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Kapitel 13.
Das Herausfuttern

Der neue Schulmeister hatte es nun gut. Und gar als so um Mitte Dezember die richtige große Schlachtezeit einsetzte, wurde aus dem Herausfüttern schier ein Mästen. Nun bekam ich so viele Würste »tau prauwen«, ich konnte mit dem besten Willen gar nicht alles bewältigen. Großmutter mußte helfen. Ich reihte sie aneinander, alle die fetten und appetitlichen Würste an einem Bohnenschacht, und es sah aus bei mir wie in einem Fleischerladen. Und auch viele Einladungen erfolgten. Jeder Bauer will den neuen Schulmeister einmal bewirten, nach bestem Vermögen. Ist des Schwögens über meinen Leichentext kein Ende, und man bittet mich praktischermaßen gleich noch um allerhand anderweitige Karmina so für den Hausgebrauch, für Geburtstag, Hochzeit und Kindstaufe, um welche für Richt- und Ernteköst usw., stets und für alles bin ich zu haben, froh, meine Reimkunst nun auch einmal praktisch anzuwenden. Item auch den verehrlichen Liebesleuten halte ich mich bestens empfohlen.

Sonderlich in zwei Häusern bemühte man sich um den neuen Schulmeister, von dem es hieß, er wäre so klug »liek as 'n Pastor«. In den töchtergesegneten Familien des reichen Pächters Puvogel und des nicht minder schwer hintersetzten, großen Vollkötners Appel-Wätje.

Die schwarzhaarigen und hitzigen Puvogelschen – durchaus einen Schulmeister wollen sie haben. Sind sie doch gebüldet, nämlich stets aufgedonnert nach der neuesten Mode. So enges Schuhwerk tragen sie, sie können kaum darin humpeln. Sie glänzen und gleißen – goldene Ketten tragen sie, Armbänder, Ohrringe, Broschen, an den dicken Fingern goldene Ringe mit funkelnden Steinen. Hannchen aber, die jüngste und hübscheste, hatte sofort Herrn Lüdeking die Geschenke zurückgeschickt, als mein großer Triumph ihr zu Ohren gekommen war.

Gleich machten die drei Puvogelschen mir Fensterpromenaden. Trotz zehn Grad Kälte. Als ich ihnen nicht den Gefallen tat, genauer herauszugucken, fielen sie kurzentschlossen bei der Großmutter ein, die mußte unter irgend einem Vorwand mich mit ihnen bekannt machen.

Die gute Alte lachte darob hinten im Halse. Sie kannte die Welt.

Man gab mir zu verstehen, ich könnte sofort die Kost bei ihnen haben und gut. Allein, Teufel, ich trotzte, blieb im Kruge. Und nun kamen sie oft und brachten mir mit verschiedenartige Würste, Rauchfleisch, leckere Sülzen, um damit durch den Magen des neuen Schulmeisters Liebe zu entfachen zunächst, und aber auch gleichsam wie durch fortwährend nachgegossenes Öl die erweckte Flamme zu unterhalten und zu schüren. Man lud den neuen Schulmeister auch häufig ein, und jedesmal wurde gebacken, gesotten, gekocht und gebraten, der Herd zischte, schnob und glühte wie eine Schnellzugslokomotive. Alles in der Zubereitung nur so schwimmend in Butter oder Schmalz, mit größter Verschwendung, um's so lecker wie möglich zu machen. Man hatte es ja. In Gemütsruhe läßt der neue Schulmeister bei Puvogels sich nudeln, hernach aber, wenn er auf der Ofenbank verdaut, ja, Gott, da denkt er immer statt an das liebehungrige Hannchen an Adelaide. Adelaiden gehört sein Herz, dem Hannchen dagegen – pfui, schön ist's freilich nicht von ihm – nur der Magen.

Durchaus aber auch die vier Appel-Wätjenschen in Pahlsen wollen einen Schulmeister freien, wahrhaftig, und die sind nicht minder schwer hintersetzt wie die Puvogelschen! Der Wätjensche Hof liegt zwar etwas weiter von der Schule entfernt, dafür aber inmitten schöner Apfelbäume, während um Puvogels nur Runkelrüben und Kartoffeln wachsen. Die Puvogelschen sind schlank, brünett und dunkel im Teint, schwarzäugig und sehr hitzigen Temperamentes. Dagegen die vier Schwestern Wätjen, die sind blauäugig, vollbusig, rundlich und mollig und breit in den Hüften, alle vier haben dieselben kugelrunden Gesichter mit hochroten Bäckchen, ganz so wie ihre berühmten Äpfel. Die machen nun auch mobil. Die Puvogelschen bombardieren des neuen Schulmeisters Herz mit Würsten, die Wätjenschen dagegen beschießen es mit Äpfeln. Schmunzelnd empfängt Großmutter jetzt auch die Appel-Wätjenschen. Ein bißchen kuppeln tut ja jedes ältere Weiblein gern, auch das sonsthin bestgesinnte. Schlau weiß sie auch immer den neuen Schulmeister heranzulotsen, mögen bei ihr gelandet haben die Puvogelschen oder von der anderen Küste die Appel-Wätjenschen. Jedoch schändlichermaßen hüben wie drüben – wenn er bei Appel-Wätjen im Großvaterstuhl die schönen Apfelkuchen, die leckeren Apfelsülzen verdaut, umgeben von den vier liebehungrigen, blonden, rotbäckigen, vollbusigen Schönen: Adelaide ist und bleibt auch hier seine Herzens-, seine Seelenbraut, und alle vereinten Anstrengungen seiner sieben Magenbräute sind für die Katz.

Der große Wettbewerb um des neuen Schulmeisters zähes Herz wird auf beiden Seiten mit jedem Tage energischer betrieben. Die Eifersucht greift furioso dahinter. Jetzt wahrhaftig gleicht des Schulmeisters Stube einem förmlichen Delikatessenladen. Der Schulmeister setzt Fett an. Großmutter auch. Und die Spannung im Dorfe: wie der große Liebeskampf schließlich wohl auslaufen, welcher Köder sich am besten bewähren möchte?

Es bleibt unentschieden. Zwischen den Puvogelschen und Appel-Wätjenschen aber kommt's wahrhaftig zu einer wahren Amazonenschlacht, als sie in der Schulkate sich einmal unversehens begegnen. Gleich ohrfeigt man sich, man reißt sich an den Haaren, kufft und pufft, schlägt, tritt, kratzt und beißt sich, und beide Parteien lassen Haare, schwarze und blonde. –

Allgemach fand ich mich einigermaßen in mein Schicksal hinein. Ich nahm also das Leben in Mufrika möglichst von der nahrhaften, magentröstenden Seite. Ich schmökte, versah meinen Schuldienst so gut es gehen wollte, mehr aus verdammter Pflicht, denn aus Interesse oder gar Freude daran. Ich saß bei der Großmutter und ließ mich von ihr bewundern, und ich empfing hier auch – mein Zimmer war jetzt wirklich nur noch Speisekammer – abwechselnd die sieben Magenbräute, die brachten hier dar ihre Opfergaben dem Moloch der Liebe.

Das Glück mit meinem Leichentext! Förmlich mit Gewalt sollte es mir gut gehen. Man ja warm halten den neuen Schulmeister, daß er nicht gleich wieder fort will auf eine besser bezahlte, größere Stelle. So dachte man. Und so möchte ich, um mir meine Einkünfte aufzubessern, auch Ernst machen nachgerade mit der Schweinezucht. Los, frisch beherzt, mit Verstand und Geschick und mit Gottes Hilfe! Man wolle mir nach bestem Wissen raten und beistehen, damit schlechte Erfahrungen möglichst mir erspart blieben. Wie ich klug und richtig zu füttern hätte, darüber belehrte man mich, über die Wichtigkeit der Rasse, die Beschaffenheit der Zuchtsau usw. Denn wie die Sau, so der Segen – die Ferkel. Des ferneren belehrte man mich über die Behandlung der Ferkel, in der ersten halben Stunde, am ersten, zweiten, dritten Tag usw. Über die Pflege der Sau im Wochenbett usw.

* * *

Es ging nun stark auf Weihnachten. Mir aber war in Mufrika nicht weihnachtlich zumute, in meiner Verlassenheit. Ging das Beste mir ja hier verloren, ich wurde nichts gewahr von den traulichen letzten Tagen der Vorbereitung, mit ihrer Heimlichkeit, ihrer Betriebsamkeit und allen dazu leise sich regenden guten Gedanken, Gefühlen, Wünschen. Wo in aller Augen schon ein Abglanz des Lichterbaumes schimmert. Wo in Güte der Mensch an den Menschen glaubt, eingedenk der Apostelworte: »Liebet euch untereinander – wohlzutun und mitzuteilen, vergesset nicht – geben ist seliger, denn nehmen.« Wo alle die wonnesamen, alten Weihnachtslieder schon leise die Welt durchzittern. Wo abends jedes winzige Scheinchen Licht durch die Ritzen der Fensterläden einem schon so viel sagt. Wo im Schneedämmer die Kirchen so treumütterlich einen an sich heranwinken, vom Turm jeder Glockenschlag mahnt, ganz das Gute nun walten zu lassen, alles, alles gut sein zu lassen, und zu vertrauen, zu glauben, zu lieben.

Schon seit mehreren Wochen hatte ich von zu Hause nichts gehört. Sollte die Schwester inzwischen kränker geworden sein? Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, da erhielt ich spät am Christabend noch das sehnlichst erwartete Weihnachtspaket aus dem Elternhause. Laut jubelte immerfort die Freude in mir auf, als ich's auspackte und alle die guten Sachen Großmutter zeigte! Ein Stück Butterkuchen, braune Kuchen, eine Vierteltüte Kaffeebohnen, und Großmutter beeilt sich, Kaffee zu kochen, als von wirklichen Bohnen, damit er würdig sei des knusperigen, heimatlichen Butterkuchens. Währenddem lese ich den Brief. Von den Eltern erst ein paar gute Worte, und danach schreibt Wieschen mir allerhand Neuigkeiten aus dem Dorfe, wie immer, und zuletzt aber, am Rande, bemerkt sie noch: »Adelheid Esping war kürzlich auch wieder hier zum Besuch, sie läßt dich grüßen und anfragen, ob denn das Versprochene noch nicht bald fertig wäre. Du wüßtest schon, was.«

Adelaide – das Versprochene! Sie wartet darauf, ich darf ihr's schicken, ihr schreiben dabei, in Briefwechsel mit ihr treten! Und überdies, ich weiß es ja, zwischen ihr und Schorse war's nichts geworden, Gott im Himmel, so hab' ich freie Bahn! Rasend vor Freude springe ich herum. Ich renne Großmutter über den Haufen, als sie mit dem fertigen Kaffee hereinkommt. Ihre alten vertrockneten Hände ergreife ich, ihr krummes und ganz eingehutzeltes Körperchen, und ich kreisele sie herum wie ein Tirolerbub sein Madel.

In der Christnacht noch machte ich mich daran, als Großmutter unter ihrem gewaltigen, rot- und weißkarierten Deckbett wohl träumen mochte von ihrem Einzigen, im untergegangenen Holzschiff, gleich auf der ersten Fahrt nach dem fernen Brunsilgen. Den Titel habe ich ja schon. Mein Kuppellämpchen habe ich vorm Bett auf einem Schemel stehen, es schwalcht manchmal arg, wenn so der Wind vom undichten Fensterchen herüberstößt. Mein Kopf glüht, meine Augen brennen im dämonischen Schaffensdrang. Wie ein Aar reckt aus meine Phantasie die Schwingen. Im alten Mexiko lasse ich einen jungen aztekischen Prinzen lustwandeln zunächst am blauen Gestade, mit ihr, der einzig Geliebten. Und der edle König Montezuma erscheint, mit großem Gepränge, er segnet mit seinen königlichen Händen das edle Paar. So weit der erste Gesang. Nun aber das Schicksal. Die Spanier kommen herangesegelt, der grausame Fernando Cortez belagert die Stadt. Ein idealer Kriegsheld, vollbringt unerhörte Heldentaten der edle Prinz, und fast gerettet hätte er die Stadt. Aber Mexiko fällt zuletzt, König Montezuma, alle edeln Geschlechter gehen zugrunde, und als die letzten natürlich gemeinsam auch die Liebenden.

Den ersten Gesang brachte ich zu Ende in einem Zug, auf Großmutters Hackbrett, und als der Morgen graute und die Lampe arg stinkend erlosch, ganz steif gefroren kroch ich nun unter die Decke und schlief schließlich auch noch etwas. An Großmutters Ofen dichtete ich danach weiter. So wurde es Mittag, und kamen jetzt von beiden Küsten her kurz nacheinander die sieben Bräute angesegelt. Schleunig salvierte ich mich aber und kroch mit meinem Manuskript wieder ins Bett. Großmutter mußte beide Parteien empfangen und vertrösten. Hannchen hatte mir zum Weihnachten ein Sitzkissen gestickt. Ein Fuchskopf prangt darauf, aus Rosen hervorlugend. Sehr schön, will man sich aber daraufsetzen, ob da nicht, hm, der Fuchs beißen und die Rosen stechen möchten –.

Ganz herunter kam ich, mit solcher Leidenschaft war ich am Werk. Erst als ich völlig fertig war mit der Reinschrift und allem, auch mit der vorangestellten Widmung, in Stanzen, nach etwa sechs Wochen, war ich wieder im allgemeinen Mensch und versah wieder mit etwas mehr Genauigkeit meinen Schuldienst. Drunter und drüber war's gegangen inzwischen in der Schule. Mir war alles gleich gewesen, so mächtig stand ich im Bann der Muse.

Ich schicke ihr mein Werk, und gleich erhalte ich von ihr ein Brieflein, rosafarben und nach Rosen duftend, wahrhaftig, oh und auch noch nach Nelken! Sprühenden Geistes schreibt sie, alle feinsten Feinheiten schmeckt sie mir nach! Schwillt darob hoch auf mein Glück, wie die Flut zum Mond. Springflut, Sturmflut! Seeschwalben, Möwen der Gedanken hinflatternd über das brausende Meer der Gefühle, Adler – Seeadler der Gefühle, herrlich, grandios! Und so dichte ich weiter. Zwei große Oden zunächst: »Meine Sonne« betitelt und »Weltenwonne«. Verwandelt allda die Schneewüste um mich sich stracks in den Garten Eden. Ich sehe und rieche die herrlichsten Blumen, wo um mich unterm Schnee doch nur Heide wächst und höchstens noch Brahm. Die Tümpel und Moorlöcher verwandeln sich in Weiher, mit Schwänen, so melodisch sich bewegen. Sind meine Kummerbirken abwechselnd Zedern, Palmen, Zypressen, Lorbeerbäume, und mit Nachtigallen darauf. Meine erbärmliche Schulkate ist ein Zauberschloß, Großmutter Dunekake eine edle Fürstin und Königinmutter, oder auch – je nachdem – eine Zauberin, Hexe, Norne. Meine lange Pfeife hängt am Nagel und verstaubt, und zu niemandem im Dorfe gehe ich jetzt mehr. So entsteht ein Liebesgedicht nach dem andern, zur Verherrlichung der fernen Geliebten, und meine daheim schon unter den Musen- und Weihebirken angelegte Gedichtsammlung »Adelaide« schwillt an, lawinenartig. Oh, wie mich's durchschauert allemal, wenn ich sie duze, in meinen Versen! Mein – dein, dir – mir –: ist doch das Duzen in Versen erlaubt, ja geboten, und das ist fast das Schönste dabei.

Zu ihrem Geburtstag Ostern beeilte ich mich, eine Auswahl für sie zu treffen. Die allzu feurigen Verse und allzu deutlichen ließ ich weg wohlweislich, dafür mehr die »tiefen« auswählend, die philosophisch zugespitzten, beschaulichen, melancholischen, worin die Liebe nur mehr eine symbolische Bedeutung hat und keine egoistisch-verlangende. Ziemlich lange blieb diesmal die Antwort aus, was mir einigermaßen Schmerz bereitete und mein Schaffen etwas eindämmte. Endlich aber, und der Brief duftet nach Veilchen – nach Veilchen, ganz unzweifelhaft! Sie zollt meinen Gedichten im allgemeinen wieder Anerkennung.

Und gleich noch eine Folge von frisch vollendeten Ostergedichten schicke ich ihr, von Auferstehen, österlichem Erwachen, Aufkeimen der Saat, der Hoffnung, der – Liebe singen sie, in zarten und auch beweglichen Tönen, und davon das letzte, das allerdings geht doch wohl etwas weit.

Sehr – sehr lange schwieg sie darauf. Im Kummer des Wartens verging schließlich ganz und gar mir die Stimmung, und nun machte ich mich daran und sammelte und sichtete. Dabei aber beschleichen mich eitle Anwandlungen, es juckt mich, Großmutter einiges vorzulesen.

Großmutter hält ihr Spinnrad an, sie muschelt beide Hände um ihre Ohren und gibt sich redlich Mühe, aus meinen hohen Worten irgend einen vernünftigen Sinn herauszuhören. Ihr Staunen nach fast jedem Satz ist jedenfalls tief aufrichtig gemeint. Gleich beim ersten »Adelaide« aber stutzt sie. Wie, nicht Hannchen, Lieschen, Nettchen, Fiechen, Stine, Gesche, Minchen? Und treuherzig bemerkt sie: Bei meinem Kopf könnte ich vielleicht auch noch höhere Ansprüche machen, auf eine, die »noch veel wat mehr aewer'n Steert« habe wie die Puvogelschen, die Appel-Wätjenschen. Auf eine mit tausend Talern Mitgift in bar, mitsamt Kistenwagen, Kuh und prämierter Zuchtsau. Ich solle mich daher lieber erst noch genauer umsehen unter den Töchtern des Landes, es auf keinen Fall billig tun.


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