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Vorwort des Uebersetzers

Ich habe dieser Verdeutschung einer Auswahl von Shelley's Gedichten ein paar kurze Bemerkungen vorauszusenden, welche sich auf das Verhältniß meiner Arbeit zu den vorhandenen Uebersetzungen beziehen.

In wie weit ist der Uebersetzer fremder Schöpfungen berechtigt und verpflichtet, die Arbeiten seiner Vorgänger zu benutzen? Diese Frage hat sich mir seit Jahren wiederholentlich aufgedrängt, und bei dem stets anwachsenden Reichthum unsrer Uebersetzungsliteratur dürfte es vielleicht ersprießlich sein, die Aufmerksamkeit der Kritik einmal auf diesen Punkt hinzulenken. So viel scheint mir festzustehen, daß – mit seltenen Ausnahmen – für jede Stelle eines Dichterwerkes sich in einer fremden Sprache nur ein einziger Ausdruck finden läßt, welcher die Form wie den Gedanken möglichst getreu und glücklich wiedergiebt. Ist ein solcher, relativ bester Ausdruck gefunden, so scheint es mir eine Sünde wider das Original und eine Benachtheiligung des Publikums zu sein, wenn der neue Uebersetzer den vollkommneren Ausdruck zu Gunsten einer unbeholfneren Version aufopfern wollte, um seiner Eitelkeit oder einer falschen Auffassung seiner Pflicht zu genügen. Ich bin daher weit entfernt, mich des Bekenntnisses zu schämen, daß ich die Arbeiten meiner Vorgänger, sofern ich dieselben nicht übertreffen zu können glaubte, unbedenklich benutzt und ihnen manchen glücklichen Fingerzeig zu verdanken habe. Die Kritik möge entscheiden, in wie fern meine Arbeit dennoch auf Selbständigkeit Anspruch machen darf. Jedenfalls war eine neue Verdeutschung der vorzüglichsten Dichtungen Shelley's wünschenswerth; denn die vorhandenen Uebersetzungen entbehren, trotz einzelner wohlgelungener Stellen, doch im Ganzen jenes leichten rhythmischen Flusses und jenes poetischen Hauches, welche einzig im Stande sind, das Werk des Uebersetzers annähernd auf die Stufe eines Kunstwerkes zu erheben. –

Einige Notizen über Shelley's Leben und Schriften dürften dem Leser willkommen sein. Percy Bysshe Shelley war der älteste Sohn des Baronets Sir Timothy Shelley, und am 4. August 1792 auf dem Landsitz seines Vaters, Fieldplace bei Warnham in der Grafschaft Sussex, geboren. Schon in frühester Jugend brachte ihn die ideale Richtung seines Geistes und seine unerschrockene Wahrheitsliebe in herben Konflikt mit seiner Umgebung. Der starre Pennalismus auf der Schule von Eton, die Roheiten seiner Mitschüler und die Grausamkeit seiner Lehrer entflammten ihn zu edlem Zorn und Widerspruch; vor Allem erregte die fromme Heuchelei, welche stets die Worte »Gott« und »Christenthum« im Munde führte, während ihre Beweise Schläge und Drohungen waren, seinen vollsten Abscheu, und er brach kühn entschlossen mit einem Glauben, der in seinen Bekennern nur die Frucht des Hasses und tyrannischer Härte zu reifen schien. Schon im zweiten Jahre seines Aufenthaltes in Oxford verfaßte Shelley eine Schrift: »Ueber die Nothwendigkeit des Atheismus«, und überreichte dieselbe den Häuptern der Kirche und der Universität. Er wurde vor den Professoren-Konvent beschieden, und als er sich weigerte, den geforderten Widerruf zu leisten, traf ihn das Schicksal, wegen Atheismus von der Universität ausgestoßen zu werden. Er trug sein Loos mit der Würde eines Märtyrers, und als sein Vater ihn mit kalter Verachtung empfing, verließ er für immer das elterliche Haus und bezog zunächst ein kleines Stübchen in London, wo er in tiefer Einsamkeit sich seinen poetischen und philosophischen Studien hingab.

Die Intoleranz, der er bis jetzt überall begegnet war, der Gegensatz zwischen Reich und Arm, welcher sich ihm täglich in der Weltstadt aufdrängte, die Tyrannei, welche ihr blutiges Scepter über fast alle Länder der Erde schwang, erweckten in dem jungen Träumer heiß und heißer die Sehnsucht nach einem tausendjährigen Reiche des Friedens und der Liebe, und in diesem Sinne dichtete er in seinem achtzehnten Lebensjahre die » Königin Mab«, welche er damals (1810) nur in wenigen Exemplaren als Manuskript für Freunde drucken ließ. Erst zehn Jahre später wurde das Gedicht, gegen Wunsch und Willen des Verfassers, von einem Londoner Verleger eigenmächtig wieder abgedruckt, und fand seitdem die weiteste Verbreitung.

In demselben Jahr entführte Shelley die fünfzehnjährige Miß Harnet Westbrook und ließ sich von dem bekannten Schmiede zu Gretna Green mit ihr trauen. Die übereilt geschlossene Ehe war eine höchst unglückliche, und wurde nach drei Jahren wieder gelöst, nachdem die junge Frau zwei Kindern das Leben geschenkt hatte. Im Frühjahr 1813 wurde Shelley, dessen Konstitution zeitlebens eine ungemein zarte und schwächliche war, von einer gefährlichen Krankheit befallen; es zeigten sich entschiedene Symptome der Lungenschwindsucht, und die schmerzhaftesten Brustkrämpfe quälten ihn. Plötzlich trat eine auffallende Besserung ein, die Lungenkrankheit verschwand gänzlich, aber es blieb eine nervöse Reizbarkeit zurück, die sich mit den Jahren steigerte und durch mannigfache körperliche wie geistige Leiden genährt ward.

Sobald der Friede von 1814 das Reisen auf dem Kontinent gestattete, machte Shelley zur Kräftigung seiner angegriffenen Gesundheit einen Ausflug durch Frankreich nach der Schweiz, und kehrte rheinabwärts über Belgien nach England zurück. Da er jetzt mündig geworden war, gestalteten sich seine bisher ziemlich gedrückten äußeren Verhältnisse um vieles günstiger. Er trat das ihm zugefallene Lehnsgut gegen eine Rente von 1000 Pfund Sterling wieder an seinen Vater ab, und miethete ein Haus auf Bishopsgate Heath am Rande des Waldes von Windsor. Von dort aus durchstreifte er im Laufe des Jahres 1815 die Küste von Devonshire, besuchte die Quellen der Themse, und schrieb nach der Rückkehr von diesen Ausflügen den » Alastor«, während er oft tagelang unter den riesigen Eichbäumen des Parkes von Windsor lag. Der Schatten des Todes, der ihm in den letzten Jahren so oftmals als ein Erlöser von aller irdischen Qual erschienen war, wirft ein geheimnißvoll erhabenes Dunkel über diese tiefsinnige Elegie, welche in den glühendsten Farben die Reize der Natur und die Qualen einer leidenschaftlich kämpfenden Dichterseele, eines vergeblich die Liebe suchenden Herzens besingt.

Bald nachher lernte er auf einer zweiten Reise nach der Schweiz Miß Mary Woolstonecraft Godwin, die Tochter des Verfassers von »Caleb Williams«, kennen, und vermählte sich mit dieser edlen, hochherzigen und feingebildeten Dame, welche ihm seitdem in allen Freuden und Leiden des Lebens eine treue Gefährtin blieb. Er verlebte den Sommer des Jahres 1816 großentheils am Genfer See, und verkehrte dort besonders mit Lord Byron, auf dessen poetische Entwickelung er zu jener Zeit einen bedeutenden Einfluß übte.

Traurige Ereignisse erwarteten ihn bei seiner Rückkehr nach England. Er erfuhr in Bath, daß seine erste Gattin in einem Anfalle von Schwermuth ihrem Leben durch Selbstmord ein Ende gemacht habe. Tief erschüttert, wünschte er jetzt, seine Kinder aus erster Ehe zu sich zu nehmen, aber das Kanzleigericht, unter Vorsitz des Lordkanzlers Eldon, that Einspruch dagegen, weil Shelley in seiner »Königin Mab« Unchristlichkeit und Immoralität gelehrt habe. Im folgenden Jahre (1817) vollendete Shelley ein großes Gedicht in zehn Gesängen: » Die Empörung des Islam«, das er, wie seine damaligen Briefe beweisen, für sein bedeutendstes Werk hielt. Die Kritik ist mit Recht anderer Ansicht; das Gedicht spiegelt in vielen Beziehungen Shelley's Wesen und Denken treuer als manche andere seiner Schöpfungen ab, allein dem reinen Kunstgeschmack wird eine derartige, metaphysisch-allegorische Tendenzpoesie niemals sonderlich Zusagen.

Shelley's Gesundheitszustand hatte sich während seines Aufenthaltes in der Heimat so bedenklich verschlimmert, daß seine Uebersiedelung nach einem wärmeren Klima dringend geboten erschien. Er verließ England am 17. Mai 1818 auf Nimmerwiederkehr, und nahm seinen Wohnsitz fortan in Italien. Von Venedig, wo er Byron besuchte, ging er nach Rom und Neapel, und dann wieder nach Rom. Er schrieb in dieser Zeit das Drama: » Der entfesselte Prometheus«, eine symbolische Verherrlichung des Befreiungskampfes der Menschheit, und das Trauerspiel: » Die Cenci«, welches von Byron in gerechter Werthschätzung das bedeutendste Drama der englischen Literatur seit Shakspeare genannt worden ist. Shelley hatte dasselbe in stetem Hinblick auf die Bühne verfaßt und mit Bestimmtheit gehofft, die Rolle der Beatrice durch Miß O'Neill, die gefeierte Tragödin des Coventgarden-Theaters, dargestellt zu sehen; allein der Stoff erregte begreiflicherweise im prüden England zu viel Anstoß, und auch in Deutschland hat bis auf den heutigen Tag keine Bühnendirektion sich das Verdienst erworben, dies Meisterwerk dramatischer Kunst zur Aufführung zu bringen, obschon der Versuch sicher der Mühe verlohnte.

In den Jahren 1818 und 1819 verlor Shelley seine beiden Kinder aus zweiter Ehe durch den Tod, und litt außerdem viel durch Krankheit, sowie durch das rohe Benehmen seiner ihm in Italien begegnenden Landsleute, die ihn als »Atheisten« höhnten und mißhandelten. Die politischen Schicksale seines Vaterlandes, das unter dem ehernen Druck des Ministeriums Castlereagh seufzte, die blutige Schlächterei von Manchester und der Prozeß der Königin Karoline erregten sein lebhaftes Interesse, wie zahlreiche Gedichte aus jener Zeit bezeugen; auch die italienischen Revolutionen sowie den Befreiungskampf Griechenlands verherrlichte er 1821 durch schwungvolle Hymnen und durch das lyrische Drama » Hellas«, dessen Schlußchor zu den erhabensten Weissagungen der Poesie gehört.

Shelley verlebte die letzten Jahre abwechselnd in Pisa und den Bädern von San Giuliano, und bezog gegen Ende April 1822 eine Wohnung im Dorfe San Arenzo bei Lerici am Golfe von Spezzia. Schon in Pisa hatte er häufige Wasserfahrten auf dem Arno unternommen, und es war lange sein Lieblingswunsch gewesen, ein eigenes Boot zu besitzen. Kapitän Roberts erbot sich, ihm ein solches in Genua zu bauen, und am 12. Mai langte dasselbe in Lerici an. Von jetzt an brachten Shelley und sein intimer Freund, Kapitän Ellerker Williams, den größten Theil ihrer Zeit auf der See zu. Nur von einem Schiffsjungen begleitet, segelten sie am 1. Juli nach Livorno ab, wo Shelley den ihm befreundeten Dichter Leigh Hunt besuchte, und am 8. Juli die Rückfahrt antrat. Auf der Höhe von Via Reggio ereilte ein Gewittersturm das Boot, welches sofort umschlug und die kühnen Seefahrer in den Wellen begrub. Die Leiche Shelley's, welche einige Tage später an den Strand trieb, wurde, da die Quarantainegesetze ihre Wegführung nicht erlaubten, in Gegenwart Byron's auf einem am Meeresufer errichteten Scheiterhaufen verbrannt, und die Asche auf dem Kirchhofe der Protestanten in Rom neben der Pyramide des Cestius beigesetzt.

Fassen wir in kurzen Worten unser Urtheil über diesen, in Deutschland bis jetzt kaum nach Verdienst gekannten Dichter zusammen, so möchten wir vor Allem behaupten, daß ein reinerer und edlerer Vertreter der humanistischen Weltanschauung schwerlich jemals gelebt hat. Shelley, der verschrieene Atheist, wandelte als ein Hohepriester der aufopferndsten Menschenliebe und des seligsten Friedens durch die Welt, – ein Märtyrer seiner Ueberzeugung, der auch in den trübsten Tagen niemals den Glauben an die ursprüngliche Güte der Menschennatur und den endlichen Sieg des Guten und Schönen verlor. Wenn eine allzu idealistische Auffassung der letzten und höchsten Menschheitsziele ihn häufig in abstrakte Regionen verlockte, die mehr der Philosophie als der reinen Poesie angehören, so läßt sich doch nicht leugnen, daß Shelley als Dichter der ernsten Betrachtung an intensiver Warme des Gefühls und hohem Adel der Sprache die meisten seiner Vorgänger und Nachfolger auf diesem Gebiete weit überragt. Es fehlt freilich seiner Poesie meistens das sinnliche Element, die unwiderstehlich fortreißende Gluth der Leidenschaft, und fein Gesang gleicht selbst in den gluthvollsten rhapsodischen Ausbrüchen seiner Phantasie, wie in dem vielbewunderten » Epipsychidion«, mehr einer unirdischen Elfenmusik, als dem Aufjauchzen oder Klagen und Zürnen einer kräftigen Mannesbrust: – aber das Drama »Die Cenci« beweist, daß seine künstlerische Gestaltungskraft in aufsteigender Entwicklung begriffen war, und daß sein Genius berufen erschien, mit Erfolg nach dem höchsten Lorbeer des Dichters zu ringen.


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