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Der Talisman


Es war in der Blüthezeit des Direktoriums in Frankreich, als den Regierenden einfiel, die Gebirge ihres Vaterlandes untersuchen zu lassen, weil ein Projektmacher ihnen hoch und theuer zugeschworen hatte, daß darinnen Minen im Ueberflusse sich befänden. Was brauchte man damals nothwendiger als Metall? Die Assignaten waren zum Kinderschreck geworden, und die Bons des Direktoriums schreckten bereits auch den kühnsten Spekulanten.

Die Regierung warf ihre Augen auf diejenigen Leute, die im Stande waren, etwaigen Anforderungen im mineralischen Fach zu genügen. Es waren zu diesem Zwecke nur junge Leute aufzufinden, die, Gott weiß aus welchem Antriebe, sich mit der Wissenschaft beschäftigt hatten: denn die Lehrer und Meister im Fache hatte die Sense der Revolution unerbittlich gemäht. Man wählte also, da es an Bessern mangelte, die jungen Apostel, und sendete sie nach allen vier Weltgegenden aus, um das Terrain und die Schachte zu prüfen, das Gestein anzuschlagen und Reichthümer aus dem Busen der Muttererde an's Licht zu beschwören. Ich befand mich unter einem solchen Geologendetachement, welches nach den Vogesen beordert war. Das Praktische des Fachs war freilich meine schwächste Seite; dagegen hatte ich weit mehr Gewandtheit in der Redaktion der Berichte, Verbalprozesse und Tabellen, als meine Collegen alle zusammengenommen. Darum dispensirte man mich von dem beschwerlichen Suchergeschäft, und lud auf meine Schultern alle Schreiberei der Expedition, welches den Vortheil mit sich brachte, daß ich ruhig an meinem bestimmten Ort sitzen konnte, während die Kollegen Thal und Berg bestrichen, und meine Freiheit hatte, gleich dem Chef der Expedition, der sich so schnell als möglich in die städtische Herrlichkeit von Epinal zurückgezogen.

Ich war nicht verlegen, mir meine Residenz zu bestimmen. Ich hatte schon ein paar Knabenjahre in diesen Gebirgen zugebracht, und das reizend gelegene Puy war mir unvergeßlich geblieben; darinnen eine Familie, deren niedliche Töchter meine Gespielinnen, meine ersten Liebschaften gewesen. Keine Frage, ob der achtzehnjährige Mineralog die befreundete Stätte wieder aufsuchte. Der Familienvater lebte noch, ein rüstiger Greis; und statt der sanften Mutter, die einst in dem Hause gewaltet und nun gestorben, besorgten drei erwachsene, wunderliebliche Mädchen die Wirthschaft. Wie gerne hätte ich in ihrer Mitte gelebt! Doch wollte es der Vater anders, und räumte mir in sorglicher Vorsicht ein Häuschen, ganz am Ende des Dorfes gelegen, ein. Das Mittagessen nahm ich bei dem Alten ein; aber die Mädchen waren nie zugegen. So geschah es, daß ich sie fast nie zu sehen bekam, die Aelteste ausgenommen, die dann und wann, eine größere Freiheit usurpirend, als ihre Schwestern, in meine Wohnung kam, mein Frühstück besorgte, nach meiner Wäsche sah, und mütterliche Pflichten an mir übte.

Sie konnte dieses ohne Gefahr. Ich war schüchtern, wie ein im Kloster erzogenes Fräulein, und wagte nicht -- obgleich im ersten Augenblick von Liebe zu Theresen entflammt -- ihr mit einem Wort meine Neigung kund zu geben. Daher stieg die unbefangene Vertraulichkeit des Mädchens, das einige Jahre älter war als ich, von Tag zu Tag, und es mag recht idyllisch anzusehen gewesen seyn, wenn Therese in meinem Hause webte und schaltete, ohne daß ich von meinen Rechnungen nur in die Höhe sah; wenn sie mich manchmal mit altkluger Miene auszankte, weil ich diese oder jene Ungeschicklichkeit begangen, und ich ihr dann zuhörte, wie ein gehorsames und verdutztes Kind.

Eines Nachmittags, -- ich saß wieder an meinem Pult -- scherzte Therese, hinter mir stehend, mit mir, und beklagte sich über den ungeschickten Friseur, der nach ihrer Behauptung meine Haare schlecht geschnitten. Da zog sie plötzlich, mit meinen Locken spielend, ein Sammetband aus meinem Halstuche, und fragte überrascht, was dieses Band bedeute, ob ein Liebespfand, ein theures Bildniß daran geknüpft sey.

Ich erröthete, und erwiederte mit schlecht verhaltener Scham: »Nicht doch, Therese! An diesem Bande hängt ein stählernes Kreuz, das mir meine Tante, die Benediktinerin, einst gegeben. Das Kreuz wurde an dem Reliquienkasten meines Schutzpatrons geweiht, und sollte mich nach dem frommen Glauben der Tante vor aller Gefahr schützen.«

»O zeige mir das Kreuz,« versetzte Therese, die den Jugendfreund zu duzen nie aufgehört hatte, und ich legte den geweihten Talisman in ihre Hände.

Das Kreuz war ganz einfach und schmucklos; dennoch starrte Therese mit nachdenkendem Blicke darauf, drehte es einigemal wie bewußtlos in ihren Händen, und sagte mit einer Art von Heftigkeit: »Gib mir das Kreuz, Karl! Schenke mir's.«

Das Begehren kam mir unerwartet, sein Beweggrund schien mir ein Räthsel. Ich zögerte. Theresens Stirne verdüsterte sich und schmollend fragte sie: »Bin ich Dir nicht so viel werth, als dieses Kreuz? Wenn ich es als ein Pfand Deiner Freundschaft fordere, wenn es mich glücklich machen kann … wirst Du mir's standhaft verweigern?«

Diese Worte, die ein zärtliches Gefühl zu verrathen schienen, siegten unwiderstehlich über den frommen Aberglauben meiner Jugend, wie über die Schüchternheit, die stets meine Zunge in Theresens Nähe gefesselt hielt. Mit klopfendem Herzen, mit überströmenden Augen und Lippen drückte ich der Geliebten das Kreuz in die weichen Hände, und rief voll Begeisterung: »Nimm es hin, dieses Geschenk, das mir die Tugend gab; nimm es hin als ein Pfand meiner Liebe und sey meine Braut!«

Therese trat einen Schritt zurück, und Blässe fuhr über ihr Gesicht, während ihr Auge verwirrt den Boden suchte. Wähnend, am Ziele meiner innigsten Sehnsucht zu seyn, fuhr ich leidenschaftlich fort: »Du weißt jetzt um das Geheimniß meines Herzens, Therese! Sage mir, daß ich mich nicht täuschte, als ich an die Verwandtschaft unserer Gefühle glaubte. Gestehe mir, daß Du mir nicht gram bist, daß Du einst mein Weib seyn willst!«

Therese erschrack auf's Neue, und stammelte, unwillkürlich hingerissen: »Ich? … Dein Weib … Ich, das Weib eines Andern?«

Nun war die Reihe zu versteinern an mich gekommen. »Wie, Therese?« fragte ich: »Du verheirathet? Du für mich verloren?«

»Verheirathet seit einem halben Jahre.«

»Ohne Wissen Deines Vaters?«

»Ja! Es mußte so seyn.«

»Mit wem, Unglückliche?«

»Ach! ich darf es kaum gestehen. Mein Gatte ist verbannt, verfolgt, eine Beute des Todes, wenn ein feindliches Auge ihn sieht.«

»Ein Verbrecher? Therese, was hast Du gethan?«

»Kein Verbrecher; ein Unglücklicher, ein Emigrant.«

Bei diesen Worten zerfloß sie in Thränen und -- so weich und wandelbar sind die Gefühle der Jugend -- ich weinte mit ihr, ich theilte den Kummer derjenigen, die ich geliebt, die ich nun im Besitz eines Nebenbuhlers wußte. -- Sie nahm mir keinen Eid ab, ihr Geständniß geheim zu halten; das verstand sich von selbst. Ich drang nicht in sie, mir die näheren Umstände ihrer räthselhaften Verbindung zu entdecken; das verbot mir das Zartgefühl. Wir schieden von einander, getrennt, und dennoch verbunden in unauflöslicher Freundschaft. Beim Scheiden verbarg Therese meinen Talisman in ihrem Busen.

»Was willst Du jetzt noch mit dem Kreuze?« fragte ich schmerzlich: »Hat es noch Werth für Dich?«

»Den höchsten, mein lieber Freund. Es soll meinen Gatten auf seinen gefährlichen Wegen beschützen und bewahren.« Mit einem Händedruck sagte sie mir Lebewohl.


Ich hatte darauf gerechnet, recht lange in Puy zu bleiben; aber die Unterredung mit Theresen benahm mir schnell die Lust zu einer übermäßigen Verlängerung meines Aufenthaltes. Ich fühlte das Bedürfniß, mich zu zerstreuen, und drang auf meine Zurückberufung nach Epinal. Die ganze Expedition hatte beinahe ihre Endschaft erreicht; meine Collegen waren der fruchtlosen Bemühungen, Silber und Gold zu finden, müde geworden, und die Machthaber in Paris begannen zu merken, daß die Geschichte mehr Geld kostete, als sie werth war. -- Ich ordnete in der Eile meine Papiere, und setzte den Tag meiner Abreise fest. Am Vorabende des Reisetages saß ich, mit der Correspondenz beschäftigt, an meinem Schreibtische; ein fürchterliches Unwetter prasselte draußen mit Hagel, Donner und Regen, und die Blitze erhellten auf schaurige Weise draußen die unruhige, dunkle Nacht. Ich war einsam in meinem Häuschen und dachte nicht an einen späten Besuch, als man mit einem Male dringend an meinem Fensterladen klopfte.

»Wer da?« fragte ich, das Fenster öffnend.

»Ich bin's,« lispelte draußen Theresens Stimme, fast überheult von dem wüthenden Sturme.

Schneller als der Blitzstrahl, der draußen niederfuhr, flog ich an die Thüre; in einen Männermantel gehüllt, eine Mütze auf dem Haupte, stürzte Therese, wie eine Verzweifelnde in meine Arme. Ich zog sie in das einsame Stübchen, voll von Neugierde, von Angst, von Entsetzen. Da war jedoch nicht die Zeit zu neugierigen Fragen, der Augenblick drohte Gefahr.

Kaum war sie in dem Dunkel meines Schlafgemachs verschwunden, als auch schon heftiges Klopfen an meine Thüre donnerte. Ich öffnete, obschon noch unschlüssig über die Parthei, die ich ergreifen sollte, und ein Haufe von Bauern, bewaffnet wie eine Häscherbande, drang in meine Stube.

Der Anführer der Truppe war ein gutes, mir bekanntes Thier, welches im Dorfe den Nachtwächter machte, und mich schon oft mit Meßstab und Kette auf meinen geometrischen Wanderungen begleitet hatte. An diese Respektsperson wendete ich mich alsobald mit den treuherzigen Worten: »Ei, löblicher Leblanc! Wie kommst Du zu so später Zeit hieher? Was verschafft mir die Ehre Deines Besuchs?«

»Meiner Treu, Herr Commissär! Sie schmeicheln mir viel zu viel,« erwiederte der gute Mensch in nicht geringer Verlegenheit, »aber Sie verzeihen, wenn ich Ihnen sage, daß wir einem Spitzbuben, einem Emigranten auf der Spur sind, der sich schon öfters auf ungebührlich heimliche Weise in das Thal eingeschlichen haben soll, und dessen Habhaftwerdung für die Republik allerdings von Wichtigkeit wäre. Denn … sehen Sie … die Republik ist doch immer alles, und ein Hund von Emigranten nichts. Darum …+«

Hier unterbrach ich ihn mit einer Autorität, die von dem klaren Verständniß der Gefahr, worin sich Theresens Gatte befand, gesteigert wurde. »Es lebe die Republik!« rief ich, »aber welches Recht hast Du, in der friedlichen Wohnung eines Bürgers Spitzbubenjagd zu halten?«

Leblanc verstummte; statt seiner nahm ein anderer Bauer das, Wort, und behauptete, man habe den Flüchtling in der Gegend meines Hauses verschwinden gesehen.

»In der Gegend meines Hauses!« rief ich mit scheinbarer Entrüstung: »Führt denn diese Straße nur nach meinem Hause? Wie, wenn nun ein eitles Hirngespinst Euch bethörte? Was hätte ein Emigrant in diesem Thale zu suchen? Wäre es etwa ein kecker Liebesabenteurer der Euch an der Nase führt? Wahrhaftig, guter Leblanc, ich an Deiner Stelle würde hier nicht so ruhig stehen. Dein Haus liegt ebenfalls nur einige Schritte von hier, und Dein niedliches Weib, welches Du, Deinem Beruf gemäß, Nacht für Nacht alleine lassen mußt, könnte von dem Nachtwandler, dem Ihr nachjagt, mehr zu fürchten haben, als die Republik von hundert Emigranten.«

Leblanc kratzte sich überrascht hinter den Ohren, rieb sich mit ausdrucksvoller Geberde die Stirn, und hätte ohne Zweifel viel darum gegeben, wenn er auf der Stelle seinen Rückzug hätte nehmen dürfen. Aber das Ehrgefühl hielt ihn zurück, und indem er sich stellte, als ob er meine kitzliche Anrede überhört hätte, fuhr er mit verlegener Haltung fort: »Ja! ganz recht, Bürger-Commissär! aber … wir sahen hier Licht, zu dieser ungewohnten Stunde, wir schöpften Verdacht … es ist schon spät … alles schläft im Dorfe und Sie …«

»Meint Ihr, daß die Commissäre der Regierung schlafen? Wir wachen für Euer Wohl. Meine Berufsarbeiten sind mir heiliger als die Ruhe. Da ist mein Pult, da liegt noch die nasse Feder, und meint Ihr, blödsinnige Leute, daß man Licht anzündet, wenn man einen Verbrecher bei sich beherbergt? Man löscht im Gegentheil seine Lampe aus.«

Das triftige Argument wirkte. Die Bauern nickten einander zu, und beschlossen einstimmig, wieder abzuziehen. Sie sagten mir freundlich gute Nacht, und ich schöpfte wieder freier Athem, als einer von den Leuten vor der Thür sagte: »Da war ja noch ein Alkoven. Wir hätten den Alkoven durchsuchen sollen.«

Im Nu war wieder der ganze Trupp in meiner Stube. Ein Fels fiel auf meine Brust, doch waffnete ich mich mit Unverschämtheit, riß meine Pistole von der Wand, und trat entschlossen vor den Vorhang, hinter welchem Therese zitterte. »Halt da!« rief ich mit unerschütterlichem Ernst, die Waffe gegen die Bauern gestreckt: »Das ist mein Geheimniß. Ihr werdet nicht begehren, daß ich ein Weib, welches mir zu Zeiten die Freude seines Besuchs gönnt, Eurer dummdreisten Neugierde preisgebe.«

»Ein Weib?« murmelten die Bauern unter einander und schüttelten ungläubig die Köpfe. Leblanc ging sogar so weit, hinzuzufügen: »Ihr Wort in Ehren, Bürger-Commissär! aber wir wissen wohl, daß Sie einen tadellosen Wandel führen, und daher … verzeihen Sie …«

»Daher glaubt Ihr mir nicht? so komme denn Du heran, ehrlicher Leblanc, und überzeuge Dich von der Wahrheit meiner Aussage. Wer aber von den andern sich rührt, stirbt im Augenblick von meiner Hand.«

Die Rede imponirte. Leblanc trat unentschlossen vor und die Andern standen mauerstill. Ich drehte mich aber gegen den Alcoven und rief durch den Vorhang: »Meine Liebe! überzeuge mir zu Gefallen den Zweifler. Zeige ihm Deinen Arm, Deine Hand, aber bedecke mit Deinem schönen Haar Dein Gesicht, daß auch nicht der leiseste Zug desselben dem unbescheidenen Forscher mehr verrathe als nöthig ist.«

Therese that, wie ich geheißen. Der schönste weiße Arm, die Achsel, von blendendem Golde überwallt, streckte sich dem näher tretenden Leblanc entgegen, der mit einer Art von Gourmandise den Arm berührte, die sammetweiche Hand streichelte und eine der Goldlocken durch seine Finger gleiten ließ. Hierauf trat er mit einer Verbeugung zurück, und sagte zu seinen Kameraden: »Es ist alles in der Ordnung, meine Freunde. Ein schönerer Weiberarm ist mir in meinem Leben nicht vorgekommen und die Hand gehört sicher keinem Emigranten.«

»Wollte Gott!« seufzte ich verstohlen in mich hinein. Leblanc beugte sich vertraulich zu meinem Ohr, und sagte mit bäurischer Schelmerei: »Was das blonde Haar betrifft … wenn ich rathen dürfte, Bürger so schönes Haar hat nur die blonde Jeanette, die oben am Ballon wohnt …«

»Ich verbitte mir jede weitere Zudringlichkeit,« versetzte ich mit rauhem Ernst, und schnitt dem Leblanc die Worte vom Munde ab. »Ist's jetzt gefällig zu gehen, meine Herren?« fragte ich die Uebrigen. Und sie gingen, beschämt und neugierig, wie zuvor, um in ihren Häusern nachzusehen, ob Frauen und Töchter in sicherer Gewahrsam geblieben.

Nachdem wieder völlig Ruhe geworden, schlüpfte Therese aus ihrem Versteck. Wie reizend war sie! Ich war nicht vermögend, ihr ein Wort zu sagen und setzte mich erschöpft in einen Stuhl, ihr gegenüber. Da nahte sie mir wie eine liebliche Erscheinung, drückte mir die Hand, und sprach: »Habe Dank, guter Karl! Jetzt ist mein Gatte schon weit getragen von seinem flüchtigen Pferde, und Dein Kreuz, das ich ihm heute umband, wird ihn ja, so Gott will, aus jeder ferneren Gefahr retten. Gute Nacht!«

Sie verschwand. An Schlaf war in meiner Hütte nicht zu denken. Ich dankte dem Himmel als am Morgen mehrere meiner Collegen aus den Bergen kamen, um mit mir die Fahrt nach Epinal anzutreten. Die Pferde standen gesattelt, das Frühstück war verzehrt, wir waren im Begriff, dem Thale Lebewohl zu sagen. Therese kam, von mir Abschied zu nehmen. Sie war blaß, entstellt, ihre Augen hatten Spuren von Thränen. Meine Kameraden schäkerten mit dem Mädchen und scherzten über ihren Schmerz.

»Bernhard hat es ihr angethan,« sagten sie lachend, einen jungen Menschen von unserer Expedition bezeichnend, der eine kurze Weile in ihres Vaters Hause gewohnt hatte.

»Armes Mädchen!« sagte wieder Einer: »Dein Geliebter ist fern, was sollen wir ihm von Dir berichten?«

»Ei!« antwortete sie mit einem bedeutenden Blick auf mich: »nichts, meine Herren. Er ist fort, und läuft noch, wenn er schnell ist.«

Diese triviale Redensart erleichterte meine Brust, und gab mir zu verstehen, daß kein unglückliches Hinderniß die Flucht des Emigranten gestört hatte. Ich trennte mich, scheinbar gleichgültig, von Theresen; konnte mich aber auf der Reise nicht erwehren, ihr manche verstohlene Thräne zu schenken, während die Freunde sich im Weine gütlich thaten.


In den Begebenheiten der Zukunft verdämmerten die Erinnerungen an das schöne Thal von Puy. Die Revolution des Germinal trat ein: der Terrorismus schlug noch einmal in seiner letzten Stunde die Flamme empor. Die Kerker füllten sich allenthalben auf's Neue, und wie zu allen Zeiten der Anarchie, schlossen sie die muthigsten und rechtschaffensten Herzen ein. Frankreich wollte um jeden Preis von seinen Tyrannen befreit sein: die Guillotine schreckte nicht; mancher, der vor einer kurzen Gefangenschaft sich entsetzt hätte, schritt muthig zur That, weil die Märtyrerkrone ihm winkte. -- Von der andern Seite waren die hohen Tribunale und die Kriegsgerichte in furchtbare Thätigkeit getreten; sie wütheten gegen Emigranten, Deserteurs, und gegen junge Leute, die, theils aus Instinkt, theils aus triftigeren Gründen der Revolution feind, ihre Schrecken zu ersticken versucht hatten.

Unter den letztern befand ich mich; in einem Tumult zu Besançon wurde ich mit mehreren andern eingesteckt und zur Verantwortung gezogen. Der Tod stand mir nahe, und ich weiß heute noch nicht eigentlich, weßhalb? Aber die öffentliche Meinung war in Frankreich schon theilweise dergestalt in ihr altes Recht wieder eingetreten, daß die Gerichte sich scheuten, unser Blut zu vergießen, und mich sammt meinen Kameraden lossprachen.

Ueberhaupt suchten alle Klassen des Volks die Opfer des Argwohns der Negierung und ihrer blutgierigen Strenge zu retten, wo sie nur konnten. Ich kannte manche Municipal-Räthe aus unsern Gebirgsdörfern, die sich kein Gewissen daraus machten, einem unglücklichen Flüchtling mit grundfalschen Certifikaten in's Reine zu helfen; auch nicht wenige Richter gab es, die, obschon vom Betruge überzeugt, gerne die Augen zudrückten, und mehr als einen Bauer entschlüpfen ließen, unter dessen Kittel ein schlecht travestirter Marquis hervorguckte. Ein Beispiel dieser Art war auffallend genug:

Ein Adeliger, Leo von Beauvoisin, der in der Gegend von Lyon mit den Waffen in der Hand ergriffen worden war, hatte bereits das Unglück gehabt, zum Tode verurtheilt zu werden. Ein Zufall schob seine Hinrichtung auf, indem das Pariser Tribunal ihn vom Fuß des Blutgerichtes von Orange vor seine Schranken fordern ließ. Mehrere Angeklagte begleiteten ihn auf seinem Transport; der mit ihm an eine Kette geschmiedete Nachbar starb in einer Nacht, ohne daß davon Lärm wurde, und überraschte durch diesen schnellen Entschluß seinen Leidensbruder nicht wenig. Doch benützte der listige Leo den Augenblick und stahl aus der Tasche des Todten den Paß desselben. Von diesem Augenblick an nannte er sich wie der Verstorbene, Franz Renaud, gebürtig aus einem Dorfe der Franche Comté, und es gelang ihm die Täuschung, weil das Signalement des Todten ziemlich auf ihn paßte, namentlich in Bezug auf die ungeheure Nase, womit Leo nicht minder als Renaud von der Natur gesegnet worden: ein Vortheil, den Leo nie besser als zu jener Zeit begriff. Renauds Nase war sogar als besonderes Kennzeichen in dem Signalement angegeben. Das Pariser Gericht hatte nichts Eiligeres zu thun, als den falschen Renaud an sein Forum zurückzusenden. Leo kam nach Besançon und begnügte sich, in dem öffentlichen Verhör statt eine Sylbe zu reden, stumm seine Papiere hinzureichen. Dieses Verfahren hatte seinen Grund. Leo war im südlichsten Frankreich geboren, und konnte nicht ein Wort hervorbringen, welches nicht sein Vaterland verrathen hätte. Bisher ging alles gut. Die Richter untersuchten die Papiere, und standen nicht an, den unschuldigen Renaud freizusprechen. Im Jubel des Entzückens aber vergaß sich der Gerettete und sprang mit einer derben südlichen Phrase über die Bänke. Sein Geheimnis war verrathen: das Publikum zitterte für ihn; die Häscher ergriffen ihn auf's Neue, aber zum Glück waren die Richter außer sich vor Lachen, und der Präsident sprach, sich den Bauch haltend, die Worte des Heils: »Die Freisprechung des Angeklagten bleibt in Kraft.«


Nicht alle von den Leuten, die ich im Gefängniß kennen lernte, wo sich Mensch zu Mensch inniger schloß, waren so unbesonnen wie der glückliche Leo. Da befand sich unter andern ein gewisser Chavan von Nantua, ein Kupferstecher von Gewerbe, ein Künstler im eigentlichsten Sinn des Worts, und das gewandteste Genie, das mir jemals vorgekommen ist. Er wußte auf's Täuschendste Sprache und Sitten irgend einer fremden Nation nachzuahmen; alle Dialekte Frankreichs, der benachbarten deutschen Rheinufer, die englische, spanische und italienische Sprache waren ihm geläufig, und diese Geschicklichkeit brachte ihm zu Besançon die vollwichtigsten Zinsen. Der Mensch stand in schlimmen Schuhen; er war bereits dreimal zum Tode verurtheilt worden: einmal als Emigrant, dann als Deserteur, endlich als Aufrührer im Süden von Frankreich. Glückliche Zufälle hatten ihm bisher durchgeholfen. Aber zu Besançon mußte er entweder sterben oder sich frei machen. Er hatte bei einem deutschen Regiment gestanden, und war mit den Waffen in der Hand gefangen genommen worden. Fünfzig Zeugen erklärten vor Gericht, daß er der berüchtigte Chavan sey; er spielte aber ungestört die Rolle eines kaiserlichen Soldaten fort, der nicht ein Wort französisch versteht, und aus seinem Phlegma ließ er sich durch nichts herausbringen. Nicht in einem einzigen Augenblick sah ich seine Haltung schwanken, und so erschien er vor dem Kriegsgericht, um den letzten Kampf zu kämpfen. Stumpf wie ein Cretin saß er neben seinem Vertheidiger, und wiederholte nur immer die einförmige Aussage, daß er aus Kirchberg, einem Dorfe auf dem rechten Rheinufer, gebürtig sei, und nicht wisse, was man von ihm wolle. Die Richter erlaubten sich mehrere Finten, um die Echtheit des Doppelgängers zu erproben. Chavan vereitelte sie alle; endlich kam die herbste Prüfung. Der Rapporteur meldete mit lauter Stimme, daß er so eben unter den Dolmetschern des Kriegsgerichtes einen Bürger von Kirchberg aufgefunden habe, der der Wahrheit schnell auf den Grund kommen werde. Aller Augen richteten sich auf Chavan; aber dieser hatte von Allem nichts gehört und zog ganz gleichgültig eine bleierne Dose hervor, -- woraus er eine mächtige Prise nahm. Hierauf wischte er sich eben so gleichgültig seinen breiten Schnurrbart ab, und betrachtete mit der völligsten Unbefangenheit die Gesichter der Umstehenden. Der Dolmetscher kam und nun änderte sich die Scene. Kaum hatte er den Mund aufgemacht und eine Frage gethan, so war Chavan außer sich vor Freude, verfiel in ein lebhaftes Geberdenspiel, und floß in einen so reißenden Strom von Geplauder über, daß endlich der verblüffte Kirchheimer erklärte, der Angeklagte müsse sein Landsmann sein oder der leibhaftige Teufel selbst. -- Die Folge war, daß man den geschickten Komödianten freisprach und ihn mit einer Marschruthe fortschickte. Auf der Treppe begegnete Chavan seinem Pseudolandsmann, drückte sich an ihn und flüsterte ihm vertraulich aber sehr gut französisch in die Ohren: »Ich danke für Deinen Liebesdienst, Kamerad! und vergiß nicht, wenn Du nach Kirchberg schreibst, Deine Familie herzlich von mir zu grüßen.«


Wären doch alle, die zu meiner Zeit in den Gefängnissen von Besançon saßen, so glücklich davongekommen! Ich war noch in Haft, als ich einen Rittmeister als Leidensgefährten kennen lernte, dessen Schicksal Theilnahme verdiente. Er hieß Scheik, war vor der Revolution bereits Capitain gewesen und mit seinem ganzen Regiment emigrirt. Ob ihn die Thorheiten der französischen Prinzen, ob ihn Sehnsucht nach dem Vaterlande oder reifere Erfahrung wieder auf französischen Boden zurückführten, -- ich weiß es nicht. Jedenfalls kam er zurück, aber leider einige Monate zu spät. Die gegebene Frist der Amnestie war verstrichen. Ohne Subsistenzmittel blieb ihm nichts anderes übrig, als wieder Soldat zu werden. Dieses geschah, und in kurzer Zeit hatte er von der Pike auf dienend, seinen Capitainsrang wieder gewonnen. Jedes seiner Avancements war auf dem Schlachtfeld geschehen; er hatte sich hundertfältig um die Republik verdient gemacht. Da führte ihn sein Unstern nach Besançon; im Schauspielhause erkannte ihn ein Mensch, der früher unter ihm gedient hatte, und für jetzt eine ziemlich hohe Charge im Departement bekleidete. Der Ehrlose gab den Rittmeister an; Scheik war zu edel und freimüthig, als daß er seinen Namen geläugnet hätte. Er durfte hoffen, daß sein Blut nicht umsonst für den Staat geflossen war. Seine Ruhe war unerschütterlich; wir versammelten uns oft in seiner Stube und saßen einst zur selben Stunde wie gewöhnlich bei ihm, der uns mit einer Flasche Champagner traktirte. Es wurde gescherzt, gelacht, Toast's wurden ausgebracht, Bruderschaften getrunken. Plötzlich -- mit dem Schlage vier Uhr tritt ein Offizier in das Zimmer und fragt mit ernster Stimme: »Ist der Capitain Scheik bereit?«

»Ja, Kamerad, er ist's,« erwiedert der Rittmeister, reicht mit der einen Hand dem Offizier ein Glas, und greift mit der andern nach dem Hute.

Wir saßen versteinert, wir hatten von nichts gewußt. Scheik war am selbigen Morgen zum Tode verurtheilt worden. Er zündete noch seine Pfeife an, rauchte sie gelassen bis auf den Richtplatz, kommandirte dort selbst: Feuer! und ich glaube noch heute, daß nie ein besserer Freund der Republik gestorben ist, als er es war.


In jene Zeit ungefähr fiel meine und meiner Freunde Lossprechung. Wir sahen uns der Freiheit wieder gegeben; aber zugleich hatten wir manches Band der Freundschaft im Kerker geknüpft, und besuchten denselben, besonders im Anfange, sehr fleißig, mit den Zurückgebliebenen Freude und Kummer zu theilen. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft eines ehemaligen Garde-du-Corps, der bei dem Sturm von Versailles schon figurirt hatte, und nun verhaftet saß, weil man ihn beschuldigte, daß er seinen Bann gebrochen. Man nannte ihn im Gefängniß scherzweise den Tänzer der Königin, welches wohl von seiner schlanken Gestalt und seinen ausgesuchten Manieren herrühren mochte. Ich war sehr gut mit ihm, obschon er bereits ein Dreißiger war, und sich gegen alle übrigen Gefangenen sehr steif und zurückhaltend höflich betrug. Mich hatte er lieb, und wir sprachen oft von der nahen Möglichkeit seiner Befreiung, besonders da es ihm gelungen war, in schnellster Zeit die Dokumente zu erlangen, deren er bedurfte, um sein Leben zu retten.

Dazumal hatten alle Angeklagte schon gewonnenes Spiel, wenn es ihnen gelungen war, ihre Sache in die Länge zu ziehen. Eine wohlthätige Crisis war ausgebrochen; Bonaparte hatte von Frejus aus nur einen Schritt in die Tuilerieen gethan, das Reich der Ordnung schien wieder einzutreten, und Mildigkeit ist ja stets die Begleiterin des Gesetzes und des Friedens. -- Um so größer war meine Verwunderung, als ich zufällig hörte, daß Hippolyt Dam, der Garde-du-Corps, plötzlich darauf bestehe, schnell und ohne Aufschub gerichtet zu werden. Geschäfte hinderten mich eine geraume Zeit, ihn zu besuchen; aber bald beruhigte ich mich mit dem Gedanken, daß gerade diese Dringlichkeit, seine Sache zu Ende gebracht zu sehen, für die Vollständigkeit und Unfehlbarkeit seiner Vertheidigungs- und Schutzmittel spreche.

Eines Morgens, als ich die Augen aufschlug, sah ich die barmherzige Schwester Marthe an meinem Bette sitzen. -- Wer kennt sie nicht, die würdige Pflegerin so vieler Unglücklichen, so vieler Leidenden? Sie hat in neuester Zeit von allen Fürsten Europa's Ordenskreuze und Medaillen erhalten; aber am schönsten hat von jeher ihre wahre Gottseligkeit sie geschmückt.

In der Zeit, von der ich spreche, war Schwester Martha noch nicht vornehm bedacht gewesen; ich sehe sie noch vor mir in ihrem rauhen Kleide, mit der blau und weiß getüpften Schürze, als einzigen Schmuck eine silberne Kette am Gürtel tragend, die oft als Pfand für geringe Summen hingegeben wurde, womit sie Gefangene und Kranke so gerne unterstützte. Sie hatte mich im Kerker lieb gewonnen wie einen Sohn, und sich die Freiheit genommen, mich hierauf in meiner Wohnung öfters zu besuchen, um für Arme zu collectiren, oder mich zu vermögen, den Advokaten unvermögender Gefangener zu machen.

Daher war ich gar nicht erstaunt, sie auch heute am frühen Morgen bei mir zu sehen, und fragte sie, den Kopf nachlässig in die Hand gestützt: »Was machen wir denn heute, Schwester Marthe? Was führt Dich zu mir? Meine Kasse, liebe Schwester, ist leer, und ich habe das Advokatenwesen verschworen, seit man ein paar von meinen unschuldigen Clienten verurtheilt hat.«

Die gute Schwester Martha schüttelte den Kopf, wischte sich mit ihren groben Fingern eine Thräne aus dem Auge, und sagte weinerlich: »Nichts von allem dem, mein Sohn. Ich habe einen Auftrag von Herrn Hippolyt.«

»Von Hippolyt? Was will er?«

»Ach! Sie wissen nicht? Er ist gestern Abend erschossen worden.«

»Erschossen?«

»Ja wohl, um halb fünf Uhr; er hat verurtheilt seyn wollen, er hat von seinen Papieren keinen Gebrauch gemacht, er hat nichts geläugnet. Der Herr Abbé Artaut hat ihn vorbereitet; er ist mit allen Sakramenten versehen worden und schön gestorben, wie ein ächter Christ. Bevor er aus dem Gefängnisse ging, gab er mir dieses, um es Ihnen zuzustellen.«

Thränen erstickten ihre Stimme und mit zitternder Hand reichte sie mir eine kleine Schachtel, die ich bebend vor Schreck empfing, zähneknirschend vor Grimm öffnete.

Ein Bällchen Baumwolle fiel mir in die Hand, darinnen ein Kreuz von Stahl, und darunter ein Papier mit wenigen Zeilen, die von einer festen Hand geschrieben waren, und also lauteten:

»Der Tag der Entscheidung ist gekommen, mein junger Freund, dem ich einst meine Erhaltung dankte. Von all' den Wesen, die zu beschützen dieses Kreuz berufen war, bleibt nur Eines übrig: Sie, mein Freund; darum kehre es zu Ihnen zurück. Therese ist vor zehn Tagen gestorben, und ich möchte nicht länger leben. Seyn Sie glücklich, junger Mann!

Hippolyt


 


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