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Mein Vater, Karl Heinrich Spohr, Doctor der Arzneikunde, später Medicinalrath, war der Sohn eines Predigers zu Woltershausen im Hildesheimischen. Er hatte sich am 26. November 1782 mit Ernestine Henke, Tochter des Predigers an der Aegydienkirche zu Braunschweig, verheirathet und die erste Zeit bei den Schwiegereltern im Pfarrhause gewohnt. Das Gebäude ist noch vorhanden und bildet unter Nr. 7 die Ecke des Aegydienkirchhofs in der Mönchsstraße. Man hat es seit längeren Jahren dem Militärmusikinstitute eingeräumt, nachdem das Kirchspiel in westphälischer Zeit aufgehoben worden war. Ich war das älteste Kind dieser Ehe und wurde am 5. April 1784 geboren; zwei Jahre nachher ward mein Vater als Physicus nach Seesen versetzt. Meine frühesten Erinnerungen reichen bis zu jenem Umzuge hinauf, indem mir stets der Eindruck gegenwärtig geblieben ist, den das Weinen meiner Mutter, als sie nach dem Abschied von ihren Eltern in dem einfachen und etwas ländlichen Hause zu Seesen ankam, auf mich machte; auch erinnere ich mich noch des Geruchs frisch geweißter Wände, der mich daselbst unangenehm berührte, wie mir denn stets eine ungewöhnliche Empfänglichkeit und Feinheit der Sinne eigen geblieben ist.

In Seesen wurden mir vier Brüder und eine Schwester geboren.

Die Eltern waren musikalisch; der Vater blies Flöte, die Mutter, Schülerin des Kapellmeisters Schwaneberger in Braunschweig, spielte sehr fertig das Clavier und sang die italienischen Bravourarien der damaligen Zeit. Da sie sehr oft des Abends musicirten, so wurde der Sinn und die Liebe zur Tonkunst schon früh bei mir geweckt. Zuerst begann ich, mit einer klaren Sopranstimme begabt, zu singen, und im vierten oder fünften Lebensjahre schon, durfte ich in Duetten mit der Mutter an den Abendmusiken Theil nehmen. Um diese Zeit war es, daß mir der Vater, meinem dringend geäußerten Wunsche nachgebend, auf einem Jahrmarkte eine Geige kaufte, auf der ich nun unaufhörlich spielte. Zuerst versuchte ich, die früher gesungenen Melodieen herauszubringen und war überglücklich, wenn die Mutter dazu accompagnirte.

Bald darauf bekam ich Unterricht beim Rektor Riemenschneider, und noch ist mir erinnerlich, daß ich nach der ersten Stunde, in der ich den G-dur-Accord auf allen vier Saiten der Geige hatte greifen lernen, im Entzücken über den Wohlklang desselben zur Mutter in die Küche eilte und ihr so unaufhörlich den Accord vorharpeggirte, daß sie mich hinausjagen mußte. Als ich nun die Griffe der Geige nach Noten erlernt hatte, durfte ich auch als Geiger des Abends mitmusiciren, und besonders waren es drei Trios von Kalkbrenner für Piano, Flöte und Violine, die eingeübt und dann vor den Freunden des Hauses vorgetragen wurden.

Etwa um das Jahr 1790 oder 91 kam ein französischer Emigrant, Namens Dufour, nach Seesen, der, obgleich nur Dilettant, doch ein sehr fertiger Geiger und Violoncellist war. Er ließ sich dort nieder, erhielt Freitische bei den wohlhabenderen Einwohnern und ernährte sich durch Sprachunterricht. An den Tagen, wo er zu meinen Eltern kam, wurde nach Tisch jedes Mal musicirt, und mir ist erinnerlich geblieben, daß ich bis zu Thränen gerührt war, als ich ihn zum ersten Male spielen hörte. Nun ließ ich den Eltern keine Ruhe, bis ich bei ihm Unterricht erhielt.

Dufour, erstaunt über meine schnellen Fortschritte, war der Erste, welcher die Eltern zu bereden suchte, mich ganz der Musik zu widmen. Der Vater, der mich früher für das Studium der Medicin bestimmt hatte, ging bei seiner Vorliebe für die Musik bald darauf ein, hatte aber einen harten Kampf deshalb mit meinem Großvater, der sich unter einem Musiker nur einen Bierfiedler, der zum Tanze spielt, denken konnte. Später wurde mir die Genugthuung, nach meiner so frühen Anstellung als Kammermusikus in Braunschweig, dem alten Großvater, der mich sehr lieb hatte, eine bessere Meinung von der erwählten Künstlerlaufbahn beibringen zu können.

Während des Unterrichts bei Herrn Dufour machte ich auch meine ersten Compositionsversuche, bevor ich noch irgend einen Unterricht in der Harmonie erhalten hatte. Es waren Duette für zwei Violinen, die ich mit meinem Lehrer in den Abendmusikpartien vortrug und damit die Eltern im höchsten Grade überraschte. Noch erinnere ich mich des stolzen Gefühls, nun auch als Componist vor den Freunden des Hauses auftreten zu können. Als Honorar erhielt ich von den Eltern einen Prachtanzug, bestehend in einer rothen Jacke mit Stahlknöpfen und einem gelben Beinkleid nebst Schnürstiefeln mit Quasten, warum ich schon lange, wiewohl vergebens, sollicitirt hatte. Die Duetten, die der Vater sorgfältig aufgehoben hat, sind zwar incorrekt und kindisch, haben aber doch eine Form und einen fließenden Gesang.

Dieser erste glänzende Erfolg in der Composition hatte mich so begeistert, daß ich von nun an fast alle Stunden, die mir die Schule frei ließ, ähnlichen Versuchen widmete; ja ich wagte mich sogar an eine kleine Oper, deren Text ich aus dem Weiße'schen Kinderfreund nahm. Charakteristisch möchte es sein, daß ich bei dem Titel begann und diesen vor allen Dingen mit Tusche erst recht schön ausmalte; dann folgte die Ouvertüre, dann ein Chor, dann noch eine Arie, bei der aber die Arbeit in's Stocken gerieth. Da ich noch nie einer Opernaufführung beigewohnt hatte, so entnahm ich die Form zu diesen Musikstücken den Opern von Hiller »die Jagd« und »Lottchen am Hofe,« welche die Mutter im Clavierauszuge besaß und oft mit mir und dem Vater gesungen hatte. Ich fühlte jedoch bald, daß es mir für ein solches Unternehmen noch an Wissen und Geschick fehle und wandte mich zu anderen Versuchen. Dabei hatte ich aber einen harten Strauß mit dem Vater, der fest darauf bestand, jede begonnene Arbeit müsse erst vollendet sein, bevor eine andere angefangen werden dürfe, und nur, weil der Vater sich überzeugte, daß ich so bedeutenden Arbeiten noch nicht gewachsen sei, durfte dies Mal eine Ausnahme gemacht werden; später nie wieder. Dieser Strenge habe ich meine Ausdauer in der Arbeit zu danken und bin der väterlichen Lehre stets eingedenk gewesen.

Da der Vater liebte, die Arbeiten seines Knaben zu beaufsichtigen, so gestattete er mir, mich in seiner Studirstube zu etabliren und ließ sich durch das Singen, Brummen und Pfeifen des kleinen Komponisten nicht stören. Hatte dieser dann etwas Falsches aufgeschrieben, was oft genug geschah, und war genöthigt, es auszustreichen, so hörte dies der Vater sogleich und sagte halb ärgerlich: »Nun macht der dumme Junge wieder Fenster!« So nannte er die Querstriche durch die Notenlinien beim Ausstreichen. Dies war mir empfindlich, und ist wohl die Veranlassung, daß ich mich zeitig gewöhnte, eine reinliche Partitur, in der nichts ausgestrichen sein durfte, zu schreiben.

Als es nun auf Dufour's Zureden beschlossen war, daß ich mich ganz der Musik widmen sollte, drang dieser darauf, daß ich nach Braunschweig gesandt werde, um weiteren, namentlich theoretischen Unterricht in der Musik zu erhalten. Dies konnte jedoch nicht geschehen, bevor ich confirmirt war. Nach einem streng befolgten Gesetz durfte die Confirmation im Herzogthum Braunschweig nicht vor dem vierzehnten Jahre stattfinden; um nun keine Zeit zu verlieren, wurde ich im zwölften Jahre zum Großvater in das Hildesheimische geschickt, wo es der Entscheidung der Prediger überlassen war, wie bald die Kinder zur Confirmation zugelassen werden sollten. Hier erhielt ich während eines Winterhalbjahres von dem gelehrten Großvater nicht nur in der Religion, sondern auch in manchen anderen Dingen Unterricht; nur für Musikstunden war nicht gesorgt, da weder der Großvater, noch die Oheime etwas davon verstanden. So mußte ich denn zwei Mal in der Woche mit meiner Geige nach der Stadt Alfeld wandern und mit dem dortigen Cantor musiciren. Wie beschwerlich auch diese Wege bei der häufig unfreundlichen Winter-Witterung waren, so freute ich mich doch stets darauf, hauptsächlich wohl deshalb, weil ich mich dem Lehrer überlegen fühlte und diesen durch mein fertiges Notenlesen in Verlegenheit setzte, ja nicht selten den heimlichen Triumph hatte, ihn stecken bleiben zu sehen.

Auf der Hälfte des Wegs nach Alfeld lag eine einsame Mühle. Dort war ich bei einem starken Regenguß einmal eingetreten und hatte die Gunst der Müllerin so sehr gewonnen, daß ich von da an stets vorsprechen mußte, mit Kaffee, Kuchen und Obst gelabt wurde, und ihr dann zum Dank etwas auf der Violine vorphantasirte. Noch ist mir erinnerlich, daß ich sie einst mit Variationen von Wranitzky über das Thema »Du bist liederlich,« worin alle die Kunststückchen vorkamen, womit Paganini später die Welt entzückte, so außer sich setzte, daß sie mich an dem Tage gar nicht wieder von sich lassen wollte.

Nach der Rückkehr von Woltershausen wurde ich nun bald nach Braunschweig geschickt und in dem Hause des reichen Honigkuchenbäckers Michaelis, wo der Vater früher Arzt gewesen war und einst die Frau von der Wassersucht kurirt hatte, wie ein Kind des Hauses aufgenommen und von allen Bewohnern desselben mit Liebe behandelt.

Mit Eifer begann ich meine musikalischen und anderen Studien. Den Violinunterricht gab mir der Kammermusikus Kunisch, ein gründlicher und freundlicher Lehrer, dem ich viel verdanke. Nicht so freundlich war der Lehrer in der Harmonie und im Contrapunkt, ein alter Organist Namens Hartung, und noch weiß ich, wie dieser mich einst bös anfuhr, als ich ihm bald nach Beginn des Unterrichts eine Composition zur Ansicht vorlegte. »Damit hat es noch lange Zeit; erst muß man was lernen!« meinte er. Nach einigen Monaten munterte er mich jedoch selbst auf, nun Versuche in der Composition zu machen, corrigirte dann aber so unbarmherzig und strich so viele nach meiner Meinung herrliche Gedanken, daß ich alle Lust verlor, ihm wieder etwas vorzulegen. Nicht lange nachher hörte wegen Kränklichkeit des alten Mannes der Unterricht auf und ist der einzige geblieben, den ich je in der Theorie gehabt habe. Ich war nun genöthigt, Belehrung in theoretischen Werken zu suchen; hauptsächlich half mir aber das Lesen guter Partituren, die ich durch Vermittlung meines Lehrers Kunisch aus der Theaterbibliothek geliehen bekam. So gelang es mir bald, correkt in der Harmonie schreiben zu lernen, und ich wagte es nun zum ersten Mal, in Braunschweig mit einer Violincomposition öffentlich aufzutreten. Es geschah dies im Schulconcert der Katharinen-Schule, die ich als Secundaner besuchte. Diese Concerte waren zur Uebung des Schulchors von dem Präfekten desselben errichtet, wurden aber durch die Theilnahme mehrerer Mitglieder der Hofkapelle, der Stadtmusiker und geschickter Dilettanten so bedeutend, daß man immer größere Werke aufführen konnte, wie Cantaten, Symphonien und Instrumental-Concerte. Von nun an wurde Alles genau eingeübt, und die Aufführungen, die in dem ziemlich großen Prima-Saale stattfanden, erlangten bald so viel Ruf, daß man ein kleines Eintrittsgeld zur Bestreitung der Kosten erheben durfte. In einem dieser Concerte trat ich also zum ersten Mal in meiner Vaterstadt auf und erwarb so viel Beifall, daß ich nun auch zur Mitwirkung in den Abonnementsconcerten des Deutschen Hauses aufgefordert wurde und das dafür übliche Honorar empfing. Diese erste Einnahme, die ich mir als Künstler erwarb, machte mich sehr glücklich, und noch erinnere ich mich des stolzen Gefühls, mit welchem ich es den Eltern meldete. Nun spielte ich auch in den Abonnementsconcerten öfters Solo und in der Regel eigene Compositionen. Auch in dem Theaterorchester durfte ich zu meiner Uebung mitwirken und lernte dadurch viel gute Musik kennen.

In dieser Zeit, wo ich noch meine klare, hohe Sopranstimme hatte, gewährte es mir auch viel Freude, mich dem Schulchor bei seinen Wanderungen durch die Stadt anzuschließen. Der Präfektus, der später als Bassist berühmt gewordene Theatersänger Strohmeyer, übertrug mir sehr gern die Sopran-Soli, da ich sie fehlerfrei a vista sang.

Mein Lehrer Kunisch, der mir väterlich wohlwollte, drang nun darauf, daß ich bei dem besten Geiger der Braunschweiger Kapelle, dem Concertmeister Maucourt, Unterricht nähme. Der Vater willigte gern ein, obgleich es ihm sehr sauer wurde, das für diesen Unterricht höhere Honorar anzuschaffen, um so mehr, da ich das Michaelis'sche Haus hatte verlassen müssen, weil man mir kein besonderes Zimmer einzuräumen vermochte, und ich mit den Kindern des Hauses in derselben Stube unmöglich ruhig spielen und componiren konnte. Eine weitere Folge dieses Wohnungswechsels war, daß mir der Vater bei seinen früheren Bekannten Freitische ausmachen mußte, was seinem ehrgeizigen Sohne sehr empfindlich war. Doch wurde ich von allen diesen Leuten freundlich behandelt, und so verlor sich das Drückende meiner Lage bald. Ich bewohnte nun mit einem anderen Secundaner ein Zimmer im Hause des Cantor Bürger, konnte aber dort ungestört üben und componiren, da mir der Hauswirth, der sich für mein Musiktreiben interessirte, sein Musikzimmer mit dem Pianoforte zur Verfügung gestellt hatte.

Durch den Unterricht des Herrn Maucourt wurde ich immer mehr zu einem für meine Jahre ausgezeichneten Solospieler ausgebildet, und nach etwa einem Jahre, als es dem Vater bei'm Heranwachsen der übrigen Kinder nicht mehr möglich war, die Kosten für den theuern Aufenthalt in Braunschweig zu erschwingen, hielt er mich für weit genug fortgeschritten, um nun als reisender Künstler mein Glück in der Welt versuchen zu können. Er beschloß daher, mich zuerst nach Hamburg zu schicken, wohin er mir Empfehlungen an frühere Bekannte mitgeben konnte.

Gewohnt, dem Vater in Allem zu gehorchen und gern geneigt, mich bereits für ein großes Licht zu halten, hatte ich dagegen nichts einzuwenden. Erscheint es nun höchst abenteuerlich, einen Knaben von vierzehn Jahren, sich selbst überlassen, auf gut Glück in die Welt zu schicken, so findet dies seine Erklärung in dem Charakter und den Schicksalen des Vaters. Dieser, im höchsten Grade kühn und unternehmend, hatte sich im sechszehnten Jahre auch schon emancipirt. Um einer Schulstrafe zu entgehen, war er von der Schule zu Hildesheim entflohen, hatte sich auf höchst kümmerliche Weise in Hamburg, Anfangs als Sprachlehrer, später durch Unterrichtertheilen an der Büsching'schen Handelsschule, ernährt, dann mehrere Universitäten besucht, sich immer ohne alle Unterstützung von Haus, bei großen Entbehrungen durch Unternehmungsgeist und angestrengte Thätigkeit durchgeschlagen, und endlich nach einer höchst abenteuerlich verlebten Jugend zum praktischen Arzte in Braunschweig emporgeschwungen. Er fand es nun sehr natürlich, daß sich der Sohn auf gleiche Weise versuchen müsse, obgleich die Mutter bedenklich den Kopf schüttelte. Dürftig mit Reisegeld, aber mit vielen guten Lehren versehen, wurde ich auf der Post nach Hamburg spedirt. Noch ganz voll von dem lebhaften Eindruck, den die wogende Handelsstadt und die zum ersten Mal gesehenen Seeschiffe auf mich gemacht hatten, ging ich wohlgemuth und voller Hoffnungen zum Professor Büsching, an den mich der Vater adressirt hatte. Aber wie bald sollten diese vernichtet werden! Der Professor, nachdem er den Brief mit immer wachsendem Erstaunen gelesen hatte, rief aus: »Ihr Vater ist doch immer noch der Alte! Welche Tollheit, einen Knaben so auf gut Glück in die Welt zu senden!« Dann setzte er mir auseinander, daß, um ein Concert in Hamburg zu Stande zu bringen, man bereits einen berühmten Namen oder wenigstens die Mittel besitzen müsse, die bedeutenden Concertunkosten tragen zu können; daß aber im Sommer, wo alle reichen Leute auf ihren Landsitzen wohnten, ein solches Unternehmen vollends ganz unausführbar sei. Durch diese Erklärung wie vernichtet, wußte ich keine Sylbe zu erwidern und konnte kaum die Thränen zurückhalten. Ich empfahl mich stumm und rannte, ohne an die Abgabe der anderen Empfehlungsbriefe zu denken, voller Verzweiflung nach Hause. Hier meine Lage überdenkend, erschreckte mich die Gewißheit, daß meine Baarschaft kaum noch für ein paar Tage ausreichen werde, dermaßen, daß ich mich in Gedanken schon in den Klauen der Seelenverkäufer sah, von denen mir der Vater ein warnendes Bild entworfen hatte. Ich entschloß mich daher kurz, packte meine Geige und meine Sachen wieder in den Koffer, schickte diesen, mit einer Adresse nach Braunschweig versehen, auf die Post, bezahlte meine Rechnung und wanderte mit dem kleinen Rest meiner Baarschaft in der Tasche, der allenfalls für die Zehrung ausreichen konnte, zu Fuß nach Braunschweig zurück.

Einige Meilen von der Stadt kam mit ruhigerer Ueberlegung zwar bald die Reue dieser Uebereilung, doch nun zu spät; sonst wäre ich wohl umgekehrt. Ich sagte mir, daß es thöricht gewesen sei, nicht wenigstens erst die übrigen Briefe abzugeben. Sie konnten mir ja vielleicht die Bekanntschaft eines Musikkenners verschaffen, der mein Talent zu würdigen und doch noch Rath zu einem Concert zu schaffen gewußt hätte. Dazu kam der beschämende Gedanke, daß der Vater, der selbst so unternehmend gewesen, mich kindisch, muthlos, unüberlegt schelten würde. So in tiefster Seele betrübt, wanderte ich weiter und sann unaufhörlich darüber nach, wie ich mir die Beschämung ersparen könnte, so ganz unverrichteter Sache in das elterliche Haus zurückzukehren.

Endlich kam mir der Einfall, mich an den Herzog von Braunschweig zu wenden und diesen um die Mittel zu weiterer Ausbildung anzugehen. Ich wußte, daß der Herzog früher selbst Violine gespielt hatte und hoffte daher, daß dieser mein Talent erkennen werde. Hat er dich nur erst eines deiner Concerte spielen hören, dachte ich, so ist dein Glück gemacht. Mit neu belebtem Muth schritt ich nun weiter und legte in heiterster Stimmung den Rest des Weges zurück.

Kaum in Braunschweig angelangt, entwarf ich eine Bittschrift an den Herzog, worin ich ihm meine ganze Lage darlegte und schließlich um Unterstützung zu weiterer Ausbildung oder um eine Anstellung in der Kapelle bat. Da mir bekannt war, daß der Herzog jeden Morgen im Schloßgarten spazieren zu gehen pflegte, so suchte ich ihn, mit meinem Gesuch in der Tasche, dort auf und war so glücklich, daß er mir das Papier abnahm. Nachdem er es flüchtig überlesen und über Eltern und bisherige Lehrer Fragen gestellt hatte, die ich furchtlos beantwortete, erkundigte er sich auch, wer die Bittschrift entworfen habe. »Nun, wer anders als ich? Dazu brauche ich keinen Andern!« antwortete ich, fast beleidigt über den Zweifel an meiner Geschicklichkeit. Der Herzog lächelte und sagte: »Nun, komm morgen um elf Uhr auf's Schloß; dann wollen wir weiter über Dein Gesuch reden.« Wer war glücklicher, als ich! Präcis elf Uhr stand ich vor dem Kammerdiener und verlangte, bei'm Herzog angemeldet zu werden. »Wer ist Er?« fuhr mich dieser ziemlich unfreundlich an. »Ich bin kein Er. Der Herzog hat mich hierher bestellt und Er hat mich anzumelden«, antwortete ich ganz entrüstet. Der Kammerdiener ging, mich zu melden, und bevor sich meine Aufregung gelegt hatte, wurde ich eingeführt. Mein erstes Wort zum Herzog war daher auch: »Durchlaucht, Ihr Kammerdiener nennt mich Er; das muß ich mir ernstlich verbitten!« Der Herzog lachte laut und sagte: »Nun, beruhige Dich nur, er wird's nicht wieder thun!« Nachdem er mich dann noch über Manches befragt hatte, worüber ich die unbefangensten Antworten ertheilte, sagte er: »Ich habe mich bei Deinem bisherigen Lehrer Maucourt nach Deinen Fähigkeiten erkundigt und bin nun begierig, Dich eine Deiner Compositionen spielen zu hören; dies kann im nächsten Concert bei der Herzogin geschehen. Ich werde es dem Kapellmeister Schwaneberger sagen lassen.«

Ueberglücklich verließ ich das Schloß, eilte nach Hause und bereitete mich auf das Sorgfältigste zum Concerte vor.

Diese Hofconcerte bei der Herzogin fanden in jeder Woche ein Mal Statt und waren der Hofkapelle im höchsten Grade zuwider, da nach damaliger Sitte während der Musik Karten gespielt wurde. Um dabei nicht gestört zu werden, hatte die Herzogin befohlen, daß das Orchester immer piano spiele. Der Kapellmeister ließ daher Trompeten und Pauken weg und hielt streng darauf, daß nie ein forte zur Kraft kam. Da dies in Symphonien, so leise auch die Kapelle spielte, nicht immer ganz zu vermeiden war, so ließ die Herzogin auch noch einen dicken Teppich dem Orchester unterbreiten, um den Schall zu dämpfen. Nun hörte man das »ich spiele, ich passe« u. s. w. allerdings lauter, als die Musik.

An dem Abend, wo ich dort zum ersten Mal spielte, waren aber Spieltische und Teppich verschwunden; die Kapelle, unterrichtet, daß der Herzog anwesend sein werde, hatte sich gehörig vorbereitet, und die Musik ging vortrefflich. Da ich damals noch ohne alle Befangenheit auftrat und wohl wußte, daß von dem heutigen Erfolg mein ganzes künftiges Geschick abhängig sei, spielte ich mit wahrer Begeisterung und mußte wohl die Erwartungen des Herzogs übertroffen haben, denn dieser rief mir schon während des Spiels wiederholt bravo zu. Nach Beendigung desselben kam er zu mir, klopfte mich auf die Schulter und sagte: »Das Talent ist da; ich werde für Dich sorgen. Komm morgen zu mir.« Ueberselig eilte ich nach Hause, meldete sogleich den Eltern mein Glück und konnte lange vor Freude und Aufregung nicht einschlafen.

Am anderen Morgen sagte der Herzog zu mir: »Es ist eine Stelle in der Kapelle erledigt, die werde ich Dir geben. Sei fleißig und führe Dich gut auf. Bist Du nach einigen Jahren tüchtig fortgeschritten, so werde ich Dich auch zu irgend einem großen Meister senden; denn hier fehlt es Dir an einem großen Vorbilde.« Diese letzte Aeußerung setzte mich in Erstaunen; denn ich hatte bis jetzt das Spiel meines Lehrers Maucourt für das Höchste gehalten, was zu erreichen sei.

So wurde ich mit Beginn meines fünfzehnten Lebensjahres als Kammermusikus angestellt. Das Rescript, welches später ausgefertigt wurde, ist vom 2. August 1799 datirt. Obgleich der Gehalt nur 100 Thlr. betrug, so reichte er doch bei großer Sparsamkeit und mit Hülfe kleiner Nebenverdienste aus, und ich bedurfte von nun an keiner weiteren Unterstützung von Haus. Ja, ich war so glücklich, den Eltern die Erziehung der anderen Kinder dadurch erleichtern zu können, daß ich meinen acht Jahre jüngern Bruder Ferdinand, der Neigung und Talent für Musik zeigte, zu mir nahm und ihn zum Künstler bildete.

Von nun an war der junge Kammermusikus in großer Thätigkeit. Seine Berufsgeschäfte bestanden in dem Mitwirken bei den Hofconcerten und im Hoftheater, für welches seit kurzem eine französische Sänger- und Schauspielergesellschaft angenommen war. Ich lernte daher die französisch-dramatische Musik früher kennen, als die deutsche, was auf meine Geschmacksrichtung und damaligen Compositionen nicht ohne Einfluß blieb. Endlich, als für die Zeit der beiden Messen auch eine deutsche Operngesellschaft aus Magdeburg verschrieben wurde, ging mir die Herrlichkeit der Mozart'schen Opernmusik auf, und nun war für meine ganze Lebenszeit Mozart mein Idol und Vorbild. Ich erinnere mich noch deutlich der Wonneschauer und des träumerischen Entzückens, mit welchem ich zum ersten Male »Zauberflöte« und »Don Juan« hörte, und wie ich nun nicht ruhte, bis ich die Partituren geliehen bekam und dann halbe Nächte darüber brütete.

Aber auch bei allen andern Musikpartien der Stadt fehlte ich nicht; namentlich gehörte ich allen Quartettzirkeln an. In einem derselben, der von zwei Sängern der französischen Oper, die Violine spielten, errichtet war, lernte ich auch die ersten Quartetten von Beethoven kennen und schwärmte von nun an nicht weniger für sie, als bisher für die Haydn'schen und Mozart'schen.

Bei solchem steten Musiktreiben konnte es nicht fehlen, daß mein Spiel und Geschmack sich immer mehr ausbildeten. Günstig wirkte auch die Anwesenheit zweier fremden Geiger, die in dieser Zeit Braunschweig besuchten. Es waren dies Seidler und der Knabe Pixis. Ersterer imponirte mir durch seinen schönen Ton und sein sauberes Spiel, Letzterer durch eine für seine Jahre außerordentliche Fertigkeit.

Mit den Brüdern Pixis musicirte ich sehr häufig in Privatgesellschaften und spielte auch in deren zweitem Concert mit dem Geiger öffentlich ein Doppelconcert von Pleyel. Nach solchen Aufmunterungen wurde dann immer mit doppeltem Eifer studirt.

Der Herzog, der mich nicht aus den Augen verlor, hatte mir erlaubt, ihn jedes Mal zu benachrichtigen, wenn ich eine neue Komposition im Hofconcert vortrüge, und erschien auch einige Mal zum großen Verdruß der Herzogin, die dadurch in ihrer L'Hombrepartie gestört wurde. Eines Tages, als der Herzog nicht anwesend war, und daher auch Niemand auf die Musik achtete, das Verbot eines jeden forte vor Anfang der Musik erneuert und der verhängnißvolle Teppich wieder ausgebreitet war, probirte ich ein neues Concert von mir; denn eine Probe nur konnte man diese Vorträge nennen, da nie eine solche vorher Statt fand, ausgenommen an den Tagen, wo man wußte, daß der Herzog erscheinen würde. Erfüllt von meinem Werk, welches ich zum ersten Mal mit Orchester hörte, vergaß ich ganz des Verbots und spielte mit aller Kraft und allem Feuer der Begeisterung, so daß ich selbst das Orchester mit fortriß. Plötzlich wurde ich mitten im Solo von einem Lakai am Arm gefaßt, der mir zuflüsterte: »Die Frau Herzogin läßt Ihnen sagen, Sie sollen nicht so mörderlich darauf losstreichen!« Wüthend über diese Störung spielte ich wo möglich nur noch stärker, mußte mir aber auch nachher einen Verweis vom Hofmarschall gefallen lassen.

Der Herzog, dem ich am anderen Tage mein Leid klagte, lachte herzlich, erinnerte sich aber auch bei dieser Gelegenheit seines früheren Versprechens und forderte mich sogleich auf, mir unter den berühmten Geigern der damaligen Zeit einen Lehrer zu wählen. Ohne Bedenken wurde Viotti von mir genannt und diese Wahl vom Herzog gebilligt. Es ward auch gleich an diesen, der sich damals in London aufhielt, geschrieben. Leider! antwortete er aber ablehnend: »er sei Weinhändler geworden, beschäftige sich nur noch selten mit Musik und könne daher keinen Schüler annehmen.«

Nach Viotti war damals Ferdinand Eck in Paris der berühmteste Geiger. An diesen wurde sich daher zunächst gewandt. Aber auch er wollte keinen Schüler annehmen. Er hatte kurz vorher eine reiche Gräfin aus München, wo er Mitglied der Hofkapelle war, entführt, sich mit ihr in der Schweiz verheirathet und führte nun ein vornehmes Leben theils in Paris, theils auf einem von dem Vermögen der Gräfin erworbenen Gute bei Nancy. Er schlug aber seinen jüngeren Bruder und Schüler, Franz Eck, als Lehrer vor. Da dieser eben Deutschland bereisete und in Berlin mit großem Beifall aufgetreten war, so wurde an ihn geschrieben und er für den Fall, daß er den Antrag annähme, nach Braunschweig eingeladen. Eck kam, spielte bei Hofe und gefiel dem Herzog sehr. Da er auf einer Kunstreise nach Petersburg begriffen war, so wurde ich ihm auf ein Jahr als Schüler mitgegeben und ausgemacht, daß ich die Hälfte der Reisekosten zu tragen habe und Eck nach Beendigung des Unterrichts ein angemessenes Honorar vom Herzog empfangen werde. Von dieser Reise ist ein Tagebuch vorhanden, aus welchem einige Auszüge vielleicht von Interesse sind. Es beginnt wenige Tage vor der Abreise am 24. April 1802, für einen achtzehnjährigen Jüngling noch sehr kindlich, folgendermaßen:

»Der Abschied.«

»Unter die traurigsten Stunden des Lebens gehören die des Abschieds von gütigen Eltern und geprüften Freunden. Sie erheitert nicht einmal die Aussicht auf eine angenehme und nützliche Reise; nur die Zeit und Hoffnung auf baldiges Wiedersehen können so schmerzliche Wunden heilen. Diese sind es, von denen auch ich Erleichterung bei'm Antritt meiner musikalischen Reise erwarte. So lebt denn wohl, Eltern, Freunde! Die Erinnerung an die fröhlichen Stunden, deren Schöpfer Ihr waret, wird mich stets begleiten!«

Die Reise ging zuerst nach Hamburg, wo Eck Concerte zu geben beabsichtigte. Mit einer gewissen Genugthuung und Selbstzufriedenheit sah ich die Stadt wieder, aus der ich einige Jahre früher so voller Verzweiflung entflohen war.

Nachdem Eck seine Empfehlungsbriefe abgegeben hatte, begann auch der Unterricht. Es findet sich darüber Folgendes im Tagebuch aufgezeichnet:

»Heute früh, den 30. April, fing Herr Eck den Unterricht bei mir an. Aber ach! wie sehr wurde ich gedemüthigt. Ich, der ich einer der ersten Virtuosen Deutschlands zu sein geglaubt hatte, konnte ihm nicht einen einzigen Takt zu Danke spielen, sondern mußte jeden wenigstens zehn Mal wiederholen, um nur endlich einigermaßen seine Zufriedenheit zu erlangen. Vorzüglich mißfiel ihm mein Strich, welchen umzuändern, ich nun auch selbst für sehr nöthig halte. Es wird mir freilich anfangs sehr schwer vorkommen; doch hoffe ich endlich, von dem großen Nutzen dieser Umänderung überzeugt, damit zu Stande zu kommen.«

Das Tagebuch berichtet nun über Alles, was die Reisenden sahen und hörten. So anziehend dies auch für mich sein mußte, so versäumte ich darüber doch nicht meine Musikstudien. Der Vormittag, der damals in Hamburg bis drei Uhr dauerte, war ganz dem Einüben Dessen gewidmet, was Eck mir aufgab. Es dauerte auch nicht lange, so äußerte sich dieser günstig über meine Fortschritte. Schon unter dem 10. Mai heißt es:

»Herr Eck fängt an, zufriedener mit meinem Spiel zu sein und war gestern so gütig, mir zu versichern, daß ich das Concert, welches ich bei ihm einstudirt habe, nun ganz ohne Fehler spielen könne.«

Die Pausen zwischen den Uebungen füllte ich mit Malen aus. Von frühester Jugend an hatte ich mich im Zeichnen und Malen mit Wasserfarben geübt und es, ohne je guten Unterricht gehabt zu haben, zu ziemlicher Fertigkeit darin gebracht. Ja ich hatte eine Zeit lang geschwankt, welche der beiden Künste, Musik oder Malerei, ich als Lebensberuf erwählen wolle. Jetzt machte ich einen ersten Versuch mit Portraitiren. Das Tagebuch sagt unter'm 12. Mai:

»Am Sonntag fing ich ein Miniaturbild an, welches ich heute Vormittag beendigt habe. Ich versuchte, mich selbst zu malen und kann damit sehr wohl zufrieden sein. Dieses und mein Geigenspiel haben mich so beschäftigt, daß ich in diesen vier Tagen beinahe gar nicht aus dem Haus gekommen bin. Ich schickte dieses Bild meinen Eltern und begann dann Herrn Eck zu malen, der geduldig genug war, mir zu sitzen.«

Es möchte nun an der Zeit sein, zu erwähnen, daß der junge Künstler von frühester Jugend an sehr empfänglich für weibliche Schönheit war und schon als Knabe sich in jede schöne Frau verliebte. Es ist daher nicht zu verwundern, daß das Tagebuch des nunmehr achtzehnjährigen Jünglings auf vielen Blättern Ergüsse seiner Herzensregungen enthält. Komisch jedoch ist dabei der Ernst, mit welchem diese flüchtigen Neigungen besprochen werden.

In Hamburg war es besonders eine Demoiselle Lütgens, die Tochter eines Musiklehrers, die mein Herz gewann. Nach einem Besuche bei dem Vater schrieb ich darüber Folgendes:

»Seine älteste Tochter, ein Mädchen von dreizehn Jahren, ein sehr schönes, unschuldiges Geschöpf, gefiel mir vorzüglich wegen ihres artigen und sittsamen Betragens. Sie ist sehr schön, hat von Natur gelocktes Haar, feurige braune Augen und einen blendend weißen Hals. Ihr Vater, dessen Steckenpferd die Harmonie und der Generalbaß sind, unterhielt mich, weil er bei mir die meiste Geduld fand, seinen Sermon anzuhören, beständig von Auflösung und Verbindung der Accorde, unterdessen ich viel lieber mit seiner liebenswürdigen Tochter von Verbindung der Herzen und Lippen gesprochen hätte.«

Um mich ihr öfter nähern zu können, bat ich um die Erlaubniß, sie malen zu dürfen, was gern gewährt wurde. Doch ehe noch die Sitzungen begannen, ward ich durch Herrn Eck, den ich sonderbar genug zum Vertrauten meiner Liebe gemacht hatte, darauf aufmerksam gemacht, daß sie eine Kokette und meiner Zuneigung unwürdig sei. Ich vermochte Anfangs nicht zu glauben, daß ein Mädchen von dreizehn Jahren schon kokett sein könne. Allein nach der ersten Sitzung war auch ich derselben Ansicht und machte darüber folgende Bemerkung:

»Henriette bat mich, sie in dem Kleid zu malen, das sie trage und versicherte, es ausgewählt zu haben, weil ihre anderen Kleider nicht weit genug ausgeschnitten seien und den Hals zu sehr bedeckten. Ich erstaunte über ihre Eitelkeit, und der Anblick dieses reizenden Halses, der mich bei anderer Gelegenheit entzückt haben würde, machte mich nun traurig, da ich überzeugt wurde, daß sie schon von der Eitelkeit und Schamlosigkeit der Hamburgerinnen angesteckt sei. Sie sprach, während ich malte, mit ihrer Cousine, einem häßlichen, aber eitelen Mädchen, von nichts als dem Putze, den sie zu dem morgenden Balle anzulegen gedächte ... Ganz mißvergnügt kam ich nach Haus und wünschte, daß wir nun bald abreisen möchten, weil mir Hamburg immer mehr mißfällt. Mein geselliges Herz, das sich so gern jedem Menschen anschließen möchte, findet hier Niemanden ... Ich glaubte in diesem Mädchen Etwas für mein Herz gefunden zu haben, aber ich sehe mich von neuem betrogen ... Ich hatte mir vorgenommen, eine Copie von ihrem Bilde für mich zu machen; allein ich bin noch zu sehr auf sie erbittert, um dieses zu können. Auch habe ich nun keine Lust, auf den Ball zu gehen.«

Zwei Tage später heißt es jedoch: »Heute Vormittag arbeitete ich fleißig an dem Bilde der Demoiselle Lütgens und fing auch die Copie davon für mich an. Nach Tisch ging ich zu ihr ... Henriette empfing mich mit Vorwürfen, daß ich nicht auf den Ball gekommen sei ... Sie war heute so sittsam gekleidet und sprach so vernünftig, daß ich mich mehr mit ihr unterhielt, als malte, weshalb ich auch nicht ganz fertig wurde. Es ist wirklich ewig schade, daß dieses Mädchen mit so großem Talente und gesundem Verstande in so schlechter Gesellschaft lebt, und dadurch zu den Thorheiten Hamburgs verführt wird.«

Mit der Uebergabe des Bildes und der bald darauf folgenden Abreise von Hamburg endete dieser kleine Roman, in dem es nie zu Erklärungen gekommen war.

Ueber meine damalige Kunstbildung und meine Kunstansichten giebt das Tagebuch fast auf jeder Seite in der Beurtheilung dessen, was ich in Hamburg hörte, vielfache Belege. Freilich sind diese Urtheile mit der naiven Zuversichtlichkeit, die der Jugend eigen ist, abgefaßt und würden gewiß mancher Berichtigung bedürfen, wenn diese nach so langer Zeit noch möglich wäre. Die Urtheile über Opern und deren Darstellung können füglich übergangen werden, da diese Werke größtentheils vom Repertoire verschwunden und die Sänger längst verschollen sind.

Ueber einige andere Leistungen, sowie über die meines Lehrers, mögen aber die betreffenden Stellen hier folgen:

»Den 5. Mai. Wir waren heute Mittag bei Herrn Kiekhöver zum Essen eingeladen und trafen dort Herrn Dussek und einige andere Musiker. Mir war dies sehr erwünscht, da ich mich längst gesehnt hatte, Herrn Dussek spielen zu hören. Herr und Madame Kiekhöver sind sehr artige Leute, und in ihrem Hause ist Pracht mit Geschmack verbunden. Die Unterhaltung bei Tische war fast immer französisch; ich konnte daher, da ich noch nicht sehr im Französischen geübt bin, nur geringen Antheil daran nehmen. Desto größeren nahm ich aber an der Musik, die nachher gemacht wurde. Herr Eck begann mit einem Quartett eigener Composition und entzückte damit alle Zuhörer. Darauf spielte Herr Dussek Claviersonaten seiner Composition, die aber nicht sonderlich zu gefallen schienen. Nun folgte ein zweites Quartett des Herrn Eck, welches Herrn Dussek so hinriß, daß er ihn zärtlich umarmte. Zum Beschluß spielte Herr Dussek ein neues Quintett, welches er erst in Hamburg componirte und das man bis in den Himmel erhob. So ganz wollte es mir aber nicht gefallen; denn ohnerachtet der vielen Modulationen wurde es am Ende ein wenig langweilig, und das Uebelste war, daß es weder Form noch Rhythmus hatte, und man das Ende eben so gut zum Anfang hätte machen können.«

Bei einer Musikpartie auf dem Landsitze des Herrn Thornton lernte ich Demoiselle Grund, die damals am meisten gefeierte Sängerin Hamburgs, kennen. Das Tagebuch spricht von ihr mit großer Begeisterung. Unter anderem heißt es:

»Anfangs war die Unterhaltung sehr windig; denn die Herren Kaufleute sprachen von nichts als den widrigen Winden, die ihren Schiffen den Eingang in die Elbe verwehren. Nach und nach wurde sie aber interessanter, besonders als sich Dem. Grund mit in das Gespräch mischte. Schon da bewunderte ich ihre richtige und gebildete Sprache und ihr einnehmendes, zuvorkommendes Betragen. Als sie aber bei Tische bald mit Diesem französisch, dann mit Jenem englisch sprach, und mir einer der Herren erzählte, daß sie vier Sprachen richtig spreche und schreibe, da fing ich an, sie zu beneiden und mich zu schämen, daß ich als Mann diesem Mädchen hierin so weit nachstehe. Auch in der Musik hat sie es sehr weit gebracht und entzückte uns noch gestern Abend durch ihren Gesang so sehr, daß Herr Eck sie aufforderte, in seinem Concerte zu singen, was sie auch versprach. Mein Tischnachbar erzählte mir, ihr Vater ernähre seine Familie mit Musikunterricht und verwende sehr viel auf die Erziehung seiner Kinder. Diese, seine älteste Tochter, erleichtere ihm dieses Geschäft dadurch sehr, daß sie nicht allein ihre Geschwister in der Musik und in Sprachen unterrichte, sondern auch durch häufiges Informiren in den ersten Häusern Hamburgs eine ansehnliche Summe Geldes verdiene. Ich hätte gern sogleich ihre Bekanntschaft gemacht, allein sie war so mit jungen Herren umlagert, daß ich nicht an sie kommen konnte.«

Von dem öffentlichen Concerte des Herrn Eck im Logensaal auf der Drehbahn, am 18. Mai, sagt das Tagebuch:

»Herr Eck hatte große Ursache mit dem Orchester zufrieden zu sein, da seine Concerte vortrefflich accompagnirt wurden, nicht so gut die Arien der Demoiselle Grund, die für die Blas-Instrumente etwas schwer waren. An der Spitze dieses gut eingeübten Orchesters steht der durch seine lieblichen Kompositionen bekannte Massonneau. Man sieht es diesem Manne nicht an, wie talentvoll er ist; denn sein Anstand beim Spiel und sein Bogenstrich sind so schlecht, daß man ihn für den größten Stümper halten möchte –, und doch dirigirt er gar nicht übel.«

Unser Aufenthalt in Hamburg dehnte sich bis zum 6. Juni aus. Herr Dussek, dem die Anordnung des Concertes bei einem Feste, welches die in Hamburg wohnenden Engländer zu Ehren ihres Königs für den 1. Juni veranstalteten, aufgetragen war, engagirte Herrn Eck zum Vortrag eines Violinconcertes. Erst bei der Probe, die am 3. Juni Abends neun Uhr stattfand, entdeckte Herr Eck, daß das Concert im Freien gegeben werden sollte, wovon früher nie die Rede gewesen war. Man hatte eine Bude von Leinwand aufgeschlagen und in dieser das Orchester, wohl hundert Personen stark, terrassenförmig aufgestellt. Zuerst probirte Herr Dussek eine von ihm für dieses Fest componirte Cantate, die auf mich eine außerordentliche Wirkung machte, da sie nicht allein gut geschrieben und vortrefflich einstudirt war, sondern auch durch die Mitwirkung einer großen Orgel, die man im Hintergrunde des Orchesters aufgestellt hatte, und »durch die Execution in stiller Nacht etwas so Feierliches bekam, daß man ganz hingerissen ward.«

Nach der Cantate sollte nun Herr Eck sein Concert probiren. Dieser hatte jedoch, besorgt, daß die feuchte Nachtluft ungünstig auf seine Saiten einwirken und seine Geige, nach so kräftig besetzter Vokalmusik und zwischen den Leinwandwänden eingeengt, schlecht klingen werde, den Entschluß gefaßt, gar nicht zu spielen. Er erklärte dieses und machte zugleich Herrn Dussek heftige Vorwürfe, ihm nicht gleich gesagt zu haben, daß das Concert im Freien stattfinden sollte. Es entspann sich darüber ein scharfer Wortwechsel, der zur Folge hatte, daß Eck mit mir sogleich das Lokal verließ und wir auch dem Feste selbst nicht beiwohnten.

Die Reise ging nun zunächst nach Ludwigslust, wo Eck bei Hofe gehört zu werden hoffte. Dies wurde jedoch abgelehnt und auch nach Strelitz kam er zu ungelegener Zeit, weil der Hof abwesend war. Da dieser aber bald zurückerwartet wurde und das freundliche Städtchen mit seinem reizenden Schloßgarten und dem daran gränzenden See zu längerem Aufenthalte einlud, und Eck voraussah, mitten im Sommer auch in Stettin, Danzig und Königsberg keine guten Geschäfte machen zu können, so entschloß er sich, die Rückkehr des Hofes abzuwarten. Wir suchten daher eine Privatwohnung und richteten uns für einige Zeit häuslich ein.

Dies war für meine Studien die günstigste Periode der ganzen Reise. Eck, der ohne Beschäftigung war, widmete sich nun dem Unterrichte seines Schülers mit großem Eifer und lehrte ihn alle Geheimnisse seiner Virtuosität. Ich meinerseits, von jugendlichem Ehrgeiz getrieben, war unermüdlich. Ich stand sehr früh auf und übte mein Instrument so lange, bis mich Ermattung aufzuhören zwang. Doch nach kurzer Rast begann ich von neuem und brachte es auf solche Weise an manchem Tage bis zu zehn Stunden Uebung, die Zeit mit eingerechnet, in welcher Eck mich unterrichtete. Man hatte mir von Braunschweig geschrieben, daß die mir Mißgünstigen laut geäußert hätten, ich würde mich wohl eben so wenig auszeichnen, wie alle anderen jungen Leute, die der Herzog bisher bei ihren Studien unterstützt habe. Diese Vermuthung zu Schanden zu machen, war ich das Aeußerste aufzubieten entschlossen, und wenn daher auch zuweilen der Eifer ermatten wollte, der Gedanke an mein erstes Auftreten in Braunschweig nach meiner Rückkehr belebte mich gleich wieder zu neuer Anstrengung. So gelang es mir, binnen kurzer Zeit eine solche Gewandtheit und Sicherheit in der Technik meines Instrumentes zu erwerben, daß mir voll der damals bekannten Concertmusik nichts mehr zu schwer war. Bei solchen Anstrengungen wurde ich durch kräftige Gesundheit und durch einen herkulischen Körperbau unterstützt.

Zwischendurch wurde componirt, gemalt, geschrieben und gelesen und der spätere Nachmittag dann zu Ausflügen in die Umgegend benutzt. Ein Lieblingsvergnügen der Reisenden war es, quer über den See zu schiffen und in einer jenseits gelegenen Meierei das Abendbrod einzunehmen. Ich, der ich schon damals ein geübter Schwimmer war, entkleidete mich oft auf diesen Fahrten und schwamm eine Strecke neben dem Kahne her. Mein Verhältnis; zu Eck, welches mehr das zweier Kameraden zueinander als das zwischen Lehrer und Schüler war, gestattete solche Freiheiten.

In jener Zeit vollendete ich ein schon in Hamburg angefangenes Violinconcert, welches später als Op. 1 bei Breitkopf & Härtel in Leipzig erschienen ist, und schrieb die drei Violinduetten, Op. 8 welche bei Kühnel in Leipzig herauskamen. Beim Einüben dieser Duetten mit Eck wurde es mir zuerst klar, daß mein Lehrer, wie so viele Geiger der französischen Schule, doch kein durchgebildeter Künstler war; denn so vollendet er auch seine Concertsachen und einige andere, ihm von seinem Bruder eingeübte Compositionen vortrug, so wenig verstand er es, in den Geist fremder Sachen einzudringen. Es hätte bei diesen Duetten füglich ein Rollentausch stattfinden und vom Schüler dem Lehrer angedeutet werden können, wie sie vorzutragen seien. Auch merkte ich bei einem Compositionsversuch, den Eck machte, daß dieser unmöglich der Componist der Violinconcerte und Quartetten sein könne, die er bisher für eigene Arbeiten ausgegeben hatte. Später erschienen auch die Concerte unter dem Namen des älteren Eck und die Quartetten unter dem des Kapellmeisters Danzi in Stuttgart.

So waren in Erwartung des Hofes vier Wochen höchst einförmig, aber fruchtbringend für mich verflossen, als Eck sich unwohl fühlte und einen Arzt zu Rathe ziehen mußte. Die Unterredungen mit diesem waren sehr geheim, und ich konnte lange nicht ergründen, was meinem Lehrer fehle, bis der Arzt es für nöthig fand, den jungen unerfahrenen Menschen zu warnen und von einer Krankheit, welche Eck sich in Paris zugezogen hatte und die jetzt wieder zum Ausbruch kam, in Kenntniß zu setzen. Noch immer erinnere ich mich des Abscheues, mit dem ich damals zum ersten Male in meinem Leben von dieser Krankheit und ihren gräßlichen Folgen reden hörte, und wohl mag es diesem unauslöschlichen Eindruck mit zuzuschreiben sein, daß ich nie einer ähnlichen Gefahr ausgesetzt gewesen bin.

Da der Kranke während der ersten vier Wochen das Zimmer nicht verlassen durfte, so machte ich von nun an die Abendspaziergänge allein. Auf diesen entspann sich wieder eine Herzensangelegenheit, die im Tagebuch sehr ausführlich und mit großem Ernst erzählt ist. Es heißt am 8. Juli:

»Heute Nachmittag trieb mich die Langeweile in eine Leihbibliothek, wo ich mir den bekannten Roman von Lafontaine »Quinetius Heymerom von Flaming« auswählte. Ich ging damit zur Stadt hinaus und suchte mir ein einsames und schattiges Plätzchen am Ufer des Sees, wo ich mich lagerte und zu lesen anfing. Ich vertiefte mich sehr in die Lektüre trauerte mit Lissow nur seine Jakobine und verglich sie mit einer lebenden, mir bekannten Dame. Plötzlich hörte ich nahe Tritte, blickte auf, und vor mir standen zwei Mädchen, das eine mit blauen Augen und blonden Locken, schön wie ein Engel, und das andere schwarz von Haar und Augen, minder schön, aber doch nicht häßlich. Ich sprang auf, grüßte sie ehrerbietig und sah ihnen lange nach. Myrrha, Herrn Eck's Hund, den ich mitgenommen hatte, war ihnen gefolgt und schmeichelte der Blondgelockten unaufhörlich, so daß er mein Rufen nicht hörte. Ich folgte daher, um den Hund zu holen und wo möglich der Mädchen Bekanntschaft zu machen. Die Blonde kam mir entgegen, bat um Verzeihung, daß sie den Hund zurückgehalten habe und verlangte das Versprechen, ihn für seinen Ungehorsam nicht bestrafen zu wollen. Mit ihrer süßen Silberstimme hätte sie mir wohl noch größere Versprechen abdringen können; ich gab daher das verlangte mit Vergnügen. Die Unterredung war nun begonnen; ich setzte sie fort und begleitete die Mädchen auf ihrem Spaziergange. Die Blonde lernte ich als ein sehr gebildetes und artiges Frauenzimmer kennen. Die Schwarze sprach zu wenig, um über ihre Bildung urtheilen zu können. Wir kamen zuletzt an eine Wiese, die von unserem Wege durch einen breiten, zwar sehr seichten, aber für Frauenzimmer doch zu nassen Graben getrennt war. Da sie Lust bezeigten, die Wiese zu betreten, so erbot ich mich, sie hinüber zu tragen. Sie wollten anfangs nicht einwilligen, doch ließen sie sich endlich dazu bewegen. Ich nahm die Blonde zuerst, und unbegreifliches Vergnügen ergriff mich, als ich das schöne Mädchen so auf meinen Armen trug. Als ich mit ihr an der gefährlichsten Stelle des Grabens war, fiel mir eine ihrer blonden Locken in's Gesicht. Dies machte mich so verwirrt, daß ich mit meiner schönen Last beinahe in den Graben gefallen wäre. Ich brachte sie jedoch glücklich hinüber. Sie dankte so verbindlich und sah mir mit ihren großen blauen Augen so in's Gesicht, daß ich fast vergessen hätte, die Andere nachzuholen. Wir spazierten nun auf der Wiese hin und trafen zu meinem Bedauern am Ende derselben einen Steg, der uns über den Graben zurückführte. Dieser neidische Steg raubte mir das Vergnügen, die süße Bürde noch einmal zu tragen. Ich begleitete die Mädchen bis an die Stadt und trennte mich dann sehr ungern von ihnen. – Ich werde mich sogleich nach Namen und Stand derselben erkundigen.«

Schon am folgenden Tage traf ich meine Schöne von neuem. Das Tagebuch erzählt dies auf naiv-komische Weise:

»Heute Nachmittag machte ich, Gott weiß aus welchem Antriebe, denselben Spaziergang wie gestern und lagerte mich wieder just da, wo ich so angenehm von den Mädchen gestört wurde. Ich begann zu lesen; aber, obgleich ich bei einer interessanten Stelle war, so wußte ich dennoch, nachdem ich einige Seiten durchlaufen hatte, nicht das Geringste vom Inhalte. Ich gestand mir nun ein, daß ich nicht um zu lesen, sondern in der Hoffnung, meine neue Bekanntschaft wieder anzutreffen, hierher gegangen sei. Ich steckte das Buch ein und sah mit sehnsuchtsvollen Blicken nach dem Orte hin, wo ich sie gestern zuerst gesehen hatte. Aber nach zweistündigem vergeblichen Warten stand ich verdrießlich auf und ging zur Stadt zurück. Dicht vor derselben, wo sich zwei Wege vereinigen, stieß ich auf von der Weide heimkehrende Kühe, die den Weg versperrten und mich zum Warten nöthigten. Ich hatte aber da noch nicht lange gestanden, als ich von weitem ein weißgekleidetes Frauenzimmer kommen sah, welches ganz die schöne Gestalt und den edlen Gang der so sehnlich Erwarteten hatte. Als sie näher kam, überzeugte ich mich immer mehr, daß sie es sein müsse und ging ihr daher entgegen. Ich hatte mich nicht getäuscht, – sie war es! Sie grüßte mich mit ihrer holden Freundlichkeit, erkundigte sich nach meinem Befinden und erzählte mir, daß ihre Freundin sich gestern Abend erkältet hätte und nun das Bett hüten müsse. Ich sprach ihr mein Bedauern und die Befürchtung aus, daß ich die Ursache der Krankheit ihrer Freundin sein werde, da ich die Damen zu lange auf ihrem Spaziergange aufgehalten habe. Sie versicherte mich aber des Gegentheils und schob alle Schuld auf ihre Freundin selbst, die sich zu leicht kleide.«

»Während dessen hatte sich die Heerde verlaufen und wir trennten uns. In diesem zweiten Gespräch habe ich wieder so viel feine Bildung und so zarte weibliche Delikatesse an ihr bemerkt, daß ich auf eine äußerst gute Erziehung schließen darf. – Noch immer weiß ich nicht, wer sie ist; doch bemerke ich aus ihren Reden, daß sie bürgerlichen Standes sein muß.«

Diese Begegnungen wiederholten sich nun ohne Verabredung fast jeden Abend, und ich fühlte mich sehr unglücklich, wenn ich die Freundin einmal nicht aufgefunden hatte. Ich wurde immer vertrauter mit ihr, erzählte von meinen Eltern, von meinem Beschützer, der mir die Mittel verschaffe, meinen berühmten Lehrer auf dessen Reise begleiten zu können, sprach von meinen Arbeiten und Planen für die Zukunft und fand mich durch ihre freundliche Theilnahme immer mehr zu ihr hingezogen. Ich sah in ihr den Inbegriff aller weiblichen Vollkommenheiten und glaubte Die gefunden zu haben, die mein Lebensglück begründen könne. Mehr als ein Mal war ich im Begriffe, wenn wir im Hölzchen am See Hand in Hand auf und ab gingen, ihr meine Liebe zu gestehen; doch eine Schüchternheit, die ich nicht zu überwinden vermochte, verhinderte mich stets daran. Sie war in Bezug auf ihre Verhältnisse sehr zurückhaltend, und ich wußte daher noch immer nicht, wer sie wohl wäre. Am 24. Juli heißt es jedoch:

»Endlich weiß ich den Namen meiner Schönen; aber die Erkundigung darnach ist mir theuer zu stehen gekommen! Herr Eck, der nun beinahe ganz wieder hergestellt ist und schon einige kleine Spaziergänge gemacht hat, ließ einen Friseur kommen. Bei diesem zog ich Erkundigungen ein. Er sagte mir, sie heiße ***, und sei die Tochter eines Kammerdieners des vorigen, vor einigen Jahren gestorbenen Herzogs. Ihre Mutter, bei der sie wohne, lebe von einer kleinen Pension. Auf meine Frage, wie diese ihr so feine und geschmackvolle Kleidung geben könne, antwortete er, es möchten wohl Geschenke des Herrn von *** sein, der sie gerne leiden möge und häufig besuche. Vor Schrecken hätte ich bei dieser Nachricht beinahe meine Geige aus den Händen fallen lassen und hatte kaum noch den Muth, zu fragen, ob man etwa von ihrer Tugend zweideutig spreche? Er versicherte mich jedoch des Gegentheils und meinte, der Herr von ***, der erst seit zwei Monaten majorenn geworden sei, habe die Absicht, sie zu heirathen. Er sei jetzt auf Reisen und werde in einigen Wochen zurückkehren. Ich lernte diesen Herrn v. *** schon vor seiner Abreise im Speisehause kennen und muß gestehen, daß er mir der gesittetste der anwesenden jungen Edelleute zu sein schien. Um so weniger begreife ich aber, daß er ihr Geschenke macht und sie solche annimmt; denn sie kann sich doch wohl keine Hoffnung auf seine Hand machen. Wie dürfte sie sonst als kluges Mädchen in seiner Abwesenheit mit einem jungen Menschen einsame Spaziergänge machen und Abends vor der Hausthüre sitzen? Die Sache ist mir ein Räthsel und ich bin zweifelhaft, ob ich heute Abend zu ihr gehe oder nicht.«

Der Charakter des Mädchens blieb mir indessen nicht lange mehr ein Räthsel; denn kaum war Eck, der nun die Abendspaziergänge wieder mitmachte, in ihre Bekanntschaft eingeführt, so nahm sie dessen Bewerbungen noch viel freundlicher und zuvorkommender auf, als die meinigen. Eck, galant und freigebig, veranstaltete ihr zu Ehren Ausflüge in die Umgegend, nach Rheinsberg, Hohenzirze und anderen Punkten. Dafür lohnte sie ihm mit der zuvorkommendsten Freundlichkeit und hatte nur noch Augen für ihn. Ich fühlte mich tief gekränkt; das Tagebuch enthält leidenschaftliche Ausbrüche von Eifersucht. Zum Glück blieb es bei solchen schriftlichen und das gute Vernehmen mit dem Lehrer wurde nicht gestört. Die Verachtung, die ich nun für das Mädchen fühlte, half mir meine Leidenschaft bezwingen und ich wandte mich mit erneuetem Eifer meinen Studien zu. Im Tagebuch heißt es:

»Die Progressen, die ich im Spielen mache, merke ich nicht besser, als wenn ich von Zeit zu Zeit Altes hervorsuche und mich dann erinnere, wie ich es früher vorgetragen. So nahm ich heute das Concert vor, welches ich in Hamburg einstudirte und fand, daß mir die Passagen, die ich damals nicht ohne Anstoß spielen konnte, nun mit der größten Leichtigkeit gelingen.«

Auch ließ es der Lehrer nicht an Aufmunterung fehlen. Als ich nämlich am 16. August mein neues Concert gespielt hatte, sagte Herr Eck zu meiner großen Freude: »Wenn Sie alle Vierteljahre solche Progressen machen, als im vergangenen, so kommen Sie als ein ganzer Virtuos nach Braunschweig zurück!«

Zwei Tage später, am 18. August, war ich fast den ganzen Tag zu Hause und komponirte ein neues Adagio zu meinem Concerte; denn obgleich ich deren schon drei gemacht hatte, so schien mir doch keins so recht zu den übrigen Sätzen zu passen.

Als bezeichnend für meinen jugendlichen Künstlerstolz mag noch Folgendes hier Platz finden:

»Man erzählte mir von einem Volksfeste, welches am 27. August, dem Geburtstage des Erbprinzen, in Hohenzirze veranstaltet werden soll. Es sind dazu die Bauern der umliegenden Dörfer zu Tanz und Abendessen eingeladen. Auch auf dem Schlosse wird man tanzen. Auf meine Frage, woher man denn die vielen Musiker nehmen werde, erfuhr ich, daß die Janitscharenmusik den Bauern, und die Kapelle – man denke sich mein Erstaunen! – dem Hofe zum Tanze aufspielen werde. Ich wollte es anfangs nicht glauben, bis es mir wiederholt betheuert wurde. Aber, fragte ich, wie ist es möglich, daß der Herzog von den Mitgliedern seiner Hofkapelle so etwas verlangen kann und daß diese so wenig Ehrgefühl und Künstlerstolz besitzen, um sich dessen nicht zu weigern? Der Herzog, antwortete man mir, fühlt nicht, daß es unschicklich für seine Kapelle ist, zum Tanze zu spielen und der größte Theil der Mitglieder darf nicht wagen, sich seinen Befehlen zu widersetzen, da sie, wenn man sie hier abdankt, schwerlich bei einer anderen Kapelle ein Unterkommen finden werden, weil sie arme Stümper sind.«

Da mir der Aufenthalt in Strelitz nach dem unglücklichen Ausgange meiner Herzensangelegenheit unerträglich geworden war, so sehnte ich mich sehr nach der Abreise. Diese verzögerte sich aber, weil der Arzt Herrn Eck noch immer nicht als völlig genesen entlassen konnte, bis Ende September. Das Unbehagliche in meiner Lage wurde noch dadurch gesteigert, daß die Freundin meiner Ungetreuen, welche ich bei der ersten Begegnung »die Schwarze« genannt, mir unverkennbar ihre Neigung zuwandte, die ich aber, obgleich das Mädchen recht hübsch war, nicht erwiedern konnte. So viel sich thun ließ, zog ich mich von der Gesellschaft zurück; doch konnte ich, aus Rücksicht für den Lehrer, von den Lustpartien und Ausflügen, die dieser häufig veranstaltete, nicht ganz wegbleiben, und auf diesen war es denn nicht zu vermeiden, der Gefährte der Schwarzen zu sein. Es finden sich im Tagebuch naive Klagen über die Verlegenheiten, die mir ihr zärtliches Anschmiegen bereitete und mehr als einmal wünschte ich den Augenblick der Abreise herbei, welcher mich von solchen Versuchungen befreien würde.

Am 27. September endlich war der Zeitpunkt da, wo wir unseren Schönen Lebewohl sagen sollten. Sophie, (so hieß die Schwarze), hatte schon seit drei Tagen eine außerordentliche Trauer affectirt oder vielleicht auch wirklich empfunden. Heute sprach sie kein Wort, seufzte nur zuweilen und warf sich mir, wenn die Anderen im Zimmer uns nicht beachteten, ungestüm an den Hals. Etwa um acht Uhr Abends verließen Herr Eck und Demoiselle * das Zimmer. Nun erst erfolgte der eigentliche Ausbruch ihrer Zärtlichkeit; denn nachdem sie auch ihre Geschwister fortgeschickt hatte, ließ sie mich kaum mehr aus ihren Armen. Bis zehn Uhr mußte ich aushalten; dann nahm ich Abschied. Das arme Mädchen vergoß so viel Thränen, daß ich mich meiner trockenen Augen schämte und um nicht ganz gefühllos zu scheinen, sie herzlich küßte. Sophie begleitete mich bis an die Hausthür und drückte mir noch ein Papier in die Hand mit der Bitte, es ihr zum Andenken aufzuheben. Ich eilte nach Hause, öffnete es und fand einen Brief und einen goldenen, mit Haaren durchflochtenen Ring. Der Brief lautete wie folgt:

»Sie, edler Freund, verzeihen einem Mädchen, deren Zudringlichkeit Ihnen gewiß schon auffallend gewesen sein muß. Ich wußte, daß ich zuweilen mehr that, wie sich für mein Geschlecht schickt. Aber Gott weiß es, daß ich in Ihrer Gesellschaft, die mir so sehr werth war, nie über mich herrschen konnte. Auch jetzt dränge ich Ihnen noch ein kleines Andenken auf, das zwar sehr gering ist, aber mit dem aufrichtigsten Herzen gegeben wird. Mein einziger Wunsch und Bitte ist, daß Sie selbiges tragen und sich dabei meiner erinnern wollen. – Könnte Ihnen doch dieses Papier sagen, wie sehr ich es schätze, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben und wie unendlich ich es bedauere, daß Sie sich so weit von uns entfernen! Ich muß schließen und in der festen Hoffnung, Sie, bester Freund, einst wieder zu sehen, freue ich mich schon jetzt auf den Tag, der Sie uns wiedergeben wird. Leben Sie wohl, so wohl und glücklich, wie es wünscht Ihre Freundin Sophie ***.«

Diese unverdiente zärtliche Zuneigung blieb wohl nicht ohne dankbare Anerkennung; denn es wird im Tagebuche der Vorsatz ausgesprochen, den Brief von Stettin aus recht freundlich zu beantworten. Allein von der Ausführung dieses Vorhabens findet sich doch nichts bemerkt.

Wir reis'ten über Stettin nach Danzig, wo wir am 2. Oktober ankamen. Da Eck eine Menge Empfehlungsbriefe abzugeben und ein Concert zu veranstalten hatte, so gerieth der Unterricht, welcher bisher sehr regelmäßig stattgefunden hatte, ein wenig in's Stocken. Indessen meinte ich, »daß es mich schon fördere, Herrn Eck nur üben zu hören«.

Wir wurden häufig zu Mittag und Abend eingeladen, unter anderem nach dem Landgute eines Herrn Sauermann, wo man von einem Hügel hinter dem Hause die Ostsee und einen großen Theil der Stadt übersehen konnte. Der Anblick der See und der vielen darauf befindlichen Schiffe machte einen unbeschreiblichen Eindruck auf mich. Da der Tag etwas trübe war, so schienen letztere in den Wolken zu hängen und sich mit diesen langsam fortzubewegen. Ich konnte mich nur mit Mühe von dem prächtigen Anblick losreißen.

Bei einem anderen Essen, im Garten des Herrn Simpson, wurde mir die Ehre zu Theil, bei der Frau vom Hause zu sitzen. Sie veranlaßte mich, ihr Vieles aus meiner Jugendzeit zu erzählen, namentlich wie ich anfangs für das Studium der Medicin bestimmt gewesen, dann aber durch leidenschaftliche Hinneigung zur Musik bewogen worden sei, mich ganz der Kunst zu widmen. Sie hörte mir mit wohlwollender Theilnahme zu, kränkte mich aber zum Schluß durch die hingeworfene Frage, ob ich nicht doch besser gethan haben würde, dem Berufe des Vaters zu folgen. Ganz durchdrungen von der Würde meiner Künstlerlaufbahn antwortete ich entrüstet: »So hoch der Geist über dem Körper steht, so hoch steht auch Der, welcher sich der Veredlung des Geistes widmet, über Dem, der nur den vergänglichen Körper pflegt.«

Fast jedesmal, wenn eine Oper gegeben wurde, besuchte ich das Theater und versäumte nicht, eine Kritik des Werkes und der Ausführung niederzuschreiben, wobei Sänger, Chor und Orchester immer scharf mitgenommen wurden.

Zu meiner großen Freude ward auch »Ariadne auf Naxos« gegeben, das berühmte Melodrama von Brade, das ich noch nicht kannte. Es beleidigte aber meinen Geschmack, daß in dem darauf folgenden Lustspiele, »die Bauern und Advokaten«, Theseus als Advokat und Ariadne als naives Bauernmädchen wieder zum Vorschein kamen. »Die Musik entzückte mich, obgleich sie sehr schlecht ausgeführt wurde. Wie konnte es aber auch anders sein, da die Partitur erst am Morgen von Königsberg angekommen und Mittags die erste und einzige Probe war?! Madame Bochmann, welche die Ariadne gab, deklamirte zwar sehr gut, war aber für diese Rolle zu häßlich.« Ein junger Engländer, der neben mir saß, meinte, es sei dem Theseus nicht übel zu nehmen, daß er eine solche Ariadne verlasse. Dabei erzählte er mir folgende Anekdote: »Auf einem Liebhabertheater in England gab man ebenfalls die Ariadne. Eine schon etwas bejahrte und nichts weniger als schöne Dame spielte die Rolle der Ariadne so vortrefflich, daß die Gesellschaft nach beendetem Stücke in die größten Lobsprüche ausbrach. Bescheiden lehnte sie diese ab und sagte: »Um die Ariadne befriedigend darstellen zu können, muß man auch jung und schön sein.« Ein junger Stutzer, der ihr gern etwas Schönes sagen wollte, rief aus: »O Madame, Sie beweisen das Gegentheil!«

Ein Concert des Herrn Eck am 16. Oktober im Schauspielhause fiel sehr glänzend aus. Da ich die Concertsachen, die mein Lehrer vortrug, sehr genau kannte, so übernahm ich die Leitung derselben an der ersten Violine. Die Musiker, die bald erkannten, wie sicher der junge Dirigent war, folgten mir willig und es wurde dadurch dem Solospieler der Vortrag sehr erleichtert, was dieser auch dankbar anerkannte. Außer den drei Vorträgen des Herrn Eck gab das Concert noch eine Symphonie von Haydn, eine Ouvertüre von Mozart, ein Pianoforte-Concert von Danzi, gespielt von Herrn Reichel und zwei Arien von Cimarosa und Mozart, gesungen von Demoiselle Wotruba und Herrn Ciliax. »Der Beifall nach den Vorträgen des Herrn Eck war ein sehr enthusiastischer und wollte gar nicht enden. Ich hörte ihn aber auch noch nie so gut öffentlich spielen.«

Am 20. Oktober reis'ten wir weiter nach Königsberg und verweilten daselbst bis zum 18. November. Eck gab zwei Concerte, die sehr besucht waren. Durch Empfehlungsbriefe in viele der ersten Häuser eingeführt, wurden wir häufig sowohl zu Gastereien, als auch zu Musikpartien eingeladen. Beim General-Chirurgus Gerlach musicirte ich häufig mit Demoiselle Gerlach, einer durch und durch musikalisch gebildeten Dilettantin und vortrefflichen Clavierspielerin, die auch meine neuen Lieder sang. Ob diese irgend einen Kunstwerth hatten, ist nicht mehr zu ermitteln, da sie verloren gegangen sind. Mit zwei Herren Friedländer spielte ich einigemale Quartetten. Diese Quartettpartien waren es aber nicht allein, was mich in deren Haus zog; Demoiselle Rebekka Oppenheim, die jüngere Schwester der Madame Friedländer, hatte mein leicht entzündliches Herz wieder in helle Flammen gesetzt. »Sie war Jüdin und die Gesellschaft in diesem Hause bestand fast nur aus Juden; aber es waren sämmtlich artige und gebildete Leute. Am Tage, wo ich Abschied nahm, traf ich Madame Friedländer und Demoiselle Rebekka allein. Letztere sprudelte über von Witz und Laune, und wir hörten nicht auf zu lachen und zu scherzen, so wenig sich dies auch zu dem Anlaß meines Besuches paßte. Es ist ein Glück«, sagt schließlich das Tagebuch, »daß wir morgen reisen; denn die Rebekka ist ein gefährliches Mädchen! Wer seine Freiheit und seine Ruhe liebt, muß sie je eher je lieber fliehen.«

Noch ehe Herr Eck sein erstes Concert gab, traf die Familie Pixis auf der Rückreise von Petersburg in Königsberg ein. Ich erneuerte sogleich die Bekanntschaft mit ihnen. Der älteste Bruder war inzwischen sehr groß geworden und seine Diskantstimme hatte sich in eine tiefe Baßstimme verwandelt. Er trug sich aber immer noch » à l'enfant mit einem Kragenhemde und ohne Halstuch«. Sie waren sehr unzufrieden mit ihrer Reise nach Rußland und der Vater behauptete, in Petersburg tausend Rubel zugesetzt zu haben, obgleich er zweihundert Empfehlungsschreiben gehabt hatte.

Wir trafen uns in einer Musikpartie beim Grafen Calnheim, wo zuerst der Jüngste Variationen auf dem Pianoforte mit großer Fertigkeit und vielem Geschmack vortrug. Dann spielte der Aelteste ein Quartett von Krommer. Aber weder die Composition noch sein Spiel wollten mir gefallen. »Sein Ton«, sagt eine Tagebuchsbemerkung, »ist kraftlos, und der Vortrag ohne Ausdruck. Dabei hatte er eine so schlechte Bogenführung, daß er, wenn er diese nicht ändert, nie ein vollkommener Virtuos werden kann. Er faßt den Bogen eine Handbreit vom Frosche und hebt den rechten Arm viel zu hoch. So fehlt ihm alle Kraft im Striche und die Nuancen von piano und forte fallen bei seinem Spiele ganz fort.« Nach ihm spielte Herr Eck ebenfalls ein Quartett von Krommer. »Aber Himmel! was war das für ein Unterschied! Die Abwechselung von Stärke und Schwäche in seinen Tönen, die Deutlichkeit der Passagen, die geschmackvollen Verzierungen, womit er selbst die unbedeutendsten Kompositionen zu heben weiß, verliehen seinem Spiel einen unwiderstehlichen Reiz. Er erhielt aber auch den ungeteiltesten Beifall. Pixis spielte noch ein Quartett von Tietz, dem berühmten verrückten Geiger zu Petersburg, machte aber eben so wenig Glück damit. Zuletzt bat er Herrn Eck, mit ihm ein Duett von Viotti zu spielen, damit er doch sagen könne, er habe mit allen großen Geigern der Zeit gespielt; denn Viotti, Rode, Kreutzer, Iwanovichi, Tietz, Durand und andere hätten ihm bereits diese Ehre erzeigt. In diese Bitte stimmte die ganze Gesellschaft mit ein, und Herr Eck mußte nachgeben. Dieses Duett spielte Pixis noch am besten, obgleich er nicht eine Passage so gut herausbrachte wie Herr Eck, der doch gar nicht darauf vorbereitet war.«

Auch im Concerte, das die Brüder gaben, erntete der Aeltere keinen Beifall; »die Passagen waren matt und ohne Ausdruck, ja er griff sogar sehr falsch und kratzte zuweilen, daß den Zuhörern die Ohren weh thaten ... Meiner Meinung nach spielte er vor drei Jahren, als ich ihn in Braunschweig zum erstenmal hörte, die leichten Concerte von Iwanovichi und anderen besser, als die schweren, womit er sich heute producirte.« Ja, ich zweifelte sogar, ob je ein großer Geiger aus ihm werden könne, »wenn er nicht bald einen guten Lehrer bekomme, der ihm vor allem einen guten Strich beibringe.«

Auf diese sicher viel zu harten Urtheile wird wohl mein Lehrer eingewirkt haben, der ein sehr strenger Richter war. Pixis hatte sich, als ich ihn zehn Jahre später in Wien wieder traf, zu einem ausgezeichneten Virtuosen herangebildet und bewährte sich auch als Professor am Conservatorium in Prag als tüchtiger Lehrer des Violinspiels.

In Königsberg ward auch wieder gemalt. Ich lernte einen Miniaturmaler, Namens Seidel, kennen, der mir einigen Unterricht gab und dabei selbst saß. Das Bild wurde sehr ähnlich. Auch vom Componiren ist im Tagebuch die Rede. Aus einer Bemerkung über die Ausfeilung eines Concerts geht hervor, daß ich damals noch nicht verstand, in einem Guß zu arbeiten, was mir später so gut gelang, daß die Entwürfe nur selten kleine Abänderungen erlitten, das einmal in Partitur Geschriebene aber nie mehr geändert wurde.

Zur Reise nach Memel »wählten wir den Weg am Strande, weil er zwölf Meilen näher ist als der durch's Land. Auch läßt er sich im Winter, wo der Sand fest gefroren ist, besser wie jener fahren. Drei Meilen von Königsberg kommt man dicht an die See und bleibt bis Memel daran. Wir fuhren die ganze Nacht durch und litten sehr von der kalten und schneidenden Seeluft. Zwischen der vierten und fünften Station hatten wir das Unglück, daß uns ein Rad ablief. Nun mußten wir gar den Wagen verlassen, ihn mit vereinten Kräften wieder aufrichten und das Rad mit Stricken nothdürftig befestigen. Dies alles hatte wohl eine halbe Stunde gedauert und ich fürchtete, die Finger erfroren zu haben, was sich jedoch zum Glück als ungegründet erwies. Um neun Uhr kamen wir vor Memel an, mußten aber drei volle Stunden warten bis wir über den Hafen gesetzt wurden, weil die Fährleute erst aus allen Theilen der Stadt zusammen zu holen waren. Vier Meilen weiter erreicht man die Grenze.«

In Mitau langten wir in verstärkter Reisegesellschaft an; denn Myrrha war, ohne daß wir es bemerkt hatten, mit neun Jungen niedergekommen, sechs lebenden und drei todten. »Bis auf zwei wurden sie der armen Mutter aber genommen.«

Wir fanden in den Häusern, an welche Herr Eck adressirt war, die gastfreundlichste Aufnahme. Man lud uns Mittags und Abends, zu Musikpartien und zu Bällen ein und bot alles auf, uns den Aufenthalt angenehm zu machen. Bei einem Collegien-Assessor von Berner ließ ich mich zum erstenmal neben meinem Lehrer und in dessen Gegenwart hören. Herr Eck wurde nämlich, nachdem er einige Quartetten mit großem Beifall gespielt hatte, aufgefordert, einer jungen Klavierspielerin von sechszehn Jahren, Demoiselle Brandt, die eine bewunderungswürdige Fertigkeit besaß, eine Sonate von Beethoven zu begleiten, entschuldigte sich aber mit zu großer Müdigkeit. Da ich wohl wußte, daß es Eck nicht wagen durfte, etwas Unbekanntes a vista zu spielen, so erbot ich mich statt seiner dazu. Zwar war auch mir die Sonate unbekannt, ich vertraute aber meiner Fertigkeit im Lesen. Es glückte, und der junge Künstler, dem man wahrscheinlich nicht viel zugetraut hatte, wurde mit Lobsprüchen überhäuft.

Man forderte mich in den späteren Musikpartien nun jedesmal auf, auch etwas zu spielen, und ich erinnere mich, daß mir Herr von Berner bei der Abreise mit väterlichem Wohlwollen sagte: »Mein junger Freund, Sie sind auf gutem Wege, fahren Sie nur so fort! Herr Eck steht als Virtuos wohl noch über Ihnen, Sie sind aber ein viel besserer Musiker, als er.«

Im Hause des Gouverneurs hörte ich einen damals in Rußland sehr berühmten Geiger Namens Sogeneff, einen Leibeigenen des Fürsten Subow. »Er spielte Variationen eigener Composition, die ungeheuer schwer waren. Die Composition gefiel mir recht gut, sein Spiel aber war, obgleich fertig, doch sehr rauh und dem Ohr widrig. Herr Eck spielte gleich nach ihm und man konnte daher den Unterschied zwischen Beider Spiel recht deutlich hören. Des Russen Spiel war wild und ohne Abwechselung zwischen Stärke und Schwäche; des Herrn Eck Spiel aber gesetzt, kraftvoll und doch immer wohlklingend.«

Auch russische Militärsänger hörten wir dort. »Es waren sechs gemeine Soldaten, von denen einige Diskant sangen. Sie schrieen fürchterlich, so daß man sich hätte die Ohren zuhalten mögen. Die Gesänge werden ihnen von einem Unteroffizier mit dem Prügel einstudirt. Bei einigen begleiteten sie sich mit einer Art von Schalmei, die einen solchen penetranten Ton hatte, daß ich fürchtete, die Damen würden in Ohnmacht fallen. Die Melodien der Lieder waren nicht übel, wurden aber mit lauter falschen Harmonien begleitet.«

In einer Klubgesellschaft im Hause, wo wir wohnten, wurde ich zu einer Spielpartie »mit drei Excellenzen eingeladen, mußte diese hohe Ehre aber theuer bezahlen; denn ich verlor über drei Thaler in wenigen Stunden.«

Die Abreise nach Riga verzögerte sich bis zum 2. Dezember, weil Herr Eck von neuem unwohl wurde. Die Abende verbrachte ich abwechselnd in den Häusern der Herren von Berner und von Korf und musicirte fleißig mit Demoiselle Brandt. Der ganze Sonatenvorrath mit Violinbegleitung wurde durchgespielt und ich lernte viele mir noch unbekannte Meisterwerke von Mozart und Beethoven kennen. Nach Tische wurde dann noch ein Stündchen geplaudert oder Fr. v. Korf spielte mit mir Schach, was ich von Kindheit an leidenschaftlich liebte.

Herr v. Berner, der mich besonders liebgewonnen hatte, lud mich ein, auf der Rückreise von Petersburg einige Monate bei ihm auf dem Lande zuzubringen, und dann um Johannis, wo sich der ganze kurländische Adel in Mitau versammele, einige Concerte zu geben. Mit großer Genugthuung hörte ich, daß man mich für weit genug fortgeschritten halte, um öffentlich als Virtuos auftreten zu können. Freudig gab ich meine Zusage.

Befremdend ist es, daß im Tagebuche der Kinder des Herrn v. Berner gar nicht erwähnt wird; denn eine Tochter, die später Schülerin Rode's wurde und sich als Violinspielerin auszeichnete, muß doch damals schon ziemlich erwachsen gewesen sein.

Endlich schlug die Stunde des Abschieds und ich trennte mich mit gerührtem und dankbarem Herzen von den Familien, die mich so wohlwollend bei sich aufgenommen hatten.

In Riga fand ich einen Brief aus Braunschweig, der mir viele Freude machte. Ich hatte den Herzog um die Erlaubniß gebeten, ihm mein neues Concert, als erstes der gestochenen Werke, widmen zu dürfen, und der Brief, vom Hofmarschall v. Münchhausen, brachte die Gewährung dieser Bitte. Voller Ungeduld, mein Werk erscheinen zu sehen, bat ich Herrn Eck, an Breitkopf und Härtel in Leipzig, mit denen er in Verbindung stand, zu schreiben, und ihnen den Verlag des Concertes anzutragen. Die Antwort erfolgte bald, war aber für mich sehr entmuthigend. Zum Trost für junge Componisten, die für ihre Erstlingswerke keinen Verleger finden können, mögen die Bedingungen, unter welchen die genannte Handlung den Verlag zu übernehmen sich bereit erklärte, hier Platz finden. Ich selbst hatte auf jedes Honorar verzichtet und mir nur einige Freiexemplare ausbedungen. Die Handlung verlangte aber, ich solle ihr hundert Exemplare zum halben Ladenpreise abkaufen! – Anfangs sträubte sich mein jugendlicher Künstlerstolz gegen solche, wie es mir schien, schimpfliche Bedingungen. Doch der Wunsch, die Herausgabe des Concertes so beeilt zu sehen, daß ich es, bei der Rückkehr nach Braunschweig, dem Herzoge im Stiche überreichen könne und die Hoffnung, daß dieser mir ein Geschenk machen werde, halfen mir diese Empfindlichkeit niederzukämpfen und die Bedingungen einzugehen. Das Concert wurde auch zur bestimmten Zeit fertig und lag, als ich zurückkehrte, bereits bei einem Kaufmanne in Braunschweig; der Ballen wurde mir jedoch nicht eher verabfolgt, bis die Summe für den Ankauf der hundert Exemplare entrichtet war.

In Riga bekam Eck Händel mit der Concertgesellschaft der dortigen Dilettanten. Diese, im Besitz des Concertsaales, verlangte von ihm, wie von allen fremden Künstlern, daß er zuerst in ihrem Concerte auftreten solle, wofür sie ihm dann ihr Lokal und ihr Orchester zum eigenen Concerte bewilligen würde. Herr Eck weigerte sich, diese Bedingungen einzugehen und wollte lieber ganz auf ein Concert verzichten. Dies machte die Gesellschaft nachgiebiger; sie erklärte sich nun zufrieden, wenn er auch erst nach seinem Concert bei ihnen spiele. Er sagte dies unter der Bedingung zu, daß es vor der Hand verschwiegen bleibe. Man hatte ihm nämlich gesagt, daß die Abonnenten der Dilettanten-Concerte, wenn sie sicher wären, den fremden Künstler in diesen zu hören, nicht Lust hätten, ein Extraconcert zu bezahlen. Es war aber doch nicht verschwiegen worden und die Folge war, daß das Concert des Herrn Eck leer blieb. Hierüber sehr aufgebracht verlangte er nun für sein Auftreten im Dilettanten-Concerte ein Honorar von fünfzig Dukaten als Entschädigung für den Verlust, den ihr Ausplaudern ihm verursachte. Die Herren Direktoren, ihr Unrecht einigermaßen fühlend, verstanden sich nach langem Unterhandeln endlich zu einem Honorar von dreißig Dukaten. Herr Eck beharrte aber auf seiner Forderung. Nun drohten die Herren, ihn durch die Polizei zum Auftreten zwingen zu lassen. Auch wurde er wirklich vor den Polizeidirektor beschieden; es gelang aber, diesen für seine Sache zu gewinnen, und die Herren Dilettanten wurden mit ihrer Klage abgewiesen. Nun endlich, am Tage des Concertes, nachdem die Concertzettel, auf welchen Herrn Eck's Name paradirte, bereits an den Straßenecken klebten, bequemten sie sich, das verlangte Honorar zu bewilligen, wurden aber nicht wenig durch die Erklärung des Herrn Eck überrascht, daß er, nachdem sie ihn vor die Polizei geladen, nun gar nicht, selbst nicht für das Doppelte des geforderten Honorars, spielen würde. Alles Drohen und Toben half nichts; sie mußten ihr Concert ohne ihn geben. »Ich war dort«, heißt es im Tagebuch, »und weidete mich an der Gährung, die unter den Dilettanten herrschte. Man sprach nur von Herrn Eck und seiner Weigerung, aber Niemand ließ ein Wort zu seinen Gunsten hören; man war durch die getäuschte Erwartung zu sehr aufgebracht. Das Concert fiel schlecht aus. Ein Flötenvirtuos aus Stockholm, der sich mit einem veralteten Concerte von Devienne an Herrn Eck's Stelle hören ließ, gefiel ebensowenig, als ein Dilettant aus Petersburg, der ein Klavierconcert von Mozart sehr schülerhaft spielte.«

Eck hatte übrigens die Gunst des Polizeidirektors dadurch gewonnen, daß er sich erbot, ein Concert zum Besten des Nikolai-Armenstifts zu geben. Der Theaterdirektor Meirer gab unentgeltlich das Haus und die Herren Arnold und Ohmann, so wie die Damen Werther und Bauser schmückten es durch ihren Gesang. Die Musikgesellschaft bot alles auf, es zu hintertreiben; aber vergebens. »Gleich bei seinem Erscheinen wurde Herr Eck mit dem lebhaftesten Beifall empfangen und nach seinem Spiel steigerte sich dieser noch mehr. Die Einnahme belief sich, nach Abzug der Kosten, auf mehr als hundert Dukaten, die der Kassirer des Armenstiftes in Empfang nahm; aber auch Herrn Eck wurden hundert Dukaten, als ein Geschenk des anwesenden Adels, überreicht und am anderen Morgen folgten diesen noch fünfzig Dukaten von einigen reichen Kaufleuten, die dem Adel an Großmuth nicht nachstehen wollten.«

Unter den vielen Einladungen erwähnt das Tagebuch auch einer zum reichen Zuckerbäcker Klein, der »seinen Kindern nicht weniger als drei Hofmeister« hielt, – einen Deutschen, einen Franzosen und einen Russen.

Am 17. Dezember reis'ten wir von Riga ab. In Narwa ließ uns der Gouverneur, ein großer Musikfreund, der aus der Paderoschna, die wir am Thor zum Visiren abgeben mußten, ersehen hatte, welch ein berühmter Künstler durchpassire, sogleich für den Abend zu sich einladen. »Unsere Entschuldigung, daß wir in Reisekleidern nicht erscheinen könnten, wurde zurückgewiesen. Der Gouverneur schickte seinen Staatswagen und halb mit Gewalt wurden wir zu ihm gebracht. Die Verlegenheit, uns in unserm Aufzuge plötzlich in einer glänzenden Gesellschaft zu befinden, verlor sich nach dem freundlichen Empfang und der zuvorkommenden Artigkeit der Anwesenden sehr bald, und wir verlebten einen vergnügten Abend. Um ein Uhr, als die Gesellschaft auseinander ging, fanden wir unsern Wagen mit den Postpferden schon vor der Thüre und setzten sogleich unsere Reise fort.«

Aber von Narwa bis St. Petersburg traf uns ein Unfall nach dem anderen. »Zwei Stationen diesseits ließen wir uns bereden, wegen des hohen Schnees Schlittenkufen unter die Räder zu nehmen. Aber kaum waren wir eine halbe Stunde damit gefahren, als schon die Stricke, womit sie befestigt waren, rissen und wir nicht weiter konnten. Der Postillon mußte aus einem nahe gelegenen Dorfe einige Bauern zu Hülfe rufen, welche die Kufen wieder befestigten. Nach vollendeter Arbeit gaben sie uns durch Zeichen zu verstehen, daß wir ihnen fünf Rubel zu bezahlen hätten. Sehr aufgebracht über diese unverschämte Forderung, weigerten wir uns, so viel zu geben; doch da sie Miene machten, die Stricke, mit denen sie die Räder befestigt hatten, von neuem mit ihren Aexten durchzuhauen, und da wir sahen, daß mit Gewalt gegen die vielen wilden Kerle, die nach und nach unseren Wagen umringten, nichts auszurichten sei, so mußten wir uns zur Zahlung bequemen.«

»Nach einem Aufenthalt von länger als einer Stunde konnten wir endlich weiterfahren; aber es dauerte nicht lange, so blieben wir nun förmlich im Schnee stecken, und nur mit Hülfe vieler herbeigerufener Leute kamen wir wieder los. Wir sahen nun, daß die Kufen bei dem hohen Schnee mehr hinderten, als nützten und ließen sie daher abbinden. Nachdem dies geschehen und bezahlt war, ging es wieder weiter; aber noch siebenmal blieben wir stecken, so daß wir zu dieser Station von drei Meilen nicht weniger als sechzehn Stunden gebraucht hatten. So wie wir Petersburg näher kamen, fanden wir auch die Wege gebahnter und wurden auch schneller gefahren. Endlich am Mittwoch den 22. Abends neun Uhr, langten wir an, nachdem wir sechs Tage und fünf Nächte unterwegs gewesen waren. Die letzte Strecke von Narwa bis Petersburg ist furchtbar einförmig und ermüdend. Diese schnurgerade Straße, durch den Fichtenwald gehauen, mit den bunten Werstzeigern, von denen einer wie der andere aussieht, kann auch den Geduldigsten zur Verzweiflung bringen! Nur selten lichtet sich der endlose Wald, um einigem Anbau und einem ärmlichen Dorfe Platz zu machen. Die Häuser oder vielmehr Hütten dieser Dörfer haben meistenteils nur ein Zimmer mit einem Fenster in der Größe eines Quadratschuhs. In diesem Zimmer wohnen Menschen und Vieh ganz einträchtig beisammen. Die Wände bestehen aus ungezimmerten, aufeinander gelegten Balken, deren Fugen mit Moos verstopft sind. Sehr warm mag es in diesen Löchern wohl nicht sein; daraus scheinen sich die Bewohner aber auch nicht viel zu machen; denn ich sah Kinder und Erwachsene bei strenger Kälte im bloßen Hemde und barfuß im Schnee herumlaufen. Je ärmlicher und dürftiger die Gegenstände auf der Reise erschienen, um so überraschender ist dann das prächtige Petersburg mit seinen Palästen ... Wir stiegen im Hôtel de Londres ab und nahmen uns sogleich einen Lohnbedienten, ohne den man hier auch nicht einen Tag sein kann; denn sowie dem Fremden sein Zimmer angewiesen ist, bekümmert sich kein Mensch mehr um ihn.«

In Petersburg war ich anfangs ganz mir selbst überlassen. Diese Zeit wäre daher für mich die geeignetste gewesen, mich in der prächtigen Stadt umzusehen. Dies ließ aber die große Kälte, die bereits über zwanzig Grad gestiegen war, nicht zu. Ich arbeitete daher in der gewohnten Weise fleißig fort, ja mit vermehrtem Eifer, da die Zeit des Unterrichtes bei Herrn Eck schon über die Hälfte verflossen war. – Durch ein Mitglied der Kaiserlichen Kapelle, Herrn Rabe, waren wir in den Bürgerklub eingeführt und lernten dort fast alle in Petersburg anwesenden ausgezeichneten Künstler und Schöngeister kennen. Das Tagebuch nennt unter Anderen Clementi, seinen Schüler Field, den Violinisten Hartmann, ersten Geiger der Hofkapelle, Remi, ebenfalls Mitglied der Hofkapelle, Leveque, Sohn des Concertmeisters in Hannover und Musikdirektor einer Kapelle von Leibeigenen beim Senator Teplow, Bärwald aus Stockholm, den Hornisten Bornaus u. A. m.

Clementi, »ein Mann in den besten Jahren, von äußerst froher Laune und einnehmendem Wesen«, unterhielt sich gern mit mir (»französisch, was ich bei der vielen Uebung in Petersburg bald ziemlich geläufig sprach«) und lud mich nach Tische oft ein, mit ihm Billard zu spielen. Abends begleitete ich ihn einigemale in seine große Pianoforte-Niederlage, wo Field oft stundenlang spielen mußte, um die Instrumente den Käufern im vortheilhaftesten Lichte vorzuführen. Das Tagebuch spricht mit großer Befriedigung von der vollendeten Technik und dem »schwärmerisch-melancholischen Vortrage« des jungen Künstlers. Noch bewahre ich in der Erinnerung ein Bild von dem blassen, hochaufgeschossenen Jüngling, den ich später nie wieder sah. Wenn Field, der aus seinen Kleidern herausgewachsen war, sich vor dem Piano niedersetzte, die langen Arme nach der Tastatur ausstreckte, so daß sich die Aermel fast bis zum Ellenbogen zurückzogen, dann bekam die ganze Figur etwas höchst Englisch-linkisches; sobald aber sein seelenvolles Spiel begann, wurde alles vergessen und man war nur Ohr. Leider konnte ich dem jungen Manne, der außer seiner Muttersprache keine andere sprach, meine Rührung und Dankbarkeit nur durch einen stummen Händedruck zu erkennen geben.

Man erzählte sich schon damals manche Anekdote von dem auffallenden Geize des reichen Clementi, der in späteren Jahren, wo ich in London wieder mit ihm zusammentraf, noch bedeutend zugenommen hatte. So hieß es allgemein, Field werde von seinem Lehrer sehr kurz gehalten und müsse das Glück, dessen Unterricht zu genießen, durch viele Entbehrungen erkaufen. Von der ächt italienischen Sparsamkeit Clementi's erlebte ich selbst ein Pröbchen, denn eines Tages fand ich Lehrer und Schüler mit zurückgestreiften Hemdärmeln am Waschkübel beschäftigt, ihre Strümpfe und sonstige Wäsche zu reinigen. Sie ließen sich nicht stören, und Clementi rieth mir, es ebenso zu machen, da die Wäsche in Petersburg nicht nur sehr theuer sei, sondern auch bei der dort üblichen Waschmethode sehr leide.

Von allen Bekanntschaften, die ich im Bürgerklub machte, war mir keine lieber, als die meines jungen Freundes Remi. Das Tagebuch nennt ihn gleich nach der ersten Bekanntschaft »einen artigen, allerliebsten jungen Franzosen.« Gleicher Enthusiasmus für Kunst, gleiche Studien und gleiche Neigung knüpfte unsere Verbindung immer enger. Wir trafen uns an jedem Tage, wo ich mit meinem Lehrer nicht zu Gast geladen war, beim Mittagstisch im Bürgerklub, und gab es am Abend keine Oper oder kein Concert, wo Remi beschäftigt war, so spielten wir bis spät in die Nacht Duetten, von welchen Remi eine große Sammlung besaß. Solcher Abende, an welchen das Theater geschlossen blieb, gab es in jenem kalten Winter sehr viele; denn nach einem Ukas des menschenfreundlichen Kaisers Alexander waren alle öffentlichen Vergnügungen verboten, so oft die Kälte über siebenzehn Grad stieg, damit die Kutscher und Diener nicht der Gefahr des Erfrierens ausgesetzt seien. Und in jenem Winter blieb die Kälte oft vierzehn Tage lang über siebenzehn Grad. Das war dann für die Fremden eine traurige, stille Zeit. Am übelsten waren aber die fremden Künstler daran, die nicht dazu kommen konnten, ihre Concerte zu geben. Sank die Kälte unter siebenzehn Grad, dann gab es Ankündigungen in Menge; aber oft mußten sie am folgenden Tage schon widerrufen werden. Auch das öffentliche Concert des Herrn Eck verzögerte sich, nachdem es bereits mehreremal angekündigt war, bis zum 6. März alten Styls. Unterdessen spielte er aber zweimal bei Hof in den Privatconcerten der Kaiserin und gefiel namentlich das zweitemal so sehr, daß die Kaiserin ihn als Solospieler der Hofkapelle mit einem Gehalt von 3500 Rubel engagiren ließ.

Je seltener in den kalten Monaten Januar und Februar Opern und Concert-Aufführungen zu Stande kamen, um so eifriger besuchte ich sie, um die einheimischen und fremden Talente näher kennen zu lernen. Auch Tietz, den berühmten irrsinnigen Violinspieler, sah und hörte ich. Wir fanden einen Mann von etwa vierzig Jahren, von blühender Gesichtsfarbe und angenehmen Aeußeren. Man sah ihm die Geistesverirrung durchaus nicht an. Um so mehr waren wir überrascht, als er an Jeden von uns die Frage richtete: »Mein allergnädigster Monarch, wie befindest Du Dich?« Er erzählte uns dann ein Langes und Breites, worin sehr wenig Menschenverstand war, beklagte sich bitter über einen boshaften Zauberer, der, eifersüchtig auf sein Violinspiel, ihm den Mittelfinger der linken Hand so behext habe, daß er nicht mehr geigen könne, sprach aber doch zuletzt die Hoffnung aus, daß es ihm noch gelingen werde, den Zauber zu besiegen u. s. f. Beim Abschiede fiel er vor Herrn Eck auf die Kniee, küßte ihm, ehe dieser es verhindern konnte, die Hand und sagte: »Mein allergnädigster Monarch, fußfällig muß ich Dich und Deine Kunst verehren!«

Vier Monate später, zu Anfang Mai 1803, war auf einmal ganz Petersburg voll von der Neuigkeit, daß Tietz, den die Russen in ihrem blinden Patriotismus für den ersten Geiger aller Zeiten hielten und der wegen seiner Narrheit seit sechs Monaten nicht mehr gespielt hatte, plötzlich wieder angefangen habe. Herr Leveque erzählte mir die näheren Umstände. Tietz war zu einer Musikpartie beim Senator Teplow eingeladen, hatte aber trotz aller Bitten nicht spielen wollen, so daß Herr Teplow voller Verdruß das Orchester fortschickte und ausrief: »So will ich auch nie wieder Musik hören!« Dies machte so tiefen Eindruck auf Tietz, daß er sagte: »Allergnädigster Monarch, laß Dein Orchester wiederkommen, so will ich eine Symphonie mitspielen.« Dies geschah, und als er erst im Zuge war, spielte er auch Quartetten bis zwei Uhr Nachts. Am anderen Morgen versammelten sich die Musikfreunde in seinem Hause, und er spielte wieder. Dies gab mir Hoffnung, ihn ebenfalls zu hören, und ich eilte deshalb am 2. Mai (20. April) zu ihm. Es waren wieder viel Musikfreunde dort versammelt, die ihn mit Bitten bestürmten, zu spielen; diesmal aber vergebens. Er war nicht zu bewegen, und ich hörte später, es sei Jemand in der Gesellschaft gewesen, den er nicht habe leiden können.

Am 18. Mai nahm ich mein neues Duett und meine Violine und ging wieder zu Herrn Tietz, den ich jetzt allein traf. Es kostete nicht viel Ueberredung, ihn zum Spielen des Duetts zu bewegen; doch wollte er nicht die erste Stimme übernehmen. Wir hatten kaum geendet, als Herr Hirschfeld, Hornist der Kaiserlichen Kapelle, und noch andere mir unbekannte Leute kamen. Herr Tietz bat mich also, das Duett zu wiederholen, und es schien nicht nur ihm, sondern auch den Anderen sehr zu gefallen. Nun legte Herr Tietz ein Quartett von Haydn auf und verlangte, ich solle die erste Violine übernehmen. Er selbst setzte sich zum Violoncell. Da mir das Quartett bekannt war, so weigerte ich mich nicht. Es wurde recht gut executirt, und Herr Tietz so wie die übrigen Anwesenden überhäuften mich mit Lobsprüchen. Tietz spielte die zweite Stimme meines Duetts, die nicht leicht ist, ohne allen Anstoß und recht sauber, und trug auch die Gesangstellen mit Geschmack und Gefühl vor. Weniger wollten mir seine Passagen gefallen, die er nach alter Weise mit springendem Bogen spielte.

Am 23. Mai trafen wir Tietz in dem wöchentlichen Abend-Concert des Senator Teplow, wo auch eine Clavierspielerin, Madame Meier, auftrat und ein Clavier-Concert eigener Composition, welches nicht schlecht war, vortrug. Dann folgten Eck und ich mit einer Concertante seines Bruders, die wir seit vierzehn Tagen sehr genau zusammen eingeübt hatten. Anfangs war ich furchtsam und spielte das erste Solo nicht so gut wie zu Hause; doch bald ging's besser, besonders im letzten Satze.

»Nun legte Herr Tietz ein Concert eigener Composition auf, dessen erstes Allegro und Rondo er zweimal spielte, vermuthlich weil ihm sein Spiel beim erstenmale nicht genügte. Da er seit seiner Narrheit nie mehr übte, so ist es begreiflich, daß es ihm an technischer Sicherheit fehlte. Auch gelangen ihm die schweren Stellen beim zweitenmal auffallend besser. In allen drei Sätzen brachte er nach alter Weise Cadenzen an, und zwar improvisirte, die an sich sehr hübsch, beim zweitenmal aber ganz verschieden lauteten.«

»Ist nun auch Tietz,« schließt die Tagebuchs-Bemerkung, »kein großer Geiger, noch weniger der größte aller Zeiten, wie seine Verehrer behaupten, so ist er doch unbezweifelt ein musikalisches Genie, wie auch seine Compositionen hinlänglich beweisen.«

Der vorzüglichste der damals in Petersburg anwesenden Geiger war ohne Zweifel Fränzl, der Sohn. Er kam eben aus Moskau zurück, wo er zu sechs Concerten für dreitausend Rubel engagirt war. Seine Stellung bei'm Spiel fiel mir unangenehm auf. Das Tagebuch sagt:

»Er hält die Violine noch nach alter Methode auf der rechten Seite des Saitenhalters und muß daher mit gebücktem Kopfe spielen ... Dazu kommt, daß er den rechten Arm sehr hoch hebt und die üble Angewohnheit hat, bei ausdrucksvollen Stellen die Augenbrauen in die Höhe zu ziehen. Ist dies nun auch für die meisten der Zuhörer nicht störend, so fällt es einem Geiger doch sehr unangenehm auf ... Sein Spiel ist rein und sauber. Im Adagio macht er viele Läufe, Triller und andere Verzierungen mit einer seltenen Deutlichkeit und Delikatesse. Sobald er aber stark spielt, wird sein Ton rauh und unangenehm, weil er den Bogen zu langsam und zu dicht am Stege führt, und ihn zu sehr auf die Seite drückt. Die Passagen macht er deutlich und rein, aber immer in der Mitte des Bogens, folglich ohne Abwechslung von Stärke und Schwäche.«

Noch einen Geiger von Ruf, Herrn Bärwald, später Concertmeister in Stockholm, hörte ich damals. Als er mit dem Concert von Viotti ( A-dur) auftrat, wurde er schon beklatscht, noch ehe er einen Strich gethan hatte.

»Dieses, so wie sein hübscher Anstand und seine gute Bogenführung spannten meine Erwartungen sehr hoch, und ich erwartete daher mit großer Ungeduld das Ende des Tutti. Aber wie fand ich mich getäuscht, als ich nun das Solo hörte! Zwar war sein Spiel rein und ziemlich fertig, dabei aber so schläfrig und monoton, die Passagen so matt und schleppend, daß ich lieber noch des Pixis falsches, aber doch feuriges Spiel gehört haben würde. Ein eingelegtes Adagio von seines Vaters Composition spielte er besser und söhnte mich dadurch wieder etwas aus. Nach ihm spielte ein Herr Palzow, ein wegen seiner theoretischen Kenntnisse sehr berühmter Mann, ein Klavierconcert eigener Composition auf einem Pianoforte mit einem Flötenzuge, den er zugleich mit dem Hammerwerk gebrauchte. So gut und gelehrt aber das Concert auch gearbeitet sein mochte, so wollte es doch weder mir, noch einem der anderen Zuhörer gefallen, weil es gar zu lang und monoton war. Auch machten die Töne der Saiten mit denen der Flöten zusammen einen sehr schlechten Effekt.«

Auch über den damals berühmten Geiger und Komponisten Fodor schrieb ich ein Urtheil nieder. Ich hörte ihn im Concert des »adeligen oder musikalischen Klubs«, wo es aber sehr unmusikalisch herging; denn die vornehme Welt fand sich dort ein, »nicht um zuzuhören, sondern um zu plaudern und im Saal umherzuspazieren«. Zuerst wurde eine schöne Symphonie von Romberg ( C-dur) vortrefflich aufgeführt. Dann sang Herr Pasco, erster Tenorist des italienischen Theaters, eine Arie so lieblich, zart und geschmackvoll, daß es wirklich etwas ruhiger im Saale wurde. Nun folgte Herr Fodor mit einem Concerte eigener Composition, das mir aber schlechter schien, als die mir bekannten. Auch sein Spiel wollte mir nicht behagen. Er spielte zwar rein und ziemlich fertig, aber ohne Wärme und Geschmack. Auch ließ er bei den Passagen den Bogen fortwährend springen, was bald unerträglich wird. Madame Canavassi, erste Sängerin der italienischen Oper, die mir früher in der Oper nicht gefallen wollte, sang diesmal so schön, daß ich eingestehen mußte, ihr Unrecht gethan zu haben.

Während der Fastenzeit, in der die griechische Kirche keine Theatervorstellungen duldet, gab die Hoftheater-Intendanz wöchentlich zwei große Concerte im Steiner-Theater, in welchen sämmtliche Virtuosen der Kaiserlichen Kapelle, zu denen Herr Eck nun auch gezählt wurde, auftraten. Die vorzüglichsten, die ich dort zu hören Gelegenheit fand, waren die Geiger Hartmann, Jerchow und Remi, der Violoncellist Delphino, der Hautboist Scherwenka, und der Waldhornist Hirschfeld.

Das Orchester bestand beim ersten Concerte aus sechsunddreißig Violinen, zwanzig Bässen und doppelt besetzter Harmonie. Außer dieser waren zur Unterstützung der Chöre noch vierzig Hornisten der Kaiserlichen Kapelle da, von denen ein Jeder nur einen Ton zu blasen hatte. Sie dienten als Orgel und gaben dem Chorgesange, dessen Töne ihnen zugetheilt waren, große Festigkeit und Kraft. In einigen kleinen Soli's waren sie von hinreißender Wirkung. Vorn vor dem Orchester standen die Hofsänger, Männer und Knaben, etwa fünfzig an der Zahl, alle in rother, mit Gold besetzter Uniform. Nach dem ersten Theil des Oratoriums von Sarti spielte Remiein Violinconcert von Alday mit vielem Beifall. »Nach dem Concerte, als wir nach Haus fuhren, verlangte er mein Urtheil über sein Spiel zu hören. Da nun unter Freunden stets Wahrheit herrschen muß, so verhehlte ich ihm nicht, daß ich an seinem Spiele, so rein und sauber es auch gewesen sei, doch noch Schattirung von Stärke und Schwäche, Ausdruck im Gesange und hinlängliche Kraft in den Passagen vermißt habe. Er dankte mir für meine Aufrichtigkeit und äußerte, er sei heute besonders befangen gewesen, weil er an Herrn Eck's Stelle habe auftreten müssen, der früher für dies Concert angekündigt gewesen sei.« – Nach dem zweiten Theile des Oratoriums spielte Herr Delphino ein Violinconcert. Da man viel Rühmens von seinem Spiele machte, so erwartete ich mehr, als er leistete. »Er spielte ohne Geschmack und nicht einmal immer rein.«

Im zweiten Concerte traten die italienischen Sänger, im dritten die französischen auf. Unter den ersten zeichneten sich die schon genannten Herr Pasco und Madame Canavassi aus. Unter den französischen waren nur zwei, die auf den Namen Sänger Anspruch machen durften, Herr St. Leon und die berühmte Phyllis Andrieux, die durch ihren korrekten, lieblichen Gesang, ihr gewandtes, graziöses Spiel und ihre Schönheit damals ganz Petersburg entzückte. Besonders war es eine Polonaise, womit sie Alles hinriß und die sie stets da capo singen mußte. Den Anfang davon giebt das Tagebuch wie folgt:

»Zwischen dem ersten und zweiten Theile dieses Concertes wurde von den Kaiserlichen Hornisten eine Ouvertüre von Gluck executirt und zwar mit einer Geschwindigkeit und Genauigkeit, die für Saiteninstrumente schon schwer gewesen wäre, wie viel mehr für die Hornisten, deren Jeder nur einen Ton bläs't. Es ist kaum glaublich, daß sie die schnellsten Passagen mit großer Deutlichkeit hervorbrachten, und ich würde es auch nicht für möglich halten, wenn ich es nicht mit eigenen Ohren gehört hätte. Doch machte begreiflicherweise das Adagio der Ouvertüre größeren Effekt, als das Allegro; denn es bleibt immer eine Unnatur, mit diesen lebendigen Orgelpfeifen so schnelle Passagen einzuüben, und man kann nicht umhin, an die Prügel zu denken, die es dabei gesetzt haben mag.«

Diese Fasten-Concerte waren übrigens mit Ausnahme eines einzigen, in welchem Herr Eck spielte und Demoiselle Phyllis sang, nur wenig besucht, weshalb die Intendanz auch bald damit aufhörte.

Sehr besucht war aber eine Aufführung der »Jahreszeiten« von Haydn, die zum Besten einer Wittwenkasse ebenfalls in der Fastenzeit veranstaltet wurde. Baron Nall, der einer der Unternehmer war, hatte auch mich zur Mitwirkung eingeladen. Ich machte daher alle Orchesterproben mit und spielte in diesen, so wie auch bei der Aufführung, mit Herrn Leveque aus einer Stimme. Das Orchester war so zahlreich, wie ich noch keins gehört hatte. Es bestand aus siebzig Violinen, dreißig Bässen und doppelten Blasinstrumenten. Die Wirkung war daher eine sehr großartige, und das Tagebuch spricht mit Entzücken davon, sowie auch von dem Werke selbst, das ich dort zum erstenmale hörte, obwohl ich »die Schöpfung« doch noch höher stellte!

Das gemeinschaftliche Spiel mit Leveque hatte mich mit diesem näher befreundet, und so erfuhr ich von ihm, daß er im Sommer seine Eltern in Hannover besuchen werde. Wir beschlossen daher, die Reise nach Lübeck auf demselben Schiffe zu machen.

Bei den nun öfteren Besuchen des neuen Freundes spielte ich ihm auch mein neues Violinconcert vor, und äußerte den Wunsch, es mit Orchester hören zu können, bevor ich es an den Verleger zum Stich absende. Leveque erbot sich sogleich, es mit seinem Orchester einzuüben, nahm dazu die Stimmen mit und lud mich einige Tage später zu einer Probe ein.

»Ich war in großer Bewegung, da ich meine Composition nun zum erstenmale vollstimmig hören sollte. Die Tutti waren gut eingeübt, und ich konnte daher recht gut beurtheilen, in wiefern jede Stelle den von mir beabsichtigten Effekt machte. Bei den meisten war ich zufrieden, und einige übertrafen sogar noch meine Erwartung ... Desto weniger war ich es aber mit meinem Spiel. Da meine ganze Aufmerksamkeit auf die Begleitung gerichtet war, so spielte ich viel schlechter, als zu Hause. Ich bat daher Herrn Leveque um die Erlaubniß, das Concert in acht bis zehn Tagen, wenn ich die Abschrift erhalten haben würde, noch einmal probiren zu dürfen, was er gern gewährte.«

Später heißt es dann: »Gestern erhielt ich die Abschrift meines Concertes, wofür ich acht Silberrubel bezahlen mußte. In Deutschland hätte ich dafür sechs Concerte abgeschrieben bekommen können.« Das Werk wurde nun nochmals aus den neuen Stimmen probirt. Ich war viel ruhiger, als das erstemal und spielte daher viel besser. Auch wurde es noch besser als das vorigemal begleitet und machte daher auch mehr Wirkung. Leveque äußerte sich sehr zufrieden. »Ich eilte daher vergnügt nach Haus, packte das Concert ein, und trug es nebst einem Briefe auf die Post. Dort hörte ich mit Verwunderung, daß es in Rußland gar keine Fahrpost, mit welcher man Packete in's Ausland schicken kann, giebt, und daß ich für mein Packet, wenn ich es mit der Briefpost versenden wolle, wenigstens fünfzig Rubel zu zahlen haben würde.« Ich nahm es daher zurück, um es demnächst mit Schiffsgelegenheit abzusenden.

Ich habe oben der Kaiserlichen Hornisten gedacht, von denen jeder nur einen Ton zu blasen hatte. Am 12. Januar, dem Neujahrstage der Russen, wo der Kaiser, wie alljährlich, eine große Frei-Maskerade im Winterpalast gab, wozu zwölf tausend Billette ausgetheilt waren, fand ich dieselben dem gewöhnlichen Tanzorchester beigesellt und vernahm so eine Musik, von der ich bis dahin keinen Begriff gehabt hatte. »Die Begleitung dieser Hörner gab dem Orchester eine Fülle und einen Wohlklang, wie ich sie nie gehört habe. Einzelne Soli der Hörner machten eine hinreißende Wirkung. Ich konnte mich lange nicht von diesem Platze losreißen.«

In einem anderen Saale, dem Throne gegenüber, tanzte, vom Hofstaat umgeben, die Kaiserliche Familie. Da aber dieser Theil des Saales »durch eine Mauer von baumlangen Grenadieren mit ungeheuer hohen Bärenmützen abgesperrt war, und da ich, trotz meiner ansehnlichen Länge, nicht einmal über die Schultern dieser Riesen wegsehen konnte, so erblickte ich nicht viel von der Kaiserlichen Pracht und dem Diamantenschmuck der Damen. Ich ging daher weiter und gelangte bald in den dritten und schönsten Saal. Dieser ist ganz von polirtem Marmor, die Wände weiß, die Säulen violet, und die Fenstereinfassung blau. Die Beleuchtung spiegelte sich tausendfach in dem glänzenden Stein. Sie soll in sämmtlichen Räumen in zwanzigtausend Wachskerzen bestanden haben.«

»Nachdem ich die Räume mehrmals durchwandert, und alle Herrlichkeiten besehen hatte, versuchte ich, Herrn Eck wieder aufzufinden, der mir gleich anfangs abhanden gekommen war. Dies war aber unter den zwölftausend Anwesenden ein vergebliches Bemühen. Ich vermuthete nun, er sei bereits nach Haus gegangen, und wurde durch den Umstand, daß unser Bedienter nicht mehr auf dem ihm angewiesenen Platze war, hierin noch mehr bestärkt. Ich hielt es daher für's Beste, nun auch nach Haus zu gehen, und hoffte, gut durchwärmt wie ich war, den kurzen Weg zu unserem Wirthshause auch ohne Mantel zurücklegen zu können, obgleich die Kälte bis auf vierundzwanzig Grad gestiegen war. Kaum hatte ich aber den Platz vor dem Winterpalaste, an dessen entgegengesetzter Seite unser Hotel liegt, betreten, so fühlte ich, daß mir Nase und Ohren erstarrten, und sicher hätte ich sie erfroren, obgleich ich sie fortwährend rieb, wäre nicht auf der Mitte des Platzes ein großes Feuer für die Kutscher angezündet gewesen, bei dem ich mich wieder ein wenig erwärmen konnte, bevor ich die zweite Hälfte des Weges zurücklegte. Herr Eck war aber leider noch nicht nach Haus gekommen, und da er den Schlüssel zu unserem Zimmer hatte und die Kaffeestube im Hause schon geschlossen war, so mußte ich mich entschließen, wieder hinzugehen. Dort angekommen, gelang es mir, zum Büffet vorzudringen und mich mit einem Glase Punsch wieder zu erwärmen. Während ich noch das reiche Gold- und Silbergeschirr, womit dieses Zimmer geschmückt war, betrachtete, kam auch Herr Eck zum Büffet. Wir durchwanderten nun noch einmal die prächtigen Räume Arm in Arm und fuhren dann, da sich unser Bedienter mit den Mänteln auch wieder eingefunden hatte, zusammen nach Haus. Freund Remi, dem ich mein Abenteuer erzählte, schalt mich sehr wegen meiner Unvorsichtigkeit.«

Am 27. Februar endete die sogenannte »tolle Woche«, die daher den Namen hat, weil die Russen sich während derselben die tollsten Ausschweifungen erlauben, um sich für die Entbehrungen, die ihnen die nachfolgenden Fasten auferlegen, im voraus schadlos zu halten. »Da sie sechs Wochen lang weder Fleisch, noch Milch, noch Butter essen dürfen, so stopfen sie sich noch einmal recht voll, sprechen der Branntweinsflasche so fleißig zu, daß sie gar nicht mehr nüchtern werden und erlauben sich in diesem Zustande alle mögliche Sünden, weil sie dieselben durch das nun folgende Fasten hinlänglich abzubüßen glauben. – In allen Gegenden der Stadt werden Buden aufgeschlagen, in denen Obst, Getränke und Näschereien aller Art verkauft werden. In anderen werden Puppenspiele, abgerichtete Hunde, Taschenspielerkünste und dergleichen gezeigt. Das Hauptvergnügen der Russen in dieser Woche ist aber das Hinabfahren von den Eisbergen, vermuthlich weil es so halsbrechend ist. Auf der Newa und an verschiedenen anderen Orten werden hohe Gerüste erbaut, die von der einen Seite Treppen zum Hinaussteigen haben und auf der anderen sich allmälig bis zum Boden herabsenken. Dieser Abhang ist mit großen Eisstücken belegt, die in den Fugen durch hineingegossenes Wasser auf das Genaueste verbunden sind. Aus dieser spiegelglatten Eisfläche wird nun mit kleinen mit Stahl beschlagenen Schlitten hinabgefahren, und diese mit kurzen Stäben, in jeder Hand einer, regiert. Es gehört viel Geschicklichkeit dazu, bei dem rasend schnellen Fahren stets die Mitte der Bahn zu halten, damit man nicht an den Seiten, die nur durch eine leichte Barriere geschützt sind, hinabstürzt. Vier betrunkene Russen, die, kaum abgefahren, mit ihren Schlitten in einander geriethen, dadurch der Barriere zu nahe kamen, mußten ihre Ungeschicklichkeit hart büßen. Sie stürzten hinab; zwei blieben auf der Stelle todt, die anderen wurden mit zerbrochenen Gliedern weggetragen. Das Vergnügen wurde aber dadurch nicht im geringsten gestört, und man drängte sich immer wieder von neuem zu den Treppen. Am 26. fuhr der Hof hin und sah eine lange Zeit dem halsbrechenden Vergnügen zu.«

In einer Abendgesellschaft beim Baron Rall fand ich auch den Gouverneur von Narwa, der uns bei unserer Durchreise fast mit Gewalt zu sich holen ließ. Er erkundigte sich freundlich nach meinem Befinden und setzte hinzu: »Bei der Rückreise werden Sie in Narwa das Petersburger Thor geöffnet, das entgegengesetzte aber verschlossen finden und dann ohne Gnade auf acht Tage mein Gefangener sein müssen!«

»An diesem Abend spielte außer Herrn Eck auch Field, und zwar wundervoll. Um zwei Uhr setzte sich die Gesellschaft zu Tische und erst nach vier kamen wir nach Haus.«

Am 5. April, meinem Geburtstage, lud mich Herr Eck in's Hotel de Londres zum Mittagsessen ein. Vorher machten wir bei dem freundlichen Wetter einen Spaziergang an die Newa, deren mit Granitmauern eingefaßtes Ufer der Sammelplatz der beau monde war. Man erwartete mit Ungeduld den Durchbruch des Eises und es wurden in Bezug auf den Tag, wo er erfolgen würde, große Wetten abgeschlossen. – Abends hatte ich unerwartet noch eine große Freude. » Remi hatte mich wieder eingeladen, mit ihm Duetten zu spielen, und ich konnte ihm heute ein neues von meiner Composition bringen. Nachdem wir dieses zum zweitenmal durchgespielt hatten, umarmte er mich und sagte: Du mußt mit mir die Geige tauschen, damit wir Beide ein Andenken von einander besitzen! Ich erschrak vor Freude; denn seine Geige hatte mir schon längst besser als die meinige gefallen. Da sie aber, eine echte Guarneri, wenigstens noch einmal so viel werth ist, wie die meinige, so mußte ich sein Anerbieten ablehnen. Er ließ sich aber nicht abweisen und sagte: Deine Geige gefällt mir, weil ich Dich so oft darauf habe spielen hören, und wenn die meinige wirklich besser ist, so nimm sie als ein Geburtstagsgeschenk von mir an! Nun durfte ich mich nicht länger weigeren und trug überglücklich meinen neuen Schatz nach Haus. Hier hätte ich gar zu gern noch die ganze Nacht gespielt und mich an dem himmlischen Tone ergötzt; da Herr Eck aber schon zu Bett gegangen war, so mußte ich sie ruhig im Kasten liegen lassen. Schlafen werde ich aber nicht können!«

Am 11. April holte mich Herr Leveque zu einem Spaziergange an die Newa ab. »Wir fanden dort halb Petersburg versammelt, den Durchbruch des Eises erwartend. Endlich verkündete ein Kanonenschuß aus der Festung den lang ersehnten Moment. Dieser war auch zugleich das Signal für die Matrosen, um die lange Schiffbrücke, die Wasiliostrow mit diesem Theil der Stadt verbindet, abzubrechen, was auch in wenigen Minuten geschah. Nun konnte das Eis ungehindert abfließen und es dauerte nicht lange, so fuhr man schon mit Booten hin und her. Das erste derselben brachte den Gouverneur der Festung herüber, der, von einem ansehnlichen Gefolge und der Regimentsmusik begleitet, dem Kaiser in seinem Palast ein Glas Wasser aus der Newa überbringt, und dafür ein Geschenk von tausend Rubel erhält. Nachher fahren die Kronmatrosen, alle in rothen Uniformen, Jedermann unentgeltlich hin und her, bis die Communication zwischen beiden Stadttheilen durch die Schiffbrücke wieder hergestellt ist. – Nachdem wir dies alles einige Stunden, hin- und herspazierend, mit großem Vergnügen angesehen hatten, kehrten wir nach Haus zurück.«

In der Osternacht, Sonntag, 17. April, wurde ich durch Kanonenschüsse geweckt, die den Anbruch des Festes verkündeten. Da es sehr ruhig war, so hörte man jeden Schuß in vielfachen Echo's so lange nachhallen, bis wieder ein neuer fiel. – Am Ostertage begrüßt der Russe seine Bekannten mit den Worten: »Christus ist auferstanden!« worauf der Gegrüßte den Grüßenden küssen muß. Man braucht nur an das Fenster zu treten, um allenthalben Umarmende und Küssende zu sehen. Man erzählte mir: »die Kaiserin Katharina sei einst am Ostertage, von ihrem Hofstaat umgeben, am Ufer der Newa spazieren gegangen, als ein schmutziger Kerl, wahrscheinlich etwas angetrunken, sich ihr mit dem Gruß: »»Christus ist auferstanden!«« in den Weg stellte und sie, um nicht gegen die heilige Sitte zu verstoßen, gezwungen war, ihn zu küssen. Er wurde indessen auf einen Wink von ihr sogleich gepackt und hatte nachher in Sibirien Zeit genug, seine Keckheit zu bereuen!«

Einige Wochen später erhielt ich von Breitkopf und Härtel in Leipzig die Aufforderung, einen Bericht über die Petersburger Musikzustände für ihre Zeitung zu liefern, der auch im Jahrgang von 1803 abgedruckt worden ist.

»Am 13. Mai war wieder ein originelles Volksfest. Alles, was Equipage, ein Reitpferd, oder zwei gesunde Beine besitzt, zieht an diesem Tage zum Rigaer Thor hinaus nach Katharinenhof, begafft sich dort ein paar Stunden und kehrt dann nach Haus zurück. Ich war mit Leveque dort und muß gestehen, daß der Anblick der prächtigen Equipagen, deren wohl zweitausend sein mochten, nebst ihrem geputzten Inhalt, mir recht viel Unterhaltung gewährte. Katharinenhof ist ein kleines Gehölz, welches für das Klima ziemlich frisch aussieht. Man hat von dort eine schöne Aussicht auf das Haff. Mitten im Holze liegt Peter des Großen Lustschloß, welches mit seinen antiken Möbeln noch ganz so erhalten ist, wie er es bewohnte. Es ist sehr ärmlich und gleicht eher einem Bürgerhause, als dem Schlosse eines mächtigen Kaisers. Wir nahmen einen anderen Rückweg und sahen viele schöne Landhäuser und Gärten, deren es vor diesem Thore eine große Menge giebt.«

So nahte unter mancherlei Beschäftigungen und unter kleinen Ausflügen zur Besichtigung der prächtigen Stadt die Zeit unserer Abreise heran. Wir accordirten die Ueberfahrt mit einem Lübecker Schiffer, dem wir, Kost mit eingerechnet, zwanzig Dukaten für uns Beide zahlten. Kurz vor der Abreise erlebten wir noch ein glänzendes Fest, das ich ausführlich geschildert habe. Es war das Jubiläum der Erbauung von Petersburg, wozu Peter der Große vor hundert Jahren den Grund gelegt hatte.

»Am 28. Mai, um neun Uhr, versammelte sich alles anwesende Militair auf dem Isaaksplatze und wurde vom Kaiser selbst aufgestellt und commandirt. In seinem Gefolge war die ganze Generalität und sämmtliche Gesandte zu Pferde. Um zehn Uhr erschien die Kaiserin mit dem Hofstaate in etwa zwanzig prächtigen Wagen. Die Staatskarosse, in welcher neben der Kaiserin auch die Kaiserin-Mutter Platz genommen hatte, war ganz vergoldet und reich mit Edelsteinen besetzt. Oben auf war sie mit einer Brillantkrone geschmückt, die auf einem Purpurkissen befestigt war. Acht eiergelbe Pferde in Silbergeschirr mit Steinen besetzt, zogen diesen Prachtwagen. Die übrigen Hofwagen, ebenfalls sehr schön, waren mit sechs Pferden bespannt. Der Kaiser ritt ein wunderschönes Pferd, reich aufgeschirrt, war im Uebrigen aber in einfache Uniform gekleidet. In seinem Gefolge war auch ein türkischer Prinz, der durch glänzende Kleidung die Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Griff seines Säbels war ganz mit großen Diamanten bedeckt und Steigbügel und Sporen waren von massivem Golde. Als der Zug vor der Isaakskirche angekommen war, stieg der Kaiser vom Pferde und führte seine Gemahlin in die Kirche, wo sogleich das Tedeum-laudamus von den Hofsängern angestimmt wurde. Leider gelang es uns nicht, in die Kirche einzudringen, da sogleich nach Eintritt des Hofes die Thüren geschlossen wurden. Doch mag wohl auch im Inneren der Kirche wenig von der Musik zu hören gewesen sein, da nicht nur mit allen Glocken geläutet wurde, sondern auch von der Festung und den auf der Newa liegenden Kriegsschiffen Kanonensalven gegeben wurden. Das auf dem Platze neben der Kirche aufgestellte Militair vermehrte noch den Lärm durch Kleingewehrfeuer, und das Volk genirte sich im Toben und Lärmen auch nicht sehr. So drang denn nicht ein einziger Ton der Musik bis zu uns auf den Platz. Nach geendetem Gottesdienste ging der Hof zu Fuß durch ein Spalier von Militair in den Senat. Was dort für Ceremonien stattgefunden, habe ich nicht erfahren können. Nach einer halben Stunde etwa wurden die Wagen wieder bestiegen, und der Zug kehrte in der früheren Ordnung in den Palast zurück. Abends war die Stadt auf das Glänzendste erleuchtet, so schön wie ich es noch nie sah. Um neun Uhr holte mich Leveque ab und führte mich zuerst in den Sommergarten. Es hingen schwere Wolken am Himmel und drohten durch einen tüchtigen Platzregen die so eben angesteckten Lampen wieder auszulöschen. Bei den jetzigen hellen Nächten, in welchen es bis zwölf Uhr so hell bleibt, daß man, ohne Licht anzuzünden, lesen und schreiben kann, war aber dieser schwarze Himmel höchst willkommen, weil sonst die Illumination wenig Wirkung gemacht haben würde. Der Garten war sehr glänzend erleuchtet. An beiden Seiten der Alleen waren Gerüste errichtet, die dicht mit Glaslampen von verschiedenen Farben behängt waren. Am Ende der Alleen sah man hellerleuchtete Triumphbogen, in deren Mitte die Buchstaben P. (Peter) und A. (Alexander) brannten. Auch sämmtliche Pavillons des Gartens waren glänzend und geschmackvoll erleuchtet. Aber einen wahrhaft zauberhaften Anblick gewährte die Festung, als wir aus dem Garten an das Ufer der Newa traten. Sie schwamm in einem wahren Feuermeer! Die Granitmauern der Wälle waren mit weißen, die Säulen und das Gesimse des Eingangsthors mit rothen und die Schilderhäuser auf der Höhe der Mauern mit blauen Lampen behängt. Der zierliche Festungsthurm war bis zur höchsten Spitze erleuchtet, und da es völlig windstill, so war auch nicht eine Lampe unangezündet geblieben. Auf unserem Standpunkte spiegelte sich nun noch einmal das ganze Feenbild zu unseren Füßen in der Newa ab! Es war ein Anblick zum Entzücken! Doch der Himmel wurde immer schwärzer und drohender; wir mußten daher eilen, auch andere Gegenden der Stadt zu sehen.«

»Neben der Brücke, die auch auf das Glänzendste erleuchtet war, fanden wir ein großes Schiff, welches bis auf die höchsten Spitzen der Masten mit bunten Lampen behängt war, zwischen denen unzählige Wimpel flatterten. Die von der Admiralität fächerartig auslaufenden Straßen, deren mehrere über eine Stunde lang sind, waren taghell erleuchtet und gewährten, von der fröhlichen bunten Menge durchwogt, einen herrlichen Anblick. Unter den öffentlichen Gebäuden, die mit Transparentgemälden und Inschriften reich verziert waren, zeichnete sich besonders die Admiralität aus. Auch einige Privatgebäude hatten Transparente, unter anderen das des Ober-Kammerherrn von Narischkin. Mars, von den allegorischen Figuren der Weisheit und Gerechtigkeit begleitet, bekränzte die Buchstaben P. und A., ersterer mit der Unterschrift: Gloire du premier siècle, letzterer: Gloire du second siècle! – Wir folgten nun dem Strome der Menschenmasse, die nach dem Sommergarten eilte, wo ein großes Feuerwerk abgebrannt werden sollte. Doch kaum hatten wir die Arkaden des Winterpalastes erreicht, als ein plötzlich herabstürzender Platzregen der Herrlichkeit auf einmal ein Ende machte und das eben noch taghelle Petersburg in weniger als einer Minute in egyptische Finsterniß einhüllte! Nur der Platz unter den Arkaden, wohin wir uns geflüchtet hatten, blieb hell erleuchtet. Dieser Umstand verhalf uns noch zu einem eigenthümlichen Schauspiel. Die bunte, mit dem Sonntagsstaat behängte Menge, die aus dem Sommergarten nach Hause flüchtete, mußte nämlich vor unserem Standpunkte vorbeidefiliren und nahm sich, triefend von Regen, komisch genug aus. Einige Frauenzimmer hatten in Ermangelung eines Regenschirmes die Röcke über den Kopf gezogen; andere sogar, auf die Finsterniß vertrauend, Schuhe und Strümpfe ausgezogen, um sie zu schonen, und wateten nun barfuß vorüber, nicht wenig erschrocken, einen so hell erleuchteten, mit lachenden Zuschauern besetzten Raum passiren zu müssen! Endlich, nach einer Stunde etwa, hörte der Regen auf, und wir konnten nun auch unsere Wohnungen aufsuchen.«

Am 1. Juni (20. Mai) packte ich meine letzten Sachen und ging dann, um von Freunden und Bekannten Abschied zu nehmen. Die Trennung von meinem guten Remi war sehr schmerzlich und kostete uns beiden viele Thränen. Er versprach mir, mich in einigen Jahren in Deutschland aufzusuchen. Auch der Abschied von meinem Lehrer, dem ich so viel verdankte, war ein sehr betrübter, um so mehr, da er seit einiger Zeit wieder recht leidend war und ich daher fürchten mußte, ihn nie wieder zu sehen!

Diese Befürchtung war nur zu wahr; wir sahen uns nicht wieder! Ueber seine späteren, zum Theil höchst abenteuerlichen Schicksale habe ich Folgendes erfahren, ohne mich jedoch für die strenge Wahrheit desselben verbürgen zu können, da ich es größtentheils nur vom Hörensagen habe.

Eck hatte zu der Zeit, als ich von Petersburg abreis'te, ein Liebesverhältniß mit der Tochter eines Mitglieds der Kaiserlichen Kapelle angeknüpft, dachte aber nicht entfernt daran, das Mädchen ehelichen zu wollen. Empört über solchen Leichtsinn, hielt ich es für meine Pflicht, die Eltern zu warnen. Es geschah; meine Warnung wurde aber kühl und ungläubig aufgenommen. Einige Monate später, als auf einmal Herrn Eck's Besuche plötzlich aufhörten, gestand die Tochter, in Thränen zerfließend, sie sei von ihm verführt und spüre schon die Folgen davon. Die Mutter, eine entschlossene Frau, wußte sich Audienz beim Kaiser zu verschaffen, warf sich ihm zu Füßen und flehte um Wiederherstellung der Ehre ihrer Tochter. Der Kaiser gewährte. Er ließ in ächt Kaiserlich Russischer Weise Herrn Eck die Wahl, ob er sich binnen vierundzwanzig Stunden mit seiner Geliebten trauen lassen, oder eine Spazierfahrt nach Sibirien antreten wolle. Herr Eck wählte natürlich das erstere. Daß aus einer solchen Ehe bald eine Hölle auf Erden werden mußte, begreift sich leicht. Eck, dessen Gesundheit durch frühere Ausschweifungen ohnehin ganz zerrüttet war, konnte die Einwirkung der täglich sich erneuernden Ehestandsscenen nicht lange ertragen. Er verlor den Verstand und tobte bald dermaßen, daß die Schwiegermutter abermals die Hülfe des Kaisers anflehen mußte. Dieser ließ die Ehe trennen, gab der Frau eine Pension und befahl, ihren Mann, unter gehöriger Aufsicht, zu seinem Bruder nach Nancy zu schicken. Die Wahl des Menschen, dem der Unglückliche so wie das vom Kaiser bewilligte Reisegeld anvertraut wurden, war aber eine sehr unglückliche und verfehlte; denn kaum war derselbe mit seinem Kranken in Berlin angelangt, so erklärte er dem dortigen Russischen Gesandten, das Reisegeld sei ausgegeben, und er könne daher seinen Pflegebefohlenen nicht weiter begleiten. Zugleich legte er dem Gesandten eine Berechnung seiner Ausgaben vor, nach welcher allerdings die vom Kaiser bewilligte Summe erschöpft war. Es fanden sich aber sonderbare Posten darin, u. A. ein Diner von hundert Gedecken, welches der Verrückte ohne Wissen seines Führers in einem der ersten Hôtels von Riga bestellt habe und das letzterer dann vollständig habe bezahlen müssen. Ob der Gesandte sich bei dieser Berechnung beruhigte, ist nicht bekannt geworden; der Führer aber war plötzlich verschwunden!

Unterdessen war dem Geisteskranken, der sich nicht mehr bewacht sah, die Lust angekommen, davonzulaufen. Nur halb angekleidet entwischte er am Abend unbemerkt aus dem Zimmer, und da draußen starkes Schneegestöber war, so gelang es ihm auch, unaufgehalten zum Thor hinauszukommen. Erst einige Stunden von Berlin wurde er von Bauern ergriffen, und da diese ihn für einen entsprungenen Sträfling hielten, gebunden nach der Stadt zurückgebracht. Auf der Polizei erkannte man den armen, halb erfrorenen Flüchtling bald für einen Geisteskranken und lieferte ihn in's Irrenhaus ab. Einige Mitglieder der Hofkapelle, die den Unglücklichen wenige Jahre vorher in dem Glanze seiner Künstlerlaufbahn gekannt und bewundert hatten, nahmen sich seiner an. Sie veranstalteten unter ihren Collegen und wohlhabenden Kunstfreunden eine Collecte, mit deren Ertrag sie ihn unter der Aufsicht eines zuverlässigen Mannes nach Nancy zu seinem Bruder schickten. Dieser verschaffte ihm ein anständiges Unterkommen im Irrenhause zu Straßburg, wo er mehrere Jahre verblieb. Dann hörte seine ehemalige Gönnerin, die verwitwete Kurfürstin von Bayern, von seinem Unglück und sandte ihn zu einem Prediger in oder bei Offenbach, der sich mit der Heilung Geisteskranker beschäftigte. Hier soll er, wenn auch nicht geheilt, doch merklich ruhiger geworden sein, so daß man ihm wieder eine Violine in die Hand geben konnte, der er rührende Melodien entlockt haben soll. Nach dem Tode der Kurfürstin fand er dann im Irrenhause zu Bamberg ein Unterkommen, wo er 1809 oder 1810 gestorben ist.

Am 2. Juni (21. Mai), Vormittags um neun Uhr, fuhren wir von Petersburg ab.

»Bei einem Wachtschiffe am Ausflusse der Newa mußten wir unsere Pässe vorzeigen und erhielten sie zurück, ohne daß es etwas kostete, was uns nach den bisher gemachten Erfahrungen sehr verwunderte. Da der Wind uns entgegen kam, mußten die Matrosen fortwährend ruderen, wodurch die Fahrt lang und zuletzt auch langweilig wurde, so daß wir froh waren, als wir endlich um 2 Uhr in Kronstadt ankamen. Wir kehrten beim deutschen Traiteur ein, dessen Ehrlichkeit uns gerühmt war. Er hatte aber außer dieser auch vollständig die rauhe Derbheit, um nicht zu sagen Grobheit, conservirt, denn als wir Abends um neun Uhr, von einem Spaziergange zurückkehrend, Abendessen verlangten, antwortete er: Jez is keine Tit tau eten, jez geit man schlapen! Und damit kehrte er uns den Rücken zu. Ganz verblüfft stiegen wir die Treppe hinauf, und hatten uns schon mit dem Gedanken vertraut gemacht, hungrig zu Bette gehen zu müssen, als er doch noch zum Essen hinunterrufen ließ. Anfangs hatten wir große Lust, es nun zu verschmähen; doch der Hunger siegte über die Empfindlichkeit. Wir gingen hinunter, fanden recht gutes Essen und der Wirth, der uns selbst bediente, suchte durch Freundlichkeit die vorige Grobheit vergessen zu machen.«

Der Wind wurde erst nach einigen Tagen zur Weiterfahrt günstig; aber gar bald und gar lange mußte der »Saturn«, so hieß unser Schiff, laviren, und noch am 14. Juni waren wir »nicht weit vom Hochland entfernt, was wir schon am ersten Tage erreicht hatten.« Am zweiten Tage ging die See sehr hoch und es wurden daher die Passagiere, drei Frauenzimmer und neun Männer, nach und nach sämmtlich krank. Bei mir fing es mit Kopfschmerzen an. »Es war mir so schlecht zu Muthe, daß ich es bitter bereute, zur See gegangen zu sein.« Doch am vierten Tage wurde mir besser, und bald befand ich mich, obgleich die See noch immer sehr unruhig war, so wohl wie am Lande. Aber nicht Allen ging es so gut, denn die Damen und auch einige von den Herren waren noch lange krank und unsichtbar. Leveque und ich amüsirten uns indessen ganz gut. Wir spielten Duetten, lasen, schrieben, zeichneten, gingen auf dem Verdeck spazieren und ließen uns Essen und Trinken recht gut schmecken. So verging ein Tag nach dem andern. Doch seufzten wir wie die übrigen nach gutem Winde, »denn dieses ewige Laviren, wobei man nicht vorwärts kommt, ist unerträglich!«

Am 15. Juni hatten wir guten Wind, am 16. aber fast Windstille und am 20. Sturm. Dieser war so arg, daß das Schiff in allen Fugen krachte. »Ich kroch, so krank ich auch war, hinauf, um das schauerlich schöne Schauspiel anzusehen. Zwar wurde ich tüchtig durchnäßt, denn die Wellen schlugen alle Augenblick über das Verdeck: auch konnte ich wegen der Kälte und dem schneidenden Winde nicht lange oben aushalten. Aber der Mühe werth war es, zu sehen, wie die Welten, Bergen gleich, angerollt kamen und uns zu verschlingen drohten, dann uns plötzlich packten, in die Höhe schleuderten und eben so schnell in einen tiefen Abgrund stürzen ließen! Obgleich ich durch die vorhergegangene unruhige See schon einigermaßen an dieses Schauspiel gewöhnt war, so lief es mir doch bei jedem Sturze eiskalt über den Rücken, und ich würde uns in großer Gefahr geglaubt haben, hätte ich nicht auf des Capitäns ruhigem Gesichte das Gegentheil gelesen. Dieser gab mit demselben Phlegma wie immer seine Befehle. Schrecklich war es aber anzusehen, wie die Matrosen bis zur höchsten Spitze der Masten hinaufkletterten und dann auf den Raaen hinausrutschten, um die Segel einzureffen. Nur Leute, die bei solchen Gefahren aufgewachsen sind, können mit kaltem Blute dem tobenden Elemente so Trotz bieten.«

Am 26. Juni kamen wir in die Nähe von Bornholm, einer dänischen Insel, wo wir zwei kleine Städte, viele Dörfer und ein sorgfältig bebautes Land gewahrten. »Besonders erfreulich war mir der Anblick der grünen Getreidefelder, den ich so lange entbehrte.« Bei einer kleinen Nebeninsel »brachten uns Bauern in einem Boote frisches Fleisch, Gemüse und Milch. Letztere erfreute mich besonders, da mir der schwarze Kaffee durchaus nicht hatte munden wollen.«

»Einige Abende hatten wir bei heiterm Himmel und Windstille ein Schauspiel, wie man es am Lande in dieser Majestät niemals sieht, nämlich den Sonnenuntergang. Es ist nicht möglich, die Pracht der stets wechselnden Farben zu beschreiben, mit denen sowohl die am Himmel zerstreuten Wolken, wie die einem Spiegel gleiche See übergossen wurden; aber der Eindruck, den dieses erhabene Schauspiel bei der feierlichen Stille des Abends auf die ganze auf dem Verdeck versammelte Schiffsgesellschaft machte, wird mir ewig unvergeßlich bleiben. Ich sah die Gefühllosesten davon ergriffen.«

Am 28. Juni endlich warf der Saturn nach einer Seefahrt von einundzwanzig Tagen auf der Rhede von Travemünde Anker, und am 5. Juli 1803 war ich wieder in meiner Vaterstadt Braunschweig, die mir durch die lange Abwesenheit doppelt lieb geworden war. Früh um zwei Uhr kamen wir an.

»Ich stieg beim Petrithore ab, ließ mich über die Ocker setzen und eilte nach der Großmutter Garten. Dort fand ich aber Haus- und Gartenthüre verschlossen, und da mein Pochen nicht gehört wurde, so überstieg ich die Gartenmauer und legte mich in dem am Ende des Gartens befindlichen offenen Pavillon auf die Erde nieder. Ermüdet von der Reise schlief ich augenblicklich ein und würde, trotz des harten Lagers, wahrscheinlich noch lange ruhig fortgeschlafen haben, hätten mich nicht die Tanten bei einem Morgenspaziergange durch den Garten in meinem Verstecke entdeckt. Erschrocken kehrten sie zurück und verkündigten der Großmutter, es liege ein Fremder im Gartenhause. Zu Dreien zurückgekehrt, wagten sie sich näher, erkannten mich, und unter Jubel, Umarmungen und Küssen wurde ich nun geweckt. Lange konnte ich mich nicht besinnen, wo ich war; endlich erkannte ich die lieben Verwandten und freute mich, wieder bei ihnen und in der Heimath zu sein. Sie waren um mich sehr besorgt gewesen, da wegen unserer ewig langen Seereise seit sechs Wochen keine Nachrichten von uns eingetroffen waren.«

Die erste erfreuliche Neuigkeit, die ich erfuhr, war die, daß der berühmte Rode da sei und nächstens bei Hofe spielen werde. Ich ließ mich daher sogleich beim Herzog melden, um das Hofconcert besuchen zu dürfen.

Zugleich schloß ich das oft erwähnte Tagebuch, mit dem Wunsche, daß »es mir noch oft eine angenehme Rückerinnerung an die schöne Reise gewähren möge«.

Ich wurde von meinem Gönner mit dem alten Wohlwollen empfangen, welches sich auf's neue dadurch kundgab, daß er mir durch den Hofmarschall den nicht unbedeutenden Rest des Reisegeldes, als ich darüber Rechnung ablegte, zum Geschenk einhändigen ließ. Auch empfing ich für die Dedication meines Concertes, das ich beim ersten Besuche überreichte, zwanzig Friedrichsd'or.

Ich brannte nun vor Begierde, mit diesem Concerte als Geiger und Componist vor dem Herzog und dem Publikum aufzutreten, um Proben meines Fleißes und meiner Fortschritte abzulegen. Doch ließ sich dies nicht so schnell bewerkstelligen, da Rode bereits ein Concert im Theater angekündigt hatte. Auch konnte ich nicht ohne Bangigkeit daran denken, so bald nach diesem großen Geiger auftreten zu müssen. Denn je öfter ich ihn hörte, desto mehr wurde ich von seinem Spiele hingerissen. Ja! ich trug kein Bedenken, Rode's Spielweise, damals noch ganz der Abglanz von der seines großen Meisters Viotti, über die meines Lehrers Eck zu stellen und mich eifrigst zu befleißigen, sie mir durch sorgfältiges Einüben der Rode'schen Compositionen möglichst anzueignen. Es gelang mir dies auch gar nicht übel, und ich war bis zu dem Zeitpunkte, wo ich mir nach und nach eine eigene Spielweise gebildet hatte, wohl unter allen damaligen jungen Geigern die getreueste Copie von Rode. Besonders gelang es mir, das achte Concert, die drei ersten Quartetten und die weltberühmten Variationen in G-dur ganz in dessen Weise vorzutragen; ich erntete damit sowohl in Braunschweig, als auch später auf meiner ersten Kunstreise großen Beifall.

Bald nach Rode's Abreise brach dann der von mir so sehnlichst erwartete Tag an, wo ich in einem von mir gegebenen Concerte im Theater die erste Probe meiner auf der Reise erworbenen Kunstfertigkeiten ablegen durfte. Die Neugierde hatte ein zahlreiches Publikum herbeigeführt. Bei der Sicherheit, mit der ich nicht nur mein eigenes Concert, sondern auch die anderen unter Eck's Leitung eingeübten Musikstücke spielen konnte, hätte ich billig ohne alle Befangenheit hintreten sollen. Doch konnte ich sie bei dem Gedanken, daß kurz vorher auf meinem Platze, vor denselben Zuhörern, ein so großer Geiger gestanden hatte, nicht ganz überwinden. Aber es galt jetzt, meine Neider zu beschämen, die bei meiner Abreise laut geäußert hatten, der Herzog werde seine Wohlthaten wieder an einen Unfähigen und Undankbaren verschwenden. Ich raffte daher allen meinen Muth zusammen und es gelang mir, schon während des Tutti's meines Concertes Alles um mich her zu vergessen und mich mit ganzer Seele nur meinem Spiele hinzugeben. Der Erfolg war nun aber auch ein über alle Erwartung günstiger; denn schon nach dem ersten Solo brach ein allgemeiner Beifall los, der sich nach jedem folgenden noch steigerte und am Ende des Concert's gar nicht enden wollte. Auch der Herzog, der den jungen Künstler während der Zwischenpause in seine Loge rufen ließ, bezeugte ihm seine volle Zufriedenheit. Es gilt daher dieser Tag noch jetzt in meiner Erinnerung als einer der glücklichsten meines Lebens.

Ich wurde nun an die Stelle eines unlängst verstorbenen Kammermusikers zur ersten Violine versetzt und erhielt auch dessen Gehalt von zweihundert Thalern als Zulage. Da aber dieser wegen des Gnadenvierteljahres für die Witwe nicht sogleich fällig war, so wurde ich durch ein abermaliges Geschenk von zwanzig Friedrichsd'or entschädigt.

Mit meinem Gehalte von dreihundert Thalern und meinen Nebenverdiensten konnte ich nun in damaliger Zeit ganz anständig und sorgenfrei leben. Ich nahm daher meinen Bruder Ferdinand von neuem zu mir und widmete mich mit Eifer dessen Ausbildung. Da ich die Eltern und Geschwister noch nicht wiedergesehen hatte, so holte ich ihn selbst in Seesen ab. Dort erhielt ich auch einen Besuch meines Reisegefährten Leveque, der im Begriffe stand, nach Petersburg zurückzugehen. In den acht Tagen unseres Zusammenseins wurde fleißig musicirt und besonders ergötzte der Vortrag meiner Duetten, die wir während der Seereise so genau eingeübt, die Eltern und Musikfreunde des Städtchens.

Nach Braunschweig zurückgekehrt, begann ich meine Compositionsarbeiten von neuem. Zunächst vollendete ich ein schon auf der Reise angefangenes Violinconcert in E-moll, welches ungedruckt geblieben ist, weil es mir, nachdem ich Rode's Vortragsweise angenommen hatte, nicht mehr gefiel. Doch wurde es damals von mir mehreremale mit Beifall in den Winterconcerten vorgetragen. Auch eine Concertante für Violine und Violoncell mit Orchesterbegleitung schrieb ich in jener Zeit auf den Wunsch des Violoncellisten Beneke, mit dem ich häufig bei Quartettpartien zusammentraf. Dieses Werk ist ebenfalls nicht im Stich erschienen, ja selbst nicht einmal in das Verzeichniß meiner sämmtlichen Compositionen aufgenommen, da es mir in der Zeit, wo ich dieses aufzustellen begann, schon abhanden gekommen, ja aus dem Gedächtniß entschwunden war. Doch werden wohl noch einige Abschriften davon bestehen; denn ich hörte es im Jahre 1817 oder 1818 einmal in einem Concerte in Mainz von den Gebrüdern Gans, den späteren Mitgliedern der Berliner Hofkapelle, vortragen, ohne es sogleich als meine Composition zu erkennen. Zwar schien mir das Musikstück bekannt, gleich als hätte ich es schon früher einmal gehört; doch erst als ich mir von meinem Nachbar den Concertzettel erbeten und mit Erstaunen meinen Namen erblickt hatte, dämmerte in mir die Erinnerung an diese Jugendarbeit auf. Jetzt weiß ich nichts mehr von ihr, als daß sie aus einem Adagio und Rondo bestand, und letzteres im Sechsachtel-Takt geschrieben war. Der Tonart kann ich mich nicht mehr erinnern.

Das Einüben dieser Concertante mit Beneke mag wohl die Veranlassung gewesen sein, daß wir den Entschluß faßten, gemeinschaftlich eine Kunstreise zu machen und zwar nach Paris, wohin ich mich schon längst sehnte. Der Urlaub zu dieser Reise war bei der Gunst, in der ich bei'm Herzog stand, leicht erwirkt, und so traten wir sie denn im Januar 1804 voll der fröhlichsten Hoffnungen an.

Zuerst verweilten wir einige Tage bei meinen Eltern in Seesen, von wo aus wir uns in Göttingen ankündigten, um dort unser erstes Concert zu geben. Wir nahmen zu der Reise dahin einen Miethwagen. Ich hatte mir kurz vor der Abreise aus Braunschweig für meine aus Rußland mitgebrachte herrliche Geige eine ihrer würdige Hülle, d. h. ein höchst elegantes Kästchen, machen lassen und dieses, um es gegen jede Beschädigung zu sichern, mit in den Koffer zwischen Wäsche und Kleider gepackt. Ich trug daher Sorge, daß dieser, der meine ganze Habe barg, recht sorgfältig mit Stricken hinten auf dem Wagen befestigt wurde. Demohngeachtet hielt ich es für nöthig, mich oft nach ihm umzusehen, besonders, als der Kutscher erzählte, es wären seit kurzem zwischen Nordheim und Göttingen einigemale Koffer von Reisewagen abgeschnitten worden. Dieses Umsehen war aber, da der Wagen nach hinten kein Fenster hatte, eine sehr beschwerliche Arbeit, und ich war daher sehr froh, als wir mit Anbruch der Nacht zwischen den Gärten vor Göttingen anlangten und ich mich noch ein letztesmal überzeugt hatte, daß der Koffer noch an seinem Platze sei. Froh, ihn glücklich so weit gebracht zu haben, äußerte ich gegen den Reisegefährten: meine erste Sorge soll nun sein, zur besseren Befestigung des Koffers eine tüchtige Kette nebst Schloß anzuschaffen.

So kamen wir am Thore an, als eben die Laternen angezündet wurden. Der Wagen hielt vor der Wache. Während Beneke dem Unteroffizier die Namen diktirte, fragte ich, von innerer Unruhe getrieben, einen der Soldaten, die den Wagen umstanden: der Koffer ist doch noch gut befestigt? – »Es ist kein Koffer da!« war die Antwort. Mit einem Sprunge war ich aus dem Wagen und rannte mit gezogenem Hirschfänger wie rasend zum Thore hinaus. Hätte ich besonnen gelauscht, so wäre es mir vielleicht geglückt, die auf einem Seitenwege davoneilenden Diebe zu hören und einzuholen. So aber war ich in meiner blinden Wuth weit über den Punkt, wo ich den Koffer zum letztenmal gesehen hatte, hinausgerannt und bemerkte meine Uebereilung erst dann, als ich mich auf freiem Felde befand. Trostlos kehrte ich zurück. Während mein Reisegefährte das Wirthshaus aufsuchte, eilte ich auf die Polizei und verlangte augenblickliche Untersuchung der Gartenhäuser außerhalb des Thores. Mit Staunen und Aerger erfuhr ich, daß die Gerichtsbarkeit jenseits des Thores dem Amte Weende zustehe und daß ich mich wegen meines Verlangens an dieses zu wenden habe. Da Weende eine halbe Stunde von Göttingen entfernt ist, so mußte ich für den Abend alle weiteren Schritte zur Wiedererlangung meiner Sachen einstellen. Daß diese auch am anderen Morgen erfolglos sein würden, wußte ich schon jetzt, und so durchwachte ich die Nacht in einer Stimmung, wie ich sie in meinem bisherigen vom Glück begünstigten Leben noch gar nicht gekannt hatte. Wäre nur meine herrliche Guarneri-Geige, die Trägerin meiner ganzen bis dahin erworbenen Virtuosität, nicht verloren gegangen, ich hätte das Uebrige leicht verschmerzt. Bei einigem Glück wäre es auf der Reise bald wieder zu gewinnen gewesen. So aber ohne Geige mußte ich nicht nur die Reise aufgeben, sondern auch gewissermaßen mein Studium ganz von vorn wieder anfangen.

Am anderen Morgen ließ mich die Polizei benachrichtigen, es sei auf dem Felde hinter den Gärten ein leerer Koffer und ein Violinkasten gefunden worden. Voll Freude eilte ich hinaus, hoffend, es werde wohl von den Dieben die Geige, als ein für sie werthloser und in Bezug auf Entdeckung gefährlicher Gegenstand, im Kasten zurückgelassen worden sein. Leider war dem aber nicht so. Nur der Violinbogen, ein ächter Tourté, am Deckel des Kastens befestigt, war unentdeckt geblieben; alles Uebrige, worunter sich auch das Reisegeld in Gold befand, war mitgenommen worden. Die Musikalien allein hatten die Diebe verschmäht. Sie fanden sich auf dem Felde zerstreut sämmtlich wieder. Da meine Manuskripte darunter waren, von denen ich keine Abschrift hatte, so war ich froh, diese wenigstens wieder zu bekommen.

Ohne Geld, ohne Kleider und Wäsche, mußte ich mir nun erst auf Borg das Nöthigste wieder anschaffen, bevor ich mit meinem Reisegefährten das von uns bereits angekündigte Concert geben konnte. In der Zwischenzeit übte ich mich auf einer von einem Studenten aus Hannover erborgten ganz guten Geige von Stainer fleißig ein und so vorbereitet, trat ich zum erstenmale außerhalb Braunschweig als Künstler auf. Das Concert war ungemein zahlreich besucht. Vielleicht hatte die Kunde von meinem Verlust mit dazu beigetragen. Die Vorträge beider Künstler, einzeln und in meiner Concertante zusammen, wurden mit mehr als enthusiastischem Beifalle aufgenommen.

Dies war nun zwar für die Weiterreise sehr ermunternd; doch konnte ich, ängstlich für meinen Ruf besorgt, mich nicht entschließen, öffentlich aufzutreten, bevor ich wieder eine eigene gute Geige gewonnen und mich sorgfältig darauf eingeübt hätte. Wir kehrten daher, da Beneke nicht allein reisen wollte, nach Braunschweig zurück.

Dort hatte sich die Kunde von meinem Verlust schon allgemein verbreitet. Auch der Herzog hatte davon gehört und schickte, um mir den Ankauf eines neuen Instrumentes zu erleichtern, von neuem ein ansehnliches Geschenk. Mit Hülfe desselben erkaufte ich nun zwar von einem Herrn von Hantelmann, einem ausgezeichneten Dilettanten, die beste Geige, die damals in Braunschweig war, fühlte jedoch bald, daß sie mir die verlorene nicht vollständig ersetzen könne.

Um mich für eine folgende Reise würdig vorzubereiten, wurde wieder mit großem Eifer componirt. So entstand das Concert in D-moll, das bei Kühnel in Leipzig als zweites, ( Op. 2) gestochen wurde, ein Potpourri über bestimmte Themen (bei demselben als Op. 5 erschienen) und ein Concert in A-dur, welches Manuscript geblieben ist. In diesen, wie auch in einigen folgenden Compositionen herrscht nun ganz die Rode'sche Manier vor, aus der sich dann erst später mein Styl und die mir eigenthümliche Vortragsweise entwickelten.

So verlief der Sommer 1804. Im Herbste vollständig zu einer neuen musikalischen Reise gerüstet, zog es mich nun zunächst nach den deutschen Hauptstädten. Auch wünschte ich sehnlichst, einmal in Leipzig aufzutreten, das sich durch die von Rochlitz vortrefflich redigirte Musikalische Zeitung zum Mittelpunkt der musikalischen Kritik emporgeschwungen hatte. Ich trat daher meine zweite Kunstreise am 18. Oktober über Leipzig und Dresden nach Berlin an.

Auch von dieser Reise ist ein Tagebuch vorhanden, welches aber nur bis zum 9. Dezember fortgeführt ist und dann plötzlich abbricht. Die Veranlassung dazu wird später erzählt werden.

Den ersten Aufenthalt machte ich in Halberstadt, wo ich ein öffentliches Concert gab und Tags darauf beim Grafen von Wernigerode spielte. Unter den dortigen Musikfreunden, die sich meiner besonders freundlich annahmen, nenne ich den Domvikarius Körte, den Domprediger Augustin und den Auditeur Ziegler. Mit Letzterem, der ein gebildeter Musikkenner und fertiger Klavierspieler war, stand ich bis zu dessen Tode in freundschaftlicher Verbindung. Auch die dortigen Musiker, die Organisten Gebrüder Müller und Holzmärker, der Geiger Glöckner, mit dem ich meine Duetten spielte, der Fagottist Barnbeck und der Sekretär und Concertmeister des Grafen v. Wernigerode, Clase, waren sehr zuvorkommend gegen mich und zur Einrichtung meines Concertes behülflich. Ich verlebte daher vergnügte Tage in Halberstadt.

Eines Nachmittags »machte ich mit Herrn Holzmärker und einem seiner Freunde einen Spaziergang vor das Thor. Wir besuchten die Klus, einen Berg auf dessen Spitze mehrere isolirte hohe und schroffe Felsen stehen, deren Inneres ausgehöhlt ist, der Sage nach von Räubern, die ehemals dort gehaust haben sollen. Ich konnte der Lust nicht widerstehen, einen dieser Felsen zu ersteigen, so halsbrechend das Unternehmen auch war, und so ernstlich meine Gefährten davon abmahnten. Ich kam glücklich hinauf und hatte außer dem Vergnügen, etwas vollführt zu haben, was nicht Jeder wagt, auch noch eine weite und herrliche Aussicht. Bis dahin war Alles gut. Als ich nun aber hinabsteigen wollte und in die Tiefe blickte, überfiel mich ein plötzlicher Schwindel, und ich mußte mich eiligst niedersetzen, um nicht hinabzustürzen. Wohl zehn Minuten dauerte es, bis ich die nöthige Fassung zum Hinabsteigen gewann und schwerlich würde ich glücklich hinuntergekommen sein, wenn mir nicht die Herren unten zugerufen hätten, wohin ich den Fuß zu setzen habe, was ich selbst, mit dem Gesicht nach dem Felsen gelehrt, nicht sehen konnte. Zitternd von der Anstrengung und dem krampfhaften Anklammern an den Felsen, sowie tüchtig beschämt, die Warnung der beiden Herren nicht beachtet zu haben, kam ich endlich wieder zu ihnen und kehrte froh, einer großen Gefahr glücklich entkommen zu sein, mit ihnen zur Stadt zurück.«

Am 22. Oktober gab ich mein Concert. Bei der Probe erregte mein Concert in D-moll große Sensation.

»Die Herren Ziegler, Müller u. A. behaupteten zu meiner großen Freude, nie ein schöneres Violinconcert gehört zu haben.«

»Das Concert selbst begann um fünf Uhr. Der Saal war sehr leer, das Auditorium aber ein kunstsinnig gebildetes, wie ich es an der Stille und Theilnahme, mit der mein Spiel aufgenommen wurde, wohl bemerken konnte.«

Es wurden unter anderen folgende Sachen vorgetragen: Symphonie von Haydn; Concert D-moll von mir; Concert D-dur von Kreutzer; Polonaise von Rode aus dem Es-dur-Quartett. Nach dem Concerte bezeugte mir der Graf von Wernigerode seinen Beifall und lud mich auf nächsten Tag zu einem Concerte zu sich ein, wobei der dritte Herr Graf als Clarinettist im Orchester mitwirkte. Ich spielte das Concert von Rode A-dur und dessen Quartett Es-dur.

»Nach Beendigung des Concertes umringte mich die Gesellschaft und überhäufte mich mit Lobeserhebungen. Den Damen mußte ich viel von Petersburg erzählen.«

Auch in Magdeburg fand ich als Künstler die freundlichste Aufnahme. Die Herren Hauptmann von Cornberg, Major von Witzleben, Regimentsquartiermeister Türpen und Geheimerath Schäfer, an die ich empfohlen war, boten Alles auf, mir ein zahlreiches Publikum zu werben, sowie den Aufenthalt möglichst angenehm zu machen. Schon mein erstes Concert am 3. November war sehr besucht. Ich spielte mein D-moll-Concert, das A-moll-Concert von Rode und die G-dur-Variationen.

»Es gelang mir Alles besonders gut und die Leute schienen von meinem Spiel ganz hingerissen zu sein.«

Um dieselbe Zeit beschäftigte ich mich mit der Umarbeitung meines vorletzten Concerts in E-moll. Das Adagio schrieb ich ganz neu.

In einer Musikpartie beim Kammersekretarius Feska hörte ich dessen Sohn in einem Quartett eigener Composition.

»Das Quartett,« sagt das Tagebuch, »ist sehr gut gearbeitet und zeugt von großem Talent. Als Spieler gefiel er mir weniger. Es fehlt ihm zwar nicht an mechanischer Fertigkeit, wohl aber an einer gewandten, geregelten Bogenführung, daher an einem guten Ton und an Deutlichkeit der Passagen. Auch intonirte er nicht immer ganz rein. Käme er zu einem guten Meister, so könnte viel aus ihm werden.«

Ich war auch häufig in Gesellschaft bei den Kaufleuten Hildebrandt und Schmager, beim Criminalrath Sukrow und dem Geheimerath Schäfer und »allenthalben sehr vergnügt«.

»Auch zu einer interessanten Musikpartie bei Türpen ward ich eingeladen. Ich fand eine kleine, aber sehr ausgesuchte Gesellschaft der eifrigsten Musikfreunde Magdeburgs versammelt. Ich spielte Quartetten von Haydn, Beethoven, Mozart und zum Schluß das Es-dur-Quartett von Rode. Es wurde mir Alles sehr gut accompagnirt, so daß ich mich ganz meinem Gefühle überlassen konnte. Die Zuhörer schienen entzückt. Herr Türpen behauptete, ich verstände wie Keiner, jeden Componisten in seinem eigenthümlichen Style wiederzugeben. Zum Schluß spielte unser Herr Wirth ein Trio von Mozart auf einem sehr guten Pianoforte von Blum in Braunschweig recht brav. Nur hat er die üble Angewohnheit, den Gesang zu dehnen, womit er dem Ausdruck mehr schadet, als nützt.«

Am 10. November gab ich mein zweites Concert, welches nicht ganz so zahlreich wie das erste besucht war und worin ich eine Symphonie von Haydn und mein Violinconcert in E-moll vortrug, auch mit Feska eine Concertante von Eck spielte. Das umgearbeitete E-moll-Concert machte sich gut. Das neue Adagio schien sehr zu gefallen.

Von sonstigen Erlebnissen in Magdeburg will ich nur einer Bühnenvorstellung gedenken, weil der Verfasser des Stücks sich später in der Theaterwelt durch seine pikanten Berichte: »Musikalisches Allerlei aus Paris«, einen Namen gemacht hat. Es war die erste Aufführung des »weiblichen Abällino« von Sievers.

»Nie habe ich ein erbärmlicheres Stück weder gelesen, noch aufführen sehen. Es ist eine unglückliche Nachahmung des bekannten »großen Banditen«, hat aber weder die spannenden Scenen, noch den gewandten Dialog, die jenes Stück zum Lieblinge des Publikums gemacht haben. Die Hauptperson, Rosa Salviati, die, um ihren Geliebten gegen eine Verschwörung seines Onkels zu schützen, sich der abenteuerlichsten und abgeschmacktesten Mittel bedient, erklärt die Ursachen ihres Verfahrens am Ende des Stückes in einer Rede, die wenigstens eine Viertelstunde dauert. Das Publikum, das schon früher Zeichen von Ungeduld gegeben hatte, wurde während dieser Rede so unruhig, daß kaum zu Ende gespielt werden konnte. Als endlich der Vorhang fiel, brach ein allgemeines Zischen und Pfeifen los. Der unglückliche, in Braunschweig verkannte Dichter, der hier Triumphe feiern wollte, soll im Theater anwesend gewesen sein, aber noch vor dem Ende des Stückes das Weite gesucht haben.«

Ueber den Aufenthalt in Halle, wohin ich zunächst ging, berichtet das Tagebuch nur sehr dürftig. Je mehr ich durch vermehrte Bekanntschaften zur Geselligkeit herangezogen wurde, desto weniger, scheint es, habe ich Lust gehabt, in der bisherigen oft breiten Weise darüber zu berichten. Auch mag es mir wohl an Zeit gefehlt haben, da ich mich zu allen Produktionen, sie mochten öffentlich oder privatim stattfinden, stets sehr sorgfältig vorbereitete, auch fortwährend mit Compositionsarbeiten beschäftigt war.

Meine beiden Concerte am 21. und 23. November waren sehr besucht. Ich spielte außer meinen eigenen Werken ein Concert von Rode, A-moll, und die G-dur-Variationen.

»Mein Spiel wurde mit Enthusiasmus aufgenommen.«

Die Leute, die sich besonders für mich interessirten und denen ich viel vergnügte Stunden verdankte, waren die Familie Garrigues, bestehend aus Vater, Mutter, Tochter und zwei Söhnen, sämmtlich gar liebe, artige Menschen; Lafontaine und seine reizende Pflegetochter; Chodowiecki, Niemeier und Loder. Unter den Studenten lernte ich einige tüchtige Dilettanten kennen. Ein Herr Schneider spielte fertig Clavier, ein Herr Müller sehr brav die Violine. Ein Herr Gründler aus Trebnitz bei Breslau nahm sogleich Unterricht im Violinspiel bei mir.

Noch erinnere ich mich folgenden Vorfalles:

Unter Denen, die mir zum Arrangement meiner Concerte behülflich waren, befand sich auch der berühmte Contrapunktist Türk. Er dirigirte die akademischen Concerte, deren eines während meiner Anwesenheit in Halle stattfand. Es wurde die Oper »Titus« als Concertmusik gegeben. Schon war das Publikum seit einer halben Stunde versammelt, das Orchester hatte eingestimmt und harrete des Zeichens zum Anfang. Aber noch fehlte einer der Sänger, ein dortiger Gesanglehrer, der die Partie des Titus übernommen hatte. Im studentischen Theile des Auditoriums gab sich schon große Unzufriedenheit über den säumigen Sänger kund; als dieser nun aber in einem sehr unfestlichen Anzuge, im Ueberrocke und mit beschmutzten Stiefeln erschien, machte sich der allgemeine Unwille durch Scharren und Zischen Luft. Der Sänger, dem der ungeduldige Dirigent bereits die Noten in die Hand geschoben hatte, trat vor und sprach mit verächtlicher Miene: »Bin ich Ihnen so nicht recht, so kann ich auch wieder gehen!« Damit warf er die Noten dem Dirigenten vor die Füße und eilte zur Thür hinaus. Man stürzte ihm nach, um ihn zurückzuhalten; allein Alles vergebens! Ich erwartete nun, man werde das Concert verschieben, oder doch wenigstens alle die Nummern, bei denen Titus beschäftigt ist, auslassen. Nichts weniger! Der gewissenhafte Dirigent verkürzte seine Zuhörer auch nicht um einen Takt des Werks; er wußte sich zu helfen! Er spielte auf seinem Kielflügel die ganze Partie des Titus, Recitative, Arien und Ensemble-Stücke von der ersten bis zur letzten Note! Ich erstarrte und wußte nicht, ob ich mich ärgeren, oder über das naive Auskunftsmittel lachen sollte. So viel wurde mir aber an jenem Abend klar, daß man ein gelehrter Contrapunktist und doch ohne irgend eine Spur von Geschmack sein kann!

Nach der Ankunft in Leipzig am 29. November gibt das Tagebuch noch zwei kurze Berichte und verstummt dann gänzlich. Der erste bespricht eine Aufführung der Oper von Paer: »die Wegelagerer«. Der zweite erzählt von einem Besuche des Gewandhaus-Concertes.

»Diese Concerte«, heißt es, »werden von einer Gesellschaft von Kaufleuten veranstaltet. Es sind aber keine Dilettanten-Concerte; denn nur Musiker bilden das Orchester, welches stark besetzt und recht brav ist. Für den Gesang wird immer eine fremde Sängerin verschrieben, da der Theaterdirektor seinen Sängern das Auftreten in Concerten nicht gestattet. Dieses Jahr ist es eine Signora Alberghi von Dresden, die Tochter eines dortigen Kirchensängers. Sie ist noch sehr jung, besitzt aber schon eine recht gute Methode und eine klare, klingende Stimme. Sie sang zwei Arien mit großem Beifall. Außerdem hörte ich den Concertmeister der Gesellschaft, Herrn Campagnoli, ein Concert von Kreutzer sehr brav spielen. Seine Methode ist zwar veraltet; er spielt aber rein und fertig. Der Saal, in welchem diese Concerte gegeben werden, ist wunderschön und für die Wirkung der Musik besonders günstig.«

Beim Arrangement meines Concertes hatte ich viele Schwierigkeiten zu überwinden. Bei dem geschäftsvollen Treiben der Handelsstadt kam man mir nicht so hülfreich entgegen, wie ich es bisher gewohnt gewesen war, und ich hatte manchen Weg zu machen, bis alle Hindernisse beseitigt waren. Auch kränkte es mich, daß die reichen Handelsherren, an die ich empfohlen war, noch nichts von meinen Kunstleistungen zu wissen schienen und mich zwar höflich, aber kalt empfingen. Ich wünschte daher sehnlichst einmal zu einer Musikpartie eingeladen zu werden, um mich bemerklich machen zu können. Dieser Wunsch wurde erfüllt; ich erhielt eine Einladung zu einer großen Abendgesellschaft mit der Bitte, etwas vorzutragen. Ich wählte dazu eines der schönsten der sechs neuen Quartetten von Beethoven, durch dessen Vortrag ich in Braunschweig schon oft meine Zuhörer entzückt hatte. Aber schon nach wenigen Takten merkte ich, daß meine Begleiter mit dieser Musik noch unbekannt und daher unfähig waren, in den Geist derselben einzudringen. Verstimmte mich dies nun schon, so steigerte sich mein Unmuth doch noch weit mehr, als ich bemerkte, daß die Gesellschaft meinem Spiele bald keine Aufmerksamkeit mehr schenkte. Denn es entspann sich nach und nach eine Conversation, die bald allgemein so laut wurde, daß sie die Musik fast übertönte. Ich sprang daher mitten im Spiele, noch ehe der erste Satz beendet war, auf und eilte, ohne ein Wort zu sagen, zu meinem Kasten, um meine Geige einzuschließen. Dies erregte große Sensation in der Gesellschaft und der Herr vom Hause näherte sich mir mit fragender Miene. Ich trat ihm entgegen und sagte laut, daß es von der Gesellschaft gehört werden konnte: »Ich war bisher gewohnt, daß man meinem Spiele mit Aufmerksamkeit zuhörte. Da das hier nicht geschah, so glaubte ich der Gesellschaft gefällig zu sein, indem ich aufhörte.« Der Hausherr wußte nicht, was er antworten sollte, und zog sich verlegen zurück. Als ich nun aber, nachdem ich mich zuvor bei den Musikern wegen meines brüsken Aufhörens entschuldigt hatte, Miene machte, die Gesellschaft zu verlassen, kehrte der Wirth zurück und sagte freundlich: »Wenn Sie sich entschließen könnten, der Gesellschaft etwas Anderes vorzutragen, was ihrem Geschmacke und Fassungsvermögen angemessener wäre, so würden Sie ein sehr aufmerksames und dankbares Auditorium haben.« Mir, dem längst klar geworden war, daß ich das Vorgefallene durch meinen Mißgriff in der Wahl der Musik für eine solche Gesellschaft selbst verschuldet hatte, war froh, wieder einlenken zu können. Ich nahm daher willfährig die Geige von neuem und spielte das Quartett in Es von Rode, welches die Musiker kannten und daher auch gut accompagnirten. Es herrschte nun eine lautlose Stille, und die Theilnahme an meinem Spiele steigerte sich mit jedem Satze. Nach Beendigung des Quartetts wurde mir so viel Schmeichelhaftes über mein Spiel gesagt, daß ich dadurch veranlaßt wurde, nun auch noch mein Paradepferd vorzureiten, die G-dur-Variationen von Rode. Mit diesen setzte ich die Gesellschaft dermaßen in Entzücken, daß ich der Gegenstand der schmeichelhaftesten Aufmerksamkeit für den Rest des Abends wurde.

Dieser Vorfall machte einige Tage viel von sich reden und war wahrscheinlich die Veranlassung, daß sich die Musikfreunde, dadurch auf mich aufmerksam gemacht, schon in beträchtlicher Zahl bei meiner Concertprobe einfanden. Hier wußte ich sie besonders durch den Vortrag meines D-moll-Concertes so für mich zu gewinnen, daß sich durch sie noch vor Anbruch des Concertabends ein günstiger Ruf über meine Leistungen in der Stadt verbreitete und dadurch eine größere Zuhörerzahl herbeigelockt wurde, als ich hatte hoffen dürfen. Es war die Elite der Leipziger Musikfreunde und ein sehr empfängliches Publikum. Es gelang mir nun auch, mein Auditorium so zu enthusiasmiren, daß ich nach Beendigung des Concerts stürmisch aufgefordert wurde, ein zweites zu geben. Dieses fand acht Tage später statt und war eins der besuchtesten, die je ein fremder Künstler in Leipzig gegeben hat. In der Zwischenzeit wurde ich häufig zu Quartettpartien eingeladen, bei welchen ich dann meine Lieblinge, die sechs ersten Beethovenschen Quartetten, nachdem ich sie vorher mit den Begleitern eingeübt hatte, vorzugsweise zu Gehör brachte. Ich war der Erste, der sie in Leipzig spielte, und es gelang mir, sie durch meine Vortragsweise zu voller Anerkennung zu bringen. Bei diesen Quartettpartien lernte ich auch zuerst den Redakteur der musikalischen Zeitung, Hofrath Rochlitz, kennen und blieb seitdem mit ihm in der freundschaftlichsten Verbindung bis zu seinem Tode. Rochlitz berichtete in seiner Zeitung über meine Concerte.

Da dieser Bericht meinen Ruf in Deutschland zuerst begründete und auf mein Lebensgeschick einwirkte, so möge dies als Entschuldigung dienen, daß ich ihn hier wörtlich aufnehme:

»Herr Spohr gab am 10. Dezember 1804 zu Leipzig ein Concert und auf Aufforderung Vieler am 17. ein zweites; in beiden aber gewährte er uns einen so begeisternden Genuß, als außer Rode kein Violinist uns gewährt hatte, so weit wir zurückdenken können. Herr Spohr gehört ohne allen Zweifel unter die vorzüglichsten jetzt lebenden Violinspieler, und man würde über das, was er, besonders noch in so jungen Jahren, leistet, erstaunen, wenn man vor Entzücken zum kalten Erstaunen kommen könnte. Er gab uns ein großes Concert von seiner Composition ( D-moll), und dies auf Begehren zweimal, und ein anderes eben so von ihm selbst geschrieben ( E-moll). Seine Concerte gehören zu den schönsten, die nur vorhanden sind, und besonders wissen wir dem aus D-moll durchaus kein Violinconcert vorzuziehen, sowohl in Hinsicht auf Erfindung, Seele und Reiz, als auch in Hinsicht auf Strenge und Gründlichkeit. Seine Individualität neigt ihn am meisten zum Großen und in sanfter Wehmuth Schwärmenden. So ist nun auch sein herrliches Spiel. Herr Spohr kann Alles; aber durch jenes reißt er am meisten hin. Was vorerst Richtigkeit des Spiels in weitester Bedeutung heißt, ist hier, gleichsam als sicheres Fundament, nur vorausgesetzt; vollkommene Reinheit, Sicherheit, Präcision, die ausgezeichneteste Fertigkeit, alle Arten des Bogenstrichs, alle Verschiedenheiten des Geigentons, die ungezwungenste Leichtigkeit in der Handhabung von diesem Allen, selbst bei den größten Schwierigkeiten – das macht ihn zu einem der geschicktesten Virtuosen. Aber die Seele, die er seinem Spiele einhaucht, der Flug der Phantasie, das Feuer, die Zartheit, die Innigkeit des Gefühles, der feine Geschmack, und nun seine Einsicht in den Geist der verschiedensten Compositionen und seine Kunst, jede in diesem ihrem Geiste darzustellen, das macht ihn zum wahren Künstler. Diesen letzteren Vorzug haben wir noch an keinem Violinisten in dem Maße zu bewunderen Gelegenheit gehabt, als an Herrn Spohr, und zwar vornehmlich bei seinem Quartettenspiel. Kein Wunder daher, wenn er überall wohlgefällt und fast gar keinen Wunsch zurückläßt, als daß man ihn behalten und immer hören möchte.«

Ich fühlte mich damals sehr glücklich! Doch war es die Anerkennung, die ich als Künstler fand, nicht allein, die mein ganzes Sein belebte; es war noch ein anderes zarteres Gefühl. Ich liebte und wurde geliebt.

Gleich nach dem Tage, wo ich Rosa Alberghi im Gewandhausconcerte zum erstenmale gesehen und gehört hatte, machte ich ihr einen Besuch, um sie zur Mitwirkung bei meinem Concerte einzuladen. Mutter und Tochter empfingen mich sehr freundlich. Erstere, obgleich eine lange Reihe von Jahren in Deutschland, hatte doch kein Wort von unserer Sprache erlernt. Da sie auch auf meine französische Ansprache mit dem Kopfe schüttelte, so mußte ich mich mit meinem Anliegen an die Tochter wenden, die, in Dresden erzogen, geläufig Deutsch sprach. Sie gewährte sehr gern meine Bitte und plauderte nun mit kindlicher Unbefangenheit mit mir, als hätten wir uns schon lange gekannt. Beim Abschied bat mich Rosa, bald wiederzukommen. Ich hatte ihr bereits zu tief in die feurigen schwarzen Augen geblickt, um lange auf mich warten zu lassen. So brachte ich, da mich bald auch die Mutter freundlich willkommen hieß, fast alle meine freien Stunden bei ihnen zu. Ich accompagnirte, so gut ich es vermochte, die Gesangübungen Rosa's am Piano, studirte ihr die Sachen ein, welche ihr die Concert-Direction zuschickte und schmückte ihre Arien mit neuen Verzierungen aus, worüber sie stets eine wahrhaft kindliche Freude hatte. So wurde unser Verhältniß, ohne daß wir uns dessen bewußt waren, ein immer innigeres. Die Aufzeichnungen im Tagebuche waren aber darüber in's Stocken gerathen und wurden auch späterhin nicht wieder begonnen. Rosa sang nun auch in meinem zweiten Concerte und da ihr Contrakt in Leipzig zu Ende ging und sie im Begriffe stand, nach Dresden zurückzukehren, so erbot sie sich, auch in meinem dortigen Concerte aufzutreten.

Ich ging nun, mit gewichtigen Empfehlungen versehen, nach Dresden. Ein Brief Rosa's führte mich bei ihrem Vater ein, der mich auf das freundlichste empfing. Er und einige Mitglieder der Dresdener Hofkapelle, namentlich die Gebrüder Rothe, waren mir beim Arrangement meines Concertes behülflich und erleichterten mir dadurch dieses stets unangenehme Geschäft.

Rosa kehrte einige Tage vor dem Concerte nach Dresden zurück und sang mit ihrem Vater in demselben. Der Erfolg, den mein Spiel und meine Compositionen hatten, war ein ebenso glänzender, als in Leipzig. Ich wurde, wie dort, allgemein aufgefordert, ein zweites Concert zu geben. Während ich dieses arrangirte, rieth man mir, mich auch bei Hofe zu melden, da nach dem Aufsehen, welches mein Spiel erregt habe, an einem günstigen Erfolg nicht zu zweifeln sei. Doch, da ich erfuhr, daß die Hofconcerte während der Tafel stattfänden und auch zu Gunsten der fremden Künstler kein Unterschied gemacht würde, empörte sich mein jugendlicher Künstlerstolz bei dem Gedanken, daß mein Spiel von dem Geklapper der Teller accompagnirt sein würde, so, daß ich sogleich auf die Ehre verzichtete, vom Hofe gehört zu werden.

Mein zweites Concert war außerordentlich zahlreich besucht, und der Beifall fast noch stürmischer, als beim ersten.

Ich dachte nun an meine Abreise nach Berlin, konnte mich aber nicht dazu entschließen, weil mir die Trennung von meiner geliebten Rosa gar zu schmerzlich fiel. Da überraschte mich ihr Vater mit einem Vorschlag, der diese so gefürchtete Trennung noch weiter hinausschob. Er sagte, er habe schon lange den Wunsch gehegt, daß seine Tochter einmal in Berlin auftrete; wenn ich daher geneigt wäre, dort mit ihr gemeinschaftlich Concerte zu geben, so wolle er sie in Begleitung seiner Frau, da er selbst keinen Urlaub bekommen könne, mitreisen lassen.

Ich ging mit Freuden auf diesen Vorschlag ein und traf nun sogleich alle Anstalten zur Abreise. Da die Reise mit dem Postwagen für die Damen zu beschwerlich erachtet wurde, so nahmen wir gemeinschaftlich einen Miethwagen. Ich saß meinem geliebten Mädchen gegenüber und beklagte mich nicht über die Langsamkeit und lange Dauer der Reise. In Berlin angekommen, fanden wir in einem und demselben Hause Wohnung, die uns mein ehemaliger Lehrer Kunisch, jetzt Mitglied der Berliner Hofkapelle, auf meine briefliche Anmeldung im voraus besorgt hatte. Dieser, nicht wenig stolz, den jungen Künstler als seinen ehemaligen Schüler vorführen zu können, verschaffte mir die Bekanntschaft der ausgezeichnetsten Künstler Berlins und war mir auch möglichst behülflich, ein Concert zu arrangiren, was jedoch wegen des großen Andranges von Concertgebenden ziemlich weit hinausgeschoben werden mußte.

Unterdessen gab ich meine Empfehlungsbriefe ab und wurde in Folge davon zu einigen Musikpartien eingeladen. Zuerst spielte ich beim Fürsten Radziwill, der bekanntlich selbst ein ausgezeichneter Violoncellist und talentvoller Componist war. Ich fand dort Bernhard Romberg, Möser, Seidler, Semmler und andere ausgezeichnete Künstler versammelt. Romberg, damals in der Blüthe seiner Virtuosität, spielte eines seiner Quartetten mit obligatem Violoncell. Ich hatte ihn noch nicht gehört und war entzückt von seinem Spiele. Nun selbst zu einem Vortrage aufgefordert, glaubte ich solchen Künstlern und Kennern nichts Würdigeres bieten zu können, als eines meiner Lieblingsquartetten von Beethoven. Doch abermals mußte ich bemerken, daß ich, wie früher in Leipzig, einen Fehlgriff gethan hatte; denn die Musiker Berlins kannten diese Quartetten ebensowenig, wie die Leipziger, und wußten sie daher auch weder zu spielen, noch zu würdigen. Nachdem ich geendigt, lobten sie zwar mein Spiel, sprachen aber sehr geringschätzend von dem, was ich vorgetragen hatte. Ja, Romberg fragte mich geradezu: »Aber lieber Spohr, wie können Sie nur so barokkes Zeug spielen?«

Ich wurde ganz irre an meinem Geschmack, als ich einen der berühmtesten Künstler der damaligen Zeit so über meine Lieblinge urtheilen hörte. Später nochmals aufgefordert zu spielen, wählte ich nun, wie damals in Leipzig, das Es-dur-Quartett von Rode und hatte mich auch hier eines gleich günstigen Erfolges zu erfreuen.

Die zweite Musikpartie, zu der auch meine Reisegefährtin eingeladen wurde, war beim Prinzen Louis Ferdinand von Preußen. Wir fuhren zusammen hin und wurden vom Wirthe auf das Artigste empfangen. Wir fanden dort einen vornehmen Cirkel besternter Herren und geputzter Damen, sowie die vorzüglichsten Künstler Berlins versammelt. Auch traf ich einen früheren Bekannten von Hamburg, den berühmten Claviervirtuosen und Componisten Dussek, der jetzt Lehrer des Prinzen war und bei ihm wohnte. Die Musikpartie begann mit einem Clavierquartett, welches von ihm in ächt künstlerischer Vollendung vorgetragen wurde. Dann folgte ich. Gewitzigt durch den neulichen Mißgriff, wählte ich heute nur solche Compositionen, mit denen ich als Geiger glänzen konnte, nämlich ein Quartett und die G-dur-Variationen von Rode. Mein Spiel fand den lautesten Beifall, und besonders schien Dussek davon hingerissen zu sein. Auch meine geliebte Rosa erwarb sich durch den Vortrag einer Arie, die ihr Dussek auf dem Clavier accompagnirte, allgemeine Anerkennung.

Nach beendigter Musik bot der Prinz einer der anwesenden Damen den Arm und führte die Gesellschaft, die auf einen Wink von ihm ein Gleiches gethan, in den Speisesaal, wo ein glänzendes Mahl ihrer wartete. Man nahm ohne Etikette an der Seite seiner Dame Platz; ich neben meiner lieben Reisegefährtin. Anfangs war die Unterhaltung, obgleich frei und ungenirt, doch anständig. Als aber der Champagner erst zu schäumen begann, da fielen Reden, die für die keuschen Ohren eines unschuldigen Mädchens nicht geeignet waren. Ich war daher, sobald ich merkte, daß die vermeintlichen vornehmen Damen nicht dem Hofe, wie ich geglaubt, sondern wahrscheinlich dem Ballete angehören mochten, darauf bedacht, mit meiner Gefährtin mich heimlich fortzuschleichen. Ich kam, ohne weiter von der Gesellschaft bemerkt oder aufgehalten zu werden, auch glücklich zu meinem Wagen und kehrte mit Rosa zu der harrenden Mutter zurück. Am anderen Tage sagte man mir, daß des Prinzen Musikpartien gewöhnlich mit solchen Orgien schlössen.

Noch einer dritten Musikpartie erinnere ich mich – beim Banquier Beer – wo ich den jetzt so berühmten Meyerbeer als dreizehnjährigen Knaben zum erstenmale im elterlichen Hause spielen hörte. Der talentvolle Knabe erregte schon damals durch seine Virtuosität auf dem Pianoforte solches Aufsehen, daß seine Verwandten und Glaubensgenossen nur mit Stolz auf ihn blickten. Man erzählte sich, daß einer von ihnen, aus einer Vorlesung über populäre Astronomie zurückkehrend, den Seinen voll Freude zurief: »Denkt Euch, man hat unseren Beer schon unter die Sterne versetzt! Der Professor zeigte uns ein Sternbild, das ihm zu Ehren »der kleine Beer« genannt wird.«

Ich hatte den klugen Einfall, den jungen Virtuosen zum Vortrage eines Solo's in meinem Concerte einzuladen, was von der Familie gern genehmigt wurde. Da es das erste öffentliche Auftreten des Knaben war, so zog es eine Menge seiner Glaubensgenossen herbei, und ich hatte es diesem Umstande wohl hauptsächlich mit zu verdanken, daß mein Concert eines der besuchtesten jener mit musikalischen Aufführungen so überhäuften Periode war. Nach Beseitigung vieler Hindernisse fand es endlich im Saale des Schauspielhauses statt. Mein Spiel und der Gesang meiner Gefährtin wurden auch hier, wie in Leipzig und Dresden, mit großem Beifalle aufgenommen. Nicht so günstig lautete der Bericht der neuen, seit kurzem vom Kapellmeister Reichard herausgegebenen musikalischen Zeitung. Dieser rügte in seiner eigenthümlich verletzenden Weise hauptsächlich mein Sichgehenlassen im Zeitmaße. Obgleich gekränkt durch solchen Tadel, an den ich noch nicht gewöhnt war, mußte ich mir doch eingestehen, daß ich, von meinem tiefen Gefühl verleitet, im Gesang wohl zu sehr zurückgehalten und, von jugendlichem Feuer fortgerissen, in den Passagen und anderen leidenschaftlichen Stellen zu sehr geeilt hatte. Ich nahm mir daher vor, meinen Vortrag, ohne daß er dadurch an Ausdruck verliere, von solchen Verirrungen zu reinigen, und durch fortgesetzte Aufmerksamkeit auf mich gelang es mir auch.

Nach einigen vergeblichen Versuchen, ein zweites Concert in Berlin zu Stande zu bringen, mußte ich darauf verzichten. Ich theilte daher die nicht unbeträchtliche Einnahme des ersteren mit meiner Reisegefährtin und dachte nun an meine Abreise nach Braunschweig, da mein Urlaub bald zu Ende ging. Auch Rosa's Mutter machte Anstalten, in die Heimath zurückzukehren, weil ein Versuch, für ihre Tochter ein Engagement bei der italienischen Oper in Berlin zu finden, mißglückt war. Rosa hatte sich immer inniger an mich angeschlossen und mir unverhohlen ihre Neigung gezeigt. Ich dagegen hatte bei näherer Bekanntschaft mir sagen müssen, daß sie sich zu meiner Lebensgefährtin nicht eigene, und daher sorgfältig vermieden, es zu einer Erklärung kommen zu lassen. Sie war zwar ein liebenswürdiges, unverdorbenes Kind und von der Natur mit reichen Gaben ausgestattet; ihre Erziehung aber war, die geselligen Formen abgerechnet, sehr vernachlässigt, und was mich besonders abstieß, war ihre bigotte Frömmigkeit, die sie schon einigemale zu Versuchen getrieben hatte, den lutherischen Ketzer zur alleinseligmachenden Kirche zu bekehren. Ich ertrug den Abschied mit ziemlicher Fassung; Rosa aber zerfloß in Thränen und drückte mir bei der letzten Umarmung noch ein auf ein Kartenblatt genähtes R von ihrem schönen, schwarzen Haar als Andenken in die Hand.

Nach Braunschweig zurückgekehrt, widmete ich mich mit neuem Eifer der Composition. Ich schrieb mir das H-moll-Concert, welches später als viertes Violinconcert bei Simrock erschienen ist. Auch wurde mir zum erstenmal ein Schüler aus der Fremde zugeschickt, ein Herr Grünewald aus Dresden. Auch ein junges, sechszehnjähriges, talentvolles Mädchen, eine Demoiselle Mayer, die mit Beifall als Violinvirtuosin in Braunschweig Concerte gab, unterrichtete ich während meines Aufenthaltes daselbst und studirte ihr mein D-moll-Concert ein. Diese Schülerin erregte nach einem Vierteljahrhundert, während dem ich nichts mehr von ihr gehört hatte, auf einmal die allgemeinste Theilnahme, sowohl durch ihr Schicksal, als durch ihre Virtuosität auf der Violine.

Auf einer ihrer früheren Kunstreisen nach Polen gelangt, hatte sie sich dort mit einem wohlhabenden Gutsbesitzer verheirathet. Obgleich jetzt in glänzenden Verhältnissen hatte sie doch nicht versäumt, ihr schönes Talent, wenn auch nur als Dilettantin, fortzubilden. Dieses verschaffte ihr nun, nachdem ihr Mann in der polnischen Revolution sein ganzes Vermögen verloren hatte und landesflüchtig geworden war, das Glück, sich und ihre Tochter ernähren zu können. Als Madame Filipowicz trat sie als Künstlerin zum erstenmale in Dresden wieder auf und zwar mit demselben D-moll-Concert, welches ich ihr fünfundzwanzig Jahre vorher einstudirt hatte. Da sie glaubte, ihre nunmehrigen Erfolge hauptsächlich dem Vortrage dieses Concertes verdanken zu müssen, so drängte es sie, dem ehemaligen Lehrer in einem Briefe ihren Dank auszusprechen. So erfuhr ich das Vorstehende. Nach ihrer Kunstreise durch Deutschland ließ sie sich in Paris nieder, später in London. Aus beiden Orten erhielt ich von ihr noch mehrere Zuschriften. Als ich sie aber bei meiner vorletzten Reise nach London persönlich wiederzusehen hoffte, war sie einige Tage vorher gestorben, und ich lernte nur ihre Tochter und deren Mann, der Arzt und ebenfalls polnischer Flüchtling war, kennen.

Doch zurück zum Jahre 1805. Im Frühjahre erhielt ich von Rosa einen Brief, in welchem sie mir mit ihrer naiven Unbefangenheit schrieb, ihre Sehnsucht, mich wiederzusehen, sei so groß geworden, daß sie ihren Vater bewogen habe, mit ihr eine Kunstreise nach Braunschweig anzutreten; sie würden in einigen Tagen ankommen und bäten, vorläufige Anstalten zu einem Concerte zu treffen. Ich war nicht erfreut über diese Nachricht und sah großen Verlegenheiten entgegen. Ich bemerkte nun mit Kummer, daß Rosa's Neigung zu mir eine viel ernstlichere sei, als ich geglaubt hatte, und machte mir bittere Vorwürfe über mein Benehmen gegen sie. Auch war es mir klar, daß der Vater die Reise nur unternommen, um mich zu einer Erklärung in Bezug auf seine Tochter zu veranlassen. Ich sah daher seiner Ankunft mit großer Bangigkeit entgegen. Doch ging Alles besser, als ich erwartet hatte. Rosa's herzliche Freude, mich wiederzusehen, ihre heitere Unbefangenheit, die sie gar nicht an einer Erwiederung ihrer Gefühle zweifeln ließ, halfen über jede Erklärung hinweg. So verließen sie, sehr zufrieden mit ihrem Aufenthalte und dem unter meiner Mitwirkung gegebenen brillanten Concerte, nach vierzehn Tagen Braunschweig und kehrten nach Dresden zurück, wo ich sie nach einer von mir projectirten Reise nach Wien im Herbst wiedersehen sollte.

Da sie ihre Rückreise über Göttingen nehmen wollten, so führte ich sie durch einen Brief im elterlichen Hause ein. Dort hatte Rosa durch ihre Liebenswürdigkeit bei einem mehrtägigen Aufenthalte die Eltern so für sich zu gewinnen gewußt, daß sie ihnen ohne Bedenken ihre Liebe zum Sohne gestehen durfte. In der Voraussetzung, daß ich diese Liebe erwidere, hatten die Eltern sie darauf als meine Verlobte umarmt. Ich war höchst erschrocken, als ich dies durch einen Brief des Vaters erfuhr, protestirte sogleich gegen diese Verlobung und führte, als Grund meiner Weigerung, Rosa's Mangel an Bildung und die Verschiedenheit unserer Religionsbekenntnisse an. Dem Vater wollte dies nicht einleuchten, und er erklärte wiederholt, ich sei ein Thor, ein so herrliches Mädchen nicht nehmen zu wollen.

Im Juni des Jahres 1805 erhielt ich einen Brief von einem mir unbekannten Kammermusikus Bärwolf in Gotha, der auf mein ferneres Geschick großen Einfluß ausübte. Herr Bärwolf schrieb mir nämlich, durch den Tod des Concertmeisters Ernst sei dessen Stelle bei der dortigen Kapelle erledigt worden, und der Intendant, Baron von Reibnitz, der so viel günstiges über meine Leistungen in der Leipziger musikalischen Zeitung gelesen habe, sei sehr geneigt, mich zu derselben vorzuschlagen, wenn ich mich sogleich darum bewerben wolle. Es sei aber dazu erforderlich, daß ich selbst nach Gotha komme. Er lade mich daher ein, in dem Hofconcerte, welches zur Geburtstagsfeier der Herzogin am 11. Juli stattfinden werde, mich hören zu lassen.

Höchst erfreut eilte ich zum Herzog, um dessen Genehmigung zur Reise zu erbitten. Ich erhielt sie und meldete dies sogleich nach Gotha. Dort angekommen, führte mich Herr Bärwolf zum Intendanten. Dieser schien erstaunt, einen noch so jungen Mann vor sich zu sehen und äußerte mit bedenklicher Miene: um mich an die Spitze so vieler, sämmtlich älterer Männer stellen zu können, scheine ich ihm doch fast noch zu jung zu sein. Nachdem ich jedoch in der Concertprobe zwei Ouvertüren dirigirt und mein D-moll-Concert probirt hatte, war der Herr Intendant wohl anderer Ansicht geworden, denn er bat mich, mein wahres Alter zu verschweigen und mich um vier bis fünf Jahre älter zu machen. Als fünfundzwanzigjähriger Mann wurde ich daher als Bewerber um die vakante Stelle dem Hofe vorgestellt. Doch hätte es wohl kaum eines solchen Betruges bedurft, um sie zu erlangen, da mir mein erstes Auftreten im Hofconcerte gleich so sehr die Gunst der Herzogin erwarb, daß die übrigen Bewerber um die Stelle sämmtlich zurücktraten. Ich wurde als herzoglich Gothaischer Concertmeister mit einem Gehalte von ungefähr fünfhundert Thalern, die Naturalien mit eingerechnet, laut Dekret vom 5. August 1805, angestellt und mein Dienstantritt auf den 1. Oktober festgesetzt.

Da der Urlaub noch nicht ganz abgelaufen war, so machte ich auf den Rath des Herrn Bärwolf vor meiner Rückkehr nach Braunschweig noch einen kleinen Ausflug nach Wilhelmsthal bei Eisenach, dem Stammsitze des Weimar'schen Hofes. Durch die Frau Herzogin von Gotha empfohlen, wurde es mir leicht, dort zu Gehör zu kommen. Ich spielte, gefiel sehr und wurde reich beschenkt entlassen. Nach Gotha zurückgekehrt, gab ich noch in Eile ein unterdessen arrangirtes Concert in der Stadt, welchem auch der Hof beiwohnte, und kehrte dann höchst beglückt über den Erfolg meiner Reise in die Vaterstadt zurück. Ich nahm meinen Weg über Seesen und wurde von den Eltern und den Freunden des Hauses in meiner neuen Würde mit Jubel begrüßt. Um mir den letzten Rest des Weges angenehmer zu machen, lieh mir der Vater sein Reitpferd und veranlaßte dadurch ein tragisches Ende der bisher so glücklichen Reise; denn einige Stunden vor Braunschweig, als ich, in Gedanken an die Zukunft vertieft, ohne viel auf den Weg zu achten, rasch meinem Ziele entgegentrabte, stürzte das Pferd, indem es mit dem Vorderfuße in einer tiefen Gleise hängen blieb und seinen Reiter höchst unsanft abwarf. Ich stürzte über den Kopf des Pferdes mit dem Gesicht auf einen Haufen klein geschlagener Chausseesteine, bevor ich Zeit gewann, die Hände hinlänglich schützend vorzuschieben; es war daher von den scharfen Steinen auf solche Weise zerfleischt, daß das Blut in Strömen herabfloß. Auch verbreitete sich binnen wenigen Minuten eine solche Geschwulst über die leidenden Theile, daß beide Augen davon geschlossen wurden. Blind und völlig rathlos stand ich daher auf dem Wege, als mir einige Fußreisende zu Hülfe kamen. Sie führten mich, nachdem sie mein Pferd eingefangen hatten, zum nächsten Dorfe. Dort verschafften sie mir einen mit Stroh belegten Bauernwagen, auf welchem ich im kläglichsten Zustande spät Abends vor meiner Wohnung anlangte. Der herbeigerufene Arzt verordnete Umschläge mit Goulard'schem Wasser, welche, die ganze Nacht fortgesetzt, am Morgen die Geschwulst so weit vertheilt hatten, daß ich die Augen ein wenig wieder öffnen konnte. Nachdem der Arzt mein Gesicht sorgfältig untersucht und mich über weitere nachteilige Folgen des Sturzes beruhigt hatte, gewann ich bald meine frohe Laune wieder und bedauerte nur, nicht sogleich zu meinem hohen Gönner eilen und ihn um Genehmigung zur Annahme der Concertmeisterstelle bitten zu können. Da ich indessen nicht ohne Besorgniß war, mein Wohlthäter, dem ich so viel verdankte, werde es übel aufnehmen, daß ich aus seinen Diensten scheiden wolle, so sah ich es nicht ungern, daß mir mein Unfall als Vorwand dienen konnte, mich schriftlich an den Herzog zu wenden. Doch hatte ich diesen sehr falsch beurtheilt; denn schon am nächsten Tage erhielt ich in einem eigenhändigen Schreiben die erbetene Entlassung. Ich habe dieses Schreiben als ein theueres Andenken sorgfältig aufbewahrt und kann mir es nicht versagen, es hier mitzutheilen. Es heißt:

»Mein lieber Herr Spohr.

Ich habe mit vieler Theilnahme den Beyfall vernommen, welchen Ihr Spiel in Wilhelmsthal und Gotha gefunden hat. Das Ihnen zu Gotha geschehene vortheilhafte Anerbieten ist von der Art, daß es ganz Ihren Talenten entspricht und da Ich jederzeit vielen Antheil an Ihrem Glück und Wohlergehen genommen habe, so kann Ich nicht anders als Ihnen Glück zu der Stelle wünschen, worin Sie ohnstreitig mehr Gelegenheit finden werden, Ihre Talente auszuüben.

Der Ich mit vieler Achtung verbleibe
Ihr
sehr wohlgeneigter
Carl W. Ferd.

Ich fühlte mich nun, meiner letzten Sorge überhoben, ganz glücklich. Nur fiel mir auf, daß mich der Herzog in diesem Briefe zum erstenmale Sie nannte, während er mich bisher stets mit dem wohlwollenden, väterlichen Du beehrt hatte. Doch beruhigte ich mich leicht bei dem Gedanken, daß der Herzog es bei einem, aus seinem Dienste Scheidenden wohl unpassend finden werde.

Nach etwa vierzehn Tagen oder drei Wochen war mein Gesicht so weit geheilt, daß ich mich wieder zu meinem Orchesterdienste melden konnte.

Bevor ich denselben antrat, erhielt ich einen Brief von Dussek, der mir schrieb, sein Herr, der Prinz Louis Ferdinand, werde das große Militärmanöver in Magdeburg besuchen und wünsche, daß ich für diese Zeit sein Gast sei, um bei den beabsichtigten Musikpartien mitwirken zu können. Der Prinz werde selbst an den Herzog schreiben, um den Urlaub für mich auszuwirken. Dieser fand keinen Anstand. Ich reiste daher nach Magdeburg und fand in dem Hause, welches der Prinz für sich und sein Gefolge hatte einrichten lassen, auch ein Zimmer für mich.

Ich führte nun ein sonderbares, wild bewegtes Leben, das aber meinem jugendlichen Geschmack für kurze Zeit ganz gut zusagte. Oft schon des Morgens um 6 Uhr wurde ich wie auch Dussek aus dem Bette gejagt und im Schlafrock und Pantoffeln zum Prinzen in den Empfangsaal beschieden, wo dieser bei der damals herrschenden großen Hitze in noch leichterem Costüm, gewöhnlich nur mit Hemd und Unterhose bekleidet, bereits vor dem Pianoforte saß. Nun begann das Einüben und Probiren der Musik, die für den Abendzirkel bestimmt war und dauerte bei des Prinzen Eifer oft so lange, daß sich unterdessen der Saal mit besternten und mit Orden behängten Offizieren angefüllt hatte. Das Costüm der Musicirenden contrastirte dann sonderbar genug mit den glänzenden Uniformen der zur Cour Versammelten. Doch das genirte den Prinzen nicht im Geringsten, und er hörte nicht früher auf, als bis Alles zu seiner Zufriedenheit eingeübt war. Nun wurde eilig Toilette gemacht, ein Frühstück eingenommen und dann zum Manöver hinausgezogen.

Ich erhielt ein Pferd aus dem Marstalle des Prinzen und durfte mich dem Gefolge anschließen. So machte ich zu meiner großen Belustigung eine Zeitlang alle kriegerischen Evolutionen mit. Als ich jedoch eines Tages, neben einer Batterie eingeklemmt, länger als eine Stunde daselbst bei einen: wahren Höllenlärm aushalten mußte, und es mir dann am Abend bei der Musikpartie schien, als höre ich nicht mehr so leise wie früher, da zog ich mich von dem Kriegsspektakel zurück und verbrachte von nun an die Stunden, in denen der Prinz meiner nicht bedurfte, wieder bei meinen früheren Magdeburger Bekannten. Eine besonders freundliche Aufnahme fand ich im Hause des Geheimeraths Schäfer. Dessen Tochter Jettchen, schon früher, so lange sie in Braunschweig im Hause ihres Schwagers, des Kapellmeisters Le Gaye, zubrachte, ein Gegenstand meiner Huldigungen, war nun in's elterliche Haus zurückgekehrt und mir auch hier eine freundliche, zuvorkommende Wirthin.

Doch bald wurde der Prinz aus seinem Magdeburger Exil zurückberufen und ich konnte daher, von ihm mit freundlichen Danke entlassen, nach Braunschweig zurückkehren. Dussek sagte mir beim Abschiede, der Prinz habe die Absicht gehabt, mir auch ein Honorar zuzuwenden, es sei aber jetzt solche Ebbe in seiner Kasse, daß er es für eine spätere, günstigere Zeit verschieben müsse. Diese trat jedoch nie ein, da der Prinz schon im folgenden Jahre in einem Gefechte bei Saalfeld einen frühen Tod fand.

Anfangs Oktober verließ ich, nachdem mir ein ehrenvoller Abschied ausgefertigt war, meine Vaterstadt. Der Herzog sagte mir beim Abschiede mit wahrhaft väterlichem Wohlwollen, indem er mir die Hand reichte: »Sollte es Ihnen, lieber Spohr, in Ihrer neuen Stellung nicht gefallen, so können Sie jeden Augenblick in meine Dienste zurücktreten.«

Ich verließ meinen Wohlthäter in tiefer Rührung und sah ihn leider nie wieder! denn er wurde bekanntlich in der unglücklichen Schlacht bei Jena tödtlich verwundet und mußte als Flüchtling in fremden Landen sterben. Ich betrauerte ihn wie einen Vater.

In Gotha angekommen, wurde ich den Mitgliedern der Hofkapelle durch den Intendanten, Baron von Reibnitz, als Concertmeister vorgestellt und in meinen Wirkungskreis eingeführt. Dieser bestand, sowohl im Winter wie im Sommer, in dem Arrangement eines Hofconcertes für jede Woche und in dem Einüben der dafür gewählten Musik. Da die Kapelle außer diesen Concerten keinen Dienst hatte, so konnte ich drei bis vier Proben zu jedem derselben abhalten und alles darin aufzuführende mit größter Genauigkeit einüben. Bei meinem Eifer und dem guten Willen der Mitwirkenden gelang es denn auch bald, ein höchst genaues Zusammenspiel zu erreichen, was von der Herzogin und einigen unter dem Hofzirkel befindlichen Musikkennern lobend anerkannt wurde.

Die Kapelle bestand zum Theil aus Kammermusikern, zum Theil aus Hofhautboisten. Letztere hatten nebenbei auch die Verpflichtung, bei Tafel und auf den Hofbällen zu spielen. Unter den Kammermusikern gab es eine ganze Reihe von Solospielern. Die vorzüglichsten waren: Für Violine Madame Schlick und die Herren Preißing und Bärwolf; für Violoncell die Herren Schlick, Preißing der Jüngere und Rohde; für Clarinette, Bassethorn und Harfe Herr Backofen; für Oboe Herr Hofmann und für Horn Herr Walch.

Für den Gesang in den Hofconcerten waren zwei Hofsängerinnen engagirt, die Damen Scheidler und Reinhard. Der Mann der Letzteren saß bei den Vokalvorträgen der Sängerinnen am Pianoforte. Da er, der Aelteste unter den Orchestermitgliedern, sich sehr eifrig um die erledigte Concertmeisterstelle beworben hatte und man ihm als Musiklehrer des Herzogs einige Rücksicht schuldig war; so hatte man ihm bei meiner Anstellung ebenfalls den Titel Concertmeister verliehen, und sein Rescript war sogar von älterem Datum als das meinige. Er machte daher anfangs einige schwache Versuche, sich bei den Vokalvorträgen als Dirigenten zu geriren. Ich wußte ihm aber als Vorgeiger durch meine Entschiedenheit so zu imponiren, daß er sich meinen Anordnungen bald eben so willig am Pianoforte fügte, wie bei der Viola, an welcher er bei der Instrumentalmusik mitwirkte. Auch einige andere Widersetzlichkeiten, namentlich der Familie Schlick, die auf die Gunst des Prinzen August, Onkels des Herzogs, fußte, wußte ich bald zu beseitigen und mich dann in ungestörtem Dirigenten-Ansehen zu erhalten.

Bei den Antrittsbesuchen, die ich den Mitgliedern der Hofkapelle machte, wurde ich besonders freundlich von der Hofsängerin, Madame Scheidler empfangen. Sie stellte mir ihre achtzehnjährige Tochter Dorette vor, von deren Virtuosität auf Harfe und Pianoforte ich schon viel Rühmliches gehört hatte. Ich erkannte in dieser reizenden Blondine das Mädchen wieder, welches ich bei meinem ersten Aufenthalte in Gotha bereits gesehen und deren freundliche Gestalt mir seitdem oft in der Erinnerung vorgeschwebt hatte. Sie saß nämlich bei dem Concerte, welches ich damals in der Stadt gab, in der ersten Zuhörerreihe, neben einer Freundin, die bei meinem Auftreten, erstaunt über eine so lange und schlanke Gestalt, wohl lauter als sie es wollte, ausrief: »Siehe doch, Dorette, welch' eine lange Hopfenstange!« Da ich den Ausruf gehört hatte, warf ich einen Blick auf die Mädchen, und sah Dorette verlegen erröthen. Mit einem solchen holden Erröthen stand sie jetzt abermals vor mir, sich jenes Vorfalles wahrscheinlich erinnernd. Um der auch für mich peinlichen Situation ein Ende zu machen, bat ich sie, mir etwas auf der Harfe vorzuspielen. Ohne Ziererei erfüllte sie meinen Wunsch.

Ich hatte als Knabe selbst einmal den Versuch gemacht, die Harfe zu erlernen, nahm auch Unterricht bei einem Herrn Hasenbalg in Braunschweig und brachte es bald so weit, daß ich mir meine Lieder begleiten konnte. Nachdem ich aber mutirt hatte und nun eine geraume Zeit ganz ohne Stimme war, wurde die Harfe vernachlässigt und endlich ganz bei Seite gesetzt. Meine Vorliebe für das Instrument war aber dieselbe geblieben; auch hatte ich mich lange genug damit beschäftigt, um zu wissen, wie schwer es ist, wenn man mehr als bloße Begleitung darauf spielen will. Man denke sich daher mein Erstaunen und Entzücken, als ich dieses noch so junge Mädchen eine schwere Phantasie ihres Lehrers Backofen mit größter Sicherheit und feinster Nuancirung vortragen hörte. Ich war so ergriffen, daß ich kaum meine Thränen zurückhalten konnte. Mit einer stummen Verbeugung schied ich; – mein Herz blieb aber zurück!

Es drängte mich nun oft hin, und immer freundlicher wurde ich empfangen. Ich begleitete die Tochter am Piano, welches sie eben so fertig wie die Harfe spielte, half der Mutter beim Einüben der Gesangstücke für die Hofconcerte und machte mich so der Familie immer unentbehrlicher. Das erste, was ich in Gotha componirte, war eine große Gesangscene für Sopran, die ich Dorettens Mutter widmete und die sie mit großem Beifall im Hofconcerte vortrug. Für mich und die Tochter schrieb ich dann eine concertirende Sonate für Violine und Harfe, die ich mit ihr auf das sorgfältigste einübte. Das waren glückliche Stunden!

So war ein Monat nach meiner Ankunft für mich höchst angenehm verflossen, als der Hof zum Landtage nach Altenburg zog und die Kapelle mitnahm. Auch Dorette begleitete ihre Mutter dahin. Ich trug mich ihnen als Reisegefährten an, hatte mich aber leider zu spät gemeldet; denn sie hatten bereits mit den Brüdern der Madame Scheidler, den Herren Preißing, gemeinschaftliche Fahrt verabredet. Ich mußte mir daher andere Reisegefährten suchen; doch versäumte ich nicht, mich bei jeder Einkehr auf der Reise sogleich der Scheidler'schen Familie anzuschließen und wußte mir auch stets bei Tische den Platz neben Doretten zu verschaffen. Dieses Wiedersehen nach vier- bis fünfstündiger Trennung gab der übrigen so langen und langweiligen Reise doch einen eigentümlichen Reiz, so daß es mir fast zu früh kam, als wir endlich am dritten Tage Abends in die Thore von Altenburg einzogen. Ich wurde beim Sekretär Brummer einquartiert, der als großer Musikfreund mich als Gast für sich erbeten hatte. Ich fand die freundlichste Aufnahme und Verpflegung. Doch hatte ich mir den Mittagstisch bei Madame Scheidler ausgemacht, die als rüstige Hausfrau sogleich für sich und ihre Brüder eigene Küche etablirte. Von nun an fast wie ein Glied der Familie behandelt, fand ich Gelegenheit, meine geliebte Dorette immer näher kennen zu lernen. Ihr Vater, ein tüchtiger Musiker und wissenschaftlich gebildeter Mann, hatte sich bis zu seinem vor zwei Jahren erfolgten Tode ausschließlich mit der Erziehung und Ausbildung dieser Tochter beschäftigt. Mit einer fast zu großen Strenge war sie von ihm nicht nur seit ihrer frühesten Kindheit angehalten, ihr Musiktalent auszubilden, sondern auch in allem, für ein junges Mädchen Wissenswerthen theils selbst, theils von anderen guten Lehrern unterrichtet worden. Sie sprach daher mit großer Geläufigkeit italienisch und französisch und schrieb ihre Muttersprache correct und gewandt. Ihre Virtuosität auf Harfe und Pianoforte war aber schon damals, trotz ihrer großen Jugend, eine wahrhaft ausgezeichnete! Ja selbst im Violinspiel, worin sie ihr Onkel Preißing unterrichtete, hatte sie so viel Fertigkeit erworben, daß sie mit mir Viotti'sche Duetten spielen konnte. Da ich ihr aber rieth, dieses für Frauenzimmer unpassende Instrument nicht weiter zu üben und ihren Fleiß lieber ungeschmälert den beiden anderen zu widmen, so befolgte sie diesen Rath und gab es von da an auf.

Die Hofconcerte hatten unterdeß begonnen. Sie fanden in einem großen, für Musik sehr günstigen Saale des Schlosses statt und wurden außer dem Hofe auch von den Landständen und den Honoratioren der Stadt besucht. Das Orchester sowohl, als meine und der übrigen Solospieler Concertvorträge fanden großen Beifall. Auch Dorettens Solovorträge auf Harfe und Piano erregten große Sensation. So wurden die Concerttage bald als wahre Festtage von den Altenburgern begrüßt, und das Zuströmen der Zuhörer nahm immer mehr zu, so daß zuletzt kaum der Raum ausreichen wollte. Auch in Privatgesellschaften wurde häufig musicirt, und ich nebst der Scheidler'schen Tischgesellschaft fehlten niemals dabei. Eines Tages wurde ich jedoch mit Doretten, und zwar ohne ihre Mutter, zu einem Feste eingeladen, das der Minister von Thümmel dem Hofe und dessen nächster Umgebung gab. Wir waren gebeten worden, meine Sonate für Harfe und Violine, die wir bereits in Hofconcerten mit großem Beifall vorgetragen hatten, hier zu wiederholen. Schüchtern wagte ich die Anfrage, ob ich Dorette im Wagen abholen dürfe und fühlte mich hochbeglückt, als die Mutter ohne Bedenken ihre Einwilligung gab. So zum erstenmale allein mit dem geliebten Mädchen drängte es mich, ihr meine Gefühle zu gestehen; doch fehlte mir der Muth und der Wagen hielt, bevor ich nur eine Sylbe hatte über die Lippen bringen können. Als ich ihr beim Aussteigen die Hand reichte, fühlte ich an dem Beben der ihrigen, wie bewegt auch sie war. Dies gab mir neuen Muth, und fast wäre ich noch auf der Treppe mit meinem Liebesgeständnisse herausgeplatzt, hätte sich nicht soeben die Thür zum Gesellschaftssaale geöffnet.

Wir spielten an dem Abende mit einer Begeisterung und einem Einklange des Gefühles, der nicht nur uns selbst ganz hinriß, sondern auch die Gesellschaft so elektrisirte, daß sie unwillkürlich aufsprang, uns umringte und mit Lobsprüchen überhäufte. Die Herzogin flüsterte dabei Doretten einige Worte in's Ohr, welche diese erröthen machten. Ich deutete auch dies zu meinen Gunsten und so gewann ich denn endlich auf der Rückfahrt den Muth, zu fragen: »Wollen wir so für's Leben mit einander musiciren?« Mit hervorbrechenden Thränen sank sie mir in die Arme; der Bund für das Leben war geschlossen! Ich führte sie zur Mutter hinauf, die segnend unsere Hände in einander legte.

Am anderen Morgen meldete ich den Eltern mein Glück. Bevor ich es jedoch ungetrübt genießen konnte, mußte ich noch einen anderen Brief schreiben, der mir sehr sauer wurde. Ich fühlte mein Unrecht gegen Rosa, und es drängte mich, es ihr abzubitten. Ich hatte ihr zwar nie ein Geständniß meiner Liebe gemacht; es lag jedoch deutlich genug in meinem Benehmen gegen sie in der ersten Zeit unserer Bekanntschaft. Dazu kam nun noch, daß die Eltern in Seesen sie als meine Braut begrüßt hatten. In welchen Wendungen ich es versuchte, mein Unrecht zu beschönigen, ist mir nach so langer Zeit nicht mehr erinnerlich. Wahrscheinlich war es wieder der Unterschied der Religion, der als Vorwand meines Rücktrittes dienen mußte. Der Brief wurde endlich fertig, und mit erleichtertem Herzen trug ich ihn zur Post. Ich hoffte sehnlichst auf Antwort; es kam jedoch keine. Später erfuhr ich, daß Rosa mit ihren Eltern, die sich in Deutschland einiges Vermögen erworben hatten, nach Italien zurückgekehrt sei. In Dresden erzählte man mir dann einige Jahre später, Rosa sei, von ihrer Frömmigkeit getrieben, in ein Kloster gegangen und habe nach dem Novizenjahre die Gelübde abgelegt. Ich konnte nie ohne tiefe Wehmuth an das liebe Mädchen denken!

Am Mittagstische des folgenden Tages erschienen Alle geputzt und festlich geschmückt; denn es wurde unsere Verlobung gefeiert. Bald drang die Kunde davon in die Stadt, und es erschienen nicht nur die Mitglieder der Hofkapelle, sondern auch viele Bewohner der Stadt, um dem Paare ihre Glückwünsche darzubringen. Ein Gleiches geschah beim nächsten Hofconcerte von der Herzogin und dem Hofe.

Mit dem scheidenden Jahre neigte sich auch der Landtag seinem Ende zu, und man sprach bereits von der Rückkehr des Hofes nach Gotha, als ich vorher noch einen achttägigen Urlaub zu einer Reise nach Leipzig nahm, um dort ein Concert zu geben. Ich hatte deshalb bereits bei meinen vorjährigen Freunden angefragt und die günstigsten Zusicherungen erhalten. Meine Braut und deren Mutter begleiteten mich, um in dem Concerte ebenfalls aufzutreten. Es bot dieses daher des Anziehenden mancherlei dar und war in Folge dessen sehr zahlreich besucht. Ich spielte ein neues Violinconcert in C-dur (als drittes bei Kühnel gestochen), welches ich in Gotha begonnen und in Altenburg vollendet hatte. Spiel und Composition fanden ebenso glänzende Aufnahme wie im vorigen Jahre. Auch meine Braut hatte sich eines enthusiastischen Beifalles zu erfreuen. Sie spielte die Phantasie von Backofen und mit mir die neue Sonate. Auch hier war es wieder unser Zusammenspiel, was als Glanzpunkt des Abends gepriesen wurde. Die Mutter, eine Sängerin mit kräftiger, klingender Stimme und guter Schule, sang, von der Tochter begleitet, die Arie von Mozart mit obligatem Pianoforte, sowie die neue Gesangsscene von mir, ebenfalls mit großem Beifalle.

Höchst zufrieden mit dem Erfolge unseres Unternehmens kehrten wir nach Altenburg und bald darauf mit dem Hofe nach Gotha zurück.

Madame Scheidler bewohnte daselbst eine sehr geräumige, vollständig möblirte Wohnung, von der sie, ohne sich im geringsten beengt zu fühlen, leicht einige Zimmer an mich abgeben konnte. Da sie sich erbot, außer uns auch meinen Bruder Ferdinand, der, als mein Schüler, bei mir wohnte, in Kost zu nehmen, so stand meiner alsbaldigen Verheirathung nichts im Wege. Die Hochzeit wurde daher auf den 2. Februar 1806 angesetzt. Ich beeilte mich, die dazu erforderlichen Papiere, den Taufschein und die Einwilligung der Eltern, herbeizuschaffen. Leider konnten sie mir diese nicht selbst überbringen, da der Vater damals seine Patienten, unter denen lebensgefährliche waren, nicht verlassen durfte, schickten mir jedoch meinen Bruder Wilhelm Später Kammerbaumeister in Braunschweig, der Vater der als Harfenspielerin bekannten Rosalie Spohr., um Zeuge meines Glückes zu sein.

Einige Verwunderung erregte es, als ich meinen Taufschein vorzeigte und man nun sah, daß ich in Gotha, statt älter zu werden, um einige Jahre jünger geworden war! Da ich indessen meine Autorität als Concertmeister schon hinlänglich zu befestigen gewußt hatte, so brachte mir diese Entdeckung weiter keinen Nachtheil.

Der ersehnte 2. Februar brach an. Die Trauung fand auf den Wunsch der Herzogin, die ihr beiwohnen wollte, in der Schloßkapelle statt. Nach beendigter Ceremonie empfingen die Neuvermählten die Glückwünsche und Hochzeitsgeschenke ihrer hohen Gönnerin. Zu Hause fanden wir die beiden Onkel Preißing und mehrere andere befreundete Mitglieder der Hofkapelle, sowie auch Cantor Schade, einen langjährigen Freund des Scheidler'schen Hauses, als Hochzeitsgäste. Nachmittags kamen deren noch mehrere. Unter diesen die Gespielinnen und Schulgefährtinnen Dorettens. Alle überbrachten ihr freundliche Gaben. Auch die, welche mich mit einer Hopfenstange verglichen hatte, fehlte nicht und mußte sich, zur Strafe für den ungebührlichen Vergleich, manche Neckerei gefallen lassen. Da das Wetter zu einem Ausfluge oder Spaziergange zu ungünstig war, so wurde bis zum späten Abende musicirt.

Unter Musik verlebte das glückliche Paar auch die Flitterwochen. Ich begann alsbald ein eifriges Studium der Harfe, um zu ergründen, was dem Charakter des Instrumentes am angemessensten sei. Da ich in meinen Compositionen reich zu moduliren gewohnt war, so mußte ich besonders die Pedale der Harfe genau kennen lernen, um nichts für sie Unausführbares niederzuschreiben. Bei der großen Sicherheit, mit der meine Frau schon damals die ganze Technik des Instrumentes beherrschte, konnte dies freilich so leicht nicht geschehen. Ich überließ mich daher auch ganz dem freien Fluge meiner Phantasie, und es gelang mir bald, dem Instrumente ganz neue Effekte abzugewinnen. Da die Harfe am vortheilhaftesten im Vereine mit dem singenden Tone meiner Geige erklang, so schrieb ich vorzugsweise concertirende Compositionen für beide Instrumente allein. Später machte ich zwar auch Versuche mit zwei Concertanten mit Orchesterbegleitung und einem Trio für Harfe, Violine und Violoncell; da ich aber fand, daß jede Begleitung unser einiges und inniges Zusammenwirken nur störe, so kam ich bald wieder davon zurück.

Ein anderer Versuch eine größere Wirkung hervorzubringen, hatte aber einen günstigeren Erfolg. Ich kam auf die Idee, die Harfe einen halben Ton tiefer als die Violine zu stimmen. Dadurch gewann ich zweierlei. Da nämlich die Geige am brillantesten in den Kreuztönen klingt, die Harfe aber am besten in den B-Tönen, wenn möglichst wenig Pedale angetreten werden, so erhielt ich dadurch für beide Instrumente die günstigsten und effektvollsten Tonarten: für Geige nämlich D und G, für Harfe Es und As. Ein zweiter Gewinn war der, daß bei der tieferen Stimmung der Harfe nun nicht so leicht während des Spieles eine Saite riß, was bei öffentlichen Vorträgen in heißen Sälen dem Harfenisten so leicht geschieht und dem Zuhörer den Genuß verleidet. Ich schrieb daher von nun an alle meine Compositionen für Harfe und Violine in einer solchen verschiedenen Stimmlage.

Dorette, von diesen neuen Compositionen mächtig angezogen, widmete damals ihren Fleiß ausschließlich dem Studium der Harfe und erwarb sich daher bald eine so glänzende Virtuosität darauf, daß ich vor Eifer brannte, diese einem größern Publikum, als dem der Gothaischen Hofconcerte zu produciren. Da ich mein eigenes Spiel nun auch in einer Weise ausgebildet zu haben glaubte, daß es mir so leicht kein Anderer darin zuvorthun würde, so beschloß ich, in nächstem Herbste eine Kunstreise mit meiner Frau anzutreten. Den Urlaub dazu hatte ich mir schon bei meiner Anstellung ausbedungen, und er war mir, in Betracht meines damals noch sehr geringen Gehaltes, auch zugestanden worden.

Als indessen der Herbst herannahete, trat der Ausführung des schönen Planes ein doppeltes Hinderniß entgegen. Der Krieg zwischen Preußen und Frankreich drohete auszubrechen. Schon war in der Umgegend von Gotha das preußische Heer kampfbereit aufgestellt, und die Bewohner des Herzogthums hatten durch Einquartierung und den Uebermuth der Preußen viel zu erdulden.

Hätte ich nun auch meiner Reise eine Richtung geben können, die uns von dem Kriegslärme entfernt haben würde, so konnte ich doch die Heimath, die in Gefahr stand, der Kriegsschauplatz zu werden, in solcher Bedrängniß nicht gut verlassen. Sodann gestand mir mein Weibchen eines Tages erröthend, aber mit strahlendem Auge, sie sehe zu Ende des Winters Mutterfreuden entgegen. Nun war vollends an eine Reise nicht mehr zu denken und jeder Zweifel deshalb beseitigt.

Ich sann daher für den Winter auf eine anziehende Arbeit, die mich von den Sorgen der Zeit möglichst abziehen könne. Schon längst hatte ich gewünscht, mich einmal in einer dramatischen Composition zu versuchen; doch hatte es bisher an jeder Veranlassung dazu gefehlt. Eine solche lag nun zwar auch jetzt nicht vor, denn Gotha besaß kein Theater. Doch dachte ich: Ist nur erst die Oper da, so findet sich auch wohl eine Gelegenheit, sie zu hören. Nun besuchte mich aber gerade ein Jugendgefährte Eduard Henke, der jüngste Bruder meiner Mutter, später Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Halle, der sich schon mit Glück in Liederdichtungen versucht hatte. Diesen beredete ich, mir ein Opernbuch zu schreiben. Wir ersannen gemeinschaftlich den Stoff und die Scenenfolge für eine einaktige Oper und nannten sie »die Prüfung«; Eduard begann sogleich die Dichtung der Gesangsnummern und vollendete sie auch noch vor seiner Abreise. Die Dialoge versprach er nachzuliefern.

Bevor ich jedoch meine Arbeit beginnen konnte, brach das Kriegsunwetter los. Die Schlacht bei Jena wurde geschlagen und mit ihr das Geschick des preußischen Staates entschieden. Die kurz vorher noch so übermüthigen Preußen, die in und um Gotha gestanden hatten, sah man nun in größester Unordnung vorüberfliehen. Die Auflösung der Truppen war eine so vollständige, daß die weggeworfenen Gewehre zu Tausenden auf den Feldern bei Gotha aufgesucht werden konnten. Bei einem Spaziergange, den ich einige Tage nachher machte, fand ich als Nachlese noch einen Ladestock, den ich zum Andenken an die verhängnißvolle Zeit mit nach Hause nahm. An einem Faden aufgehängt, gab derselbe im hellen Klange das einmal gestrichene B und diente daher lange Jahre statt Stimmgabel beim Einstimmen der Harfe.

Wiewohl sich nun zwar der Kriegsschauplatz, nachdem das französische Heer nachgerückt war, sehr bald weiter und immer weiter von Gotha entfernte, so hörte deshalb die Einquartierung dennoch nicht auf. Immer rückten neue Zuzüge französischer und süddeutscher Truppen nach. Auch wurde ein großer Theil der bei Jena gefangenen Preußen über Gotha geführt. Diese kamen in Zügen von drei- bis viertausend von allen Waffengattungen, oft nur von vierzig bis fünfzig Voltigeuren escortirt und wurden in die große Marktkirche, unserer Wohnung gegenüber, eingesperrt, von wenigen Schildwachen vor den verschlossenen Thüren bewacht. Da die Nächte schon sehr kalt waren, so mochten die Leute in ihren dünnen Uniformen wohl frieren. Sie tobten und lärmten deshalb auch unaufhörlich. Die Umwohnenden, in der steten Besorgniß, daß sich die Gefangenen bei ihrer großen Ueberzahl befreien und dann arge Excesse begehen würden, mußten fortwährend auf ihrer Hut sein und konnten manche Nacht gar nicht daran denken, zur Ruhe zu gehen.

Dies war nun eben nicht die bestgewählte Zeit, um mich in einer mir ganz neuen Kunstgattung zu versuchen. Doch da mein Arbeitszimmer, vom Straßenlärm entfernt, nach dem Hofe hin lag, so gelang es mir bald, Alles um mich her zu vergessen und mit ganzer Seele mich der Arbeit hinzugeben. So vollendete ich noch, bevor der Winter zur Hälfte verflossen war, die Composition der acht Nummern der Oper nebst der Ouvertüre. Die vier Gesangpartien derselben ließen sich durch die beiden Hofsängerinnen und zwei Dilettanten, die ich zur Mitwirkung bei den Hofconcerten bereits herangezogen hatte, ganz gut besetzen. Ich ließ daher die Oper eiligst ausschreiben, übte sie sorgfältig ein und führte sie dann als Concertmusik in einem der Hofconcerte auf.

So groß nun auch anfangs meine Freude über das neue Werk war, so fühlte ich doch bald dessen Mängel und Schwächen. Von Probe zu Probe wurden mir diese immer klarer und bevor noch die Aufführung stattfand, war mir die Oper (die Ouvertüre und eine Tenor-Arie ausgenommen), zuwider geworden. Selbst der große Beifall, den dieselbe sowohl bei den Ausübenden als bei den Zuhörern fand, konnte mich nicht günstiger für sie stimmen, und so legte ich sie bei Seite und gab, die beiden genannten Nummern abgerechnet, nie wieder etwas davon zu hören.

Ich fühlte mich aber in dieser Unzufriedenheit mit meiner Arbeit recht unglücklich, denn ich glaubte nun zu erkennen, daß ich für Gesangs-Compositionen kein Talent besitze. Ich hatte dabei jedoch zweierlei zu erwägen vergessen; erstens, daß ich einen viel zu hohen Maßstab angelegt, indem ich meine Oper mit den Mozart'schen verglichen hatte, und zweitens, daß es mir für diese Compositionsgattung an der nöthigen Uebung und Erfahrung noch gänzlich fehlte. Dies fiel mir erst einige Jahre später ein und ermuthigte mich dann zu einem neuen Versuche in der dramatischen Komposition.

Für jetzt widmete ich mich wieder ausschließlich der Instrumental-Composition, schrieb die schon genannten Concertanten für Harfe und Violine mit großem Orchester, eine Phantasie ( Op. 35) und Variationen ( Op. 36) für Harfe allein, und für mich mein fünftes Violin-Concert ( Op. 17, bei Nägeli in Zürich) und den Potpourri ( Op. 22 bei André in Offenbach).

Da Dorette im Frühjahre ihrer Niederkunft entgegensah, so konnten wir nicht länger in der beschränkten Wohnung der Mutter bleiben und mußten uns nun einen eigenen Hausstand einrichten. Dies geschah Ostern 1807.

Bald nachher, am 27. Mai, wurden wir durch die Geburt eines Töchterchens erfreut. Da Mutter und Kind sich wohl befanden, so war unser Glück ganz ungetrübt. Als Pathen für die Neugeborene mußte ich den Herzog einladen, da er sich schon früher für dieses Ehrenamt angetragen hatte. Er erschien denn auch am Tauftage in vollem Glanze seiner herzoglichen Würde, umgeben von seinen Hofherren und gefolgt von dem Janhagel der Stadt, der die Pracht der selten gebrauchten Galawagen und deren Inhalt anstaunte, vor meiner Wohnung und wurde von mir an der Hausthüre empfangen und in die mit Blumenkränzen geschmückten Zimmer geführt. Die Ceremonie begann und die Neugeborene wurde nach des Herzogs zweitem Namen Emilie getauft.

Zu meinem großen Leidwesen konnten meine Eltern auch diesem schönen Familienfeste nicht beiwohnen. Doch hatte ich ihnen schon im Sommer vorher, bei einem Besuche in Seesen, mein liebes Weib vorgestellt und nicht nur die Freude gehabt, daß sie dieselbe bald sehr lieb gewannen, sondern auch die Genugthuung, daß mir der Vater nun zugestehen mußte, ich hätte mit Rosa nicht so glücklich werden können, auch wenn meine Liebe zu ihr dauernder gewesen wäre.

Sobald Dorette ihre volle Kraft wiedergewonnen hatte, begann sie von neuem das Einüben der kürzlich vollendeten Harfen-Compositionen, um sich für die beabsichtigte Kunstreise würdig vorzubereiten. Sie erkannte dabei aber immer mehr das Mangelhafte ihres bisherigen Instrumentes, einer Straßburger Pedalharfe, die sie von der Herzogin als Geschenk erhalten hatte. Es wurde daher im Familienrathe beschlossen, ein kleines Kapital, das ihr als Erbtheil angehörte, zur Anschaffung einer anderen besseren Harfe zu verwenden. Herr Backofen besaß eine solche, eine recht vorzügliche, von Nadermann in Paris, und war geneigt, sie seiner Schülerin für einen mäßigen Preis zu überlassen. Diese wurde daher angekauft. Es blieben von dem kleinen Kapitale aber noch einige hundert Thaler übrig, um noch ein zweites unerläßliches Reisebedürfniß anzuschaffen, einen Reisewagen nämlich, der für den Transport der Harfe eingerichtet war. Ich sann lange darüber nach, wie ein solcher am zweckmäßigsten zu construiren sei. Es war dabei besonders zweierlei zu bedenken, erstlich, daß er nicht zu viel koste, und zweitens, daß er leicht genug sei, um von zwei Postpferden gezogen zu werden. Endlich fiel mir das Rechte ein. Ich ließ einen langen, nicht zu schweren Korbwagen bauen, hinten mit einem Chaisenkasten für die Reisenden. Vor demselben lag zwischen den Korbwänden der Harfenkasten, schwebend auf Riemen und mit einem Leder bedeckt, das, mit einer Eisenstange eingefaßt, vor den Reisenden am Chaisenkasten eingehakt wurde. Unter demselben befand sich ein Sitzkasten, in welchem das Violin-Futteral Platz fand, und hinter ihm ein großer, für den Platz eingerichteter Koffer, in welchen alle übrigen Reisebedürfnisse gepackt werden sollten. Vorn über dem Harfenkasten befand sich der erhöhte Sitz für den Postillon. Eine Probefahrt, bei welcher der Wagen vollständig bepackt war, zeigte, daß er seinem Zwecke entspreche. So war denn alles für die Kunstreise gerüstet!

Nach einem schmerzlichen Abschiede von unserem Kinde, welches die Schwiegermutter in Pflege nahm, traten wir die Reise in der Mitte des October an. Da ich auf dieser, so wie den folgenden von Gotha aus unternommenen Reisen leider kein Tagebuch führte, so bin ich bei dem Berichte über dieselben ganz auf meine, für jene Zeit ziemlich verwischten, Erinnerungen angewiesen, die durch einige Berichte in der Leipziger musikalischen Zeitung nur dürftig wieder aufgefrischt worden sind. Von einem Tagebuche meiner Frau aus jener Zeit, wovon sie aber nie etwas sehen ließ, habe ich nach ihrem Tode auch nichts auffinden können. Wahrscheinlich hat sie es in späteren Jahren vernichtet.

Unsere Reise begann gleich am ersten Tage sehr ominös mit dem Umwerfen des Wagens auf einer Strecke zwischen Erfurt und Weimar, wohin damals noch keine Kunststraße führte. Doch wurden zum Glück weder die Reisenden, noch ihre Instrumente beschädigt; wir konnten uns daher glücklich preisen, mit dem Schrecken davongekommen zu sein. Ein ähnlicher Unfall ist uns auf keiner unserer vielen Reisen wieder begegnet.

In Weimar, wohin wir durch die Herzogin von Gotha empfohlen waren, spielten wir mit großem Beifalle bei Hofe und wurden von der Erbgroßherzogin, der Großfürstin Maria, reich beschenkt. Unter den Zuhörern im Hofconcerte befanden sich auch die beiden Dichter-Heroen Goethe und Wieland. Letzterer schien von den Vorträgen des Künstlerpaares ganz hingerissen zu sein und äußerte dies in seiner lebhaft-freundlichen Weise. Auch Goethe richtete mit vornehm-kalter Miene einige lobende Worte an uns.

In Leipzig gaben wir, wie ich aus einem Berichte der musikalischen Zeitung ersehe, am 27. October Concert. Das Urtheil über meine darin aufgeführten Compositionen, nämlich die Ouvertüre zur »Prüfung«, das Violinconcert in Es, die erste Concertante für Harfe und Violine, den Potpourri in B und die Harfenphantasie, lautet sehr günstig. In Bezug auf unser Spiel heißt es:

»Ueber Herrn Spohr's und seiner Gattin Spiel haben wir schon früher ausführlich gesprochen und setzen hier nur hinzu, daß er sich von manchem Allzuwillkürlichen (im Takt u. dgl.), was er sonst angenommen hatte und worüber hin und wieder geklagt worden ist, jetzt ganz entwöhnt hat, und nun, ohne allen Zweifel, im Ton und Ausdruck, in Sicherheit und Fertigkeit unter die ersten aller jetzt lebenden Violinisten, im Allegro wie im Adagio (ja unserem Urtheile nach in letzterem noch mehr) gehört; sie aber, Madame Spohr, durch große Fertigkeit, Nettigkeit und Anmuth des Spiels ganz gewiß ausgezeichneten Beifall finden wird.«

Von Dresden, wo wir ebenfalls Concert gaben und auch – wenn ich dies nicht etwa mit einem späteren Male verwechsele – bei Hofe spielten (doch sicher nicht während der Tafel, wozu wir uns Beide nicht verstanden haben würden) ist mir nichts Specielles mehr erinnerlich. Wohl weiß ich aber noch manches von unserem Prager Aufenthalte. Dorthin war mein Ruf noch nicht gedrungen, und ich hatte deshalb anfangs mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Diese waren jedoch sogleich beseitigt, als ich mit meiner Frau in einer Soirée bei der Fürstin von Hohenzollern gespielt hatte und diese Dame sich darauf als unsere Beschützerin erklärte. Nun waren wir sogleich in der Mode, und die vornehme Welt strömte in Masse zu den beiden Concerten herbei, die wir in der durch Kunstbildung so berühmten Stadt gaben. Wir hatten daher volle Ursache, mit unserem Aufenthalte zufrieden zu sein. Dies bestätigt auch ein Bericht in der Musikzeitung, der folgendermaßen beginnt:

»Der dritte (unter den fremden Concertgebenden) war der rühmlichst bekannte Herzoglich-Sachsen-Gothaische Concertmeister, Herr Spohr, der sich auf der Violine, sowie seine Frau auf der Pedalharfe, hören ließ. Nicht sobald wird wieder ein Künstler Ursache haben, so vollkommen mit der Aufnahme zufrieden zu sein, die ihm hier zu Theil ward, als Herr Spohr, und gewiß wird jeder Freund der Kunst laut eingestehen, daß er diese Auszeichnung reichlich verdiente.«

Im Verfolge des Berichtes hat aber der Verfasser doch mancherlei an meinem Spiel auszusetzen, mag mit diesem Urtheil jedoch wohl ziemlich isolirt gestanden haben, da er bei dem Berichte über das Concert der Gebrüder Pixis, welches dem meinigen unmittelbar folgte, von dem Geiger sagt: »man habe ihm seinen Platz weit unter Spohr angewiesen«, und dann fortfährt: »da man wenige Tage vorher durch des Letzteren Spiel so entzückt war und das Urtheil aus diesem Gesichtspunkte fällte, so ging es dabei nicht ohne Ungerechtigkeit ab.«

Ich lernte damals unter den Kunstfreunden Prags einen Mann kennen, mit dem ich bis zu dessen Tode fortwährend in freundschaftlichster Verbindung geblieben bin. Es war dies Herr Kleinwächter, Chef des Handlungshauses Ballabene. Jeden Sonntag Vormittags versammelte sich bei ihm ein kleiner, aber auserwählter Cirkel von Künstlern und Kunstfreunden, um Quartett-Musik zu machen und anzuhören. Jeder fremde Künstler suchte dort eingeführt zu werden, und war er Geiger oder Violoncellist, so nahm er thätigen Antheil. Ich spielte daselbst gern; denn meine Vortragsweise und mein Bestreben, jede Composition in dem ihr angemessenen Style wiederzugeben, wurden dort in vollem Umfange anerkannt. So trug ich an einem Sonntag Morgen ein Solo-Quartett von mir ( D-moll, Op. 11, bei Simrock) vor, als der Hausherr plötzlich abgerufen wurde und, nach einiger Zeit zurückkehrend, der Gesellschaft verkündete, es sei ihm so eben während des Quartetts ein Sohn geboren worden! Unter die Glückwünsche der Anwesenden mischte sich auch der, daß diese harmonische Begrüßung des neuen Weltbürgers für sein Leben von der besten Vorbedeutung sein und ihm vor Allem den Sinn für Musik erschlossen haben möge! Letzteres traf denn auch in hohem Grade ein. Louis Kleinwächter (man hatte ihm mir zu Ehren meinen Taufnamen gegeben) bildete sich wirklich, obgleich nur Dilettant (er wurde Jurist) zu einem ausgezeichneten Künstler aus, wie dessen Compositionen, von denen mehrere gestochen sind, genügend beweisen. War es nun, daß man ihm erzählt hatte, er sei während des Vortrages einer Spohr'schen Composition geboren, was seine Vorliebe für diese erweckte, oder war es das eifrige Studium derselben: genug, nie hat es einen enthusiastischeren Verehrer meiner Musik gegeben, als ihn. Galt es in den Prager musikalischen Vereinen eine Wahl der aufzuführenden Compositionen zu treffen, so kämpfte er stets für die Spohr'schen und ruhte nicht, bis seine Ansicht durchgedrungen war. Er hieß deshalb auch bald allgemein »Der enragirte Spohrianer.«

Leider ist dieser junge Mann, von dem in diesen Blättern noch öfter die Rede sein wird, den Seinigen früh durch den Tod entrissen worden; er starb früher noch als sein Vater.

Von Prag aus ging das Künstlerpaar über Regensburg nach München. Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich in ersterer Stadt ein Concert zu Stande brachte. Einen Bericht darüber habe ich nicht auffinden können. Auch von München aus wird in einem summarischen Berichte der Musikalischen Zeitung über die damalige Wintersaison nur ganz kurz bemerkt: »Herr Spohr aus Gotha gab ein Concert und fand auch hier vielen Beifall.« Des dortigen Aufenthaltes erinnere ich mich jedoch noch ziemlich genau. Bevor wir unser Concert in der Stadt gaben, wurden wir bei Hofe gehört. Als wir vortraten, um unsere Concertante für Harfe und Violine zu spielen, fehlte es an einem Stuhle für Doretten. Der König Max, der neben seiner Gemahlin in der ersten Reihe der Zuhörer saß, bemerkte es und brachte sogleich seinen eigenen vergoldeten und mit der Königskrone geschmückten Lehnsessel, bevor noch ein Diener das Fehlende herbeischaffen konnte. In seiner freundlich-gutmüthigen Weise bestand er darauf, daß Dorette sich dessen bedienen solle, und nur erst dann, als ich ihm bemerklich machte, daß die Armlehnen beim Spiel hinderlich sein würden, gestattete er, daß sie den vom Bedienten herbeigebrachten annahm. Nach beendetem Spiele stellte er selbst uns der Königin und ihrer Umgebung vor, die sich auf das Zuvorkommendste mit uns unterhielt. Tags darauf wurden uns die königlichen Geschenke eingehändigt, für mich ein Brillantring, für Dorette ein Diadem; Beides sehr werthvoll.

Bei unserem Concerte in der Stadt wurden wir auf das Willfährigste von der königlichen Kapelle unterstützt. Kapellmeister Winter dirigirte. Ich war entzückt über die präcise und feurige Ausführung meiner Compositionen und fand es sehr natürlich, daß sie, so vorgetragen, gefielen. Eine besondere Genugthuung gewährte es mir aber, daß auch der Componist des »Opferfestes«, in seiner aufrichtig-derben Weise, mich seines Beifalles versicherte. Ich war oft bei Winter und ergötzte mich an dessen originellem Wesen, das die sonderbarsten Widersprüche in sich vereinigte. Winter, von colossalem Körperbau, begabt mit riesiger Kraft, war dabei furchtsam wie ein Hase. Bei geringfügiger Veranlassung leicht in Zorn aufbrausend, ließ er sich doch wie ein Kind lenken. Seine Haushälterin hatte das bald bemerkt und tyrannisirte ihn in arger Weise. Er hatte z. B. eine besondere Freude an dem Krippenspiel zu Weihnachten und ergötzte sich oft Stunden lang mit dem Anputzen der kleinen Figuren. Aber wehe ihm, wenn die Haushälterin ihn dabei überraschte; sie jagte ihn sogleich davon und rief: »Müssen Sie denn ewig spielen?! Setzen Sie sich sogleich an's Clavier und machen Sie Ihre Arie fertig!«

Die jüngeren Mitglieder der Hofkapelle, die er gern um sich hatte und zuweilen zu Tische einlud, neckten ihn dafür unaufhörlich. Sie hatten bald entdeckt, daß er sich vor Geistern fürchte, und veranstalteten daher allerlei Spukgeschichten und Geistererscheinungen, um ihn zu ängstigen. So besuchte er im Sommer häufig einen öffentlichen Garten außerhalb der Stadt, kehrte aber, da er sich im Dunkeln fürchtete, stets vor anbrechender Nacht zurück. Eines Tages hatten ihn die jungen, muthwilligen Leute durch allerlei Künste länger, als gewöhnlich aufgehalten, und es war daher schon ganz dämmerig, als er den Rückweg antrat. Da die übrigen Gäste noch in guter Ruhe sitzen blieben, so fand er seinen Weg, der zwischen düstern Hecken hinlief, schauerlich einsam. Es überfiel ihn daher eine fürchterliche Angst und unbewußt fing er an zu traben. Kaum war dies geschehen, so fühlte er eine schwere Last auf seinem Rücken und glaubte nun nicht anders, als es sei ein Kobold auf ihn herabgesprungen. Da er noch Mehrere hinter sich hertraben hörte, so schien ihm die ganze Hölle auf den Fersen, und er rannte nun noch weit mehr. Schweißtriefend und keuchend kam er endlich am Thore an; da sprang der Kobold von seinem Rücken herab und sprach mit bekannter Stimme: »Ich danke Ihnen, Herr Kapellmeister, daß Sie mich getragen haben; denn ich war sehr müde!« Ein Kichern der Anderen folgte dieser Rede, während der Gefoppte in einen unbändigen Zorn ausbrach.

Von München ging die Reise nach Stuttgart, wohin wir Empfehlungen an den Hof mitbrachten. Ich übergab diese dem Hofmarschall und erhielt von ihm schon am folgenden Tage die Zusicherung, daß wir bei Hofe gehört werden würden. Ich hatte aber unterdessen in Erfahrung gebracht, daß auch hier während der Hofconcerte Karten gespielt und auf die Musik wenig gehört werde. Noch von Braunschweig her voller Abscheu gegen eine solche Entwürdigung der Kunst, nahm ich mir daher die Freiheit, dem Hofmarschall zu erklären, daß ich und meine Frau nur dann auftreten würden, wenn der König die Gnade habe, während unseres Spieles das Kartenspiel aufzuheben. Ganz erschrocken über eine solche Kühnheit, trat der Hofmarschall einen Schritt zurück und rief: »Wie! Sie wollen meinem gnädigsten Herrn Vorschriften machen? Nie werde ich es wagen, ihm das vorzutragen!« – »Dann muß ich auf die Ehre, bei Hofe gehört zu werden, verzichten«, war meine einfache Antwort. Hierauf empfahl ich mich.

Wie der Hofmarschall es angefangen hat, seinem Könige so Unerhörtes vorzutragen, und wie dieser es über sich hat gewinnen können, darauf einzugehen, habe ich nicht erfahren. Das Resultat aber war, daß der Hofmarschall mir sagen ließ: »Se. Majestät wolle die hohe Gnade haben, meinen Wunsch zu gewähren; nur werde die Bedingung daran geknüpft, daß die Musikstücke, die ich und meine Frau vortragen würden, sich sogleich folgen sollten, damit Se. Majestät nicht öfter incommodirt würden.«

So geschah es denn auch. Nachdem der Hof an den Spieltischen Platz genommen hatte, begann das Concert mit einer Ouvertüre, auf welche eine Arie folgte. Während dem liefen die Bedienten geräuschvoll hin und her, um Erfrischungen anzubieten, und die Kartenspieler riefen ihr »ich spiele, ich passe« so laut, daß man von der Musik und dem Gesang nichts Zusammenhängendes hören konnte. Doch nun kam der Hofmarschall zu mir, um anzukündigen, daß ich mich bereit halten solle. Zugleich benachrichtigte er den König, daß die Vorträge der Fremden beginnen würden. Alsbald erhob sich dieser, und mit ihm alte Uebrigen. Die Bedienten setzten vor dem Orchester zwei Stuhlreihen, auf welche sich der Hof niederließ. Unserem Spiele wurde in großer Stille und mit Theilnahme zugehört; doch wagte Niemand ein Zeichen des Beifalles laut werden zu lassen, da der König damit nicht voranging. Seine Theilnahme an den Vorträgen zeigte sich nur am Schlusse derselben durch ein gnädiges Kopfnicken, und kaum waren sie vorüber, so eilte Alles wieder zu den Spieltischen, und der frühere Lärm begann von neuem.

Während des übrigen Concertes hatte ich Muße, mich umzusehen. Meine Aufmerksamkeit wurde besonders auf den Spieltisch des Königs gelenkt, an welchem, um es der Majestät bei ihrer Corpulenz bequemer zu machen, ein halbrunder Ausschnitt angebracht war, in welchen der Bauch des Königs genau hineinpaßte. Der große Umfang desselben und der kleine des Königreiches haben bekanntlich zu der hübschen Caricatur Veranlassung gegeben, auf welcher der König, im Krönungsornate, mit der Landkarte seines Königreiches auf dem Hosenknopfe, in die Worte ausbricht: »Ich kann meine Staaten nicht überblicken!«

So wie der König sein Spiel beendet hatte und den Stuhl rückte, wurde das Concert mitten in einer Arie der Madame Graff abgebrochen, so daß ihr die letzten Töne einer Cadenz förmlich im Halse stecken blieben. Die Musiker, an solchen Vandalismus schon gewöhnt, packten ruhig ihre Instrumente in die Kasten; ich aber war im Innersten empört über eine solche Entwürdigung der Kunst.

Würtemberg seufzte damals unter einer Despotie, wie sie das übrige Deutschland wohl nie gekannt hat. So mußte, um nur Einiges anzuführen, Jeder, der den Schloßhof in Stuttgart betrat, den Weg vom Gitterthore bis zum Schloßportal mit entblößtem Haupte zurücklegen, es mochte regnen oder schneien, weil Se. Majestät nach dieser Seite hin wohnte. Ferner war jeder Civilist auf Allerhöchsten Befehl gehalten, vor den Schildwachen den Hut abzunehmen, ohne daß diese ihm die Honneurs zu machen brauchten. Im Theater war es durch Anschlag streng verboten, Beifall zu klatschen, bevor nicht der König damit begonnen habe. Die Majestät steckte aber ihre Hände, wegen der strengen Winterkälte, in einen großen Muff und brachte sie nur heraus, wenn Höchstdieselben das Bedürfniß fühlten, eine Prise zu nehmen. War dies geschehen, dann wurde, unbekümmert um Das, was gerade auf dem Theater geschah, nun auch geklatscht. Der Kammerherr, welcher hinter dem Könige stand, fiel sogleich ein und gab dadurch dem loyalen Volke das Zeichen, nun auch seinerseits Beifall zu spenden. So wurden denn fast immer die interessantesten Scenen und besten Musikstücke der Oper durch einen heillosen Lärm gestört und unterbrochen.

Da die Stuttgarter schon längst gelernt hatten, sich den königlichen Launen willig zu fügen, so setzte es sie in nicht geringes Erstaunen, als sie erfuhren, was ich mir, bei meinem Auftreten im Hofconcerte, ausbedungen und auch wirklich bewilligt erhalten hatte. Es lenkte dies die allgemeine Aufmerksamkeit auf mich und hatte die Folge, daß mein Concert in der Stadt außergewöhnlich zahlreich besucht wurde. Die königliche Kapelle unterstützte mich dabei auf das Willfährigste und der Kapellmeister Danzi suchte mir das Arrangement desselben möglichst zu erleichteren.

Danzi war überhaupt ein liebenswürdiger Künstler und ich fühlte mich schon deshalb zu ihm hingezogen, weil ich bei ihm dieselbe hohe Verehrung für Mozart fand, von der ich selbst durchglüht war. Mozart und seine Werke waren der unerschöpfliche Stoff unserer Unterhaltung, und noch jetzt besitze ich ein mir theures Andenken aus jener Zeit, ein vierhändiges Arrangement der Mozart'schen G-moll-Symphonie, von Danzi gemacht und eigenhändig geschrieben.

In Stuttgart lernte ich auch zuerst den so berühmt gewordenen Carl Maria von Weber kennen, mit dem ich dann bis zu seinem Tode stets in freundschaftlicher Verbindung blieb. Weber war damals Sekretair bei einem Prinzen von Würtemberg und trieb die Kunst nur als Dilettant. Dies hinderte ihn aber nicht, fleißig zu componiren, und ich erinnere mich noch sehr gut, damals als Muster von Weber's Arbeiten, einige Nummern aus der Oper »der Beherrscher der Geister« bei ihm gehört zu haben. Diese kamen mir aber, da ich gewohnt war, bei dramatischen Arbeiten stets Mozart als Maßstab anzulegen, so unbedeutend und dilettantenmäßig vor, daß ich nicht im entferntesten ahnete, es werde Weber einst gelingen können, mit irgend einer Oper Aufsehen zu erregen.

Von den Concerten, welche wir vor unserer Rückkehr in die Heimath nur noch in Heidelberg und Frankfurt a. M. gaben, weiß ich aus der Erinnerung nichts Genaues mehr zu sagen. Ich gebe daher einige Auszüge aus den Berichten der Musikalischen Zeitung.

Zuerst heißt es von Heidelberg aus: » Eisenmengers Geige würde unvergessen geblieben sein, hätten die Heidelberger nicht in dem letzten Concert das Vergnügen gehabt, Louis Spohr in seiner Rode'schen Manier, mit dem festen, gehaltenen und sehr gewandten Bogenstriche, spielen zu hören. Seine Gattin spielte Harfe, wie man sie in Deutschland selten zu hören bekommt, – mit einer Zartheit, Leichtigkeit und Anmuth, mit einer Sicherheit und Stärke, mit einem Ausdrucke, der hinreißend ist.«

Auffallend ist es mir, daß man meine Spielweise hier noch immer als die Rode'sche bezeichnet, da ich doch damals dessen Manier schon ganz überwunden zu haben glaubte. Vielleicht geschah es nur, weil ich der leichteren Begleitung wegen auch ein Rode'sches Concert zum Vortrage gewählt hatte.

Auch über das Concert in Frankfurt, am 28. März, wurde sehr lobend berichtet. Die Frankfurter Zeitung erinnerte bei dem »wohlverdienten, ausgezeichneten Beifall«, den wir gefunden, an ein »in gar manchem Betracht ähnliches Paar, das vor fünfundzwanzig bis dreißig Jahren in Mannheim und nachher in London glänzte – an Wilhelm Kramer, den großen Violinisten und seine Gattin, die herrliche Harfenistin.«

Bei meiner Rückkehr nach Gotha wurde ich von meinen Schülern, deren einige während meiner Abwesenheit dort geblieben, andere kürzlich zurückgekehrt waren, einige Stunden vor der Stadt festlich eingeholt und von ihnen in meine sorgfältig geschmückte Wohnung geführt. Hier fanden wir Dorettens Verwandte versammelt, um uns zu begrüßen und auch unser geliebtes, von der Großmutter gut gepflegtes Kind im blühendsten Wohlsein. Da wir auf unserer Reise nicht nur reichlichen Beifall eingeerntet, sondern auch eine für unsere Verhältnisse nicht unbedeutende Summe erübrigt hatten, so fühlten wir uns, in unsere Häuslichkeit zurückgekehrt, nun recht sorgenfrei und glücklich.

Sobald ich die Leitung der Hofconcerte wieder übernommen hatte, drängte es mich zu neuen Compositions-Arbeiten. Zuerst schrieb ich einen Potpourri für Violine mit Orchesterbegleitung (Op. 23 bei André in Offenbach) auf, welchen ich bereits während der Reise, größtentheils im Wagen, ersonnen hatte. Ich war sehr begierig, eine in demselben enthaltene und wie es nur damals schien, sehr künstliche Combination zweier Themen auf dem Papiere zu sehen und noch begieriger, sie vom Orchester ausführen zu hören. Dieser Potpourri beginnt nämlich mit einem heiteren, für die Solostimme brillanten Allegro in G-dur, woran sich das Thema aus der Entführung: »Wer ein Liebchen hat gefunden« in G-moll anschließt. Nachdem dieses fünfmal abwechselnd in Moll und Dur variirt worden ist, wird es als sechste Variation von den Blasinstrumenten aufgenommen und in frei-fugirten Eintritten eine zeitlang durchgeführt. Bei der Rückkehr in die Haupt-Tonart übernimmt dann das erste Horn die Melodie des Liedes in Dur und führt sie vollständig zu Ende. Hierzu ertönt nun, sehr überraschend, das Einleitungs- Allegro der Principal-Stimme von neuem und umschlingt sie gleichsam als freie Phantasie, während es früher als selbstständiges Musikstück erschien.

Ich war mit der Wirkung dieser Combination bei der Probe sehr zufrieden, mußte jedoch, als ich nun den Potpourri im Hofconcerte vortrug, zu meinem Leidwesen erleben, daß meine sinnreiche Zusammenstellung der beiden Themen nur von einigen Musikern bemerkt wurde, an den übrigen Zuhörern aber spurlos vorüberging.

Das nächste, was ich nun schrieb, war die Concertante für zwei Violinen (Op. 48 bei Peters in Leipzig). Hierzu veranlaßte mich zunächst die Virtuosität eines meiner Schüler, eines Herrn Hildebrandt aus Rathenow, mit dem ich gern zusammen spielte. Dieser junge Mann hatte unter meiner Leitung binnen einem Jahre so bedeutende Fortschritte gemacht, daß er einer der ersten Geiger Deutschlands zu werden versprach. Leider trat später der völligen Ausbildung seines Talentes eine, ich weiß nicht mehr durch welchen Unfall herbeigeführte Verwundung der linken Hand hindernd entgegen, weshalb er in der musikalischen Welt nicht so bekannt geworden ist, als dieses damals zu erwarten stand. Dieser Schüler hatte sich die Vortragsweise seines Lehrers in allen ihren Nuancen so zu eigen gemacht, daß er als ein treues Abbild desselben gelten konnte. Unser Zusammenspiel war daher auch ein so inniges, daß, ohne auf uns zu sehen, nicht herauszuhören war, wer von uns die obere, wer die untere Stimme spiele. In solcher Weise hatten wir nun auch die neue Concertante eingeübt, bevor wir sie im Hofconcerte vortrugen. Wir machten damit aber auch solches Glück, daß die Herzogin die Wiederholung derselben schon im nächsten Concerte verlangte und sie auch später, so lange Hildebrandt noch in Gotha verweilte, immer wieder auf das Programm gesetzt haben wollte, wenn Fremde bei Hofe zu Besuch waren.

Da meine Schüler damals mit mir so ziemlich von gleichem Alter und wohlerzogene, gebildete und für ihre Kunst begeisterte junge Leute waren, so hatte ich sie gern um mich und liebte es, mich von ihnen auf meinen Spaziergängen und kleinen Ausflügen in die Umgegend begleiten zu lassen. Ich schloß mich dann ihrem Thun und Treiben in Allem an, turnte und schlug Ball mit ihnen und lehrte sie schwimmen. Ja, ich war wohl etwas mehr en camerade mit ihnen, als es die Würde des Lehrers, seinen Schülern gegenüber, eigentlich gestattet. Doch litt meine Autorität dadurch nicht; denn ich wußte sie nicht nur streng während der Unterrichtsstunden, sondern auch außerdem stets aufrecht zu erhalten.

So hatte ich bereits im Frühjahr einen größeren Ausflug mit meinen Schülern nach Liebenstein und auf den Inselsberg gemacht und war so befriedigt von dieser Reise zurückgekehrt, daß ich mich nun sehnte, in gleicher Weise auch einmal meinen geliebten Harz mit ihnen besuchen zu können. Ganz unverhofft verschaffte mir eine Abwesenheit der Herzogin, wodurch einige Hofconcerte ausfielen, den nöthigen Urlaub dazu. Ich schlug daher sogleich meinen Schülern eine Fußreise auf den Harz vor und erhielt ihre freudigste Zustimmung. Da diesmal unsere Abwesenheit vierzehn Tage dauern sollte, so konnte der Unterricht ohne großen Nachtheil für die Schüler auf so lange hin nicht ausgesetzt bleiben, und ich beschloß daher, denselben auf der Reise fortzusetzen. Zu diesem Behufe nahm ich zwei Geigen mit, womit der Orchesterdiener Schramm, ein noch junger, mir sehr zugethaner Mann bepackt wurde, während wir selbst das übrige, in zwei Tornister vertheilte Gepäck abwechselnd trugen.

Bevor sich die Karavane in Bewegung setzen konnte, hatte ich noch meine Frau zu trösten, die sich in eine so lange Trennung, die erste seit unserer Verheirathung, nicht zu finden wußte, und in Thränen wohl zerfloß. Erst als ich versprochen hatte, ihr jeden zweiten Tag zu schreiben, vermochte sie sich etwas zu beruhigen, und doch dauerte es noch lange, bis sie mich aus ihren Armen ließ. Auch mir war diese erste Trennung eine höchst schmerzliche!

Wie weit wir am ersten Tage kamen und wo wir die folgenden Nächte blieben, erinnere ich mich nicht mehr; doch weiß ich noch sehr gut, daß ich bei jeder Mittagsrast zweien meiner Schüler regelmäßig Unterricht ertheilte und streng darauf hielt, daß sie am Abend, sobald das Nachtquartier erreicht war, abwechselnd übten. So waren wir am dritten oder vierten Tage, bei großer Hitze, eine Stunde hinter Nordhausen angelangt und hatten uns ermüdet in den Schatten einer Eiche am Ufer eines großen Teiches zur Ruhe niedergesetzt, als durch einen unglücklichen Zufall einer von unseren Tornistern das abschüssige Ufer hinabrollte und in das Wasser fiel, und zwar so entfernt vom Ufer, daß wir ihn mit unsern Wanderstäben nicht erreichen konnten. Da das Wasser tief war, so mußte ich mich, als der einzige geübte Schwimmer unter uns, schon entschließen, ihn wieder herauszuholen. Doch ehe ich noch die Kleider abwerfen konnte, hatte der Tornister soviel Wasser eingesogen, daß er zu sinken begann. Ich mußte daher auf der Stelle, wo er verschwunden war, untertauchen, bis es mir gelang, ihn wieder aufzufinden. Nachdem er an's Ufer gebracht und geöffnet war, fand sich sein Inhalt so durchnäßt, daß man ihn aus einem sonnigen Rasenplatze zum Trocknen ausbreiten mußte. Da vorauszusehen war, daß dies mehrere Stunden aufhalten würde, der Mittag herannahete und mit ihm sich der Hunger einstellte, so beschloß ich, hier die gewöhnliche Mittagsrast zu halten und dazu Lebensmittel aus Nordhausen herbeischaffen zu lassen. Das Loos bestimmte einen der Schüler sie einzukaufen, und Schramm begleitete ihn, um sie herzutragen. Unterdessen gab ich unter der großen Eiche meine beiden Lektionen und die dabei nicht beschäftigten Schüler badeten sich auf einer seichteren Stelle des Teiches. Nach zwei Stunden kehrten die Ausgesandten schwer bepackt zurück, und nun wurde im Schatten der lieben Eiche, die sich gleich willig zum Speise- wie zum Concert-Saale hergab, ein köstliches Diner servirt und in fröhlichster Laune und mit dem besten Appetit verzehrt. Dabei erschallten fröhliche, vierstimmige Männergesänge, von denen wir eine ansehnliche Sammlung mit uns führten und auch bereits recht gut eingeübt hatten. Hierauf wurden die, nun wieder getrockneten Habseligkeiten eingepackt, und der Zug setzte sich von neuem in Bewegung.

In solch' lustiger Weise besuchten wir alle bemerkenswerthen Punkte des Unterharzes und bestiegen dann den Brocken. Dort angelangt, erging es uns wie neun Zehntheilen aller Reisenden; wir fanden ihn in Nebel eingehüllt und warteten bis zum folgenden Mittage vergebens, daß er sich enthüllen und uns eine Aussicht in die Ferne gestatten werde. Wir suchten unseren Verdruß darüber so gut es gehen wollte, durch Singen, Spielen und Durchblättern der zahlreichen Bände des Brockenbuches niederzukämpfen, ja Einer brachte sogar unsere Jeremiaden über dieses Mißgeschick in ganz leidliche Reime, die ich sogleich zu einem dreistimmigen Canon verarbeitete. Dieser wurde eingeübt, im Brockenhause sowie auch außerhalb desselben im Nebel fleißig gesungen und dann endlich neben unsere Namen in's Brockenbuch eingeschrieben, immer noch in der Hoffnung, es werde sich endlich dennoch aufklären Dieser Canon hat sich unter Spohr's Handschriften vorgefunden und wird als Facsimile diesem Bande beigegeben.. Aber vergebens! Wir mußten uns entschließen, unsern Stab weiterzusetzen.

Wir nahmen nun die Richtung nach Clausthal und hatten noch den Aerger, daß wir, in der Ebene angelangt, nunmehr die Brockenspitze, eine Stunde später als wir sie verlassen, im hellsten Sonnenlichte glänzen sahen! – In Clausthal angekommen, mußte es unsere erste Sorge sein, die auf der Reise ungebührlich angewachsenen Bärte abnehmen zu lassen, um wieder ein etwas civilisirtes Ansehen zu gewinnen. Wir ließen daher einen Bartscherer kommen und lieferten uns ihm, einer nach dem andern, unter das Messer. Dabei ereignete sich etwas sehr Komisches. Wir hatten sämmtlich mehr oder weniger vom Halten der Geige unter dem Kinn eine Wunde Stelle und ich, der sich zuerst niedersetzte, machte den Barbier aus diese aufmerksam und forderte ihn auf, mit dem Messer schonend darüber hinzugehen. Als dieser nun bei jedem Folgenden denselben Wunden Fleck wiederfand, verzog sich sein Gesicht immer mehr in ein pfiffiges Lächeln, auch murmelte er wiederholt etwas in sich hinein. Darüber befragt, sagte er dann mit wichtiger Miene: »Meine Herren, ich merke sehr gut, daß Sie sämmtlich zu einem geheimen Bunde gehören und dessen Abzeichen an sich tragen. Wahrscheinlich sind Sie Freimaurer und ich freue mich, endlich zu wissen, woran man diese erkennen kann!« Als hierauf Alle in lautes Lachen ausbrachen, war er anfangs verdutzt, ließ sich aber in seinem Glauben doch nicht irre machen.

Nachdem wir eine Grube befahren und die Pochwerke und Schmelzhütten besucht hatten, setzten wir unseren Weg über Wildemann nach Seesen fort. Dort wurden wir von meinen Eltern und Geschwistern, sowie von den Musikfreunden des Städtchens mit Jubel empfangen. Nun wurde vom Morgen bis zum Abend musicirt, ja sogar ein öffentliches Concert veranstaltet, in welchem wir Alle unsere Künste im Spielen und Singen zum Besten gaben. Den Ertrag desselben schenkten wir der Armenschule zur Anschaffung neuer Schulbücher.

Höchst befriedigt von unserer Reise kehrten wir über Göttingen und Mühlhausen nach Gotha zurück. Noch gedenke ich mit Rührung der innigen Freude, mit der mich mein liebes Weibchen bewillkommnete und nie habe ich lebhafter empfunden, welch' ein Glück es gewährt, geliebt zu sein!

In dieser Zeit trug mir ein junger Dichter, ein Candidat der Theologie, der in Gotha seiner Anstellung harrte, eine von ihm gedichtete Oper zur Composition an, und ich ergriff mit Freude diese Gelegenheit, mich nochmals, und wie ich hoffte, nun mit besserem Erfolge, in der dramatischen Composition zu versuchen. Die Oper hieß »Alruna, die Eulenkönigin«, war nach einer alten Volkssage bearbeitet und hatte dem Stoffe nach viel Ähnlichkeit mit dem »Donauweibchen«, das damals so allgemeines Aufsehen erregte. Ich begann sogleich meine Arbeit mit großem Eifer und vollendete die drei Akte der Oper noch ehe das Jahr zu Ende ging. Da einige Nummern daraus, die ich im Hofconcerte zu hören gab, großen Beifall fanden, so ermuthigte mich dies, mein Werk dem Hoftheater in Weimar zur Aufführung anzubieten. Ich reiste selbst dahin, um Herrn von Göthe, den Intendanten des Theaters, und Frau von Heigendorf, die erste Sängerin und Geliebte des Herzogs, günstig dafür zu stimmen. Ersterem überreichte ich das Buch, der letzteren die Partitur der Oper. Da sie darin für sich und ihren Günstling Stromeyer brillante Partien fand, so versprach sie die Annahme der Oper zu befürworten, und da ich wußte, daß diese nur von ihr abhing, kehrte ich mit den besten Hoffnungen nach Gotha zurück. Doch bedurfte es noch mancher Erinnerung von meiner Seite und es vergingen Monate darüber, bis es endlich zum Einstudiren der Oper kam. Als dieses dann soweit gediehen war, daß eine große Orchesterprobe stattfinden konnte, lud Frau von Heigendorf mich ein, diese zu dirigiren. Ich reis'te daher zum zweitenmal nach Weimar; diesmal in Begleitung des Dichters.

Da ich nach Vollendung der Oper schon wieder allerlei Neues geschrieben hatte, so war sie meinem Gedächtniß ziemlich entschwunden, und ich glaubte sie deshalb nun um so unbefangener beurtheilen zu können. Ich war daher sehr gespannt auf den Eindruck, den sie auf mich machen würde. – Die Probe fand in einem Saale bei Frau von Heigendorf statt. Es hatten sich außer dem Intendanten, Herrn von Göthe, auch die Musikfreunde der Stadt, unter diesen Wieland, zum Zuhören eingefunden. Die Sänger hatten ihre Partien gut studirt; da auch das Orchester bereits eine Vorprobe gehalten hatte, so wurde die Oper unter meiner Leitung recht gut executirt. Sie gefiel allgemein, und man überhäufte den Componisten mit Lobsprüchen. Auch Herr von Göthe sprach sich lobend darüber aus.

Nicht so gut kam der Dichter weg. Göthe hatte allerlei an dem Buche auszusetzen und verlangte besonders, daß die Dialoge, die in Jamben geschrieben waren, erst in schlichte Prosa umgesetzt und bedeutend abgekürzt werden müßten, bevor die Oper zur Aufführung kommen könne. Dies Verlangen war dem Dichter besonders schmerzlich, da er sich auf seine metrischen Dialoge viel einbildete. Er erklärte sich gegen mich demungeachtet bereit, die verlangte Abänderung vorzunehmen, konnte aber wegen anderer dringender Arbeit nicht sogleich dazu kommen. Mir war dies lieb; denn, mit Ausnahme weniger Nummern, hatte mir meine Musik bei der Probe in Weimar nicht genügt, so sehr sie auch dort gefiel, und es quälte mich von neuem der Gedanke, daß ich für dramatische Musik kein Talent besitze. Die Oper wurde mir daher immer gleichgültiger und ich sah es gern, daß sich die Aufführung verzögerte. Endlich wurde mir der Gedanke, sie aufgeführt und veröffentlicht zu sehen, so fatal, daß ich die Partitur zurücknahm. Es ist daher auch außer der Ouvertüre, die als Op. 21 bei André in Offenbach erschienen ist, nie Etwas daraus gestochen worden. Ich war übrigens ungerecht gegen diese Arbeit; denn sie zeigt, mit der ersten Oper verglichen, doch unverkennbar einen großen Fortschritt im dramatischen Style.

Im Jahr 1808 war zu Erfurt der berühmte Fürstencongreß, bei welchem Napoleon seinen Freund, den Kaiser Alexander, und die deutschen Könige und Fürsten, seine Bundesgenossen, bewirthete. Alle Neugierige der Umgegend strömten hin, um die Pracht anzustaunen, die sich dort entfaltete. Auch ich machte in Gesellschaft einiger meiner Schüler eine Fußpartie nach Erfurt, weniger um die Großen der Erde, als um die Größen des Thèatre français, Talma und die Mars, zu sehen und zu bewundern. Der Kaiser hatte seine tragischen Schauspieler aus Paris kommen lassen und es wurde an jedem Abend eines der klassischen Werke von Corneille oder Raçine aufgeführt. Einer solchen Vorstellung dachte ich, nebst meinen Gefährten, beiwohnen zu dürfen; leider erfuhr ich aber, daß sie nur für die Fürsten und ihr Gefolge stattfänden und jeder Andere davon ausgeschlossen sei. Ich hoffte nun durch Vermittelung der Musiker Plätze im Orchester zu finden, aber auch dieses schlug fehl, da denselben auf's Strengste untersagt war, irgend Jemand mit hinein zu nehmen. Endlich fiel mir der Ausweg ein, daß ich und meine drei Schüler an der Stelle eben so vieler Musiker die Zwischenakte mitspielen und so der Vorstellung beiwohnen könnten. Da wir es uns Etwas kosten ließen und die Musiker wußten, daß die Stellvertreter ihre Plätze genügend ausfüllen würden, so gaben sie ihre Zustimmung. Nun zeigte sich aber eine neue Schwierigkeit: es konnten nur drei von uns bei den Violinen und der Viola untergebracht werden, und da keiner von uns ein anderes Orchester-Instrument, außer jenen, spielte, so hätte einer zurückbleiben müssen. Da kam ich auf den Gedanken, zu versuchen, ob ich bis zum Abend nicht so viel auf dem Horn erlernen könne, daß ich im Stande sei, die Partie des zweiten Horns zu übernehmen. Ich ließ mir sogleich von Dem, dessen Stelle ich einnehmen wollte, das Horn geben und begann meine Studien. Anfangs kamen fürchterliche Töne zum Vorschein; doch nach einer Stunde gelang es mir schon, die natürlichen Töne des Horns zur Ansprache zu bringen. Nach Tische, während meine Schüler spazieren gingen, erneuerte ich im Hause des Stadtmusikus meine Uebungen und obgleich mir die Lippen sehr wehe thaten, so ruhete ich doch nicht eher, als bis ich meine Hornstimme, der allerdings leichten Ouvertüre und der Zwischenakte, die am Abend gespielt werden sollten, fehlerlos herausbringen konnte.

So vorbereitet schloß ich mich nebst meinen Schülern den anderen Musikern an, und da jeder sein Instrument unter dem Arme trug, so kamen wir auch unangefochten zu unseren Plätzen. Wir fanden den Saal, in welchem das Theater aufgeschlagen war, schon glänzend erleuchtet und mit dem zahlreichen Gefolge der Fürsten angefüllt. Für Napoleon und seine Gäste befanden sich die Plätze dicht hinter dem Orchester. Bald nachdem der fähigste meiner Schüler, dem ich die Leitung der Musik übertragen und dessen Direktion ich mich selbst, als neugebackener Hornist, untergeordnet hatte, das Orchester hatte einstimmen lassen, erschienen die hohen Herrschaften und die Ouvertüre begann. Das Orchester bildete, mit dem Gesicht nach dem Theater gekehrt, eine lange Reihe, und es war jedem Mitwirkenden streng untersagt, sich umzukehren und die Fürsten neugierig zu betrachten. Da ich davon im Voraus unterrichtet war, hatte ich einen kleinen Spiegel zu mir gesteckt, mit dessen Hülfe ich, sobald die Musik geendet hatte, unbemerkt die Lenker der europäischen Geschicke, einen nach dem andern, genau betrachten konnte. Bald zog mich indessen das vortreffliche Spiel der tragischen Künstler so ausschließlich an, daß ich den Spiegel meinen Schülern überließ und meine ganze Aufmerksamkeit dem Theater zuwandte. – Bei jedem der folgenden Zwischenakte mehrten sich aber die Schmerzen an meinen Lippen und nach Beendigung der Vorstellung waren sie so angeschwollen und wund geworden, daß ich kaum zu Abend essen konnte. Selbst am andern Tage bei der Rückkehr nach Gotha sahen sie noch sehr negerartig aus, und meine junge Frau war daher nicht wenig erschrocken, als sie mich wiedersah; aber noch mehr stutzte sie, als ich ihr scherzend sagte, es komme das vom vielen Küssen der hübschen Erfurterinnen! Nachdem ich ihr jedoch die Geschichte meiner Horn-Studien mitgetheilt hatte, wurde ich tüchtig von ihr ausgelacht.

In jener Zeit, ich erinnere mich jedoch nicht mehr, ob auf der Reise nach Erfurt oder auf einer früheren, übernachtete der Kaiser Napoleon auch einmal im Schlosse zu Gotha und es wurde daher am Abend vorher ein Hofconcert angesagt. Ich und meine Frau hatten die Ehre, vor dem Allgewaltigen zu spielen und er richtete einige freundliche Worte an uns. Auch erhielten wir am folgenden Tage unseren Antheil an den Napoleond'ors, die er als Geschenk für die Hofkapelle zurückgelassen hatte.

Damals stand der Herzog von Gotha sehr in Gunst bei ihm, und man hoffte davon viel Gutes für das Land. Später mußte er sie aber durch irgend etwas verscherzt haben; denn es ereignete sich bei einer späteren Durchreise des Kaisers eine Scene, welche die Bewohner Gotha's mit Ingrimm gegen den Tyrannen erfüllte. Man erwartete den Kaiser um elf Uhr. Es war daher im Schlosse Friedrichsthal, wo der Hof im Sommer wohnte, ein Frühstück vorbereitet und der Hofstaat in Gala versammelt. Die Postpferde warteten bereits angeschirrt im Schloßhofe, um den Kaiser sogleich nach eingenommenem Frühstücke weiter zu befördern. – Endlich ertönte oben am Friedenstein der erste Salut-Schuß, deren bei jeder Durchreise des Kaisers 101 abgefeuert wurden. Bald darauf rollte sein Wagen heran. Der Herzog, vom Hofstaat umgeben, stand entblößten Hauptes bereits am Gitterthor, nahete sich demuthsvoll dem Wagen und bat, daß Seine Kaiserl. Majestät geruhen wolle, ein Frühstück einzunehmen. Ein kurzes non! und der Befehl an seinen Mamelucken, die Pferde vorhängen zu lassen, war die Antwort. Ohne den Herzog weiter eines Wortes oder Blickes zu würdigen, lehnte er sich im Wagen zurück und ließ den Fürsten in der peinlichsten Verlegenheit am geschlossenen Schlage stehen. Der Herzog erblaßte vor innerem Grimme, daß er sich in Gegenwart seines Hofes und Volkes so beschimpft sah und hatte dennoch nicht den Muth, sogleich in's Schloß zurückzukehren. So vergingen in lautloser Stille fünf bis sechs fürchterlich lange Minuten, bis endlich die Pferde angespannt waren. Beim ersten Anziehen derselben wurde der Kopf des Kaisers noch einmal sichtbar, und mit einem kalten Nicken fuhr er von dannen. Der Herzog kehrte wie vernichtet in's Schloß zurück und die Bürger äußerten laut ihre Wuth, daß der übermüthige Corse ihren Fürsten so beschimpft hatte.

Am 6. November 1808 wurde ich von meiner Gattin mit einem zweiten Töchterchen beschenkt, das von der Stiefschwester meiner Frau, Madame Hildt, über die Taufe gehalten, den Namen Ida bekam. Die Niederkunft ging eben so leicht und glücklich wie die frühere von statten, und das Befinden der Wöchnerin war in den ersten Tagen vortrefflich. Hierdurch verleitet, hatte sie aber zu früh das Bett verlassen, sich erkältet und die traurige Folge davon war, daß sie von einem heftigen Nervenfieber ergriffen wurde. Mehrere Tage schwebte ihr Leben in großer Gefahr. Ich verließ sie weder Tag noch Nacht, da sie nur von mir gern Pflege annahm. Was ich an ihrem Krankenlager litt, läßt sich nicht beschreiben! Geängstigt von ihren Fieberphantasien, von der bedenklichen Miene des Arztes, der meinen Fragen auswich, gepeinigt voll inneren Vorwürfen, sie nicht besser gehütet zu haben, fand ich während Dorettens Krankheit auch nicht einen Augenblick Ruhe. Endlich verkündete die wieder heiter gewordene Miene des Arztes, daß die Gefahr vorüber sei, und ich, dem in den letzten Tagen erst recht klar geworden war, was ich an meiner Frau besitze und wie unendlich ich sie liebe, fühlte mich nun unaussprechlich glücklich. Die Genesung machte rasche Fortschritte; doch blieb eine große Schwäche zurück, von der Dorette erst im Frühjahre völlig befreit wurde, als ich auf den Rath des Arztes eine Gartenwohnung miethete und ihr dadurch den fortwährenden Genuß der frischen Luft verschaffte. Hierdurch gestärkt, begann sie dann allmälig auch ihre musikalischen Studien wieder, die sie fast ein halbes Jahr lang hatte aussetzen müssen.

In dem Verzeichnisse meiner sämmtlichen Werke, das ich bald nach meiner Anstellung in Gotha begann und bis in die neueste Zeit fortführte, sind vom Jahr 1808, außer den bereits genannten Compositionen noch folgende verzeichnet: Zwei Violinduetten ( Op. 9) und eines für Violine und Viola ( Op. 13), Variationen für die Harfe und zwei Quartetten für Streichinstrumente. In Quartetten, wohl der schwierigsten aller Compositions-Gattungen, hatte ich mich schon ein Jahr früher versucht. Es ging mir aber damit, wie mit den Gesangs-Compositionen. Bald nach ihrer Vollendung gefielen sie mir nicht mehr. Ich würde sie deshalb auch nie veröffentlicht haben, hätte sie mir nicht mein Verleger in Leipzig, Herr Kühnel, bei dem ich sie im Herbst 1807 spielte, fast mit Gewalt zurückbehalten und bald darauf als Op. 4 herausgegeben. Die beiden neuen Quartetten ( Op. 15), ebenfalls bei Kühnel, gefielen mir nun zwar etwas länger; doch habe ich es später, als ich im Quartettstyl Besseres zu leisten erlernt hatte, ebenfalls bereut, sie herausgegeben zu haben. Die beiden ersten Quartetten widmete ich dem Herzoge von Gotha, jedoch nur, weil dieser es selbst verlangte. Denn so gern ich meine Arbeiten Künstlern und Kunstfreunden als ein Zeichen meiner Achtung und Freundschaft widmete, so konnte ich es doch in meinem Künstlerstolze nie über mich gewinnen, sie des Gewinnes wegen den Fürsten zuzueignen, es sei denn, daß diese es ausdrücklich begehrten.

In jener Zeit, wo der Herzog mich aufforderte, ihm meine Compositionen zu dediciren, ließ er mich auch öfters zu sich rufen, um sich mit mir über seine Kunstliebhabereien zu unterhalten. Er war bekanntlich, trotz seiner Sonderbarkeiten, ein Mann von Geist und Bildung, wie seine im Druck erschienenen Dichtungen und sein Briefwechsel mit Jean Paul hinlänglich darthun. Um die Regierungsgeschäfte jedoch bekümmerte er sich nicht im mindesten und überließ sie ausschließlich dem Geheimerathe von Frankenberg, der daher der eigentliche Regent des Landes war. Genöthigt, pro forma den Sitzungen des Geheimen-Rathes beizuwohnen, langweilte er sich bei dem dort Verhandelten fortwährend und suchte es daher möglichst abzukürzen, indem er, seine Theilnahmlosigkeit selbst persiflirend, sagte: »Wollen die Herren Geheimeräthe nun nicht bald die Gnade haben, zu befehlen, was Ich befehlen soll?«

Damals hatte er, vielleicht durch meine Gesangs-Compositionen angeregt, Lust bekommen, eines seiner größern Gedichte, eine Art von Cantate, in Musik zu setzen. Er erzeigte mir die Ehre, mich darüber zu Rathe zu ziehen. Da der Herzog es aber wahrscheinlich nicht über sich gewinnen konnte, mich seine Unwissenheit in der Musik merken zu lassen, so wandte er sich wegen der Ausführung an seinen alten Musiklehrer, den Concertmeister Reinhard. Von diesem habe ich dann später einmal in einer unbewachten, vertraulichen Stunde erzählen hören, wie die Composition der Cantate zu Stande kam. Der Herzog las seinem am Clavier sitzenden Lehrer einen Satz des Textes vor und setzte ihm seine Ansichten über die Art, wie er componirt werden müsse, auseinander. Reinhard mußte ihm dann, weil der Herzog einmal von der Charakteristik der Tonarten gehört oder gelesen hatte, verschiedene derselben in Accordfolgen anschlagen, damit er die richtige für seinen Text herausfinde. War dieser heiter, so wurde eine Tonart in Dur, war er traurig, eine in Moll gewählt. Nun geschah es aber eines Tages, daß dem Herzog für seinen Text das Dur zu heiter und das Moll zu traurig war, und er verlangte daher von dem armen Reinhard, er solle ihm die Tonart in halb Moll anschlagen. Waren sie nun über diesen Punkt einig, dann mußte die für den Text passende Melodie gefunden werden. Der Herzog pfiff also Alles, was ihm von Melodien einfallen wollte und überließ es dann dem Lehrer, diejenige herauszufinden, welcher sich der Text am bequemsten unterlegen ließ. Waren so einige Zeilen des Gedichts erledigt, so ging man zu den folgenden über. Der solcher Weise in den Weihestunden des Herzogs zu Stande gebrachte Entwurf der Cantate wurde nun, da Reinhard nicht componiren, wenigstens nicht instrumentiren konnte, dem Kammermusikus Backofen übergeben, um daraus die Partitur zu machen. Dieser konnte von den ihm überlieferten Materialien begreiflicherweise nur sehr wenig gebrauchen und mußte daher die Cantate so gut wie ganz neu componiren. Da er viel Compositions-Talent besaß, so entstand unter seinen Händen eine Musik, die sich recht gut anhören ließ. Das so vollendete Werk wurde nun ausgeschrieben, unter meiner Leitung sorgfältig eingeübt und dann im Hofconcerte aufgeführt. Der Herzog, der doch wohl ein wenig verwundert sein mochte, wie gut seine Musik klang, nahm mit zufriedener Miene die Glückwünsche und Huldigungen des Hofes entgegen, belobte mich, daß ich bei dem Einüben so gut in seine Intentionen einzugehen gewußt habe und ließ seinen beiden Mitarbeitern heimlich ihr Honorar auszahlen. So war alle Welt zufrieden gestellt.

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Im Winter 1808 auf 1809 veranstaltete ich zum Besten des Hoforchesters Abonnements-Concerte in der Stadt. Da diese aber nichts Besseres bieten konnten, als was die Hofconcerte ebenfalls brachten, und Letztere von den Musikfreunden der Stadt, für die im Concertsaale hinter dem Orchester ein geräumiger Platz vorbehalten war, sehr zahlreich besucht wurden, so fanden sie nur wenig Theilnahme. Der Ertrag war daher nach Abzug der Kosten ein so geringer, daß man es nicht der Mühe werth fand, das Unternehmen zu wiederholen.

In einem dieser Concerte trat Herr Hermstedt, Direktor der Harmoniemusik des Fürsten von Sondershausen, als Clarinettist auf und erregte durch seine, schon damals ausgezeichnete Virtuosität großes Aufsehen. Er war nach Gotha gekommen, um mich zu bitten, ihm ein Clarinett-Concert zu schreiben, wofür sein Fürst, unter der Bedingung, daß Hermstedt es als Manuscript besitzen solle, ein nicht unbedeutendes Honorar zu zahlen sich erbot. Ich ging gern auf den Vorschlag ein, da mir die immense Fertigkeit, welche Hermstedt neben schönem Ton und reiner Intonation besaß, volle Freiheit gewährte, mich ganz meiner Phantasie zu überlassen. Nachdem ich mit Hermstedt's Hülfe mich ein wenig mit der Technik des Instrumentes bekannt gemacht hatte, ging ich rasch an die Arbeit und vollendete sie in wenigen Wochen. So entstand das E-molI-Concert, einige Jahre später als Op. 26 bei Kühnel gestochen, mit welchem Hermstedt auf seinen Kunstreisen so großes Glück machte, daß man wohl behaupten kann, er verdanke ihm hauptsächlich seinen Ruf. Ich überbrachte es ihm selbst bei einem Besuche in Sondershausen zu Ende Januar und weihte ihn in die Vortragsweise desselben ein. Bei dieser Gelegenheit trat ich in einem von Hermstedt veranstalteten Concert auch als Geiger auf und spielte zum erstenmal mein Concert in G-moll (Op. 28), welches erst einige Tage vorher fertig geworden war, und einen ebenfalls neuen Potpourri ( Op. 24). Der Hofsekretär Gerber, Verfasser des Tonkünstler-Lexikons, berichtet darüber sowohl in dem genannten Werke unter dem Artikel Spohr, als auch in einem mit Begeisterung geschriebenen Aufsatze der Musikalischen Zeitung, welcher in Nummer 26 des elften Jahrganges abgedruckt ist. Der dritte Satz dieses Concertes ist ein spanisches Rondo, dessen Melodien nicht von mir erfunden, sondern ächt spanische sind. Ich erhorchte sie von einem bei mir einquartierten spanischen Soldaten, der zur Guitarre sang. Ich notirte, was mir gefiel, und verwebte es in mein Rondo. Um diesem dann noch mehr den spanischen Charakter zu geben, copirte ich auch in der Orchesterpartie die Guitarrebegleitung, wie ich sie von dem Spanier gehört hatte.

Zu Anfang desselben Winters erhielt ich auch einen Besuch vom Kapellmeister Reichardt aus Cassel und machte so zuerst dessen persönliche Bekanntschaft. Reichardt erzählte, er reise im Auftrag seines Hofes nach Wien, um Sänger für ein in Cassel zu errichtendes deutsches Theater zu engagiren. Diese Angabe erwies sich später als falsch, da Reichardt schon damals aus westphälischen Diensten entlassen war. Ich hatte mich durch Reichardt's herbe Kritik meines Spiels bei meinem ersten Auftreten in Berlin anfangs sehr verletzt gefühlt; da ich aber bald zu der Erkenntniß kam, daß sie manches Wahre und Begründete enthalte und dies mir Veranlassung wurde, mich von den gerügten Mängeln meines Vortrags frei zu machen, so war an die Stelle der früheren Empfindlichkeit nun längst ein Gefühl der Dankbarkeit getreten. Ich empfing daher meinen Gast mit großer Herzlichkeit und veranstaltete ihm zu Ehren sogleich eine Musikpartie bei mir, in welcher ich ihm meine beiden neuen eben vollendeten Violin-Quartetten zu hören gab. Da ich in jener Zeit von Reichardt'schen Compositionen noch nichts als ein paar gelungene Lieder kannte und daher den berühmten Verfasser der »vertrauten Briefe aus Paris« und den gefürchteten Kritiker noch für einen großen Componisten hielt, so legte ich Werth auf dessen Urtheil und sah ihm mit Spannung entgegen. Daher fühlte ich mich nun von neuem unangenehm berührt, als Reichardt auch an diesen Quartetten allerhand auszusetzen hatte und dies sans gêneaussprach. Vielleicht war es aber nur die selbstgefällige Miene der Unfehlbarkeit, mit der dieser seine Urtheile verkündete, von der ich mich verletzt fühlte; denn später mußte ich mir abermals gestehen, daß in Reichardt's Ausstellungen manches Begründete enthalten sei. Besonders war es eine Bemerkung, derer ich mich bei späteren Arbeiten noch oft erinnerte. Ich hatte nämlich in einem Adagio von Anfang bis zu Ende, nach Mozart'scher Weise, eine Figur bald in der einen, bald in der anderen Stimme durchgeführt und in meiner Freude über die künstlichen Verschlingungen nicht bemerkt, daß dies zuletzt monoton wurde. Reichardt aber, obwohl er die Durchführung lobte, sprach dies schonungslos aus und setzte noch boshaft hinzu: »Sie ruhten nicht eher, als bis Sie die Figur zu Tode gehetzt hatten!«

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