Ernst Stadler
Gedichte
Ernst Stadler

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Ballhaus

1912

       

Farbe prallt in Farbe wie die Strahlen von Fontänen, die ihr Feuer ineinanderschießen,

Im Geflitter hochgeraffter Röcke und dem Bausch der bunten Sommerblusen. Rings von allen Wänden, hundertfältig

Ausgeteilt, strömt Licht. Die Flammen, die sich zuckend in den Wirbel gießen,

Stehen, höher, eingesammelt, in den goldgefaßten Spiegeln, fremd und hinterhältig,

Wie erstarrt und Regung doch in grenzenlose Tiefen weiterleitend, Leben, abgelöst und fern und wieder eins und einig mit den Paaren,

Die im Bann der immer gleichen Melodien, engverschmiegt, mit losgelassnen Gliedern schreitend,

Durcheinanderquirlen: Frauen, die geschminkten Wangen rot behaucht, mit halb gelösten Haaren,

Taumelnd, nur die Augen ganz im Grund ein wenig matt, die in das Dunkel leerer Stunden laden,

Während ihre Körper sich im Takt unkeuscher Gesten ineinanderneigen,

Ernsthaft und voll Andacht: und sie tanzen, gläubig blickend, die Balladen

Müd gebrannter Herzen, lüstern und verspielt, und vom Geplärr der Geigen

Wie von einer zähen lauen Flut umschwemmt. Zuweilen kreischt ein Schrei. Ein Lachen gellt. Die Schwebe,

In der die Paare, unsichtbar gehalten, schaukeln, schwankt. Doch immer, wie in traumhaft irrem Schwung

Schnurrt der Rhythmus weiter durch den überhitzten Saal . . . Daß nur kein Windzug jetzt die roten Samtportieren hebe,

Hinter denen schon der Morgen wartet, grau, hager, fahl . . . bereit, in kaltem Sprung,

Die Brüstung übergreifend, ins Parkett zu gleiten, daß die heißgetanzten Reihen jählings stocken, Traum und Tanz zerbricht,

Und während noch die Walzerweise sinnlos leiernd weitertönt,

Tag einströmt und die dicke Luft von Schweiß, Parfum und umgegossnem Wein zerreißt, und durch das harte Licht,

Fernher rollend, ehern, stark und klar, das Arbeitslied der großen Stadt durch plötzlich aufgerissene Fenster dröhnt.

 


 


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