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Kasperle auf der Leipziger Messe

Es wurde auch nichts mit dem Ausschlafen. Auf einmal hörte nämlich der wachsame Schutzmann ein sonderbares Geräusch.

»Hörst du,« sagte er zu seinem Gefährten, »wer ist das?«

»Einbrecher.«

»Aber recht ungeschickte, die machen ja einen Höllenlärm.«

Währenddem kam eine Dame, die in der Schießbude half und schrie: »Bei mir brechen sie ein!«

»Schreien Sie doch nicht so, sonst fangen wir sie nicht,« tuschelte der Schutzmann.

Aber die Schießbudendame war etwas aufgeregt, sie rief laut: »Hilfe, Hilfe, Einbrecher!«

Die Einbrecher waren aber etwas komisch, die ließen sich gar nicht stören, sie sägten ruhig weiter.

Und wer waren die Einbrecher?

Die Kasperles, die lagen in einer Kiste mit Holzwolle und schnarchten, was sie nur konnten, als der Schutzmann die Plane hochhob.

»Kasperles!« riefen alle.

»Lebendige!« Die Schießbudendame sagte gleich: »Die sind sicherlich aus der Kasperlebude ausgerückt. – Steht ihr mal auf!«

Die beiden standen aber nicht auf, die schnarchten ruhig weiter.

»Hört ihr, steht auf!« der Schutzmann brüllte sie an, die beiden wachten nicht auf.

»Ihr steht auf!« rief ein Budenbesitzer.

Immer noch rührten sich die beiden nicht.

»Ich gieße ihnen mein Deppchen Goffee über den Gopp,« sagte ein Aufseher.

Und gesagt, getan. Der Kaffee war warm und davon wachten die beiden dann auch auf. Und als sie so viele fremde Menschen um sich stehen sahen und der Kaffee ihnen warm über die Nase lief, da brüllten sie los.

»Jemine, ja so’n Deppchen Goffee hilft immer, auswendig oder inwendig, je nach Bedarf,« sagte der Aufseher gemütlich.

»Wer seid ihr denn?«

»Kasperles.«

»Wohl aus der Bude da drüben?« fragte der Aufseher.

»Nä, wir sind geflogen.«

»Ach so, rausgeflogen?«

»Nä, durch die Luft.«

Nun erzählten die Kasperles ihr Abenteuer und niemand glaubte ihnen.

»Ihr seid mir scheene Schwindelmaiers,« sagte der Aufseher.

»Wir schwindeln nicht.«

»Doch, aber feste! Da kommt der Kasperlemann, der kann’s gleich sagen.« Den Kasperlemann hatte die Schießbudendame herbeigeholt. Aber die Kasperles hatten keine Lust mehr, etwas zu sagen, und sie hätten wohl geschwiegen, wenn nicht der Schutzmann, der sie sich gemerkt hatte, dazu gekommen wäre. Der machte den maulfaulen Kasperles Beine. Huppdihupp sprangen sie in die Höhe und wollten ausreißen, aber es standen diesmal zu viele Menschen da und zwei Männer packten die Schelme und herrschten sie an: »Hier geblieben, ihr Einbrecher!«

»Wir sind keine Einbrecher, wir sind Kasperles.«

»Wie heißt ihr?« Der Kasperlemann rannte vor Eile gleich einen Schutzmann um.

»Lebendige Kasperles!«

»Jemine, ihr seid wohl vom Himmel gefallen?«

»Ja, aus ’nem Flugzeug.«

»Glauben Sie doch den Schwindelpetern den Unsinn nicht,« sagte ein Herr, aber der Kasperlemann belehrte ihn, daß das wohl stimmen könnte. Es gibt auf der Welt zwei echte Kasperles, die einmal von der Kasperle-Insel geraubt worden waren und von Zeit zu Zeit lange schliefen und auf diese Weise lange lebten. »Stimmt das?« fragte er.

»Ja,« die beiden nickten, bei dem Gedanken an ihre Heimatinsel waren sie beide traurig geworden und ihre sonst so lustigen Kasperlegesichter sahen ganz wehmütig drein.

»Wie heißt ihr denn? Peringel und Bimlim?«

Auf einmal klärten sich die Gesichter der beiden auf, da war doch jemand, der ihre Namen kannte.

Sie wollten gerade anfangen zu erzählen, als der Kasperlemann rief: »Nicht erzählen, das kommt in die Zeitung.« Und dann bat er in beweglichen Tönen, die beiden sollten zu ihm kommen, er wäre ein ganz armer Mann und hätte nicht einmal Geld genug, die Platzmiete für sein Budchen zu zahlen und zu essen hätte er auch nichts.

»Ich hab’ aber Hunger,« schrie Peringel, und Bimlim echote: »Ich auch.« Das war schlimm und es war gut, daß sich unter den Zuschauern ein paar mitleidige Leute fanden, die gaben Geld für Semmeln und Würstchen und die beiden Kasperles aßen, so viel sie nur bekamen. Dann gingen sie mit dem Kasperlemann in die Bude und legten sich dort zum Schlaf nieder.

»Schlaft aber nicht hundert Jahre, so lange kann ich nicht warten.«

Das versprachen auch die beiden, und richtig wachten sie am nächsten Morgen zu rechter Zeit auf.

Am Vormittag brauchten sie nicht zu kaspern, denn das Publikum, das zusah, kam erst am Nachmittag.

»Jetzt fangt an,« sagte der Kasperlemann, als sich die beiden Faulpelze ihren Nachmittagsschlaf aus den Augen rieben, »es sind schon Kinder da.«

Peringel guckte zuerst hinaus.

»Da ist ’n neir Goasber,« riefen die Kinder.

»Ein Kasperle bin ich.«

»Nu ja, ’n Goasber.«

»Nä, ein Kasperle.«

»Nu freilich, ’n Goasbörlä.«

Da kam Bimlim heraus und rief: »Ich bin der berühmte Prinz Bimlim.«

»Uhjeh, Brinz Pimlim.«

»Nä, Bimlim.«

»Nu ja, Pimlim.«

Die Leipziger Kinder konnten gar nicht begreifen, warum die beiden immer ihre Namen wiederholten. Sie fragten:

»Woher kommt ihr denn?«

»Vom Monde,« rief Kasperle geärgert.

»Das ist aber weit.«

»Freilich, sehr weit.«

»Wie lange biste denn gereist?«

Mit Zählen durfte man Kasperle nicht kommen, er sagte aufs Geratewohl: »Ein Jahr.«

»Aber das ist lange. Wie biste denn gereist?«

»Ich habe Purzelbäume geschossen.«

»Ein Jahr immerzu?« Das Kasperle, das reden konnte und solche Geschichte erzählen, kam den Kindern sehr sonderbar vor und ein kleiner Junge sagte: »Ist dir denn nicht übel geworden?«

»Sehr übel. Darum habe ich jetzt Hunger und ihr müßt mir jetzt Gröschlein geben, denn ich muß Würstchen essen und Pfannkuchen und Pfefferküchlein.«

Aber die Geschichte war den Kindern zu schnell zu Ende. Gröschleins wollten sie schon geben, aber was sehen wollten sie auch. Sie verlangten eine Vorstellung und die beiden Faulpelze, die sich gedacht hatten, sie kämen ohne große Anstrengung zu ihren Gröschleins, mußten sich zum Kaspern bequemen.

»Jetzt fängt der Goasber an.«

»Ich heiße Kasperle Peringel.«

»Nu ja, Goasber Beringel. Nu fang aber an, sonst laufen wir weg.«

Da ließ Kasperle das Streiten um seinen Namen sein und fing an, Grimassen zu schneiden.

Die Kinder lachten erst ein wenig, dann aber, als Kasperle lachte, lachten sie mehr und mehr, und immer lauter tönte das Lachen vor der Kasperlebude.

Auf einmal rief ein Herr: »Du Kasper, bist du wirklich ein Kasper?«

»Das sehnse doch.« Kasperle rief es patzig.

»Sei höflich,« mahnte der Kasperlemann, »das ist ein Herr, der setzt dich in die Zeitung.« Nun kam Kasperle eine Erinnerung an einen Professor, von dem er einst geglaubt hatte, er wolle ihn in Spiritus setzen und er dachte, das wäre etwas Ähnliches. Er brüllte los:

»Ich will nicht in die Zeitung, ich will in keiner Zeitung sitzen!«

»So ein Schafskopf,« sagte der Herr.

»Ich bin kein Schafskopf, ich bin ein Kasperle.«

»Sei doch still,« mahnte der Kasperlemann, »sonst kommst du ja nicht in die Zeitung.«

»Ich will nicht in der Zeitung sitzen!« Kasperle machte vor Angst lauter Räuber- und Menschenfresser-Gesichter. Immer eins nach dem andern.

»Warte, ich will dich photographieren,« sagte der Herr und richtete seinen Apparat auf Kasperle.

»Er schießt mich, er schießt mich!« schrie Kasperle entsetzt, der von der Kunst der Photographie ebensowenig eine Ahnung hatte wie von der Wichtigkeit einer Zeitung. Kasperle schoß einen Purzelbaum von der Bühne herab mitten unter die Kinder, und da stand er vor dem Herrn und riß dem den Apparat aus der Hand. »Du darfst mich nicht schießen.«

»Na höre mal, du bist aber dumm.«

»Ich bin nicht dumm, ich bin ein Kasperle.«

»Bist du wirklich eins, bist du nicht ein ganz gerissener Schwindler?«

Diese Frage ärgerte Kasperle so sehr, daß er auf einmal seine Zunge, und sie war lang, weit herausstreckte, worüber der Herr so erschrak, daß er samt seinem Apparat, den er eben wieder aufgehoben hatte, hintenüber fiel.

»Eener der Goasber hat die Zunge rausgestreckt,« jubelten die Kinder.

»Nochmal!« verlangten etliche.

Aber Kasperle war selbst erschrocken über seine Missetat. Er kobolzte zurück und kasperte oben weiter. Zu seiner Beruhigung verschwand der Herr, der ihn hatte in die Zeitung bringen wollen. Und so kam es, daß von Kasperle kein Sterbenswörtchen in den Leipziger Zeitungen stand und der Kasperlemann klagte: »Gar keine Reklame.«

»Was für ’ne Dame?« fragte Kasperle.

Ach Kasperle, dachte der Kasperlemann, du hast wirklich sehr viel verschlafen. Er sagte es aber nicht laut, denn er hatte Angst, Kasperle könnte noch mehr Dummheiten machen.

Er ließ die Kasperles kaspern und jeden Tag wuchs die Kinderschar und jeden Tag zankte sich Kasperle mit ihnen herum, wenn sie riefen: »Goasber, gomm.«

Aber die Gröschlein flogen und Kasperle litt keine Not. Es war merkwürdig, die verwöhnten, an vieles Merkwürdige gewöhnten Großstadtkinder standen wie festgerammt, wenn das Kasperle kam. Wenn er seine Gesichter schnitt, schnitten sie auch welche und wenn er lachte, lachten sie auch. Schlimm aber war es, wenn Kasperle traurig war, das steckte noch mehr an als Gesichterschneiden und Lachen, dann rollten die Tränen und die Taschentüchlein flogen. Und weil Kasperle nie ein Taschentuch hatte, war es allen eine Ehre, wenn Kasperle verlangte: »Gib mir dein’s.«

Dann flogen Kasperle die Tüchlein zu und Kasperle heulte wie ein kleiner Hofhund und erzählte dazu von seiner geliebten Kasperle-Insel.

»Warum biste nicht mehr dort?« fragten oft die Kinder.

Und Kasperle schwieg. Konnte er erzählen, daß man ihn dort Peringel, den Schlingel, nannte? Nein, da schwieg er lieber. Darum sagte er jedesmal kläglich: »Das weiß ich nicht mehr, das habe ich verschlafen.«

»O Kasperle, du Strick!«

Und Bimlim sagte auch jedesmal: »Ich hab’s auch verschlafen, aber Peringel war dran schuld.«

»Weiß ich nicht, hopple hopp, jetzt wird gekaspert.«

Und weg waren Tränen und Kummer, das Lachen tönte über den Platz und die andern Budeninhaber sagten wohl: »Der Kasperlemann hat’s gut, seit der die lebendigen Kasper hat, geht’s Geschäft.«


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