fertig.

Casanova: Gefehlt. Fühlst du dich schon sündenrein? Das wird mit dir noch Mühe kosten. Ich habe das Buch befragt, und es schreibt für dich noch eine ganze Reihe von außerordentlichen Übungen ausdrücklich vor.

Alfreddo: Ich meine, es wäre nun genug.

Casanova: Ganz wie es beliebt. Keinem ist es lieber als mir, wenn die ganze Sache zu Ende kommt

Alfreddo: Was soll's denn noch?

Casanova: Du wirst es sofort hören.

Alfreddo: Und die Frau?

Casanova: Ist würdig.

Alfreddo: Sagt das Buch?

Casanova: Sagt das Buch. Sie mag uns das Bett bereiten.

Alfreddo: Und ich bin müde, Himmelkreuzdonnerwetter!

Casanova: Fluche nicht Unglücklicher.

Alfreddo: Also fangt schon an. (zu Maria) Geh hinein und warte.

Casanova: Dir werde ich's jetzt eintränken, Freundchen.

 

Derselbe Raum. Es ist dunkel

Alfreddo hat eine Stallaterne neben sich postiert and sitzt schlafend Tor der Tür zum Nebenzimmer auf einem Stuhl

Alfreddo (erwacht): Ich habe doch nicht vielleicht geschlafen? I wo. Betäubt war ich einen Augenblick. Hat mir wohl so ein verdächtiges Luder eins versetzt. Wird doch nichts geschehen sein? Daß es nicht etwa hineingekommen ist (er sieht durchs Schlüsselloch) Scheint ja nicht; alles ist ruhig. Herrgottsaxen, was so eine Geschichte für Not macht Das Kreuz ist mir lahm, ich bin zerschlagen. Erst diese Übungen: Dreimal um den Saal herum auf allen vieren kriechen, dazu das Paternoster sagen, über Tisch und Stühle springen, und zum Schluß befahl dieses vermaledeite Buch, daß mir der Buckel verhaut wurde. Und das bei dieser entsetzlichen Hitze und schwülen Luft. Aber macht nichts. Bald ist alles überstanden und ich werde für meine Mühsal belohnt, (er hebt die Lampe) Schleicht da nicht so ein gottverdammtes Vieh heran? Mein Lieber, da wirst du dich schneiden. Hier kommst du nicht vorbei. Meine Seele ist makellos. Kehre nur um, das ist gescheiter. Hier hast du nichts verloren. Mir ist allweil, es fliegen da mehrere über die Mitten vom Zimmer. Die Stelle ist mir schon lang verdächtig. Es war auch da, wo er das erstemal »Ha« schrie. Josef, hatte ich mich erschrocken. Erst dachte ich, er sei wahnsinnig geworden, (er nähert sich der Stelle) Dies verdammte Beten! Was der Mensch für Sprüche wußte. Das war ganz kolossal! Ein sehr frommer Herr. Und dann immer wieder die Geschichte mit dem Kolibri: Kolibri, Kolibri, Pamphlati! Das muß sehr wichtig sein. Eigentlich dachte ich immer, ein Kolibri wäre so eine Art wildes Tier. Große Gelehrsamkeit! Aber hier sieht man doch wenigstens, wozu sie gut ist. Wenn ich einmal ein Bübchen habe ... Das gibt Reputation. Gold! Gold! Wenn man wüßte, wieviel es ist; wenn man von den Zinsen leben könnte. Ich zöge in die Stadt, ja, in die Stadt. Aber die Maria? Ja mei! Die Maria und die Stadt. So was gehört aufs Land. Da müßte man sich ja genieren, mit so einem Bauernmensch! Sie ist sonst nicht übel; aber für einen besseren Stand ... o Jesus! Da gibt's nichts. Gott, die findet man zur Not noch ab, wenn man 's Geld hat. Er hat doch selbst gesagt, es sei eine tüchtige Portion. Ist mir denn nicht eingefallen, meine Großmutter selig hat mir einmal gesagt, als die Franzosen unter König Philipp – das heißt, dieser war kein Franzos – kurz und gut, da hätte alle Welt sein Geld vergraben. Das ist so, meiner Seel, das hat sie gesagt. Diese selbe Stelle! Ich möchte meinen, mir juckt es auch schon in den Händen, als müßte ich anfangen zu graben, wie ein Dachs. – Es wird Tag, beim Himmel, es wird Tag! Ich bin bewegt, eine heilige Stimmung ist über mich gekommen, so war mir nicht seit der Firmung. Wahrhaftig eine Hitze. Ob sie nicht bald aufstehn? Es hieß doch: bis der Hahn erwacht, (er steht am Fenster) Ja, was ist jetzt dies? Die Sonne ist schon da, und dies verdammte Vieh will nicht auf. Sonst kräht das Luder in die schwarze Nacht hinein. Hätte ich nur einen Stein ... Da liegt die ganze Hühnerbagage und er in der Mitte. Hat das Biest einen schönen Traum und läßt ihn nicht aus, sapperment Und ob sie wohl von selbst ein Ende machen? (er sieht durchs Schlüsselloch) Wieder nichts. Der nimmt die Geschichte streng; ich weiß es von mir selbst her.

Draußen kräht ein Hahn

Alfreddo: Gelobt sei Jesus Christus! Er hat ausgeträumt Jetzt steht aber gar nichts mehr im Wege. (er klopft an die Tür) Keine Antwort? (er klopft wieder) Hallo! Hallo!

Casanovas Stimme: He?

Alfreddo: Der Hahn hat gekräht

Casanovas Stimme: So. Warum?

Alfreddo: Warum? Ja, wieso? Was soll das heißen?

Casanovas Stimme: Ehe der Hahn kräht wirst du mich verraten!

Alfreddo: Schon recht (bei sich) Hör endlich auf mit deinen Bibelsprüchen. Kommen Sie?

Casanovas Stimme: Apage Satanas!

Alfreddo: Bald?

Casanovas Stimme: Gleich, gleich.

Alfreddo: O! O! O! Trallalala! Es fängt an! Man könnte gleich hinwerden vor Freude. Und jeden Lohn hat er ausgeschlagen. Für seine Seligkeit wollte er sorgen, hat er gesagt. Ich will ihn expreß vorher noch einmal fragen. Besser, ich erwähne die Geschichte eher gar nicht mehr. Ist der Schatz zutage, und will der Herr mir dann Sperenzien machen, so bin ich der Stärkere.

Casanova (kommt): Mein Gott ist das eine unerträgliche Schwüle.

Alfreddo: Eine sakrische Hitze.

Casanova: Guten Morgen.

Alfreddo: Nun?

Casanova: Wie?

Alfreddo: Wenn ich fragen dürfte ...

Casanova: Du darfst nicht fragen, Wage es nicht zu fragen. Es ist schon gut, es ist gut. (bei sich) Ich muß mich erst wieder zurechtfinden. Gebenedeite Frau! Wie bekomme ich den Kerl vom Halse. Die Sache wird ernst; aufgepaßt.

Alfreddo: Was geschieht nun?

Casanova: Wüßt ich's doch.

Alfreddo: Was muß ich tun?

Casanova: Das Maul halten.

Alfreddo: Soll Maria nicht dabei sein?

Casanova: Später.

Alfreddo: Alsdann ...

Casanova: Setze die Lampe hier in die Mitte der Stube.

Alfreddo: Dachte ich's doch!

Casanova: Was?

Alfreddo: Daß dies die Stelle ist.

Casanova: Es ist aber nicht die Stelle.

Alfreddo: Was soll denn die Lampe dort?

Casanova: Was der Mensch nicht alles fragt! Also setz' schon die Lampe dahin. Alsdann gehst du hinein und schickst dein Weib her.

Alfreddo: Ja, aber ...

Casanova: Kein aber; um Gottes willen nicht! Die heilige Handlung beginnt. Darinnen zählst du langsam zehnmal bis zwanzig. Dann erscheinst du wieder vor mir, bleibst lautlos im Hintergrund und verteidigst die Türe gegen jedermann. Aber auch gegen jedermann, verstehst du?

Alfreddo (geht): Ich verstehe schon.

Casanova (über seinem Gepäck): Eine Million Pistolen war das Glück dieser Nacht wert. Tausend zahle ich abschläglich, (er entnimmt das Gold)

Maria (kommt)

Casanova: Maria, nimm dies und verstecke es irgendwo im Keller an einem Platz, an den sonst niemand kommt. Du verstehst mich, Maria?

Maria: Gewiß, Herr.

Casanova: Es muß ganz den Anschein erwecken. Eile dich und laß dich nicht erwischen. Und sei froh, bis ich wiederkehre, bald wiederkehre. Willst du mir noch etwas sagen, Maria?

Maria (ringt nach einem Ausdruck): O ... ich danke dir, Herr.

Casanova: Ich aber danke dir tausendmal, (er küßt sie) Leb wohl, lebe wohl, Maria.

Maria (geht langsam)

Casanova (folgt ihr mit den Augen)

Es donnert

Casanova: Hallo, was war das?

Alfreddo (erscheint in der Tür): Ich bin da.

Casanova (beginnt in seltsamen Schritten und Sprüngen sich um die Laterne zu bewegen):

Hekuba! Hekuba!
Beim Zwielicht eines Mondscheinkuchens.
Hekuba!
Beim Kuchen eines Zwielichtmondscheins.
Hekuba!
Beim Mondschein eines Kuchenzwielichts.
Hekuba!

Ein furchtbarer Donnerschlag erfolgt

Alfreddo: Heiland, das hat gezündet!

Casanova (tanzt rasender): Mondscheinkuchen! Zwielichtmondschein! Kuchenzwielicht! Hekuba! Hebuka! Hekuba!

Blitz und Donnerschlag

Alfreddo: Sei meiner armen Seele gnädig.

Casanova (immer rasender): Kuchenhekuba! Hekubakuchen! Mondscheinmondschein!

Knechte und Mägde (kommen gelaufen): Bauer! Die Scheune brennt!

Alfreddo: Heilige Jungfrau! Ich komme, ich komme!

Casanova: Wirst du bleiben! Die Zeremonie. Mondscheinkuchen ...

Alfreddo (läuft davon): Meine Scheuer brennt!

Casanova (erschöpft): Gott und alle Heiligen sind gelobt! Eine Minute später und ich war dem Irrsinn verfallen. Doch nun fort!

Maria (kommt)

Casanova: Wie bekomme ich mein Pferd? Der Stall ist am Haus, die Scheuer dort drüben an der anderen Seite. Es muß gehen; aber geschwind; Maria, geschwind! Hast du es gut untergebracht?

Maria (nickt)

Casanova: Lebe wohl, herrliche Maria vom Torre del Greco!

Beide schnell ab

Donner und Blitz

Alsbald sieht man Casanova zu Pferde davon, Maria ihm nachwinkend


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