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Briefe

24. Juli

Mein Liebling!

Diesen Brief schreibe ich Dir auf der Maschine des Sigi , einen Tag, nachdem ich in Berlin angekommen bin. Ich hatte ursprünglich die Absicht, von Braunschweig ins Rheinland zu fahren, weil dort immer was los ist, aber ich hielt es einfach nicht länger ohne AZ und Nachrichten von Ludwig aus, da ich niemals sicher war, einen Bericht zu schreiben, den Ludwig noch nicht geschrieben hatte. Die Artikel Ludwigs habe ich inzwischen gelesen und habe festgestellt, daß es Artikel sind, wie sie typisch nur er als entsandter Sonderkorrespondent schreiben konnte, während ich als gelegentlicher Berichterstatter unmöglich so allgemeine Sachen schicken kann. Die Frage, auf die ich besonders neugierig war, nämlich, wie er seine politische Kritik der jetzigen Ereignisse bei der AZ, die doch unmöglich ihre deutsche Bruderpartei beflegeln kann, anbringen wird, hat sich meiner Erwartung gemäß gelöst: er schreibt nämlich überhaupt keine politische Kritik. Die kritischen Glossen eines vernünftigen Menschen zur Taktik der SPD können heute bloß in einer Reihe von wilden, nicht salonfähigen Flüchen bestehen, die in keiner Tageszeitung ihren Platz finden könnten, was ja auch das heutige Verbot der Roten Fahne bewiesen hat. Ludwig selbst habe ich noch nicht sprechen können, da er den Kanitz, der hier in SAJ-Versammlungen spricht, nach Chemnitz begleitet hat. Deine Gefühle bezüglich der bisherigen praktischen Erfolge meiner Reise teile ich einigermaßen. Nur darfst Du nicht vergessen, daß ich bis jetzt erstens nie wußte, was ich eigentlich zu schreiben hätte (Ludwig), und zweitens durch das prachtvoll vonstatten gehende, aber Tage in Anspruch nehmende Tippeln samt unbequemen Übernachtungen wenig zum Schreiben kam. Ich habe bis jetzt nur einen Artikel an die AZ über den Naziüberfall auf das Gewerkschaftshaus in Halle geschickt. Hoffentlich bringen sie ihn. Heute und morgen will ich, da es reichlich spät ist, mich wild in die Arbeit für Kleines Blatt, AZ und wenn möglich Kuckuck stürzen, um nach Möglichkeit vor dem 31. noch viel anbringen zu können.

Ich lebe hier bei Sigi, der wirklich sehr nett ist. Gestern habe ich den Abend mit seinem Kreis, oder besser gesagt einem Teil desselben (denn sein Kreis besteht aus 20 Mann, die Freien Soz. Schüler Berlins, ist sehr lebendig und hat dreimal sympathischere erotische Formen als der unsere), verbracht. Berlin ist eine derart entmutigend große Stadt, daß die drei Gänge, die ich gestern tagsüber zu erledigen hatte, mir den ganzen Tag verschlangen.

Die Stimmung hier ist mies und interessant. Die SP hat, Deinem frommen Wunsch nicht folgend, schmählich kapituliert und eine große Gelegenheit versäumt, da der Staatsapparat und die Ideologie der Arbeiter relativ günstig für ein Losschlagen waren. Die Arbeiterschaft Deutschlands ist durch und durch revolutioniert, und es kommen einem Tränen in die Augen, wenn man sieht, wie diese prachtvollen Proleten mit ihrer ganzen Kampfenergie an den Stempelstellen verrecken müssen, weil Wels Wels und Thälmann Thälmann ist.

In Braunschweig habe ich Hitler gehört (die Unkenrufe Sigis bezüglich Gefährdung meiner Person als Jude haben sich endgültig als Bluff erwiesen) und war über die Geistlosigkeit und Brutalität dieses Massenbezauberers baff.

Warum meine Mama entsetzt war, ist mir ein Rätsel. Ich habe ihr ziemlich regelmäßig geschrieben. Um auf das Thema »schreiben« noch mal zurückzukommen: Mehr als drei oder vier Artikel per Zeitung hätte ich ohnehin nicht gebracht, und dazu habe ich jetzt noch, wenn auch knapp, Zeit. Das nebenbei.

An eine Tippelei mit Mitza denke ich nicht. Das Tippeln als solches macht mir, trotz meiner hiesigen Tagesleistungen von 350 km, keinen großen Spaß, und meine Sehnsucht nach Dir nimmt störende Dimensionen an, Liebling.

Ich bleibe zwar vielleicht ein wenig länger in Berlin, komme aber dann nach Wien.

Ich hoffe, daß die Briefzensur des militärischen Befehlshabers Berlins keinen Anstand an der Versicherung nehmen wird, daß ich Dich sehr liebhabe und mich furchtbar auf Dich freue, Liebling.

So sicher wie ich weiß, daß der ADGB keinen Streik proklamieren wird, so sicher weiß ich, daß ich Dich gern habe, und das will etwas heißen.

Ich hoffe, daß Du mich auch noch magst, obwohl ich nicht einen Leitartikel in der AZ hatte, übersende Dir hiemit einen größeren Posten von langen Küssen und warte auf Deine Antwort, mein goldener Liebling.

Jura.

Meine Adresse:
Berlin-Halensee,
Johann-Georg-Straße 11,
bei Eisenberg.

*

Berlin, Freitag

Liebster Liebling!

Jetzt stell Dir einmal vor, daß wir an einem Kaffeehaustisch sitzen, einander gegenüber, und sehr vernünftig sind. Und ich streichle Deine Hände, soweit es der gegebene Ort erlaubt, und halte Dir ein Referat über meine innerpolitische Lage. »Mein Fräulein!« sagt Redner. »Ich bin in einer ganz besonders dreckigen Situation. Ich habe die Zeit meines Aufenthaltes in Deutschland trotz der verlängerten Aufenthaltszeit nicht auszunützen gewußt. Ich habe durch die Nichtannahme meines zweiten und dritten Artikels in der Arbeiterzeitung, die mich durch Warten auf ihr Erscheinen eine ganze Woche vertrödeln machte, durch die unberührbare Keuschheit des Kleinen Blattes, die besonders enervierend wirkt, weil Verbindung zu ihm nicht zu erreichen ist, durch meine Unerfahrenheit in der Art, journalistisches Material zu sammeln (und Unwissenheit, daß es überhaupt gesammelt und erarbeitet zu werden hat), durch den Mangel an Energie, der einer so riesenhaften weiten Stadt mit so netter enger Gesellschaft gegenüber verhängnisvoll werden mußte, durch viel Leichtsinn und Unkonsequenz kostbare vier Wochen verstreichen lassen. Ich habe allerdings nach Ablauf dieser Zeit hier in Berlin drei Artikel in Vorbereitung, die bestimmt angenommen werden, davon einen so gut wie fertig und den zweiten ganz fertig vorbereitet, habe einigen Stoff für BlöKlöBlö und etwas eingesandt, das wahrscheinlich dem Ausch endlich behagen wird, habe mich, wie immer während meines ganzen Lebens im allerletzten Moment, das heißt, hier in den allerletzten paar Tagen an eine wirkliche Arbeit gemacht, aber ich habe auch schon ein goldenes Mäderl voll berechtigter Wut auf mich in Wien sitzen, rasende Sehnsucht nach diesem Mädel und sehr sehr viel schlechtes Gewissen über einen Aufenthalt, über den ich einstens vor dem Ewigen keine Rechenschaft werde ablegen können. So steht die Lage. Dienstag früh muß ich endgültig von diesem immer wieder verlängerten Berlin weg. Soll ich nun nach Wien fahren? Mit einem Erfolg von drei oder vier Artikelchen? Mit schlechtem Gewissen und Angst, vor Dich hinzutreten ohne mich schämen zu müssen. Soll ich jetzt, 300 km von Hamburg, nach Wien zurück? Wo ich immerhin schon einiges gelernt habe und – denn so faul war ich denn wieder nicht – mich eingehendst wirtschaftspolitisch mit den Gebieten Norddeutschland und Rheinland befaßt habe? (Nebenbei werde ich vielleicht Wiener Korrespondent der dänischen Zeitung Politiken.) Also: soll ich nun nach Wien oder nicht, mein goldenes Mäderl. Werden wir's noch ein wenig aushalten?«

Ich schicke den Brief noch nicht ab. Ich warte auf Deinen morgigen Brief, der mir indirekt oder (bei unserer Telepathie ist ja alles möglich) direkt Antwort auf die Frage bringen wird. Eines sage ich Dir schon jetzt. Wenn ich irgendwie herausfühlen würde, daß Deine Liebe zu mir durch meine Abwesenheit irgendwie in Gefahr kommt, schmeiß ich den ganzen Krempel hin und fahre nach Wien. Warum antwortest Du mir nicht mit Flugpost? Ich schreibe Dir doch immer mit Flugpost.

*

Samstag vormittag:

Na, Liebling, das ist ja reizend von Dir. Daß Du mir überhaupt nicht mehr schreiben würdest, habe ich nicht geglaubt. Was ist denn los? Stellst Du Dich darauf um, mich ganz zu vergessen? Wenn dem so ist, dann teile es mir wenigstens mit, damit ich die Reise um einige Wochen verlängern kann. Liverpool hat mich immer interessiert, und auch Island ist herrlich. Schene Mädeln gibt's überall, sagt Schwejk sehr richtig.

Solltest Du noch Wert auf meine Anwesenheit legen, dann komme ich in ungefähr drei Wochen zurück, da ich noch über Hamburg ins Rheinland will. Ich wollte Dir noch eine Menge Nettigkeiten schreiben, die mir auf dem Herzen liegen, aber vielleicht kommen sie nicht mehr an die richtige Adresse. Darum in aller Kürze:

Hochachtungsvoll Jura

Wenn Du mir sofort augenblicklich mit Flugpost antwortest, kriegst Du mich noch in Berlin.

Einen Kuß schicke ich Dir auf jeden Fall. Vielleicht weißt Du doch noch was damit anzufangen.

*

... Na, mein Liebling, sei mir wegen meines etwas dummen Briefes bitte nicht böse. Ich war dumm, mich zu ärgern, wie es immer dumm ist, sich zu ärgern. (Dieser Satz ist ein richtiges dumm-dumm-Geschoß.)

Um vom Ernst des Lebens zu sprechen: Morgen, d.i. Dienstag (vielleicht schicke ich Dir den Brief erst morgen, aus Gründen, die Du sofort hören wirst) in der Frühe bzw. zu Mittag, verlasse ich im Zustande latenter Selbstunzufriedenheit das gastliche Berlin. Unzufriedenheit ließe sich noch ertragen. Was aber viel ärger ist: ich bin stier. Stier? Was heißt hier noch stier? Ich habe genau 30 Pfennig in der Tasche, mit denen ich zum Ludwig in den Vorwärts fahren werde, um zu versuchen, mir 10 RM zu pumpen. Was ich tue, wenn er sie nicht hat, ist mir ein Rätsel mit sieben Siegis. (Und wenn er sie auch hat und wenn es mir gelingt, mir von meinen übrigen Bekannten 5 bis 10 RM zusammenzuscharren, bin ich trotzdem sehr stier.) Na ist das nicht reizend? So im Herzen Deutschlands, zwei Wochen vor dem Fascismus, einige Stunden vor einer zweiwöchigen Reise ohne einen Pfennig dazusitzen? Ich kann mich eines herzlichen Lächelns nicht erwehren. Eine verdammt teure Stadt, Berlin.

Zu meiner Reise, die über Hamburg, Düsseldorf, Ruhrgebiet, irgendwie Bauch Mitteldeutschlands, Prag, Wien führen soll, bin ich trotz bisheriger Dornen in bester Energiestimmung. Es läßt sich nicht leugnen, daß ich vieles gelernt habe. (Gefällt Dir »Herbstoffensive des Kitsches!«? Was sagt Papachen dazu? Will er mich bei der Gaby engagieren?) Ich habe zum Beispiel gelernt, daß zwischen einem revolutionären Sozialisten und den Aparatschikis keine Versöhnung, nur Kampf bis aufs Messer möglich ist. D.h., ich habe sämtliche Vorwärts- Redakteure zu Feinden; warum? weil ich immer in guter Stimmung bin, wenn ich in den »V.« komme. Und wie ich dem Redaktionssekretär (hohes Viech) auf seine Frage, wer ich sei, antwortete »und wer sind denn Sie?«, so behandelte ich auch die anderen Insassen des Reichsbannerbewachten Affenkäfigs in der Lindenstraße. Zum Glück sind obige Idioten und ich nicht aufeinander angewiesen.

Wenn wir schon von S.P. reden – ich glaube fest, daß die Theorie »ich weiß, daß ich nichts weiß« die einzig richtige f.d. Auffassung der deutschen Politik von heute ist.

Ich meine damit, daß es sehr naiv wäre, zu glauben, daß etwa der Hitler weiß, was er tun wird, geschweige denn, was kommt. Die »Faktoren« der deutschen Politik, vom alten Teppen Hindenburg (wenn ich das hier laut sage, hat mich der nächste Schupo im Nu festgenommen) bis zum zerstreuten Degenerierten v. Papen und dem armen Pathologen Adolf sind sehr ratlos und würden gerne mit mir tauschen. (Weil ich weiß, wo ich in drei Wochen sein werde, und sie nicht.) Sie sind die ziemlich willenlosen Exponenten der Fraktionen der Bourgeoisie, Papen der Großbourgeoisie, Hitler der Kleinbourgeoisie, die ihre Rechte als Gläubiger fordern kommt; als solche handeln sie auf der Jammerbude, die sich heute Bühne des geschichtlichen Geschehens nennt. Das Tragische ist allerdings dabei: wer die Oberhand im Kampfe behalten wird, ob mehr auf Braun oder mehr auf Schwarzweißrot regiert wird, ob man Ausnahmezustand gegen Bankspekulanten macht oder nicht, das ist ungewiß. Gewiß ist aber, daß das deutsche Proletariat heute kein Faktor ist, mit dem man in Deutschland zu rechnen hat. Gewiß ist, daß die Fascisierung, ob nun in Dur oder Cis, langsam, unaufhaltsam über dieses Land kommt wie ein graues Verhängnis.

Es ist nicht sehr erheiternd, dies erkennend mitzuerleben, Liebling, nicht sehr beruhigend, daran zu denken, daß diese Hunde heute nicht vorhanden wären, wenn man sie 1918 abgeknallt hätte, nicht sehr erfreulich, mit so viel kampfbereiten, prachtvollen Proleten (glaube mir, das ist doch der prächtigste Menschenschlag) zu sprechen, und das immer mit dem Bewußtsein: die sind lebenslänglich verurteilt.

Ja, hier ist schwüle, deprimierende Gewitterstimmung. Den blitzgeladenen fascistischen Himmel über mir, das felix austria, das sich Sorgen wegen gefälschter Heinlbriefe macht, hinter mir, die Ostsee vor mir, eine große, ewige Liebe zu Dir, Liebling, in mir, starte ich morgen in die Richtung, die genau entgegengesetzt der nach Wien ist.

Bitte schreibe mir sofort!

Dein Jura

Adresse: Hamburg, hauptpostlagernd.

(Das ist nicht Größenwahn. H. ist nur 250 km von Berlin = 1 Tag.)

*

Mein liebes, gescheites, goldenes, herziges einziges und furchtbar geliebtes Mäderl.

Dienstag. Ich versuche, mir 10 RM zu pumpen. Ludwig ist stier.

Wenn nicht, geht es mit RM 1,– in die weite Welt hinein. Ahoi!

Ich habe heute Deinen Brief bekommen, Liebling; schreibe mir bitte weiter so konstant, und seien es nur kurze Briefe. Doni lass' ich grüßen. Dich hab' ich sehr lieb. Ich hoffe, daß in Hamburg ein Flugpostbrief (für andere wärs zu spät) auf mich wartet. Meine vorletzten 45 Pfennige sind das Porto dieses Briefes.

Was sagst Du zu der abermaligen Übereinstimmung unserer Briefe?

Schreib mir lieber nach Bremen.

*

Berlin, 6. August

Mein süßes Mäderl!

Ich bin gestern zum erstenmal, seit ich in Berlin bin, in einem wirklich interessanten Kreis gewesen.

Ich kam mit Ludwig und nebst einigen anderen Leuten mit einem Gewerkschaftler zusammen, der sehr viel Interessantes von der deutschen Partei erzählt hat. Mit solchen Leuten hätte ich seit Anfang meines Aufenthaltes zusammen sein müssen, anstatt mich mit dummen Jungen und Gören herumzukugeln. Ich kann nicht leugnen, daß ich hier in Deutschland sehr viel für mich gelernt habe. An meinem vorläufigen Krach bei der AZ habe ich sehr vieles über journalistisches Verantwortungsgefühl gelernt. Der Grund, warum meine Artikel nicht erschienen sind, ist nämlich, wie sich nach Gesprächen mit Pollak herausgestellt hat, der: in meinem 3ten Artikel habe ich, wie ich gestehen muß (aber nur Dir gestehe, mein Liebling), in ziemlich journalistisch unreifer Weise manches zusammengelogen. Pollak ist darob zuhöchst verärgert und hat, wie ich herausgefunden habe, auch meinen zweiten Braunschweiger Art. zurückgehalten. Auf meine, ihm durch Ludwig überlieferten konkreten Vorschläge weiterer Artikel, sagte er: »Ja, aber sie werden sehr kritisch betrachtet werden.« Eine größere Mißstimmung hätte ich nun, wenn ich selbst ein hochbegabter Masochist wäre, bei meinem zukünftigen (?) Chef nicht erregen können! Gut gemacht, was, Liebling?

Andererseits hat der Schülerkreis, der mich gestern wieder mit einer langen Gruppendiskussion (quousque tandem, intellektueller Jugendlicher??) belästigt hat, mir klar gezeigt, worüber ich schon hinausgewachsen bin. Eine so klare Überlegenheit meinerseits über die persönlichen Wühlprobleme des Sekundaners, eine solche kritische Einstellung zu der sehr kindlichen journalistischen Arbeitsart eines Sigi hatte ich bei mir nicht vermutet.

Ich merke hier sehr deutlich, wie ich zwischen dem unreifen Jungen und dem reifen, schaffenden Menschen in mir baumle.

Sitze ich auf einem Diwan mit einer komplex zerfegten Lyzeumsschülerin, dann überkommt mich ein großes innerliches Gähnen der Langeweile, und ich fühle mich weit, weit voraus. Sitze ich am Kaffeehaustisch mit geistig arrivierten (das heißt nicht vertrottelten) Männern, dann fühle ich mich gegen meinen Willen viel zu oft als Junge.

Wie Du siehst, werde ich hier in Deutschland vom Schicksal durch eine harte Schule gejagt, in der die Prügelstrafe nicht abgeschafft ist. Und weil ich draufgekommen bin, daß ich hier viel lerne, wenn auch nicht viel drucken lasse, ist mir etwas leichter ums Herz. Aber weil ich wirklich nur dann von den Prügeln etwas habe, wenn ich dem Lehrer eine zurückdreschen kann (und weil ich nebstbei in meiner Überzeugung, daß die Menschen allesamt nicht viel wert sind, und mit einigem Fleiß für mich unter ihnen eine Bahn ist, der gestrige Gewerkschafter, der, man denke! Rechtsberater des deutschen Metallarbeiterverbandes ist, hat keine anderen pol. Theorien entwickelt, als es unter uns üblich ist), habe ich mir fest vorgenommen, nicht vom Schlachtfeld zu weichen, bevor ich mich beim Pollak rehabilitiert habe und dem keuschen Kleinen Blatt Ausch auf den Leib gerückt bin.

Du brauchst keine Angst zu haben, Liebling – (hoffentlich hast Du sie) ich werde mich schon durch dieses schwierige, aber rasend interessante journalistische Deutschland durchbeißen!

Bisher habe ich mir mit bewunderungswürdiger Konsequenz eine versalzene Suppe eingebrockt – (ich glaube stärker mit dem Pollak zerkrachen, den Ausch vor sein Kleines Blattköpfchen stoßen, mich mit Leuten bekannten, allzu bekannten Schlages unnötigerweise einzulassen hätte ich beim schlechtesten Willen nicht können) – aber ich werde sie (die Suppe) schon auslöffeln.

Dem Mitja schreibe ich nicht. Man kann doch seine in unendliche Satzperioden geschachtelten Zores nicht in doppelter Auflage in die Welt schicken. Du bist mir mehr als bloß Freund – Du bist mir ja (hoffentlich noch immer) Freundin. In diesem Zeichen wollen wir siegen.

Schreibe mir bitte jeden Tag, auch wenn ich mal einen Tag nicht dazukommen sollte. Denn ich habe trotz alledem viel zu tun.

In denkbar miesester Lage, in undenkbar kampfbereiter Stimmung

Dein Jura.

*

Essen, 26. August

Lieber Genosse Pollak!

Soeben erhalte ich Ihren Brief vom 23. d. M., die Unrichtigkeiten in meinem Ufa-Artikel betreffend.

Da ich nun nichts so fanatisch vermeiden möchte wie irgendwelche journalistischen Unkorrektheiten, selbst in den Nebensätzen meiner Artikel, bitte ich Sie sehr, den Korrekturen des Gen. Rosenfeld, der selbstverständlich von diesen Dingen 100mal mehr versteht als ich, gegenüber, immerhin folgendes zu bedenken: Die Angaben meines Artikels holte ich mir aus Zeitungsartikeln, die in der Zeit vom Kriegsende bis heute erschienen waren und im Archiv der Forschungsstelle für Wirtschaft in Berlin gesammelt sind; so stammt die Angabe, daß die Ufa 1917 gegründet wurde, aus dem Bericht eines ihrer Direktoren, der anläßlich des Systemwechsels bei der Ufa Rückschau über ihre Entwicklung hält; er ist, glaube ich, aus der Frankfurter Zeitung gewesen. Daß die Ufa ein Abkommen mit der »Lux« hat, habe ich einer Notiz im »Vorwärts« entnommen; daß die Tobis die einzige Tonapparaturgesellschaft ist, entnahm ich einem für die »Forschungsstelle« verfaßten Gutachten eines Rechtsanwalts. Was den Fridericus-Rex-Film und den Blücherfilm betrifft, so mag ich mich geirrt haben, da ich mich auf die Quellen dieser Nachrichten nicht mehr besinne. Daß aber die anderen Angaben, zumindestens in den Zeitungen bzw. Berichten, denen ich sie entnahm, vorhanden sind, können Sie jederzeit vom Ludwig, der ja noch in Berlin ist, überprüfen lassen.

Natürlich mögen, was ja im Hinblick auf die fachlichen Kenntnisse des Gen. Rosenfeld das Wahrscheinlichste ist, meine Quellen Falschmeldungen sein. Jedenfalls möchte ich Sie aber bitten, mir zu glauben, daß ich nicht nur nach bestem Gewissen, sondern auch nach bestem subjektivem Wissen berichtet habe und mich niemals zu etwas, was man mit »Schmus« zu bezeichnen pflegt, verstiegen habe.

Ich bitte Sie also meine inzwischen eingelaufenen Berichte unter Berücksichtigung des oben Gesagten betrachten zu wollen. Entschuldigen Sie die langen Erklärungen und das Papier, das im Verlauf meiner Reise, die alles eher denn eine Luxusreise ist, zerknittert wurde. Viele Grüße

Ihr Jura Soyfer.

*

Mein einziges Mäderl!

Wenn es sich zeittechnisch auszahlt, dann bitte sende mir die Antwort auf diesen Brief mit der Flugpost. Ich brauche Deine Briefe.

Na, mein Liebling, unsere Trennung zieht sich ja greulich in die Länge. Ich habe hier in Berlin wahnsinnig viel Zeit verpulvert, auf eine Art, die für einen Ferienreisenden höchst angenehm, für einen Journalisten verderblich ist. Warum ziehe ich meinen berliner & deutschen Aufenthalt immer mehr in die Länge, obwohl ich nach Dir rasende Sehnsucht habe? Immerhin hat sich hier schon einiges eingerenkt. Ich habe von Pollak erfahren, daß mein Braunschweiger Artikel nur wegen Platzmangels (also Ludwig) nicht erschienen ist. (Er sagte: glatter Verlust.) Daß meine 3. Reportage nur zu einem dezenten Teil erlogen ist, habe ich ihm glaubhaft gemacht. Wir sind versöhnt, und er erwartet Artikel von mir. Allerdings war idiotisch, daß ich mich durch den Konflikt eine Woche lang so aus der Fassung habe bringen lassen, daß ich sie verstreichen ließ. Auch das unbenutzte Kleine Blatt liegt mir wie ein schwerer Alpdruck auf der Seele: Ich werde hier überhaupt von den Furien der versäumten Chancen – Psychose – gehetzt.

Ich habe von heute an die Stelle eines ständigen Wiener Berichterstatters die hiesige S. P. Korrespondenz bekommen. 100 S im Monat mehr – kein Hund. Trotzdem habe ich mich hier schweinemäßig unzielbewußt benommen.

Es ist so furchtbar schwer, in eine fremde Stadt hineinzuschlüpfen, Liebling meines Herzens, Du kannst Dir das kaum vorstellen. Alles muß gelernt sein. Wie Du siehst, bestehen meine Briefe an Dich einfach aus hingeworfenen Zores. Ich hoffe, Du bist mir deswegen nicht böse. Es ist, wie ich bemerke, doch schön, sich in zahllosen Variationen zu schreiben, wie gern man sich hat.

Die Politik hier beginnt zum Lokalbericht herabzusinken. Tote überspringe ich schon in der Zeitung. Warum die Attentate? willst Du wissen. Nun, darüber gibt es 30 Theorien, ich glaube, die richtigste kennt nicht einmal Hitler. Wer regieren wird? willst Du wissen. Wenn das der Papen wüßte, dann würde er mich nicht einmal mehr anspucken.

Das einzige, was sicher ist, ist, daß es morgen oder übermorgen zum Fascismus oder zur Diktatur des Prol. kommen wird. Also ist das Unsicherste das Sicherste, was Du Dialektik nennen magst. ... Ich hoffe, daß Deine Liebe noch ein wenig halten wird, bis ich zurückkomme, dann werden wir beide schon dafür sorgen, daß sie nicht flötengeht. Ich bleibe bis Montag in Berlin ... Ungeheure Mengen von unerhörten Küssen sendet Dir

Jura.

Ich warte auf Antwort, mein liebster, einziger Liebling.

*

Wien, 21. Februar 1938

Meine Lieben,

infolge weit wichtigerer und verhängnisvoller Ereignisse durfte ich vor einigen Tagen das Licht der Welt erblicken. So kann ich erst jetzt auf Eure drei Briefe antworten, von denen mir einer noch immer von Helli mittels beharrlichen Vergessens vorenthalten wird. Was aber nicht wichtig ist, da bei einer Postwechselzeitdauer von einem Monat eine Antwort sowieso keine ist und man sich einfach drauf beschränken muß, ungeordnete Notschreie über den Ozean hinweg auszutauschen. Zuvor aber eine große, gellende Lache, meine Milchgeschwister, bitterer als das Wasser des Atlantik! Denn nun ist wirklich eingetroffen, was Ihr und alle Wohlmeinenden mir – (ohne meinen Widerspruch) – immer prophezeit haben: der Roman ist futsch. Heute sind es ja schon drei Monate her, daß mir der Verlust klar wurde; alle meine diesbezüglichen Gefühle sind durchkostet und eingeordnet. Ihr könnt Euch ungefähr vorstellen, wie sie ausgeschaut haben, daher sich jede Beschreibung erübrigt. Eingestellt hat sich zum Abschluß ein ambivalentes System, wie es wahrscheinlich nach einem schmerzlichen Todesfall eintritt: man ist traurig und befreit zugleich.

Was aber war eigentlich mit mir los? Etwas fürchterlich Komisches. Ich wurde mit einem gewissen Herrn Seidel verwechselt! Infolgedessen mehrere Wochen beobachtet und auf der Straße verhaftet. Man fand in meinem Zimmer mehrere Exemplare der in Österreich verbotenen Baseler Rundschau und einen Artikel über die nationale Frage. Resultat: obwohl ich Herrn Dr. Hackel nach einigen Verhören zu beweisen vermochte, wie fatal er sich vergriffen hatte, bekam ich nicht nur 4 Wochen Polizeistrafe, sondern ein Untersuchungsverfahren auf Presse, Hochverrat und Staatsschutz § 4 & 5. Wahrscheinlich hätte der Staatsanwalt von alledem kaum etwas aufrechterhalten können, und nach weiteren 4–8 Wochen Untersuchung wäre die Sache schlimmstenfalls auf eine kleine Gerichtsstrafe hinausgelaufen; wozu es aber nicht kam, da ich amnestiert wurde. Voilà. Jeder Kommentar erübrigt sich und geht in einer abermaligen gellenden Lache unter.

*

Wenn Ihr im Sommer wirklich herkommt, wird es mich bestialisch freuen; falls man sich dann noch überhaupt an irgend etwas auf der Welt wird freuen können. Diesbezüglich seid Ihr, wie ich höre, sehr pessimistisch. Die letzten zwei Wochen werden Euch kaum optimistischer gemacht haben, und Ihr giert sicherlich nach Nachricht von hier. Was aber, meine Lieblinge, soll ich Euch sagen? Die Arbeiterschaft hat auf die letzten Ereignisse sehr lebhaft reagiert. Die Wiener Vertrauensleute, die Linzer & Klagenfurter Arbeiterkammer haben Resolutionen für die Unabhängigkeit Österreichs beschlossen, die zu verteidigen sie »leidenschaftlich« entschlossen seien; sie »wollen den Frieden, aber nicht den Frieden um jeden Preis«. Es gab einige Streiks: Fiat, Saurer, Siemens-Schuckert, Provinz.

Die vorigen Wochen, also die Zeit bis zum 12. Februar, waren von erfreulichen Verständnisversuchen erfüllt: eine Demokratisierung der S. A. G. stand bevor, die Frage eines partiellen allgemeinen Wahlrechts (also »eine gewisse Allmacht«) wurde ventiliert; anderseits war die illegale Nazizentrale in der Teinfaltstraße ausgehoben worden, der Ton wurde scharf etcetera. Vielleicht wird die Linie einer Heranziehung der Arbeiterschaft (die nun schon völlig frei von Nazieinflüssen ist), ihrem Druck entsprechend, fortgesetzt werden, da sie ja das einzige Gegengewicht bilden kann. Vielleicht kann von hier aus ein Widerstand kommen. Aber er wird ohne Englands & Frankreichs Interesse (wir sagen nicht mal: Hilfe) sicher nichts nützen. Und wie es da aussieht, wißt Ihr. Ebenso wißt Ihr wahrscheinlich, daß der Grundton des arab. Rundfunks pessimistisch in dieser Beziehung ist. Und so, Lieblinge, kann ich, wiewohl nicht so weit vom Schuß wie Ihr und daher weniger dem Pessimismus der Vereinsamung ausgesetzt, mit Euch höchstens über den Prozentsatz diskutieren, zu welchem Bitter sich mit Finster mischt und ob ersteres oder zweiteres überwiegt.

Daß Ihr weit von obengenanntem Schuß seid, kränkt Euch sichtlich. Ich will nun nicht so weit gehen, um diese Sorgen als seidene zu bezeichnen. Sicher würde ich, nach Cincinatti verpflanzt, ebenso die eine Kehrseite der Lage als schmerzlich empfinden. Aber vergeßt nicht, daß sich mir Mitteleuropäer die andere Seite aufdrängt, die nicht weniger Kehr ist. Im Ernst, im bittersten und finstersten: vergiß doch nicht, Mitzinka, daß Du seit Jahren Dich mit vollem Recht als Chemiker betrachtest so wie ich (ich hoffe, auch mit Recht) als Scribent. Und sei froh, daß Dir der Konflikt, in welchem unsereins jetzt schmerzlicher als je schwebt, gewaltsam, aber restlos in der Praxis gelöst wurde. Bedenke, Menschenskind, wie mir jetzt zumute ist: zum erstenmal im Leben werde ich von einer politischen Wendung nicht allein ideologisch, sondern materiell im armseligsten Sinn getroffen. Ich muß befürchten, persönlich in jene Probleme gedrängt zu werden, in jene Verteidigungsstellung, wo zu kämpfen uns so scheußlich mißbehagt. Ich werde mir vielleicht wirklich morgen die Frage vorlegen müssen: Was tut ein jüdischer Schriftsteller, wenn...? Mensch, ist das nicht grauenhaft? Anderseits: soll man die Schriftstellerei zum Teufel schicken und arbeiten? Das wäre ein schöner, klarer Weg, der einem dergleichen ersparen könnte. Wenn sich die Schriftstellerei (Chemie!) zum Teufel schicken ließe! Das tut sie nicht. Also? Ja, es gibt natürlich auch so einen anständigen Weg trotz wirtschaftlicher Emigration, etcetera, nämlich Heines Weg. Und den wird man ja auch einschlagen, wenn's soweit kommt. Aber mit wieviel gar nicht zu stillenden Selbstvorwürfen angesichts der Lage im Lande, angesichts jedes Franz! Mit wieviel Gefahren, den Geist, statt ihm zu dienen, in irgendwelchen erzwungenen Kuliarbeiten in Paris oder sonstwo erst recht zu verlieren! Mitzinka, ginge es Dir hier & jetzt nicht ähnlich durch den Kopf? Glaub mir, es ginge Dir. Zwar: vor einer Stunde hat mich ein Freund besucht, den ich auf dem Land kennengelernt habe; er kam aus Favoriten, wo es am favoritensten ist; und als ich ihn fragte, was er gegebenenfalls tun würde, sagte er mir einfach das Zitat: wir haben nichts zu verlieren als ... etc. Und solche kräftigenden Dinge zu hören bleibt Euch jetzt versagt. Aber erspart bleibt Euch auch eben dieses Andere: unsere alten Intellektuellenkonflikte in einer Schärfe zu erleben, die noch nicht da war und einen geradezu krank macht. Das zum Kapitel Elfenbeinturm.

Was ich zu schreiben jetzt vorhabe, werde ich Euch bei anderer Gelegenheit sagen, wenn ich weiter bin ...

Jura

Adresse, wiewohl ich natürlich wieder bald mein eigenes Zimmer haben werde:
Wien 2, Heinestraße 4/1.

*

Dr. M. Rapoport
c/o The Children's Hospital Research Foundation
Cincinnati, Ohio

Vienna, April 12th 1938

Dear Marika: –

It was extremely nice of you two to send our sunny boy your invitation last week. Unfortunately the poor fellow had no chance of seeing your letter as he has fallen ill again in the same way as last winter, which I trust you will still remember. The fact is that he went away for a vacation only a month ago to gain good health and enjoy winter sport in the mountains which he missed so much during those long three months of his sufferings.

And the way he soon came back from this trip where he took his skies along with another chap, was by no means as we expected him to return. May be his illness is of the same kind as before – but this time we don't know exactly, since at present it is no use asking a doctor to see him.

So you will understand that we are very anxious indeed on his account; whoever would have supposed a boy to have such weak constitution and to enjoy so little sunshine in his life.

Of course his mother is more upset than ever; so much so, that your letter had moved her to tears, when I found her brooding over it – poor old soul.

But as for my part I dare say there is never a thing as bad that there couldn't be anything worse, am I wrong? It is a poor way of imagining things of course, and especially when you remember him so »full of beans« and good spirit, looking like the very prospect of a grand future.

Well, so here you have all the news in a nutshell, and don't bother too much either, when he gets well again we are sure to look after him in the proper way.

It will be very nice of you to keep in touch with us, that is to say with the boy's mother who always communicates with me. – Trusting that you and your husband are fine, and that these lines find you both enjoying humour and health, I am with many kind and personal regards

Yours Helli.

*

Wien, 12. April 1938

Liebe Marika: –

Es war reizend von Euch beiden, unserem sunny boy vorige Woche Eure Einladung zu schicken. Leider hat Euer Brief den Armen nicht erreicht, da er wieder krank geworden ist, genauso wie im vergangenen Winter, woran Ihr Euch ja bestimmt noch erinnern könnt.

Vor einem Monat wollte er auf Urlaub fahren und in den Bergen, die ihm in den langen drei Monaten seiner Leiden so sehr gefehlt hatten, Wintersport treiben.

Aber bald kam er von seinem Schi-Ausflug, den er zusammen mit einem Freund unternommen hatte, wieder zurück, und zwar ganz anders, als wir erwartet hatten. Es scheint, als sei es dieselbe Krankheit wie vorher – aber diesmal wissen wir gar nichts Genaues, weil es gar keinen Sinn hat, einen Doktor zu ihm zu schicken.

Ihr könnt Euch also vorstellen, daß wir große Sorgen um ihn haben; wer hätte auch gedacht, daß ein junger Mensch so kränklich sein kann und daß ihm in seinem Leben so wenig Sonnenschein vergönnt ist.

Natürlich ist seine Mutter aufgeregter denn je; dies so sehr, daß Euer Brief sie zu Tränen gerührt hat; ich sah selbst, wie sie sich darüber den Kopf zermarterte – die arme alte Frau. Ich muß allerdings sagen, daß nichts so schlimm ist, als daß es nicht noch etwas Schlimmeres geben könnte, habe ich nicht recht? Natürlich kann man sich das alles nur schwer vorstellen, besonders wenn man sich daran erinnert, wie kraftstrotzend und voll Optimismus er war, die lebende Aussicht auf eine große Zukunft.

Nun, das ist alles, was es an Neuigkeiten gibt, in einer Nußschale, sobald er wieder gesund ist, werden wir schon alles Nötige unternehmen.

Es wäre sehr lieb von Euch, wenn Ihr in Kontakt mit uns bleiben würdet, das heißt mit seiner Mutter, die immer weiß, wo ich zu erreichen bin. – In der Hoffnung, daß es Dir und Deinem Mann gut geht, und daß diese Zeilen Euch in guter Stimmung und Gesundheit antreffen,

bin ich mit vielen herzlichen und innigen Grüßen

Eure Helli.

*

6. 3. 39

Liebe Marika: – Ich habe versprochen, Dir zu schreiben, sobald Jura frei ist. Nun ist er frei, aber auf andere Art. Er ist nach seiner Entlassung am 24. I. 39 mit Typhusfieber dort in Weimar ins Spital gekommen & am 15. II. daran gestorben. Ich weiß nicht, ob seine Mutter es weiß, schreib ihr nicht. Ich bin vorläufig auch noch am Leben, aber hoffe es ebensoschnell abzuschütteln

Helli


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