William Shakespeare
König Heinrich der Sechste
William Shakespeare

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Dritter Aufzug.

Erste Scene.

Das Parlamentshaus. (Trompetenstoß. König Heinrich, Exeter, Gloster, Warwick, Somerset und Suffolk, der Bischof von Winchester, Richard Plantagenet und andere treten auf. Gloster will ein Memorial überreichen, Winchester reißt es ihm weg und zerreißt es.)

Winchester. Kommst du mit tief voraus bedachten Zeilen,
Geschriebnen Blättern, künstlich ausgesonnen,
Humphrey von Gloster? Wenn du klagen kannst,
Und denkst mir irgend was zur Last zu legen,
So thu es ohne Vorbereitung schnell,
Wie ich mit schneller Red' und aus dem Kopf
Dem, was du rügen magst, antworten will.

Gloster. Hochmüt'ger Pfaff! Der Ort mahnt zur Geduld,
Sonst sollt'st du sehen, daß du mich beschimpft.
Denk' nicht, wiewohl ich schriftlich abgefaßt
Die Weise deiner schnöden Missethaten,
Daß ich deshalb verfälscht, und nicht im stande wär',
Der Feder Vortrag mündlich abzuhalten.
Nein, Bischof, so verwegne Bosheit übst du,
Und Ränke, frech, verpestend und entzweiend,
Daß Kinder schwatzen selbst von deinem Stolz!
Du bist ein räuberischer Wucherer,
Halsstarrig von Natur, des Friedens Feind,
Wollüstig, üppig, mehr als wohl sich ziemt
Für einen Mann von deinem Amt und Rang.
Und was liegt mehr am Tag als dein Verrat,
Da auf mein Leben Schlingen du gelegt,
Sowohl beim Turm als bei der Londonbrücke?
Ja, würden die Gedanken dir gesichtet,
Dein Herr, der König, fürcht' ich, ist nicht frei
Von neid'scher Tücke deines schwell'nden Herzens.

Winchester. Gloster, ich biete Trotz dir. – Lords, geruht
Gehör zu leihn dem, was ich will erwidern.
Wär' ich ehrsüchtig, geizig und verkehrt,
Wie er mich macht: wie bin ich denn so arm?
Wie kommt es, daß ich nicht mich zu erhöhn,
Zu fördern suche, dem Berufe treu?
Was das Entzwein betrifft: wer hegt den Frieden
Mehr als ich thu', wofern man nicht mich reizt?
Nein, beste Lords, das ist nicht mein Vergehn;
Das ist's nicht, was den Herzog hat entflammt.
Es ist, daß niemand herrschen soll als er,
Niemand als er soll um den König sein,
Und das gebiert ihm Donner in der Brust,
Und treibt ihn, diese Klag' heraus zu brüllen.
Doch er soll sehn, ich sei so gut –

Gloster.                                                   So gut?
Du Bastard meines Großvaters!

Winchester. Ja, großer Herr; denn was seid ihr, ich bitte,
Als einer, herrisch auf des andern Thron?

Gloster. Sag', bin ich nicht Protektor, kecker Pfaff?

Winchester. Und bin ich ein Prälat der Kirche nicht?

Gloster. Ja, wie ein Vagabund ein Schloß besetzt,
Und es zum Schutze seines Diebstahls braucht.

Winchester. Unwürd'ger Spötter Gloster!

Gloster.                                                           Du bist würdig
Nur durch dein geistlich Amt, nicht durch dein Leben.

Winchester. Rom soll dem steuern.

Warwick.                                               So räum' dich weg nach Rom.

Somerset. Mylord, ihr solltet billig euch enthalten.

Warwick. Ei, laßt den Bischof ja nicht übermeistern.

Somerset. Mich dünkt, Mylord sollt' etwas frömmer sein,
Und solcher Männer hohe Würde kennen.

Warwick. Mich dünkt, sie sollten demutsvoller sein,
Es ziemt sich nicht, daß ein Prälat so rechte.

Somerset. Ja, wenn sein heil'ger Stand wird angetastet.

Warwick. Unheilig oder heilig, was verschlägt's?
Ist Seine Hoheit nicht des Reichs Protektor?

Plantagenet (beiseite). Plantagenet, seh ich, muß still sich halten,
Daß man nicht sagt: »Sprecht, ihr da, wo ihr dürft;
Mischt euer kühner Spruch bei Lords sich ein?«
Sonst hätt' ich einen Strauß mit Winchester.

König Heinrich. Oheime Gloster und von Winchester,
Besondre Wächter über Englands Wohl!
Ich möchte gern, wenn Bitten was vermögen,
In Lieb' und Freundschaft eure Herzen binden.
O welch ein Aergernis für unsre Krone,
Daß zwei so edle Pairs wie ihr sich zanken!
Glaubt mir, schon wissen's meine zarten Jahre,
Ein gift'ger Wurm ist innerlicher Zwist,
Der nagt am Innern des gemeinen Wesens. –
        (Man hört draußen einen Lärm: »Nieder mit den Braunröcken!«)
Welch ein Tumult?

Warwick.                     Ein Auflauf, will ich wetten,
Erregt aus Tücke von des Bischofs Leuten.

(Wiederum Lärm: »Steine! Steine!« Der Schultheiß von London tritt auf mit Gefolge.)

Schultheiß. O, lieben Lords und tugendhafter Heinrich!
Erbarmt euch der Stadt London und des Volks!
Des Bischofs Leut' und Herzogs Gloster haben,
Da Wehr zu tragen jüngst verboten ward,
Die Taschen angefüllt mit Kieselsteinen,
Und, in Partei'n gerottet, schmeißen sie
So heftig einer an des andern Kopf,
Daß manchem wird sein wirblicht Hirn zerschmettert;
In allen Gassen schlägt man Fenstern ein,
Und unsre Laden zwingt uns Furcht zu schließen.

(Die Anhänger Glosters und Winchesters kommen unter beständigem Handgemenge mit blutigen Köpfen.)

König Heinrich. Wir mahnen euch, bei Unterthanenpflicht,
Daß ihr vom Totschlag laßt, und Frieden haltet.
Ich bitt' euch Oheim Gloster, stillt den Streit.

Erster Bedienter. Ja, wenn man uns die Steine
Verwehrt, so fallen wir uns mit Zähnen an.

Zweiter Bedienter. Thut, wie ihr Herz habt, wir sind auch entschlossen.

(Von neuem Handgemenge.)

Gloster. Ihr, mein Gesinde, laßt dies zänk'sche Lärmen
Und stellt den ungewohnten Kampf beiseit.

Dritter Bedienter. Wir kennen Eure Hoheit als gerecht
Und redlich, und an fürstlicher Geburt
Niemanden weichend, als nur Seiner Majestät;
Und eh' wir dulden, daß ein solcher Prinz,
So güt'ger Vater des gemeinen Wesens,
Von einem Tintenklecker wird beschimpft:
Eh' wollen wir mit Weib und Kindern fechten,
Und uns von deinen Feinden morden lassen.

Erster Bedienter. Ja, und der Abfall unsrer Nägel schlägt
Nach unserm Tode noch ein Lager auf.

(Von neuem Handgemenge.)

Gloster. Halt, halt, sag ich!
Und wenn ihr so mich liebt, wie ihr beteuert,
Laßt mich zur Ruh ein Weilchen euch bereden.

König Heinrich. O wie die Zwietracht mein Gemüt betrübt!
Könnt ihr, Mylord von Winchester, mich seufzen
Und weinen sehn, und werdet nie erweicht?
Wer soll mitleidig sein, wenn ihr's nicht seid?
Wer soll bemüht sein, Frieden zu befördern,
Wenn Kirchendiener sich des Haders freun?

Warwick. Gebt nach, Protektor! Winchester, gebt nach!
Wofern ihr durch hartnäck'ge Weig'rung nicht
Wollt morden euern Herrn, das Reich zerstören.
Ihr sehet was für Unheil, was für Mord
Verübt durch eure Feindschaft worden ist.
Seid still dann, wenn ihr nicht nach Blute dürstet.

Winchester. Er unterwerfe sich, sonst weich ich nie.

Gloster. Aus Mitleid für den König beug ich mich,
Sonst riss' ich eh' sein Herz aus, eh' der Pfaff
Dies Vorrecht über mich erlangen sollte.

Warwick. Seht an, Mylord von Winchester, der Herzog
Hat finstre mißvergnügte Wut verbannt,
Wie seine Brau'n geschlichtet es beweisen:
Was blickt ihr denn so starr und tragisch noch?

Gloster. Hier, Winchester, ich biete dir die Hand.

König Heinrich. Pfui, Oheim Beaufort! hört ich euch doch pred'gen,
Daß Bosheit große schwere Sünde sei;
Und wollt ihr nicht das, was ihr lehrt, vollbringen,
Und selbst darin am ärgsten euch vergehn?

Warwick. Holdsel'ger König! eine milde Weisung! –
Schämt euch, Mylord von Winchester, und weicht!
Wie? Soll ein Kind euch lehren was sich ziemt?

Winchester. Herzog von Gloster, wohl, ich gebe nach;
Ich biete Lieb um Lieb und Hand für Hand.

Gloster. Ja, doch ich fürchte, nur mit hohlem Herzen. –
Seht, meine Freund' und lieben Landsgenossen,
Als Friedensfahne dienet zwischen uns
Und unserm ganzen Anhang dieses Zeichen.
So helfe Gott mir, wie ich's redlich meine!

Winchester (beiseite). So helfe Gott mir, wie ich's nicht so meine!

König Heinrich. O lieber Oheim, werter Herzog Gloster!
Wie freudig hat mich der Vergleich gemacht!
Nun fort, ihr Leute! stört uns weiter nicht,
Vereint in Freundschaft euch, wie eure Herrn.

Erster Bedienter. Sei's drum! ich will zum Feldscher.

Zweiter Bedienter. Das will ich auch.

Dritter Bedienter. Ich will Arznei mir in der Schenke suchen.

(Die Bedienten, der Schultheiß u. s. w. ab.)

Warwick. Empfangt dies Blatt hier, gnädigster Monarch,
Das für das Recht Richards Plantagenet
Wir überreichen Euer Majestät.

Gloster. Wohl angebracht, Lord Warwick! Denn, mein Prinz,
Wenn Eure Hoheit jeden Umstand merkt,
Habt ihr viel Grund, sein Recht ihm zu erweisen;
Besonders auf den Anlaß, welchen ich
Zu Eltham Euer Majestät gesagt.

König Heinrich. Und dieser Anlaß, Ohm, war von Gewicht;
Drum, lieben Lords, ist unser Wohlgefallen,
Daß Richard seinem Blut sei hergestellt.

Warwick. Sei Richard seinem Blute hergestellt,
So wird des Vaters Unrecht ihm vergütet.

Winchester. Wie alle wollen, will auch Winchester.

König Heinrich. Wenn Richard treu will sein, nicht dies allein,
Das ganze Erbteil geb' ich ihm zugleich,
Das zugehörig ist dem Hause York,
Von wannen ihr in grader Reihe stammt.

Plantagenet. Dein hocherhobner Knecht gelobt Gehorsam
Und unterthän'gen Dienst bis in den Tod.

König Heinrich. So bück' dich, setz' dein Knie an meinen Fuß,
Und zur Vergeltung dieser Huldigung
Gürt' ich dich mit dem tapfern Schwert von York.
Steh, Richard, auf, als ein Plantagenet,
Steh auf, ernannt zum hohen Herzog York.

Plantagenet. Wie deiner Feinde Fall sei Richards Heil,
Und wie mein Dienst gedeiht, verderbe jeder,
Der wider Eure Majestät was denkt.

Alle. Heil, hoher Prinz, der mächt'ge Herzog York!

Somerset (beiseite). Stirb, schnöder Prinz, unedler Herzog York!

Gloster. Nun dient es Euer Majestät am besten,
Daß ihr die See hinübersetzt, zur Krönung
In Frankreich; eines Königs Gegenwart
Erzeuget Liebe bei den Unterthanen
Und echten Freunden, und entherzt die Feinde.

König Heinrich. Wenn's Gloster sagt, geht König Heinrich schon,
Denn Freundes Rat vernichtet Feindes Droh'n.

Gloster. Es liegen eure Schiffe schon bereit.

(Alle ab außer Exeter.)

Exeter. Ja, zieh'n wir nur in England oder Frankreich,
Nicht sehend, was hieraus erfolgen muß:
Die jüngst erwachs'ne Zwietracht dieser Pairs
Brennt unter Aschen der verstellten Liebe,
Und wird zuletzt in Flammen brechen aus.
Wie erst ein eiternd Glied allmälich fault,
Bis Bein und Fleisch und Sehnen fallen ab,
So wird die tück'sche Zwietracht um sich fressen.
Und nun fürcht' ich die schlimme Weissagung,
Die in dem Munde jedes Säuglings war;
In Heinrichs Tagen, zubenamt der Fünfte:
Heinrich aus Monmouth bauet alles auf,
Heinrich aus Windsor büßet alles ein.
Dies ist so klar, daß Exeter nur wünscht,
Sein Leben ende vor der Unglückszeit. (Ab.)


Zweite Scene.

Frankreich. Vor Rouen. (Die Pucelle tritt verkleidet auf, mit Soldaten wie Landleute gekleidet, mit Säcken auf dem Rücken.)

Pucelle. Dies ist das Stadtthor, von Rouen das Thor,
Das unsre Schlauigkeit erbrechen muß.
Gebt Achtung, wie ihr eure Worte stellt,
Sprecht wie Marktleute von gemeinem Schlag,
Die Geld zu lösen kommen für ihr Korn.
Wenn man uns einläßt, wie ich sicher hoffe,
Und wir nur schwach die träge Wache finden,
So meld' ich's durch ein Zeichen unsern Freunden,
Daß Karl der Dauphin einen Angriff wage.

Erster Soldat. Der Plunder soll die Stadt uns plündern helfen,
Uns Herrn und Meister machen in Rouen.
Drum laßt uns klopfen. (Er klopft an.)

Wache (drinnen). Qui est là?

Pucelle. Paysans, pauvres gens de France;
Marktleute, die ihr Korn verkaufen wollen.

Wache. Geht nur hinein, die Marktglock' hat geläutet.

(Er öffnet das Thor.)

Pucelle. Wohlauf, Rouen, nun stürz' ich deine Feste.

(Die Pucelle und ihre Leute gehen in die Stadt.)

(Karl, Bastard von Orleans, Alençon und Truppen.)

Karl. Sankt Dionys gesegne diese Kriegslist!
Wir schlafen nochmals sicher in Rouen.

Bastard. Hier ging Pucelle hinein mit ihren Helfern;
Doch, nun sie dort ist, wie bezeichnet sie
Den sichersten und besten Weg hinein?

Alençon. Vom Turm dort steckt sie eine Fackel auf,
Die, wahrgenommen, ihre Meinung zeigt,
Der Weg, wo sie hinein kam, sei der schwächste.

(Die Pucelle erscheint auf einer Zinne und hält eine brennende Fackel empor.)

Pucelle. Schaut auf, dies ist die frohe Hochzeitsfackel,
Die ihrem Landesvolk Rouen vermählt,
Doch tötlich brennend für die Talbotisten.

Bastard. Sieh, edler Karl! Die Fackel, das Signal
Von unsrer Freundin, steht auf jenem Turm.

Karl. Nun strahle sie wie ein Komet der Rache,
Wie ein Prophet von unsrer Feinde Fall!

Alençon. Kein Zeitverlust! Denn zögern bringt Gefahr!
Hinein und schreit: Der Dauphin! Alsobald,
Und räumet dann die Wachen aus dem Weg.

(Sie dringen ein.)

(Getümmel. Talbot kommt mit einigen Englischen.)

Talbot. Frankreich, mit Thränen sollst du mir dies büßen,
Wenn Talbot den Verrat nur überlebt.
Die Hexe, die verfluchte Zauberin,
Stellt unversehens dies Höllenunheil an,
Daß wir dem Stolze Frankreichs kaum entrinnen.

(Sie gehen ab in die Stadt.)

(Getümmel. Ausfälle. Aus der Stadt kommen Bedford, der krank in einem Stuhle hereingetragen wird, mit Talbot, Burgund und den englischen Truppen. Dann erscheinen auf den Mauern die Pucelle, Karl, der Bastard, Alençon und andere.)

Pucelle. Guten Morgen, Brave! Braucht ihr Korn zum Brot?
Der Herzog von Burgund wird fasten, denk' ich,
Eh' er zu solchem Preise wieder kauft.
Es war voll Trespe: liebt ihr den Geschmack?

Burgund. Ja, höhne, böser Feind! Schamlose Buhle;
Bald hoff' ich dich im eignen zu ersticken,
Daß du die Ernte dieses Korns verfluchst.

Karl. Eu'r Hoheit könnte wohl zuvor verhungern.

Bedford. O, nicht mit Worten, nehmt mit Thaten Rache!

Pucelle. Was wollt ihr, alter Graubart? Mit dem Tod
Im Lehnstuhl auf ein Lanzenbrechen rennen?

Talbot. Dämon von Frankreich, aller Greuel Hexe,
Von deinen üpp'gen Buhlern eingefaßt!
Steht es dir an, sein tapfres Alter höhnen,
Und den halbtoten Mann mit Feigheit zwacken?
Ich muß noch einmal, Dirnchen, mit euch dran,
Sonst komme Talbot um in seiner Schmach!

Pucelle. Seid ihr so hitzig, Herr? Doch still, Pucelle!
Denn donnert Talbot nur, so folgt auch Regen.
        (Talbot und die anderen beratschlagen sich.)
Gott helf dem Parlament! Wer soll der Sprecher sein?

Talbot. Wagt ihr euch wider uns ins Feld hinaus?

Pucelle. Es scheint, der gnäd'ge Lord hält uns für Narr'n,
Daß wir uns noch bequemten auszumachen,
Ob unser eignes unser ist, ob nicht.

Talbot. Ich sag' es nicht der schmäh'nden Hekate,
Dir sag' ich's und den andern, Alençon:
Kommt ihr, und fechtet's wie Soldaten aus?

Alençon. Nein, Signor.

Talbot. So hängt, Signor! Ihr Maultiertreiber Frankreichs!
Wie Bauernknechte hüten sie die Mauern,
Und dürfen nicht wie Edelleute fechten.

Pucelle. Hauptleute, fort! Verlassen wir die Mauern,
Denn Talbot meint nichts Gut's nach seinen Blicken.
Gott grüß' euch, Lord, wir wollten euch nur sagen
Wir wären hier.

(Die Pucelle mit den übrigen von den Mauern ab.)

Talbot. Wir wollen auch dort sein in kurzer Zeit,
Sonst werde Schande Talbots größter Ruhm.
Schwör mir, Burgund, bei deines Hauses Ehre,
Gereizt durch Unrecht, so dir Frankreich that,
Du wollst die Stadt erobern oder sterben;
Und ich, so wahr als Englands Heinrich lebt,
Und als sein Vater hier Erobrer war,
So wahr in dieser jüngst verratnen Stadt
Held Löwenherzens Herz begraben ward,
Will ich die Stadt erobern oder sterben.

Burgund. Mein Schwur ist deines Schwures Mitgenoß.

Talbot. Doch eh' wir gehn, sorgt für ein sterbend Haupt,
Den tapfern Herzog Bedford. – Kommt, Mylord,
Wir wollen einen bessern Platz euch schaffen,
Für Krankheit schicklicher und mürbes Alter.

Bedford. Lord Talbot, nein, entehret mich nicht so;
Hier will ich sitzen vor den Mauern von Rouen,
Teilnehmer eures Wohles oder Wehs.

Burgund. Beherzter Bedford, laßt uns euch bereden.

Bedford. Nur nicht von hier zu gehn; ich las einmal,
Der starke Pendragon kam in der Sänfte
Krank in das Feld, und überwand den Feind.
So möcht' ich der Soldaten Herz beleben,
Denn immer fand ich sie so wie mich selbst.

Talbot. Entschloss'ner Geist in der erstorbnen Brust!
So sei's denn; schütze Gott den alten Bedford!
Nun ohne weitres, wackerer Burgund,
Zieh'n wir sogleich zusammen unsre Macht,
Und fallen auf den prahlerischen Feind.

(Getümmel, Angriffe. Sir John Fastolfe und ein Hauptmann kommen.)

Hauptmann. So eilig, Sir John Fastolfe! Wo hinaus?

Fastolfe. Nun, wo hinaus? Mich durch die Flucht zu retten,
Wir werden wiederum geworfen werden.

Hauptmann. Was? Flieht ihr, und verlaßt Lord Talbot?

Fastolfe.                                                                             Ja,
Alle Talbots in der Welt, um mich zu retten. (Ab.)

Hauptmann. Verzagter Ritter! Unglück folge dir! (Ab.)

(Rückzug. Angriffe. Aus der Stadt kommen die Pucelle, Alençon, Karl u. s. w. und gehen fliehend ab.)

Bedford. Nun, stille Seele, scheide wann Gott will,
Denn unsre Feinde sah ich hingestürzt.
Wo ist des Menschen Zuversicht und Kraft?
Sie, die sich jüngst erdreistet mit Gespött,
Sind gerne froh, sich durch die Flucht zu retten.

(Er stirbt und wird in seinem Lehnstuhl weggetragen.)

(Getümmel. Talbot, Burgund und andere treten auf.)

Talbot. In einem Tag verloren und gewonnen!
Gedoppelt ist die Ehre nun, Burgund;
Doch sei dem Himmel Preis für diesen Sieg!

Burgund. Sieghafter Krieger Talbot! dein Burgund
Weiht dir sein Herz zum Schrein, und baut ein Denkmal
Des Heldenmuts aus deinen Thaten da.

Talbot. Dank, edler Herzog. Doch, wo ist Pucelle?
Ich denk', ihr alter Hausgeist fiel in Schlaf.
Wo ist des Bastards Prahlen? Karls Gespött?
Wie? Alle tot? Es hängt Rouen den Kopf
Vor Gram, daß solche tapfre Schar geflohn.
Nun laßt uns Ordnung schaffen in der Stadt,
Und setzen drein erfahrne Offiziere;
Dann nach Paris, zum König; denn es liegt
Der junge Heinrich da mit seinen Großen.

Burgund. Was Talbot will, das hält Burgund genehm.

Talbot. Jedoch laßt, eh' wir gehn, uns nicht vergessen
Den jüngst verschiednen edlen Herzog Bedford,
Und sehn wir sein Begräbnis hier vollbracht.
Kein braverer Soldat schwang je die Lanze,
Kein mildres Herz regierte je am Hof.
Doch sterben müssen Kön'ge, noch so groß;
So endet sich elender Menschen Los.

(Alle ab.)


Dritte Scene.

Pucelle. Verzagt nicht, Prinzen, über diesen Zufall,
Und grämt euch nicht, daß sie Rouen genommen,
Denn Sorge wehrt nicht, sie versehrt und zehrt,
Um Dinge, die nicht abzustellen sind.
Der tolle Talbot siegprang' eine Weil',
Und spreize wie ein Pfau sich mit dem Schweif;
Wir rupfen ihn und kürzen ihm die Schleppe,
Laßt Dauphin samt den andern nur sich raten.

Karl. Wir folgten deiner Leitung bis hieher,
Und hegten Mißtraun nicht in deine Kunst;
Ein schneller Unfall soll nie Argwohn zeugen.

Bastard. Such' deinen Witz durch, nach geheimen Listen,
Und ruhmvoll machen wir dich aller Welt.

Alençon. Wir stell'n dein Bildnis an geweihte Plätze,
Und beten dich wie eine Heil'ge an.
Bemüh' dich, holde Jungfrau, denn für uns!

Pucelle. So sei es also, dies ist Jeannes Plan:
Durch Ueberredungen mit Honigworten
Verstricken wir den Herzog von Burgund,
Den Talbot zu verlassen, uns zu folgen.

Karl. Ei ja, mein Herz! Wenn wir das könnten, wäre
Frankreich kein Platz für Heinrichs Krieger mehr,
Noch sollte die Nation so mit uns prahlen,
Vielmehr vertilgt aus unsern Landen sein.

Alençon. Für immer wären sie verbannt aus Frankreich,
Und führten keiner Grafschaft Titel hier.

Pucelle. Ihr sollt schon sehn, wie ich es machen will,
Die Sache zum gewünschten Schluß zu bringen.
        (Man hört Trommeln.)
Horcht! An dem Trommelschlag ist abzunehmen,
Daß ihre Truppen sich Pariswärts ziehn.

(Ein englischer Marsch. In der Entfernung zieht Talbot mit seinen Truppen vorüber.)

Da geht der Talbot, fliegend seine Fahnen,
Und alle Scharen Englischer nach ihm.

(Ein französischer Marsch. Der Herzog von Burgund mit seinen Truppen.)

Nun kommt Burgund im Nachtrab und sein Volk,
Das Glück ließ günstig ihn dahinten weilen.
Man lad' ihn ein: wir wollen mit ihm reden.

Karl. Auf ein Gespräch mit Herzog von Burgund!

Burgund. Wer fordert ein Gespräch mit dem Burgund?

Pucelle. Dein Landsmann, Frankreichs königlicher Karl.

Burgund. Was sagst du, Karl? Denn ich muß weiter ziehn.

Karl. Pucelle, sprich! Bezaubre ihn mit Worten!

Pucelle. Du Frankreichs Hoffnung, wackerer Burgund!
Laß deine Magd in Demut mit dir reden.

Burgund. So sprich, doch mach's nicht übermäßig lang.

Pucelle. Blick' auf dein fruchtbar Vaterland, dein Frankreich,
Und sieh' die Städt' und Wohnungen entstellt
Durch die Verheerung eines wilden Feinds.
So wie die Mutter auf ihr Kindlein blickt,
Wenn Tod die zart gebrochnen Augen schließt,
So sieh, sieh Frankreichs schmachtendes Erkranken;
Die Wunden schau, die Wunden, unnatürlich,
Die ihrer bangen Brust du selbst versetzt!
O kehr' dein schneidend Schwert wo anders hin,
Triff, wer verletzt, verletz' nicht den, der hilft!
Ein Tropfe Bluts aus deines Landes Busen
Muß mehr dich reu'n als Ströme fremden Bluts,
Drum kehr' zurück mit einer Flut von Thränen,
Und wasche deines Landes Flecken weg.

Burgund. Entweder hat sie mich behext mit Worten,
Oder mit eins erweicht mich die Natur.

Pucelle. Auch schreien alle Franken über dich,
Geburt und echte Herkunft dir bezweifelnd.
An wen gerietst du, als ein herrisch Volk,
Das dir nicht traun mag, als Gewinnes halb?
Wenn Talbot einmal Fuß gefaßt in Frankreich,
Und zu des Uebels Werkzeug dich gemodelt,
Wer außer Englands Heinrich wird dann Herr,
Und du hinausgestoßen wie ein Flüchtling?
Ruf' dir zurück, und merk nur dies zur Probe:
War nicht der Herzog Orleans dein Feind?
Und war er nicht in England Kriegsgefangner?
Allein, als sie gehört, er sei dein Feind,
So gaben sie ihn ohne Lösung frei,
Burgund zum Trotz und allen seinen Freunden.
So sieh dann! Wider deine Landsgenossen
Kämpfst du mit denen, die dich morden werden.
Komm, kehre heim! Kehr' heim, verirrter Fürst!
Karl und die andern werden dich umarmen.

Burgund. Ich bin besiegt; dies' ihre hohen Worte
Zermalmen mich wie brüllendes Geschütz,
Daß ich auf meinen Knie'n mich fast ergebe. –
Verzeiht mir, Vaterland und Landsgenossen!
Und, Herrn, empfangt die herzliche Umarmung.
All meine Macht und Scharen Volks sind euer.
Talbot, leb wohl, ich trau dir länger nicht.

Pucelle. Wie ein Franzos: gewandt und umgewandt!

Karl. Heil, braver Herzog! Uns belebt dein Bund.

Bastard. Und zeuget neuen Mut in unsrer Brust.

Alençon. Pucelle hat ihre Rolle brav gespielt,
Und eine goldne Krone dran verdient.

Karl. Nun weiter, Lords; vereinen wir die Truppen
Und sehn, wie wir dem Feinde Schaden thun.

(Alle ab.)


Vierte Scene.

Paris. Ein Saal im Palast. (König Heinrich, Gloster und andere Lords; Vernon, Basset u. s. w. Zu ihnen Talbot und einige von seinen Offizieren.)

Talbot. Mein gnäd'ger Fürst und ehrenwerte Pairs,
Von eurer Ankunft hier im Reiche hörend,
Ließ ich ein weilchen meine Waffen ruhn,
Um meinem Oberherrn die Pflicht zu leisten.
Zum Zeichen dess' senkt dieser Arm (der euch
An fünfzig Vesten zum Gehorsam rief,
Zwölf Städte, sieben mau'rumgebne Flecken,
Benebst fünfhundert achtbaren Gefangnen)
Sein Schwert vor Euer Hoheit Füßen nieder,
Und, mit des Herzens unterthän'ger Treu,
Schreib' ich den Ruhm gelungener Erobrung
Erst meinem Gott, dann Euer Hoheit zu.

König Heinrich. Ist dieses der Lord Talbot, Oheim Gloster,
Der sich so lang in Frankreich aufgehalten?

Gloster. Zu Euer Majestät Befehl, mein Fürst.

König Heinrich. Willkommen, braver Kriegshauptmann und Held!
Als ich noch jung war (zwar auch jetzt nicht alt),
Erinnr' ich mich, wie mir mein Vater sagte,
Kein bess'rer Streiter führte je das Schwert.
Seit lange war uns eure Treu bekannt,
Eu'r redlich Dienen, eure Kriegsbeschwer;
Doch habt ihr nimmer unsern Lohn geschmeckt,
Noch selber Dank ist euch erboten worden,
Weil wir bis jetzt nie euer Antlitz sahn.
Deshalb steht auf, und für so viel Verdienst
Seid hier ernannt zum Grafen Shrewsbury,
Und nehmt bei unsrer Krönung euern Platz.

(König Heinrich, Gloster, Talbot und Lords ab.)

Vernon. Nun, Herr, der ihr so hitzig war't zur See,
Beschimpfend diese Farben, die ich trage,
Zu Ehren meinem edlen Lord von York.
Darfst du die vor'gen Worte noch behaupten?

Basset. Ja, Herr; so wohl als ihr verteid'gen dürft
Der unverschämten Zunge boshaft Bellen
Auf meinen Lord, den Herzog Somerset.

Vernon. Ha, deinen Lord ehr' ich so wie er ist.

Basset. Nun, und wie ist er denn? So gut wie York.

Vernon. Hört ihr, nicht so! Zum Zeichen nehmt mir das. (Schlägt ihn.)

Basset. Du weißt es, Schurk, das Waffenrecht ist so,
Daß, wer den Degen zieht, des Todes stirbt;
Sonst zapfte dieser Schlag dein Herzblut an.
Allein ich will zu Seiner Majestät,
Und bitt' um Freiheit, diese Schmach zu rächen:
Sieh zu, dann treff' ich dich zu deinem Schaden.

Vernon. Verworfner, ich bin dort so bald wie ihr,
Und treffe dann euch bälder als ihr wünscht.

(Beide ab.)

 


 


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