Ernst Stadler
Der Aufbruch
Ernst Stadler

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Ernst Stadler

Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht

1914

Der Schnellzug tastet sich und stößt die Dunkelheit entlang.

Kein Stern will vor. Die ganze Welt ist nur ein enger, nachtumschienter Minengang,

Darein zuweilen Förderstellen blauen Lichtes jähe Horizonte reißen: Feuerkreis

Von Kugellampen, Dächern, Schloten, dampfend, strömend . . nur sekundenweis . .

Und wieder alles schwarz. Als führen wir ins Eingeweid der Nacht zur Schicht.

Nun taumeln Lichter her . . verirrt, trostlos vereinsamt . . mehr . . und sammeln sich . . und werden dicht.

Gerippe grauer Häuserfronten liegen bloß, im Zwielicht bleichend, tot – etwas muß kommen . . o, ich fühl es schwer

Im Hirn. Eine Beklemmung singt im Blut. Dann dröhnt der Boden plötzlich wie ein Meer:

Wir fliegen, aufgehoben, königlich durch nachtentrissne Luft, hoch übern Strom. O Biegung der Millionen Lichter, stumme Wacht,

Vor deren blitzender Parade schwer die Wasser abwärts rollen. Endloses Spalier, zum Gruß gestellt bei Nacht!

Wie Fackeln stürmend! Freudiges! Salut von Schiffen über blauer See! Bestirntes Fest!

Wimmelnd, mit hellen Augen hingedrängt! Bis wo die Stadt mit letzten Häusern ihren Gast entläßt.

Und dann die langen Einsamkeiten. Nackte Ufer. Stille. Nacht. Besinnung. Einkehr. Kommunion. Und Glut und Drang

Zum Letzten, Segnenden. Zum Zeugungsfest. Zur Wollust. Zum Gebet. Zum Meer. Zum Untergang.


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