Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Königin Mab

Widmung.

An Harriet *****.

Weß ist die Liebe, die, die Welt durchstrahlend,
Abwehrt die gift'gen Pfeile ihres Hohns?
Wer zollt mir freundlich warmes Lob,
Der Tugend schönsten Lohn?

Durch wessen Blick belebt, ist meine Seele
Gereift an Wahrheit und an Tugendmuth?
In wessen Auge schaut' ich liebend,
Und liebte mehr die Welt?

Dein Auge war's! – Du warst mein bess'res Ich,
Du warest die Begeistrung meines Lieds;
Dein sind die frühen Hagerosen,
Die ich zum Kranze wand.

So schließ ins Herz denn diese Liebesgabe,
Und ob die Zeit auch wechselt, Jahre schwinden,
Jedwedes Blümchen meines Herzens
Soll dir gewidmet sein.

Königin Mab.

I.

Welch Wunder ist der Tod,
Tod und sein Bruder Schlaf!
Der Eine bleich, dem Monde gleich,
Mit Lippen fahlen Blaus;
Der Andre rosig wie der Tag,
Der purpurn aus dem Meer
Heraufglüht in die Welt –
Und beide, ach, so schnell verrauscht!

Hat denn die finstre Macht,
Die in den moderfeuchten Gräbern thront,
Auch ihre reine Seel' erfaßt?
Muß jene Huldgestalt,
Bei deren Anblick selbst dem Liebenden
Das Herz erbebt, – der blauen Adern Netz,
Die, Bächen gleich, ein Schneegefild durchziehn, –
Das Antlitz, schön wie lebensvoller Marmor –
Nun sterben und vergehn?
Läßt der Verwesung Hauch
Nichts übrig von dem Himmelsbild,
Als Greuel und Zerstörung?
Ein schaurig düstres Thema nur,
Das selbst den Leichtsinn ernster denken macht?
Wie? oder ist's ein süßer Schlummer,
Einlullend nur die Sinne,
Den der Hauch des rosigen Morgens
Fortscheucht in das Dunkel?
Wird Janthe neu erwachen
Und Freude spenden jener treuen Brust,
Die schlummerlosen Geistes wacht,
Und Licht, Lust, Leben nur
Aus ihrem Lächeln schöpft?

Ja, sie wird neu erwachen,
Ob auch die warmen Glieder reglos jetzt,
Und stumm der süße Mund,
Der sonst Beredtsamkeit
Geathmet, die des Tigers Wuth gezähmt
Und des Erobrers kaltes Herz erweicht.
Die thauigen Augen fielen zu,
Und auf den Lidern, deren Decke kaum
Der Augensterne tiefes Blau verhüllt,
Ruht jetzt das Kindlein Schlaf.
Ihr goldnes Haar beschattet
Des Busens unbefleckten Stolz,
Wie sich um einer Marmorsäule Rund
Des Schlingkrauts Ranke schmiegt.

Horch! welch ein Klanggetön?
Es gleicht dem Zaubersang,
Der um verlassene Ruinen schwebt,
Und den am wiederhallenden Strand
Zur Abendzeit der Schwärmer hört, –
Noch sanfter, als der Westwind seufzt,
Noch wilder, als das regellose Lied
Der Aeolsharfe, deren Saiten
Der Lüfte Genien durchwehn.
Die irisbunten Strahlen
Sind gleich dem Mondenlicht,
Das durch die Fenster eines Domes fällt;
Doch ihrem Farbenglanze
Kommt Nichts auf Erden gleich.

Seht das Gespann der Feenkönigin!
Die Himmelsrosse sausen durch die Luft,
Die zarten Schwingen faltend auf ihr Wort,
Und durch der Zügel lichtes Band gelenkt.
Die Feenkön'gin hielt sie an.
Sie webte einen Zauber um den Ort,
Und aus dem Aetherwagen
Sich hold herniederbeugend, sah
Sie lang und schweigend an
Der Jungfrau schlummernde Gestalt.

O, nicht der Dichter in verzückten Träumen,
Wenn Silberwolken sein Gehirn durchziehn;
Wenn alles Große, Wilde, Liebliche
Ihn staunen macht, entzückt, erhebt;
Wenn seine Phantasie, was schön
Und wunderbar, mit Einem Blick vereint,
Hat je ein Bild, so hehr und hold, erschaut,
Wie jenes, das die Lüfterenner hemmte,
Und auf der Jungfrau Schlummer
Den Zauber seines Blicks ergoß.

Der breite gelbe Mond
Schien flimmernd durch den Leib
Von makellosem Ebenmaß;
Das perldurchsichtige Gespann
Durchfurchte nicht des Mondlichts Strahl.
Es war kein irdisch Bild; –
Wer das Gesicht geschaut,
Das alle Pracht der Erde übertraf,
Sah nicht den gelben Mond,
Sah nicht, was sterblich ist,
Vernahm des Nachtwinds Rauschen
Und ird'sche Töne nicht, –
Sah nur den Feen-Aufzug,
Vernahm nur Himmelsklänge
Am ödverlass'nen Ort.

Der Fee Gestalt war zart; die flockige Wolke,
Kaum angehaucht vom blassen Abendroth,
Und die das spähnde Auge mühsam nur
Gewahrt, wenn sie verschwimmt im Dämmrungsschatten,
Ist kaum so zart; doch jener schöne Stern,
Der in des Morgens schimmernder Krone blitzt,
Verstrahlt ein Licht so mild und mächtig nicht,
Wie jenes, das der Fee Gestalt entfloß,
Umhüllend Alles wie ein Heil'genschein,
Indeß mit wallender Bewegung
Es sie umwogte sanft und mild.

Die Feenkön'gin stieg
Aus ihrem Himmelswagen,
Und schwang den Zauberstab,
Mit Amaranthgeflecht verziert.
Ihr Nebelbild bewegte
Mit jedem Lufthauch sich,
Und silbertönig klang
Der Rede süßer Ton,
Vernehmbar einzig dem geweihten Ohr.

Fee.

Sterne, strahlet sanft hernieder!
Elemente, hemmt eur Toben!
Schlaf, Weltmeer, in den Felsenschranken,
Die dein Reich umziehn!
Nicht ein Windhauch soll bewegen
Jenes Hügels Rasenteppich.
Selbst das ziehnde Sommerfädchen
Ruh' in stiller Luft!
Seele Janthe's, du, –
Würdig allein des neidenswerthen Glücks,
Das der Gerechten und der Guten harrt,
Das Derer harrt, die, kämpfend stark und fest,
Der Erde Stolz und Niedrigkeit besiegten,
Der Satzung Ketten sprengten, und als Sterne
In ihrer Zeit erglänzten, – Seele Janthe's,
Erwach! ersteh!

Plötzlich erhob
Sich Janthe's Seele.
Sie stand in unverhüllter Reinheit da,
Ein herrlich Ebenbild der Körperform.
Begabt mit unnennbarer Schönheit Reiz,
War jeder Makel ird'schen Wesens
Verschwunden, sie erstrahlte neu
In angeborner Hoheit, und sie stand
Inmitten Tod und Graun unsterblich.

Der Leib lag auf dem Ruhebett,
Gehüllt in tiefen Schlummer;
Die Züge starr und regungslos,
Doch thierisch Leben war drin.
Und jeder Sinn versah den Dienst,
Den ihm die Natur bestimmt; – es war
Ein Wunder, Geist und Leib zu schaun.
Dieselben Züge waren dort,
Dieselbe äußerliche Form, –
Und wie verschieden doch! Der eine strebt
Zum Himmel auf, nach seinem ew'gen Erbe
Sich sehnend, stets im Wechsel sich erhebend,
Und schwelgt in ew'gem Sein.
Der andre müht sich eine Spanne Zeit,
Das Spiel des Zufalls und der Leidenschaft,
Er lebt sein traurig Dasein rasch dahin,
Und dann, ein nutzlos und verbraucht Geräth,
Verwest er und verschwindet.

Fee.

Geist, der also tief gedrungen,
Geist, der also hoch gestrebt,
Der so furchtlos, der so mild,
Nimm hin den Lohn, den sich dein Werth verdient,
Besteig mit mir den Wagen!

Geist.

Träum' ich? Ist dies neu Empfinden
Nur ein Truggespenst des Schlummers?
Bin ich wirklich eine Seele,
Frei und ohne Körperlast?
Sprich noch einmal, sprich!

Fee.

Ich bin die Feenkön'gin Mab; die Wunder
Der Menschenwelt zu wahren, ist mein Amt;
Der unermeßlichen Vergangenheit
Geheimniß find' ich in der Menschenbrust,
Auf des Gewissens ernsten, unbestochnen,
Wahrheitsgetreuen Tafeln eingeprägt;
Die Zukunft aus den Folgen jeder That
Enträthsl' ich; unverzeichnet lass' ich nicht
Den Stachel, den die rächende Erinnrung
Eindrückt des Menschen selbstisch harter Brust,
Noch jenes Wonnebeben, das das Herz
Des Tugendhaften fühlt, wenn seinen Tag
In Wort' und Werken edel er vollbracht.
Auch ist es mir gestattet, zu zerreißen
Den Schleier sterblicher Gebrechlichkeit,
Auf daß der Geist, in wechsellose Reinheit
Gekleidet, lerne, wie am schnellsten er
Das große Ziel, das ihm bestimmt, erreiche,
Und jenen Frieden koste, den zuletzt
Alles, was lebt und athmet, theilen wird.
Dies ist der Lohn der Tugend. Sel'ger Geist,
Besteig mit mir den Wagen!

Des Erdenkerkers Banden
Sanken von Janthe's Geist,
Wie des erwachten Riesen Kraft
Ketten von Stroh zerbricht.
Bewußt des hehren Wechsels,
Empfand in unbeschränkter Wonne sie
Ein neu Entzücken rings;
Was sie auf Erden wachend je,
Was sie in Schlummerphantasien geträumt
Nach wohlverbrachtem Tage,
Schien jetzt verkehrt in Wirklichkeit.

Der Geist entschwebte mit der Fee;
Es trennten sich die Silberwolken;
Und als den Zauberwagen sie bestiegen,
Scholl wieder himmlischer Gesang,
Und wiederum entfalteten
Die Lüfterenner ihre Azurschwingen,
Und mit den Strahlenzügeln
Lenkt' ihren Flug die Fee.

Der Wagen flog dahin.
Die Nacht war schön, ein zahllos Heer
Von Sternen glänzte am Gewölb
Des dunkelblauen Himmels;
Im Ost dem Meer entblinkte
Das erste Lächeln schon des Morgenroths.
Der Wagen flog dahin –
In Feuerfunken stob
Unter der Himmelsrosse Huf die Luft,
Und wo die Flammenräder
Hinsausten ob dem höchsten Bergeshang,
Glüht' eine Blitzesspur.
Jetzt flog er über einem Felsen hin,
Der Erde letztem Saum,
Hoch wie die Anden, deren düstrer Kamm
Lugt ob dem Silbermeer.

Tief unterm Pfad des Wagens lag,
Still wie ein schlummernd Kind,
Das furchtbar wilde Meer.
Sein ebner Spiegel warf zurück
Der blassen Sterne Schein,
Des Wagens Feuerspur,
Des Morgens graues Licht,
Das jene Wolkenschäfchen,
Des Tages Wiege, färbt.
Es schien, als ob des Wagens Pfad
Durch eine ungeheure Wölbung führte,
Erhellt von Millionen Sternen, strahlend
In tausendfarb'gen Schatten,
Und halb umkreist von einem Gürtel,
Der endlos Meteore sprüht.

Der Wagen flog dahin.
Als sie dem Ziele nah,
Beschwingte sich der Renner Lauf.
Das Meer war länger nicht zu sehn, die Erde
Erschien ein weiter Schattenkreis;
Der helle Sonnenball
Schwamm durch die finstre Wölbung;
Es theilten seine schnellen Strahlen
Von Licht sich vor des Wagens schnellerm Lauf,
Und glitten nieder, wie vorm Kiel
Des Schiffs der Wellenschaum
Der Brandung niederspritzt.

Der Wagen flog dahin.
Der ferne Erdball schien
Das kleinste Licht am Himmelsdome nur,
Indeß um das Gespann
Zahllose Welten kreisten,
Und ungezählter Sterne Licht
In stetem Wechsel glomm.
Ein Wunderanblick war's! Gehörnt
Erschienen ein'ge, gleich der Mondessichel;
Ein sanftes Silberlicht ergossen andre,
Wie überm Westmeer Hesperus;
Mit Feuerschweifen stürzten andre nieder,
Gleich Welten, die dem Tod geweiht;
Und einige erglühten sonnenhaft,
Und überstrahlten auf des Wagens Pfad
Rings alles andre Licht.

Geist der Natur! o hier,
In diesem unabsehbaren Gewimmel
Von Welten, deren Unermeßlichkeit
Die kühnste Phantasie beschämt:
Hier ist dein schönster Tempel.
Doch ist das kleinste Blatt,
Das in dem Wind erbebt, nicht minder
Von deinem Geist erfüllt;
Doch theilt der niedre Wurm,
Der tief in Grüften sich von Leichen nährt,
Nicht minder deinen ew'gen Hauch.
Geist der Natur! o du,
Der unvergänglich wie dies hehre Bild,
Hier ist dein schönster Tempel.

 

II.

Wenn Einsamkeit dich jemals hingeführt
Zum echolauten Meeresstrand,
Und wenn du dort verweiltest,
Bis auf entflammter Fluth
Der Sonnenball zu ruhen schien,
Dann schautest du, wie Streifen
Purpurnen Goldes regungslos
Sein scheidend Rund umglühten;
Dann schautest du die Wolken aufgethürmt,
Von blendend hellem Glanz umsäumt,
Wie Felsen von Gagat,
Mit einem Demantkranz gekrönt.
Doch kommt ein Augenblick,
Wo einem Sterne gleich
Am westlichen Saum des Meeres
Der letzte Strahl der Sonne blinkt,
Wo jenes goldgefiederte Gewölk,
In tiefsten Purpur eingehüllt, erglänzt
Wie Inseln auf der blauen See;
Dann lenkte deine Phantasie den Flug
Hoch über diesen Erdenball empor,
Und faltete die müden Schwingen
Im Tempelhaus der Fee.

Doch nicht die goldnen Inseln,
Die in dem Lichtmeer schimmern,
Noch jene flockigen Schleier,
Das helle Bett umhüllend,
Darin zur Rast die Sonne geht,
Noch die entflammten Meereswellen,
Drob jener hehre Dom sich wölbt,
Gewährten solchen wunderbaren Anblick,
Wie Mab's ätherischer Palast.
Doch glich zumeist die Feenhalle
Des Abends herrlichem Gewölb.
Dem meergetragnen Himmel gleich erglänzte
Ihr funkelndheller Estrich,
Ihr weiter Azurdom,
Und ihrer Inseln Gold,
Verstreut im Silbermeer;
Und durch der Wolken ringsum lagernd Dunkel
Entsandten Sonn' um Sonnen ihre Strahlen,
Und Perlenzinnen überragten
Des Himmels unbegrenzten Raum.

Still hielt das magische Gespann,
Und in die Zauberhalle
Trat mit dem Geist die Fee.
Die goldnen Wolken,
Die unterm Azurdom
In Glanzeswellen wogten,
Erbebten von den luftigen Schritten nicht;
Die zarten Purpurnebel,
Nach wonnevollen Melodien
Hinfluthend durch das Götterhaus,
Gehorchten jeder leisen Willensregung.
Auf ihre weichen Wogen lehnte sich
Der Geist, und machte, von der Wonne rings
Befangen, nicht Gebrauch vom hehren Vorrecht
Der Tugend und der Weisheit.

»Geist!« also sprach die Fee,
Und wies zum prächt'gen Dome hin,
»Dies ist ein Wunderanblick,
Der aller Erdengröße spottet.
Doch wär's der Tugend einz'ger Lohn, zu wohnen
In einem Himmelspalast; nur geweiht
Den Seligkeitsgefühlen, eingeengt
Im Kerker ihres Selbst: der hohe Wille
Der ewigen Natur blieb' unerfüllt.
Lern Andre zu beglücken! Komm, o Geist!
Dies ist dein hoher Lohn: – Vergangenheit
Soll auferstehn vor dir; die Gegenwart
Sollst du erschaun, und lüften will ich dir
Der Zukunft dunklen Schleier.«

Die Fee schritt mit dem Geist
Zum Rand der überhangenden Zinne hin.
Vor ihnen lag das Weltall ausgebreitet.
Dort, bis zum fernsten Saum,
Der Grenzmark für den Flug der Phantasie,
Durchkreuzten sich in wirrem Lauf
Zahlloser Welten Bahnen,
Unwandelbar doch folgend dem Gesetz
Der ewigen Natur.
Und droben, drunten rings
Bewegten sich die Weltsysteme
In labyrinthischer Harmonie;
Und durch des Raumes Tiefen,
Mit festem Ziel und in beredtem Schweigen,
Verfolgte jedes seinen Wunderpfad.

Ein kleines Licht erglomm
In weiter Nebelferne;
Nur eines Geistes Auge
Erspähte diesen kreisenden Ball;
Nur eines Geistes Auge,
Und nur in jenem himmlischen Palast,
Vermochte jede Handlung der Bewohner
Der Erde drunten zu erschaun.
Denn Stoff und Raum und Zeit
Sind wirkungslos in jener Aetherwohnung,
Und die erhabne Weisheit, dort gereift
Zu höherer Vollendung, überfliegt
Die Hindernisse, die ein ird'scher Geist
Nicht zu bekämpfen wagt.

Die Fee wies auf die Erde hin.
Des Geistes innres Auge
Erkannte dort die Wesen seiner Art.
Dem flücht'gen Blick erschien der Tausende
Gewimmel wie ein Ameishaufen.
Wie wunderbar, daß selbst
Gewinnsucht, Leidenschaft und Vorurtheil,
Die in dem niedrigsten Geschöpf sich regen,
Ja selbst die leiseste Berührung
Des feinsten Nerven, die im Menschenhirn
Den flüchtigsten Gedanken weckt, ein Glied
Wird in der großen Kette der Natur!

»Schau«, rief die Fee, »Palmyra's
Paläste, Moder nun und Staub!
Schau! wo die Macht gedräut,
Schau! wo die Lust gelacht,
Was blieb? – Nur die Erinnrung
An Unverstand und Schmach.
Was ist dort ewig? – Nichts.
Es steht nur da, zu künden
Ein traurig trübes Märchen,
Ein grauses Warnungswort.
Bald tilgt Vergessenheit
Die letzten Spuren seines Ruhms.
Stolz schritten Kön'ge und Erobrer
Dort über Millionen Sklaven hin, –
Erdbeben für das menschliche Geschlecht,
Und diesen gleich vergessen, wenn verweht
Die Trümmer ihres unheilvollen Werks.

»Den ew'gen Nil entlang
Erhoben Pyramiden sich.
Der Nil wird seinen Pfad auch fürder wallen,
Sie aber werden sinken,
Ja, nicht ein Stein bleibt übrig, zu verkünden
Die Stätte, wo sie einst geragt;
Selbst ihre Lage wird vergessen sein,
Wie des Erbauers Name!

»Schau jenen dürren Fleck!
Wo jetzt des Beduinen Wanderzelt
Im Sturm der Wüste flattert,
Dort hob einst Salem's stolzer Tempel
Zum Himmel seine tausend goldnen Kuppeln,
Und auf sein Schmachgepränge sah
Der Tag erröthend nieder.
Ach, manche Wittwe, manche Waise fluchte
Dem Bau des Tempels wohl, und mancher Vater,
Ermattet von der Sklavenarbeit, flehte
Zum Gott der Armen, daß er niederstürze
Das goldne Haus, und seine Kinder rette
Von dem verhaßten Werke, Stein auf Stein
Zu thürmen, ihres Lebens schönste Tage
Vergiftend, einem kind'schen Greis zur Frohn.
Dort heulte ein entmenscht und roh Geschlecht
Verruchte Hymnen einem Dämon-Gott;
Sie stürzten in den Krieg, dem Mutterleib
Entrissen sie das ungeborne Kind, –
Alter und Jugend sanken gleicherweis
Dahin, kein athmend Wesen ward verschont
Bei ihrer Waffen Sieg – sie waren Teufel!
Doch was war er, der sie gelehrt: der Gott
Der gütigen Natur empfände Lust
Und Wohlgefallen an dem blut'gen Werk?
Sein Name und der ihrige vergehn,
Und all die Märchen, die Betrug erzählt
Von dem Barbarenvolk, bis sie der Schrecken
Zuletzt beglaubigt, scheuchen selber sich
Hinüber in Vergessenheit.

»Wo Rom, Athen und Sparta standen,
Ist eine Geisteswüste jetzt.
Die ärmlichen und niedern Hütten,
Die noch elenderen Paläste,
Im Gegensatz zu jenen alten Tempeln,
Hinmodernd in Vergessenheit;
Die langen, öden Säulenreihn,
Durch die der Freiheit Schatten schreitet,
Sie gleichen einem wohlbekannten Lied,
Das einst so wonnig uns erklang, doch jetzt
Mit Trauer uns erfüllt.
Ach! aber wie viel größer ist der Wandel,
Und wie viel düstrer der Kontrast
Des Menschengeistes hier!
Wo Sokrates erblich, verbreitet Tod
Ein Thor und Feigling, ein Tyrannenknecht,
Und sinkt dann schaudernd selbst ins Grab.
Wo Cicero und Antonin gelebt,
Da betet, flucht und trügt
Ein heuchlerischer Mönch.

»Zehntausend Jahre, Geist,
Sind kaum dahingerauscht,
Seit in der Wüste, wo der Wilde jetzt
Das Blut des Feindes trinkt,
Und wo, nachäffend Europäern, er
Unheil'gen Kriegsgesang erweckt,
Sich eine Stadt erhob,
Des Westlands stolze Metropole.
Die moosbewachsne Säule,
Zermürbt vom rastlos nagenden Zahn der Zeit,
Die Allem einst zu trotzen schien,
Nur nicht dem Untergang des Vaterlands;
Die weiten Urwaldsstrecken,
In ungepflegter Schönheit hingedehnt,
Wie Gärten, lang verwildert,
Sie scheinen Dem, der willenlos durch Zufall
Den Schritt in diese Wüstenei gelenkt,
So hier zu stehen, seit die Erde steht.
Und doch war einstmals ein geschäft'ger Ort,
Ein Mittelpunkt des Handels hier, wohin
Der Fremden reichbeladne Schiffe fuhren;
Freiheit und Friede segneten
Die wohlbebaute Flur;
Doch Gold, der Menschen Fluch,
Verheerte grimm die Blüthe ihres Glücks,
Tugend und Weisheit, Wahrheit, Freiheit flohn,
Und kehren nimmer, bis der Mensch erkennt,
Daß sie allein die Seligkeit gewähren,
Die einer Seele würdig, welche fühlt,
Daß sie von ew'ger Art.

»Auf jener Erd' ist kein Atom,
Das nicht im Menschen einst gelebt;
Ja, selbst der kleinste Regentropfen,
Der in der dünnsten Wolke hangt,
Floß einst in Menschenadern;
Und von dem brennenden Sand,
Wo Lybiens Löwen brüllen,
Und von der schwärzesten Schlucht
Des sonnenlosen Grönlands,
Bis wo im Sonnenlichte
Auf Englands reichen Fluren
Die goldne Ernte blitzt,
Erspähst du keinen Fleck, wo einst
Nicht eine Stadt gestanden.

»Wie seltsam ist des Menschen Stolz!
Ich sag' dir: alle jene Wesen,
Für die des Grases schwacher Halm,
Der mit dem Morgen sprießt,
Und vor dem Mittag dorrt,
Ein unbegrenztes Weltall ist; –
Ich sag' dir: jene unsichtbaren Wesen,
Die in dem kleinsten Theil
Des freien Aethers wohnen,
Sie denken, fühlen, leben wie der Mensch;
Und ihre Liebe und ihr Haß erzeugt,
Wie bei dem Menschen, das Gesetz,
Das all ihr Thun beherrscht;
Und die geringste Wallung,
Die ihren zarten Leib
Unmerklich fast durchzuckt,
Ist unerläßlich und bestimmt,
Wie das erhabene Gesetz,
Das jene Sonnen lenkt.«

Die Feenkön'gin schwieg.
Der Geist empfand bewundernd und entzückt,
Wie das Vergangne sich vor ihm belebte;
Die Wundertaten alter Zeit,
Die bruchstückweis die dunkle Sage nur
Leichtgläub'gem Volk erzählt, entrollten sich
In folgericht'ger Reih' dem Blick,
Doch von der Ferne Nebeln sanft umschleiert.
Der Geist schien hoch zu stehn
Auf einsam steiler Bergeshöh',
Die kämpfende Fluth der Zeiten unter ihm,
Des unbegrenzten Weltalls Tiefe
Zu Häupten ihm, und ringsumher
Die wandellose Harmonie
Der ewigen Natur.

 

III.

»Fee!« sprach der Geist, und blickte
Mit seinen Aetheraugen
Die Zauberkön'gin an;
»Hab Dank! du schenktest mir
Ein Gut, das mir aufs höchste werth, und lehrtest
Mich eine Lehre, die mir ewig bleibt.
Ich kenne die Vergangenheit, sie soll
Mir Rath und Warnung für die Zukunft sein,
Daß Heil aus Irrthum blüh', Gewinn aus Thorheit
Dem sterblichen Geschlecht;
Denn, ist die Kraft, den Brüdern Glück zu spenden,
Dem Willen gleich, so thut der Menschenseele
Kein andrer Himmel noth.«

Mab.

Merk auf, erhabner Geist!
Viel bleibt dir noch verborgen.
Du kennst des Menschen Größe,
Kennst seine Schwachheit auch.
Jetzt lerne, was er ist;
Erfahre jetzt das hohe Ziel,
Zu welchem ohne Rast
Die Zeit Jedweden führt.

Schau dort den Prachtpalast, der seine Thürme
Inmitten jener volkbelebten Stadt,
Selbst eine Stadt, erhebt. In finstern Reihn,
Und schweigend, stehn die Wachen um ihn her;
Wer ihn bewohnt, kann nimmer glücklich sein,
Noch frei; – vernimmst du nicht der Waisen Flüche,
Vernimmst die Seufzer der Verlass'nen nicht?
Der König geht vorbei, auf seiner Brust
Die goldne Kette, welche seinen Geist
Gefesselt an Verworfenheit, – der Thor,
Den seine Schranzen Herrscher nennen, während
Er Sklav der niedrigsten Begierden ist; –
Ihn kümmert nicht der Armuth Schmerzensschrei;
Er lächelt bei dem Fluch, den insgeheim
Das Elend murmelt; eine finstre Lust
Durchbebt sein blutlos Herz, wenn Tausende,
Vom Hungertod zu retten Weib und Kind,
Nur um die Brocken wimmern, die sein Schwelgen
In freudelosem Prunkgelag verprasst; –
Hört er die Schreckensmähr, so beugt er sich
Zu eines Höflings stets bereitem Antlitz,
Das ihm Beistimmung heuchelt, und erstickt
Die Gluth der Scham, die wider Willen ihm
Die Schlemmerwange röthet.

Jetzt zum Mahl
Dem stummen, üppig prächt'gen, schleppt er hin
Die schale, übersättigte Begier.
Wenn blitzendes Gold und Speisen sonder Zahl
Aus jeder Zone seiner Sinne Stumpfheit
Besiegen könnten; – wenn der Reichthum nicht
Den Quell, aus dem er schöpft, vergiftete; –
Und wenn das fühllos harte Laster nicht
Die Nahrung ihm in tödlich Gift verkehrte:
So wär' der König glücklich, und der Landmann,
Der gern sein Tagewerk vollbringt, genießt
Kein süßres Mahl, wenn Abends heim er kehrt,
Und an der Gluth des trauten Herdes wieder
Sein Weib, dem all sein Mühen gilt, begrüßt!

Sieh jetzt ihn auf dem prächt'gen Lager ruhn!
In Fieberträumen kreist sein Hirn – doch, ach!
Zu bald entflieht der Schlaf der Völlerei,
Und des Gewissens immer rege Schlange
Ruft ihre gift'ge Brut zum nächt'gen Werk.
Horch auf, er spricht! o schau sein irres Aug –
O schau sein todtenbleich Gesicht!

Der König.

»Kein Ende!
O, soll dies ewig währen? Grauser Tod,
Ich wünsch' und dennoch fürcht' ich dein Umarmen!
Kein Augenblick traumlosen Schlafs! O holder
Und segensvoller Friede, warum birgst
Im Elend und in Kerkertiefen du
Dein reines Antlitz? warum treibst du dich
Umher mit Tod, Gefahr und Einsamkeit,
Und fliehst den Tempel, den ich dir erbaut?
O heil'ger Friede, kehr nur einmal ein
Bei mir, nur einen Tropfen Balsam geuß
Erbarmungsvoll in meine welke Brust!«

Du eitler Thor! sein Tempel ist das Herz
Des Tugendhaften, und der Friede wird
Sein Schneegewand in solcher eklen Wohnung,
Wie deiner, nicht beflecken. – Horch! er murmelt;
Sein Schlaf ist nur ein Kampf voll Todesqualen,
Die, Skorpionen gleich, das Mark des Lebens
Zerfressen. Da bedarf's der Hölle nicht,
Die Frömmler, Irrenden zur Straf', erschaffen: –
Die Erde selbst beut mit dem Uebel auch
Die Heilung dar; die allgenügende
Natur kann zücht'gen, wer an ihr gefrevelt,
Und sie allein mißt nach des Fehltritts Maß
Gerecht die Strafen ab. –

Ist's wunderbar,
Daß dieser arme Thor noch seiner Qual
Sich rühmt, an seiner Niedrigkeit sich freut,
Den Skorpion noch pflegt, der ihn verzehrt?
Ist's wunderbar, daß auf dem Dornenthron,
Ein Eisenscepter tragend, eingemauert
In einen prächt'gen Kerker, dessen Grenzen
Von Jeglichem ihn scheiden, was die Erde
Gutes und Liebes beut, – daß seine Seele
Sich nicht auf ihre Menschlichkeit besinnt?
Daß nicht des Menschen sanftere Natur
Sich wider eines Königs Amt empört?
O nein, es ist mit nichten wunderbar;
Gleich dem gemeinen Mann, denkt, fühlet, lebt
Und handelt er, just wie sein Vater einst;
Der Satzung und Gewohnheit Mächte sind's,
Die einen König von der Tugend scheiden.
Seltsamer noch mag's Denen, welche nicht
Verstehen die Natur, und nicht die Zukunft
Herleiten aus der Gegenwart, erscheinen,
Daß nicht Ein Sklav, der unter den Verbrechen
Des Scheusals leidet, nicht Ein Unglücksel'ger,
Deß Kinder hungern, dessen bräutlich Bett
Der Erde mitleidloser Busen ist,
Den Arm erhebt, ihn von dem Thron zu schmettern!

Und jene goldnen Fliegen, die sich wärmen
Im Sonnenschein des Hofs, von seiner Fäulniß
Und Korruption sich nähren – was sind sie?
Die Drohnen der Gesellschaft. Von den Mühn
Des Arbeitsamen zehren sie; der Bauer,
Verhungernd, zwingt für sie der harten Scholle
Die Ernte ab, die selbst er nicht genießt;
Und jene schmutzige Gestalt, die hagrer
Als fleischlos Elend, die ein sonnlos Leben
Im ungesunden Schacht des Bergwerks führt,
Schleppt sich in langer Qual dem Tode zu,
Um ihrer Pracht zu stöhnen; Viele sinken
Ermattet von der Arbeit hin, daß Wen'ge
Der Trägheit Pein und Sorgenlast erfahren.

Woher entsprossen Kön'ge und Schmarotzer?
Woher der Drohnen unnatürlicher Schwarm,
Der Müh' und unbesiegbar Elend häuft
Auf Jene, die Paläste ihnen baun
Und ihnen fromm ihr täglich Brot bereiten? –
Das Laster zeugte sie, das schwarze Laster,
Das scheußliche; Raub, Wahnsinn, Trug, Verrath;
Und Alles, was den Jammer schafft, und aus
Der Erde diese dornige Wüste macht;
Die bösen Lüste, Rachgier, Haß und Mord ...
Und wenn die Stimme der Vernunft dereinst,
Laut wie die Stimme der Natur, die Völker
Erweckt; und wenn der Mensch erkennen wird,
Daß Laster Zwietracht ist und Krieg und Elend,
Und Tugend Friede, Glück und Harmonie;
Wenn der gereifte Mensch verachten wird
Das Spielzeug seiner Kindheit: – so verliert
Der königliche Glanz die Macht, zu blenden;
In Schweigen sinkt sein Herrscherrecht dahin;
Der prächt'ge Thron vermodert unbeachtet
Im Königssaal; und so verhaßt wird sein,
So allen Vortheils baar der Lüge Werk,
Wie jetzt der Wahrheit Dienst.

Wo ist der Ruhm,
Den allzugern die Mächt'gen dieser Erde
Verewigen möchten? Ach, der schwächste Schall
Vom leisen Schritt der Zeit, die kleinste Welle
Im Strom der Jahre schlingt ins Nichts hinab
Die luft'ge Blase. Siehe, streng ist heut
Und finster des Tyrannen Machtgebot,
Es glüht sein Auge, das Vernichtung blitzt,
Stark ist sein Arm, der Tausende zerschmettert.
Der Morgen kommt! und sieh, das Machtwort ist
Ein Donner, der in alter Zeit verscholl;
Der Blick ein flücht'ger Blitz, den schnell die Nacht
In Dunkel barg; und an dem Arme hält
Der Wurm sein Mahl.

Der tugendhafte Mensch,
Der groß in seiner Demuth ist, wie klein
In ihrer stolzen Pracht die Kön'ge sind;
Der Edle, rastlos nach dem Guten eifernd,
Und freier in des Kerkers düsterm Schweigen,
Furchtloser wandelnd, als der bleiche Richter,
Der, ins Gewand der feilen Macht gehüllt,
Vergebens seinen ungebeugten Geist
Zu fesseln rang: – o, Wenn der Edle fällt,
So glänzt sein mildes Aug' nicht mehr von Liebe,
Welk ist die Hand, die Tausende erquickt.
Verstummt der Weisheit schlichtberedtes Wort,
Das nur den Schuld'gen schreckte; ja, das Grab
Hat ausgelöscht das Auge, Todesfrost
Den Arm erstarrt: – allein der Kranz, den ihm
Niewelkend auf das Grab die Tugend legt;
Der ewige Ruhm des Manns, an den die Kön'ge
Mit Zittern denken; die Erinnerung,
Mit der der sel'ge Geist froh überschaut
Die wohlvollbrachte Erdenwallfahrt,
Sie schwinden nimmerdar!

Natur verwirft den Herrscher, nicht den Menschen;
Den Unterthan, doch nicht den Bürger; – Kön'ge
Und Unterthanen, sich befehdend, spielen
Ein Spiel allewig, das Verlust nur bringt,
Und dessen Einsatz Laster ist und Elend.
Der Gute will nicht herrschen, noch gehorchen.
Die Macht befleckt, verheerendem Pesthauch gleich,
Was irgend sie berührt; und der Gehorsam,
Der dem Genie, der Tugend, Freiheit, Wahrheit
Ein tödlich Gift ist, macht des Menschen Leib
Zum Sklaven, seinen Geist zum Automaten.

Als Nero über Roma's Flammen hoch
In wilder Lust, ein Dämon, lauerte,
Und mit entzücktem Ohr das Schmerzgeheul
Der Sterbenden vernahm, und ringsumher
Verbreitet sah die gräßliche Verwüstung,
Und einen neuen Sinn vor seinem Blick
Erstehn, in seinem Ohr erbeben fühlte: –
Glaubst du, daß seine hohle Größe nicht
Des Menschenherzens Sanftheit überwunden?
Und daß, wenn Rom mit Einem finstern Schlag
Nicht stürzte den Tyrannen, und den Arm,
Gefärbt mit seinem besten Blut, zermalmte,
Nicht unterwürfiger Kleinmuth der Natur
Erhabenes Gesetz vernichtete?

Zur Erde schau! Die goldne Ernte sprießt;
Allewig strahlt die Sonne Licht und Leben;
Frucht, Blume, Baum erstehn im Wechsellauf;
Und Alles athmet Lieb' und Harmonie
Und Frieden. In der still beredten Sprache
Der wirkenden Natur bezeugt die Welt,
Daß Alles rings der Lieb' und Freude Werk
Erfüllet, – nur nicht der verworfne Mensch.
Er schmiedet sich das Schwert, das seinen Frieden
Erschlägt; er nährt die Schlangen, die sein Herz
Zernagen; er erhebet den Tyrannen,
Der Wonne fühlt bei seinem tiefsten Weh,
Und seiner Qualen spottet. Jene Sonne,
Scheint sie den Mächtigen allein? und ruhn
Dort jene Silberstrahlen minder süß
Auf niederm Hüttendach, als auf der Kuppel
Des Fürstenhauses? Ist die Mutter Erde
Stiefmutter ihren Millionen Söhnen,
Die sich in harter Arbeit rastlos mühn,
Und, was sie ernten, nimmer theilen dürfen?
Ist Mutter sie den Lotterbuben nur,
Die, großgepflegt in Ruh' und Ueppigkeit,
Den Menschen nur zum Kinderspielwerk brauchen,
Und jenen Frieden, den der Mensch allein
Zu schätzen weiß, in aufgeblasnem Stolz
Und Kinderlaune stören?

Geist der Natur! o nein!
Der reine Ausfluß deines Wesens strömt
Durch jedes Menschenherz.
Errichtet hast du dort
Den Thron der höchsten, ewig heil'gen Macht;
Du bist der Richter, dessen Wink
Des Menschen kurze, schwache Kraft
Ohnmächtig schwinden läßt,
Dem Wind gleich, der vorüberweht.
So hoch steht über irdischem Gerichte
Dein Tribunal, wie Gott
Hoch über Menschen steht.

Geist der Natur! du Leben
Endloser Myriaden rings im All;
Du Seele jener mächt'gen Sphären,
Die wandellos den Himmelspfad durchziehn;
Geist jenes kleinsten Wesens,
Das in dem Sonnenstäubchen
Des Frühlings lebt und wohnt: –
Der Mensch, gleich Allem, was da fühllos webt,
Erfüllt bewußtlos deinen Willen;
Für ihn auch reift heran
Die Zeit des ewigen Friedens,
Die bald und sicher kommt;
Die grenzenlose Welt, die du durchdringst,
Wird sonder Fehl dann glänzen
In ungetrübt vollkommner Harmonie.

 

IV.

Wie schön ist diese Nacht!
Der duftigste Seufzer,
Den Frühlingswinde hauchen in das Ohr
Des Abends, störte das beredte Schweigen,
Das rings die Flur umhüllt. Die dunkle Wölbung
Des Himmels, hell von Sternen überblitzt,
Durch die des Mondes unbewölkter Glanz
Hinwandelt, scheint ein Baldachin, den Liebe,
Die schlummernde Welt zu schützen, ausgespannt.
Die sanften Hügelreihen dort, gekleidet
In ein Gewand von unbetretnem Schnee;
Der dunkle Fels, behängt mit Eiseszacken,
So fleckenlos, daß ihre weißen Spitzen
Des Mondes reinen Strahlenglanz nicht färben;
Die burggekrönte Höhe, deren Banner
So müßig überm morschen Thurme hängt,
Daß die verzückte Phantasie darin
Ein Bild des Friedens sieht: – das Alles bildet
Hier einen Schauplatz, wo die Einsamkeit
Sich sinnend über dieser Erde Kreis
Erheben, wo das ungestörte Schweigen,
Durch Nichts beirrt, alleine wachen möchte,
So kalt, so schön, so still.

Das Tagsgestirn
Sinkt, lächelnd hold, auf südlichen Gefilden
Ins wogenlose Meer; kein Hauch erregt
Die stille Tiefe; Abendwolken spiegeln
Reglos den letzten zögernden Tagesstrahl,
Und auf dem Westmeer ruht des Abends Bild
In hehrer Schöne. Doch der Morgen kommt;
Und Wolk' auf Wolke wälzt in finstern Massen
Sich übers schwarze Meer; furchtbar ergrollt
Des fernen Donners Murren; und der Sturm
Entfaltet seine Schwingen ob dem Dunkel,
Das grauenvoll der Wogen Kampf umhüllt;
Erbarmungslos mit allen seinen Stürmen
Und Blitzen hetzt der Dämon seinen Raub;
Die aufgeriss'ne Tiefe gähnt, – das Schiff
Versinkt ins zackig dräuende Wogengrab.

Ha! welche Gluth erhellt des Himmels Wölbung?
Welch düsterrother Qualm verhüllt den Mond?
Der Sterne Glanz erlischt, der reine Schnee
Blinkt matt nur durch das Dunkel ringsumher.
Horch! dies Gedröhn, deß schnelle Donnerschläge
Endlos im Echo hallen durchs Gebirg,
Die bleiche Nacht auf ihrem Sternenthron
Erschreckend! Näher jetzt ertönt der Lärm:
Der platzenden Bombe fürchterlich Gekrach;
Das stürzende Gebälk, der Schrei, das Wimmern,
Der Schlachtruf, das nicht endende Geklirr,
Wuthtrunkner Krieger Prall und Gegenprall:
Und laut und immer lauter wird die Schlacht,
Bis daß der blasse Tod die Scene schließt,
Und um den Sieger und Besiegten hüllt
Sein kalt und blutig Leichentuch. Von allen
Den Männern, die des Tages scheidender Strahl
In stolzer Kraft und Frische blühen sah;
Von all' den Herzen, welche sorgenvoll
Beim Untergang der Sonne dort erbebten: –
Wie wen'ge leben jetzt, und schlagen noch!
Rings Alles Schweigen, gleich der grausen Ruhe,
Die in des Sturmes Unheilspause schlummert; –
Nur daß der Wind vorüber dann und wann
Der Wittwe wahnsinnwirre Klage trägt,
Oder den Seufzerhauch, mit dem ein Geist
Die Staubeshülle seiner Kämpfe sprengt.

Der graue Morgen dämmert jetzt empor
Ueber dem Trauerbild; der Schwefeldampf
Rollt langsam vor dem eisigen Wind hinweg,
Und auf dem Schneegeflimmer spielt der Strahl
Des frostigen Morgens. Tief bis in den Wald
Sind blut'ge Spuren; und verstreute Waffen
Und todte Krieger, deren harte Züge
Sogar der Tod nicht mildern konnte, weisen
Der Sieger grausen Pfad; dahinter fern
Verkünden schwarze Haufen Asche jetzt,
Wo ihre stolze Stadt gestanden hat.
In jenem Wald ist eine finstre Schlucht –
Ein jeder Baum, der vor dem Tag ihr Dunkel
Beschützt, rauscht über eines Kriegers Grab.

Du schauderst,
Erhabner Geist! – o, wärst du menschlich sonst?
Ich sehe, wie in deinem reinen Antlitz
Ein Schatten sich von Graun und Zweifel malt.
Doch fasse dich! Nicht sonder Ursach ist,
Nicht unbedingt, noch sühnelos dies Elend.
Des Menschen böser Wille, den die Kön'ge
Mitsammt den Feigen, die ins Joch sich schmiegen,
Zum Vorwand ihrer Frevel brauchen, er
Vergießt das Blut nicht, das das Land verheert.
Des Krieges Schöpfer sind die Könige,
Staatsmänner, Priester, deren Schutz und Schirm
Der Menschen Elend ist, und deren Größe
Auf ihre Niedrigkeit sich baut. – Die Art
Legt an die Wurzel, und der Giftbaum fällt;
Und wo sein Pesthauch Weh, Verderben, Tod
Verbreitete, wo Millionen Leichen
Der Schlangen Hunger stillten, unbeerdigt
Im faulen Luftzug ihre Knochen bleichten,
Da wird ein Garten prangen, lieblicher
Als Edens Fabelparadies.

Hat denn
Die Seele der Natur – (die diese Welt
So schön gebildet, die den Schoß der Erde
Mit Segen füllte, und die kleinste Saite
Des Lebens wob zu ew'ger Harmonie,
Sein Nest im Hain dem muntern Vogel gab,
Wie sie den Wanderern der Tiefe gab
Des unermess'nen Meeres lieblich Schweigen,
Und selbst dem niedrigsten Gewürm im Staub
Die Kraft gewährt, zu denken und zu lieben) –
Hat sie in blinder Tücke, ursachlos
Parteiisch, nur dem Menschen aufgebürdet
Verderben, Laster, Sklaverei? Die Seele
Mit Blitzen tödlicher Flüche ihm versengt?
Den Stern des Glücks so fern ihm hingestellt,
Daß er entflieht vor seiner Hand, und nur
Den grausen Abgrund, der zu seinen Füßen
Weitklaffend gähnt, erhellt?

Natur! – o nein!
Staatsmänner, Kön'ge, Priester schädigen
Der Menschheit Blüthe schon in zarter Knospe;
Es sickert durch die blutentleerten Adern
Der öden, wüst verkommenen Gesellschaft
Ihr Einfluß, feinem Gifte gleich. Das Kind,
Eh's noch der Mutter heil'gen Namen lallt,
Ist schon erfüllt von unnatürlichem
Verbrecherstolz, und hebt sein Kinderschwert
In eines Helden grimmer Art empor.
Ach! dieser Arm wird einst die blutige Geißel
Der armen Erde, während große Namen,
In harmlos sanfter Kinderzeit gelernt,
Dem Mann als Hülle dienen, zu umdunkeln
Die klare Leuchte der Vernunft, und gar
Das Schwert zu heil'gen, das, zum Kampf gezückt,
Schuldloser Brüder Blut vergießen soll.
O, laßt von Pfaffentrug bethörte Sklaven
Nicht mehr verkünd'gen, daß des Menschen Erbtheil
Elend und Laster sei, wenn schon Gewalt
Und Lüge an des Säuglings Wiege stehn,
Und alles angeborne Gute roh
Ersticken.

Wie so öd und finster dehnt
Sich vor der Seele, – wenn, ein Fremdling, sie
Zuerst aus ihrer neuen Wohnung umblickt
Nach Glück und Mitgefühl, – die weite Welt!
Wie sind verwelkt die Knospen alles Guten!
Kein Schirm, kein Obdach vor den wilden Stürmen
Erbarmungsloser Macht! Der reine Hauch
Der Himmelslüfte, der Insektenschwärme
Erneut, umfächelt nicht ihr Jammerbild,
Vielleicht vergiftet durch das Wehe schon,
Mit dem Gesetz und Sitte ihren Vater
Belasteten. Des Tages hehrer Glanz
Erhellt ihr Sehnen nicht; sie ist gefesselt.
Bevor sie lebt; ja, all' die Ketten sind
Geschmiedet, lang bevor sie ward; und Freiheit
Und Lieb' und Frieden sind der unbewehrten
Entrissen, die von Kindheit an verflucht
Und von der Wiege an verurtheilt ist
Zu Sklaverei und Elend!

In dieser ew'gen, wechselvollen Welt
Ist nur die Seele jener feste Kern,
Der seit Aeonen unverändert blieb.
Der unbewegte Pfeiler, der die Last
Des Berges trägt, ist der lebend'ge Geist.
Ein jeder Theil empfindet sich als Einheit
Und auch als Theil; das winzigste Atom
Umschließet eine Welt von Lieb' und Haß;
Und diese zeugen Gutes sowie Böses;
Den Ursprung haben Wahrheit dort und Lüge,
Gedanke, Wille, That und alle Keime
Von Lust und Schmerz, von Mitgefühl und Haß,
Die bunt verändern diese ew'ge Welt.
Die Seele ist nicht mehr befleckt, als droben
Der Sonne reines Licht, eh' seine Strahlen
Der erdgeborne Dunstkreis trüb umhüllt.
Der Mensch ist Geist und Körper, ist geschaffen
Zu hohen Thaten, unermüdet sich
Im kühnsten Schwunge seiner Phantasie
Emporzuheben, furchtlos zu verwandeln
Qualvollsten Schmerz in Frieden, und die Freuden,
Die Geist und Sinne bieten, zu genießen.
Wo nicht, so ist er zu Verworfenheit
Und Elend nur geboren, nur bestimmt,
Sich in dem Schmutze seiner Angst zu fühlen,
Bei jedem Schall zu beben, und die Flamme
Der Lieb' im Sinnentaumel zu ersticken,
Und dermaleinst die Stunde noch zu segnen,
In der des Todes frostige Hand ihr Siegel
Auf seines Lebens ekle Tage seht, –
Die Krankheit hassend, doch die Heilung fürchtend.
Das eine Bild – der Mensch in künft'ger Zeit;
Das andre Bild – der Mensch, wie ihn das Laster
Erniedrigt jetzt.

Krieg ist des Staatsmanns Spiel,
Des Priesters Lust, des Richters Scherz, das Handwerk
Des feilen Meuchlers, und für die gekrönten
Mordbuben, deren Throne durch Verrath
Und Blut und Frevel jeder Art erkauft,
Ihr täglich Brot, die Stütze ihrer Macht.
Um ihren Palast stehn, blutroth gekleidet,
Die Wachen, nehmen Theil an den Verbrechen,
Die roher Zwang vertheidigt, und beschützen
Vor eines Volkes grimmer Wuth den Thron,
Den alle Flüche treffen, die der Hunger,
Die Noth, der Wahnsinn und das Elend athmen.
Dies die gedungnen Bravos des Tyrannen,
Die Kron' und Scepter ihm vertheidigen, –
Die Poltrer seiner Furcht, die Schmutzgefäße
Des schlimmsten Lasters, der Gesellschaft Auswurf,
Die Hefe niedrigster Verworfenheit.
Ihr kaltes Herz vereint Betrug mit Härte,
Dummheit mit Stolz, und Alles, was gemein
Und schurkisch ist, mit einer Wuth, die nur
Verzweiflung an der Tugend und Verachtung
Des eignen Werthes so entflammen konnte.
Man spendet ihnen Reichthum, Ehr' und Macht,
Und sendet sie dann aus, ihr Werk zu thun.
Die Pest, die, eine grause Siegerin,
Des Ostens Land durchzieht, ist minder furchtbar.
Mit Gold und Ruhmeshoffnung schmeicheln sie
Dem Jüngling, dem gedankenlosen Thoren,
Den schon die Sklaverei gebeugt; zu spät
Erkennt sein Elend er, und bitterlich
Bereut er sein Verderben, wenn sein Loos
Mit Gold und Blut besiegelt ist!

Tyrannendiener sind auch, die geschickt
Das Recht in der Gesetze Netz verstricken,
Den Schwächern zu bedrücken stets bereit;
Ob Recht, ob Unrecht, ihnen ist für Gold
Jedwedes feil; mit Hohn belächeln sie
Die schlichte Tugend, die, erbarmungslos
Von ihrem Tritt zermalmt, im Staube liegt,
Derweil man hoch der Wahrheit Schänder ehrt.

Auch ernste Heuchler mit ergrautem Haar,
Die, ohne Hoffnung, Lieb' und Leidenschaft,
Sich durch ein üppig Leben voller Lug
Mit Schmeichelei zum Sitz der Macht empor
Gewunden, stützen eifrig das System,
Das sie zu Rang und Ehr' und Würden hob.
Drei Worte haben sie, – und wohl verstehn
Tyrannen sie zu brauchen; trefflich zahlen
Mit Wucherzinsen, die der blutenden Welt
Entrissen, sie der Worte Darlehn ab!
Gott, Höll' und Himmel! – Ein erbarmungsloser,
Rachsuchterfüllter und allmächt'ger Dämon,
Deß Gnade nur ein Hohnwort für die Wuth
Der wilden, blutbegier'gen Tiger ist.
Die Höll' – ein rother Schlund voll ew'gen Feuers,
Wo gift'ge Schlangen ew'ge Qualen noch
Den armen Sklaven schaffen, deren Leben
Die Strafe schon für ihre Sünden war.
Der Himmel – jenes Bösewichtes Lohn,
Der seine menschliche Natur entweiht,
Der glaubt und zittert, und im Staube kriecht
Vorm eitlen Tand der irdischen Gewalt.

Die Instrumente dies, die der Tyrann
Zu seinem Werk sich schmiedet, zürnend schwingt,
Und, wenn sein Wille es erheischt, zerstört,
Allmächtig in Verruchtheit. Unterdeß
Entsprießt die Jugend, welkt das Alter hin,
Erfüllt die Mannheit sklavisch sein Gebot,
Die er durch flüchtigen Genuß besticht,
Der Schwäche seines Armes Kraft zu leihn.
Sie steigen, und sie fallen; Ein Geschlecht
Weiht seine Ernte der Vernichtung Sichel;
Es welkt, ein andres blüht; doch sieh, es flammt
Auf seiner Stirn der Stempel des Tyrannen,
Der in dem Keime schon den Lenz ertödtet.
Er hat erfunden lügnerische Worte,
So hohl und nichtig wie sein falsches Herz,
Zweizüngige Phrasen, tönenden Bombast,
Die Opfer, die sich arglos nahn, ins Netz
Zu locken, das ihr Paradies umspannt.

Beschau dich selbst, Erobrer, Priester, Fürst,
Ob all dein Thun nicht Lug ist, deine Lüste
Nicht schwelgen in dem Schweiß des armen Manns,
Mit dem dein Heiland war; – ob du entzückt
Die Tausende Erschlagener nicht zählst,
Und alles Elend Nichts dir wiegt, wenn nur
Die Schale deines kurzen Ruhms sich füllt; –
Ob du nicht Feigheit und Verbrechen häufst
Aufs seufzende Land, ein prunkgenährter König?
Beschau dein elend Selbst! Ach, bist du nicht
Der jammervollste Sklav, der jemals noch
Umherschlich auf der Erde, die ihn haßt?
Sind deine Tage nicht voll ekler Unlust?
Rufst du nicht, eh' die lange Qual der Nacht
Vorbei: »Wann kommt der Tag?« – Ist deine Jugend
Nicht nur ein Fiebertraum der Sinnlichkeit,
Und deine Mannheit vor der Zeit verheert
Durch Krankheit? Blickst du trostlos nicht entgegen
Und schaudernd einem unbeweinten Tod?
Ist nicht dein Geist, wie dein entnervter Körper,
Siech, ohne Kraft zu denken, hoffen, lieben?
Soll dich der Irrthum, der dir jegliches
Gefühl für Tugend raubte, überleben,
Nachdem er dir so jammervoll gelohnt,
Daß du ihn stütztest? Wenn das Grab dich selbst
Und dein Gedächtniß einst verschlang, begehrst du,
Daß sich das Giftkraut, das die Welt verpestet
Um deinen eingesargten Moder schlingt,
Deinem Gebein entsprießt, und wächst und blüht
Auf deinem Grab, damit an seiner Frucht
Sich deine Kinder sättigen und sterben?

 

V.

So steigen die Geschlechter dieser Erde
Ins Grab, und gehn aus ihrem Schooß hervor,
Und überdauern jenen ew'gen Wechsel,
Der stets die Welt erneut; dem Laube gleich,
Mit dem des Herbstes eisig scharfer Wind
Den Waldesgrund bestreut, und das, seit Jahren
Dort angehäuft, mit widerwärt'gem Moder
Das Land bedeckt und jeden Zukunftskeim
Für lange Zeit erstickt. Doch wenn die Bäume,
Von denen es verwelkt herniederfiel,
Des schönen Schmucks beraubt am Boden liegen,
Dort zu verwittern, so befruchtet es
Das Land, dem lang es eine Unzier war,
Bis auf dem freien Plan ein Wald entsprießt
Voll jugendlicher Pracht und Lieblichkeit,
Um jenem gleich, der ihm das Leben gab,
Zu grünen und zu sterben. Also muß
Die Selbstsucht, die das edelste Gefühl
Des jungen Herzens mörderisch erstickt,
Hinwelken und vergehn, und aus dem Boden
Wird Tugend, Lust und Liebe rings erblühn,
Und enden wird des Kampfes Unnatur,
Den mit der Leidenschaft die Einsicht kämpft.

Du Zwillingsschwester der Religion,
Selbstsucht! du ihre Nebenbuhlerin
In Falschheit und Verbrechen, die nachäfft
Die tollen Schrecken ihres blut'gen Spiels;
Doch frostig, geistlos, ohne Leidenschaft,
Lichtscheu, und deinen Namen feig verhehlend,
Durch deine Mißgestalt gezwungen, dich
In Flitter der Gerechtigkeit zu hüllen,
Weil deine reizlos schale Larve Alles
Hinwegscheucht, nur die Brut der Dummheit nicht.
Die Ursach ist und Frucht der Tyrannei;
Schamlos, verhärtet, sinnlich und gemein;
Nichts liebend, als die eigne Niedrigkeit,
Mit einem Herzen, das kein Trieb bewegt,
Als ungetheilte Lust, Habgier und Ruhm;
Dein eignes jämmerliches Sein verachtend,
Das seiner Bande zu entäußern, du
Den Wunsch vielleicht und doch den Muth nicht hast!

Der Handel stammt aus diesem Quell, der Schacher
Mit Allem, was Natur und Kunst uns beut;
Was Reichthum nicht erkaufen, sondern Noth
Begehren und die angeborne Güte
Frei spenden sollte aus dem reichen Quell
Der unermess'nen Liebe, welcher, ach!
Für immer nun befleckt, vertrocknet ist.
Der Handel, unter dessen gift'gem Schatten
Nicht Eine Tugend zu entsprießen wagt,
Nein, Dürftigkeit und Reichthum gleichgewaltig
Vernichtenden Fluch auf Alles niederstreun,
Und frühen, jähen Todes Thore öffnen
Der gier'gen Hungersnoth, dem Prassersiechthum
Und Allem, was das Loos der Menschheit theilt,
Die, krank an Seel' und Leib, die Kette kaum
Zu schleppen mehr vermag, die länger wird
Bei jedem Schritte und ihr klirrend folgt.

Der Handel stempelt mit der Selbstsucht Marke,
Dem Siegel allbedrückender Gewalt,
Ein glänzendes Metall, und nennt es Gold;
Vor seinem Bild neigt sich die niedre Größe,
Der eitle Reichthum, der gemeine Stolz,
Die Pöbelbrut der Bauern, Adligen,
Der Priester und der Könige; sie ehren
Verblendeten Sinnes allzumal die Macht,
Die sie hinabtritt in des Elends Staub.
Denn in dem Tempel ihres feilen Herzens
Ist ein lebend'ger Gott das Gold, und herrscht
Ob allem Ird'schen, nur der Tugend nicht.

Seitdem Tyrannen, durch Verkauf und Kauf
Von Menschenleben, ihre Sinnenlust
Mit Pracht umgeben, und den nimmersatten
Verwüster Stolz befriedigen mit Ruhm,
Hat der Erfolg die Schmach, das Weh, den Greuel
Des Kriegs geheiligt der bethörten Welt.
Die Heere blindergebener Betrognen
Zählt der Despot; aus seinem Kabinett
Lenkt er nach Lust die Puppen seiner Pläne, –
Wie Sklaven auf den Wink des rohen Herrn,
Von Hunger oder von Gewalt getrieben,
Ein Werk grausamer Plackerei verrichten,
Der Hoffnung baar, gefühllos gegen Furcht,
Die kaum lebend'gen Kloben einer todten
Maschine, Räder nur und Handelswaaren,
Des Reichthums prahlerischem Pomp zur Frohn.

Die Eintracht und das Glück des Menschen werden
Des Völkerreichthums Raub; was ihn erhebt
Zur Himmelshöhe seiner stolzen Kraft,
Verschachert er für seiner Seele Gift;
Und das Gewicht, das sein erhabnes Sehnen
Zur Erde zieht, von allen Hoffnungen
Nur die auf Geldgewinn ihm nicht versehrt,
In seinem Herzen alle Leidenschaften,
Nur nicht die feige, sklavische Furcht, erstickt,
Und jede freie Lust zu edlen Thaten
Vernichtet: – es zerstört den Funken selbst,
Den Phantasie im Menschenherzen weckt,
Daß er entflamme das Gefühl, – und läßt
Nichts übrig, als die schmutz'ge Eigenliebe,
Die gierige Hoffnung auf Gewinn und Gold,
Nackt, ungemildert, nicht einmal verdeckt
Durch Heuchelei.

Und dennoch rühmt der Staatsmann
Des Reichthums sich! Der vielberedte Mund,
Der mit dem Tod des Herzens nicht verstummt,
Kann selbst des Völkerelends bittres Gift
Vergolden, kann des knechtischen Volks Verehrung
Hinlenken von der Tugend, die im Staub
Zertreten wird, auf jenes gleißende,
Verderbte, hohle Götzenbild des Ruhms,
Ob auch sein prunkend Mal errichtet sei
Auf leichenübersätem Schlachtgefild,
Von der Verheerung schwarzem Rauch umwallt.
Der Mann des Wohlstands, der am warmen Herd
Die strebende Natur des Menschenherzens
Auf Thaten gütiger Barmherzigkeit
Und auf Erfüllung der Gemeingesetze
Des Anstands und des Vorurtheils beschränkt,
Er wird bethört durch kalter Rede Trug;
Vielleicht vergießt er eine flücht'ge Thräne
Um dieser Erde hingeschwundnen Frieden,
Wenn nah an seiner stillen Wohnung Thür
Die Schreckenswoge brandet, – wenn sein Sohn
Ein Opfer des Tyrannen, wenn sein Weib
Des Wahnsinns Raub durch Priestermärchen wird.
Allein der Arme, dessen Leben Elend
Und Angst und Sorge, den der Morgen weckt
Zu unbelohnter Müh', der seine Kinder
Nach Brot nur wimmern hört; und Nichts erblickt,
Als ihrer Mutter klaglos bleiches Antlitz,
Des Reichen stolz gebieterisches Auge,
Und, ach! das Jammerbild von Tausenden,
Gleich ihm verwaist, – ihn kümmert wenig nur
Das Wortgepräng der Tyrannei; sein Haß
Ist unauslöschlich wie sein Leid; er lacht
Des höhnisch eitlen Gaukelspiels der Worte,
Er fühlt den Schrecken der Tyrannenthat,
Und nur der Arm der Macht hält ihn gefesselt,
Die seine Feindschaft kennt und fürchtet.

Des Mangels Eisenscepter zwingt noch immer
Den Sklaven, vor dem Reichthum sich zu beugen
Und zu vergiften mit nutzloser Müh'
Ein Leben, das zu baar des Trostes ist,
Um jene Ketten zu befestigen,
Die ihn an sein unselig Schicksal binden.
In unparteiischer Großmuth hat den Menschen
Mit kräft'gem Willen die Natur begabt;
Der Stoff in wechselnden Gestalten liegt,
Der Bildung harrend, stets zu seinen Füßen,
Die zitternd wandeln, matt vom Sklavenjoch.
Wie mancher Milton schritt im Bauernkleid
Vorüber, seines Herzens wortlos Sehnen
In ruheloser Plag' und Müh' erstickend!
Wie mancher Cato aus dem Volk verwandte
Des Lebens Kraft, gebrochen und gelähmt,
Um Nadeln oder Nägel zu verfert'gen!
Wie manches Newton's unbelehrtem Blick
Erschienen jene Sphären, die voll Pracht
Am unbegrenzten Himmelsdom erstrahlen,
Als Flitter nur, am Himmel aufgehängt,
Um seines Städtleins Nächte zu erhellen!

Doch jedes Herz trägt der Vollendung Keim.
Der weiseste der Weisen dieser Erde,
Der jemals aus des Geistes Schätzen Wahrheit
Und Wissenschaft und Tugendmuth geschöpft,
Wär' nur ein schwacher, unerfahrner Knabe,
Stolz, sinnlich, ohne Eifer, nicht durchhaucht
Von allgemeiner Lieb' und reinem Streben,
Vergliche man ihn jenem Hohen Wesen
Von unumwölktem Sinn, tief edler Gluth
Und hoch erhabnem Willen, den der Tod
(Der lang in Ehrfurcht harrend zaudern würde
Vor seiner Lichtgestalt und seines Auges
Furchtlosem Strahl) alleine beugen mag.
Ihm könnte jeder Sklav, der durch den Schmutz
Verderbter Städte jetzt sein Trauerleben
Hinschleppt, von Hunger matt und Prasserei;
Der seines Geistes kühne Schwingen lähmt
Durch niedre Pläne und unwürd'ge Sorgen,
Oder sich toll in jeden Frevel stürzt,
Daß er der Seele schlammige Fluth errege,
Nachahmend gleichen.

Aber rohe Lust
Umschlang die Erde mit so festen Banden,
Daß Alles, – nur der Tugendhafte nicht, –
Erkäuflich ist. Gold oder Ruhm bezahlt
Den Preis, den Selbstsucht Jeglichem bestimmt,
Nur ihm nicht, dessen Wille fest und rein;
Denn ihn besticht des Pöbels Beifall nicht,
Und nicht die niedre Lust der Schlemmerei,
Der Seele hohe Würde hinzuopfern
Der Tyrannei und Lüge, ob sie auch
In blut'ger Hand das Weltenscepter schwingen.

Verkauft wird Alles; selbst das Licht des Himmels
Ist feil; – der Erde reiche Liebesgaben,
Die kleinsten und verächtlichsten Geschöpfe,
Die in der Tiefe dunklem Abgrund Hausen,
Des Lebens Nothdurft, ja das Leben selbst,
Das Scherflein Freiheit, welches die Gesetze
Uns gönnen, der Verkehr mit unsern Brüdern,
Die Pflichten, die aus Menschenliebe schon
Zu üben uns das Herz ermahnen sollte,
Sind käuflich, wie auf öffentlichem Markt,
Und unverhüllte Selbstsucht zeichnet Jedes
Mit seinem Preis, dem Stempel ihrer Herrschaft.
Die Liebe selbst ist käuflich; sie, der Trost
Für alles Wehe, wird zur Todesqual,
Das greise Alter bebt im schaudernden Arm
Selbstsücht'ger Schönheit, und der Jünglingsgluth
Verderbte Triebe schaffen aus dem Gift
Des Handels ein entsetzenvolles Dasein,
Indeß aus freudeloser Sinnenlust
Die Pest erzeugt wird, die das ganze Leben
Des Menschen füllt mit hydraköpfigem Leid.

Nur Gold verlangt die Heuchelei, die Qualen
Des zürnenden Gewissens zu beschwicht'gen;
Denn hoch nicht achtet seinen Söldlingsglauben
Der knechtische Pfaff; ein wenig eitler Prunk,
Und ein paar Sklavenseelen (die sogar
Die Feigheit sonder Müh' in Fesseln schlüge,
Und die des Geizes karger Lohn bestäche,
Des lauen Eifers Sieg glorreich zu feiern)
Genügen, ihn zum Fürstenknecht zu machen.
Kühnres Verbrechen fordert höhern Lohn –
Und sonder Schaudern leiht der Miethsoldat
Den Arm zum Morde dar, und stählt sein Herz,
Wenn die entsetzliche Beredtsamkeit
Der Sterbenden, erstöhnend auf des Ruhms
Verlass'nem Feld, sein Inneres ergreift,
Deß stillen Beifall er geopfert hat.
Für eines Pöbels donnerndes Hurrah,
Für schlechten Dank herzloser Könige,
Und für der kalten Welt noch schlechtres Lob!

Doch giebt es einen edlern Ruhm, der lebt,
Bis unser Dasein schwindet, der, ein Trost
In jeder Noth, uns treu im Wechsel bleibt,
Die Tugend auch im Kerker nicht verläßt,
Und ihren Schritt in Fürstenhallen sicher
Hinlenkt durch jenes Sündenlabyrinth,
Ein unerschrocken Antlitz ihr verleiht,
Selbst wenn die Rächerhand der Macht die letzte
Und schönste Würde ihr verleiht, – den Tod; –
Ein unbefleckt Gewissen, das nicht Gold,
Noch schmutziger Ruhm, noch Hoffnung auf den Lohn
Des Himmels uns erkauft; nein, nur ein Leben
Voll Biederkeit, unwandelbarem Willen
Und heißer Sehnsucht nach der Menschheit Glück, –
Das Herz, das stets mit ihm im Einklang pocht, –
Das Hirn, deß immer wache Weisheit strebt,
Des Geistes Gut um ew'ges Heil zu tauschen.

Dieser Verkehr der reinsten Tugend braucht
Kein Mittlerzeichen eigennütz'ger Selbstsucht,
Kein eifersüchtig Trachten nach Gewinn,
Und nicht der Klugheit kaltes, langes Wägen;
Gerecht und gleich wird Alles hier gewogen,
In einer Schale liegt der Menschheit Wohl,
Und in der andern liegt des Edlen Herz.

Wie fruchtlos strebt der Selbstling nach dem Glück,
Das nur der Tugend wird! Verblendet ist,
Wer in der Sorgen Sturm auf Frieden hofft,
Wer Macht wünscht, die er nicht zu brauchen weiß,
Nach Freuden seufzt, die Andern er verwehrt; –
Zu nichte macht er toll die eignen Pläne;
Und wo er hofft, der Ruhe zu genießen,
Die uns die Tugend malt, da zehren Gram,
Selbstquälerei, Verbittrung, eitle Reue,
Siechthum und Ekel und Verdrossenheit
Sein werthlos jammervolles Leben auf.

Allein die Selbstsucht mit dem Greisenhaupt
Empfing den Todesstreich und wankt zu Grabe: –
Ein schönrer Morgen wird der Menschheit tagen,
Wo jeder Tausch der Gaben der Natur
Ein Austausch guter That und Rede ist;
Wo Reichthum, Armuth und der Durst nach Ruhm,
Die Furcht vor Schande, Siechthum und Verderben,
Des Krieges Schrecken und der Hölle Graus
Nur im Gedächtniß leben wird der Zeit,
Die, gleich der reuigen Sünderin, erschaudernd
Rückblicken wird auf ihrer Jugend Tage.

 

VI.

Ganz Auge, Ohr, Gefühl,
Vernahm der Geist der Kön'gin Feuerrede.
Sein zartes Antlitz spiegelte
In Wechselgluth der Worte Eindruck ab,
Wie an dem Sommerabend,
Wenn zaubervolle Musik rings ertönt,
Des Seees reiner Spiegel
Die Abenddämmrung wiederstrahlt,
Und seine Purpurschatten mit dem Gold
Des Sonnenuntergangs vermischt.

Dann also sprach der Geist:
»Wie schlimmverstört und elend ist die Welt,
Wie dornig und voll Jammer,
Von jedes Dämons Willkür leicht gelenkt!
O Fee! erblinkt kein Hoffnungsstern
Uns in der Jahre Lauf?
Und werden jene Sonnen
Allewig kreisen, stets erleuchtend
So mancher gramgebeugten Seele Nacht,
Und keine Hoffnung schaun?
Wird nimmerdar der Weltgeist neu beleben
Dies welke Himmelsglied?«

Sanft lächelte die Fee
Mit Trostesblicken, und ein Hoffnungsstrahl
Durchflog des Geistes Angesicht.
»Sei ruhig! scheuche fort die grausen Zweifel,
Die nimmer einen ew'gen Geist gequält,
Der seines Schicksals Fesseln sieht und kennt.
Ja, Elend und Verbrechen, Irrthum, Lüge
Und Wollust hausen auf der Erde.
Allein die ew'ge Welt
Enthält die Heilung für das Uebel auch.
Es werden edle Männer selbst erstehn
In allerschlimmster Zeit;
Die Wahrheit ihrer reinen Lippen wird
Der Lüge Skorpion mit einer Gluth
Von ew'gem Licht umgeben,
Bis sich das Ungeheuer selbst ersticht.

Wie schön wird dann die Erde sein,
Der reinsten Geister reines Heimatland,
Im Einklang mit der Sphären Harmonie,
Wenn, mit der ewigen Natur verbündet,
Der Mensch des neuen Lebens Werk beginnt,
Wenn ihre öden Pole nicht mehr weisen
Zur düsterrothen Sonne,
Die dort unheimlich glimmt.

O Geist! auf jener Erde
Siegt jetzt die Lüge; tödliche Gewalt
Hat auf der Wahrheit Mund gesetzt ihr Siegel;
Wahnwitz und Elend walten dort!
Der Glücklichste sogar ist arm! Doch hoffe,
Bis aus dem Freudenkelch, wie Balsamthau,
Genesung auf die Welt herniederträuft.
Jetzt wende still zum Bild, das ich dir zeigte,
Den Blick, und lies den blutbefleckten Freibrief
Für alles Weh, den bald erbarmungsvoll
Die Hand der neu erschaffenden Natur
Auslöschen wird aus dieser Erde Buch.
Wie würde kühn der Leidenschaften Flug,
Wie schnell die festern Schritte der Vernunft,
Wie still und süß des Lebens Freudensieg,
Wie schreckenlos der Sieg des Grabes sein!
Wie schwach der Arm des mächtigsten Tyrannen,
Sein Dräun wie eitel und wie ohnmachtsvoll!
Wie lächerlich des Priesters Dogmenschwall,
Wie leicht sein zürnender Vernichtungsfluch!
Und seiner Menschenliebe Heuchelei,
Die wechselnd jedem Druck der Zeit sich fügt,
Welch offner Trug! – wenn du nicht Helfrin wärst,
Religion! furchtbarer Teufel du,
Der rings die Erde mit Dämonen füllt,
Den Höllenschlund mit Menschen, und mit Sklaven
Das Himmelreich!

Befleckt wird Alles, was dein Auge trifft!
Die Sterne, die an deiner Wiege strahlten
So hold und süß, sie wurden Götter bald
Für deiner Kindheit spielerischen Sinn;
Und Bäume, Gras und Wolken, Berg und Meer,
Und was da lebt und schwimmt und kreucht und fliegt,
Jedwedes Lebende, es ward zur Gottheit;
Der Sonne galt, dem Monde dein Gebet.
Dann reiftest du zum Knaben, kühner ward
Dein Fieberwahn; und jegliche Gestalt,
Großartig, furchtbar oder wild erhaben,
Die aus der Sinne Reich die Phantasie
Entlehnt; der Lüfte Geister, das Gespenst
Der Gruft, der Elemente Genien,
Die Kräfte, welche Form und Körper geben
Den vielgestaltigen Werken der Natur,
Sie nahmen Leben an und Wesenheit
Im Aberglauben deines blinden Herzens;
Doch war noch deine jugendliche Hand
Von Menschenblute rein. Dann lieh die Mannheit
Dem tollen Hirn ihr Feuer, ihre Kraft;
Dein Blick durchforschte rings des Weltalls Wunder,
Die deiner Kenntniß Stolz verspotteten;
Ihr ewig und unwandelbar Gesetz
Verhöhnte stumm die Ohnmacht deines Wissens.
Betroffen, düster standest erst du da; –
Dann faßtest du in Eins die Elemente
Von Allem, was bewußt dir und bekannt;
Der Jahreszeiten Wechsel und des Winters
Laublose Herrschaft, und das Neuergrünen
Der Bäume, die des Himmels Lüfte athmen,
Die ew'gen Sterne, die die Nacht verschönen,
Den Sonnenaufgang und des Mondes Sinken,
Erdbeben, Kriege, Gift und Pestilenz,
Und aller Dinge Ursach zwängtest du
In ein abstraktes Sein, und nanntst es Gott!
Den selbstgenügenden, allmächtigen,
Den gnädigen und rachevollen Gott!
Ein Urbild menschlicher Tyrannenherrschaft,
Sitzt er im Himmel hoch auf goldnem Thron,
Gleich Erdenkön'gen; und sein finstres Schreckbild,
Die Hölle, sperrt den Rachen gierig stets
Nach des Geschicks unsel'gen Sklaven auf,
Die er zum Spielwerk sich erschuf, daß er
An ihrer Qual sich weide, wenn sie fielen!
Der Erde ward sein Name kund; sie bebte,
Als seiner Rache Qualm gen Himmel stieg,
Verdunkelnd die Gestirne; als das Stöhnen
Von Millionen, die in süßem Frieden
Vertrauensselig hingeschlachtet wurden,
Zur selben Zeit, wo ihre Sicherheit
Mit heil'gen Eiden just beschworen ward
In seinem grausen Namen, durch das Land
Erscholl, indeß an deinem harten Speer
Schuldlose Säuglinge sich wimmernd wanden,
Und lachend du vernahmst der Mutter Schrei
Wahnsinniger Freude, wenn den heil'gen Stahl
Sie wühlen fühlte in der eigenen,
Von Schmerz zerrissnen Brust!

Religion! Das war dein Mannesleben;
Doch schleichend nahte sich das Alter dir;
Ein Gott genügte nicht dem kindischen Greise;
Ein Märchen sannst du aus, wie es sich ziemte
Für deine stumpfe Faselei, an dem
Sich deine jammerdurst'ge Seele letze,
Damit der tolle Dämon, welchen nur
Sich deine Bosheit ausgemalt, ein Vorwand
Dir sei, die unnatürliche Begier
Nach Mord, Gewalt, Verbrechen, Raub zu löschen,
Die dich verzehrte, selbst als schon den Schritt
Des Schicksals du vernahmst; – damit die Gluth
Der Flammen um dein Sterbelager lohe; –
Damit der schrille Jammerschrei der Eltern,
Die auf dem Holzstoß starben, dessen Brand
Den Kindern leuchtete zu deinem Pfad,
Der Flammen Gluthgeprassel und das Jauchzen
Von deinen Jüngern, das dazwischen gellte,
Dein gierig Ohr ersätt'ge
Selbst auf dem Todtenbett!

Doch höhnt Verachtung jetzt dein graues Haar;
Du steigst hinunter in das finstre Grab,
Und Ehr' und Mitleid wird dir nur gezollt
Von Jenen, deren Stolz vergeht gleich deinem,
Und, deinem gleich, ein trübes Licht verstrahlt,
Das vor der Wahrheit Sonne schnell erbleicht
Und nur erschimmert in der grausen Nacht,
Die lang schon die verderbte Welt umdunkelt.

All diese zahllos leuchtenden Gestirne,
Von denen eines jene Erde ist,
Durchwebt ein Geist der Lebensthätigkeit,
Der sonder Aufhör, Grenzen und Verfall;
Der, wenn des Erdenlebens Licht, erloschen
Im feuchten Grabe, dort ein Weilchen schlummert,
Nicht mehr vergeht, als wenn der schwache Säugling
In seines Daseins trübem Dämmerschein
Der ird'schen Dinge Wirkung fühlt, und Alles
Dem unerfahrnen Sinn ein Wunder ist; –
Nein, der allregsam, stetig, fort und fort
Die Stürme lenkt, im Ungewitter tost,
Im Tag sich sonnt, in duftigen Hainen athmet,
Im Wohlsein stärkt, in Seuchen Gift verhaucht,
Und in dem Wechselsturm, der sonder Ende
Das ew'ge All umbraust und seine Veste,
Die nie zerfallende, erschüttert, thront,
Nach unerläßlichem Gesetz bestimmend
Jedwedem Ding den Platz, wo es als Feder
Und Rad des Weltgetriebes wirken soll;
Sodaß – wenn Wog' um Woge stürmisch sich
Zum Himmel aufthürmt, und die grellen Blitze
Des aufgerissnen Meeres Schlund versengen,
Indeß dem Aug' des Schiffers, der, gestrandet,
Auf nackter Klippe einsam wimmert, Alles
Ein regelloses Spiel des Zufalls scheint –
Nicht Ein Atom in diesem wilden Aufruhr
Ein unbestimmt gesetzlos Werk erfüllt,
Noch anders handelt, als es handeln muß.
Ja, selbst das winzig kleinste Stäubchen Licht,
Das in des Lenzes flücht'gem Sonnenstrahl
Sein vorbestimmt unsichtbar Werk vollzieht,
Wird von dem Geist der Welt gelenkt; und wenn
Erbarmungsloser Ehrgeiz, toller Eifer
Zwei Heere thörichter Betrogener
Aufs Schlachtfeld führt, daß sie das Grab einander
Verblendet graben, und das Trauerwerk
Ruhmvolle That benennen, so ist er's,
Der ihre Leidenschaften schürt und leitet;
Nicht ein Gedanke, Wunsch, nicht eine That,
Kein Plan der finstern Seele des Tyrannen,
Kein Angstgefühl der Sklaven, welche sich
Der Knechtschaft rühmen, ihre Scham zu bergen;
Nicht die Ereignisse, die jeden Willen
Einengen und aus langverschollner Zeit
Der Tugend Allgewalt heraufbeschworen,
Gehn unbemerkt und unvorhergesehn
Vor dir vorüber, Weltgeist! ew'ger Quell
Des Lebens und des Todes, Glücks und Wehs,
Und alles Dessen, was das Zauberbild
Der bunten Scene schmückt, die unsern Augen
Vorüberzieht im flimmernd bleichen Licht,
Das nur erleuchtet unsres Kerkers Dunkel,
Deß Ketten wir und starre Mauern
Nur fühlen, nicht erschaun.

Geist der Natur, du allgewalt'ge Macht!
Nothwendigkeit, des Weltalls Mutter du!
Ungleich dem Gott des Menschenwahns, verlangst
Du nicht Gebet, noch Lobgesang; die Laune '
Des schwachen Menschenwillens hat nicht mehr
Gemein mit deinem Thun, als seiner Brust
Veränderliche, flücht'ge Leidenschaften
Mit deiner ew'gen Harmonie; der Sklav,
Deß grausenhafte Lüste rings umher
Elend verbreitert, und der Biedermann,
Dem Angesichts des Glücks, das seinen Thaten
Entkeimt, die Brust in edlem Stolze schwillt;
Der Giftbaum, unter dessen Schatten Alles,
Was lebt, verdorrt; die Eiche, deren Dach
Ein laubiger Tempel ist, wo sel'ge Liebe
Die Schwüre tauscht, sind gleich vor deinem Blick.
Du nährst nicht Haß, noch Liebe, kennst nicht Gunst,
Noch Rache, noch die schlimmste Gier nach Ruhm;
Und Alles, was die weite Welt umfaßt,
Ist nur dein willenloses Werkzeug, du
Betrachtest Alles unbestochnen Blicks,
Und fühlst nicht seine Lust, noch seine Leiden,
Denn menschlich nicht sind deine Sinne,
Und menschlich deine Seele nicht.

Ja! Wenn der Reinigungssturm der Zeit
Sein Todeslied gesungen auf den Trümmern
Der umgestürzten Tempel und Altäre
Des allgewalt'gen Dämons, dessen Name
Sich schmückt mit deinen Ehren; wenn das Blut,
Das seit Jahrhunderten dort haftete,
Hinabfloß den befleckten Strom der Zeit,
Dann wirst du leben unveränderlich!
Ein Tempel, ein Altar ist dir errichtet,
Den nicht der Sturmeshauch der Zeit,
Und nicht die endlos wogende Fluth,
Die über dieser Erde Flitterprunk
Dahinrollt, je vernichten kann: –
Die selbstbewußte Wirkenskraft der Welt;
Der wunderbare, ew'ge Tempel,
Wo Schmerz und Wonne, Gutes sich und Böses
Vereinen, um den Willen der gestrengen
Nothwendigkeit gehorsam zu erfüllen,
Und wo das Leben, vielgestaltig
Zum unbegrenzten Ziele vorwärts strebend,
Sich um die ew'gen Säulen seiner Kraft,
Der gierigen Flamme gleich, hinaufwärts windet.«

 

VII.

Geist.

Ich war ein Kind, als meine Mutter ernst,
Um eines Atheisten Flammentod
Zu sehn, hinausging; und sie nahm mich mit.
Die schwarzen Priester standen um den Holzstoß,
Die Menge gaffte rings in dumpfem Schweigen,
Und als der Frevler unerschrocknen Blicks
Vorüberschritt, da strahlt' ein ruhig Lächeln,
Verächtlich halb, um seine Züge her.
Das gierige Feuer züngelte empor
Um seine männliche Gestalt, versengt
Zu Blindheit wurde bald sein kühnes Auge;
Sein Todeskampf zerriß mein Herz! Der Pöbel
Erhob ein tolles Siegsgeschrei, – ich weinte.
Da sprach die Mutter: »Weine nicht, mein Kind!
Denn Jener lästerte: Es ist kein Gott.«

Fee.

Es ist kein Gott! Das ganze All bestätigt
Den Glauben, den sein Tod besiegelte.
Mag Erd' und Himmel, mag das wechselnde
Geschlecht der Menschen ihren Spruch verkünden;
Mag jeden Ring, der an der Kette hängt
Und ihn ans Ganze fesselt, auf die Hand
Hindeuten, die ihr Ende hält und trägt!
Mag jedes Saatkorn, das zur Erde fällt,
Sein Zeugniß still beredt vor uns entfalten: –
Drinnen und draußen zeiht Unendlichkeit
Die Schöpfung doch der Lüge; und der Geist,
Der wandelbare, welcher die Natur
Durchdringt, ist ihr alleinz'ger Gott; doch weiß
Der Stolz des Menschen seines Wissens Ohnmacht
Geschickt mit hohen Worten zu verhüllen.

Der Name Gottes hat schon jeden Frevel
Mit Heil'genschein umstrahlt, und doch ist er
Nur das Geschöpf der Menschen, die ihn ehren;
Und mit den Thoren, die ihm Tempel baun,
Verändern seine Namen und Begierden
Und seine Eigenschaften rastlos sich:
Fo, Siva, Buddha, Gott, Jehovah, Herr –
Stets dienet er der kriegbefleckten Welt
Als Stichwort der Verheerung; ob das Blut
Zermalmter Leiber seines Wagens Räder
Im Siegeslauf bespritzt, indeß Brahminen
Ein heilig Lied zu Todesseufzern plärren;
Ob hundert Mitregenten seine Macht
Sich theilen, daß sie schier zur Ohnmacht wird;
Ob brennender Städte Qualm, das Wehgeschrei
Hülfloser Frauen, hingemordeter
Wehrloser Greise, Jünglinge und Kinder
Gen Himmel steigt zu seines Namens Ehr';
Ob endlich – schlimmstes Loos! – das Eisenalter
Der Religion die Erde seufzen macht,
Und Priester von dem Gott des Friedens schwatzen,
Zur selben Zeit, wo ihre Hand vom Blut
Unschuldiger trieft, und wo sie jeden Keim
Der Wahrheit unterdrücken, Alles morden,
Die Erde wandeln in ein Schlächterhaus!

O Geist! durch jenen Sinn,
Der dich die Außenwelt erkennen lehrte,
Sind dunkle Träume hingewogt,
Und die Erinnrung weckte Bilder,
Die nimmerdar vergehn;
Und Alles ward dort eingeprägt,
Das Meer, die Sterne, Erd' und Himmel;
Ja, selbst der flücht'gen Phantasie
Gestaltlos wirrer Schatten
Ließ eine Spur zurück,
Die von der Erde zeugt.

Mein Reich sind diese Bilder; denn die Wunder
Der Menschenwelt zu wahren, ist mein Amt,
Und mit Gestalt, mit Sein und Wirklichkeit
Der Phantasie Geschöpfe zu bekleiden;
Drum will ich aus den Träumen, die des Wahns
Und Menschenirrthums blöder Glaube schuf,
Ein wunderbar Phantom heraufbeschwören,
Das deiner Frage Antwort geben soll.
Erscheine, Ahasver!«

Ein seltsam, gramvoll Wesen
Erhob sich an der Feenhalle,
Und blieb dort reglos stehn.
Sein wesenloses Bild warf keinen Schatten
Auf ihren goldnen Estrich;
Sein Antlitz trug den Stempel vieler Jahre,
Und in dem strahlenlosen Auge stand
Die Chronik langverschollner Zeit zu lesen;
Doch Jugendröthe glomm auf seiner Wange,
Und seine Glieder schwellte Manneskraft;
Des Greisenalters Weisheit war gepaart
Mit früher Jugend keckem Trotz;
Und ein unsagbar Weh,
Das der Ergebung Muth gemildert hatte,
Gab dem beredten Antlitz düstern Reiz.

Geist.

Giebt's einen Gott?

Ahasver.

Giebt's einen Gott! – Ja, ein allmächt'ger Gott,
Rachsüchtig wie allmächtig! Einst vernahm
Die Erde seinen Ruf, und schauderte;
Des Himmels Feuerantlitz sprach Entsetzen,
Das Grab der Schöpfung gähnte weit, um all'
Die Kühnen und die Guten zu verschlingen,
Die es gewagt, zu trotzen seinem Thron,
Dem machtumgürteten. Nur Sklaven blieben
Am Leben, – kalte Sklaven, die das Werk
Tyrannischer Allgewalt verrichteten,
Und deren Seelen niemals edler Zorn
Zu kühnem Thun gedrängt, zu einer That,
Die nicht der Selbstsucht Schmutz besudelte.
Sie bauten dem allmächt'gen Dämon Tempel,
Prunkvoll und groß; der goldne Altar dampfte
Von Menschenblut, und durch die weiten Hallen
Erscholl der grausen Hymnen Ton. Ein Mörder
Vernahm am Nil den Ruf des Herrn, – ein Mann,
Den sein Talent zu großer Macht erhob,
Genosse des Allmächt'gen im Verbrechen,
Und ein Vertrauter des Allwissenden.

So sprach zu ihm Jehovah:
»Aus einer Ewigkeit der trägen Ruh'
Erwacht' ich, Gott; erschuf in sieben Tagen
Die Erd' aus Nichts; ruht' aus, und schuf den Menschen;
Ich setzt' ihn in ein Paradies, und pflanzte
Den Baum des Uebels dort, damit er esse
Von seiner Frucht und sterbe, und an Etwas
Sich meiner Seele Bosheit sättige,
Und, wie der Erde tückischen Erobrern,
Sich alles Elend mir zum Ruhme wende.
Das Volk, das ich vor allen andern mir
Zur Ehr' erwählt, mag ungestraft befried'gen
Die Lüste, die ich ihm ins Herz gepflanzt!
Und dir befehl' ich, Führer ihm zu sein,
Bis der Erobrer ehrne Tritte waten
Durch Weiberblut in dem verheißnen Land,
Und meinen Namen rings gefürchtet machen.
Doch ew'ge Flammengluth, endlose Dual
Soll ihrer ew'gen Seelen Schicksal sein,
Wie Aller auf der undankbaren Erde,
Ob gut, ob lasterhaft, schwach oder stark –
Ja, Alle sollen untergehn, die Wuth
Der blinden Rache ihres Gotts (die du
Vor Menschen nennst Gerechtigkeit) zu stillen.«

Des Mörders Stirn erbebte vor Entsetzen:

»»Allmächt'ger Gott! o kennst du kein Erbarmen?
Soll unsre Strafe ewig sein? Der Strom
Der Jahre rollen und kein Ende sehn?
Weshalb erschufest du in Hohn und Groll
Die jammervolle Erde? Gnade ziemt
Dem Mächtigen – sei nur gerecht, o Gott!
Bereu und rett uns!«« –

»Nur Ein Mittel bleibt:
Ich werd' erzeugen einen Sohn; der soll
Die Sünden tragen dieser ganzen Welt;
In einem unbekannten Erdenwinkel
Soll er erstehn, und dort am Kreuz verenden,
Wegwaschend alle Frevel, jede Schuld;
So daß die Wen'gen, denen mein Erbarmen
Zu Theil wird, die ich als Gefäße mir
Zu meiner Ehr' erwähle, glauben sollen
An dieses wunderbare Sühnungsopfer,
Und ihre Seelen lebend retten. Doch
Millionen sollen leben und vergehn,
Die nie zu ihres Heilands Namen rufen,
Und unerlöst hinsinken in das Grab.
Für Tausende soll's eine Fabel sein.
Ein Ammenmärchen, Kinder zu erschrecken;
Sie sollen in dem Schlund von Qual und Flammen
Verwünschen ewig ihren Widerspruch,
Zehnfache Marter soll sie nöthigen,
Selbst auf dem Folterbett mit Schmerz und Wimmern
Zu künden meinen Ruhm und ihres Schicksals
Gerechtigkeit. Was frommt nun ihre Tugend,
Was ihre Lichtgedanken, vom Genie
Erleuchtet oder von dem Erdenstrahl
Der menschlichen Vernunft erhellt? Berufen
Sind Viele, aber Wenige erwählt.
Moses, erfülle mein Gebot!«

Die Wange
Des Mörders wurde von Entsetzen bleich,
Und seine Lippe stammelte mit Beben:
»»Allmächtiger, ich zittre und gehorche!««

O Geist! es haben schon Jahrhunderte
Ihr Siegel auf dies wundenvolle Herz
Und schwerbelastete Gehirn geprägt,
Seitdem der Fleischgewordene erschien.
Demüthig kam er, und in Knechtsgestalt
Verhüllend seine grause Göttlichkeit,
Verspottet von der Welt, und ungenannt,
Nur vom Gesindel seiner Vaterstadt
Als Freigeist angestaunt. Er war der Führer
Der Massen, und er lehrte sie den Schein
Der Wahrheit, der Gerechtigkeit, des Friedens;
Doch facht' er an des Eifers wilde Flammen
In ihrem Geist, und heiligte das Schwert,
Das er der Erde brachte, mit dem Blut
Der Wahrheit und der Freiheit seine Seele,
Die boshaft tückische, zu sättigen.
Zuletzt ward er als Mensch zum Tod geführt.
Ich stand bei ihm; am Marterkreuz durchzuckte
Kein Schmerz sein überirdisches Gefühl,
Und dennoch stöhnt' er. Mit Entrüstung dacht' ich
Der Metzelei'n und Leiden, die sein Name
In meinem Land geheiligt, und voll Spott
Rief ich ihm zu: Geh hin!
Ein Lächeln göttergleicher Bosheit flog
Um sein erblassend Angesicht. – Er sprach:
»Ich gehe, aber du sollst ewiglich
Fortwandern auf der ruhelosen Erde.« –
Des Grabes feuchter Dunst benetzte mir
Die Stirn, die unvergängliche. Ich sank
In tiefem Zauberschlaf zur Erde hin.
Als ich erwachte, brannte Höllengluth
In meinem Hirn, das taumelnd wirr sich drehte;
Denn ringsum lagen die vermodernden
Gebeine meiner Brüder, wie der Zorn
Des allgewalt'gen Gottes sie getroffen,
Und mit dem grausen Blick des Todes grinsten
Die Schädel meiner hingewürgten Kinder,
Stumm, augenlos, gespensterhaft mich an.

Doch angeekelt vom Gefühl und Anblick
Des Waltens der Tyrannen, hatte längst
Mein Geist gelernt, der Hölle stolze Freiheit
Der Sklaverei des Himmels vorzuziehn.
Also erhob ich mich, und unerschrocken
Begann ich meine ew'ge Wanderschaft,
Entschlossen, unermüdet Krieg zu führen
Mit meinem allgewalt'gen Peiniger,
Und Hohn zu sprechen seiner Ohnmacht, mich
Mit einem schlimmern Fluche zu belasten.
Dieselbe Hand, die mir den Weg verwehrt
Zum stillen Grab, hat Elend auf die Erde
Gehäuft und den Erkornen seiner Sklaven
Ihr Reich geschenkt. Ich habe sie gesehn
Vom ersten Dämmerlicht der wankenden,
Der schwachen, ungewissen Herrschaft an,
Den Frieden predigend, wie jetzt den Krieg.
Und wenn sie heimgekehrt vom blut'gen Morden
Harmloser Heiden, stillten sie im Blut
Der eignen Brüder der Vernichtung Durst,
Und mitleidloser Eifer ließ zu Eis
Erstarren jedes menschliche Gefühl.
Die Gattin tauchte in des Gatten Brust
Den heil'gen Stahl im selben Augenblick,
Wo hoffend er von ihrer Liebe träumte;
Und Freunde standen Freunden, Brüder Brüdern
Auf blut'gem Schlachtfeld gegenüber, kaum
Gesättigt durch den letzten Sterbeschrei,
Trunken vom Zorne des Allmächtigen,
Indeß das rothe Kreuz, ein Hohn des Friedens,
Zum Sieg entflammte. War die Metzelei
Geschehn, so blieb von dem vertilgten Glauben
Kein Zeuge übrig, seinen Untergang
Zu künden, als die Leichen, die die Luft
Mit grausem Pestgeruch vergifteten
Und auf dem halb erloschnen Holzstoß faulten.

Die Diener Gottes sah das Racheschwert
Ich zücken, als die Gnade niederstieg
Und, der Verheerung Werk zu heiligen,
Jedweden Frevels Trieb bestätigte;
Wahnwitzige Priester schwangen ob der Welt
Das unheildräunde Kreuz; die Sonne schien
Auf Ströme Bluts herab, vom blanken Stahl
Des Meuchelmords vergossen; jegliches
Verbrechen ward entsühnt vom Geist des Herrn,
Und über allem Land war blutigroth
Des Friedens Regenbogen ausgespannt.

O Geist! kein Jahr in meinem langen Leben
Schwand unbefleckt vom Jammer und Verbrechen,
Die Gottes auserkorner Glaube zeugt.
Ich sah, wie seine Sklaven, deren Mund
Von gift'ger Lüge troff, den tollen Pöbel
Bethörten, und, die eine Hand von Mord
Geröthet, heuchlerisch die andere
Zu Bruderschaft und Frieden dargereicht;
Ich hörte sie von Lieb' und Gnade schwatzen,
Indeß ihr Thun voll jener Niedrigkeit
Und Sünde war, die noch der junge Arm
Der Freiheit nicht nach Fug zu zücht'gen wagt.
Dank sind wir schuldig der Vernunft, die jetzt
Den unerschütterlichen Thron der Wahrheit
Und Tugend gründet und zu nichte macht
Die wirkungslose Tücke meines Feindes,
Deß nichtiger Zorn die Guten quält, und noch
Zur Pein ohnmächt'ge Ewigkeiten fügt,
Indeß ihn selbst verbiss'ner Groll zerfleischt,
Weil Friedenslächeln ihren Mund umspielt,
Ihr Loos zu wenden oder es zu heil'gen.

So stand ich, – durch der Jahre wilde Fluth
Mit Wirbelwinden toller Qualen kämpfend,
Doch ruhig, heiter, in mich selbst verschlossen,
Hohn sprechend des Tyrannen grausem Fluch
Mit trotzigem, unwandelbarem Willen,
Gleich einer Rieseneiche, die der Blitz
Des Himmels in der Wüstenei versengte,
Daß sie, ein Denkmal unvergänglicher
Zerstörung, ihren kahlen Stamm erhebe;
Doch trotzt sie ruhevoll und unbewegt
Des Wintersturmes mitternächt'gem Kampf,
Wie sie im hellen Sonnenlicht
Die welken, abgestorbnen Arme
Des Sommermittags Ruh' entgegenstreckt.

Die Fee schwang ihren Stab,
Und Ahasver entfloh,
Schnell, wie die nebelhaften Schatten,
Die in des Haines Dämmerschluchten hausen,
Vorm Morgenstrahl entfliehn, –
Die Traumeswesen, die nicht mehr
Mit Lebenswirklichkeit begabt,
Als dies phantastische Gebild
Des irren Menschenwahns.

 

VIII.

Du sahst Vergangenheit und Gegenwart;
Es war ein trüber Anblick! Lerne, Geist,
Jetzt die Geheimnisse der Zukunft. – Zeit!
Entfalte deines Dunkels nächt'ge Schwingen,
Die halbverschlungnen Kinder gieb zurück,
Und von dem Wiegenbett der Ewigkeit,
Wo Millionen, eingelullt in Schlummer
Vom rauschenden Strom vergehnder Dinge, liegen,
Reiß fort das düstre Tuch! – Betrachte, Geist,
Dein herrliches Geschick!

Entzücken hob den Geist.
Der Zeiten ew'ger Schleier theilte sich,
Und Hoffnung strahlte durch der Furcht Gewölk.
Die Erde war nicht Hölle mehr;
Sie war in Liebe, Freiheit, Glück
Zu vollster Manneskraft herangereift,
All' ihre Pulse schlugen
In Harmonie mit der Planeten Lauf;
Ein sanft Getön erscholl,
Im Einklang mit der Seele Lebenssaiten;
Sie bebt' in süßen, sehnsuchtweichen Schlägen,
Und neues Leben blüht' aus kurzem Tod. –
Des Abendwindes schwachen Seufzern gleich,
Der Wellen aus des Meeres Spiegel weckt
Und auf der Schöpfung seines Odems stirbt,
Und wechselnd fällt und steigt und wieder ruht,
War des Gefühles reiner Strom,
Der aus den süßen Tönen quoll,
Und der des Geistes menschlich Mitempfinden
In sanftbewegter Wallung still umfloß.

Entzücken hob den Geist,
Wie wenn ein Liebender gesehn
Die Seligkeit, den stillen Frieden
Der auserkornen Braut,
Bei deren Schmerz ihn Todesweh durchzuckt;
Und ihre frische Wange
In der Gesundheit Fülle glühen sah,
Und in die holden Augen ihr geblickt,
Die gleich zwei Sternen im erregten Meer
Durch selig Naß erstrahlen.

Dann sprach die Feenkön'gin siegesfroh:
»Ich rufe nicht den Geist entschwundner Tage,
Daß seine Schreckensräthsel er enthülle;
Die Gegenwart ist jetzt verrauscht,
Und jene Thaten, die die Welt verheerten,
Erblaßten im Gedächtnisse der Zeit,
Die dem, was ich vernichtet wissen will,
Nicht Wirklichkeit verleihen darf. Die Wunder
Der Menschenwelt zu wahren, ist mein Amt,
In Raum und Stoff, in Zeit und Geist. Die Zukunft
Enthüllt jetzt ihre Schätze; laß den Anblick
Dein wankend Hoffen kräft'gen und erneun!
O Menschengeist, beflügle dich zum Ziel,
Wo Tugend aller Welt den Frieden gründet,
Und in der Ebb' und Fluth der irdischen Dinge
Steh du, ein fester Punkt im Wechsel, da,
Ein Leuchtthurm ob dem finstern Wogenschwall.

Die rings bewohnte Welt ist voller Segen;
Die Eisgefilde, die ein steter Sturm
Von Schnee erkältend um die Pole häufte,
Wo jedes Leben kummervoll erstarb
Und wo endloser Frost mit Grabesstille
Die öde Flur umfing, sind weggethaut;
Und linder Weste Hauch, von würzigen Inseln
Herwehend, kräuselt dort das stille Meer,
Das seine breiten, lichten Wogen rollt
Zum Uferabhang und ein Echo weckt,
Das sanft und flüsternd durch die Haine klingt
Und zu des Menschen sel'gem Wesen stimmt.

Die ungeheuren Sandeswüstenein,
In deren stets erneuten Gluthen kaum
Ein Vogel lebte, kaum ein Grashalm sproß,
Wo nur der grünen Eidechs liebendes
Geschrill die schwüle Stille unterbrach,
Sind jetzt belebt von Bächen, schattigen Hainen,
Kornfeldern, Triften, weißer Hütten Zahl;
Und wo die aufgeschreckte Wildniß einst
Den blutbesudelten Erobrer sah,
Wo mit der Lämmer Fleisch die Tigerin
Die Fraßbegier zahnloser Jungen stillte,
Indeß Geheul der Wüste Reich durchscholl,
Haucht jetzt die maßliebüberdeckte Flur
Dem Sonnenaufgang ihre Düfte zu,
Und lächelt, wenn vor seiner Mutter Thür
Das Kind sein Morgenmahl
Mit einem Basilisken theilt,
Der ihm die Füße leckt.

Die Tiefen ohne Pfad, – wo manches Schiff
Ermüdet überm unbegrenzten Plan
Morgen auf Nacht und Nacht auf Morgen wieder
Anbrechen sah, und immer noch kein Land
Zum Gruß dem Wandrer seine schattigen Berge
Ueber dem sonnenhellen Meer erhob;
Wo sich der Sturmeswogen laut Gebrüll
So lange mit der Winde Brausen einte
In trüber Einsamkeit, aufregend wild
Des Meeres ödverlass'ne Wüstenei,
Die nur der Möwen schrill Gekrächz, das Heulen
Der Ungeheuer und der Sturm durchscholl, –
Entsprechen jetzt in süßem Wiederhall
Dem sanftesten Gefühl der Menschenbrust.
Geschmückt mit Paradiesesinseln ist
Das stille Wasserreich, von lichten Wolken
Bestrahlt, dazwischen glanzerhellte Seen,
Fruchtbare Thäler, lust- und glückdurchhallt,
Und Waldesgrün beschattet kühl die Welle,
Die, wie ein Arbeitsmüder, hüpft zum Strand,
Um dort der Blumen Küsse zu empfangen.

Alles ist neu erschaffen, und durchhaucht
Von wechselseit'ger Lieb' ist alles Leben;
Der Erde reicher Schoß nährt Myriaden,
Die unter ihrer treuen Hut gedeihn
Und mit vollkommner Reinheit Glanz ihr lohnen;
Der Winde Balsamhauch verbreitet rings
Die Tugenden, die er einathmete;
Gesundheit fluthet durch die milde Luft,
Glüht in den Früchten, steigt vom Strome auf;
Kein Sturm entstellt des Himmels strahlend Antlitz
Und streut der immergrünen Bäume Laub
In seiner Jugendfrische Pracht herab;
Stets reif sind Früchte, Blumen immer schön,
Der Herbst trägt würdig sein Matronenloos,
Und läßt des Frühlings Wange hold sich färben,
Deß jungfräuliche Blüthe wiederstrahlt
Die Gluth der Frucht und sich in Liebe röthet.

Den Durst nach Blut vergißt der Löwe jetzt;
Dort siehst du ihn im Sonnenscheine spielen
Mit dreisten Zicklein; seine Klauen ruhn,
Sein Zahn ist friedlich, der Gewohnheit Macht
Hat die Natur des Lamms ihm aufgezwungen.
Nicht mehr vergällt der bunte Fingerhut
Durch gift'gen Hauch den Anblick seiner Pracht;
Vorbei ist jeder Schmerz; der Freudenbecher
Schäumt unverbittert über bis zum Rand,
Und letzt die durst'gen Lippen, die der floh.

Und gar der Mensch, der zwiegestaltige,
Der mehr als Alle tiefes Weh erfahren
Und Wonne mehr als Alle träumen kann;
In dessen Brust sich der Empfindung Gluth
Mit einem hoch erhabnen Trieb vereint
Und ihre Macht dem Schmerz leiht wie der Lust,
Doch beide hebt, verfeinert und verschärft; –
Der in der ewig wechselvollen Welt
Dasteht als Schande oder Ruhm der Erde:
Er fühlt vor Allen die Veränderung,
Sein Wesen spiegelt die allmähliche
Wiedergeburt, und jegliche Bewegung
Des Fortschritts prägt in seinem Geist sich ab.

Wo überm schneebedeckten Felsenufer
Sich lagerte die lange Nordpolnacht,
Wo kaum das härtste Moos, dem Froste trotzend,
Ergrünte bei des Mondes kaltem Strahl,
Da wurde finster wie die Nacht der Mensch,
Und wie die Pflanze mußt' er trüb verkümmern;
Die abgestumpfte Willenskraft, das Herz,
Für Wahrheit, Muth und Liebe unempfindlich,
Die unentwickelt schwächliche Gestalt
Kennzeichneten als eine Fehlgeburt
Der Erde ihn, bestimmt, ein passender
Genoß der Bären um ihn her zu sein,
An Sitten und Genüssen ihnen gleichend;
Ein Fiebertraum des Jammers war sein Leben,
Deß karge Nothdurft, spärlich zugetheilt,
Ihn ewig an die freudenlose Länge
Der kurzen Daseinslast erinnerte;
Sein Tod war eine Qual, die Hunger, Kälte
Und Arbeit längst dem Geist schon vorgeführt,
Als noch der Lebensfunk' am Körper hing;
Von allen Strafen, die der Erde Rache
Auf die Verletzer ihrer ewigen
Gebote häuft, blieb nur ein einz'ger Fluch
Dem Unglücksland erspart, – der Name Gottes!

Auch wo des Mittags Reich die Wendekreise
Mit einem Gürtel von Gewölk und Gluth
Umspannten, wo die blauen Nebel trugen
Den Pesthauch durch die unbewegte Luft,
Und eine krankhaft üppige Pflanzenwelt
Ernährten, – wo das Land mit Erderbeben,
Mit Seuchen und Gewittern schwanger ging, –
Auch dort war nicht der Mensch ein edler Wesen.
Ihn hatte in den blutbefleckten Staub
Des Heimatlands die Sklaverei getreten;
Mißhandelt wurde er zum Ruhm der Macht,
Die, jedes heilige Gefühl vernichtend,
Den Menschenwillen selbst zur Waare macht;
An Christen ward er um ihr Gold verfeilscht,
Nach fernen Inseln hingeschleppt, um dort
Beim Schall der Peitsche, der zerfleischenden,
Des allbesudelnden Luxus Werk zu thun,
Der ihres Wehs langdauerndes Entsetzen
An der Tyrannen Häuptern doppelt rächt;
Oder im Namen des Gesetzes führte
Man ihn zur Schlachtbank, gab zur Speise ihn
Den Würmern unter jener glühnden Sonne,
Wo Könige zuerst den Bund geschlossen
Wider die Menschenrechte, und zuerst
Die Priester schacherten mit Gottes Namen.

Selbst wo die mildre Zone Schutz zu bieten
Dem Menschen schien, drang der Befleckung Pest
Wie unlöschbares Feuer ein, vergiftend
Mit ungezählten Uebeln sein Geschick;
Und ihren Fortschritt hemmt erst jetzt die Wahrheit,
Und schafft den Frieden, der sein weißes Banner,
Unblutig siegend, endlich wallen läßt
Hin über dies beglückte Reich, wo lange
Der Mensch der Sklaven Schleppenträger war,
Das Schattenspiel des rings erschauten Elends,
Der Schakal, den der Ehrsucht Leu zerriß,
Der Bluthund mordbegierigen Glaubenseifers.

Dort ziert der Mensch mit unbeflecktem Körper
Und Geist die lieblich holde Erde jetzt,
Von Jugend auf mit allen sanften Trieben
Gesegnet, die nur edle Leidenschaften
Und reines Sehnen in der Brust ihm wecken.
Indeß von Hoffnung er zu Hoffnung stets
Dem Segen nacheilt, den der reiche Schatz
Des Menschenwohls dem Tugendhaften spendet,
Verleihen die Gedanken, die entstehen
In zeitzerstörender Unendlichkeit,
Ein ewig Wesen ihm, das in sich selbst
Verschlossen ruht, der wirkungslosen Macht
Des Alters spottend. Und der Mensch, der einst,
Ein flücht'ges Traumbild, durch die flücht'gen Jahre
Dahinschritt, weilt unsterblich jetzt auf Erden.
Nicht mehr das Lamm, das ihm ins Antlitz schaut,
Erschlägt er, sich an seinem Fleisch zu letzen,
Das, der Natur beleidigt Recht zu sühnen,
Die Säfte seines Körpers faulen machte,
Und böse Leidenschaften, eitlen Wahn,
Verzweiflung, Ekel, Haß in seiner Seele
Erzeugte, – des Verbrechens und der Seuchen,
Des Elends und des Todes Wucherkeime.
Es fliehen die beschwingten Hainbewohner,
Die im Gesang ihr Leben hold verhauchen,
Nicht mehr den Menschen; sie umflattern ihn,
Und putzen ihr Gefieder auf den Händen
Der Kinder, die nach ihren heiteren
Gespielen sich in frohem Scherze strecken.
Des Schreckens baar sind alle Dinge jetzt;
Sein grausig Vorrecht hat der Mensch verloren,
Und gleichberechtigt steht er unter Gleichen;
Die lautre Wahrheit und das Glück sind endlich,
Wenn spät auch, dieser Erde aufgegangen;
Der Friede stählt den Geist, Wohlsein den Leib,
In diesem mischt sich Lust nicht mehr mit Pein,
Vernunft und Leidenschaft befehden sich
Nicht mehr in jenem; Leib und Geist entfalten,
Der Fesseln ledig, beide rings auf Erden
Nun ihre allbezwingende Gewalt,
Und schwingen dort das Scepter ihrer Herrschaft;
Jegliche Art des Stoffes leiht der Allmacht
Des Geistes ihre Kraft, der aus dem Dunkel
Ans Licht den Edelstein der Wahrheit fördert,
Zu schmücken seines Friedens Paradies.

 

IX.

O sel'ge Erde! Himmelswirklichkeit,
Nach der die ruhelosen Geister streben,
Die ewig durch die Menschenwelt sich drängen!
Du aller irdischen Hoffnung Inbegriff!
Du hehrer Lohn des blindvollziehnden Willens,
Deß Strahlen sich, durch Raum und Zeit verbreitet,
In Einem Punkt für immerdar vereinen!
Der reinsten Geister reine Heimat du,
Wo Schmerz und Sorge, Ohnmacht und Verbrechen,
Unwissenheit und Krankheit unbekannt!
O sel'ge Erde, Himmelswirklichkeit!

Dich sah der Genius in kühnstem Traum,
Ein dunkles Vorgefühl von deiner Schönheit
Durchzog das Menschenherz und wob hinein
Die feste Hoffnung auf ein Paradies,
Wo Liebende und Freunde sich begegnen,
Um von einander nie zu scheiden mehr.
Du bist das Ziel von jedem Wunsch und Willen,
Der Lohn jedweder Handlung; und die Seelen,
Die auf den Pfaden der Vollendungsbahn
Den Hafen deines stillen Friedens fanden,
Ruhn dort von jener ew'gen Arbeit aus,
Die deines Baus Vollkommenheit erschuf.

Selbst der Erobrer »Zeit« entfloh vor dir, –
Der alte Niese, der so lang die Welt
In stolzer Einsamkeit regiert, daß Völker
Hinsanken unter seinem stummen Tritt.
Die Pyramiden, die Jahrtausende
Getrotzt der Fluth der Menschendinge, trieb
Sein Sturmeshauch, zu Sand zerbröckelt, durch
Die Wüste hin, wo ihre Trümmer noch
Den Namen Dessen überdauerten,
Der sie in eitlem Stolze aufgethürmt.
Der mächt'ge Fürst in seiner öden Pracht
War nur der Giftpilz eines Sommertags,
Den sein beschwingter Fuß zu Staub zertrat;
Der Erde König war die Zeit; ihm beugte
Sich Alles, außer tugendhaftem Willen
Und des Gemüthes heil'gen Sympathien,
Die ihm getrotzt und seinen Fall bereitet.

Doch mählich dämmerte der Liebe Morgen;
Dunkles Gewölk umhüllte lang die Erde,
Bis von des Himmels Zelt es sich verzog.
Zuerst hielt das Verbrechen seinen Lauf
Des Sieges über alle Hoffnung hin,
Frech, schamlos, unverhüllt, mit ehrner Macht;
Und im Gewand der Tugend heiligte
Die Lüge jede Unthat, jedes Weh,
Bis, von des eignen Stachels Gift getödtet,
Sie jedes Zwangs die geistige Welt enthob,
Den kühnsten Flug der Leidenschaft entfesselnd,
Und Gottes Namen nicht mißbrauchend mehr
Als Brandmal, um zu ächten die Vernunft.
Dann wirkte fort der edle Gährungsstoff;
Befreit war die Vernunft, und ob auch wild
Die Leidenschaft durch dichtbewachsne Schluchten
Und waldesnachtumhegte Wiesen schweifte,
Und einen Kranz von seltnen Blumen wand:
Doch schlang die schönsten sie, der Biene gleich,
Die zu der Kön'gin stets zurück sich wendet,
Um ihrer Schwester Stirn, die sanft und ernst
Das heitre Kind umarmte, das nicht mehr
Vor der zerbrochnen Ruthe Schlag erbebt.

Mild war des Todes langsam nahnder Zwang:
Der Geist schwand friedlich unter seiner Hand,
Ohn' einen Seufzer, ohne Fürchten fast,
So ruhig wie ein Pilger, der da geht
Nach einem fernen Land, und, Jenem gleich,
Von Hoffnung und von Wißbegier erfüllt.
Des Siechthums und der Schlaffheit Todeskeime
Erstarben in der menschlichen Gestalt,
Und ihre Segensgaben spendete
Die Reinheit ihren irdischen Verehrern.
Wie kraftvoll ungeschwächt des Alters Glieder!
Wie klar die offne, runzellose Stirn,
Wo weder Geiz, noch Trug, noch Stolz und Sorge
Auf jener vielverschlungnen Züge Bild
Das Siegel grauer Häßlichkeit geprägt!
Wie lieblich war der Jugend kühne Stirn,
Die sanftgeaugter Muth mit Anmuth zierte,
Der Muth der Seele, den kein Name schreckte,
Und hoher Wille, welcher furchtlos kühn
Hin durch des Lebens Traumgefilde schritt.
Mit Tugend, Lieb' und Freude Hand in Hand.

Der Freiheit Wesen, jener süße Zwang,
Der mit den sanftesten Banden des Gefühls
Verwandte Sympathien der Menschenherzen
Zusammenkettet, brauchte nun nicht mehr
Tyrannischer Gesetze Fesselband;
Die schüchternen und zarten Triebe wagten
In Paradiesesunschuld sich ans Licht,
Und sprachen offen und vertrauensvoll
Das Sehnen der erwachten Liebe aus,
Gezügelt nicht von selbsuchttrüber Keuschheit,
Der Tugend jener wohlfeil Tugendhaften,
Die ihrer Kälte sich und Stumpfheit rühmen.
Der mercenären Liebe Gift befleckte
Nicht mehr des Glückes und des Lebens Quell;
Und Mann und Weib, sie wandelten in Liebe
Und in Vertrauen, frei, und gleich, und rein,
Der Tugend steile Pfade, die nicht mehr
Befleckt vom Blut so manches Pilgerfußes.

Dort, wo durch lange Jahre der Palast
Des Herrschersklaven sich erhob, verhöhnend
Des Hungers Schrei, des Elends stille Thräne,
Stand jetzt ein morscher Trümmerhauf, und ließ
Die Steine Jahr auf Jahr ins Blachfeld rollen,
Ein einsam Echo weckend; und die Blätter
Des alten Dornstrauchs, der auf höchstem Thurm
Des Königsbanners Platz sich angemaßt,
Erbebte vor der wilden Stürme Wuth,
Die jenen Thurm umschnob, und flüsterte
Seltsame Märlein in des Sturmwinds Ohr.

Es sangen durch des Doms verfallne Gänge
Schwermüthige Winde leis ein Todtenlied.
Ein furchtbar trüber Anblick war's, die Werke
Des Glaubens und der Sklaverei zu sehn,
So groß, so prächtig, und doch so verweslich,
Dem Leichnam gleich, der unter ihnen ruht.
Heut folgen Tausende dem Trauerzug,
Ihm zum Gedächtniß prangt ein Marmormal,
Und tausend Zungen Preisen ihn; – doch morgen
Ist er in finstrer Gruft der Würmer Raub.

In mächt'ger Kerker düstern Höfen spielten
Rothwangige Kinder furchtlos nun und frei,
Sich heitre Kränze windend um die Stirn
Aus grünem Epheu und aus rothen Malven,
Zum Hohn des Kerkers nicht'ger Dunkelheit;
Die schweren Ketten und die Eisengitter
Verrosteten auf moderndem Gestein,
Das langsam sank zum mütterlichen Staub.
Der volle Strahl des Tages, der nur schwach
Das hagre Antlitz des Gefangnen einst
Mit siechem, blassem Schein erhellte, schien
Jetzt frei herab aufs Lächeln kind'scher Lust.
Die hohle Stimme der Verzweiflung scholl
Nicht durch die hallenden Gewölbe mehr,
Nein, rings ertönte nur das sanfte Rauschen
Des lauen Windes, der im Epheu spielt,
Der Vögel muntrer Sang und Fröhlichkeit.

Bald schwand die letzte Spur von diesen Trümmern,
Und ihre Stoffe, weithin ausgestreut,
Sie formten sich zu edleren Gestalten,
Und dienten jedem segensreichen Drang.
So nahte sich die Menschheit der Vollendung,
Und wie das Kind, von Mutterlieb' beschirmt,
Nahm zu an jeglicher Vortrefflichkeit
Die Erde, sich verschönend Jahr um Jahr.

Jetzt hüllt die Zeit mit ihrem schwarzen Fittich
In Nacht, was wir geschaut, und unserm Blick
Entschwindet der Vergangenheit Gesicht.
Mein Werk ist nun vollbracht. Du hast gelernt,
Was dir zu wissen noth. Der Erde Wunder,
Mit ihrer Furcht und Hoffnung all, sind dein.
Mein Zauber ist dahin – das Jetzt kehrt wieder.
Weh! eine pfadlos öde Wüste bleibt,
Noch unveredelt von des Siegers Hand.

Doch, Menschengeist, geh muthig deinen Pfad!
Die Tugend lehre dich mit festem Sinn
Die Stufen der Vollendungsbahn erklimmen;
Denn die Geburt, das Leben und der Tod,
Und jener wunderbare Zustand, eh'
Die nackte Seele ihre Heimat findet,
Befördern all' dich zu vollkommnem Glück,
Sie treiben fort auf ihrer Bahn des Seins
Ruhlose Räder, deren Flammenspeichen,
Des ewigen Lebens sich bewußt, erglühn,
Dem vorbestimmten Ziele sich zu nahn.
Denn die Geburt weckt nur den Geist zum Anschaun
Der Außendinge, deren unbekannte
Gestalt ihm neue Triebe leihen mag;
Das Leben ist der Zustand seines Wirkens,
Und Alles, was geschieht, die ew'ge Welt
Zu ändern und gestalten, eint sich dort;
Der Tod ist eine traurig finstre Pforte,
Die zu azurnen Inseln, lichten Himmeln
Und Glückgefilden ew'ger Hoffnung führt.
Deshalb, o Seele, schreite muthig fort!
Ob Stürme auch der Primel Stengel knicken
Und Frost die Jugend ihrer Blüthe trifft,
Doch wird des Frühlings Auferstehungshauch
Die Erd' umwehen und mit frischem Thau
Die Lieblingsblume nähren, die, erblüht
An moosigen Ufern und in dunkler Schlucht,
Des Waldes Grün mit sonnigem Lächeln hellt.

So fürchte, Geist, die Hand des Todes nicht,
Die hochwillkommen, wenn Tyrannen walten,
Und wenn des Frömmlers Höllenfackel flammt;
's ist einer dunklen Stunde Wandrung nur,
Der flücht'ge Abgrundstraum schreckvollen Schlummers.
Der Tod ist nicht der Tugend Feind; es sah
Auf dem Schafott der Liebe schönste Rosen
Die Erde blühn und mit dem Lorbeerkranz
Der Freiheit dort sich einen, um die Wahrheit
Der hehrsten Träume zu verkündigen.
Lebt keine Hoffnung in dem Herzen dir,
Die durch den Anblick dieses vielverschlungnen
Und stufenweisen Seins bestätigt ward?
Die dich entflammte, tiefer hinzuschaun,
Wenn du, an Henry's Arm im Mondlicht wandelnd,
Schwermüthig hold mit ihm vom Tode sprachst?
Und willst du rauh sie aus der Brust dir reißen;
Des Frömmlers Glauben träg dein Ohr zu leihn,
Und feig des Zwingherrn Geißel dich zu beugen,
Die von der Brüder rothem Blut befleckt?
Nein, muthig kämpfe fort! dein Wille soll
In ew'gem Kampf mit Tyrannei und Lüge
Sein hohes Ziel erfüllen, und die Keime
Des Elends tilgen aus der Menschenbrust.
Dein ist die Hand, die mild zu glätten weiß
Den Dornenpfühl unseligen Verbrechens,
Deß Ohnmacht leicht Verzeihung sich gewinnt,
Und dessen Irrungen du überwachst,
Wie eines Freundes Krankheit; – dein die Stirn,
Die seinem wildsten Zorn voll Sanftmuth trotzt,
Und nicht sich beugt vor seinem finstern Willen,
Und wär' er reich an Macht, und Herr der Welt.
Denn du bist wahr und gut, entschloss'nen Sinns,
Frei von der Satzung herzerkältendem Zwang,
Und voll erhabner, reiner Leidenschaft.
Der Erde Stolz und Niedrigkeit besiegte
Dich nicht, deshalb bist du der Gabe werth,
Die du empfingst: – Die Tugend soll dich stets
Auf dem von dir betretnen Pfad geleiten,
Und hoffnungsglanzerfüllter Tage Zahl
Soll deiner Liebe heil'ges Loos beglücken.
Geh, Sel'ge, nun und Freude gieb der Brust,
Die schlummerlosen Geistes wacht,
Und Licht, Lust, Leben nur
Aus deinem Lächeln schöpft!« –

Die Fee schwingt ihren Zauberstab.
Sprachlos entzückt besteigt der Geist den Wagen,
Der an dem Rand der Zinne hielt,
Und senkt die Strahlenaugen dankend nieder.
Die Himmelsrosse wurden angeschirrt,
Und wieder von den Flammenrädern
Erglomm des Himmels unbetretner Pfad.
Schnell flog der Wagen fort;
Die ungeheuren Feuerbälle,
Die um den Zauberpalast kreisten,
Erglänzten schwächer mählich, und erschienen
Bald matte Leuchten nur, Planeten gleich,
Die mit erborgtem Licht, der Sonne dienend,
Verfolgten ihre engre Himmelsbahn.

Dann war die Erd' erreicht.
Der Wagen hielt dort einen Augenblick;
Die Seele stieg herab.
Die ruhelosen Rosse stampften wild
Den fremden Boden, athmeten
Die schwere Luft, und nach vollbrachtem Werk
Trug wieder sie ihr Flug gen Himmel auf.

Der Körper und der Geist vereinten sich.
Ein Zittern bebte leis durch Janthe's Glieder,
Und ruhig öffneten die Lider sich;
Die dunklen blauen Augen blieben starr
Noch einen Augenblick, dann schaute sie
Verwundert um sich, und erblickte Henry,
An ihrem Lager hingekniet, mit Blicken
Der Liebe still bewachend ihren Schlaf,
Und der Gestirne Leuchten,
Das hell durchs Fenster schien.

 


 << zurück weiter >>