William Shakespeare
König Heinrich der Achte
William Shakespeare

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Vierte Szene

Ein Saal in Blackfriars

Trompetenstoß; Zinken und Hörner. Zwei Hatschiere treten auf, mit kurzen Silberstäben; nach ihnen zwei Schreiber in Doktorkleidung; darauf der Erzbischof von Canterbury allein; nach ihm die Bischöfe von Lincoln, Ely, Rochester und St. Asaph. Dann folgt in einer kleinen Entfernung ein Edelmann, der die Tasche mit dem großen Siegel und einen Kardinalshut trägt; alsdann zwei Priester, jeder mit einem silbernen Kreuz; hernach ein Zeremonienmeister mit entblößtem Haupt, mit einem Herold, der ein silbernes Zepter trägt; ferner zwei Edelleute mit zwei silbernen großen Pfeilern. Ihnen folgen, nebeneinander gehend, die zwei Kardinäle Wolsey und Campejus; endlich zwei Kavaliere mit Schwert und Zepter. Der König nimmt Platz unter dem Baldachin; die beiden Kardinäle sitzen unter ihm als Richter. Die Königin nimmt ihren Platz in einiger Entfernung vom Könige. Die Bischöfe setzen sich an jede Seite des Gerichtshofes, nach Art eines Konsistoriums; unter ihnen die Schreiber. Die Lords sitzen zunächst den Bischöfen. Der Rufer und der übrige Teil des Gefolges steht in gebührender Ordnung um die Bühne

Wolsey. Bis unsre römsche Vollmacht abgelesen,
Laßt Stille rings gebieten.

König. Zu was Ende?
Sie ward schon einmal öffentlich verlesen
Und ihre Rechtskraft allerseits erkannt;
Drum spart die Zeit.

Wolsey. So sei's; dann schreitet weiter.

Schreiber. Ruft: Heinrich, König von England, erscheine vor Gericht!

Ausrufer. Heinrich, König von England erscheine vor Gericht!

König. Hier.

Schreiber. Ruft: Katharine, Königin von England, erscheine vor Gericht!

Ausrufer. Katharine, Königin von England, erscheine vor Gericht!

(Die Königin antwortet nicht, steht von ihrem Sitze auf, geht an der Versammlung vorüber, kommt zum König, kniet zu seinen Füßen und spricht darauf:)

Königin. Herr, Recht begehr ich und Gerechtigkeit,
Und daß Ihr Euer Mitleid mir gewährt,
Der sehr beklagenswerten Frau, der fremden,
In Eurem Reich nicht heimischen, der hier
Kein Richter unparteilich, keine Aussicht
Auf billge Freundschaft und Begegnis bleibt.
Ach, lieber Herr, wie tat ich Euch zu nah?
Wie gab ich solchen Anlaß Eurem Zorn,
Daß Ihr sogar auf mein Verstoßen sinnt,
Mir jede Lieb und Gunst entzogt? Gott weiß,
Ich war Euch stets ein treu ergeben Weib,
Zu allen Zeiten fügsam Eurem Willen,
In steter Furcht, zu zünden Euren Unmut,
Ja, dienend Eurem Blick, trüb oder fröhlich,
Nach dem ich Euch bewegt sah. Welche Stunde
Erschien ich je mit Eurem Wunsch in Streit,
Und der nicht auch der meine ward? Wann liebt ich
Nicht Eure Freunde, kannt ich schon sie oft
Als meine Feinde? Welchem meiner Freunde,
Der Euern Zorn gereizt, erhielt ich länger
Mein Zutraun? Gab ich nicht alsbald Euch Kunde,
Daß er mir fremd geworden? Denkt, o Herr,
Wie ich in solcher Folgsamkeit Eur Weib
An zwanzig Jahr gewesen, und gesegnet
Durch Euch mit Kindern. Wenn Ihr irgend etwas
Im Lauf und Fortgang dieser Zeit entdeckt
Und mirs beweist, das meiner Ehr entgegen,
Dem Bund der Eh und meiner Lieb und Pflicht
Für Eure heilige Person: dann stoßt
In Gottes Namen mich hinweg, es schließe
Hohn und Verachtung hinter mir die Pforten,
Und gebt mich preis der schärfsten Ahndung. Denkt,
Der König, Euer Vater, ward gepriesen
Ein höchst vorsichtger Fürst, von herrlichem,
Unübertroffnem Geist und Urteil: Ferdinand,
Mein Vater, Spaniens König, galt gleich ihm
Als weisester Regent, der dort geherrscht
Seit vielen Jahren; und kein Zweifel ist,
Daß weise Räte sie von jedem Reich
Um sich versammelt, dies Geschäft erwägend,
Die gültig unsre Eh erkannt. Drum fleh ich
In Demut, Herr, verschont mich, bis mir Rat wird
Von meinen span'schen Freunden, deren Einsicht
Ich heischen will; wo nicht, gescheh Eur Wille
In Gottes Namen.

Wolsey. Fürstin, Ihr habt hier
Nach eigner Auswahl diese würdgen Väter,
Männer von seltner Redlichkeit und Kenntnis,
Ja, dieses Landes Zierde, heut versammelt,
Euch zu verteidigen. Darum wär es zwecklos,
Verschöbt Ihr länger das Gericht, sowohl
Für Eure eigne Ruh, als zu beschwichtigen
Des Königes Verstimmung.

Campejus. Seine Gnaden
Sprach gut und treffend: darum, Fürstin, ziemts,
Daß weiter schreite diese Ratsversammlung
Und ungesäumt die beiderseitgen Gründe
Vernommen werden.

Königin. Mylord Kardinal
Ich sprech zu Euch!

Wolsey. Was wünscht Ihr, Fürstin?

Königin. Herr,
Mir ist das Weinen nah; doch denk ich, daß
Wir eine Kön'gin sind – (es mindstens lang
Geträumt) und sicher eines Königs Tochter,
Wandl ich die Tränen um in Feuerfunken.

Wolsey. Faßt Euch nur in Geduld!

Königin. Ich wills, wenn Ihr demütig seid, ja früher,
Wo nicht, dann strafe mich der Herr! – Ich glaube
Und bin gestützt auf mächtge Gründ, Ihr seid
Mein Feind; und so erklär ich meinen Einspruch:
Ihr sollt mein Richter nimmer sein. Denn Ihr
Bliest zwischen mir und meinem Herrn die Glut,
Die Gottes Tau mag dämpfen! Drum noch einmal:
Verabscheun muß ich, ja, aus tiefster Seele
Verwerf ich Euch als meinen Richter, der,
Ich wiederhols, mein schlimmster Feind mir scheint
Und nicht ein Freund der Wahrheit.

Wolsey. Ich gestehe,
Ich find Euch selbst nicht wieder, die Ihr sonst
Sanftmut geübt, Euch milder stets gezeigt
Und weiser, als es andern Frauen je
Gegeben ward. Ihr tut mir unrecht, Fürstin,
Ich heg Euch keinen Groll, noch tat ich Euch,
Noch jemand unrecht. Was bisher geschehn
Und noch geschieht, verbürgt gemeßne Vollmacht,
So uns erteilt vom geistlichen Gericht,
Roms ganzem geistlichen Gericht. Ihr zeiht mich,
Ich schüre diese Glut; das leugne ich.
Der König ist zugegen; wär ihm kund,
Ich spräche Wahrheit nicht, wie würd er schlagen,
Und sehr mit Recht, die Falschheit? Ja, so stark
Wie meine Wahrheit Ihr. Er sieht, mich trifft
Eur Vorwurf nicht, doch sieht er mich verletzt.
Deshalb ist jetzt an ihm, mich herzustellen,
Und dies geschieht, indem er solcherlei
Gedanken Euch entfernt. Bevor deshalb
Noch seine Hoheit spricht, ersuch ich Euch,
Sehr gnädge Frau, nicht denkt mehr, was Ihr spracht,
Und sprecht es nie mehr aus.

Königin. Mylord, Mylord,
Ich bin ein einfach Weib, zu schwach, zu ringen
Mit Euren Künsten. Ihr seid mild, sprecht Demut;
Ihr spielt Beruf und Amt im vollsten Schein,
Mit Mild und Demut; Euer Herz jedoch
Ist voll von Hochmut, Anmaßung und Tücke.
Durch Glück und Seiner Hoheit Gunst stiegt Ihr
Leicht über niedre Stufen; nun erhoben,
Ist die Gewalt Euch Stütz: und Eure Worte
Sind Knechte, Eurem Willen dienend, wie's
Euch gut dünkt, sie zu brauchen. Leugnet nicht,
Ihr strebet mehr nach Eurer eignen Ehre,
Als nach dem heiligen Beruf. Noch einmal:
Ich will Euch nicht zum Richter; vor euch allen
Beruf ich mich in dieser ganzen Sache
Auf seine Heiligkeit den Papst; er soll
Mein Urteil fällen.

(Sie verneigt sich vor dem Könige und will weggehn.)

Campejus. Störrisch widerspricht
Die Königin dem Recht, verklagt es und
Entzieht sich schmähend ihm: das ist nicht gut.
Sie geht hinweg.

König. Ruft sie zurück.

Ausrufer. Katharine, Königin von England, erscheine vor dem Gericht!

Griffith. Man ruft Euch Königin.

Königin. Was braucht Ihr drauf zu hören? Geht nur weiter:
Kehrt um, wenn man Euch ruft: – Nun helf mir Gott,
Mehr ist es, als man dulden kann! – Geht weiter:
Ich bleibe nicht, gewiß nicht; werd auch nimmer
Vor keiner ihrer Sitzungen hinfort
In dieser Sach erscheinen.

(Die Königin mit Griffith und ihrem Gefolge ab.)

König. Geh nur, Käthe!
Wer in der Welt sich rühmen wollt, er hab
Ein besser Weib, dem soll man traun in nichts,
Denn darin log er. Du bist Königin
(Wenn seltne Eigenschaften, holde Milde,
Sanftmut wie Heilge, weiblich echte Würde,
Gehorchen im Beherrschen – all dein Sinn
So königlich wie fromm dich schildern könnten
Vor allen irdschen Königinnen. Sie ist edlen Stamms;
Und ihrem hohen Adel angemessen war
Auch ihr Betragen gegen mich.

Wolsey. Mein Fürst,
Tief untertänigst bitt ich Eure Hoheit,
Ihr wollt geruhn, mir Zeugnis zu erteilen
Vor diesem Kreis – (denn wo ich Raub und Fessel
Erlitten, muß ich losgebunden sein,
So mir auch völlig nicht genug geschieht),
Ob dies Geschäft wohl, hoher Herr, von mir
Zuerst Euch in den Weg gelegt, ob ich wohl je
Euch Skrupel aufgeworfen, die Euch konnten
Zum Untersuchen führen; ob das kleinste Wort –
Anders als frommen Dank für solche Herrin –
Ich jemals sprach, das Nachteil bringen konnte,
So ihrem gegenwärtigen Rang, wie ihrem
Höchst tugendhaften Wesen?

König. Mylord, ich
Entschuldge Euch; noch mehr, bei meiner Ehre,
Ich sprech Euch frei. Wohl lernt Ihr nicht durch mich,
Wie viele Feind Ihr habt, die selbst kaum wissen,
Weshalb sie's sind, und doch, Dorfhunden gleich,
Mitbellen, wenns die andern tun; sie reizten
Die Königin zum Zorn. Ihr seid entschuldigt:
Wollt Ihr noch mehr Rechtfertigung? Ihr wünschtet,
Daß stets die Sache schlafen möchte; niemals
Habt Ihr sie aufgeregt, nein, oft gehemmt,
Geschlossen oft den Weg. Auf meine Ehre,
Genau so sprach der Kardinal, und völlig
Sprech ich ihn frei. Nun aber, was mich reizte
(- Jetzt fordr' ich Zeit und aufmerksam Gehör),
Merkt nun den Anfang. Also kams: gebt acht. –
Meinem Gewissen ward die erste Regung,
Skrupel und Stich, wegen gewisser Reden
Des Bischofs von Bayonne, Frankreichs Gesandten;
Er kam, den Ehebund zu unterhandeln
Mit unserm Kind Maria und dem Herzog
Von Orleans; im Fortgang des Geschäfts,
Bevor Entschluß gefaßt, verlangt' er da
(Der Bischof, mein ich) eine Frist von uns,
Dem König, seinem Herrn, anheimzustellen,
Ob unsre Tochter stammt aus gültger Ehe,
Rücksichtlich jener Heirat mit der Witib,
Die unsers weiland Bruders Weib. Die Frist
Erschütterte die Seele mir, drang ein
Und mit zertrümmernder Gewalt, daß bebte
So Herz wie Brust; dies sprengte weiten Weg,
Daß viel verwirrte Zweifel sich nun drängten
Und preßten, dieser Mahnung halb. Erst, dacht ich,
Ich sei nicht in des Himmels Gnade; welcher
Natur befahl, daß meiner Frauen Leib,
Wenn er ein männlich Kind mir trug, nicht mehr
Ihm Dienste sollte tun, als wie das Grab
Dem Toten tut: denn alle Knaben starben,
Wo sie erschaffen, oder bald nachdem
Sie hier im Licht: da macht ich mir Gedanken,
Dies sei mir Himmelsstrafe; daß mein Reich,
Des allerbesten Erben wert, nicht sollte
Durch mich so glücklich sein. Nun kams, daß ich
All die Gefahren meines Lands erwog,
Daß mir kein Erbe ward; und das erpreßte
Mir manchen Herzensseufzer. Treibend so
In des Gewissens wilder See, hab ich
Nach diesem Halt gesteuert, warum wir
Nun hier versammelt sind; das heißt, ich dachte
Mir herzustellen mein Gewissen – welches
Ich ganz krank fühlt', und jetzt noch nicht gesund –
Durch all' ehrwürdgen Väter hier im Land,
Und würdige Doktoren. Erst, geheim
Fing ich mit Euch, Lord Lincoln, an; Ihr wißt,
Wie schwer ich ächze unter meiner Last,
Als ichs zuerst eröffnet.

Lincoln. Jawohl, mein Fürst.

König. Ich sprach schon lang; gefällts Euch, selbst zu sagen,
Wie weit Ihr mich beruhigt?

Lincoln. Mein Gebieter,
Ihr hattet mich zuerst so sehr bestürzt –
Da dieser Fall so hochgewichtig war
Und furchtbar in den Folgen – daß die kühnsten
Gedanken ich dem Zweifel übergab:
Und Eurer Hoheit diesen Weg empfahl,
Den Ihr anjetzt gewählt.

König. Dann fragt ich Euch,
Lord Canterbury, und holt Erlaubnis ein
Zur heutigen Versammlung. Unbefragt
Blieb kein ehrwürdig Mitglied dieser Sitzung.
Nein, jeder gab mir seine Zustimmung
Mit Schrift und Siegel. Deshalb fahret fort,
Weil kein Mißfallen an der teuern Königin
Person, nein, einzig jene scharfen Stacheln
Der vorerwähnten Gründe dies betrieben.
Erweist nur gültig jene Eh, und wahrlich,
Bei unserm Königsthron, wir sind zufriedner,
Des Lebens irdsche Zukunft ferner noch
Mit Katharinen, unsrer Königin,
Als mit dem schönsten Frauenbild zu teilen,
Das je die Welt geschmückt.

Campejus. Vergönnt, mein Fürst,
Der Königin Entfernung fordert wohl
Vertagung dieser Sitzung bis auf weitres;
Inzwischen muß ein ernstliches Ermahnen
Ergehn an ihre Hoheit, abzustehn
Von dem Rekurs an Seine Heiligkeit.

(Alle stehen auf, um auseinander zu gehen.)

König (vor sich).
Ich seh, die Kardinäle trieben Spiel
Mit mir; ich hasse solche Zögerung
Und Künste Roms. Oh, kämst du bald zurück,
Mein kluger, vielgeliebter Diener Cranmer!
Denn deine Ankunft, weiß ich, führt zugleich
Mir Trost herbei. – Hebt die Versammlung auf;
Ich sage, gehn wir.

(Alle ab, in derselben Ordnung, in der sie kamen.)


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