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VI.

Sehr befriedigt strebte der Meister auf weiten Umwegen durch stille Gassen seiner Behausung zu. Ein lang genährter Groll hatte sich entladen; auf ungewöhnliche Weise, in einem scharfen Künstlerwitz. Tilmann Riemenschneider war eitel auf diesen Witz. Vor allem aber tat er sich etwas zugute auf seine durchdringende Menschenkenntnis. –

Magister Lorenz Fries ging stöhnend in seiner Stube auf und ab und versuchte zu überdenken, was er gehört, was er geantwortet und – was er unter dem Druck des tobenden Kopfwehs nicht geantwortet hatte. Er überschlug auch die Gefahr, die sich aus der Feindschaft des Ratsherrn ergab, und erkannte sie als eine sehr große. –

Tilmann gelangte in sein Haus und tappte die dunkle Stiege empor.

Aus einer Ritze seiner Stubentüre drang Lichtschein, und als er öffnete, saß Bille mit aufgestützten Armen bei der brennenden Kerze und las.

Sie erhob sich und lächelte dem Paten mit hellen Augen entgegen, kam ein paar Schritte heran und streckte ihm die Patschhand hin.

Der Meister übersah die Hand und fragte in strengem Ton: »Bille, was tust du so spät noch auf der Gasse?«

»Ich –?« Ihr Arm sank schlaff herab. »Was hätt' ich nachts auf der Gasse zu suchen? Ich tät' mich doch fürchten!«

»Bille – du bist vor einer Stunde mitten im Volke unter der Linde gestanden und hast – aber, Bille, besinne dich doch!«

»Ich –?« Sie sah ihn mit einem rührenden Blick an, sie neigte das Köpflein und stand wie eine geknickte Blume, schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte laut auf: »O Unglück – Ihr habt eine andere für mich gehalten.«

»Bille!« Der Meister zog ihr die Hände vom Gesicht und hob ihren Kopf am Kinne empor. Die großen Kinderaugen schwammen in Tränen, zwei Bächlein rannen über ihre Wangen, das Böglein ihrer feinen Lippen zuckte schmerzlich.

»Wo warst du denn?«

»Daheim. Und vor einer halben Stunde bin ich aus unserer Haustüre geschlüpft, Euch gute Nacht zu sagen. Es ist schrecklich, daß Ihr mir's nicht glauben wollt.«

Des Meisters Zorn zerschmolz wie Wachs an der Sonne. Noch einmal sah er forschend in das schöne, tiefbekümmerte Antlitz. Dann wandte er sich ab und sagte leise: »So habe ich mich geirrt.«

*

Jawohl, das eben ist des Künstlers göttliche Gabe, daß er mit sehenden Augen in den Gesichtern zu lesen vermag, daß sich ihm in feinen und für andere Leute unsichtbaren Linien und Fältchen die Geheimnisse jeglicher Seele enthüllen.

*

Des Meisters Schwiegertochter rannte die knarrende Stiege empor und riß die Stubentüre auf: »Herr Vater, sie kommen die Gass' herein, alles ist schwarz von Leuten. Euch gilt's!«

Tilmann ging ans Fenster und öffnete es.

Kopf an Kopf brandete das Volk in die enge Gasse. Windlichter glühten in dem Gedränge.

Jetzt hatte einer den Meister im Fensterrahmen erspäht, und eine Stimme rief: »Vivat der Ratsherr Tilmann Riemenschneider, ein Freund des gemeinen Mannes und aller armen Leute in der Stadt und auf dem Land!«

Und »vivat, vivat!« brauste es zum Fenster empor.

Tilmann beugte sich weit hinaus und winkte.

»Ruhe, Ruhe!« schrien sie. »Der Tilmann Riemenschneider will reden.«

Und als Ruhe geworden war, begann der Ratsherr mit schallender Stimme: »Mitbürger, es ist eine böse, geschwinde Zeit. In dieser Zeit gehört alles, was Bürger heißt in der Stadt Würzburg, zusammen. Denn es ist nicht recht, daß der Mensch seines Blutes und Schweißes also beraubt und ausgesogen wird, und dasselbe so lästerlich von müßig gehendem Volke verzehrt wird.«

»Vivat, vivat!« schrie da einer und dort einer. »Schlagt tot, schlagt tot!« brüllten andere. Und wie vordem unter der Linde, so ertönten auch jetzt von allen Seiten gellende Pfiffe.

»Ruhe, Ruhe!« schrien wieder andere, und der Meister fuhr fort: »Daß ich mich immer zu euch halten werde, darauf dürft ihr euch verlassen. Bei mir gilt alles gleich: Unedel, Arm und Gering wie Edel und Reich. Als Adam hakte und Eva spann, wo war da Bauer und Edelmann?«

»Vivat, vivat!«

»Aber es ist nicht gut reden von diesen Dingen auf offener Gasse, und der gemeine Mann muß denen vertrauen, die ihn führen wollen zu seinem Besten. Des aber könnt ihr sicher sein, daß ihr nicht ausziehen müßt gegen die frommen Bauern. Alsdann wird es auch gut sein, wenn wir kein fremdes bischöfliches Kriegsvolk einlassen.«

»Vivat, vivat!«

»Friedlich – schiedlich. Dort oben der Bischof, da unten wir Bürger!«

»Schlagt tot!« gröhlte einer. »Schlagt tot, schlagt tot!« schrie es von allen Seiten, und aus der Tiefe der Gasse gellten wieder die Pfiffe darein.

Als der Meister zu Wort kam, rief er: »O nein, nicht totschlagen, ihr lieben Leute! Es geht auch ohne Blutvergießen. Friedlich, schiedlich. Die Tore verrammeln, die Mauern besetzen! Hier unten wir, droben der Bischof. Und also gut Nacht, allesamt und ein jeder besonders. Laßt uns zur Ruhe gehen und immer bereit sein! Aber den bösen Buben, die plündern wollen, leget das Handwerk!«

Er winkte noch einmal, und die Menge kam unter Vivatrufen in Bewegung.

Hoch aufatmend trat er in die Stube zurück. –

Am Tische lehnte Bille. Das Licht der Kerze spielte von rückwärts in ihrem krausen Haar. Sie hatte die Hände unter der Brust gefaltet und sagte langsam: »Habt Ihr den Bermeter gesehen? Er hat sie geführt. – O Herr Pate, was seid Ihr doch für ein glückseliger Mann.«

Damit ging sie leise aus der Türe.

*

Meister Tilmann Riemenschneider war auch davon überzeugt, daß er ein glückseliger Mann sei. Noch nicht lange, nein, erst seit vorhin. Zwar hatte der gemeine Mann auch diesmal wieder gegröhlt und geschrien, und gellende Pfiffe hatten in der engen Gasse die Luft durchschnitten wie dort unter der Linde. Aber das alles hatte den Künstler jetzt keineswegs mehr feindlich berührt. Ein Hochgefühl dehnte seine Brust. Er sah sich vor seiner eigentlichen Lebensaufgabe. Er hatte seinen wahren Beruf erkannt: dem gemeinen Manne zu helfen und dem Evangelium Bahn zu brechen in der wunderschönen Stadt Würzburg. Was verschlug es, wenn dazu etliche auf ihre Weise Beifall gröhlten und pfiffen?

Und in diesem Glauben legte er sich zur Ruhe, zog die Bettdecke über seine Schultern herauf bis unter das Kinn und spann im Schlafe weiter an seinem Traum.

*

Es war lange nach Mitternacht. Jörg Riemenschneider, des Meisters Stiefsohn und – seltsamerweise – Träger seines Namens, lag mit seinem Weibe in der Kammer zu ebener Erde im Himmelbett und schnarchte vernehmlich. Sie aber warf sich unter ihrer Decke hin und her und konnte den Schlaf nicht finden.

»Jörg –!«

Ein unwilliges Grunzen kam als Antwort zurück.

»Jörg –!«

»Was willst denn?«

»Es ist mir so angst.«

Er stemmte die Ellbogen und richtete sich ein wenig empor. »Ja, was ist denn los, was hast denn?«

»Unser Vater spielt um seinen Kopf.«

»Da kann doch unsereiner nix dran mach'?« murmelte er halbwach.

»Da bist du gleich fertig und gibst mir eine kurze Antwort,« klagte sie. »So sagst, wenn er monatelang nix arbeitet. So sagst, wenn keiner mehr den kleinsten Bildstock bestellt. So sagst, wenn du einem Knecht nach dem andern Feierabend bieten mußt. Und jetzt, wenn ich sag', der Vater spielt um seinen Kopf, dann weißt du auch kein' anderen Trost.«

»Ach was, in der Nacht schläft man,« kam die Antwort. »Morgen ist auch noch ein Tag. Und der Vater ist ja ein reicher Mann, hat Äcker und Weingärten, hat Geld auf Zinsen stehen. Wenn nichts mehr verdient wird, zehren wir halt eine Zeitlang von seinem Speck.«

»Wenn sie ihm nur nicht zuletzt auch noch sein' Speck auslassen,« kam es weinerlich aus dem Nachbarkissen zurück.

»Ach was!« murrte er. »Schlaf, das ist gescheiter!«

Und damit streckte er den Arm durch die Finsternis und tastete nach dem Mostkrug in der Mauernische, setzte sich ganz auf und sog in tiefen Zügen das Labsal aus dem kühlen Stein – den Lethetrunk jedes ehrbaren Würzburgers. Und nach kurzer Frist hallten die Wände von seinem behaglichen Schnarchen.

Sie aber lag noch lange Zeit mit brennenden Augen und sann darüber nach, wie doch ein alter Mann und reicher Bürger, ein weitberühmter Künstler, ein kluger, friedliebender Mensch so unsinnig spielen mochte um Kopf und Ehre.


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