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Anekdoten zur Charakterschilderung Suworow's

Die nachstehenden Beiträge zur Charakteristik Suworow's sind aus Wieland's Zeitschrift

Der neue Teutsche Merkur,

1799. II. S. 193–206, und 1802. I. S. 230–232, entnommen.

 

Ich habe nie einen Mann gesehen, der mich, trotz allen widersprechenden Gerüchten, die zu seinem Vortheil und Nachtheil herumgehen, und unter denen gewiß manche Märchen sind – bei dem ersten Anblicke mehr an sich gezogen hätte als Suworow. Er ist ein kleiner, hagerer, etwas gebückter Mann, jetzt ein siebzigjähriger Greis mit einem silberweißen Schädel. Aber jeder Nerve des Alten zeigt noch furchtbar schnelle Elasticität. Jeder Schritt ist Feuer, jede Bewegung Schnellkraft sowie fast jedes Wort Apophthegm und Lakonism. Seine ganze Kunst ist, schreckliche Energie in die Seelen seiner Leute zu bringen, die es dann für unmöglich halten, unter seiner Anführung geschlagen zu werden. Er ist der Abgott der russischen Soldaten und wird es bald auch der östreichischen werden. Ein Mann wie er ist dazu gemacht, die Herzen der Kriegsleute zu gewinnen, wenngleich nicht immer der höhern Officiere. Seine Gewohnheit ist, überall mit dem gemeinen Mann, und kurz und energisch, und am Meisten vor der Fronte bei dem Manöver oder vor einer Action zu reden. Hat er ihnen seinen Feuergeist eingetrieben, dann läßt er's nach der Disposition fortgehen, und es geht nach der Disposition. Man beschuldigt ihn der Härte, der Grausamkeit, der Unmenschlichkeit. Sehr oft liegt im Kriege der Anschein davon in der Energie beschlossen. Wenn das Roß in die Rennbahn gelassen ist, kann es nicht leicht aufgehalten werden; und wenn der Grenadier eine Batterie gestürmt hat und noch durch Blut watet, so steht bei ihm das höchste Moralgesetz in andern Charakteren als beim Philosophen auf dem Lehrstuhl. Suworow berechnet den Ausgang; die Mittel sind im Kriege immer blutig. Er will nicht, daß der Krieg grausam sein soll; wenn er es ist, so liegt das Traurige in der menschlichen Natur und vielleicht in der Bildung der Halbbarbaren, Gemeiner, und der kleinen und großen Officiere, die einen solchen Mann nicht verstehen können oder nicht verstehen wollen. Die Ersten sind Schwachköpfe, die Zweiten Bösewichter, und jede Armee hat davon eine große Anzahl. Die Gemeinen sind eigentlich überall nichts als das, wozu sie von diesem oder jenem oder einigen wenigen wirklich Edlen gemacht werden.

Suworow war sein ganzes Leben nichts als Krieger, und er hatte eine treffliche Schule, es zu werden; denn er hatte fast immer Krieg. Schon im siebenjährigen Kriege commandirte er, wie man mich versichert hat, eine Art von kleinen Freicorps und hatte schon damals viel von dem Stempel, der sich nunmehr ganz ausgedrückt hat. Seine wichtige Rolle fing im vorigen Türkenkriege an, wo er sehr viel entscheidende Streiche in seiner Manier ausführte. Der stärkste war Ismail. Es war für den ganzen Krieg von der größten Wichtigkeit, daß dieser Ort genommen wurde; es war beschlossen, daß er genommen werden sollte. Man hielt Suworow billig für den Mann, der den Rath ausführen müsse, wenn etwas daraus werden sollte. Er ging und nahm. Fünf Tage hatte er blind herum manövrirt und die Muselmänner in der sehr starken Festung kirre und sicher gemacht; am letzten Morgen fiel er mit seinen Bayonnischen Dolchen über sie her, und der Ort war sein. Sie wissen, zu welchen Vorwürfen Oczakow, Ismail und Praga den Russen gemacht werden; aber wollte der Himmel, sie hätten sonst nur keine Sünde gethan als an diesen Tagen! Diese wären zu entschuldigen. Zur Schande unserer Nation muß ich sagen, daß die deutschen Officiere bei der russischen Armee bei etwas mehr Kenntnissen im Durchschnitt nicht die menschlichsten waren. Suworow's Hauptstreich in Polen war bei Praga, wo er in zwei Stunden das Königreich zertrümmerte und die politische Existenz der Nation vernichtete. Ich habe mich an einem andern Orte darüber erklärt, da ich selbst Augenzeuge des Trauerspiels war. Es gehörte doch immer seine Energie dazu, die Sache so zu Ende zu bringen. Wäre Kosciuszko noch da gewesen, so wäre es wahrscheinlich nicht so gegangen. Die Vorwürfe, welche den Russen wegen ihrer damaligen Grausamkeit gemacht worden, sind zwar nicht ohne Grund, aber übertrieben. Daß eine Stadt ohne Unordnung erstürmt werden sollte, ist nicht möglich, so wie wir die Menschen nehmen müssen. Die Geschichte hat gezeigt und zeigt täglich, daß dieser Unordnungen und Grausamkeiten desto mehr sind, je mehr Bürger dabei sind, von denen man doch billig etwas mehr Humanität erwarten sollte als von Kriegern.

Suworow lehnt, so viel ihm möglich ist, alle Ministerialarbeiten, die in seine Sphäre fallen könnten, von sich ab und weist oft mit lakonischer Bescheidenheit an die Generale, die mehr Credit mit der Feder als dem Degen haben. »Ihr müßt zu ihm gehen, ich verstehe nichts davon!« pflegt er zu sagen, und der Sarkasm wird gewöhnlich gefühlt. Seine furchtbare Kürze und Schnelligkeit im Handeln ist bekannt genug und der Ausdruck des Feuers seiner Seele. Ebenso spricht und schreibt er. Seine Rapporte sind die gedrängtesten und immer voll Kraft und Charakter. Er muß ein sehr guter Dichter sein und die russische Sprache vollkommen besitzen. Ich habe einen Befehl in Versen nach der Einnahme von Praga von ihm bei einem Obersten gesehen und fand den Geist der Dichtung nicht geringer als den Werth der Regeln zur militärischen Polizei. Als er Ismail genommen hatte, war sein Rapport:

Slawa bogu, slawa wam;
Krepost vsäti, i ja tam
.

»Ehre Gott und Ehre Euch! die Festung ist genommen,
und ich bin darin.«

Sein » Hurrah! Praga! Suworow!« nach der Action bei Praga wird Ihnen auch bekannt sein; und in der nämlichen Minute schrieb er an den vorigen König von Preußen nichts als die Worte: » Prague est à moi et Varsovie tremble.« Malender kann kaum etwas von Suworow und von Warschau an dem Schreckenstage gesagt werden. Als er nachher seinen Einzug in Warschau hielt, umarmte und küßte er Alles, was ihm begegnete und eine etwas freundliche Physiognomie hatte, vorzüglich gemeine alte Leute. Auch ist eine seiner gewöhnlichen herzlichen Höflichkeiten gegen seine Officiere: Podi, bratez, pozeluy menja: »Komm, Brüderchen, küsse mich!« welches im Russischen nichts Auffallendes hat. Mit den Officieren, die näher um seine Person sind, geht er liebreich und freundschaftlich um, pflegt sie aber nicht so schnell zu befördern, als wol sonst in Rußland von großen Generalen geschieht, damit den Officieren in der Fronte kein Eintrag geschehe. Man hat nur sehr wenige Ausnahmen bei ihm. Bei andern Generalen war es nichts Neues, daß die gleichgiltigsten Menschen, die durchaus nichts gethan hatten und nichts thun konnten, jetzt als die letzten Officiere in Dienste traten und in kurzer Zeit Majore waren, blos weil sie irgend ein Favorit des Favoriten wegen irgend eines angenehmen Talents nachdrücklich empfohlen hatte. An Gelegenheiten, sie dem Kriegscollegio zu empfehlen, konnte es einem Commandeur nicht mangeln. Jede Courierfahrt brachte einen Grad. Diesem Unwesen hat der jetzige Kaiser durch seine Strenge zu steuern gesucht.

Im eigentlichen Dienst der Fronte ist Suworow sehr pünktlich und genau und ahndet jede Nachlässigkeit mit Ernst und kleinere Fehler, besonders gegen den Anzug, mit bitterer Satire. Wenn junge Leute sich als angestellte Officiere bei seiner Armee, besonders aus der Residenz, bei ihm melden und nicht ordonnanzmäßig aufziehen, spielt er ihnen sogar oft possierliche Streiche. Er fängt bei ihrer Erscheinung an, laut aufzuschreien, thut ängstlich, kriecht in die Winkel und oft hinter oder unter die Tische und ruft, man solle um Gotteswillen das neue fremde Gespenst fortschaffen. Irgend einer seiner Officiere nimmt dann den erschrockenen adonisirten jungen Kriegsmann, giebt ihm in einem Nebenzimmer die Erklärung und zerstört die stutzerische Zierlichkeit seiner Figur, läßt die Frisur umgestalten und zieht ihm einen Rock nach dem Ordonnanzschnitt an. Wenn er sodann zurückkommt, ist Suworow die Artigkeit selbst, erkundigt sich mit Theilnahme nach mancherlei Dingen, nimmt von dem Vorigen entweder gar keine Notiz mehr oder sagt nur mit halb ernster komischer Laune, daß er vorhin vor einem Gespenst fast des Todes gewesen wäre.

Seine Ordres haben freilich, um ihre Absicht zu erreichen, eine furchtbare Kürze. Bei Praga befahl er weiter nichts als: »Man stürmt, nimmt die Batterien und stößt nieder, was sich widersetzt!« Sie begreifen leicht, daß dergleichen Vorträge bei den gemeinen Soldaten und in Regimentern, wo vielleicht die Disciplin nicht die strengste ist, schrecklich wirken müssen. Seiner wirklichen Eigenheiten sind unendlich viele, und unstreitig werden ihm noch mehrere nachgesagt. Er hat selten Equipage und macht alle seine kleinern Touren auf Kosackenpferden. Die Posten bereitet er gewöhnlich nur in Begleitung von einigen Kosacken und in der größten Schnelligkeit. » Day, bratez, day!« ruft er dem Kosacken hinter ihm, wenn es zu langsam geht, und der Kosack muß das Pferd mit dem Kantschuh besser jagen. Er ist von Jugend auf fast immer kränklich gewesen und hat sich nur durch Diät und Abhärtung gehalten. Kaltes Bad ist seine Hauptmedicin, und zwar läßt er gewöhnlich das Wasser mit Eimern von den Bedienten auf sich gießen, auch wenn sie es eben aus dem Flusse schöpfen. Das geschieht oft auf dem Marsche, wenn die Regimenter vorbeiziehen. Als der Prinz Koburg nach dem Treffen, in welchem sie zusammen den Großvezier geschlagen und vertrieben hatten, ihn aufsuchte, um ihm seinen Besuch zu machen, fand er ihn, wie man mich versichert hat, in einer solchen Stellung, etwas vom Lager entfernt, bei einem Wachfeuer, wo er sich wärmte. »Ich werde gleich die Ehre haben, bei Euer Durchlaucht zu sein,« rief das kleine nackte Männchen dem Prinzen zu; »ich bin durch und durch naß geworden, da ich durch den Fluß ging;« und so halfen ihn die Grenadiere und Kosacken ankleiden. Im Lager oder im Quartiere legt er sich nach diesem Bade allezeit, auch bei dem kältesten Wetter, auf eine Streue von frischem Stroh, deckt sich mit dem Mantel und bleibt so vier oder fünf Minuten liegen, ehe er sich wieder anzieht.

Vor dem letzten wahren entscheidenden Sturm von Ismail war seine oft barocke Sonderbarkeit wol am Auffallendsten. Ich habe manchmal darüber den Kopf geschüttelt; die Anekdote ist mir aber von mehrern Officieren wiederholt erzählt worden, die lange Zeit um ihn gewesen sind und keine Fabler waren. Er sagte den Abend vorher: »Morgen früh, eine Stunde vor Tage, werde ich aufstehen, werde mich anziehen, mich waschen, werde beten, werde dann krähen wie ein Hahn, und man stürmt nach der Disposition!« Er stand eine Stunde vor Tage auf, zog sich an, wusch sich, betete und krähete wie ein Hahn, und man stürmte nach der Disposition und nahm die Festung. Credat Judaeus Apella! werden Sie sagen; das dachte ich auch, aber meine Gewährsleute waren keine gewöhnlichen Anekdotenjäger, und ich gehöre ebenso wenig zu der Classe.

Er ist sehr religiös oder scheint es wenigstens. Alle Ceremonien beobachtet er mit der größten Gewissenhaftigkeit und hält darauf, daß es auch bei seiner Armee geschehe; übrigens bekümmert er sich aber nicht um die individuelle Ueberzeugung Anderer. In Warschau hatte ein Hauptmann die Gebetsformel abgekürzt, die er vor der Wache Abends beim Zapfenstreich nach der Ordonnanz herzusagen hatte, um desto schneller davon zu kommen. Der Feldmarschall hatte es von ungefähr gehört und die Lücke bemerkt und stürzte mit Heftigkeit vor die Wache und schalt den Hauptmann fürchterlich: »Du gewissenloser, entsetzlicher, gottvergessner Mensch!« sagte er; »Du willst den Himmel betrügen; Du willst gewiß auch mich und die Kaiserin betrügen! Was willst Du hier? Ich werde Dich wegschicken!« Es ist in der russischen Sprache gewöhnlich, daß der Obere zu den Niederen Du und dieser zu jenem Ihr spricht, zumal wenn die Sprache in der strengen Ordonnanz oder im Affect ist.

Als er in Warschau sein Feldmarschallspatent erhielt,– denn vorher war er nur General en chef, welches dem preußischen General von der Cavallerie oder Infanterie gleich war, – küßte er es mit den gewöhnlichen religiösen Gesten und capriolte sodann einigemal kosackisch durch das Zimmer. »Nicht wahr, ich kann noch springen?« sagte er dann sehr kaustisch zu den Officieren, die im Zimmer waren; »ich kann noch springen!« Alle verstanden den Alten ohne Hermeneutik; denn er war bei der Promotion über mehrere Vordermänner weggesprungen, unter denen auch Repnin war. Auf dem Marsche war er ehemals meistens in der Kurtke wie ein gemeiner Soldat. So wie ich ihn gesehen habe, nämlich in Warschau, war er aber immer in Uniform und zuweilen sehr glänzend mit Orden und Steinen behangen. Er ist ziemlich reich, und lebt doch immer ziemlich schlecht, wenigstens in Vergleichung mit den übrigen großen russischen Generalen, die ehemals ein wahres Satrapenhauswesen führten. Deswegen spart er aber nichts, denn er ist sehr großmüthig und nachsichtig. Es ist bekannt, daß er seine lakonische offene Rede auch gegen den jetzigen Kaiser behielt, und daß dieser endlich genöthigt war, sie ihm nachzusehen. Der Werth des Mannes zeigt sich auch darin. Er sprach energisch gegen die Veränderungen im Militär. Der letzte Brief des Kaisers an ihn, ehe er nach Italien ging, giebt das wahre Verhältniß ganz richtig an. Er ist aus den Zeitungen überall bekannt. Es wurden bei der Thronveränderung eine große Menge Officiere ohne Untersuchung ganz willkürlich nicht allein verabschiedet, sondern oft geradezu ohne Abschied ausgeschlossen. Suworow nahm sie auf, stellte manche wieder bei seinem Corps an, behielt andere auf Expectanz in seinem Hause und behandelte sie sehr großmüthig. Der Kaiser, der dieses erfuhr, war sehr aufgebracht, daß es der Feldmarschall wagen könnte, so öffentlich gegen seinen Willen zu handeln, und forderte Rechenschaft. Suworow sagte: »Ich kenne die Leute; sie sind ehrlich und brav. Sie haben entweder gar nicht gefehlt, oder ihr Fehler verdient doch nicht diese Ahndung. Und wenn es nicht wäre, sie sind arm und hilflos. Sollen sie Bettler oder Gauner oder Räuber werden? Das kann ich als guter Russe nicht leiden; ich habe sie aufgenommen.« Der Kaiser fühlte das Edle der Entschlossenheit, forschte nicht weiter, und Viele wurden durch das Wort des Feldmarschalls in der Folge wieder angestellt.

Die Beschuldigung, daß unter seinem Commando Unordnungen und Grausamkeiten geschehen, ist selbst in Rußland oft zu hören; und es fehlt dort selbst unter der Armee nicht an Leuten unter angesehenen Officieren, die sogar seinen militärischen Werth nicht sonderlich hoch anschlagen. Mir ist das immer sonderbar vorgekommen. Die erste Beschuldigung, wegen der Unordnung, fällt durchaus mehr auf den kleinen Commandeur als auf den Chef, und der Feldmarschall kann oft nicht dafür stehen, wenn die Grenadiere Unheil anrichten; aber der Oberste und Hauptmann können und müssen es.

Suworow soll eine ausgebreitete Belesenheit in allen Theilen der Wissenschaften, vorzüglich im Kriegswesen haben. So viel ist gewiß, daß er mehrere Sprachen mit ziemlicher Fertigkeit und Richtigkeit spricht. Ich habe gehört, wie er mit preußischen Officieren sprach, und es wäre mir schwer zu bestimmen gewesen, wer von ihnen in der Sprache der Beste war, der Russe oder die Deutschen. Französisch spricht er so gut, als man es von einem Manne seines Faches erwarten kann, und besser als mancher in ähnlichen Verhältnissen. Türkisch und Tartarisch soll er sprechen wie ein Türke und Tartar, da er einen großen Theil seines Lebens im Kriege mit beiden Nationen zugebracht hat. Von der feinen Unterscheidung seines Auges hatte ich zu meiner kleinen Beschämung selbst die Erfahrung an mir. Mehrere Russen hatten mir das Compliment gemacht, ich habe in Lebensart, guter Gesinnung und schon im Gesicht und äußerlichen Aufzug so viel Nationales von ihnen, daß man mich wohl für einen Russen nehmen könnte. Diese Höflichkeit war für mich, da ich damals den russischen Rock trug, immer sehr schmeichelhaft, und ich suchte sie zu verdienen. Suworow redete mich gleich das erste Mal auf der Parade, ohne zu wissen, wer oder woher ich sei, französisch an, wie er es gewöhnlich mit Fremden macht, und zeigte mir dadurch, daß ich mich bei Weitem noch nicht einmal im Aeußerlichen nationalisirt hatte.

Ich halte ihn vor allen unsern öffentlichen Zeitgenossen für den Mann, der am Meisten eigenen Charakter, die größte Energie, den umfassendsten Blick mit wahrer persönlicher Rechtschaffenheit und Humanität besitzt. Das letzte Wort scheint Ihnen ein Paradoxon zu sein; aber die Wahrheit würde sich bei näherer Beleuchtung gewiß zeigen. Sie müssen bedenken, daß man den Mann wegen seines Feuergeistes meistens nur zu Desperationskuren gebraucht hat, und daß er dadurch in den traurigen Verhältnissen das zu scheinen das Unglück hatte, was Potemkin wirklich war.

Noch etwas, das mir sehr aufgefallen ist, da es gegen die Gewohnheit fast aller Großen sowol im Cabinette als im Felde läuft, muß ich Ihnen von dem alten Suworow sagen, nämlich daß er sowol im Russischen als Deutschen und Französischen eine außerordentlich niedliche schöne Hand schreibt. Ich glaube, kein Schreibmeister der drei Nationen könnte die Lettern, einzeln und zusammen, in schönerer Gestalt und Proportion zeichnen. Es ist sonst die nicht löbliche Gewohnheit dieser Herren, ihres Namens Unterschrift so hieroglyphisch zu machen, daß man auf den Pässen ebensowol Hannibal als Scipio daraus lesen kann. Suworow schreibt so, daß es jeder Leseknabe sogleich lieset, in den reinsten zierlichsten Charakteren: » Beider Reiche Graf Alexander SuworowEr ist russischer und deutscher Graf und ward Beides zu gleicher Zeit. Der russische Graf hält sich gewöhnlich für etwas wichtiger als den deutschen, wovon im russischen Leben manche Beispiele sind.

 

Suworow, für dessen Enkomiasten man mich sehr mit Unrecht hält, hat auf seinem Zuge durch Schwaben und Böhmen zu einem häßlichen Gemälde gesessen. Der Löwe ist todt, nun wird zugeschlagen. Ich weiß sehr wohl, daß das ganze Leben des Mannes eine Kette von Marotten war; aber wenn man seine Nichtfreunde in Prag und Wien hört, sollte man glauben, es wäre ein ausgemachter alter närrischer Geck von einem weggeworfenen Charakter gewesen; und der war er denn doch gewiß nicht. Sonderbarkeit war überhaupt sein Stempel, und er war damals vorzüglich in einer ganz eignen Stimmung gegen Jedermann, und Jedermann war in einer eignen Stimmung gegen ihn. Die Politischen Verhältnisse lassen schon vermuthen, in welcher peinlichen Lage er damals von allen Seiten sich befand. Weder sein eigner Monarch noch der östreichische Hof waren mit seinem Betragen zufrieden. Er hatte ohne Schonung über Fehler aller Art ohne Rücksicht der Personen gesprochen. Er war alt und kränklich und sahe dem Ende seines Lebens entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen Umständen sich nicht vermindern. Die Ungezogenheiten einiger seiner Untergebenen wurden ihm zur Last gelegt, und er selbst war freilich nicht der Mann, der durch schöne Humanität und Grazie des Lebens seinen Charakter hätte empfehlen können. Seines Werths sich bewußt, streng ehrlicher Mann, aber eisern consequenter Soldat, war er voll Eigenheiten, die alle wie Bizarrerien aussahen, war äußerst streng gegen sich und darum auch in seinen Forderungen gegen Andere und sprach skoptisch und sarkastisch über Alles. Seine Bigotterie war sehr wohl berechnet, ob sich auch gleich hierin sein eigener Charakter mischte und ihr einen Anstrich von Possierlichkeit gab. Er soll in Prag eine schmutzige Filzerei gezeigt haben, weggereist sein, ohne einen Kreuzer zu bezahlen, und nichts als einen alten Nachttopf zurückgelassen haben, den man als eine Reliquie ganz eigener Art aufbewahrt. Das ist nun gewiß wieder ein barockes Quidproquo; denn Geiz war so wenig sein Charakter als Verschwendung. Wenn ich diese Dinge nicht von wahrhaften Leuten hätte, würde ich den Kopf schütteln und sie zu den lächerlichsten Erfindungen des Tages setzen. Aber man muß den Teufel nicht zu schwarz machen, und ich bin fest überzeugt, daß er durchaus ein ehrlicher Mann und kein Wütherich war, wenn er auch eine starke Tinctur Excentricität hatte und mit der Welt im Privatleben Komödie spielte, so wie man ihn im öffentlichen zu lauter Trauerspielen benutzte. Sie wissen, daß ich dem Manne durchaus gar nichts zu danken habe, und können in meiner Aeußerung durchaus nichts als meine ehrliche Meinung finden. –

Seume.

 

Leipzig, Walter Wigand's Buchdruckerei.


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