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Abschied von Sentisbrug

Noch bis zum letzten Feriendonnerstagabend hatten sie gemeint, die armen Kadettenbüblein, es könne einfach nicht sein, daß sie wieder fort müßten von Sentisbrugg, in die mürrische Stadt und den hässigen Zank der Schule. Sie hatten sich eingebildet, im schlimmsten Fall, wenn jede Hoffnung geschwunden wäre, so daß sie längst nicht mehr daran dächten, werde sich zu allerletzt die Natur ins Mittel legen und irgendeine rettende Katastrophe stiften, zum Beispiel ein Erdbeben – warum denn nicht? das komme ja vor – oder eine Überschwemmung, oder eine Lehrerseuche, oder eine plötzliche Kriegserklärung, was weiß ich. Und den langen, schönen Donnerstagnachmittag waren sie auf der Gaisfluh gelegen, geduldig auslugend, ob nicht vielleicht die französischen Kürassiere links den Berg heraufgesprengt kämen oder von rechts die badischen Jäger mit finstern Waffenröcken und schmetternden Trompeten.

Erst jetzt, als sie nach ergebnisloser Erwartung niedergeschlagen heimkehrten, mit Efeu, das ihnen die Hirtenmädchen umgehängt, überwuchert wie zwei wandelnde Gartenlauben, und im Dämmerzwielicht gewahrten, wie die Großmutter erbarmungslos den Koffer packte, begriffen sie, daß sie von der ganzen Welt verraten waren. Da kletterten sie in ihrem Elend zuoberst auf den Ofen, leerten den Kater, der sich dort in einer Jacke eingenistet hatte und nicht wußte, will er weichen oder nicht, auf den Stubenboden und duckten sich in den Winkel. Und wie sie nun von da oben im Dämmerschein die Herrlichkeiten überschauten, die sie morgen verlassen mußten, das Uhrgehäuse mit der Geißel darin und dem Großvater daneben, dem seßhaften, dem man so bequem auf die Knie springen konnte, und die Fliege, die verschlafen auf dem Tisch herumspazierte und morgen, ach Gott, wenn sie schon längst fort waren, noch hier herumspazieren durfte, die Glückliche, verspürten sie solch ein unleidliches Weh, daß sie anfingen zu wimmern. Weil aber die Klagetöne so unerwartet natürlich hervorkamen, daß es sie selber erbarmte, gerieten sie auf den Einfall, man könnte möglicherweise auch Großelternherzen damit erweichen. Deshalb fuhren sie nun mit ihrem Jammer absichtlich fort, erst schüchtern und pröbelnd, hernach, als das nichts fruchtete, in zweistimmigem Crescendo, schließlich mit resolutem Heulen wie die Verdammten. Inzwischen rösteten die heißen Platten ihre Schenkel, so daß ihr Klagegesang in grimmige Schmerzensbeteuerungen ausartete; unversehens raschelten sie in ihrem Efeugeheg über den Ofen hinab, knurrend wie zwei Pardel im Prärienbrand.

Ohne rechten Glauben, nur um ja nichts zu unterlassen, versuchten sie noch eine letzte Möglichkeit: über Nacht schnell krank werden. Wie wird ein Mensch krank? indem er sich erkältet; wie erkältet sich ein Mensch? dadurch, daß er nasse Füße bekommt. Folglich tauchten sie, als alle Welt schlief, die Füße ins Waschbecken, setzten sich im Hemd aufs Fensterbrett, die tropfnassen Füße nach außen, in die kühle Nachtluft gestreckt, und erwarteten dann in den Betten die Wirkung.

 

«Gerold, bist du krank?» schnellte der kleine Hansli aus den Kissen, als ihn die Morgensonne in die Augen blendete. «Leider nicht. Und du?» «Nicht einmal Kopfweh.» Jetzt war es aus, einfach aus; rundum nirgends mehr der Schatten einer Rettung. Da bemächtigte sich ihrer die Verzweiflung, und die Verzweiflung lud ihr Gemüt mit Weltwut. Weil sie sich aber gegenseitig Schimpf und Schande zuwarfen, dafür, daß der andere nicht krank geworden war, mündete die Weltwut in eine grimmige, strampelnde Bruderschlacht, die Fäuste in den Haaren, mich an die Wand, dich an die Wand, bis Gerold einen tüchtigen Kratzstriemen weg hatte und aus Hanslis Nase Blut tröpfelte; das erleichterte. Das Waschbecken lag auch auf dem Boden; das beruhigte. Nun halfen sie einander friedlich beim Ankleiden; Gerold nestelte dem kleinen Infanteristen das gefältelte Vorhemd, Hansli schnallte dem Bruder Kanonier den Säbelgurt zu, ein mühseliges Geschäft, denn Gerold hatte sich in den Ferien allseitig abgerundet. Gestiefelt und geschmückt, stolz auf ihren funkelnden Kadettenstaat, den roßhaarbebuschten Tschako tief in der Stirn, betraten sie den Flur, meldeten ihre bevorstehende Ankunft mit Siegesgeschrei und ritten schnell wie der Biswind schlittlings die Stiegenlehne hinab.

Unten wurden sie von den Großeltern empfangen. Zuerst erhielten sie vom Großvater den Tagesbefehl: Sie würden diesmal nicht mit der Post heimreisen, eröffnete er ihnen, bloß der Koffer fahre mit der Post; für sie selber gebe es eine Ausnahmsgelegenheit, die Reise kostenlos auszuführen. «Paßt auf, was ich sage: Zuerst geht ihr zu Fuß bis nach Schönthal. – Ruhig, ihr könnt nachher jubeln, jetzt heißt es hören, was ich sage. – Den Weg nach Schönthal hinab, anderthalb Stündchen im höchsten Fall, werdet ihr allein finden, das ist kein Hexenwerk auf der breiten Fahrstraße; wenn man ein Fäßchen in Sentisbrugg losließe, würde es von selber nach Schönthal rollen. Übrigens seid ihr ja alt genug, um nötigenfalls zu fragen. Mit Patrontasche und Säbel werden hoffentlich ein paar zwölfjährige Kadetten keine Kindsmagd mehr nötig haben.»

«Elfjährig», verbesserte Gerold, «zehnjährig», krähte Hansli.

«Zehnjährig oder zwölfjährig, das ist Nebensache.»

«Der Dolf kann sie ja bis halbwegs Schönthal begleiten», warf die Großmutter ein.

«Meinetwegen, obschon es nicht nötig wäre; der Schönthaler Fabrikschlot guckt ja rotgelb aus den Bäumen wie ein Wiedehopf. – In Schönthal erwartet euch der Götti Statthalter zum Mittagessen. Nachher kommt ein Wagen vom Landammann Weißenstein in Bischofshardt; der holt das Töchterlein des Landammanns ab, das in Schönthal beim Fabrikdirektor Balsiger in den Ferien gewesen ist und ebenfalls am Montag wieder in die Schule muß. In dem Wagen dürft ihr bis Bischofshardt mit fahren –»

«Pfui!»

«Wieso pfui? Das sind doch Manieren!! Ihr fahrt doch sonst gerne in einem Wagen.»

«Ja, aber das Mädchen!»

«Sie wird euch nicht beißen, ihr solltet es vielmehr für eine unverdiente Ehre anrechnen, mit solch einem feinen, wohlerzogenen Mädchen reisen zu dürfen, wie die Gesima Weißenstein. Aber laßt ihr mich eigentlich ausreden oder nicht? Also mit der Gesima fahrt ihr im Wagen bis nach Bischofshardt, und morgen dürft ihr den ganzen Samstag beim Landammann bleiben; wie er euch dann am Sonntag nach Aarmünsterburg weiterspediert, ist seine Sache.»

Diesem Reiseverzeichnis fügte die Großmutter einige Weisungen, Warnungen und Ermahnungen bei. Mit dem Götti Statthalter in Schönthal, bei welchem sie zu Mittag essen werden, sei nicht zu spaßen; der sei ein entsetzlich strenger Herr, vor welchem alles zittere, so daß sie sich dort doppelt vorsichtig und untadelhaft benehmen müßten. Sie dürften ihn also zum Beispiel nicht so patzig anglotzen, als wollten sie sagen: pumps, jetzt sind wir da, sondern ihm manierlich die Hand reichen. Im besonderen habe der Statthalter einen furchtbaren Haß gegen seinen eigenen Sohn, den Max, oder den Narrenstudenten, wie er im Kanton heiße; sie sollten daher nie nach seinem Sohne fragen und, wenn von dem Max gesprochen werde, tun, als hörten sie nichts. Nämlich der Max sei leider fehlgeraten.

«Der Max hat doch wenigstens niemals Schulden gemacht wie der Dolf», bemerkte der Großvater bitter mit einem schmerzlichen Seufzer.

Die Großmutter fuhr fort: Und mit der Gesima Weißenstein sollten sie fein säuberlich umgehen, denn die sei erschreckend vornehmer Leute Kind, und ihr Vater, der Landammann, würde vorkommenden Falls die mindeste Ungebührlichkeit grausam rächen. Mit säuberlich umgehen sei indessen nicht bloß gemeint, sie nicht zu hauen und auszuhöhnen, sondern höflich und zuvorkommend gegen sie zu sein und danke zu sagen. – «Gerold, wenn dich der Kater beißt, beklage dich nur nicht bei mir.» – Wenn in der Friedlismühle, wo sie vorbeikommen werden, jemand nach dem Onkel Dolf frage, so sollten sie antworten, es sei jetzt in Ordnung, und es komme in den nächsten Tagen ein ausführlicher Brief. Und im Althäusli, auf der letzten Wirtshausstation vor Bischofshardt, sollten sie nicht etwa einkehren; denn im Althäusli wohne Lumpenware, mit welcher man nichts zu tun haben wolle. «Dieser Brief ist für die Frau Statthalter, der andere für eure Mama, der hier gehört in die Friedlismühle. Grüße an Papa und Mama und alle verstehen sich von selber, aber es kommt daneben hauptsächlich darauf an, daß man sie auch ausrichte. Und die Monika, die Magd bei Statthalters, solle so gut sein und auf den Sonntag für Kalbfleisch sorgen. Und der Doktor möchte doch von Schönthal heraufkommen, wegen der Urgroßmutter, womöglich heut noch, und Blutegel mitbringen, denn es gehe ihr nicht gut. Wenn sie Zeit hätten, sollten sie in Bischofshardt –»

«Und so weiter und so weiter!» schlossen die Buben, flüchteten durch die Tür und pflanzten sich entschlossen vor den Kaffeetisch.

 

Ob sie nicht selber das Bedürfnis verspürten, von der Urgroßmutter Abschied zu nehmen und sie ein letztes Mal noch zu sehen, – mahnte eine Stimme aus dem Fenster, als sie reisefertig vor dem Hause ungeduldig auf und ab spazierten.

Als sie in die Krankenstube der Urgroßmutter traten, erblickten sie etwas Merkwürdiges: den jungen Onkel Dolf, der schluchzend auf den Knien lag, während die Urgroßmutter mit keuchender Stimme auf ihn einredete: «Also heilig versprochen, Dolf, du machst keine Schulden mehr und lässest vom Marianneli und gehst nie mehr ins Althäusli? Gib mir die Hand darauf.» Das tat der Onkel Dolf laut aufschluchzend. «Und heiratest die Therese von der Friedlismühle?» «Ja», flüsterte Dolf kaum hörbar. Da begann die Urgroßmutter zu beten, und der Großvater und die Großmutter umarmten den Dolf, der alsobald weinend aus der Stube stürzte. Jetzt kamen die Buben an die Reihe, von den Großeltern zum Krankenstuhl geschoben. «Liebe Kinder», stöhnte die Urgroßmutter, dann, nach einer langen Atempause, daß man fürchtete, sie erstickte, stieß sie hervor: «grüßt mir eure Mutter.» Hierauf ließ sie sich in den Kissen aufrichten und reckte mit großer Anstrengung ihre Hände nach den Stirnen der Buben, unverständliche Worte lallend. Gerold begriff, erstaunte und erschrak andächtig. Das war ein Segen wie im Alten Testament, aber daß es heutzutage noch Segen gebe, hätte er nie gedacht; er hatte gemeint, der Segen wäre seit tausend Jahren aus und vorbei wie die Wunder. Auch hatte er gemeint, ein Segen sei etwas Freudiges, Schönes, Glänzendes, mit einem goldenen Schimmer um den Kopf des Segnenden, und jetzt war die Urgroßmutter mit den aufgeschwollenen Gliedern, mit den blöden Augen, mit dem blutigen Waschbecken neben sich, so traurig und häßlich anzusehen, daß er fast hätte weinen müssen. Das jedoch war ihm deutlich: die Urgroßmutter brachte ihnen mit ihrem Segen das größte Geschenk, das ein Mensch anderen bringen kann; denn durch diesen Segen waren sie fortan beide für ihr ganzes Leben gegen alles Unheil gefeit. «Ich danke dir für den Segen, Urgroßmutter», sagte er treuherzig, «und der Hansli auch.» Er hatte es besser sagen wollen, allein er wußte nicht wie.

 

Nun stand der Abreise nichts mehr im Weg, außer daß der Dolf, der sie halbwegs Schönthal begleiten sollte, immer nicht kommen wollte. Endlich kam er doch, und sofort stampften sie, Führer rechts, linken Fuß voran, von dannen; und je schmerzlicher ihnen der Abschied wehe tat, desto stärker stampften sie.

Der Onkel Dolf mußte offenbar krank sein, denn er sah bleich aus, hielt sich abseits von den Knaben und sprach auf dem ganzen Wege kein Wort zu ihnen. Sie aber machten unterdessen ihrem Groll, mit einem Mädchen reisen zu müssen, mit gedämpfter Stimme Luft, indem sie alle Unarten und Lächerlichkeiten der Mädchenrasse höhnisch zusammentrugen: ihre komische Erscheinung mit den unvernünftig langen Haaren und Röcken, mit den kindischen Trippelschritten, mit den geschwollenen Körperlinien, – ihre schmähliche Feigheit, so daß sie vor dem bloßen Anblick einer blanken Waffe sich die Augen, vor einem kleinen Pistolenschuß die Ohren zuhielten, – ihre verächtliche Schwachheit: eine ganze Schulklasse erwachsener Mädchen von einem einzigen schneeballbewehrten Buben in die Flucht zu schlagen, – ihre Eitelkeit und unmännliche Ziersucht, immer ein Spiegelein vor dem Gesicht und ein bunter Lappen am Hals und in den Haaren. – «Und hast du gesehen, wie sie schwimmen?» flüsterte Gerold, «ekelhaft!» «Zu allem obendrein sind sie noch falsch und hinterlistig und lügen», berichtete Hansli, «der Briefträger hats zum Posthalter gesagt, ich habs gehört; und der kanns wissen, er ist alt genug.»

Da störte der Dolf unversehens ihre Unterhaltung; schade! noch nie hatten ihre Ansichten so übereingestimmt. «Seht ihr dort unten im Tal zwischen den Wäldern den gelben Fabrikschlot? Das ist Schönthal; ihr könnt jetzt unmöglich noch fehlen, in einer starken halben Stunde seid ihr dort.» Und zeigte ihnen mit dem Finger den Schlot. Darin stellte er die Kadetten zu beiden Seiten der Straße auf, Front gegen die Wiese und Rücken gegen Rücken. «Kannst du ein Geheimnis bewahren, Gerold?» zischelte er ihm ins Ohr. Gerolds Blicke leuchteten stolz. «Diesen Brief gibst du heimlich dem Marianneli im Althäusli, aber ja niemand anders als ihr, und falls du das Marianneli nicht treffen solltest, so zerreiß den Brief. Verstanden?» Hiemit nahm er ihm den Tschako ab und steckte den Brief in das Hutfutter. Hernach kommandierte er mit lauter Stimme: «Kadettenbataillon Aarmünsterburg, Augen zu!» und steckte dem Gerold allerlei in die Frackschöße, dem Hansli in die Patrontasche. («Streichhölzer», dachte Gerold, «ich riechs»; «Pulver», erriet Hansli,«ich merks.») «Alles gehört beiden gemeinsam», erklärte Dolf, «aber Gerold hat den Oberbefehl darüber. – Achtung! Bataillon Aarmünsterburg, Augen auf! Front nach Schönthal! Richt' euch! Vorwärts, Feldschritt, marsch!» Da marschierten die Kadetten zu Tal, und der Dolf kehrte nach Hause zurück, bergauf, heim nach Sentisbrugg.

 

Sobald er hinterm Rank verschwunden war, untersuchten die Buben ihre Geschenke. Richtig, wie sie vermutet hatten: Streichhölzer und Schwefelhölzer, Zunder und Pulver. Aber in welchem unglaublichen, fabelhaften Reichtum! So viel hatten sie in ihren kühnsten Hoffnungsträumen kaum beisammen geschaut, geschweige denn in der Wirklichkeit. Wohl an die vier Pfund des feinsten Jagdpulvers! – Gerold rang stöhnend nach Atem vor Überglück, Hansli tanzte wie besessen auf dem Fleck, dann blitzten sie einander aus den Augen einen Schwur entgegen. «Jetzt, ehe es zur Schule geht, das Leben genießen, gründlich, bis zum letzten Pulverkorn, hernach komme, was da wolle!» Und stürmten in wahnsinnigem Lauf in den Wald, um einen abgelegenen Schlupfwinkel zu erspüren, durch Busch und Strupp, Dickicht und Dorn, über Wasser und Steine, blindlings, ohne Aufenthalt, aufwärts nach den Flühen. Eine einsame heiße Felsenkammer, deren jähe Mauern von stillem Buchenwald überwachsen waren, empfing sie; hoch über Fluh und Wald kreiste ein leises Raubvogelpaar. «Hier!» herrschte Gerold und begann die kriegerische Alchimistenware auf dem glühendsten Felsentisch auszubreiten. Aber ehe er die Hochzeit gestattete, hielt er zuerst dem kleinen Infanteristen vor dem Tiegel eine ernste Festpredigt, von der Last der Verantwortlichkeit redend, die er, als der Ältere, für seines Bruders Leben auf dem Gewissen trage, hernach vor den Tücken des Schießpulvers warnend, welches, von Berthold Schwarz Anno 1330 in Freiburg erfunden, mit wahrhaft teuflischer Hinterlist sich tot zu stellen pflege, um einem genau in dem Augenblick, da man anfange zu blasen, ins Gesicht zu springen; endlich dem Bruder pyrotechnische Erörterungen über Lauffeuer, Feuerteufel und Erdminen gönnend, nebst den Rezepten und Handgriffen für die Zubereitung eines jeden dieser Gerichte.

Nachdem Hansli mit begeistertem Blick nicht bloß die blindeste Disziplin zugesichert, sondern überdies Überraschungen der Klugheit in Aussicht gestellt, machten sie sich gierig ans Werk, worauf binnen kurzem unter ihren Schwarzkünsten die stille Felsenklause sich in eine donnernde, flammende und qualmende Hölle verwandelte, in welcher die beiden Kadetten wie zwei verklärte Salamander wirtschafteten. Fauchend pufften die Lauffeuer um den Sims des Gemäuers, blitzgeschwind, in abenteuerlichen Schlangenwindungen, gefolgt von träge nachkriechenden Wolkenkarawanen. Blutrote Funkengarben entsprühten zischend und knatternd den Feuerteufeln, höllisch anzusehen, doch gänzlich ungefährlich – man durfte sogar das Gesicht darüber halten; ohnmächtige, selbstmörderische Vesuve, weiter nichts. Das Herrlichste aber waren doch die Minen. Freilich, Zeit brauchten sie! Zeit! Oder was meint ihr denn? Ohne Schaufel und Pike die Erde auszuhöhlen, einzig mit den Fingern und einem kleinen Taschenmesser, das macht sich nicht so schnell! Und dann hernach noch Gras und Blätter, Reiser und Steine herbeischleppen, aus allen Weltgegenden, zum Auffliegen – wenn ihr glaubt, das gehe nur so im Handkehrum, so täuscht ihr euch gewaltig. Allerdings wurde man dafür auch belohnt. Der Knall, wenn die Mine krachend aufflammte! Und die Vergnügungsflüge der wie verrückt herumwirbelnden Hölzer und Kiesel in der Luft! Und wenn das Feuerwerk von Knall und Flug fertig war, kam erst noch das Beste: ein schwarzlockiger Rauchball bolzgerade über die Buchenwipfel steigend, gefolgt von kleinen verspäteten Erdbeben, und ganz zuletzt wuschelten noch einige Pulverwölklein gleich Maulwürfen durch das Moos. Jedesmal, wenn eine Mine aufgeflogen war, sprangen sie hinzu und tanzten im Rauch; wenn vollends ihnen nachträglich noch vereinzelte Hölzer und Steinchen um die Köpfe kartätschten, so wußten sie sich vor wahnsinniger Wonne und Bruderliebe gar nicht mehr zu helfen. Überhaupt, wie zeigt man eigentlich seinem Bruder, daß man ihn gern hat? In dieser Zweifelsnot fraßen sie Pulver und fletschten einander mit dem Schwefelatem an. Vielleicht war das nicht der übliche Ausdruck der Sympathie, gleichviel, sie verstanden sich in dieser Sprache.

«Das knallt schön!» erscholl eine tiefe Männerstimme, als sie eben wieder eine Mine losgelassen hatten. Und wie sie sich umsahen, hielt ein Landjäger Wachtmeister mit Ehrenzeichen auf der Brust und goldenen Schnüren am Ärmel hinter ihnen. Gerold stand vor Schreck versteinert, und Hansli hockte, er wußte selbst nicht wieso, plötzlich auf einem Felsblock oben. «Wir tun nichts Böses», kreischte er von dort, «der Onkel Dolf hat es uns erlaubt.» Der Wachtmeister beruhigte sie lächelnd. Ein Landjäger, belehrte er, bedeute nicht notwendig das Gefängnis, ein solcher habe auch noch andere Obliegenheiten in der Welt. Zum Beispiel seien die Landjäger die Untergebenen des Regierungsstatthalters, welcher sie, wenn er wolle, unter anderm zum harmlosen Botendienst benütze. «Mazzmann ist mein Name, und der Statthalter von Schönthal, euer Götti, hat mich geschickt, nachzusehen, wo ihr bleibet und ob euch nicht etwa ein Unglück zugestoßen sei, oder ob ihr euch vielleicht verirrt habet. Ich könnte nicht gerade behaupten, daß es schwierig gewesen wäre, euch zu finden, man hat ja das Pulvern fast bis auf die Landstraße gehört und den Rauch über den Bäumen gesehen. Doch kommt jetzt; ihr werdet Hunger haben.» Das war eine Idee; Hunger, ja Hunger hatten sie.


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