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Die Kasperles spielen

Endlich hatte Peringel seine Hosen an, und das Spiel konnte losgehen. Erwartungsvoll waren die Kinder, auch viele Erwachsene hatten sich eingefunden. Aber Kasperle war müde von dem ungewohnten Lärm und hungrig war er auch. Der Duft der Pfannkuchen, der über dem ganzen Festplatz lagerte, zog ihm lecker in die Nase. Er sagte darum zu Meister Hirsebrei, er müßte erst Pfannküchlein essen, ehe er kaspern könnte, doch Meister Hirsebrei war anderer Ansicht. Der sagte: »Erst spielst du, wenn du deine Sache gut machst, bekommst du vielleicht ein Pfannküchlein.«

Ein Pfannküchlein für einen Kasperlemagen! Und dazu noch vielleicht!

Was sich Meister Hirsebrei wohl dachte. Dabei gab es Pfannküchlein zu Bergen aufgehäuft. Das Wasser lief dem Kasperle im Munde zusammen, und auch Bimlim atmete sehnsüchtig den leckeren Duft ein.

Früher, fiel es Peringel ein, hatte er Pfannküchlein essen dürfen, so viel wie er wollte. Ach, wie war doch die Welt anders geworden!

Auf einmal fiel Peringel noch etwas ein, und er flüsterte in einer Ecke eifrig mit Bimlim.

»Na, Kasperles, marsch vorwärts, ich will der Teufel sein, der euch holt. Nun los, gespielt!« Meister Hirsebrei hatte es eilig. Da gingen Kasperle und Bimlim hinaus und draußen sagte Bimlim: »Uah, bin ich müde, ich habe nur hundertfünfzig Jahre geschlafen, das ist zu wenig. Und Hunger habe ich auch.«

»Haste auch hundertfünfzig Jahre nichts gegessen?« fragte ein vorwitziger Bube.

»Du hast mir doch nichts gebracht,« schrie ihn Bimlim an.

»Huch, ich weiß etwas,« rief Kasperle Peringel und legte den Finger an die Nase.

»Was weißt du denn?«

»Daß heute Jahrmarkt ist.«

»Dummer Kerl!« Bimlim schien böse zu sein, und Peringel machte sein schlaustes Gesicht, als er schrie: »Und auf dem Jahrmarkt gibt es Pfannküchlein, die schmecken fein, nicht wahr?«

»Ja,« brüllten die Kinder, und die Erwachsenen lachten.

»Hole mir welche,« gebot Bimlim sehr vornehm.

»Zu Befehl, mein Herr.« Und haste nicht gesehen, da siehste, kobolzte Peringel zur Bude hinaus zur Pfannkuchenbude hin, dort machte er eine Verbeugung und sagte: »Für meinen Herrn, den Prinzen Bimlim,« ergriff zwei Tüten und war verschwunden, ehe die dicke Pfannkuchenfrau sich noch von ihrem Erstaunen erholt hatte.

»Haste welche?« fragte Bimlim sehr unprinzlich.

»Für dich eine Tüte, für mich eine Tüte.«

Mit großartigem Schwung reichte Peringel eine Tüte Bimlim. Nun aßen beide in sechs Bissen jeder sechs Pfannkuchen auf, und die Kinder sahen erstaunt zu, denn so geschwind ging es bei ihnen nicht.

»Hole mehr,« sagte Bimlim, dem es geschmeckt hatte.

»Der will noch mehr,« schrien die Kinder.

»Kasperles, ihr platzt,« mahnte eine Frau.

Aber Peringel hatte keine Lust, zu der dicken Pfannkuchendame zu gehen. Zweimal läßt sich ein solcher Streich nicht machen. Er sagte daher: »Oh mein Prinz, es gibt auch warme Würstchen.«

»So hole warme Würstchen, aber schnell, ich verhungere.«

»Er hat sechs Pfannkuchen gegessen und verhungert, nun da möchte ich mal sehen, wann der satt wird,« rief ein kleines, dünnes Stimmchen.

Peringel ließ sich aber durch die Zwischenrufe nicht stören, er kobolzte wieder zur Bude hinaus und machte es mit dem Würstelmann wie mit der Pfannkuchenfrau, nur daß sich der Würstelmann die Sache nicht so gefallen ließ; er fing furchtbar zu schelten an.

Weil Kasperle mit den Würstchen und Semmeln nicht so schnell fort kam, stopfte er alle in seine Tasche und purzelbaumte zurück, ehe ihn der Würstelmann noch fangen konnte.

»Da ist er,« schrien die Kinder, als Peringel zurückkam.

»Es läuft ihm aus den Hosen,« schrie einer.

»Pfui,« rief ein anderer.

Heiße Würstchen mit Senf in den Hosentaschen und damit Purzelbäume schießen, ist eine unangenehme Sache, und Kasperle brachte etliche zerplatzte Würste und zerdrückte Semmeln aus der Hosentasche hervor. »Pfui, das esse ich nicht,« rief Bimlim. Aber Peringel stopfte den Mischmasch schweigend in den Mund, und neben ihm ertönte erstauntes Rufen: »Er ißt es.«

»Ja, er ißt es,« rief eine grobe Stimme, »und hat es nicht bezahlt.«

Es war der Würstelmann, der die Kasperles gefunden hatte und neben ihm stand, o Schreck und Graus, die Pfannkuchendame und schrie: »Er muß bezahlen.«

»Ja, er muß bezahlen,« rief auch der Würstelmann und das riefen sie so laut, daß es Meister Hirsebrei hörte. Der hatte sich inzwischen als Teufel angezogen und kam hinter dem Vorhang hervor.

»Der Teufel, der Teufel!« schrien die Kinder, »er holt Kasperle.«

Bimlim erschrak. Er hatte noch nie in einer Kasperlebude gespielt und wußte nicht, daß Meister Hirsebrei selbst den Teufel spielen wollte. Mit einem Satz war er aus der Bude hinaus und saß der Pfannkuchenfrau auf dem Rücken. Platsch! saß sie am Erdboden. Ein Kasperle hatte sie noch nie auf dem Rücken gehabt, das war eine neue Mode.

Kasperle, der wußte, wer der Teufel war, stopfte seelenruhig seine Würstchen und die Semmel in den Mund, und Meister Hirsebrei-Teufel fragte ihn: »Wo hast du die denn her?«

»Gestohlen hat er sie,« rief der Würstelmann.

Nun wußte Kasperle gar nicht mehr, was »gestohlen« heißen sollte, es mußte aber etwas sehr Schlimmes sein, denn alle Kinder sahen ihn entsetzt an, und Meister Hirsebrei-Teufel sagte: »Da muß er Haue haben.«

»Nä,« schrie Kasperle, »ich mag nicht.«

»Nein,« riefen auch die Kinder.

»Doch,« rief Meister Hirsebrei und holte einen Stock herbei.

»Der Teufel will Kasperle hauen.«

Alle nahmen das für Spaß, Kasperle aber merkte, es war Ernst. Und gerade in dem Augenblick kamen Henry Stopps, Prinz August mit Rosemarie und Liebetraut Severin an, und Kasperle schämte sich entsetzlich. Er sah plötzlich Meister Hirsebrei so tieftraurig an, daß der leise sagte: »Kasperle, ich mache nur Spaß.«

Just in dem Augenblick sagte Liebetraut Severin: »Pfui, wie laut das hier ist,« denn die Kinder lärmten und schrien ganz erschrecklich. Und dann fragte sie: »Warum sollte denn Kasperle Haue kriegen?«

»Weil er gestohlen hat,« brüllte es im Chor.

»Pfui!« Liebetraut rümpfte die feine, kleine Nase und sah Kasperle so verächtlich an, als wäre der der größte Missetäter auf der Welt.

Kasperle wurde sehr verlegen, die Pfannküchlein und Würstchen auf dem Jahrmarkt waren doch dazu da, um gegessen zu werden, und ein Kasperle fragt nicht nach dem Preis. Es ißt, was da ist. Dafür ist es eben ein dummes, kleines Kasperle. Und als ihn Liebetraut strafend ansah und sagte: »Pfui, schäme dich, wie bös du bist,« da wurde es auf einmal fuchsteufelswild und schrie: »Ich bin doch ein Kasperle und Marlenchen war viel netter, die hat nicht geschumpfen.«

Da lachten alle und Kasperle lachte mit und die Pfannkuchen und Würstchen wären vergessen gewesen, wenn nicht die Pfannkuchenfrau und der Würstelmann ihr Geld gefordert hätten. Das taten sie laut und grob, und Liebetraut, die es hörte, sagte spöttisch: »Also doch gestohlen! Was kann man auch nur anderes von einem Kasperle verlangen!«

Da fing Kasperle zu weinen an: »Wenn ich doch Hunger hab.«

»Ich bin schuld,« rief Meister Hirsebrei, dem sein armes kleines Kasperle leid tat. Es wurde wieder allen wind und weh bei Kasperles Weinen und ein sonst recht unnützer Bube schrie: »Kasperle, weine nicht, mir tut mein Bauch weh.«

Er meinte damit sein Herz, aber weil er keine Erfahrung in Herzschmerzen hatte, nannte er es seinen Bauch, und den andern Kindern ging es ähnlich, sie baten alle: »Kasperle, hör auf. Wir bezahlen die Schuld.«

»Ist gar nicht nötig,« rief die Pfannkuchenfrau, »ich schenk sie dem Kasperle, er soll nur wieder lachen.«

»Ich schenke ihm die Würstel auch,« rief der Würstelmann, »lache nur wieder, ich will mich mal gründlich auslachen.«

Da lachte Kasperle über das ganze Gesicht und es gab ein großes Getöse auf dem Platz. Nur Liebetraut lachte nicht, ihr tat das Herz nun wirklich weh. Denn auf einmal, sie wußte gar nicht, wie es gekommen war, tat ihr das Kasperle erschrecklich leid. Da mußte das arme Kasperle stehen und Späße machen, und dabei hatte es keine rechte Heimat, denn der Kasperlemann, bei dem es war, der dachte doch nur an die Gröschleins, die er einnehmen würde. Jetzt gerade ging er herum und rief:

»Gröschleins hergeben,
Kasperle will leben,
so ein Kasperlemagen
kann viel vertragen.«

Und Kasperle lachte dazu, hopste und sprang und Liebetraut Severin, die hochmütige, kalte Liebetraut hätte am liebsten das Kasperle in die Arme genommen und gesagt: »Komm mit heim ins alte Severinhaus, dort ist deine Heimat.«

Aber Kasperle und Bimlim dachten beide jetzt nur daran, daß sie auf dem Jahrmarkt standen und kaspern wollten, damit die Leute lachen. Sie hopsten und sprangen, schlugen Purzelbäume, stritten sich mit dem Teufel, schnitten Gesichter und waren so kasperlemäßig als nur möglich.

Das Lachen brauste über den ganzen Platz, und wer sich ärgerte, war der dumme August; hätte ich ihm doch nicht meine Hosen gegeben, dachte er.

Ich bin dumm, schalt sich Liebetraut im Herzen, Kasperle fühlt sich gar nicht einsam, er ist sehr glücklich. Sie ging weg, vorher legte sie noch eine Mark, ihr ganzes Jahrmarktsgeld, in den Sammelteller, sie wollte Kasperle eine Liebe erweisen, aber Kasperle sah es nicht.

Den ganzen Nachmittag tobte der Sturm um die Kasperlebude, alles rannte hin, jeder wollte Kasperle sehen und die andern Budenbesitzer wurden eifersüchtig. Wer fuhr denn noch in der Luftschaukel, wer im Karussell, wer ritt im Hippodrom oder lachte im Lachkabinett?

Niemand, denn niemand hatte dafür Zeit noch Geld.

Aber auf einmal hieß es, jetzt will Kasperle Luftschaukel und Karussell fahren.

Und gleich strömten alle hin. Jeder wollte sehen, jeder wollte mitfahren und die Budenbesitzer dienerten vor Kasperle und Bimlim, als wären sie Reichskanzler oder Ministerpräsident. Und Kasperle stieg auf die Luftschaukel und Meister Hirsebrei schrie: »Fall nicht herunter!« Aber da lag er schon. Er hatte sich aber nicht weh getan, denn er hatte in der Luft einen Purzelbaum geschossen und war unversehrt unten angekommen. Dann stieg Kasperle auf ein Karussellpferd, und wieder schrie Meister Hirsebrei: »Fall nicht!« Und bums, da lag Kasperle und drei Buben lagen mit ihm am Boden. Inzwischen kam die Riesendame und der Mann, der das Kalb mit den beiden Köpfen hatte, und beide baten: »Komm zu mir.«

»Warum denn?« fragte Kasperle.

»Weil’s dann Gröschlein gibt,« flüsterte ihm Meister Hirsebrei zu.

»Wollen wir, Bimlim?«

Und Bimlim sagte: »Ja,« denn er hatte so etwas noch nie gesehen.

Auch aus den andern Buden kamen sie und baten, die Kasperles möchten zu ihnen kommen. Und die Kasperles kamen, staunten alles an, rissen ihre Münder sperrangelweit auf und lachten, daß der dumme August wieder neidisch wurde. So konnte er nicht lachen.

Endlich wurde Peringel auch müde, und Bimlim ‚uahte‘ schon seit einer ganzen Weile, er hatte beinahe den Gähnkrampf. Da sagte Meister Hirsebrei: »Nun gehen wir nach Hause.«

»Wohin, zu Madame Käsewurm?«

»Nein, die ist krank, heute schlaft ihr bei Meister Drillhose.« Da fühlte Kasperle wohl, daß er nicht zu Hause war. Er bat: »Wir wollen über den Kirchplatz gehen.«

»Warum?« fragte Bimlim traurig.

»Darum,« antwortete Peringel.

»Weil er da gewohnt hat, als er das vorige Mal wach gewesen ist,« sagte Meister Hirsebrei, dem sein Freund Drillhose alles erzählt hatte.

»Uah, ich weiß nicht mehr, wo ich gewohnt habe,« rief Bimlim, »das habe ich verschlafen.«

»Da ist der Kirchplatz,« sagte Meister Hirsebrei.

»Nä, ist er nicht,« rief Kasperle.

»Doch ist er.«

Aber Kasperle wollte es nicht glauben, daß der Platz mit der großen Linde und den neuen Häusern sein alter, lieber Kirchplatz sei. Erst als er das alte Severinhaus sah, kam ihm ein Erinnern und auf einmal fing er bitterlich zu weinen an.

Und dies tieftraurige Weinen der Heimatlosigkeit hörte Liebetraut Severin. Da rief sie: »Kasperle!« und lief hinab. Aber Kasperle war schon fort und Liebetraut bereute von diesem Abend an ihre bitteren Worte aus tiefstem Herzen.


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