Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ueber das Leben und den Charakter der Kaiserin von Rußland Katharina II.

Mit Freimüthigkeit und Unparteilichkeit.

Le premier soin, le premier devoir, quand
on traite des matières importantes au
bonheur des hommes, ce doit être de
purger son âme de toute crainte, de
toute espérance.

Raynal.

 

Wenn Könige sterben, jauchzen und trauern Millionen, und Viele machen sich fertig, zu reden und zu schreiben. Manche strömen daher als Enkomiasten, ihren Griffel in den Honig der Schmeichelei getaucht; Manche brechen hervor zum bittern Tadel, ihre Feder in Schmähsucht und Galle gesenkt; nur Wenige sprechen Wahrheit, weil nur Wenige ohne Furcht und Hoffnung, ohne Vorurtheil und Parteigeist sind. Bei Lückenbüßern unter den Großen, die nur die Chronologen und Genealogen durch ihre Auftrittsperiode und ihren Sterbetag beschäftigen und der Geschichte den Zeitraum ihrer Vegetation hinterlassen, finden Alle nur sehr wenig Stoff, und Alles schlummert in guter Ordnung fort; aber das Ende außerordentlicher Personen ihres Zeitalters bringt gewöhnlich alle Meinungen über ihren Werth oder Unwerth in Gährung und erzeugt die auffallendste, groteskeste Verschiedenheit.

Dem pragmatischen Menschenforscher ist bei einer solchen Gelegenheit nichts unwichtig. Er sieht, wie jeder der Männer des Publicums aus Grundsätzen, Neigung, Vorurtheilen, Parteilichkeit oder irgend einem andern Grunde seinen eigenen Gesichtspunkt faßt und seinen Helden mit Lorbeern oder mit Dornen krönt. Aus der Zusammenstellung aller dieser Umstände und ihrer Vergleichung sucht er wo möglich die Wahrheit der Thatsachen aufzufinden, sie auf der Wage der Vernunft kosmisch und moralisch zu würdigen und für sich und seine Interessenten die praktischen Resultate daraus zu ziehen.

Die beiden nordischen Helden zum Anfange des Jahrhunderts ausgenommen, sind in Europa ohne Widerspruch in demselben in kosmischer Rücksicht ein deutscher Mann und eine deutsche Frau, Friedrich der Zweite von Preußen und Katharina die Zweite von Rußland, die wichtigsten. So merkwürdige Männer auch in den neuern Händeln der Franzosen aufgetreten sind, so ist doch keiner derselben so wichtig, daß er nur entfernt in eine Vergleichung mit diesen Beiden gestellt werden könnte. Unser Vaterland darf stolz darauf sein, sie unter seine Kinder zu zählen. Mag ihnen die Welt die Beinamen Groß geben oder nicht, so sind sie doch in aller Rücksicht dem Kosmopoliten sowol als jedem Parteigänger insbesondere äußerst wichtig und merkwürdig. Wir haben vor zehn Jahren bei Friedrich's Tode den Beweis von der Aeußerung der buntesten Meinungen gehabt; es wird dem Charakter Katharinens nicht anders und nicht besser ergehen. Friedrich wurde vergöttert und gelästert, und Katharina wird vergöttert und gelästert werden. So ging es Cäsar, Konstantin, Julian und allen Uebrigen, deren Namen berühmt oder auch wol berüchtiget sind; Alle haben ihre Kirchenväter und ihre Prokope, und nur der tiefere Wahrheitsforscher ist dann und wann so glücklich, die Staubwolke wegzublasen und den Parteigeist und den Enthusiasmus der Kirche und der Politik zu berichtigen. Selten sieht und beurtheilt der Mensch die Dinge, wie sie sind; fast immer setzt ihm irgend eine Leidenschaft ein optisches Glas vor die Augen. Dieses ist der Fall im Privatleben, wo selten der Nachbar den moralischen Werth seines Nachbars mit einigem Grunde competent bestimmen kann; und noch mehr ist er es in der höheren Sphäre der Menschen, wo die Verhältnisse noch dichtere Schleier ziehen, tiefere Verwickelungen legen und dickere Schminke auftragen müssen. Es ist selten ein Mensch so gut oder so schlecht, als die öffentliche Meinung von ihm ist; und dieses gilt noch vorzüglicher von den Königen. Nero war gewiß kein so scheußliches Ungeheuer und Titus kein so tadelloser wohlthätiger Genius, als uns die Geschichte sagt. Das Major ex longinquo in utroque ist im vorzüglichen Grade im Gepräge der Monarchen. Mit mehr Freiheit und viel mehr Macht, als ihre übrigen Zeitgenossen genießen, werden sie mit gewöhnlichen Tugenden Wohlthäter und Schutzgeister und mit gewöhnlichen Lastern Harpyen und Geißeln der Nationen. Durch ihren Einfluß auf Alle wird an ihnen Alles größer, das Gute wie das Böse; jenes hebt sie leicht zu Engeln, dieses brandmarkt sie leicht zu Teufeln; ein nothwendiger Lohn und eine nothwendige Strafe auf der Stufe, auf welcher sie stehen.

Der Verfasser wagt es, in dem folgenden Werkchen die Geschichte der Kaiserin Katharina der Zweiten mit philosophischem und kosmopolitischem Sinne kürzlich zu schildern. Da die Parteien überall gewöhnlich auf beiden Extremen stehen und enthusiastische Verehrer oder bittere Schmäher sind, so wird er mit aller Ruhe und Wahrheitsliebe, so viel in seinen Kräften steht, die Sachen, wie er sie unbefangen sieht und beurtheilt, vortragen und sodann seinem Publicum die Entscheidung über seine Gründe überlassen. Die Schrift ist keine Lobschrift, als insofern der Gegenstand es erzwingt, und enthält keinen Tadel, als insofern der laute Beifall nicht sprechen kann. Sie ist keine geordnete vollständige pragmatische Biographie: denn dazu fehlt es dem Verfasser nicht allein an Materialien und ununterbrochenen, richtigen Urkunden, sondern auch an Kräften zur würdigen Behandlung. Er sagt vielleicht nur, was längst allgemein bekannt ist, und spricht darüber nach seinem Wahrheitsgefühl ohne Rücksicht, welche Zufriedenheit oder welches Mißvergnügen er bei den Parteien aller Art dadurch erregen wird. Der Aufsatz ist nichts als eine Flugschrift der Periode; es würde aber dem Verfasser sehr leid thun, wenn wohlunterrichtete und wohldenkende Männer sie zu der Rubrik ganz gewöhnlicher seichter Gelegenheitsproducte dieser Art zu zählen Ursache finden sollten.

Es ist in Rußland bekannt, daß ein Mann von bewährter Rechtschaffenheit, von gründlichen geläuterten Kenntnissen in alter und neuer Literatur, von dem feinsten Geschmack, und dessen literarischer Credit schon unter seinen Landsleuten und unter den Ausländern feststeht, der überdies in den wichtigsten Geschäften der Kaiserin oft ist gebraucht worden, entschlossen ist, die Geschichte seiner Monarchin ohne Schmeichelei der Nachwelt zu geben. Wenn dieses geschiehet, ist Katharina die Zweite noch nach ihrem Tode so glücklich, einen ihrer würdigen Geschichtschreiber zu finden, wie ihn Alexander im Arrianus und Gustav Adolph in Oxenstierna hat, und wie ihn Friedrich der Zweite bis jetzt noch nicht gefunden. Denn wider seine eigenen Werke werden aus dem gewöhnlichen Rechtsgrunde seine Feinde appelliren, und die besten Beiträge Herzberg's und aller Uebrigen bleiben immer nur noch Beiträge. Die Kaiserin wußte es, daß dieser Mann von ihrem Hofe Documente und Papiere aller Art zu diesem Behufe sammelte und ordnete und sie zu seinem Endzwecke bearbeitete; seine Freimüthigkeit und Rechtschaffenheit sowol als seine Feinheit des Geschmacks waren ihr bekannt, und sie bat ihn um die Mittheilung seiner Schriften, welches der Mann verweigerte, mit der Aeußerung, daß nur Wahrheit allein, ohne alle Rücksicht, seine Führerin sein müsse, und er wolle weder sich noch seine Monarchin durch irgend einen Schein in den Verdacht des Gegentheils bringen. Die Kaiserin lächelte, sprach und handelte fort, wie sie gewohnt war, und ließ den Mann sammeln und schreiben. Gewiß werden Diejenigen, welche durchaus despotische Willkür in Katharinens Charakter tragen, diesen Zug ebenso wenig als tausend andere, in ihr Gemälde setzen. Hoffentlich wird das ganze europäische Publicum nun bald die Frucht von dem kosmopolitischen Wahrheitseifer dieses Mannes erwarten dürfen; und wir dürfen glauben, daß sodann diese Schrift Aufschlüsse über Vorfälle enthalten wird, an welchen ganz Europa den lebhaftesten Antheil nahm und noch nimmt, da sie nicht allein auf Humanität und Aufklärung, sondern auf Menschenschicksale, Menschenwohl und Menschenelend überhaupt den entscheidendsten Einfluß hatten. Sie wird von einer Monarchin handeln, auf welche mehr als ein Welttheil bei den wichtigsten Conjuncturen der gesammten Menschheit ihr Augenmerk richteten, und deren Entschlüsse und Maßregeln die Parteien aller Art nach ihren Stimmungen entweder verehrten oder verwünschten; ihr Verfasser wird ein Mann sein von der nämlichen Nation, deren Beherrscherin sie war, der, mit allen Eigenschaften zu dieser Unternehmung, Gelegenheit hatte, sie von ihrer ersten Erscheinung in der nordischen Welt bis an ihren Sterbetag in allen ihren Verhältnissen mit größter Freiheit zu beobachten.

Unterdessen will ich hier in diesen wenigen Bogen das Wesentlichste und Merkwürdigste von dem Leben dieser außerordentlichen Monarchin nach den öffentlichen Papieren wiederholen, mehr ihren Charakter zu schildern, als ihre Thaten zu beschreiben suchen, und deswegen oft nur auf Thatsachen hindeuten, die fast Jedermann des lesenden Publicums schon im Gedächtnisse hat. Da man über ihren öffentlichen und häuslichen Charakter, zumal im Auslande, so verschieden und meistens mit Vorurtheil und Lieblosigkeit spricht und auch wol schreibt, so kann ein Versuch einer unparteiischen Darstellung den deutschen Lesern nicht unwillkommen sein. Ihre enthusiastischen Verehrer finden vielleicht in mir nicht den glühenden Panegyriker, den sie wünschen; aber ihre Tadler und Schmäher finden dagegen vielleicht einen Vertheidiger, den sie nicht wünschen. Schwerlich wird im russischen Reiche eine Seele leben, die den Namen Katharinens nicht mit Dankbarkeit und Liebe und Ehrfurcht nennte, ausgenommen Bösewichter und kleine Tyrannen, welche ihre Gerechtigkeit zu Boden drückte; aber im Auslande ist man aus mancherlei Ursachen so bemüht, alle ihre Handlungen und Gesinnungen in ein nachtheiliges Licht zu stellen, daß unter dem Namen der nordischen Semiramis auch wol liberal denkende Menschen sich sogleich den Inbegriff der weiblichen Tyrannei mit ihrem ganzen schrecklichen Gefolge vorstellen. Wir wissen von der morgenländischen Königin fabelhaften Andenkens so wenig Bestimmtes, daß es kaum einem ernsthaften Manne einfallen kann, irgend eine Person aus der sichern Geschichte mit ihr zu vergleichen. Der Verfasser dieses kleinen Aufsatzes ist gewiß nichts weniger als Anhänger der Despotie oder des Aristokratismus, und er hat durchaus keine Aufforderung, weder von innen noch von außen, etwas zu billigen oder zu mißbilligen, als den Maßstab seiner vernünftigen Grundsätze, seiner Philanthropie und seines Wahrheitsgefühls. Nach diesen wird er sprechen ohne alle Bedenklichkeit und ruhig sein.

 

Die Kaiserin Katharina Alexiewna die Zweite, ehemalige Prinzessin von Anhalt Zerbst, unter dem protestantischen Taufnamen Sophie Friederike Auguste, geboren im Jahre 1729, kam mit ihrer Mutter auf Einladung der damaligen Kaiserin Elisabeth nach Moskau als erwählte Braut des Großfürsten Peter Fedrowitsch, den Elisabeth als ihren Neffen zum Thronfolger erklärt hatte. Alte Leute, welche sie noch als ein kleines Mädchen in Zerbst auf dem Schloßhofe mit den Kindern aus der Stadt bei dem Spiele gesehen haben, erinnern sich mit Vergnügen der Lebhaftigkeit, Artigkeit und Leutseligkeit der jungen liebenswürdigen Prinzessin, und manche Graubärte erzählen noch mit vieler Selbstgefälligkeit die kleinen Vorfälle, als sie daselbst zuweilen ihre Spielkameraden waren. Die Nachrichten sagen, daß die Kaiserin Elisabeth zur Gemahlin für ihren Neffen, den Großfürsten, die Prinzessin Amalie von Preußen, Schwester Friedrich's des Zweiten, wünschte; ob aber der König Bedenklichkeiten fand, seine Schwester, die er sehr liebte, in ein so kaltes, damals noch halb wildes Land so weit von sich zu lassen, oder ob die Prinzessin selbst nicht Neigung hatte, nach Moskau zu gehen, ist nicht ganz bekannt. Friedrich dankte für den ehrenvollen Antrag und schlug die Prinzessin von Anhalt Zerbst vor. Man folgte zwar seinem Rathe, aber vielleicht wurde auch diese Weigerung eine von den Ursachen zur Erbitterung der Kaiserin gegen den König von Preußen, welche die Oestreichischgesinnten in Petersburg zur Schließung der Allianz mit Wien und Dresden sehr künstlich benutzten. Die Kaiserin Katharina die Zweite dankt also ihre große politische Laufbahn vielleicht ganz zufälligerweise irgend einer kleinen Bedenklichkeit Friedrich's; und der Himmel weiß, welche Katastrophen im Gegentheil sich ereignet hätten, wenn Friedrich diese Bedenklichkeit nicht gehabt hätte. Die Verbindung zwischen Petersburg, Wien und Dresden wäre wahrscheinlich nicht geschlossen worden, der siebenjährige Krieg wäre nicht erfolgt; aber was würde in Deutschland und im Norden an die Stelle getreten sein? So gewiß ist es, daß die größten, wichtigsten Begebenheiten oft von sehr kleinen Ursachen abhängen, und daß nach mathematischer Berechnung ein Sandkorn, hierher oder dorthin geworfen, eine Welt zertrümmern kann.

Die junge Prinzessin von Zerbst traf im Juni 1744 in Moskau ein, nahm den Tag darauf die griechische Religion an, welches der russische Hof jederzeit zur nothwendigen Bedingung macht, wenn Prinzessinnen von andern christlichen Religionsparteien in die kaiserliche Familie verheirathet werden, erhielt den Namen Katharina Alexiewna, wurde den folgenden fünften Juli mit dem Großfürsten verlobt, zur Großfürstin mit dem Titel Kaiserliche Hoheit erklärt, und das folgende Jahr den ersten September wurde die Vermählung feierlich vollzogen. Seit dieser Zeit scheint es festere Gewohnheit des Hofs geworden zu sein, für die kaiserlichen Prinzen jederzeit Prinzessinnen kleinerer deutscher Fürsten zu wählen; höchstwahrscheinlich, damit man desto weniger Parteien und Einfluß von außen zu befürchten habe, wie das wol der Fall sein könnte, wenn ein mächtiger Hof dem regierenden Hause durch Blutsverwandtschaft nahe träte.

Die junge Großfürstin erwarb sich durch ihre persönlichen Vorzüge und durch die Talente ihres Geistes bald die allgemeine Liebe und Verehrung sowol der Einheimischen als der Fremden. Die Leichtigkeit und Ungezwungenheit, mit welcher sie sich in ihren neuen glänzenden Verhältnissen betrug, die Schnelligkeit, mit welcher sie die ihr fremde Sprache der Nation lernte, die Güte und Herablassung, mit welcher sie durchaus mit Jedermann aus allen Ständen sprach und umging, der Witz und die Anmuth, welche durchaus in Allem herrschten, was sie that und sprach, machten sie bald ebenso sehr zum Liebling der Nation, als die zurückstoßende Härte des Großfürsten die Gemüther erbitterte und von sich entfernte. Während der ganzen Regierung der Kaiserin Elisabeth bis zu ihrem Tode hatte sie in die Geschäfte noch weniger Einfluß als ihr Gemahl, der vielleicht aus guten Gründen, aber wol nicht mit reiflich überlegter Methode ein seiner Tante ganz entgegengesetztes System angenommen hatte.

Es sei mir erlaubt, etwas Weniges über die damalige Lage der Dinge zu sagen. Vor Peter dem Ersten waren die Russen eine ungeheure Masse halber Barbaren mit allen Fähigkeiten und allen außerordentlichen Kräften, welche sie seit der Zeit gezeigt und zu entwickeln angefangen haben. Jedermann weiß, was Peter zum Erstaunen seiner Zeitgenossen und zur Bewunderung der Nachwelt unternommen und ausgeführt hat. Er riß das alte Gebäude nieder, mit Gefahr, sich unter den Trümmern zu begraben, und fing an zu bauen auf eine Weise, welche in kurzer Zeit seiner Nation ein entscheidendes Uebergewicht im Norden gab. Peter hatte den Riesengedanken, da seine schwedischen Kriege seine Gegenwart oben immer nothwendig machten und Moskau ihm wegen der blutigen Scenen der Strelitzen nicht sehr angenehm war, sich selbst eine neue Residenz, und zwar außer den Grenzen seines Reichs zu bauen; er führte ihn aus, wie ihn seine Seele gedacht hatte. Es ist kein ähnliches Phänomen in der ganzen Menschengeschichte. Wo vor hundert Jahren nur noch einige Fischerhütten standen, wohnen jetzt zweimalhunderttausend Menschen mit ihrem ganzen furchtbaren Apparat; und alte Königshöfe horchen begierig auf das, was dort beschlossen wird. Das war Peter's Werk. Freilich gehörte dazu ein Nachbar, wie Karl von Schweden war, der bei allem Muth und aller Tapferkeit der alten Chevalerie auch seine Entwürfe aus ihren Büchern genommen zu haben scheint. Wäre Karl von Narva nicht dictatorisch nach Polen und Sachsen gegangen, sondern hätte von dort aus seinen Vortheil nach Moskau verfolgt oder hätte sich auf seine eigenen und die benachbarten Provinzen eingeschränkt, so würde Peter wahrscheinlich zwar immer sein gefährlichster Feind, aber wol nie sein Ueberwinder gewesen sein. Das läßt sich sicher aus der damaligen Beschaffenheit der Kriegskunst bei beiden Nationen schließen. Seit Peter's Tode hatte Schweden zwar nichts Beträchtliches an Rußland verloren; dieses war ihm aber durch seine neuen Erwerbungen und noch mehr durch seine neuen Etablissements in allen Zweigen der Kriegskunst entscheidend furchtbar geworden. Rußland hatte vorher nur mit den Türken und Tartarn Händel gehabt; unter Peter fing es an, sich nachdrücklich in die polnischen Angelegenheiten zu mischen, und unter seinen Nachfolgern hatte es bald sein Interesse in Deutschland, und man sahe die Russen am Rhein. Die Kaiserin Elisabeth war durch einige Sarkasmen Friedrich's des Zweiten, ganz gegen das damalige anscheinende Staatsinteresse, so sehr gegen alle Preußen eingenommen, daß sie eifrig in alle Maßregeln einstimmte, welche man ihr von Wien und Dresden aus zum Nachtheil des Königs von Preußen vorzuschlagen wußte. Peter der Große hatte fast alle seine großen Reformen mit Hilfe der Ausländer angefangen, und dadurch hatte nothwendig Mancher derselben in Rußland Credit gewonnen. Schon unter seiner und noch mehr unter den folgenden Regierungen hatte der Troß der russischen Nation es mit scheelen Augen angesehen, daß so viele Ausländer, vorzüglich Deutsche, Beförderungen im Civil und Militär erhielten. Kein rechtlicher Mann, welcher der Nation Ehre macht, hat an den barbarischen Entschlüssen Antheil genommen, die man einigemal gegen die Fremden gefaßt hatte. Unter Elisabeth, gleich nach dem Antritt ihrer Regierung in Moskau, wollte man alle Ausländer vertilgen; und bei der Armee in Finnland wollten unter der nämlichen Kaiserin die Grenadiere alle fremden Officiere auf das Bajonnett nehmen und sodann nur ihren Nationalcommandeuren gehorchen, weil sie sich geschmeichelt hatten, die Kaiserin würde alle Ausländer fortschaffen. Der General Keith, nachheriger preußischer Feldmarschall, dessen Namen jeder Schulknabe kennt, welcher damals im russischen Dienst war und dort commandirte, stillte durch seinen Muth und seine unerschütterliche feste Entschlossenheit den Aufruhr. Der Mensch ist gewöhnlich nur wüthend, wenn er blind ist; sobald er sehen lernt, wird er vernünftig, wenn er auch Barbar wäre. Die Soldaten bereuten bitter ihre Wildheit und schämten sich ihrer Ausschweifungen. Es war aber bei dieser Stimmung ganz natürlich, daß ein Krieg wider Preußen, von welchem sie, aber freilich unter Zwang, bisher sehr viel gelernt hatten, der russischen Nation gar nicht unwillkommen war.

Der Großfürst, als Thronfolger, war mit den Maßregeln seiner Tante, der regierenden Kaiserin, gar nicht zufrieden, da er ein persönlicher Freund und Verehrer Friedrich's war; und meistens hatte er die Offenherzigkeit, sein Mißvergnügen gar nicht zu verbergen. Die Kriegsoperationen in Preußen sollen eben deswegen von russischer Seite durch Anstiften des sogenannten kleinen Hofs oder der Anhänger des Großfürsten ungewöhnlich saumselig gegangen sein. Das Ende der Kaiserin konnte wahrscheinlich nicht mehr fern sein; und es läßt sich leicht vermuthen, daß Mancher sich in die Gunst des neuen Monarchen jetzt schon dadurch zu setzen suchte, daß er Geschäfte nicht aus allen Kräften befördern half, von denen er wußte, daß sie ihm nicht angenehm waren. Aber der Großfürst Peter Fedrowitsch verlor dadurch desto mehr in der Liebe der Nation, je mehr er ohne alle Schonung täglich seine entschiedene Parteilichkeit für die Ausländer zeigte und die Nation, über welche er einst herrschen sollte, geflissentlich bei mancher Gelegenheit herabwürdigte. Es ist eine Eigenheit, vielleicht eine moralische Krankheit in der Natur der Menschen, daß sie eher bittere Beleidigungen als aufgebürdete Lächerlichkeiten ertragen. Indessen, die Kaiserin Elisabeth starb, und der Großfürst bestieg ruhig den ihm bestimmten Thron als Kaiser Peter der Dritte. Der Tod Elisabeth's rettete wahrscheinlich Friedrich den Zweiten; hätte sie noch einige Jahre gelebt, und der Krieg wäre von ihrer Seite auch nur nach der alten Gewohnheit fortgesetzt worden, so weiß ich nicht, wie bei der verzweifelten Lage Friedrich selbst aus seinem unerschöpflichen Geiste die ferner nothwendigen Mittel und Kräfte hätte nehmen wollen. Peter der Dritte schloß sogleich Frieden und gab Alles, was gewonnen war, nämlich ganz Preußen, großmüthig zurück. Nicht genug! er trat selbst in ein Bündniß mit Friedrich, und in einem Zeitraum von einem Monate schlugen Russen gegen und für Preußen; so sehr hängen oft Nationen von einer Vorstellungsart ihrer Regenten ab, von einem Widerwillen oder einer Vorliebe, die sie eben gefaßt haben! Kein gesunder Politiker wird dieses Verfahren Peter's tadeln, vielleicht das zu schnelle Geben der Hilfstruppen ausgenommen. Es konnte und durfte nach den damaligen Aspecten Rußland durchaus nichts daran gelegen sein, zumal bei der damaligen Verfassung in Polen, den König von Preußen zum Vortheil Oestreichs unterdrücken zu helfen. Auch haben diese Maßregeln gewiß dem Kaiser Peter dem Dritten bei seiner Nation keinen Schaden gethan, ob es gleich nachher von den Mißvergnügten und Stiftern der Revolution mit unter den Beschwerden angeführt wurde. Diese Katastrophe ist zwar so bekannt, aber doch so dunkel, daß man davon mit Gewißheit und Bestimmtheit unmöglich sprechen kann. Folgendes ist mir nach Vergleichung mancher Erzählungen von beiden Seiten das Wahrscheinlichste.

Zwischen dem Kaiser und seiner Gemahlin, der jetzt verstorbenen Kaiserin Katharina der Zweiten, waren schon früher bei Lebzeiten Elisabeth's kleine häusliche Mißhelligkeiten entstanden, welche Elisabeth jedesmal gütlich wieder zu schlichten wußte. Wer kann über die Streitigkeiten zwischen Eheleuten entscheiden? Die Ursachen liegen meistens auf beiden Seiten. Katharina war gewiß nicht nach Rußland gekommen, um zu regieren, sondern um froh und glücklich zu leben; und dazu ist wol schwerlich das Tragen einer Krone der wahrscheinlich richtige Weg. Man stelle sich vor, eine junge, liebenswürdige geistreiche Frau, mit allen Reizen ihres Geschlechts und allen Ansprüchen auf Glückseligkeit, die sie nicht findet, allen Hoffnungen auf Lebensgenuß, die sie getäuscht sieht, und man wird ihre damalige Lage wahrlich nicht beneiden. Der Kaiser vernachlässigte sie, wie er die ganze Nation vernachlässigte, und das machte sie der Nation theuerer; wer kann entscheiden, ob sie diese Zurücksetzung verschuldet hatte? Der Kaiser machte durch jeden seiner Schritte die Lage für sich und seine Verhältnisse täglich kritischer. Der Krieg mit Preußen war geschlossen, welcher der Nation nicht zuwider war, und alle gewonnenen Vortheile waren zurückgegeben, mit beispielloser Großmuth zurückgegeben worden. Nun wollte er mit aller Anstrengung einen neuen aus persönlicher Feindschaft gegen Dänemark unternehmen, der der Nation verhaßt war. Die Cassen waren erschöpft, die Armeen hatten gelitten, das Volk war unzufrieden, und seine besten Minister hatten alle Mühe, ihm die Unternehmung abzurathen. Er vernachlässigte die alten braven russischen Soldaten, die unter seinem großen Ahnherrn, Peter dem Ersten, die russische Macht erst fest begründet, sich Ruhm und Ehre erfochten hatten und nun auf Achtung billigen Anspruch machten; er hing dagegen an seinen Deutschen, welche weiter noch kein Verdienst hatten, als daß sie ziemlich nach der Schnur auf dem Platze manövrirten. Es muß durchaus eine Nation kränken, wenn ihr Herrscher ihre Treue und Anhänglichkeit nicht achtet und sich sogar in Ansehung seiner Sicherheit auf Fremdlinge zu verlassen scheint. Nicht zu verwundern ist es also, wenn besonders das Militär es übel empfand, daß sich der Kaiser so wenig um sie bekümmerte, als ob ihm an ihrer guten Meinung sehr wenig gelegen wäre. Peter hatte ferner unterlassen, zur Krönung nach Moskau zu gehen und sich durch eine dem Volke so wichtige Ceremonie der Treue und Anhänglichkeit des Kerns der Nation zu versichern. Auch ist es wahrlich keine leere Einbildung; denn das Volk kann mit Recht erwarten, daß es den Mann kennen lerne, dem es ohne Einschränkung gehorchen soll. Alle diese Hauptumstände, mit einer Menge sich täglich vermehrender kleinerer Unannehmlichkeiten, setzten die meisten Russen gegen den neuen Kaiser in die übelste Stimmung.

Der Verfasser hat nun hier eine sehr mißliche Periode, den Sturz Peter's und die Thronbesteigung seiner Gemahlin Katharina der Zweiten, zu erzählen. Die Feinde Katharinens brechen gewöhnlich bei dieser Gelegenheit in Verwünschungen und Lästerungen gegen sie aus und bemühen sich, das ganze Gemälde mit den grellsten, schwärzesten Farben zu zeichnen und ihren Charakter in das häßlichste Licht zu setzen. Andere, die durchaus ihre blinden Verehrer sind, gehen entweder mit Stillschweigen über die Katastrophe hin oder berühren sie wol gar mit Enkomien. Mich däucht, daß weder die Einen noch die Andern ihrem wahren Charakter Gerechtigkeit widerfahren lassen. Freilich wäre wol das Sicherste, von dergleichen Sachen weder zu sprechen noch zu schreiben. Aber wie sollte der wahrheitsliebenden Menschheit gerathen werden, deren Wohl auf Freiheit und Freimüthigkeit beruhet, wenn Jeder nur seine eigene Gemächlichkeit und Sicherheit zum letzten höchsten Gesichtspunkte machen wollte? Wenn sich die Großen nicht scheuen, zu handeln, warum sollte sich der rechtschaffene Mann, sei er noch so klein, fürchten, über ihre Handlungen zu urtheilen? Wenn es jetzt Niemand wagt, mit Wahrheit hervorzutreten, so tritt vielleicht nach einem Jahrhundert ein entgegengesetzter Enthusiast auf und spricht Schmähungen ohne Grund. So erbittert auch die große Menge der russischen Nation gegen Peter war, so wäre es doch ohne die entschlossenste Cabale, Parteisucht und den unbegrenzten Ehrgeiz mehrerer Individuen schwerlich zum Ausbruch gekommen und ohne den Muth und die größte Kühnheit der Anführer nicht durchgesetzt worden. Gesetzt auch, daß alle Fehler, welche man der persönlichen Aufführung Peter's des Dritten Schuld giebt, wirklich wahr und nicht zur Hälfte übertrieben waren, und daß seine öffentlichen, oben erzählten Maßregeln in dieser gefährlichen Epoche die Krise sehr hoch getrieben, so gehörte doch Zeit oder eine ganz nahe Veranlassung dazu, die endliche Katastrophe herbeizuführen. Diese gab Peter durch seine Uebereilung selbst. Das allgemeine und besondere Benehmen des Kaisers konnte ihm die Liebe und Zärtlichkeit einer so gefühlvollen und ausgebildeten Dame, wie seine Gemahlin war, unmöglich ganz erhalten, und er selbst that Alles Mögliche, seine eigene Abneigung recht sichtbar zu machen. Es wird versichert, daß er schon die Maßregeln genommen hatte, sich von ihr zu trennen, und Trennung und Verzicht auf allen künftigen Lebensgenuß ohne Freiheit, noch dazu unter der größten Gefahr, ist in solchen Verhältnissen Eins. Natürlich war es also, daß sich eine Menge Mißvergnügte nicht allein an die Kaiserin anschlossen und jede Handlung und Aeußerung ihres Gemahls in ein noch verhaßteres Licht setzten; und unter diesen waren wild entschlossene, unbändige, abenteuerliche Seelen, an denen es in allen Conjuncturen nirgends und besonders in Rußland nicht fehlt. Friedrich der Zweite hatte seinem Freunde Peter verschiednemal mit der innigsten Vertraulichkeit geschrieben, er möchte sich vor zu schnellen Schritten hüten, die Nation schonen und vorzüglich gegen seine Gemahlin mit Güte und Klugheit handeln. Aber Peter schien nicht geneigt zu sein, auf eine glimpfliche Weise gut zu machen, was er vorher schlimm gemacht hatte. Sein Benehmen dauerte ohne Mäßigung in seinen Gesinnungen fort, und die Sache mußte schnell zu Extremen kommen. Vermuthlich hätte die Kaiserin gegen ihren Gemahl nie etwas unternommen, wenn die heftigsten, ausschweifendsten Parteigänger, deren ganze Rettung nun an einem großen Wagstücke hing, sie nicht zu ihrer eigenen Sicherheit dazu gezwungen hätten. Die Nachrichten Derjenigen, die sie in ihrer damaligen Lage können gesehen haben, sagen alle, daß sie mit sich in dem fürchterlichsten Kampfe gewesen. Man setze sich unbefangen an ihre Stelle! Eine Frau mit den entschiedensten Vorzügen und Talenten des Geistes und den gerechtesten Ansprüchen auf alle Glückseligkeit der Erde; auf dieser Seite die unüberwindlichste Abneigung eines Gemahls, dessen Herz sie durch nichts wiederzugewinnen hoffen darf, und der entschlossen ist, sie auf eine Weise von sich und von der Welt zu entfernen, die ihr bitterer sein mußte als der Tod, und wer konnte ihr bürgen, daß nicht der Tod selbst im Hinterhalte lag? Jeder Menschenkenner weiß aus der Geschichte in solchen Verhältnissen das traurige Loos Derer, welche das Schicksal auf eine solche Bahn geworfen hat. Auf der andern Seite sich und mehrere Andere zu retten und eine Krone zu nehmen, wie der Erdball keine mehr hat; die Hoffnung, durch ihren großen Geist das Glück von Nationen zu machen, deren Namen sie vor zehn Jahren kaum wußte. Es blieb ihr keine Wahl übrig als ihr Verderben oder die Herrschaft. Nun tadle sie der Moralist der finstern Stube! Er wird vielleicht zeigen, wie groß seine Weisheit ist, und wie eisern und gerecht seine Forderungen sind; aber er wird auch zeigen, daß er den Menschen und seine traurigsten, verwickeltsten Collisionen nicht kennt. Nach langem Kampfe mit sich selbst ward endlich Katharina mit einem Entschlusse Monarchin eines unermeßlichen Reichs, und ihre Regierung hat sie bei ihren Völkern gerechtfertiget. Die Garderegimenter, welche der Kaiser vorzüglich seine vielleicht gerechte, aber unzeitige Strenge hatte fühlen lassen, waren gewonnen, und diese übermüthigen Prätorianer hatten sich schon in vorigen Katastrophen nach dem Exempel ihrer alten römischen Vorgänger mit ähnlichen Unternehmungen bekannt gemacht. Die Kaiserin mit ihrer Freundin, der Fürstin Daschkow, erschien mit aller ihrer herrschenden Beredsamkeit muthig an ihrer Spitze, und man gab ihr die Kronen, als ob sie das Eigenthum der Leibwächter wären. Der Kaiser ward gezwungen, eine Resignationsacte auszustellen. Die Aechtheit wird nicht bezweifelt, und sobald die Aechtheit bewiesen ist, ist Jedermann geneigt, ihre Wahrheit anzuerkennen. Ein weiser Mann hätte sich nicht in die Katastrophe gestürzt, und ein muthiger, entschlossener Mann hätte sich glücklich herausgewunden oder wäre ehrenvoll darin umgekommen. Wer nicht Muth zu sterben hat, ist zu keinem Volksbeherrscher geboren. Es blieben dem Kaiser noch manche Ausflüchte übrig, die er mit Gegenwart des Geistes hätte benutzen können. Das Volk in Moskau und die Gouvernements des tiefern Rußlands hätten ihn trotz ihres Widerwillens gewiß aufgenommen und beschützt; so fest ist immer die Treue und Anhänglichkeit dieser braven Nation an ihre Beherrscher. Die Armee in Deutschland würde mit Stolz für ihn geschlagen haben; denn das Gefühl des Rechts ist trotz allen Beleidigungen nicht aus den Herzen der Menschen zu tilgen. Beide Wege hätte Peter noch frühzeitig genug wählen können. Selbst in Petersburg hatte er bis zum letzten Augenblicke, wo Alles verloren war, treue, wackere, bis zum Tod entschlossene Männer um sich, und es wäre vielleicht durch einen einzigen Schritt Alles wiederzugewinnen gewesen. Der alte Feldmarschall Münch rieth dem unglücklichen Monarchen dringend, sich den Soldaten und vorzüglich der Artillerie zu zeigen, und wagte es, zu versichern, daß kein Einziger sich unterstehen würde, gegen den Kaiser zu fechten; er selbst wollte vor seinem Herrn hergehen und als Soldat und General und treuer Unterthan mit seinen alten Kameraden sprechen. Der Unentschlossene war zu nichts zu bewegen; die Periode verfloß, und seine Feinde hatten sie benutzt. Er war Gefangener, und alle seine treuesten Anhänger sahen sich genöthiget, ihn zuletzt zu verlassen, da er sich selbst verlassen hatte. An den Grenzen bei Reval und Riga waren sogleich die thätigsten Maßregeln für die neue Monarchin genommen. Eine Partei hatte die Katastrophe gewünscht und befördert; die andere wagte keinen gefährlichen Widerstand, da sie dabei für sich nur sehr wenig Hoffnung hatte. Für die bloße kalte Gerechtigkeit schlagen, fordert die Seele eines Cato; gewöhnliche Menschen haben dafür keinen Sinn. Nur Eigennutz oder irgend eine gewöhnliche Leidenschaft giebt gewöhnlichen Menschen Enthusiasmus. Einige Tage nachher starb der Kaiser in Ropscha, und sein Tod schlug jede Bewegung nieder, die man zu seinem Vortheil vielleicht noch gemacht hätte.

Daß es bei der Gefangennehmung Peter's Gewaltthätigkeiten gegeben, ist wol außer Zweifel; man nennt in Rußland noch die Männer, die dabei Hilfe leisteten; daß aber der Tod des Kaisers gewaltsam gewesen, ist, wie ich glaube, nicht wahrscheinlich, wenigstens nicht zu erweisen. Daß ihn die Männer am neuen Ruder wünschten, ist ganz begreiflich; und daß sie das Ihrige dazu würden beigetragen haben, leidet ebenso wenig Widerspruch. Für Leute, die zu einem solchen Unternehmen die Hände nicht allein bieten, sondern aufdringen, ist keine Maßregel mehr zu gewaltsam. Alle Umstände zusammengenommen, hat Peter zwar durch Gewaltthätigkeit die Regierung, aber nicht das Leben verloren. Die Natur mußte seinen Feinden vom Anfange bis zum Ende helfen und seine moralischen und physischen Schwachheiten ihnen den glücklichen Ausgang sichern. Es ist sehr leicht zu begreifen, wie der Kaiser in dieser traurigen Lage bald das Opfer seiner Leiden ward. Sein Zorn, seine Heftigkeit und nun seine Ohnmacht und seine Verzweiflung mußten aus seiner Seele seinen Körper fürchterlich angreifen. Seine Diät war niemals sehr abgemessen gewesen, und er war dadurch manchen Uebeln der Natur mehr ausgesetzt als gewöhnlich, so daß er oft schmerzlich an Kolik und Hämorrhoiden litt. Man nehme dazu den Kummer, die Angst, die Qual der Ungewißheit, die Unbequemlichkeit und für ihn üble Beschaffenheit der Zimmer, in welchen er sich befand: mußte seine Krankheit nicht mit doppelter Stärke zurückkehren? Und bei einem solchen Zufalle kann die unschuldigste Speise Verderben, die geringste Vernachlässigung Tod werden. Freilich kann nicht bewiesen werden, daß seinen Aerzten und Bedienten keine Vernachlässigung zur Last gelegt werden kann, und daß man in seiner Gefangenschaft eine sehr humane, theilnehmende Sorgfalt für ihn getragen habe. Auch ist gewiß sein Ende seinen Feinden und in diesen Verhältnissen einem großen Theile der Nation nicht unwillkommen gewesen, wenn es gleich nicht gewaltthätig herbeigeführt worden ist. Sei Alles, wie es wolle, so lästert man den Charakter seiner Gemahlin, wenn man sie zur Urheberin oder nur zur Mitwirkerin seines Todes macht. Es ist bekannt, mit welcher Angst und unter welchen Thränen die Monarchin während dieser ganzen Periode lebte, und wie viel Mühe man hatte, sie nur etwas aufzuheitern. Menschen, die sich eines überlegten Verbrechens bewußt sind, sind selten der Thränen fähig. Auch ohne die letzte Gewaltthätigkeit verlor der unglückliche Monarch doch sein Leben in der Revolution; und die Kaiserin war durch die unglückliche Verbindung der Umstände, wenngleich nicht Ursache und Veranlassung, doch wenigstens Gelegenheit des ganzen Unglücks. Den zärtlichen Gemahl durfte sie nicht beweinen; denn dieser war er nie gewesen; aber den Menschen und den ihr so nahen Unglücklichen beweinte sie. Es würde ihr Herz entehrt haben, wenn sie nicht geweint hätte. Die Herrscher der Erde mögen noch so groß sein, sobald sie die menschlichen Gefühle verloren haben, sind sie für unsere Menschheit von keinem Werth mehr. Der Kaiser wurde nach der gewöhnlichen öffentlichen Parade feierlich beigesetzt, und es war so ruhig, als ob Katharina gesetzmäßig den Thron ihrer Väter bestiegen hätte. Daß der Tod des Kaisers das Reich von innerlichen Unruhen und Zerrüttungen rettete, ist gewiß; denn man kann aus dem Aufstande des Betrügers Pugatschew sehen, wie viele Anhänger sich für ihn noch hätten erheben können.

Wenn kein rechtlicher Mann den Antritt der Regierung der Kaiserin Katharina der Zweiten loben kann und zufrieden sein muß, sie mit den traurigen Conjuncturen und der entsetzlichen Collision, in welcher sie war, zu rechtfertigen oder doch zu entschuldigen, so wird ihr nachher der Beifall eines Jeden desto öfter und lauter folgen müssen; denn nie hat wol ein Mann und noch weniger ein Weib in so großen, glänzenden, gefahrvollen Verhältnissen mit so viel Muth, so viel Standhaftigkeit und Weisheit zur Wohlthat für so viele Völker gewirkt und gearbeitet wie diese Monarchin.

Bisher war Katharina meistens nur erschienen, wie sie erscheinen mußte, wie die unglückliche Verwickelung der Staatshändel es verlangte; nunmehr erschien sie, wie sie war; denn Niemand konnte ihr Gesetze geben, anders zu sein; und viele Millionen segnen sie, daß sie so war. Der Verfasser hat schon oben erklärt, daß er mehr kosmisch als historisch sprechen wird; man erwarte also von ihm keine ununterbrochene documentirte Erzählung aller Begebenheiten, die sich während ihrer so merkwürdigen Regierung zugetragen haben. Dieses kleine Buch soll nichts mehr sein als eine peripathetische Berührung der Geschichte; die Geschichte selbst mögen Männer liefern, die des Verfassers Wahrheitssinn, aber mehr als seine Kunde von der Sache besitzen.

Die erste öffentliche Verhandlung der Kaiserin Katharina der Zweiten nach ihrer Thronbesteigung war mit Preußen. Jedermann war aufmerksam, welche Rolle die neue Monarchin bei dem großen Trauerspiele des deutschen Kriegs übernehmen würde. Katharina durchsah mit schnellem, scharfen Blicke die Zusammenkettung der Politik und wählte mit richtiger Bestimmung die heilsamsten Maßregeln für ihre Staaten. Sie rief zwar ihre Hilfstruppen von der preußischen Armee zurück, bestätigte aber den Frieden mit dem Könige Friedrich in allen Punkten, wie ihn der verstorbene Kaiser geschlossen hatte. Dadurch sagte sie sich weislich von aller Theilnahme an Händeln los, die für sie vor der Hand kein näheres Interesse haben konnten, und ward mit entscheidendem Gewicht wohlthätige Friedensvermittlerin. Sie hatte sich von den guten Gesinnungen Friedrich's des Zweiten überzeugt; es war ihr aber ebenso wenig daran gelegen, ihn noch mächtiger zu machen, als ihn unterdrücken zu helfen. Rußland hat unerschöpfliche Quellen und ungeheure Kräfte; es kann alle seine Fehden allein ausfechten und in fremden befugten Geschäften mit Würde und Nachdruck sprechen. Katharina hat dieses gewußt und gezeigt. Ich will fortfahren, ihre öffentlichen politischen Unternehmungen zu erzählen, und es wird ganz deutlich werden, daß in allen ihren Gesinnungen und Entschließungen Consequenz, das heißt Gerechtigkeit, und zuweilen gar Billigkeit und Großmuth ist.

Diejenigen, welche gewöhnlich mit so vielem Feuereifer wider die Ungerechtigkeit der Könige und Regenten sprechen und bei jedem Schritte ihnen hartherzigen Ehrgeiz und grausame Willkür vorrücken, bedenken nicht, daß Gerechtigkeit zwischen Völkern aus einem andern Gesichtspunkte und nach einem andern Maßstabe genommen werden muß als zwischen Bürger und Bürger. Nationen leben gegen einander in dem Zustande der Natur und können vermöge des Vernunftbegriffs nie anders leben; die Bürger befinden sich in den Verhältnissen der gesetzlichen Geselligkeit, und die meisten Vergleichungen, die man aus den bürgerlichen Rechten gewöhnlich zur Erläuterung des Völkerrechts nimmt, sind eben deswegen durchaus nicht richtig. Der Bürger wagt nach einer guten vernünftigen Verfassung nichts, wenn er die Gefahr abwartet; die Staaten wären oft verloren, wenn sie dieses thäten. Der Bürger hat zur Entscheidung seines Zwistes Gesetz und Tribunal zur Sicherheit; die Nation hat nichts als ihre eigenen Kräfte und Klugheit zum Schutz und zur Wache für die ihrige. Der Bürger muß Jeden voraus für seinen Freund halten, bis er das Gegentheil erfährt; die Nation hat gerechte Ursache, jeden Nachbar als Feind in Argwohn zu haben, und kann nur selten sich gewiß vom Gegentheil überzeugen. Gesetze können zwischen Völkern nicht bestehen, weil keine entscheidende Macht da ist, den Uebertreter zu bestrafen oder überhaupt den Willen des Gesetzes mit Zwang zu vollziehen. Aus diesen traurigen, unsichern Verhältnissen entspringt die Politik; eine Kunst, die zwar für den moralischen Menschen keinen sonderlichen Werth hat, die aber doch bei Weitem den schlimmen verhaßten Credit nicht verdient, in dem sie bei den meisten kurzsichtigen Wohldenkenden steht. Das sich kreuzende Interesse der Völker und ihre sich streitende Sicherheit erzeugt alle Augenblicke Collisionen, über die kein anderer Richter aburteln kann, deren Entscheidungen aber ihnen zu ihrer Existenz doch höchst wichtig und oft wesentlich sind. Es muß hier nothwendig die ultima ratio regum eintreten. Kriege sind die Processe der Völker, wo leider die Gerechtigkeit nicht mehr bestimmen kann. Freilich würde die Menschheit dann sehr glücklich sein, wenn unter den Menschen wenig Processe und unter den Völkern wenig Kriege mehr wären; aber wenn wird je diese goldne Zeit erscheinen können? Man beschuldige nicht die Monarchen, daß dieses entsetzliche Uebel vorzüglich durch ihren Ehrgeiz die Menschheit doppelt drückt! Die Geschichte zeigt, daß ohne Ausnahme in und zwischen den Republiken die Kriege weit häufiger, blutiger, erbitterter und grausamer waren. Die unselige Nothwendigkeit derselben scheint in der menschlichen Natur zu liegen; die Philosophen, welche uns das Gegentheil beweisen wollen, widerlegen sich selbst durch die ewigen Streitigkeiten, welche von Trismegist bis auf Kant in ihrer Vernunftrepublik beständig geherrscht haben. Wie in dem bürgerlichen Leben die Händel oft schon so verwickelt sind, daß ein Proceß mehrere folgende veranlaßt, wo jede Partei bona fide Recht zu haben glaubt, ebenso entstehen in Völkerverhältnissen nicht selten Kriege aus Kriegen, bei welchen selbst der unparteiische Beobachter nicht im Stande ist, zu bestimmen, auf welcher Seite mehr Gerechtigkeit oder mehr Ungerechtigkeit liegt. Das sehen wir oft an Parteien, die sich in ganz fremden Ländern für oder wider auswärtige Händel formiren, die durchaus für die Disputirenden kein Interesse haben können, das Bezug auf ihren Eigennutz hat. Ein Monarch ist schon durch die Natur verbunden, es mag ein ausdrücklicher Staatsvertrag vorhanden sein oder nicht, das ganze Wohl aller seiner Völker wahrzunehmen, ihre Sicherheit und ihre Ruhe zu begründen und zu schützen und Alles abzuwenden, was nur einem einzigen Individuum Eintrag in seine Gerechtsame innerhalb oder außerhalb thun könnte. Das Zuvorkommen und Abwenden der Gefahr ist also keine Chimäre, kein Attentat auf das Völkerrecht, wenn es nicht über alle vernünftige Grenzen menschlicher Besorgnisse ausgedehnt wird. Die Zeitgenossen sind meistens zu leidenschaftlich, um ohne Parteilichkeit über alle Befugnisse der Parteien ganz richtig zu bestimmen; aber die Nachwelt, ohne alles Interesse als das Interesse der Wahrheit, läßt gewöhnlich Gerechtigkeit widerfahren, rügt die Fehler ohne Bitterkeit und lobt ohne Enthusiasmus und Schmeichelei. So sehr Friedrich der Zweite vor vierzig Jahren in den meisten Provinzen Deutschlands und in den benachbarten Reichen unter den schrecklichsten Verwünschungen geschmäht wurde, so sehr ist nun, nachdem die Scene geschlossen und die ruhige Ueberlegung wieder an ihrer Stelle ist, Jedermann mit ihm über den Anfang des siebenjährigen Krieges ausgesöhnt. Er war höchst wahrscheinlich verloren, wenn er die Unternehmungen seiner Feinde zur Reife gedeihen ließ. Durch diesen Satz allein ist er gerechtfertiget, bonum publicum suprema lex; und ohne Sicherheit ist keine feste Ruhe, keine Glückseligkeit. Wenn wir die ganze Geschichte der Völker durchgehen und die Kriege mit ihren Ursachen und Folgen mit kalter Ueberlegung untersuchen, so werden wir zwar viel traurige Zerrüttungen und Verwüstungen und die Menschheit oft auf ihrer allerniedrigsten Stufe treffen, aber bei Weitem nicht so viel allgemeine, fest entschiedene Ungerechtigkeit finden, als die gutherzigen sentimentalen Moralisten der kleinen Sphäre in ihren Klagen aufstellen. Wenn es ausgemacht ist, daß die Schrecken und Gräuel des Krieges uns meistens den Auswurf der Menschheit zeigen, so ist es im Gegentheil nicht minder gewiß, daß große Männer in ihrer ganzen Kraft durch Muth, Entschlossenheit und Menschlichkeit zur Ehre unseres Geschlechts und zur Wohlthat ganzer Generationen oft nur auf dem Kriegstheater sehen lassen konnten, daß sie das waren, was sie waren. Die Menschen sind aus einem allgemeinen Gefühl ihres eigenen Unwerths immer geneigt, mehr zu entstellen, als zu verschönern; und wenn also Hannibal, Scipio, Marc Aurel, Castriot und Andere nicht die Tugendmuster waren, für welche sie gelten, so waren auch Tarquin, Attila und Tilly nicht die Wüthriche, zu welchen man sie gestempelt hat. Alexander hat nicht dadurch den Haß aller Edlen verdient, daß er Asien eroberte, sondern durch seine übrigen schlechten persönlichen Eigenschaften, durch welche er eine Satire auf die Erziehung des Aristoteles machte. Sein Vater Philipp war ohne Zweifel ein feiner, obgleich ziemlich menschlicher Tyrann, der trotz den Atheniensischen Rednern auf ihre Kosten seinen Vortheil sicher berechnete, wenn man ihn nicht vielleicht damit rechtfertigen kann, daß seine Sicherheit neben den blühenden feindlich gesinnten griechischen Republiken auf keine Weise bestehen konnte. Er wurde bei Chäronea Meister aller unfreundlichen Nachbarn, und sein Sohn erbte von ihm das Obercommando in den Feldzügen gegen den Erbfeind des griechischen Namens. Sollte Alexander der Macedonier als Grieche warten, bis wieder ein Xerxes eine Brücke über den Hellespont schlug und seine Myriaden mit mehr Klugheit und also mit mehr Glück herüberführte als zu den Zeiten des Treffens bei Salamis? Niemand darf ihn verdammen, daß er mit seiner Handvoll Macedonier die ungeheuern Armeen der Morgenländer besiegte, ihre Herrschaft vernichtete und die Griechen als seine Blutsverwandten wenigstens vor dem Joche einer Nation sicherte, welche sie haßten und für Barbaren hielten. Man kann aus den griechischen Rednern sehen, was man selbst in Griechenland von der Unternehmung dachte. Die Expedition ist nach allen Begriffen des Völkerrechts leicht zu rechtfertigen, und der Ausgang erwarb dem Anführer billig den Beinamen des Großen. Aber seine Unmenschlichkeit gegen den Arzt eines verstorbenen Generals, der sich höchst wahrscheinlich durch seine Unmäßigkeit und Ausschweifung umgebracht hatte; seine Wuth gegen seinen Freund Klytus, der es wagte, zur Zeit Wahrheit zu sprechen, und den er mit eigener Hand bei dem Feste tödtete; der Unsinn, mit welchem er auf Anstiften einer Hure Persepolis verbrannte: stempelt sein Andenken mit Tyrannei, so wie ihn seine Botschaft nach Jupiter Ammon's Tempel zum Narren macht. Wir haben in der Menschenkunde wenige Kriege, die blos Eroberungssucht zum Grunde gehabt hätten, obgleich aus manchem anfangs gerechten Kriege durch den glücklichen Fortgang endlich Eroberungssucht wurde. Man könnte immer noch zur Ehre der Menschheit ein Buch schreiben, um dieses zu beweisen. Einige Exempel vom Gegentheile werfen den philanthropischen Satz nicht um; die beiden auffallendsten Beispiele wurden größtentheils von religiösem Fanatismus erzeugt, die traurigen Kreuzzüge der ganzen Christenheit nach Palästina und die schändlichen Kreuzzüge der Spanier nach Amerika. Wenig Kriege sind geführt worden, wo nicht der größte Theil beider Parteien wirklich überzeugt war, das Recht auf ihrer Seite zu haben; und in den meisten würde es den erleuchtetsten, billigsten Richtern schwer geworden sein, endlich zu entscheiden, wenn sich auch alle Parteien ihrem Urtheile hätten unterziehen wollen. Das Recht ist selten ganz auf einer Seite, wie in Privatsachen so in öffentlichen Streitigkeiten; und es ist dem Menschen allgemein nur zu verführerisch, zur Unterstützung seiner Einsichten von der moralischen Darstellung in der Hitze zu dem Versuch seiner physischen Kräfte überzugehen. Man verzeihe mir diese etwas weitläuftigen Aeußerungen; ich halte sie für nöthig, wenn man mit menschlicher Wahrheit über große Katastrophen des Menschengeschlechts urtheilen will. Ich kehre zu meinem Thema, Katharinens Leben, zurück.

Der Tod des Königes von Polen, August's des Dritten, veranlaßte, wie gewöhnlich, wieder neue Unruhen in der Republik, und jeder der Nachbarn suchte natürlich bei diesen Conjuncturen seines Vortheils wahrzunehmen. Man würde hier etwas sehr Ueberflüssiges thun, zu untersuchen, mit welchem Fug sich Fremde in die Wahl des Königes mischten, da es seit mehrern Jahrhunderten Gewohnheit war, daß benachbarte oder entfernte Fürsten entweder selbst Candidaten waren oder diesen oder jenen Bewerber durch ihr Interesse unterstützten. Die unglückliche Verfassung, welche ihre Auflösung in sich trug, gab nur allzu viel Gelegenheit zu Cabalen und selbst Gewaltthätigkeiten aller Art von innen und außen. Die benachbarten Höfe und selbst die Polen befürchteten, das Haus Sachsen möchte nach und nach Mittel finden, die Krone zum Erbtheil zu machen. Peter der Erste und seine Nachfolger hatten bei der damaligen Lage der Dinge Ursache gehabt, den Fürsten aus diesem Hause in ihren Bewerbungen Hilfe zu leisten und ihre Wahl behaupten zu helfen. Jetzt war es den Höfen von Petersburg und Berlin gleich willkommen, daß man zu der Wahl eines Eingebornen schritt. In der Mitte der polnischen Nation selbst waren einige vorzügliche Candidaten aus den angesehenen Häusern Czartorinsky und Potocky, auf welche das Publicum seine Aufmerksamkeit gerichtet hatte. Aber die Kaiserin Katharina unterstützte mit ihrem Interesse und ihren Armeen (gar kein neues Phänomen in Polen, wo die Parteien selbst gewöhnlich bewaffnet erschienen und oft sehr blutige Händel hatten) den Grafen Stanislaus Poniatowsky, der seine Genealogie von dem Geschlechte der alten Piasten herleitete und dadurch einem großen Theile der Nation schon sehr angenehm war.

Friedrich dem Zweiten war es einerlei, wer an der Spitze einer Nation stände, von deren Militär er nicht eben die vortheilhafteste Meinung hatte, wenn es nur kein sächsischer Prinz und aus der Nation selbst kein Sobiesky war, den er in dem Grafen Poniatowsky zu vermuthen nicht Ursache hatte. Da sich Stanislaus Poniatowsky der Kaiserin Katharina der Zweiten bei seinem Aufenthalt in Petersburg während der Gesandtschaft zu empfehlen gewußt hatte, erreichte Friedrich dadurch, daß er seiner Wahl keine Schwierigkeiten in den Weg legte, noch den Vortheil, daß er einer wichtigen Nachbarin eine Gefälligkeit erzeigte, deren gute Gesinnungen gegen ihn ihm nicht anders als sehr erwünscht sein mußten. Stanislaus wurde gewählt und seine Wahl behauptet, trotz den Widersprüchen, die sie bei den Gegenparteien und selbst bei einigen seiner Verwandten fand. Wenn die Kaiserin auch nicht alle nachherigen Ereignisse in diesem unglücklichen Lande voraussah und beabsichtigte, so konnte sie doch als scharfsichtige Menschenkennerin wohl merken, daß der neue König ihr auf keine Weise ein gefährlicher Nachbar werden würde; und Niemand kann und darf sie tadeln, daß sie einen solchen Candidaten unterstützte, von welchem sie für sich und ihre Staaten am Wenigsten zu befürchten hatte. Was Poniatowsky nachher als Mann und Patriot hätte thun sollen, gehört nicht hierher. Friedrich der Zweite, der denn doch der Freundschaft und Klugheit auch zuweilen auf Kosten der Wahrheit etwas opferte, wie man aus seinen Urtheilen über Peter den Dritten und Stanislaus Poniatowsky sehen kann, bekümmerte sich weiter um die Händel nicht, als insofern er wieder seinen Vortheil daraus ziehen konnte. Aber für die Kaiserin wurde diese Königswahl, die sie mit ihrem Ansehen durchgesetzt hatte, der Grund und die Veranlassung aller folgenden Händel, die sie während ihrer ganzen thatenvollen Regierung gehabt hat, und so war vielleicht ein vorübergehendes Wohlgefallen an der einnehmenden Miene des Grafen für Katharinen in der großen Kette der Dinge die Bedingung ihrer ganzen Größe in auswärtigen Händeln. Die Folge zeigt in allen Verwickelungen, daß wahrscheinlich von Allem, was geschah, nichts geschehen sein würde, wäre Stanislaus Poniatowsky nicht König von Polen geworden; und wie geringfügig waren die zusammentreffenden Umstände, die ihn zum Könige machten!

Die Mißvergnügten suchten, wie zu erwarten war, dem neuen Könige jeden Schritt zu erschweren; und Poniatowsky war nicht der große Mann, der durch seinen Geist, seinen Muth, seine Standhaftigkeit, seinen unerschütterlichen, uneigennützigen Patriotismus die Parteien für sich hätte vereinigen können. Er sorgte mehr für seine Familie als für das Wohl und die Ehre des Reichs. Nepotismus verderbet sogar die Regierungen der Päpste; welche Folgen konnte er hier bei der Concurrenz ehrgeiziger Magnaten haben! Es schien sodann, als ob er bei jedem wichtigen Schritte sich ängstlich bedächte, ob man ihn in Petersburg und Berlin auch billigen würde; welches freilich bei keiner Maßregel der Fall sein konnte, die der polnischen Nation wirklich ersprießlich war, so sehr collidirten die Vortheile der damals noch mächtigen polnischen Nation mit den Vortheilen ihrer Nachbarn! Die Dankbarkeit des Königes Stanislaus Poniatowsky war Verbrechen; der König hat nur Pflichten gegen sein Volk; jedes Gefühl, das diesen widerspricht, ist Verrath. Ein Mann wie Sobiesky hätte gewiß die Nation bei ihrem alten Ruhm in jeder Rücksicht erhalten und ihr vielleicht neuen gegeben, so viel hatte die Republik damals Kräfte und Hilfsmittel! Poniatowsky hat sie dahin gebracht, wo sie jetzt steht. Mit Muth, Beharrlichkeit und wahrem Patriotismus hätte er endlich alle Parteien der Nation vereiniget, und ihre Nachbarn hätten sie nicht angetastet; durch seine beispiellose Unentschlossenheit hat er, und nur er allein, sein Vaterland zur endlichen Auflösung gebracht. Jedermann weiß, zu welcher fürchterlichen Höhe die Unordnungen in den Jahren 1768 und 1769 in diesem unglücklichen Reiche gestiegen waren, wo Bruder gegen Bruder mit aller Erbitterung und Unversöhnlichkeit der Parteisucht focht, wo Einer den Andern plünderte und die Heerstraßen mit Räubern besetzt waren, und wo nur die Hütte sicher war, in welcher man nichts mehr von Werth zu finden hoffte. Jedermann wußte, daß es so nicht recht war; aber Niemand konnte in der Angst sagen, wie es besser sein sollte. Jeder kleine Parteigänger hatte seine hirnwüthigen Entwürfe. Obgleich Religionsenthusiasmus nicht in dem Charakter der Nation liegt, so wurden doch die armen Dissidenten gelegentlich das Opfer der Parteien. Die Kaiserin war endlich genöthiget, zur Sicherheit des Königes und zur Rettung der Dissidenten, die bei den Unruhen am Fürchterlichsten litten, ihre Truppen einrücken zu lassen, um wo möglich Ruhe zu schaffen. Die Schlägereien dauerten einige Zeit mit Hartnäckigkeit in dem ganzen Chaos von Reiche fort, und von beiden Seiten haben wir Beispiele von Grausamkeit, von Raubgier und Niederträchtigkeit, die dem Jahrhunderte ein Brandmal aufdrücken. Die Russen gewannen bald mit ihrem Anhang das Uebergewicht, und endlich wurde die Ruhe wiederhergestellt, indem man der Nation ein Stigma aufdrückte und ihr von drei Seiten einen Theil ihrer besten Provinzen nahm. Die Geschichte hat viele sonderbare Phänomene, aber sie hat kein diesem ähnliches, von solchen unsinnigen Zerrüttungen eines ganzen großen Volks und von solcher letaler Einigkeit der Nachbarn, diese Zerrüttungen zu benutzen. Man war stumm vor Schrecken, und selbst auf zweihundert Meilen schlug man ein Kreuz. Indessen die Sache ist geschehen. Friedrich hat selbst darüber gesprochen, und man sieht aus seinen Papieren, daß der Vorschlag zur Theilung nicht von Katharinen kam. Kosmisch genommen, war es unstreitig zur Wohlthat für die Menschheit. Die Kaiserin hatte mehrere Jahre Unruhe, Aufwand, Gefahren gehabt; die Krise war so hoch gestiegen, daß der Unordnungen auf rechtlichen Wegen kein Ende zu sehen war. Sollte sie allein die gefährliche Großmuth auf Kosten ihrer Unterthanen haben, einer gewiß feindlichen Nation wieder die Mittel in die Hände zu geben, einst ihr furchtbar zu werden? Es mögen selbst liberale Politiker entscheiden! Wer kann Conjuncturen verbürgen? Es sind noch nicht zwei Jahrhunderte, daß die Polen in Moskau ebenso stolz und despotisch, aber weit grausamer und unmenschlicher sprachen und handelten als je die Russen in Warschau. Alle Polen öffneten bei dem Schlage die Augen zu spät, es war keine Rettung. Gesetzlich wurde abgetreten, was man von allen Seiten mit den Waffen unter verschiedenem Vorwande genommen hatte. In Wien und Berlin machte man lange, künstliche Deductionen, um seine Ansprüche zu beweisen. In Petersburg hätte man wahrlich besser beweisen können; man hätte nicht nöthig gehabt, so weit zurückzugehen. Die abgerissenen Stücke gehörten Rußland noch im vorigen Jahrhunderte, und die Nation selbst sieht ohne Befehle des Ministeriums die Besitznehmung nur für eine Wiedererlangung an. Aber man spottete nicht der Unglücklichen durch einen Beweis und ließ unterzeichnen. Die Polen sahen nun, was sie in Poniatowsky hatten, aber auch, was sie ihm dennoch hätten sein sollen. Die Kaiserin hatte die Garantie ihrer Constitution übernommen; denn es mußte ihr durchaus daran gelegen sein, daß die Constitution so fortbestand, wie sie war, mit allen ihren Fehlern und allem ihrem etwanigen Guten für Einzelne. Eine Nation ist schon halb unterjocht, wenn sie ihre Verfassung von einer fremden Macht garantiren läßt. Das hatten die stolzen Magnaten nicht erwogen, und es war zu spät, als sie es beherzigten. Diese Garantie, und nur allein diese Garantie, gab der Kaiserin nachher ein Recht, in den Händeln der ohnmächtigen Republik entscheidend zu sprechen.

Man wird mit gehöriger Aufmerksamkeit und Unparteilichkeit finden, wie Alles auf einander folgte, und ganz natürlich folgte, ohne daß man den Charakter der Kaiserin mit Recht antasten könnte. Die Pforte konnte bei den Händeln in Polen und dem Gewinn Rußlands von dieser Seite allerdings nicht gleichgiltig sein, hätte sie aber politisch sprechen wollen, so mußte das wenigstens ein Jahr eher geschehen. Ein einziger Moment, gewonnen oder verloren, kann Reiche retten oder verderben und kommt vielleicht in Jahrtausenden nicht zurück. Die Pforte nahm Gelegenheit zum Kriege, weil man in den polnischen Unruhen hinter Kaminiek die Grenze verletzt hatte, indem die Russen ein Corps von der Conföderation bis auf das türkische Gebiet verfolgten. Die Türken fühlen das Bedürfniß, klug zu sein, sind es aber nicht. In Polen waren die Händel abgethan. Friedrich und Maria Theresia waren zufrieden und halfen sorgen, daß unter den verzweifelten Sarmaten kein neues Feuer ausbrechen konnte. Wir kommen nun auf Perioden, wo Katharina und der russische Adler in ihrer größten Glorie erscheinen, die zwei wichtigen türkischen Kriege. Wenn ich eine ausführlichere Kriegsgeschichte zu schreiben gesonnen wäre, hätte ich hier gewiß unerschöpfliche Materie in den Feldzügen der braven Armeen. Alle Begebenheiten aber sind noch neu genug, und ich habe nicht nöthig, Thatsachen aufzuzählen, deren sich noch jeder Zeitungsleser erinnert. Wenn man auch das militärische Urtheil Friedrich's des Zweiten wollte gelten lassen, wenn er sagt: » La guerre des Russes contre les Turcs, c'est la guerre des borgnes contre les aveugles,« so gilt es doch wol nicht, wenn die Einäugigen wider die hellsehenden Preußen selbst fochten; und das Andenken der kritischen Tage bei Frankfurt und Cüstrin ist noch nicht verloschen. Die Armee behauptete und vermehrte den Ruhm, welchen sie sich von der Zeit ihrer Entstehung an unter Peter dem Ersten bis dahin erworben hatte. Volney, ein Mann, von dem man gewiß nicht sagen wird, daß er aus Freundschaft den Russen geschmeichelt habe, spricht in seiner Parallele des türkischen und russischen Soldaten. Der größte Theil der Russen hat schon verschiedene Feldzüge gemacht und ist an das Feuer gewöhnt. Die meisten Türken sind nie im Feuer gewesen. Das türkische Fußvolk kommt fast nicht in Betrachtung; die russische Infanterie ist die beste in Europa. Die Russen vertheidigen sich hartnäckig und verlieren ihre Ordnung selbst in der Niederlage nicht. An der Spitze dieser Krieger fochten Gallizin und Panin; diese Armeen führte Romanzow, für welchen Friedrich selbst beständig die ausgezeichnetste Hochachtung äußerte und sich zu dessen persönlicher Bekanntschaft Glück wünschte, und den jetzt noch als ehrwürdigen väterlichen Greis die ganze Nation wie ihren allgemeinen Wohlthäter ehret. Die Russen, welche vor achtzig Jahren noch kein Boot gehabt hatten, verbrannten jetzt mit der größten Geschicklichkeit und der entschlossensten Kühnheit in der Bucht bei Tschesme die ganze Flotte der Herren des schwarzen Meeres und sprachen den Thürmen Stambul's Hohn. Aller Widerstand, den die Feinde zu Lande thaten, war nicht hinreichend, den Sieger zurückzuhalten. Die kleinen Vortheile, welche die Muselmänner hier und da erfochten, waren von keiner Bedeutung. Romanzow, der die ganze türkische Armee endlich bei Schumla förmlich eingeschlossen hatte, zwang den Großvezier, Alles zu unterschreiben, was er verlangte, und seine Forderungen waren so gemäßigt und billig, da er die ganze Macht des türkischen Reichs in seinen Händen hatte, daß man sich wundern muß, wie den Russen und der Kaiserin persönlich noch der geringste Vorwurf gemacht werden kann. »Da unsere Soldaten gegen die Russen nicht fechten wollen,« schrieb der Mufti, »so muß man Frieden schließen;« und es war keine andere Rettung mehr übrig. Selbst der türkische Courier, welcher aus dem Lager des Großveziers nach Constantinopel ging, reiste mit einem russischen Passe. Der Friede wurde zu Kainardge geschlossen, und die Bedingungen, obgleich nicht so hart, als man nach der verzweifelten Lage der Sachen erwarten durfte, setzten Europa in Erstaunen und die Galle der Neider in Bewegung. Die Russen erhielten ihren alten Wunsch, die freie Schifffahrt auf dem schwarzen Meere nebst Asow und Kinburn mit den Districten. Die Krim wurde von aller Abhängigkeit von der Pforte freigesprochen. Einen so glorreichen Frieden hatte man den vorigen Feldzug in Petersburg selbst nicht gehofft, Alles war Frohlocken. Die russische Flotte hatte in Morea gelandet, und schon hatte man Ursache zu hoffen, die Rettung für den alten Peloponnes könne von den ehemaligen Scythen und Geten kommen. Gleich nach geschlossenem Frieden legten sich, um ihre neuen Rechte zu üben, mehrere russische Fregatten, die aus dem Archipelagus kamen, auf der Rhede von Constantinopel vor Anker, und eine Menge russischer Kauffahrteischiffe folgte ihnen. Diese Erniedrigung mußte allerdings der hohen Pforte schmerzlich sein, aber diese Völkerereignisse sind nicht ungewöhnlich; es ging selbst den stolzen Briten gleich nach dem Pariser Frieden nicht anders, wo mit der zurückkehrenden englischen Flotte mehrere amerikanische Fregatten mit der neuen Staatenflagge auf der Rhede von Deal zugleich ankerten.

Der Friede wurde geschlossen wie alle Frieden, weil er geschlossen werden mußte. Die Türken wollten ihn sodann nicht halten. Die Russen bestanden natürlich pünktlich auf der Vollziehung aller Bedingungen; und diese immer höher steigenden Tracasserien wurden endlich die Ursache zu dem neuen Bruche im Jahre 1787. Die Sache ist so leicht und einfach, daß ich gar nicht einsehe, wie das Publicum es der Kaiserin nur im Geringsten hat zum Tadel anrechnen können, daß sie auf Friedensbedingungen bestand, die ihre Truppen erfochten, und die man von der andern Seite bewilliget hatte. Der Friede hatte doch wol seine Giltigkeit, oder es hat sie keiner; denn kein einziger Friedenschluß ist ein reines freiwilliges Pactum. Rußland gewann freilich außerordentlich in jeder Rücksicht. Aber war die Ursache des Krieges, den die Pforte selbst angefangen hatte, von Seiten Rußlands denn wirklich ungerecht? Hätte nicht Rußland ebenso viel verlieren können, als es gewann? Und hätten sodann die Türken mit Gerechtigkeit nicht ebenso hartnäckig auf den Punkten bestanden? Der Khan von der Krim wurde nun noch auf manche Weise von der Pforte in seiner Unabhängigkeit beeinträchtiget und konnte ebenso wenig seine wilden Landsleute abhalten, daß sie nicht immerfort von Zeit zu Zeit nach ihrer Gewohnheit die Russen beleidiget hätten. Es entstanden daraus beständig neue verdrießliche Händel, die meistens zum Vortheil der Russen ausschlugen, welche die Linien von Perekop umgingen und sich bald in der ganzen Halbinsel festsetzten. Der Khan, aller Unruhen müde, übergab seine ganze Herrschaft der Kaiserin gegen eine Pension. Nun hatte die Pforte durch ihr Ungestüm die Krim aus einem freien unabhängigen Staat, wie es im Frieden abgeschlossen war, gar zu einer russischen Provinz gemacht. Ehemals hatten die Tartarn als türkische Vasallen nach ihrer wilden Lebensart ohne Völkerrecht beständig die angrenzenden russischen Gouvernements beunruhiget, und es war oft blos wegen dieser unbändigen Leute zwischen Rußland und der Pforte ernsthafter Zwist gewesen; nunmehr spielten die Russen ein sehr leichtes Spiel, da die Türken rechtlich sie auf keine Weise mehr unterstützen durften. Die Tartarn unterließen ihre Streifereien nicht, und die Russen hatten nunmehr die Freiheit, diese beschwerlichen Gäste zu bewirthen, wie sie es verdienten, ohne den Vorwurf zu befürchten, daß sie die Territorialgerechtsame der Türken verletzten. Als der Khan die Regierung niedergelegt hatte, begab sich die größere Menge seiner kriegerischen Nation als russische Unterthanen in Ruhe, die übrigen suchten durch die Auswanderung ihr Heil tiefer in Asien. Obgleich die Russen eigentlich weiter nichts thaten, als wozu sie nach den Friedensartikeln zu Kainardge Fug und Recht hatten, so stieg doch bei den noch stolzen Türken die Erbitterung jeden Tag, und die russischen Schiffsleute, welche vermöge des Friedens an allen Orten dort frei ihr Wesen trieben, waren manchen Beleidigungen ausgesetzt. Man hatte in Constantinopel zwar noch den Muth, aber nicht mehr die Energie wie unter Mahomed dem Zweiten oder Soliman dem Zweiten, und das Kriegssystem hatte sich seit der Zeit durchaus verändert. Es war vorauszusehen, daß es bald wieder zum Bruche kommen müßte. Die Türken konnten ihren Verlust, besonders die Krim nicht verschmerzen, die ihnen bisher ein reiches Magazin gewesen war; und die Russen gaben natürlich keinen einzigen von den Vortheilen zurück, die ihnen das Glück und ihre Tapferkeit gegeben hatten.

Die ganze Zeit von dem Frieden 1774 bis zu dem folgenden türkischen Kriege 1787 brachte die Kaiserin Katharina die Zweite meistens damit zu, etwas mehr Ordnung in ihrem großen unermeßlichen Reiche einzuführen. In diese Zeit fällt die Einrichtung der Statthalterschaften, die Anordnungen der neuen Gerichte in denselben, die fernere Einrichtung und Verbesserung mehrerer wohlthätiger Etablissements in der Residenz und den Gouvernementsstädten des Reichs, wovon ich hernach Mehreres anführen werde, wenn ich, so viel ich im Stande bin, das Gemälde ihrer auswärtigen großen politischen Verhandlungen und Kriege werde vollendet haben.

Die Engländer übten in dem letzten amerikanischen Kriege mit ungewöhnlicher Willkür auf dem Meere eine Despotie, die unerhört war, indem sie mit ihrer überlegenen Seemacht alle Schiffe als Prisen aufbrachten, von denen sie nur die entferntesten Muthmaßungen haben konnten, daß sie mit den Feinden handelten. Sie dehnten dabei den Begriff der Kriegsbedürfnisse so weit aus, daß man nach ihrer Bestimmung den Franzosen oder Spaniern durchaus gar nichts hätte zuführen dürfen und nach dem Wohlgefallen der Briten allen Umgang mit diesen Nationen hätte abbrechen müssen. Die Kaiserin Katharina war die Erste, welche diesen stolzen Insulanern die bewaffnete Neutralität zur See entgegensetzte, um den Handel so viel als möglich zu sichern und den Krieg in vernünftige Grenzen einzuschränken. Schweden und Dänemark traten sogleich bei, und Friedrich der Zweite, ob er gleich keine bewaffnete Flotte und nur eine Menge handelnder Fahrzeuge aller Art hatte, schloß sich mit vieler Klugheit und seiner gewöhnlichen Bestimmtheit an. Die Engländer durften es nicht wagen, einer so großen und so billigen Verbindung offene Gewalttätigkeit entgegenzusetzen, und der Handel der neutralen Nationen gewann dabei außerordentlich; freilich zum großen Verdruß der Engländer, die vorzüglich in ihren Kriegen dahin arbeiten, den Handel anderer Nationen, die sie als Nebenbuhlerinnen ansehen, zu verderben; und jede Nation, die es wagt, durch den Handel selbst für sich Vortheil zu gewinnen, ist natürlich sogleich ihre Nebenbuhlerin. Die Russen, von welchen der Anfang der bewaffneten Neutralität herkam, hatten verhältnißmäßig den geringsten Vortheil davon, weil ihre Handelsschiffe verhältnißmäßig die wenigsten waren. Schweden und Dänemark, und noch mehr Preußen durch seine westphälischen Staaten wegen der Nähe des Kriegstheaters, gewannen unter derselben durch die Sicherheit ihrer Seegeschäfte den beträchtlichsten Nutzen. Rußland hatte blos den Vortheil, daß man seine Exportaten von Riga und Reval besser abholen konnte. Es war allen Seenationen ein eigenes Phänomen, während der ganzen Periode die preußische Flagge so zahlreich auf allen Meeren zu sehen, indem, freilich nicht ganz nach dem Sinne der Neutralität, eine Menge fremder Schiffer, vorzüglich aus Holland, sich in Aurich Pässe holten. Die Engländer, welche dieses wohl merkten, wagten es doch nicht, die preußische Flagge anzutasten und sich dadurch in noch mehr Händel zu setzen, als sie leider damals schon hatten. Das ganze europäische Publicum, und vorzüglich das handelnde, ist also der Kaiserin Katharina der Zweiten für den wohlthätigen Gedanken und die Ausführung der bewaffneten Seeneutralität gewiß desto größern Dank schuldig, je weniger sie selbst unmittelbar ausgezeichnete Vortheile dadurch gewann. Ihre Handelsschiffe in der Ostsee, welche diese Anstalt hätten benutzen können, waren gar nicht zahlreich; und bis auf das schwarze Meer und die nordöstlichen Gewässer in Indien, wo die Russen selbst mit entscheidendem Nachdruck sprechen konnten, erstreckte sich der Einfluß des Krieges nicht. Die Idee und ihre Ausführung war gewiß so herrlich, hatte so sehr das Gepräge der Humanität und der allgemeinen Philanthropie, daß ich kaum begreife, warum man blos dieses einzigen Gedankens wegen nicht Katharinens Namen mit wahrer Dankbarkeit nennt.

Die Händel der Russen in dieser Periode mit den tartarischen Nationen in Asien sind uns hier in Deutschland zu wenig bekannt, als daß wir sie alle in ihrem richtigen Gesichtspunkte fassen und gehörig vorstellen könnten. Da die Russen nunmehr von diesen kleinen, wilden, isolirten Horden gewiß keine ernstliche Gefahr zu befürchten haben, so dürfen wir nicht glauben, daß man, wenn sie nur die russischen Etablissements in Ruhe lassen, sie in der ihrigen stören werde. Aber wer den unbändigen, ungeordneten, schwärmerischen Freiheitssinn dieser Räubergesellschaften kennt, dem wird es nicht sonderbar vorkommen, wenn alle Augenblicke kleine Kriege von dieser Seite entstehen. Ein etwas größerer dieser Art war der letzte in der Krim, der sich mit der völligen Besitznehmung endigte, und wodurch die Russen ein Land gewannen, das in der alten und mittlern Zeit der Gegenstand großer Aufmerksamkeit gewesen war. Hier fingen sie nun wenigstens mit allen Kräften an, die schönen Zeiten der Griechen und Genueser zurückzuführen. Die Kirgisen, eine ziemlich starke, tapfere, noch halb wilde Nation mongolischer Abkunft, machten durch ihre Widerspenstigkeit den dortigen Gouvernements viele Sorge, bis sie endlich, der Unruhen selbst überdrüssig, freiwillig sich manche heilsame Anordnung der Regierung nicht allein gefallen ließen, sondern sogar von der Monarchin ausbaten.

Die Ursache des letzten Türkenkriegs lag leider schon in dem Friedensschlusse zu Kainardge. Nicht als ob die Bedingungen, welche der Feldmarschall Romanzow forderte und der Großvezier bewilligen mußte, nach der Lage der Dinge nicht sehr billig und mäßig gewesen wären; sondern weil man in Constantinopel vor Zorn und Unwillen knirschte, daß man sie hatte eingehen müssen. Die Tugend der Sieger ist sonst selten die Mäßigung; hier war sie es. Natürlich war bei der Pforte der Wunsch, das Verlorne wieder zu gewinnen und dazu Gelegenheit zu suchen, sowie bei den Russen das Bestreben, das Gewonnene festzuhalten. Vorzüglich die Besitznehmung der Krim, welche nun die freie Schifffahrt der Russen auf dem schwarzen Meere fast in die Herrschaft auf demselben verwandelte, schmerzte die Muselmänner empfindlicher als Alles. Rechtlich konnte die Pforte wider das Verfahren der Kaiserin nichts haben. Die Krim war frei. Die Tartaren waren Feinde der Russen, und ihre Streifereien waren auf keine Weise weder zu dulden noch abzuhalten ohne die politische Aufhebung der Nation. Der Fürst ergab sich und resignirte, wozu er das Recht hatte. Es hoben sich unter den Händen der Russen täglich neue Etablissements empor, und die alten gewannen an Festigkeit und Stärke. Bei den Türken war es beschlossen, noch einen Versuch zur Wiedereroberung zu wagen. Die Erbitterung beider Nationen gegen einander war ganz leicht zu erklären. Man klagt die Russen der Härte, des Uebermuths, der Eigenmacht überall an, wo sie mit den Türken zusammentrafen. Ich will nicht behaupten, daß das Betragen der Matrosen und der kleinen Seeofficiere oder des Militärs an den Grenzen beständig musterhaft, philosophisch, sanftmüthig gewesen sei; denn wer den Menschen und seine Leidenschaften in seinen verschiedenen Verhältnissen kennt, wird darüber in keiner Verlegenheit sein. Die Türken mit ihrem alten Stolz in ihrer neuen Erniedrigung hatten kein besseres Benehmen. Aber die Russen forderten ja nichts als die Friedensbedingungen, welche man jenerseits weder halten wollte, noch deutlich und geradezu zu brechen wagte. Bekanntlich erklärten endlich selbst die Türken im Jahre 1787 den Krieg wieder, weil sie sich täglich von allen Seiten mehr beeinträchtiget glaubten, eigentlich aber nur aus dem Grunde, weil ihnen die Bedingungen des vorigen Friedens unerträglich schienen. Das ganze europäische Publicum interessirte sich, wie ehemals und jetzt noch für die Polen, so auch mit vieler Wärme für die Türken, aus einer allgemeinen, sehr edlen Sympathie mit dem Schwachen und Unglücklichen, ohne daß es vorher bestimmt untersuchte, wie und wodurch sich der Leidende sein Unglück zugezogen hat, und ob ihm wirklich auch Unrecht geschieht oder nicht. Die Türken hatten nun ihre Armee von dem Hundsloch bei Schumla gerettet und schämten sich ebenso wie ehemals die Römer, das Lösegeld zu bezahlen. Sie hatten schon in dem nämlichen Zeitpunkt ein ziemlich glückliches Gefecht in der Krim unter Dowlet Gheray gegen den russischen General Dolgorucky gehabt und dadurch wieder Muth gewonnen, mußten aber vermöge des Friedens alle Vortheile wieder fahren lassen. Jetzt brach das Feuer in seiner ganzen Wuth wieder aus, und Alles stand in banger Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, besonders da Alles aus Eifersucht auf dieser und jener Seite Partei zu nehmen drohete. Die beiden Kaiserhöfe waren durch ältere und neuere Tractaten verbunden, und beide brauchten ihre Kräfte gegen die Türken, so viel sie konnten, ohne sich von andern Seiten zu sehr in Gefahr zu stellen. In dem vorigen Türkenkriege hatte Schweden nicht Theil genommen, weil der König damals mit einheimischen Händeln, den Folgen der neuen Veränderung, zu sehr beschäftiget war. Jetzt glaubte er irrig, die innere Ruhe habe Consistenz genug, und wollte also nachdrücklich in der Conjunctur des äußern Vortheils wahrnehmen. Die Ursachen des Bruchs mit Rußland waren von schwedischer Seite gewiß sehr künstlich herbeigezogen, indem man die Russen beschuldigte, sie suchten sich in die schwedische Regierung zu mischen und die Selbstständigkeit der Nation anzutasten. In dieser Lage war es der Kaiserin gewiß höchst wichtig, mit Schweden keinen Krieg zu haben, und ihre Minister hatten in Stockholm durchaus weiter nichts gethan, als eben dieses Unglück mit gehöriger Klugheit zu verhüten gesucht. Gustav der Dritte wollte, und es geschah, und vielleicht wäre sein Wille und seine kriegerische Thätigkeit das Glück der Nation geworden, wenn Alles von innen und außen gewesen wäre, wie es sein sollte. Dieser verwickelte Krieg ist, wenn man auch ganz als kalter Beobachter spricht, der hohe Punkt des Ruhms für die Kaiserin Katharina wo sie mit aller Entschlossenheit und Standhaftigkeit ganz allein gegen alle Gefahren, die ihr von allen Seiten fern und nah droheten, sich gleich blieb, ihre Frieden allein schloß, so wie sie ihre Kriege allein geführt hatte. Man erlaube dem Verfasser, ohne allen Enthusiasmus, aber mit Wahrheit von dieser so wichtigen Periode etwas ausführlicher zu sprechen.

Er ist der Meinung, daß in diesem Zeitpunkte der Berliner Hof eine der glänzendsten Rollen in der Menschengeschichte hätte spielen können, die er aber nicht gespielt hat, und versteht darunter den Punkt kurze Zeit vor dem Reichenbacher Vertrage. Man nehme die Lage der Sachen, wie sie damals war. Es kam darauf an, einen allgemeinen Frieden in ganz Europa auf sehr vernünftige Bedingungen zu schließen und dadurch die Ruhe auf eine lange, lange Zeit zu sichern; denn vom ewigen Frieden kann wol die nächstfolgenden sechstausend Jahre noch nicht die Rede sein. Die beiden Kaiserhöfe waren im Kriege gegen die Türken begriffen; alle übrigen Nachbarn glaubten zu ihrer Sicherheit und zum Wohl der Menschheit, wie die Sprache gewöhnlich lautet, daran Antheil nehmen zu müssen, um der Pleonexie der Petersburger und Wiener Grenzen zu fetzen. Dieses als Wahrheit und Zweck angenommen, mußten nachdrückliche Mittel gebraucht werden, und von diesen Mitteln hatte Preußen allein die besten in den Händen. Die Stimmung der Schweden und Polen gegen Rußland konnte man, mußte man also damals als feindlich annehmen. Die Russen und Oestreicher waren in dem ersten Feldzuge gegen die Türken nicht sonderlich glücklich. Lascy mit seinen Cordonziehen konnte den wilden Streifereien der Muselmänner nicht Einhalt thun, und die Russen hatten von ihrer Seite noch sehr wenige Vortheile gewonnen. Hier kam es auf Entscheidung, auf schnelle, kurze und nachdrückliche Entscheidung an. Es war ein Punkt, wo man rasch mit Kanonen und nicht langsam mit Diplomatik sprechen mußte. Bestimmter, schneller Nachdruck der Preußen hätte den herrlichsten Frieden für ganz Europa schaffen können. Die Polen, so mittelmäßig auch ihre Armee war, hätten mit Unterstützung von nur zehntausend Preußen den Russen von ihrer Ukraine aus über den Dnjepr einen sehr schlimmen Besuch gemacht. Wo hätte Rußland sogleich hinlängliche Truppen hernehmen sollen, den noch mächtigen und muthigen Türken an der Donau, den Schweden in Finnland und den Polen und Preußen an dem Dnjepr zu begegnen? Die östreichischen Provinzen gegen Preußen, Böhmen, das übrige Schlesien und Mähren lagen dem Könige fast offen. Mit einem schnellen Marsche war er in ihrem Herzen. Der König hätte sodann in dem schönen Amte des allgemeinen Friedensrichters sprechen können, und wenn er mit Billigkeit und Mäßigung gesprochen hätte, welchen herrlichen Lorbeer hätte er sich vielleicht ohne Schwertstreich erfochten! Fast glaube ich, daß dieses die Meinung der alten Minister Friedrich's des Zweiten war. Aber man brauchte unzeitig Federn zu langen, gedehnten Unterhandlungen, wo man zum Wohl der Nachkommen Bajonnette hätte brauchen sollen. Die Zeit verstrich, und man gewann nichts. Die Russen waren schnell glücklich, weil sie wieder mit ihrem gewöhnlichen alten Muthe fochten. Der Kaiser Joseph konnte unterdessen hinlängliche Truppencorps von der türkischen Grenze hervorziehen, und plötzlich stand der alte ehrwürdige Antagonist Friedrich's, Laudon, an der Spitze eines Heers, das der fast sinkenden Diplomatik zu Hilfe eilte. Daß wirklich Gefahr und große Gefahr war, sieht man daraus, daß Oestreich wirklich mit den Türken Frieden schloß und das wenige Gewonnene zurückgab. Die Nationen, mögen ihre Chefs Autokrators oder Volksdeputirte sein, geben selten etwas zurück, wozu sie nicht gezwungen werden. Als der Reichenbacher Vertrag geschlossen wurde, war die schöne Periode schon vorbei; und dann war freilich wol nichts Besseres zu thun, als den Vertrag zu schließen. Die Sachen hatten schon ein anderes Ansehen gewonnen. Die Oestreicher hatten respectable Armeen auf alle Fälle gegen den König bereit. Die Russen schlugen von ihrer Seite die Türken überall und nahmen einen Ort nach dem andern weg. Die Schweden hatten durch die eintretende Verrätherei unter ihren Truppen kaum noch soviel Kräfte, daß sie das Feld halten konnten. Katharina stand, obgleich mit Gefahren rund umgeben, doch groß und fest und schaute und handelte nach allen Seiten. Die Preußen zogen hin, als ob sie noch nachdrücklich sein wollten; aber nun war man von allen Seiten gefaßt, sie zu empfangen und das große Spiel zu spielen. Die Periode kam nicht wieder. Die Kaiserin Katharina konnte trotzen, denn sie kannte ihre Kräfte und die Kräfte ihrer Feinde und konnte zuletzt Alles nach ihrem Willen endigen, ohne sich die Vermittelung von Berlin und London aufdringen zu lassen. Hätte der König von Preußen durch bestimmte, nachdrückliche Maßregeln, wie man damals höchst wahrscheinlich hoffen konnte, den Frieden erzwungen, welch einen ganz andern Gang würden nicht die Ereignisse genommen haben! Vielleicht hätten die Russen die Friedensbedingungen von Kainardge bis auf wenige verloren; vielleicht hätten die Polen sich gegen Rußland wieder auf einen sehr ehrenvollen Fuß gesetzt, und dem Könige von Preußen wäre außer dem herrlichen Charakter eines Friedensmittlers doch wol seine Belohnung nicht verloren gegangen. Noch anderer Veränderungen nicht zu gedenken, welche höchst wahrscheinlich unterblieben wären; denn die Franzosen arbeiteten wol blos deswegen mit solcher Kühnheit, die ganze Base des alten Gouvernements umzuwerfen, weil alle Höfe ohne Ausnahme von andern Seiten so sehr in ihre eigene Politik verwickelt waren, daß sie durchaus an keine schnelle Unterstützung Ludwig's denken konnten. Als sie ihn unterstützen wollten, waren die Dinge schon zu solchen Extremen gediehen, und das neue Gouvernement hatte schon so viel Stärke und Festigkeit gewonnen, daß es nun Alles aufbieten mußte, sein neues Gebäude zu vollenden oder sich unter dem Einsturz desselben zu begraben. Man weiß von je her aus der Geschichte, was die entschlossene Verzweiflung zu thun im Stande ist, und hat gesehen, was sie in unsern Tagen gethan hat. Hätte Friedrich Wilhelm mit der lakonischen Entschlossenheit seines großen Ohnms, mit seinen Kräften und angemessenen Schritten, wie es sehr möglich war, anstatt des Reichenbacher Vertrags einen andern Frieden vorher gestiftet, Polen wäre vielleicht noch Polen, Gustav der Dritte und Ludwig lebten vielleicht noch, und die gewaltsamen Katastrophen wären nicht eingetreten, die dem Menschensinn eine allgemeine neue Gährung gegeben haben. Unser Urheber allein, der die Erziehung des Menschengeschlechts besorgt, weiß, welchen Ausgang diese Gährung nehmen wird. Der Friede wurde also nicht so geschlossen, wie er geschlossen werden konnte und sollte. Die Preußen standen bei Straßburg in Preußen und droheten, und die Russen schlugen die Türken und ließen sie drohen. Die Kaiserin machte endlich mit dem Könige von Schweden, der mehr fremde Mitwirkung erwartet hatte und erwarten konnte, und dessen innere Verhältnisse täglich kritischer zu werden anfingen, ohne alle Vermittelung Frieden. Igelström und Armfeld, mit geheimen Befehlen von ihren Höfen versehen, schlossen ihn bei Wärela, ehe Jemand etwas ahnete. Ganz Europa staunte und zweifelte nun gar nicht mehr, daß die Kaiserin, da sie sich mit Ruhm aus dieser so gefährlichen Lage gerissen hatte, sich auch aus den übrigen Verlegenheiten ziehen würde. Der Krieg mit Schweden, als der nächste, war unstreitig der wichtigste und drohete ihr gefährlich zu werden. Die Garden aus Petersburg mußten mit zu Felde gehen, welches nur in kritischen Lagen zu geschehen pflegt, und man transportirte aus der Gegend des Kaukasus in der Eile ein Corps von gegen zehntausend Mann auf Extrapost nach Finnland; eine Marschweise, die man in jedem andern Lande gewiß zu den seltensten Erscheinungen würde gerechnet haben, und von welcher man dort kaum spricht. Die Schweden sind gewiß noch eben die braven Soldaten, die sie unter Gustav Adolph und Karl dem Zwölften waren; nur ihre Feinde sind nicht mehr die nämlichen, die sie bei Narva waren. Dieser Krieg hat unstreitig der Monarchin die größte Unruhe gemacht, da er so zu sagen vor den Thoren der Residenz geführt wurde und sie in Petersburg die Kanonen der Flotten hören konnte, die sich bei Kronstadt mit der größten Hartnäckigkeit schlugen. »Sie hätten wol nicht geglaubt,« sagte sie mit ihrer gewöhnlichen Freundlichkeit zu dem schwedischen General, der ihr als Gefangener vorgestellt wurde, »Sie hätten wol nicht geglaubt, heute in Petersburg zu sein?« »Doch,« erwiderte der Schwede, »Ihre Majestät, aber nicht als Ihr Gefangener!« eine Replik, die mit der größten Freimüthigkeit den feinsten Lobspruch sagte, da er trotz seinen schönen Hoffnungen doch als ihr Gefangener da war.

Nach dem schwedischen Frieden konnten die Russen, welche nun ziemlich freie Hände hatten, da die Preußen gar nichts und die Polen nichts Wesentliches thaten, mit allem Nachdruck in der Moldau gegen die Türken schlagen; und daß sie so geschlagen haben, ist noch Jedermann im frischen Andenken. Unter den Waffen wachsen die Helden; und es ist kein Wunder, daß aus einer Armee, welche beständig schlägt, ein tüchtiger Heerführer nach dem andern hervorgeht. Die Nachfolger Romanzow's ließen den Ruhm der russischen Fahnen nicht sinken. Der furchtbare Potemkin und sein lakonischer Freund Suworow führten ihre entschlossenen Heere von einer Unternehmung zur andern. Hat je eine Armee mit so eiserner Geduld und Beharrlichkeit gegen die Schwierigkeiten aller Art gekämpft wie die Belagerer Oczakow's? Die Türken wußten ebensowol als die Russen, wie viel auf diese Festung ankam, und vorige Kriege hatten ihnen schon gezeigt, welche Vortheile sie durch ihre Lage an dem Strom und die Nachbarschaft des Meeres der Partei gewähren konnte, in deren Händen sie war. Potemkin hatte sehr gute Gründe, diesen Platz durchaus nehmen zu wollen, so viel Vorwürfe man ihm auch vielleicht, selbst unter den Russen, über seine wild scheinende Hartnäckigkeit macht. Mehrere Stürme wurden gewagt und abgeschlagen; der Verlust war fürchterlich. Die Türken waren ebenso verzweifelt in der Vertheidigung als die Russen im Angriff. Die strenge Kälte des damals ungewöhnlich harten Winters tödtete im Lager fast ebenso Viele als die Feinde aus den Werken. Selbst der russische Soldat fing an, den Muth sinken zu lassen, und wünschte einen entscheidenden Tag zum Leben oder zum Tode. Potemkin gab ihn; er war schrecklich, und der Ort gehörte den Russen. Man hat diesen und den Tag vor Ismail sowie nachher den Tag vor Praga aufgestellt, um die Russen von dem ersten Anführer an bis zu dem letzten Soldaten der Grausamkeit, Unmenschlichkeit und Barbarei anzuklagen. Traurig ist es, daß selbst ihre angesehenen Officiere, Männer von Ehre und Humanität, es bekennen müssen, daß diese Tage, so sehr sie für die russischen Waffen glänzen, allerdings nicht zum Beweis für ihre Menschlichkeit können angeführt werden. Viele Entschuldigung liegt in der allgemeinen Erbitterung der Truppen beider Nationen, in der Hartnäckigkeit der Gefechte von beiden Seiten, der Wuth der Türken bis zum letzten Extrem, der Entschlossenheit der Russen, zu siegen oder zu sterben, und dem verzweifelnden Widerstande, den sie selbst nach Eroberung aller Vertheidigungsplätze in dem Orte überall noch fanden. Wo wurde je ein Ort mit Sturm genommen, wo die Einwohner nicht litten? Ismail mußte genommen werden, so lag es in dem notwendigen Plane des Feldzugs. Suworow, dem der Streich aufgetragen wurde, hat das fürchterliche Talent, seine Energie allen seinen Kriegern einzuhauchen, und es wurde genommen. Die Scene war ebenso schrecklich wie bei Oczakow; der Unordnungen und Grausamkeiten aber waren an beiden Orten bei Weitem nicht so viele, als das auswärtige Publicum glaubt und sich noch täglich erzählt. Diejenigen, welche in diesen Kriegen noch immer die strengste menschliche Disciplin verlangen, kennen die Gefechte mit den Muselmännern nicht, bei denen es oft noch gebräuchlich ist, den Kopf des erlegten Feindes an den Sattelknopf als Trophäe zu hängen. Man kann davon nach der Analogie auf ihre übrigen Kriegssitten schließen. Die Meisten, welche umkamen, waren Kriegsleute, die in ihrem Beruf bis auf den letzten Athem fechtend starben. Daß dieses wirklich der Fall war, zeigt der Verlust der Russen; denn in dem letzten Hauptsturme kamen bei Oczakow gegen 11,000 Russen um, und die ganze Belagerung mit allen Angriffen und den Krankheiten während der schlimmen Jahrszeit kostete gegen 40,000. Ismail kostete den Russen gegen 7000. Ungeheure Zahlen! und Katharina weinte bei der Nachricht der blutigen Siege; denn sie hatte nicht den Krieg zu ihrem Vergnügen angefangen, und Menschenköpfe waren ihr keine Rechenpfennige. Von türkischer Seite ist wahrscheinlich der Verlust nicht so groß gewesen, als ihn die Russen in ihren Papieren machten, um ihre Tapferkeit in noch größern Werth zu setzen, da man sie leider fast noch überall nach der Anzahl der Erschlagenen mißt.

Potemkin's weitaussehender Ehrgeiz hätte mit seinem Anhange vielleicht den Krieg noch sehr in die Länge gezogen, und es war sicher eine wahre Wohlthat für die Menschheit, daß dieser große Mann die Bühne verließ und starb. Groß waren seine Tugenden und seine Fehler, und nur seine Freunde oder Feinde werden ihm beide nehmen wollen. Unbeschränkte Herrschsucht, unbiegsamer Stolz gegen Große und einnehmende, gewinnende Popularität gegen Kleinere, ein umfassender, richtiger Blick, eine feste, trotzige Beharrlichkeit und eine sonderbar contrastirende Prachtliebe und nachlässige Einfachheit waren Hauptzüge seines Charakters: daher ihn gewöhnlich die Großen haßten und die Kleinen liebten. Seine Eigenmächtigkeiten, unter denen auch wol zuweilen leidenschaftliche Ungerechtigkeiten sich befinden mochten, können nicht in Zweifel gezogen werden. Unter Allen, welche die vorzügliche Gunst der Monarchin genossen haben, ist er wol der Einzige, der sich durch seinen persönlichen Werth und die großen Talente seines Geistes vorzüglich ausgezeichnet hat. Ueber seine Moralität läßt sich wenig bestimmen; denn selten ist sie bei Männern seiner Art aus den Untiefen ihrer Seele aufzufinden. Das Publicum hat seinen Tod seinen Feinden beigemessen und sich höchst wahrscheinlich geirrt; denn er war ein Schwelger ohne alle Ordnung und Mäßigkeit, und seine Aerzte hatten ihm ein solches Ende seiner Unenthaltsamkeit längst vorhergesagt. Es ist wieder ein sehr lehrreicher Beitrag zur Menschenkunde, wenn man einen Mann, vor welchem noch einige Tage vorher Nationen zitterten, auf freiem Felde in den Armen einiger Freunde, blos in seinem Mantel, als Opfer seiner Unmäßigkeit sterben sieht.

Der Fürst Repnin, sein Nachfolger in dem Commando bei der Armee, war bald so glücklich, dem Reiche den Frieden zu geben, den die Russen bei allem ihrem Glück in den Waffen ebenso sehr zu wünschen Ursache hatten als ihre Feinde, die Muselmänner. Man kann sich leicht vorstellen, daß solche ungeheure Anstrengungen, wie diese Kriege erforderten, die Kräfte des Reichs, wo nicht erschöpfen, doch sehr ermatten mußten. Eine förmliche Kriegssteuer hat in Rußland mancher Ursachen wegen mehr Schwierigkeit als in andern Reichen; alle Provinzen hatten nur beträchtliche freiwillige Geschenke und Lieferungen gegeben. Manche Corps lebten auf Kosten der Feinde. Aber der weitläufige Transport aller Bedürfnisse und der Mangel an Ordnung in Hebung und Verwaltung der öffentlichen Einkünfte hatte oft Verlegenheit erzeugt, die leicht hätte Mangel werden können, ob man sie gleich bei Hofe sowol als bei der Armee in großen glänzenden Festen zu verbergen suchte. Die Bälle sind noch bekannt, die der Fürst Potemkin in Jassy gab, und wo er einige hunderttausend Rubel mit asiatischem Pomp an einem Abend für Aufwand bezahlte. Die Türken waren froh, den Frieden durch Abtretung der Festung Oczakow mit ihrem Districte zu erkaufen; so traurig waren sie von ihrem Irrthume zurückgekommen. Katharina sah sich nun mit Ruhm und Ehre durch ihren Muth und ihre Klugheit und die Tapferkeit ihrer braven Truppen mit Gewinn aus einer Gefahr errettet, in welche sie die künstliche Machination ihrer Feinde zu stürzen gehofft hatte und vielleicht hätte stürzen können. Sie war größer als vorher und genoß nun seit langer Zeit das erste Mal wieder das Vergnügen, ihr ganzes Reich in Frieden und Ruhe zu wissen. Aber es dauerte nicht lange, als sie schon wieder in Polen die letzten Händel bekam, welche leider der Republik endlich tödtlich wurden.

Diese letzten Geschichten in Polen sind, wenn man die allerneuesten persischen Händel ausnimmt, die letzten öffentlichen Verhandlungen Katharinens, und zwar sind sie von der Art, daß man ihr darüber die allermehrsten Vorwürfe gemacht hat. Auch hier wird man, ehe man das schließliche Urtheil spricht, dem Verfasser erlauben, etwas näher und weitläufiger sich über dieselben zu erklären. Daß die Polen triftige Ursache hatten, gegen Rußland aufgebracht zu sein, daß ihnen die Russen in diesem ganzen Säculo und besonders die letzten dreißig Jahre beständig Gelegenheit zur Erbitterung gegeben hatten, will ich gar nicht leugnen. Dieses liegt leider schon in den gegenseitigen Verhältnissen beider Nationen, die seit langer Zeit Nebenbuhlerinnen des politischen Glücks, Unterdrücker und Unterdrückte gewesen waren. Ich habe schon oben behauptet und die Ursachen der Behauptung angegeben, daß man Völkersachen nicht nach den festgesetzten Regeln eines philosophischen bürgerlichen Moralsystems beurtheilen kann. Blos von der letzten Epoche der endlichen Auflösung der polnischen Republik will ich sprechen. Daß die Polen die Theilung vom Jahre 1773 noch schmerzlich fühlten, war ganz natürlich, und ihre Maßregeln nach diesem Ereigniß zeigten, daß sie über ihr wahres Nationalinteresse etwas heller nachzudenken angefangen hatten. Hätte nur noch in den letzten drei Jahren ein anderer Mann als Stanislaus Poniatowsky an der Spitze der Nation gestanden, so hätte er, wenn auch nicht den ganzen Schaden wieder heilen, doch einen großen Theil desselben von innen und außen wieder verbessern können. Die Polen unternahmen während der kritischen Periode des letzten Türkenkrieges mit und ohne Zustimmung der benachbarten Höfe in ihrem Staatssystem eine Generalreform und wollten die Krone gesetzlich erblich machen, welches sie damals billig für das einzige Mittel ansahen, ihrer Nation Ordnung und Consistenz zu geben. Niemand wird den Satz streitig machen, daß keine Macht ein Recht hat, sich in die Regierung einer andern nachbarlichen Nation zu mischen, als insofern ihre eigene Sicherheit augenscheinlich in Gefahr kommt, oder insofern sie durch alte Verträge dieses Recht sich erworben hat. Daß bei der Kaiserin Beides der Fall war, ist ganz deutlich; denn die Polen zeigten nur zu sehr ihre feindlichen Absichten, und die Kaiserin hatte bei der alten Constitution die Garantie geleistet, wo man nicht annehmen kann, daß sie es blos der Polen wegen gethan. Die Polen hätten das nicht thun sollen, sagt man vielleicht. Sie hätten Vieles nicht thun sollen; aber sie hatten es gethan. Die Kaiserin mußte in den gefährlichen Conjuncturen schweigen, weil sie von allen Seiten mit noch wichtigern Dingen beschäftiget war; aber sie hat sich nie erklärt, daß sie die Veränderungen in Polen nur im Geringsten billigte. Als sie mit den Türken Frieden geschlossen hatte, trat sie mit ihren Gesinnungen und Gründen und Truppen auf einmal näher. Dieses hätten die Polen voraussehen und andere Maßregeln nehmen sollen. Man sagt: Sie hatten das gesehen und waren bereit, die Russen zu empfangen. Aber sie konnten ihre Verfassung und die Verfassung der Russen kennen und mußten den Zeitpunkt besser fassen. Sie verfuhren mit der Garantie der Kaiserin ganz eigenmächtig und cassirten sie geradezu, wozu sie für das Erste als ein Theil allein, und nicht einmal der ganze Theil, kein Recht hatten. Aber dabei ließen sie es nicht bewenden; sie zwangen die Russen, sogleich alle ihre Magazine aus der Ukraine zu entfernen, wo sie laut der Verträge zum Behuf des Türkenkriegs Magazine zu halten das Recht hatten. Die Russen mußten in dieser Lage es leiden und ihren Vorrath eilig wegschaffen. Die Polen erlaubten keinem russischen Courier, über polnischen Boden zu gehen. Mehrere wurden unsichtbar, ohne daß man wußte, wohin sie gekommen waren; aber es war sichtbar, daß man in Warschau ihre Depeschen wußte, die man von der Armee nach Petersburg hatte schicken wollen. Die Couriere mußten einen langen Umweg nehmen, und Potemkin kochte vor Zorn gegen die Polen. Neutrale Mächte pflegen nie den Courierwechsel zu wehren. Krieg war zwischen beiden Nationen nicht. Die Russen thaten alles Mögliche, um die Polen zu schonen, mußten es in dieser Lage thun. Aber war von polnischer Seite nicht Alles feindselig? Zum Frieden war es zu viel und zum Kriege zu wenig. Warum wählten sie nicht Eins bestimmt? Warum wählten sie nicht zum Kriege die Periode, wo die Russen nicht freie Hände hatten, da sie doch entscheiden wollten? denn das konnten sie doch denken, daß die Kaiserin alle diese öffentlichen und Privatbeleidigungen nicht ungeahndet lassen würde. Hätten sie geschlagen, als es Zeit war, so war vernünftige Hoffnung, mit den Uebrigen billige und vielleicht ehrenvolle Bedingungen zu erhalten. Nun war es nicht anders zu erwarten, als daß der russische Koloß sie niederdrücken mußte. Es war gar nicht wahrscheinlich, daß Preußen sich für sie ohne Aussicht eines Gewinnes mit Rußland in einen gefährlichen Krieg einlassen würde, da es selbst in der vorteilhaftesten Epoche still und ruhig gewesen war. Die Russen rückten in einem Feldzuge von ihrer Grenze bis hinter Warschau und machten Miene, bis nach Posen zu gehen. Alles, was man gebauet hatte, war nun auf einmal wieder gestürzt. Das war höchst wahrscheinlich die ganze Absicht der Kaiserin, die sie zu ihrer Ehre und Sicherheit nehmen durfte, vielleicht sogar nehmen mußte. Denn wenn die Polen eine andere ähnliche Conjunctur mit ihren entschieden feindseligen Gesinnungen besser benutzten als die eben vorbeigelassene, wer konnte alsdann alles Unheil berechnen, das sie den Russen würden zufügen können?

Höchst wahrscheinlich ist es, daß das neue Theilungsproject von Süden und nicht von Norden kam, ob es gleich in Petersburg einigen Köpfen am Ruder sehr willkommen gewesen sein mag. Die Befugniß der Kaiserin, sich in die polnischen Geschäfte zu mischen, habe ich oben aus der Garantie der alten Constitution und der Gefahr, die ihr aus der neuen Reform entstand, erwiesen, zumal da sich die polnische Nation durchaus in allen Stücken feindselig gegen die Russen betrug. Die Kaiserin gewann dadurch noch einen Grund, weil mehrere Polen in Petersburg ihre Garantie reclamirten. Ob diese die Besten oder Schlechtesten der Nation waren, ist keine Rechtsfrage; sie waren Polen, die also die Garantie reclamiren durften, welche die Kaiserin übernommen hatte. Die Theilung selbst kann nur mit einer Staatscollision in der jetzigen Periode entschuldiget werden. Wenigstens haben die Russen mehr für sich als die übrigen Nachbarn. Für Rußland ist Vergrößerung wol schwerlich Gewinn; und selbst im Reiche ist man überall dieser Meinung, welche schon Peter der Erste aufgestellt und bei seinem Tode seinen Nachfolgern empfohlen hat. Die Kaiserin verlangte immer nur Sicherung ihrer Grenzen. Ihre Erweiterungen in Polen waren nur zufällig. Preußen erwarb durch die letzte polnische Theilung freilich weit mehr, als es durch die allgemeine Friedensvermittelung vorher hätte erwerben können; es ist aber politisch eine große Frage, ob Erwerbung immer Gewinn ist. Die Manifeste, welche man damals von Petersburg und Berlin zur Rechtfertigung des Verfahrens ausgehen ließ, tragen allerdings einen ganz eigenen Stempel, und in London hatte man nicht ganz Unrecht, sie zu Documenten gegen die Könige zu zählen. Es erhellet aber aus dem oben Gesagten, daß wenigstens das russische, dem übrigens der Londoner Kritiker schon noch einige Vorzüge zugestehet, besser hätte sein können und sollen, wenn man andere wahrere Gründe mit besserm Nachdruck aufgestellt hätte. Daß der preußische Hof vorzüglich während der ganzen letzten Periode auf eine ganz eigene Weise mit den Polen umgegangen ist, wird Niemand leugnen, der die Publicität nicht scheut; und mit welchem Maßstabe man sein Verfahren messen will, bleibt den Interessenten überlassen. Von den Polen selbst wird das ganze Publicum und selbst philosophisch rechtliche Leute in Preußen und Rußland Diejenigen für die Ehrenvollsten halten, die in der traurigen Krise für die letzte Selbstständigkeit ihres Vaterlandes fielen oder fochten, bis sie endlich nicht mehr konnten und Alles verloren war. Bei der endlichen Aufhebung der politischen Existenz der Polen nach dem unglücklichen Tage bei Praga fragte man nach keiner Diplomatik des alten Reichs mehr, und die Höfe machten es unter sich nach ihrer neuen Convenienz ab. Katharina wird darüber politisch entschuldiget; ihre enthusiastischen Verehrer, denen Glanz, Größe und Macht die Augen blendet, mögen sie loben. Wenn eine mißliche Sache mit ihrem kosmischen Zwecke gerechtfertiget werden könnte, so dürfte man vielleicht auch hier sagen, der Zustand Polens habe gewonnen, und unter allen drei neuen Gouvernements werde nun nicht mehr so eigenmächtige Bedrückung, mehr Ordnung und Gerechtigkeit und im Allgemeinen mehr Wohlstand herrschen. Daß dieses Alles werde, dafür mögen die Regierungen sorgen, damit sie nicht an ein schlimmes Diplom ein schlechtes Siegel hängen. Der Vorwand des Jakobinismus in Polen, den man in den Manifesten las, und den Manche so sehr als aus der Luft gegriffen fanden, ist, genau betrachtet, so seicht nicht, als er vielleicht beim ersten Anblick scheinen möchte. Es ist hier nicht der Ort, politische Beichte zu thun, und ebenso wenig, Regierungsformen zu untersuchen. Aber das Recht wird man doch keiner einzigen Regierung absprechen, Mittel zu ergreifen, daß ihre eigene Base nicht untergraben und die Ruhe in ihrem Schooße nicht gestöret werde; und sie behandelt mit Fug die benachbarte Nation feindlich, welche darauf hinarbeitet. Ich wage es nicht zu bestimmen, ob dieses der Fall in Polen war; aber den Schluß wird folgerecht selbst ein Jakobiner für sein eigenes System fordern, warum soll er nicht für jedes andere ebensowol giltig sein? Es ist freilich wieder gefährlich, die Grenzen zu bestimmen; aber in welchem menschlichen Begriffe liegt durch die Übertreibung nicht Gefahr?

Die allerletzten, ganz neuen, noch bestehenden Streitigkeiten der Kaiserin Katharina sind mit Persien, veranlasset durch die innerlichen Kriege des Landes, wo ein Prinz, der über Unrecht und Unterdrückungen klagt, bei der Kaiserin um Schutz und Unterstützung gebeten hat. Das Ende dieser Unternehmungen hat die Monarchin nicht erlebt, aber doch noch den Fortgang ihrer Waffen an den jenseitigen Ufern der kaspischen See erfahren. Wie der Krieg jetzt in jenen entfernten Gegenden steht, ist hier noch unbekannt. Vielleicht suchen die Russen bei dieser Gelegenheit einige Vortheile für ihren morgenländischen Handel zu gewinnen durch die Behauptung von Derbent oder Errichtung einiger andern Etablissements tiefer an der kaspischen See. Auf alle Fälle scheinen sie vor aller Gefahr gesichert zu sein; denn die Krim sowol als die Gouvernements der dortigen Gegenden sind in dem besten Zustande der Ordnung und Vertheidigung.

So weit meine Kenntnisse und Kräfte reichen, habe ich hiermit einen kurzen Umriß von der großen auswärtigen Politik gegeben, in welcher die Kaiserin fast immer eine Hauptrolle spielte. Der aufmerksame Leser wird mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ich wenigstens nichts mit Absicht in ein schiefes Licht gesetzt habe. Ich habe ihr keine Trophäen errichtet; denn sie war nicht Eroberin und wollte es auch nicht sein. Man hat gesehen, wie alle ihre Kriege nothwendig einer aus dem andern entsprangen, und wie eigentlich die polnische Königswahl die Grundlage zu allen ihren auswärtigen Streitigkeiten war. Den Gewinn, den sie dadurch, noch glücklich genug, für ihre Völker gemacht hatte, erkaufte sie nicht wohlfeil, und es gehörten die unerschöpflichen Kräfte Rußlands und der weise Muth der Monarchin dazu, daß Alles noch so ein Ende nahm. Die Schicksale der Monarchen und ihrer Nationen hängen ebensowol wie die Schicksale kleinerer Familien oft nur von einem einzigen Vorfalle ab, an welchen sich alle übrige anketten. Daß Katharina diese Vorfälle sah und benutzte, ihnen begegnete, ihnen zuvorkam, mit Klugheit die Männer wählte, die an der Spitze ihrer Heere und ihrer Geschäfte im Cabinette mit Muth, Entschlossenheit und Scharfblick mit ihr und für sie arbeiteten; daß sie jedes rechtliche Mittel brauchte, wo es wirken konnte, mäßig und großmüthig im Glück und unerschütterlich standhaft im Unglück war: dieses war ihr Verdienst; ein Verdienst, auf das manche Männer ihrer Zeit in den nämlichen Verhältnissen nicht Anspruch machen dürfen. Die zwei Friedensschlüsse mit den Türken sind wirklich Monumente ihrer Mäßigung. Man weiß, daß sie in Polen nicht allein, sondern mit Mehrern zugleich handelte. Vor ihr allein wäre unstreitig trotz allen ihren Zwistigkeiten mit der Nation die Existenz der polnischen Republik gesichert geblieben. Daß sie sich bei den nothwendig eintretenden Katastrophen das Beste zueignete oder vielmehr ganz eigentlich das Beste behielt, findet wol, da die Sachen einmal so waren, Niemand sonderbar, da sie während der Unruhen das Meiste oder ausschließlich fast Alles gethan und allein gelitten hatte. Mit Schweden blieben es die alten Bedingungen von Abo und Nystadt; denn es war ihr nie in den Sinn gekommen, andere zu wünschen; und selbst Gustav der Dritte erklärte den Frieden für Schweden für einen ehrenvollen Frieden.

Jedermann weiß noch, daß die Kaiserin Katharina die Zweite bei dem Teschner Frieden die vornehmste Mitwirkerin war, indem ihr Gesandter daselbst so bestimmt ihre Meinung erklärte, daß die Parteien lieber auf jeden Fall sich einander näherten, als es wagen wollten, Rußland mit sechzigtausend Mann auf der Seite Derjenigen zu sehen, welche Katharina in Petersburg für die billige halten würde. Daß die Kaiserin den Krieg gegen die Franzosen nicht thätiger unterstützte, als sie gethan hat, darüber wird sie Jedermann rechtfertigen, der die Verkettung der Nationalhändel in Europa, das Interesse der Völker, die individuelle Lage Rußlands zu allen seinen Nachbarn und den Gang der menschlichen Ideen und Leidenschaften überhaupt etwas genauer erwogen hat. Große Armeen konnte sie durchaus nicht senden, und sehr leicht hätten kleinere in mancher Rücksicht der ganzen Sache mehr schaden als helfen können. Sie zeigte dadurch, daß sie einen Theil ihrer Flotte zu der englischen stoßen ließ, daß sie nur durch ihre Verhältnisse gehindert wurde, mehr Antheil zu nehmen. Wir sind nunmehr auf dem Punkte, wo Jedermann sich überzeugen wird, daß die Feinde des französischen Systems vom Anfange durch glimpflichere, aber doch nachdrückliche Mittel für sich mehr gewonnen haben würden als durch stürmische Gewalt von allen Seiten.

Ebenso kurz, wie ich von ihrer auswärtigen thätigen Politik gesprochen habe, will ich nun noch von ihren Einrichtungen im Reiche selbst zu sprechen suchen, von dem, was sie zur Festsetzung der Ordnung, zur Verbesserung der Justiz, zum Nutzen der Nationalaufklärung und Erziehung, zum Vortheil des Handels, zur Wohlthat des ärmern Theils des Publicums, zur Verschönerung der Residenz, zur Beförderung der Wissenschaften und überhaupt zum Wohl der Nation im Innern ihres großen unermeßlichen Reichs gethan hat. Hier kann man sich kaum enthalten, mit in den Enthusiasmus und die Verehrung aller Völker, die unter ihrem Scepter lebten, einzustimmen. Wohin man in ihrem Reiche blickt, sieht man überall die Spuren ihrer weisen, mütterlichen Sorgfalt. In Provinzen, welche vielleicht nie ihr Fuß betrat, erheben sich Anstalten, die ihrer Regierung Ehre und den künftigen Generationen erst den vollen bezweckten Vortheil bringen werden. Vor ihr war das Reich fast nur noch ein Chaos, das eben erst aus seinem alten Schlummer erwachte. Peter der Erste war der Schöpfer der Nation; seine Nachfolger haben sie am Gängelbande geleitet; Katharina die Zweite unternahm es, ihre Erzieherin zu werden. Peter baute seinen Staat militärisch und ging militärisch zu Werke mit seiner ganzen Schöpfung. Sein Zeitalter und seine Lage rechtfertigte ihn. » Il travaillait sur sa nation, comme l'eau forte sur le fer,« sagte von ihm Friedrich der Zweite, der seinen Charakter durchdacht hatte. Katharina, ohne Peter's System zu verlassen, weil eine Nation ohne einen festen Kriegsfuß immer sehr unsicher steht, suchte ihm Humanität zu geben. Man könnte Bücher schreiben, um Alles zu schildern und auseinanderzusetzen, was sie zum Besten ihrer Unterthanen in dieser Rücksicht entworfen, unternommen und theils ausgeführt hat. Es ist aber nicht das Werk nur eines Menschenalters, noch halb wilde Nationen zur Cultur heraufzuführen. Peter der Erste hatte den herrlichsten Anfang gemacht; aber er bildete nur Soldaten und legte zum Grunde der übrigen Nationalbildung die Akademie in Petersburg an, aus welcher nach und nach gute und nützliche Anlagen für das Reich hervorgehen sollten. Seit seinem Tode bis auf die Regierung Katharina der Zweiten war für die innere bessere Ordnung des Reichs sehr wenig gethan worden. Die Regierungen waren theils zu kurz, theils zu unruhig, oder man beschäftigte sich zu sehr mit dem wichtigen asiatischen Pomp, um an die Kleinigkeit der Nationalerziehung weiter zu denken. Katharina fing an, die Pläne Peter's des Ersten, so viel ihr möglich war, fortzusetzen. »Peter der Erste erbaute die Häuser,« sagt ein Minister Katharinens, dessen Charakter nicht Schmeichelei zu sein scheint, »Katharina setzte die Menschen hinein.«

Die Kaiserin Katharina die Zweite scheint völlig überzeugt gewesen zu sein, daß nur Freiheit den Flor eines Staats gründen und befestigen könne, daß nur Freiheit und gesetzliche unumstößliche Gewißheit der Besitzungen für Alle allgemeine Industrie schaffen, heben und erhalten kann; und mit diesen Gedanken des Wohlwollens für alle ihre Unterthanen und das ganze Menschengeschlecht trat sie ihre Regierung an und nahm ihre ersten Maßregeln. Es ist in der Geschichte ein sonderbares Phänomen, da das Palladium der Freiheit vorzüglich unter den nordischen Völkern gesucht werden mußte, daß die Russen, als eins der angesehensten derselben, bei ihrem großen politischen Gewicht seit so langer Zeit in der tiefsten Personalsclaverei lebten. Wenn es von je her so gewesen wäre, würde man nicht wissen, wie man es nur erklären sollte. Aber das war es nicht; auch die Russen waren frei wie ihre übrigen nordischen Brüder. Erst unter Iwan Wasilewitsch, in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, verloren die russischen Bauern das große heilige Recht der Personalfreiheit nur nach und nach; und unstreitig sah der große Monarch nicht, welches Unheil durch Mißbrauch mit der Zeit aus seinem Gesetze erwachsen würde. Um den Auswanderungen zuvorzukommen, welche während der kasanischen und astrachanischen Kriege und einer daraus entstehenden Hungersnoth außerordentlich stark wurden, verbot dieser Zaar, daß kein Bauer sich von seinem Hofe und Herde entfernen sollte. Eine temporäre Vorsicht machte bald der Kastengeist zum eisernen Gesetz. Mit der Zeit machte die Raubgier und die Gewinnsucht daraus Glebäadscripten und zuletzt gar Leibeigene und Sclaven; obgleich das Letztere die russischen Bauern nie gesetzlich gewesen sind. Unter Peter dem Ersten fing man an, das ungerecht aufgeworfene Joch etwas zu erleichtern. Unter seinen Nachfolgern fragte man weniger als jemals nach dem Schicksal der niedern Volksclassen, und es war also härter als jemals; denn wo die Regierung nicht streng auf Gerechtigkeit und Menschlichkeit sieht, ist man gewiß, daß die kleine Tyrannei mit allen Arten der Unterdrückung geißelt. Die Geschichte der esthländischen, livländischen und kurländischen Bauern liegt in der Geschichte des deutschen Ordens, einer Geschichte, die der deutschen Nation auch nicht sehr zur Ehre gereicht. Katharina die Zweite fing wieder an, sich der armen unterdrückten Menschenrasse anzunehmen, wovon so viele Stellen in ihren Verordnungen und ganze Gesetze zu ihrem Vortheil Zeugen sind. Daß die Regierungsgrundsätze der Kaiserin auf Freiheit und Liberalität beruheten, beweiset dieses, daß sie im Anfange gänzliche Preßfreiheit gab, und daß blos Verfasser und Drucker für die etwanige Übertretung der Landesgesetze verantwortlich sein sollten. Der Mißbrauch zog die Einschränkung nach sich, und das Polizeiamt erhielt die Censur, so daß dann freilich das Schicksal der Papiere von der größern oder geringern Liberalität der Polizei abhing, von deren Officieren man sich nicht immer viel Gutes in dieser Rücksicht versprechen durfte. Man versichert, daß die Monarchin mehrere Jahre ernstlich damit beschäftiget gewesen sei, in ihrem ganzen Reiche zum Vortheil aller Arten von Industrie eine allgemeine Personalfreiheit einzuführen. Konnte irgend ein Regent so etwas durchsetzen, so war es die Kaiserin Katharina die Zweite, an welcher schon seit dem ersten Türkenkriege die ganze Nation mit Enthusiasmus und uneingeschränktem Zutrauen zu hängen anfing. Sie sah gewiß alle Vortheile einer solchen Wohlthat, vorzüglich für die Betriebsamkeit des gemeinen Lebens, und am Ende bleibt denn doch immer der Landmann eigentlich die Seele des Staats. So lange keine feste gesetzliche Gewißheit der Besitzung für ihn ist, gewinnet sein Fleiß nie einen festen, sichern Punkt. Welcher Bauer wird sich ein gutes bequemes Haus bauen, wenn er nicht ganz sicher ist, daß er und seine Kinder darin wohnen werden, und daß sie keine Gewalt, kein Gutdünken, keine Chicane irgend eines großen oder kleinen Tyrannen daraus vertreiben kann? Wie wird er einen Baum pflanzen, unter dessen Schatten er nicht seine Enkel zu schaukeln, oder dessen Früchte er und seine Söhne nicht sicher zu pflücken hoffen dürfen? Recht und Gesetz war es niemals, aber irgend ein Vorwand, den sein Gewaltiger bald fand, versetzte ihn aus seinem Tempe in die Wüste Berseba, die er zu einem zweiten Tempe schuf, um sodann in ein zweites Berseba versetzt zu werden. Man gebe dem Menschen alle prekären Vortheile, die man ersinnen kann, man giebt ihm nicht so viel Muth zu Unternehmungen, als wenn man ihm ein einziges Recht sichert. Ich rede von ganzen Volksclassen und nicht von Individuen. Die Kaiserin, welche dieses und die Geschichte des Menschengeschlechts und ihres Reichs sehr wohl wußte, wollte dem Menschen geben, was ihm gehört, als die schreckliche Revolte Pugatschew's dazwischen trat. Der Schritt wäre an und für sich selbst in ihrer Lage etwas gewagt gewesen. Man kann sich vorstellen, daß, wenn sie ihr Ministerium fragte, manche Herren manche Bedenklichkeiten mancher Art hatten, von denen sie gewiß nicht immer den wahren Grund angaben. Der Aufruhr des Pugatschew gab den feineren Widersachern Gelegenheit, ihr vorzustellen, welche Folgen wahrscheinlich aus ihrem Schritte entspringen würden. Hunderttausende kamen in dem Aufruhr um, und die schaudervolle Scene schreckte die Kaiserin von ihren menschenfreundlichen, wohlgemeinten Maßregeln zurück. Raynal, der verehrungswürdige Advocat der Freiheit und des Menschengeschlechts, sah, wenn er von Rußland sprach, doch wol Manches durch das Vergrößerungsglas seines philanthropischen Zorns. Er setzt die Classe der Freien in Rußland auf sehr Wenige herab, da doch bekanntlich von je her alle Bürger in allen kaiserlichen Städten freie Leute waren, die unter Leitung des Gouvernements mit ihrer Personalität anfangen konnten, was sie wollten. Da Katharina die Zweite ihr Project der allgemeinen Personalfreiheit nicht durchsetzen konnte, so suchte sie wenigstens diese Classe so sehr als möglich zu erweitern. Sie vermehrte die Anzahl der kaiserlichen Städte, um allen Menschen vielen Spielraum zur Industrie zu geben. Alle verabschiedete Soldaten mit ihrer Descendenz sind freie Leute und können im ganzen Reiche sodann vornehmen, was sie wollen. Es wird in Personalprocessen nach der römischen Rechtsregel immer auch in favorem libertatis gesprochen. Freilich wird nie der Kern der Nation, die Bauern, sich zu wahren Menschen erheben, so lange man sie noch in so eisernen Schranken hält. Daß manche Kronbauern unter guter Verwaltung und die Bauern mehrerer reichen und humanen Privatleute durch zufällige Vortheile sich sehr vorteilhaft auszeichnen und ungewöhnlich wohlhabend sind, daraus folgt nichts gegen den Satz; sondern er wird vielmehr dadurch bewiesen, indem daraus erhellet, wie herrlich Alles sein würde, wenn Alle das als Recht genössen, was man einem Theil aus Gnade giebt. Der Edelmann würde durch diese Veränderung nichts verlieren oder vielleicht in den ersten Jahren nur etwas und in den folgenden desto mehr gewinnen. Und gesetzt, er verlöre dadurch, so ist das, was er verlieren würde, dasjenige, was er mit Unrecht, selbst gegen die Gesetze des Staats, in Beschlag genommen hat. Die deutschen Bauern leisten mehr, wenn man alle ihre Obliegenheiten nimmt, als die russischen gesetzlich leisten sollen. Der Deutsche hat nicht mehr Kraft, sondern nur mehr Muth und Betriebsamkeit, weil er mehr Sicherheit hat, und sodann finden die russischen Edelleute in allen Gouvernements nur zu viel Mittel, die Grenzen ihrer Forderungen widerrechtlich auszudehnen.

Durch Errichtung der Gouvernements und der darin bestehenden Gerichte hat zwar die Monarchin diese Willkür zu beschränken gesucht, aber ihren Zweck nur halb erreicht. Allerdings ist es schon besser als unter den vorigen Regierungen, und insofern ist doch etwas gewonnen. Die Justiz war ein Chaos vor ihrer Regierung, indem die Provinzen von zu ungeheurem Umfange waren, als daß ein Mann mit seinen untergeordneten Dikasterien sie allein hätte übersehen können. Die Errichtung einer großen Anzahl Gouvernements, ob sie gleich mit außerordentlichen Kosten verbunden war, hatte doch sogleich den Vortheil, daß die Gerichte den ganzen Umfang der Behörde weit besser übersehen konnten, und daß man überdies nicht einem einzigen Manne eine exorbitante Macht anvertrauen durfte, die er leicht mißbrauchen konnte. Die Generalgouverneure, unter deren Aufsicht einige Gouvernements vereint stehen, haben indeß immer noch mehr Gewalt als irgend eine Civil- oder Militärperson in irgend einem andern Staate. Die Absicht der Kaiserin war gewiß wohlthätig, und ganz hat sie dieselbe nicht verfehlt. »Die Pflicht des kaiserlichen Statthalters«, schreibt die Monarchin in der Verordnung, »ist, darauf zu sehen, daß Tribunale und Einwohner Gesetz und Pflicht erfüllen. Daher liefert er alle Uebertreter an die gehörigen Gerichte ab, nimmt sich Desjenigen an, der über Verzögerung seiner Sache klagt, und hält das saumselige Tribunal zur Entscheidung an, ohne sich doch selbst in den Lauf der Sache zu mischen oder zu strafen. Denn er ist kein Richter, sondern ein Beobachter der Gesetze, ein Mittler des kaiserlichen und allgemeinen Besten, ein Schutz der Unterdrückten und Betreiber solcher Sachen, wozu sich kein Kläger findet. Kurz, der Name eines Statthalters verbindet ihn, Wohlwollen, Liebe und Mitleid für das Volk in allen seinen Handlungen zu beweisen. Daß gute Ordnung, Erfüllung der Gesetze und Erleichterung der Mittel, Jeden gesetzmäßig zu befriedigen, in seiner Statthalterschaft gefunden und darinnen dem Luxus, dem Uebermuth, der Liederlichkeit, Verschwendung und Härte gewehrt werde, liegt ihm ob.« Alle Dikasterien stehen also unter dem Generalgouverneur, insofern er sie anhalten soll, ihre Pflicht zu thun. Wie viel Mittel ihm dieses in die Hände giebt, Gutes und Böses zu wirken, ist leicht zu errathen; auch hat man von Beidem Exempel genug. Manche Statthalter werden verehrt wie Schutzgeister der Provinzen. Nicht jede Verehrung ist ein sicheres Merkzeichen wirklich getreu erfüllter Pflichten. Kommt sie vom Bürger und dem Landmann, so kann man sicher schließen, daß sie eine Belohnung des Verdienstes ist. Der Adel belohnt oft auch nur diejenigen Generalgouverneure mit Beifall und Ehrenbezeigungen, die ihm in seinen Bedrückungen und unbefugten Anmaßungen keinen Einhalt thun. Manche Machthaber wissen sich mit Klugheit über alles Gewissen hinwegzusetzen; daher das russische Sprichwort entstanden ist: »Der Himmel ist hoch, und die Kaiserin wohnt weit.« Ein Gebrechen der russischen Dikasterien sowie der Tribunale in den meisten übrigen Ländern ist, daß ihre Vorsitzer und Beisitzer meistens Edelleute sind, die nur auf Beibehaltung und Erweiterung ihrer Prärogativen und sonst auf weiter nichts denken. Wo diese nicht in Collision kommen, sind sie von Natur ziemlich gerecht; aber ein Bauer gegen seinen Gutsherrn hat selten Hoffnung zu rechtlicher Genugthuung, nach dem alten Sprichwort, und wird sodann als ein temere litigans immer mit Ruthen bestraft. So fehlerhaft indessen auch die russische Justiz sein mag, ist sie doch besser als gar keine, wie das vor Katharinens Zeit fast der Fall war, wo die Willkür überall, oft mit blindem Wohlgefallen entschied.

Die wohltätigste Erscheinung ist das Gewissensgericht. Den Fremden, welcher vielleicht keinen Begriff davon hat, könnte der Name erschrecken, indem er sich eine Art der schlimmsten Inquisition darunter vorstellt. Es ist aber ganz das Gegentheil und nichts Anders als ein Collegium von tadellosen Männern mit gerichtlichem Ansehen, welche bei allen Processen, die man an sie bringen will, zuerst den gütlichen Vergleich versuchen und nach Recht, Gesetz und Billigkeit den Ausgang des Processes vorhersagen. Viele Parteien lassen sich den Ausspruch dieses Gerichts ohne alle Appellation gefallen, und mancher rechtliche Mann rechnet es sich zur Ehre, nie vor einem andern Tribunale gewesen zu sein, so daß mancher ernsthafte, langwierige, den Parteien gefährliche Proceß dadurch verhindert oder in der Kürze abgethan wird. Das Gewissensgericht soll ferner für die Sicherheit der Person wachen. Seine Pflicht ist nach der kaiserlichen Verordnung, die Freiheit eines jeden Gefangenen von jedem Gericht gegen geleistete Caution, daß er sich wieder stellen wolle, zu verlangen oder zu bewirken, wenn er nicht wegen Majestätsverbrechen, Verrätherei, Mord, Diebstahl oder Raub gefangen sitzt. Es soll sogleich die Anzeigung der Ursache verlangen, warum der Arrestant gehalten wird, warum er nicht verhört wird; und wenn obenbesagte Fälle nicht stattfinden, soll seine Loslassung gegen Caution ohne Verzug geschehen, damit er sodann seinen Proceß vor der Behörde gesetzlich führen könne. Wenn ein Tribunal den Ausspruch dieses Gewissensgerichts binnen vierundzwanzig Stunden nach empfangener Notiz nicht befolgt, so soll der Vorsitzer 500 und jeder Beisitzer 100 Rubel Strafe bezahlen. Manchem Lande, in welchem man viel von Freiheit und Gerechtigkeit spricht und schreibt, würde eine solche Anordnung sehr heilsam sein.

Es ist bekannt, daß die Kaiserin die Instruction zu dem Gesetzbuche, von ihrer eigenen Hand geschrieben, der Commission übergab, und daß man das Exemplar zum Andenken in der Akademie als Heiligthum verwahret. Deputirte von allen Nationen des russischen Scepters wurden eingeladen, ihr Gutachten und ihre Meinungen zu den Gesetzen zu geben, nach welchen sie leben und glücklich sein sollten. Wie nothwendig und wohlthätig jeder Nation helle, kurze, deutlich bestimmte Gesetze sind, um sie in ihren Händeln vor den Harpyien der Justiz zu sichern, weiß Jedermann, der auch nicht die Geschichte genauer studirt hat; aber daß überall der Geist der Cabale und der feinen und groben Gewinnsucht sich dieser heilsamen Ordnung entgegensetzt, lehrt das Beispiel aller Nationen deutlich genug. Auch in Rußland schiffen, trotz der Gesetzgebung Katharinens, die Rabulisten mit ihren Parteien in dem ungeheuern Ocean alter Ukasen herum, ohne oft die ersten Regeln der Jurisprudenz zu wissen oder wissen zu wollen. Denn die Ukasen der russischen Kaiser von unserer Zeit zurück bis Iwan Wasilewitsch sind noch weit mehr als das Justinianische Rechtsbuch ein wahres Farrago, je weniger gesammelt und geordnet sie sind. Auch müssen noch in den verschiedenen Provinzen die verschiedenen Privilegien gelten, an welche man täglich appelliret, so daß die Justizverwaltung nicht so leicht auf eine allgemeine Form gebracht werden kann. Die Kaiserin hat gethan, was sie thun konnte. Es gelingt vielleicht einem ihrer Nachfolger, wenn mehr Licht in der Nation ist, mehr Ordnung in den Gang der Justiz zubringen.

Daß die Residenz so außerordentlich an Volksmenge unter der Regierung Katharinens gewonnen hat, wäre in jedem andern als in dem russischen Reiche vielleicht mehr ein Vorwurf als ein Lob, wenn man überlegt, wie wenig Vortheil einem Lande große Städte bringen. Aber in einem so ungeheuern Reiche, in einer solchen Lage, bei einer so neuen Residenz wie Petersburg darf man in hundert Jahren noch nicht befürchten, daß ihre Volksmenge übergroß werde. Petersburg hat seit dreißig Jahren mehr als 50,000 Einwohner gewonnen, und die meisten darunter sind Ausländer, die für den Gewinn, den sie daselbst suchen, wenigstens einen Theil ihrer Kenntnisse und Industrie nothwendig den Eingebornen mittheilen müssen. Da Riga und Petersburg die wichtigsten Plätze des russischen Handels für Europa sind, so läßt sich aus der Vermehrung der Bevölkerung, welche meistens durch den Handel und des Handels wegen so gestiegen ist, leicht einsehen, wie viel der Handel selbst müsse gewonnen haben, und wirklich wird aus den öffentlichen Zollregistern versichert, daß beide genannte Städte jetzt einen stärkern Handel treiben als vorher ganz Rußland zusammengenommen.

Ich würde die Grenzen des Gemäldes überschreiten und meine Kräfte übersteigen, wenn ich weitläufig erzählen wollte, was die Monarchin für Petersburg insbesondere während ihrer vierunddreißigjährigen Regierung gethan hat. Manche Anstalten sind von der Art, daß sie von sicherm großem Einfluß auf die große Oekonomie des ganzen Reichs sind: nämlich die neue Einrichtung der Akademie, und vorzüglich der russischen; die neue Einrichtung und Verbesserung des Cadettencorps; die völlig neue Errichtung des Seecadettencorps und des Cadettencorps der jungen Griechen. Hierher sind auch zu rechnen die Erziehungsanstalt des Fräuleinstifts, das Lombard, das Waisenhaus und andere Anstalten mehr. Zu allen diesen Etablissements sind die Fonds mit weiser Fürsorge berechnet und, als für die notwendigsten Bedürfnisse des Staats, ganz sicher angewiesen. Alle Verordnungen zu diesen zahlreichen Anstalten, meistens von der Monarchin selbst entworfen, athmen durchaus eine Milde, eine teilnehmende, rührende Sorgfalt, eine helle, kühne, vorurtheilsfreie Vernunft in dem edelsten Vortrage, die gegen das steife, unverständliche Kanzleimäßige in den übrigen Ländern sehr vortheilhaft abstechen. Die Tugend ist die Tochter der Sanftmuth, der Liebe und Ehrfurcht; strenge Strafen bewirken sie nie. Der Herr von Storch, ein Mann von hellem Geiste und tadellosem Charakter, dessen Buch nicht das Gepräge der Schmeichelei trägt, sagt in seiner Beschreibung von Petersburg: »Die öffentlichen Anstalten für Nationalbildung, die jetzt in der Residenz blühen, sind ihre Entstehung zum größten Theil, ihre Erweiterung und zweckmäßige Veränderung aber alle ohne Ausnahme der jetzigen Kaiserin schuldig. In den Vorschriften zur Behandlung der jungen Leute in dem Cadettenhause, die sie meistens selbst angegeben oder wenigstens durchgesehen und verbessert hatte, herrscht durchaus so viel reine philosophische Pädagogik, so viel feine, freimüthige Bemerkung von Rom und Griechenland, daß man glauben sollte, einen Entwurf für die Erziehung und Bildung Atheniensischer Jünglinge zu sehen. Und es ist nicht blos Parade; man befolgt sie und handelt darnach. Das System der physischen Erziehung ist Strenge, das der moralischen Gelindigkeit. Keine Nation hat ein so zahlreiches, wohlgeordnetes Institut aufzuweisen; und junge Leute, welche dort gebildet worden sind, kommen wenigstens nie ganz ohne nöthige Vorkenntnisse und Geschicklichkeit an militärische Posten, und viele zeichnen sich in mancher Rücksicht aus.«

Unter andern gemeinnützigen Anstalten bei der Errichtung der Statthalterschaften und der Einrichtung der neuen Dikasterien in denselben schenkte die Monarchin jeder Statthalterschaft die Summe von 15,000 Rubeln, als den Anfang zu einem Fonds, aus welchem gelegentliche Ausgaben zur Unterstützung der Schulen oder der Armuth unter der Aufsicht des Gouverneurs bestritten werden sollten. Der Stadt Petersburg, als dem größten Publicum des Reichs nächst Moskau, gab sie zu eben diesem Behuf die besondere Summe von 52,000 Rubeln, welche der Adel und die Bürgerschaft der Residenz ihr zu Errichtung eines Monuments bestimmt hatte. Das beste Monument errichten sich die Könige durch Wohlthaten und weise Regierung in den Herzen ihrer Unterthanen. Das Beispiel der Monarchin befeuerte alle edeldenkenden Privatleute von Vermögen, deren Rußland mehr als irgend ein anderes Reich eine große Menge hat. Man beeiferte sich um die Wette, das neue wohlthätige Institut zu unterstützen, und es kamen blos in der Residenz 305,000 Rubel an Beiträgen ein, indem mehrere Reiche zu 10 bis 20,000 Rubel beitrugen. In den Gouvernements bemühete man sich ebenfalls, so viel als möglich mitzuwirken, so daß fast überall bald die allgemeine Fürsorge zu einem beträchtlichen Fonds stieg und man bald ihren wohlthätigen Einfluß spüren konnte. Es ist jetzt im Reiche, wenn begüterte Personen sterben, eine sehr löbliche Gewohnheit, dieses Institut der allgemeinen Fürsorge im Testamente oder sonst durch Schenkungen zu bedenken; und diese Anstalt hat gewiß den Vorzug in jeder Rücksicht vor allen übrigen Arten der piarum causarum in andern Ländern, da ihre Absicht nicht die Unterstützung der faulen Möncherei, sondern die der leidenden Menschheit überhaupt und besonders die Erziehung des ärmern Theils der Jugend ist. So philanthropisch der Name lautet, so menschlich wohlthätig ist die Sache, und es werden zur Aufsicht und Besorgung derselben immer Männer bestimmt, deren moralischer Charakter der Würde des Geschäfts entspricht, die durchaus nicht nöthig haben, auf Gewinn zu sehen, und die oft aus eigenen Mitteln menschenfreundlich den Mangel der öffentlichen, dem Zwecke gewidmeten Casse ersetzen.

Die Monarchin legte, da viele Güterbesitzer damals oft auf die sichersten Hypotheken bei manchen drückenden Verlegenheiten kein Geld erhalten konnten und deswegen ihre häuslichen Geschäfte in Unordnung gerathen lassen oder mit großem Schaden heimlichen, künstlichen Wucherern in die Hände fallen mußten, 22 Millionen Rubel zu Darlehnen für den Adel nieder, für die Bedürfnisse der Städte 11 Millionen und 3 Millionen insbesondere zur Beförderung des Ackerbaues in der neuen Provinz Taurien. Durch diese menschenfreundliche, wohlthätige Sorgfalt wurden eine Menge Familien aus den Händen gieriger Gläubiger gerettet, manche Stadt konnte nützliche, die Industrie und den Wohlstand befördernde Unternehmungen machen, und die neuen Erwerbungen in der Krim und in ihren Gegenden veränderten bald ihr altes Ansehen von Wüsteneien in blühende Pflanzungen aller Art. Daß diese großen vernachlässigten Districte sich nicht auf einmal zu dem hohen Grade der Cultur alter, lange bearbeiteter Länder erheben können, ist begreiflich; aber doch that die Regierung unter der Kaiserin Katharina alles Mögliche, die Naturgaben der Gegenden zu benutzen. Schon wählen sich viele russische und deutsche Familien, nicht allein mit ökonomischen Absichten, sondern aus wahrem Geschmack an der schönen Natur zum Wohnsitz den alten Chersones, wo die Natur an Fruchtbarkeit, Schönheit, Mannichfaltigkeit und Größe mit den besten Ländern des Erdbodens wetteifert.

Der russische Kalender zeigt, wie vielen, fast gänzlich verfallenen Städten die Monarchin durch ihre Unterstützung wieder aufzuhelfen gesucht hat, und wie viele neue an bequemen, vortheilhaften Lagen von ihr errichtet worden sind. Wenngleich viele derselben nur noch in ihrer Entstehung sind und vielleicht kaum das Ansehen kleiner Flecken haben, so befinden sich doch auch darunter Orte, die sich schon jetzt durch den Flor ihres Handels, die Wichtigkeit ihrer Geschäfte und die Wohlhabenheit ihrer neuen Einwohner auszeichnen. Jedermann weiß, wie viel Cherson, Zarizin und Saratow in kurzer Zeit gewonnen haben, und welchen Credit sie schon durch ihre Manufacturen und Industrie in den Handelsgeschäften, nicht allein der dortigen Gegend, sondern in großer Entfernung besitzen, so daß ihre Geschäfte sich jetzt schon bis nach Deutschland und England erstrecken. Daß die Colonisten um Zarizin und Saratow nicht alle ihre Rechnung gefunden haben, daß manche theils durch ihre eigene Ungeschicklichkeit, theils durch nachlässige Besorgung der kaiserlichen Befehle durch die Directoren wol gar ins Elend gerathen, wol gar darin gestorben sind, ist nicht zu leugnen. Aber wer wollte deswegen so ungerecht sein, die wohlthätige Absicht der Monarchin und ihre thätige Theilnahme zu mißkennen, wenn die Nachlässigkeit oder wol gar die Habsucht der Unterdirectoren den Zweck vereitelt? Wahr ist es, daß mancher Ausländer traurig aus der angewiesenen Gegend nach Petersburg zurückgekehrt ist und den Zustand der Colonisten mit melancholischen Zügen ausmalt; aber es ist auch wahr, daß man dort ganze neue Städte wohlhabender und glücklicher Menschen trifft, unter denen man sich mitten in der blühendsten Provinz von Deutschland glaubt und aus jedem Munde, wenn auch knirschende Flüche über diesen und jenen Bedrücker, doch immer Segen über die Monarchin hört. Wenn also auch ein Theil wirklich unglücklich ist oder nicht so glücklich, als es der Enthusiasmus der Menschen gewöhnlich wünscht und hofft, so ist doch der andere, größere Theil zufrieden mit der Unterstützung, die er erhielt, und arbeitete sich durch eigenen Fleiß und Muth bald gegen alle Unglücksfälle der Natur in Sicherheit. Wenn Raynal hier mit seiner feurigen Philanthropie malt und übertreibt, so bedenkt der rechtschaffene Mann nicht, welchen fürchterlichen Schwierigkeiten, die wir hier nicht alle kennen, man dort bei einem neuen Etablissement entgegenzuarbeiten hat. Wer nicht eisernen Muth und unermüdete Unverdrossenheit hat, darf nie daran denken, in einer ganz jungen Colonie glücklich emporzukommen. Die Natur der Sache ist so; und in den dortigen Gegenden und Verhältnissen sind allerdings die Hindernisse noch größer. Auch die Colonisten in Amerika klagten im Anfange über Elend und klagen vielleicht an manchen Orten noch. In Rußland sind die Schwierigkeiten ohne Widerspruch größer; aber ihr Zustand ist im Allgemeinen nicht so traurig, als ihn der philanthropische Enthusiast schildert. Wenn wirklich Einige umkamen, so starben nicht Tausende. Raynal verdient jedoch den wärmsten Dank; denn er wollte auf Elend aufmerksam machen, wenn er es auch vergrößerte.

Wie viel die Wissenschaften unter der Regierung Katharina der Zweiten und vorzüglich durch ihre Aufmunterung und Unterstützung gewonnen haben, ist aus den Bemühungen der Petersburger Akademie für mehrere Zweige derselben jedem auswärtigen Gelehrten hinlänglich bekannt. Es sind nicht mehr blos Fremde, die durch ihre Verdienste in diesem Fache glänzen, obgleich auch diese, wenn der Geist wahrer Wissenschaft auf ihnen ruht, in Rußland noch immer Pflege und Achtung finden. Wer kennt nicht Pallas', Nicolai's, Klinger's und mehrerer Andern Werth, die nah am Pole zu einer Vollkommenheit gediehen, wie man sie jenseits der Alpen selten findet? Die Nation fängt jetzt selbst an, sich mit ihren Nachbarn auf gleichen wissenschaftlichen Fuß zu setzen. Man begnügt sich nicht mehr mit den Uebersetzungen kleiner Arbeiten der Deutschen und Franzosen, ob man gleich noch immer fortfährt, jedes wissenschaftliche Werk oder vorzügliche Product des Geistes und Geschmacks beider Nationen den Russen in ihrer Sprache zu geben. Die Meisterwerke der alten Literatur werden glücklich bearbeitet. Unter Cheraskow's und Petrow's Feder sind Homer und Virgil der Nation selbst classisch geworden, und wahre Kenner, die nicht Ursache haben, den Hyperboreern zu schmeicheln, versichern, daß Cheraskow's Arbeit der Popischen an Dichterwerth nichts nachgiebt und sie an Richtigkeit übertrifft. Die Deutschen, welche seit der letzten Hälfte des Jahrhunderts stolz auf geschmackvolle Philologie sind, haben vielleicht noch kein Werk dieser Art, das sie Petrow's Aeneïde sicher entgegenstellen können. Beide Männer sind Nationaldichter, in ebenso hohem Grade wie unser Voß und Stolberg. Lomonossow hatte die Bahn gebrochen, und er hat schon Nachfolger gehabt, die an Dichtergeist nicht unter ihm stehen und durch Correctheit und Grazie der Sprache sich über ihn erheben. Vielleicht lächelt mancher Leser, wenn er von der Grazie der russischen Sprache hört. Der Verfasser, der nicht ganz Fremdling in dem Studium der alten und neuen Sprachen ist, kann auf Gewissen versichern, daß er nach der griechischen keine Sprache kennt, die mehr Bestimmtheit und sonorischen Wohllaut hätte als die russische. Die mit ihr verwandten slavonischen Dialekte sind für sie eine unerschöpfliche Quelle. Sumorokow, dessen glänzendste Periode noch in die Regierung Katharinens fiel, lebte und starb allgemein hochgeachtet, in Ansehen und von der Kaiserin belohnt in Moskau. Derschawin ist ein Mann, dessen Credit als Staatsmann ebenso gegründet ist als sein literarischer Ruf. Ob er gleich ein tartarischer Mursa von Geburt ist, darf man ihn doch billig unter die Nationalrussen zählen, da er seine ganze Bildung von Jugend auf in Rußland erhalten hat. Knjäschnin's Theaterstücke haben alle den Stempel des wahren kaustischen Genies und liefern die Nationalsitten mit aller gutmüthigen Jovialität des gemeinen Lebens und aller lächerlichen Caricatur der nachgeäfften großen Welt der Halbgebildeten, deren es in der Nation keine geringe Anzahl giebt. Als ein Beispiel des Charakteristischen der russischen Sprache führe ich nur den Titel seines »Großprahlers« an. Er heißt im Russischen Chwastuhn. Dieses Wort, gewöhnlich recht stark durch den hohlen Gaumen ausgesprochen, giebt fast schon allein den ganzen Begriff eines gewaltigen Gasconnadenschneiders. Cheraskow's »Rossiade« ist ein Heldengedicht, dessen Gegenstand vornehmlich der erste türkische Krieg von 1770 bis 1774 ist; und die Thaten Romanzow's Sadunaisky mit seinen braven Kriegern sind in dem würdigsten Stil, ohne Schwulst, mit wahrem Dichtergeist besungen. Auch seine »Schlacht bei Tschesme«, wo Orlow die türkische Flotte verbrannte, bleibt in jeder Rücksicht ein Monument für den Dichter und den Nationalruhm. Wo haben die Deutschen, Gleim's Kriegslieder abgerechnet, wo doch oft der Grenadier noch die Sprache eines Soldaten des Hyder Ali spricht, wo haben wir etwas in unserer Geschichte diesem entgegenzustellen? Aber wir haben noch keine Nationalthaten, wie der Russe seit Peter dem Ersten. Kein Deutscher wird besingen sollen und wollen, wie muthig und tapfer sich Deutsche mit Deutschen schlugen. Stcherebatow in seiner Geschichte darf sich vielleicht mit Robertson messen; und dürfen wir nicht bei diesen Fortschritten bald einen Gibbon und Hume erwarten?

Die freie ökonomische Gesellschaft in Petersburg, deren Präsident zuletzt mehrere Jahre der General Graf zu Anhalt war, hat in ihren Annalen manche wichtige Bemerkung und Entdeckung über Oekonomie und Landverbesserung, die auch noch den Wirthen anderer Länder höherer Cultur nützlich werden könnten. Oekonomen von wahrem Credit sprechen davon mit entscheidender Achtung. Es ist gewiß, daß der Ackerbau in den meisten Gegenden Rußlands auf einem hohen Grad der Vollkommenheit steht und den wenigsten übrigen Ländern etwas nachgiebt; aber Agricultur ist nicht Cultur überhaupt, und diese fehlt in Rußland vorzüglich noch den Menschen. Die Ursachen liegen tiefer und sind zu sehr mit der politischen Existenz zusammengewebt, als daß der Sache mit einigen gewöhnlichen Maßregeln der Regierung abgeholfen werden könnte.

Selbst die Proletarier der Literatur wissen, welche Vortheile Pallas durch seine Reisen in die asiatischen Provinzen des russischen Reichs der ganzen Naturgeschichte gebracht hat. Die Kaiserin hat nicht blos die Kosten des weitläufigen Unternehmens bestritten und durch ihre gemessenen Befehle in den entfernten Gouvernements den Eifer des würdigen Mannes unterstützt, sondern sie läßt auch das Resultat aller seiner Nachforschungen, besonders für die Botanik in der russischen Flora, mit allem Fleiß der Wissenschaft und der Kunst dem Publicum geben; ein Unternehmen, welches schwerlich ein Privatmann mit eigenem Aufwand würde unternommen haben. Die Bibliothek, die Kunst- und Naturaliensammlung der Akademie, die man als einen großen Nationalvorrath der Cultur betrachten kann, sind durch den Ankauf verschiedener ansehnlicher Büchersammlungen aus Frankreich und England zu einem Reichthum angewachsen, den man kaum bei einer andern Nation antreffen wird. Die Entdeckungen in den asiatischen Gouvernements liefern täglich neue Merkwürdigkeiten. Storch spricht von den Denkmälern aus den sibirischen Gräbern, die er das Herculanum der Russen nennt, enthusiastisch in seiner Beschreibung der Residenz. Diese Ueberbleibsel eines der mächtigsten Völker sind größtentheils von gediegenem Golde und bestehen in Bechern, Gefäßen, Diademen, militärischen Ehrenzeichen, Panzern und Schilden, Geschmeiden, Götzenbildern und Abbildungen verschiedener Thiere. Der Geschmack und die Schönheit lassen vermuthen, daß sie unter Genghiskhan's Nachfolgern von ausländischen Künstlern mögen verfertiget worden sein. Der Zuwachs, den die Bibliothek durch die Zaluski'sche Büchersammlung von Warschau erhalten hat, ist den Gelehrten bekannt und nach ihrer Meinung von unschätzbarem Werth.

Die Kunst hat unter Katharina der Zweiten in Rußland verhältnißmäßig beträchtlichere Fortschritte gemacht als in irgend einem andern Reiche. Sowie mehrere junge Leute ihre Zeit nach dem Urtheil ihrer Lehrer in der russischen Akademie mit Vortheil angewendet hatten und ausgezeichnete Talente blicken ließen, erhielten Einige von ihnen Reisekosten, um nach dem Rath verständiger Männer sich in fremden Ländern, besonders in Italien, der Pflanzschule der Künste, weiter auszubilden. Dieses hat Rußland Männer gegeben, die auch bei den Ausländern als Künstler von gründlicher Wissenschaft, ächtem, feinem Geschmacke und überhaupt von wahrem Credit aufgeführt werden können. Unter diesen sind die Maler Koßlow und Iwanow in der Geschichte und Lewitzky in Porträten; der Kupferstecher Skorodumow, Maschalowin ein Metallarbeiter, und der Mechaniker Kulibin, lauter Nationalrussen und Männer, die alle ihrem Metier Ehre machen. Der Letzte, ein Bauer von Geburt, arbeitete sich trotz allen Schwierigkeiten seiner Lage ganz allein zu einem Grade der Vollkommenheit empor, daß er die Aufmerksamkeit der Akademie auf sich zog und die Aufmunterung und Unterstützung der Monarchin erhielt. Unter andern Kunstsachen von seiner Hand ist besonders das Modell zu einer hölzernen Brücke von einem einzigen Bogen über die Newa, das alle Sachkundige bewundern, das man aber bis jetzt noch nicht ausgeführt hat. Von Maschalowin sind ein Farnesischer Hercules und eine Flora in Zarskoe-Selo, von Koßlow vorzüglich mit die vortreffliche Copie der Raphaelischen Galerie aus dem Vatican in der Eremitage, von welcher alle Kenner sagen, daß der Geist des großen Meisters gefaßt und übergetragen ist. Tiez, jetzt anerkannt einer der größten Violinspieler, obgleich aus Petersburg von Herkunft ein Deutscher, hat sich ganz auf Kosten der Kaiserin auf seinen Reisen gebildet. Wenn nach diesem Anfange fortgearbeitet wird, darf die Nation hoffen, daß sie vielleicht nach einem Jahrhundert die Griechen und Römer auch in Künsten und Wissenschaften erreichen werde, die sie in dem Kriegswesen schon erreicht hat.

Eine der wohlthätigsten Anstalten der Kaiserin durch das ganze Reich sind noch die Normalschulen in jeder Gouvernementsstadt, wo Aermere ganz frei und Begüterte für eine sehr mäßige Bezahlung ihren Kindern einen ziemlich guten Unterricht verschaffen können. In allen diesen Schulen sind sehr wohl besoldete Lehrer angestellt, und man lehrt in denselben nach gründlichen Regeln die russische, lateinische und deutsche Sprache, in einigen auch die griechische nebst Mathematik und Geschichte. Diese Normalschulen sind vielleicht die ersten nützlichen Pflegetöchter der Akademie und versprechen der Nationalerziehung in Zukunft wenigstens ebenso viel Vortheil, als unsere Gymnasien und Stadtschulen in Deutschland gewähren. So mangelhaft die Erziehungsmethode bei beiden sein mag, so ist sie doch immer besser und sicherer als gänzliche Vernachlässigung oder die schnellen, nicht reiflich überlegten, gefährlichen Experimente der Neulinge. Daß man in Rußland Mathematik und Geschichte durchaus mit jeder nur etwas feineren Erziehung verbindet, ist sehr weiser Plan. Denn nichts leitet den Verstand des jungen Menschen mehr zum Denken und bereitet ihn besser zu aller Philosophie vor als Mathematik, nach der richtigen Meinung jenes alten Griechen; und für den Menschen ist keine bessere Schule zum praktischen Leben als die Geschichte der Menschen. Denn hier sieht er meistens den Menschen ohne den Nimbus, den ihm seine Zeitgenossen geben, wie er ist, den Verbrecher als Verbrecher und den Tugendhaften als Tugendhaften. Der junge Mann macht sich bekannt mit den Gesinnungen und Grundsätzen großer Männer aller Zeiten und aller Nationen und sucht von ihnen für sich so viel aufzufassen, als er kann; er dringt in den Geist ihrer Charaktere und steigt in der Geschichte und durch die Geschichte zu einer Seelengröße, zu welcher ihn schwerlich die demonstrative Moral würde erhoben haben. »Ohne Enthusiasmus wird nichts Großes,« sagen schon Plato und Cicero, und der vernünftige Enthusiasmus wird fast immer aus der Geschichte geschöpft. Die Absicht und Verordnung der Monarchin war auch, daß auf diese Art die Geschichte für das Leben studirt werden sollte, und nicht kalte Zahlenreihen von Antrittsjahren und Sterbetagen, von Schlachten und Friedensschlüssen auswendig zu lernen. Durch die Stiftung der Akademie in Moskau wollte die Monarchin bei der weiten Ausdehnung ihrer Provinzen der wissenschaftlichen Erziehung der alten Hauptstadt helfen. Die Einrichtung der Akademie daselbst hat zwar noch etwas Klostermäßiges wie die Universitäten in England und faßt eine zu geringe Anzahl Studirender, als daß ihr Einfluß sogleich ausgebreitet für das Reich sein könnte. Aber mit dem Wachsthum der heilsamen Institute steigt gewiß die Theilnahme an denselben; und man hat Ursache zu hoffen, daß die literarischen Etablissements in Petersburg, Moskau und Astrachan einst zu dem Ansehen steigen werden, um mit den ersten Anstalten ähnlicher Art unter den aufgeklärtesten Nationen zu ringen.

Daß Petersburg in jeder Rücksicht durch die unermüdete mütterliche Fürsorge der Kaiserin für das ganze Reich am Meisten gewinnen mußte, folgt aus der Natur der Sache, da die Residenz unmittelbar selbst unter den Augen und der Aufsicht der Monarchin lag, da sich meistens das Interesse des ganzen Reichs in der Residenz zusammenconcentrirt, und da man von dort aus gewöhnlich für alle übrigen Provinzen zu sorgen gedenkt. So gewann unter Friedrich dem Zweiten Berlin, so gewann unter August Rom am Meisten; denn so ein feiger, heuchlerischer Schwächling auch Octavius war, so hatte doch zufällig die Kleinheit seiner Seele für den römischen Staatskoloß eine bessere Wirkung, als vielleicht die Größe Cäsar's gehabt haben würde. Alle Fremde, welche Petersburg jetzt besuchen und ehemals besucht haben, versichern, daß es seit 1762 eine ganz andere Gestalt gewonnen hat. Es steigen Paläste neben Palästen empor, und sein Umkreis ist mit Villen besäet wie in der goldenen Zeit des Geschmacks eine der schönsten Städte Italiens. Man vergißt über der Größe des Plans und der Ausführung den sechzigsten Grad und die niedrige Nebelgegend an der letzten Spitze des baltischen Meeres. Die Newa wird zur Tiber, Kronstadt zu Ostium, und man glaubt in Rom zu sein, als Agrippa seinen Tempel baute. Könnte Peter zurückblicken, er würde über das Gedeihen seiner Schöpfung erstaunen. Nie ist in der Weltgeschichte in so kurzer Zeit eine Stadt so groß gewachsen! Ein Engländer kam mit britischer Hitze von London nach Petersburg, blos um das prächtige Steingeländer an der Newa zu sehen, von welchem ihm seine Landsleute so viel erzählt hatten. Er kam, stieg aus, besah, machte einige Spaziergänge auf und ab, setzte sich wieder in den Wagen und fuhr zurück, wie ein anderer seiner grilligen Mitbrüder, der nach Aegypten fuhr, die große Pyramide maß und nach Hause ging. Alle sprechen indessen mit Enthusiasmus von dieser schönen, kostbaren Einfassung des Flusses, ohne die übrigen Sehenswürdigkeiten zu verachten. Es kann nicht meine Absicht sein, Petersburg zu beschreiben; ich will nur noch einige Vorzüglichkeiten nennen, die der verstorbenen Kaiserin ihren Ursprung verdanken.

Die Statue Peter's des Ersten zeigt von dem tiefen Gefühl der Monarchin, das sie für den Werth dieses großen Mannes hatte. Die Welt hat vielleicht kein ähnliches Piedestal zu einer Statue. Es besteht aus einer ungeheuern Felsenmasse, bei der man sich wundert, wie sie dort habe wachsen, oder wie sie von Menschenhänden dahin habe gebracht werden können. Die Statue des Helden, großen Staatsmanns und unsterblichen Fürsten, welche ihn zu Pferde nach der genauesten Aehnlichkeit vorstellt, übertrifft nach dem Urtheile gründlicher und geschmackvoller Männer an Schönheit und Majestät die meisten Arbeiten neuerer Künstler und die Statuen zu Dresden und Berlin nebst den nun zertrümmerten Stücken zu Paris.

Die Eremitage, der Lieblingsaufenthalt der verstorbenen Monarchin, enthält an Kunstwerken unermeßliche Summen. Junge Künstler könnten hier gebildet werden, ohne nach classischem Boden zu reisen. Hierher hat die Kaiserin die meisten Seltenheiten bringen lassen, die sie während ihrer langen Regierung mit großer Auswahl und großem Aufwand aus mehrern Ländern, besonders aus Italien zusammengekauft hat, und was zuweilen auch ihre eigenen Provinzen Kostbares lieferten. Was die Kunst der Menschen Prächtiges und Glänzendes aufstellen kann, ist hier mit Geschmack zusammengebracht; und Personen, welche viel in der Welt gewesen sind und gesehen haben, gestehen, daß sie nie etwas Reizenderes, Feenähnlicheres gefunden. Es war Katharinens Sanssouci; aber es war desto herrlicher und kostbarer, je mehr in dem Charakter der Frauen feiner Geschmack und versteckte, wohlgeordnete Prachtliebe herrscht. Hier hat die Kaiserin ihre auserlesensten Stücke der Kunst, ihre gewählteste Bibliothek und ihr eigenes bestes Theater. Hier besuchten sie nur diejenigen Minister und Generale, denen sie ihr näheres Vertrauen geschenkt hatte, und denen deswegen der Zutritt jederzeit frei stand. Es war gewöhnlich das Nonplusultra der kaiserlichen Gnade, oft mit der Monarchin in der Eremitage zu essen; und man berechnete gewöhnlich den Credit der fremden Höfe darnach, nachdem ihre Gesandten mehr oder weniger oft diese Auszeichnung genossen. Die Feste, welche sie dort gab, waren nicht die größten, aber die feinsten und geschmackvollsten, und die Stücke, welche dort auf dem Theater aufgeführt wurden, immer von ihrer eigenen Wahl und ihre Lieblingsstücke, sowol in russischer als französischer Sprache. Wer bei Friedrich in Sanssouci war, hatte gewiß die ganze Achtung des Königes, und wer von Katharinen in die Eremitage geladen wurde, dessen Credit wurde bei Hofe als unwandelbar angenommen.

Zarskoe-Selo, den ehemaligen Aufenthalt der Kaiserin Elisabeth, hat die Monarchin vorzüglich zu Monumenten der Nation bestimmt. Dort hat Romanzow ein Denkmal der Dankbarkeit bekommen und Orlow – nicht Orlow der Liebling, sondern der Vernichter der türkischen Flotte bei Tschesme. Es ist ein Heiligthum, in welches nur große Verdienste um das Vaterland führen sollen. Dort sollen Suworow und Fersen ihre Belohnung erhalten. Künstler, welche der Nation Ehre bringen, sollen selbst die Ehre haben, ihre Arbeiten dort aufgestellt zu sehen, wie schon einige russische Nationalwerke der Kunst dort stehen. Welchen Enthusiasmus muß dieses in der ganzen Nation erzeugen, in dem Helden, dem Staatsmann und dem Künstler, wenn Jeder hoffen darf, daß einst sein Verdienst seinen Mitbrüdern und seinen und ihren Nachkommen dort öffentlich verewiget werden kann! Wie der Athenienser erwarten konnte, daß sein Patriotismus mit einem Gemälde in der Akropolis belohnt werden würde, der Römer auf ein Monument pro rostris und der Brite auf eine Ehrenbüste unter den Königen in Westminster hoffen durfte, so darf der Russe erwarten, daß ihm ein bleibendes Ehrengedächtniß bei seiner Nation nicht fehlen werde. Wenige Nationen Europa's sind gegen ihre großen Männer so gerecht; eine kalte gnädige Zufriedenheit ihrer Monarchen ist Alles, worauf der Bürger rechnen darf. Wer den Menschen kennt, wird gestehen, daß dieses dem Menschen nicht genug ist, daß es ihm sehr wenig ist. Alle Monarchen arbeiteten, wie die Geschichte lehrt, für ihren Vortheil am Besten, die den Menschen studirten und sich durchaus in seiner Sphäre hielten.

Eines der prächtigsten Werke, das die Russen zu Nebenbuhlern der Italiener in der großen Kunst macht, dessen Vollendung aber Katharina nicht erlebt hat, ist die Isaakskirche in der Residenz. Dieses herrliche Gebäude, nach dem Plan der Peterskirche in Rom angelegt, und wozu aller Marmor aus Italien herbeigeschafft wird, ist jetzt erst bis auf die Kuppel vollendet und wird gewiß eines der ersten Kunstwerke dieser Art in der Welt werden.

Das Nationaltheater, das die Kaiserin dem Publicum gegeben hat, behauptet an Größe und Ansehen und an gut durchdachter Ordnung den ersten Rang unter den Anstalten dieser Classe. Fremde von der feinsten Bildung in jeder Rücksicht bezeugen, daß die russische Bühne keiner andern an Kunst und Geschmack in Action, Gesang und Kleidung nachsteht und an Pracht und Aufwand alle übrigen übertrifft. Es ist bekannt, daß die Kaiserin zuweilen fünfzig bis hunderttausend Rubel zur Aufführung eines Stücks oder Ballets gab und ihre Elephanten, den ganzen alten Kriegspomp zu vollenden, abrichten ließ. Selbst Diejenigen, welche die große Tour mit Aufwand und Anspruch auf Geschmack gemacht haben, gestehen, man müsse nach Petersburg gehen, wenn man ein Ballet sehen wolle. Die ganze Kunst und vorzüglich der Charakter erscheinen daselbst in einer Vollkommenheit, die selbst die ersten Kenner bewundern, und von welcher Laien kaum eine Vorstellung haben.

Die Einwohner der verschiedenen Provinzen und besonders die Bürger der Seestädte wissen und erzählen, welche große Summen die Monarchin hier und da und besonders zu Hafenverbesserungen und Wasserbauten theils mit mehr, theils mit weniger Glück angewendet hat. Wenn zuweilen durch üble Berechnung und fehlerhafte Anlage der Unternehmer und Aufseher der beabsichtigte Zweck fehlschlug oder anstatt Nutzen wol gar Schaden gestiftet wurde, wie das nach dem Urtheile sachverständiger Männer mit den Dünadämmen bei Riga der Fall ist, so darf davon die Schuld nicht der Kaiserin beigemessen werden, indem es das allgemeine Schicksal, vorzüglich der Könige ist, zu irren und noch öfter hintergangen zu werden. Daß die Kaiserin es mit allen Nationen, die ihrem Scepter huldigten, jederzeit mütterlich meinte, bekennet jede Seele von Jakuzk bis nach Dünamünde. Durch ihre Bemühungen verschönerte sich Twer zu einem Grade, der in den nördlichen Gegenden bisher ein seltenes Phänomen ist; unter ihr stiegen die Stahlfabriken von Tula zu einer Vollkommenheit, daß sie mit den englischen wetteifern und oft den feinsten Kenner den Unterschied nicht mehr finden lassen. Die Manufacturen aller Art waren in einen Zustand gekommen, daß der nunmehr an den Luxus und die Bequemlichkeiten des Lebens gewöhnte Russe das Verbot der Einfuhr der meisten fremden Artikel gar nicht mehr empfand, indem sie ihm seine Landsleute viel wohlfeiler von nicht minderer Güte lieferten. Die Tücher, welche in und um Moskau gemacht werden, geben den besten englischen an Feinheit und Dauer wenig nach, so daß die üppigen Reichen oft nur für den Namen bezahlen, um in englischem Tuch gekleidet zu gehen. Wie sehr die asiatischen Provinzen und besonders das südliche Sibirien gewonnen haben, können die Personen nicht genug erheben, welche einige Zeit in Amtsgeschäften dort gewesen sind. Die Gegenden sind nicht mehr der Pönitenzraum für Verbrecher oder Mißvergnügte, die jedes Gouvernement so leicht für Verbrecher ansieht; sie sind blühende, fruchtbare, herrliche Districte, wo sich vergnügte und glückliche Familien bei Tausenden angesiedelt haben und unter der milden Regierung, die das Ausland als despotisch ausschreiet, sich wohl befinden. Die Regierung scheint das Mißliche der Maßregel nach und nach einzusehen, alle Verdächtige dahin zu verweisen, wo sich endlich eine Menschenrasse sammeln müßte, die, gut oder schlimm, dem Mutterlande auf keine Weise gleichgültig sein könnte. Es werden verhältnißmäßig jetzt sehr Wenige dahin geschickt, und auch Diese bleiben mehr in den tiefern Gouvernements des alten Rußlands selbst. Es wäre im Gegentheile mit Grund zu befürchten, daß bei irgend einer Conjunctur die Provinzen die Rolle der amerikanischen englischen Colonisten spielten. Die wenigen Staatsgefangenen in den höheren Gegenden bis hinauf nach Kamtschatka sind von keiner großen Anzahl. Die Geschichte Benjowsky's hat durch Übertreibung und Abenteuerlichkeit zwei Drittheil an Wichtigkeit gewonnen, war aber immer dem Gouvernement eine Lection zur Aufmerksamkeit.

Die Unglücksfälle, welche unter der Regierung der Kaiserin Katharina der Zweiten das russische Reich getroffen haben, sind vorzüglich und fast einzig die Pest in Moskau, der Aufruhr des Kosacken Jemelian Pugatschew und die plötzliche Auswanderung des ganzen Stammes der torgutischen Kalmücken.

Die tödtliche Krankheit wüthete in der alten Hauptstadt fürchterlich, und der Pöbel, voll religiöser Schwärmerei, ermordete den vernünftigen Erzbischof, der zur Unterstützung des Gouvernements und der Aerzte die häufigen Pilgerschaften zu den Heiligenbildern einzustellen suchte, wo sich natürlich, da sie von Patienten fast beständig belagert waren, auch jeder Gesunde in seiner Andacht die Krankheit holen mußte. Der Tumult der Bigotterie ward unter der ganzen Populace allgemein, und Bataillone mußten die Vernunft unterstützen helfen, die aus dem weisen Munde des guten Erzbischofs nicht wirken wollte. Fast hunderttausend Menschen kamen um, die Meisten durch die Krankheit, die, wie man sagt, ein Roskolnik in seinem Barte mit aus der Türkei gebracht hatte, und nur Wenige im Aufruhr. Alle, welche die Kaiserin bei diesem traurigen Geschäfte brauchte, erwarben sich ihre Zufriedenheit und den Anspruch auf die Dankbarkeit der Nation, vorzüglich der menschenfreundliche, unerschrockene Petersburger Arzt, der den Grafen Orlow, welcher als bevollmächtigter kaiserlicher Commissar nach Moskau ging, begleitete. Das Militär zeigte hier durch seine muthige Bereitwilligkeit, die wohlthätigen Maßregeln der Regierung zu unterstützen, was Ordnung und Pflicht und vernünftige Aufklärung gegen wilden, enthusiastischen, bigotten Taumel der Menge vermag.

Der Kosack Pugatschew, ein feuriger, wilder, unbändiger, tapferer Mann, ganz in dem alten Geiste seiner Nation, verführt durch einige Aehnlichkeit, die einige seiner Bekannten zwischen ihm und dem verstorbenen Kaiser, Peter dem Dritten, gefunden hatten, faßte den ungeheuren Einfall, nach zehn Jahren seine Person vorzustellen und sein Reich für sich zu erobern. Mit vieler Geschicklichkeit hatte er sich einige Zeit unter der Hülle des Geheimnisses in den Grenzprovinzen von Asien herumgetrieben und trat plötzlich mit einem starken Anhang hervor, von welchem wenigstens ein großer Theil überzeugt zu sein schien, daß er wirklich der Kaiser sei. Sein Zeitpunkt war vorteilhaft genug gewählt, da die meisten Truppen noch gegen die Türken standen und er unterdessen so viel zu gewinnen hoffte, um die Spitze bieten zu können. Das Andenken der Demetriusse und das Rätselhafte der damaligen Periode ist noch nicht ganz verloschen. Pugatschew's Haufe wuchs zu einer furchtbaren Menge; überall schlossen sich seine Landsleute und die Bauern an, denen er gegen den Druck des Adels nicht allein Schutz, sondern auch Rache versprochen hatte. Die letztere nahmen die Bauern, wo sie nur konnten, fürchterlich selbst. Er verbrannte Kasan und mehrere kleine Städte, schlug verschiedene kleine Detachements, hob manche auf und zog von dem Militär Viele auf seine Seite. Erst sein Unglück scheint ihn grausam gemacht zu haben; er ward ein Unmensch, ein Wütherich, und man erzählt unerhörte Unthaten seines Grimms. Hätte Pugatschew ebenso viel Politik, Klugheit und Menschlichkeit gehabt, als er Muth und Entschlossenheit hatte, wer weiß, welche Rolle er noch, entlarvt oder nicht entlarvt, gespielt hätte, und welches Bild der Name Pugatschew der Nachwelt gewesen sein würde, da man ihm jetzt nur unter den glänzenden Bösewichtern eine der ersten Stellen giebt. So hängt das Schicksal und selbst der moralische Credit der Menschen oft an einem sehr dünnen Faden. Er wurde wiederholtemal geschlagen, besonders von Michelson immer weiter zurückgedrängt, endlich von allen seinen Anhängern verlassen und gefangen. Seine und der übrigen Rädelsführer Hinrichtung in Moskau sind die einzigen Todesurtheile, die unter der Regierung Katharinens vollzogen worden sind. Die Geschichte, welche von diesem furchtbaren Manne im Publicum ist, hat gewiß sehr wenig Aechtheit und ist blos eine sonderbare Ausschmückung einzelner Thatsachen, von irgend einem Mißvergnügten in eine abenteuerliche Erzählung gebracht. Russischen Ursprungs scheint sie nicht zu sein, und die Absicht des Franzosen ist schwer zu errathen, so wenig bleibt er sich gleich. Man giebt die Anzahl der im Aufruhr Gebliebenen auf mehr als hunderttausend an. So viel ist gewiß, daß er dem Reiche mehr kostete, als der blutigste Feldzug hätte kosten können.

Die Torguten, ein ansehnlicher tartarischer Stamm von den Kalmücken, ungefähr 30,000 streitbare Mann stark, waren seit einiger Zeit eifersüchtig auf ihre alte tartarische Freiheit gewesen. Sie sahen, daß sich ihre Nachbarn und Stammverwandten nach und nach immer mehr Einrichtungen des russischen Gouvernements gefallen lassen mußten, und schlossen mit Recht, daß die Reihe auch noch endlich an sie kommen würde. Mit vieler Ordnung und Verschwiegenheit machten sie ihre Vorbereitungen einen ganzen Sommer und flüchteten den kommenden Winter, sobald die Flüsse zugefroren waren, mit einer Geschwindigkeit, daß sie schon weit entfernt waren, ehe die Russen nur Nachricht haben konnten. Der dort commandirende Officier war so sicher, daß er ihnen, als ob sie eine Unternehmung machen wollten, sogar Kanonen gegeben hatte. Es setzte ihnen zwar ein starkes Corps nach, um sie einzuholen; allein die Tartaren hatten einen zu großen Vorsprung, und ihre Maßregeln waren so wohl genommen, daß Alles fruchtlos war. Sie entkamen glücklich in die große freie Tartarei zu ihren übrigen unabhängigen Brüdern, und das Corps Russen, welches ihnen nachgefolgt war, kehrte mit außerordentlichem Verlust, den es durch Hunger und Kälte erlitten hatte, in die Gouvernements zurück. Der Verlust einer so großen Anzahl wackerer arbeitsamer Leute, die durch ihren künftigen Fleiß erst reichliche Früchte versprachen, mußte Rußland bei der geringen Bevölkerung der dortigen Provinzen äußerst empfindlich sein, und vielleicht war blos der Eigensinn und die Härte eines benachbarten Gouverneurs oder Generals Schuld daran, der mit Ungestüm und ohne Menschenkenntnis; Maßregeln durchsetzen wollte, von deren Wohlthätigkeit man sie erst hätte überzeugen müssen.

Alle diese Unglücksfälle waren überstanden, die Unordnungen waren gehoben und durch neue Siege, neue Erwerbungen und neue weise Einrichtungen der Staat nicht allein gesichert worden, sondern auch wirklich blühender und glücklicher gemacht. In der gefährlichsten Periode, wo Rußland mit Feinden theils umgeben, theils wirklich angegriffen war, befand man sich mit den öffentlichen Einkünften doch nie so sehr in Verlegenheit, daß man die nothwendigen Kriegsbedürfnisse und Staatsausgaben nicht gehörig hätte bestreiten können. Die Banknoten, deren Sicherheit in den reichen kaiserlichen Domänen fest gegründet war, verloren nie mehr als dreißig Procent gegen baares Gold. Wie wenige Staaten der neueren Zeit ohne die Krankheit des Papiergeldes leben, weiß Jedermann; und fast kein einziger Staat, der einmal diese Krankheit bekam, hat so wenig daran gelitten als Rußland, und hatte wahrscheinlich noch weniger leiden müssen, wenn man auf alle Zweige der Oekonomie immer gehörige Aufmerksamkeit verwendet hätte.

Die Kaiserin vermehrte noch nach Beendigung aller Unruhen den Sold der Armee durchaus um ein Drittheil, so daß der Soldat nunmehr ungefähr zehn Thaler und Proviant bekommt. Jedermann sieht, daß bis jetzt noch die Armee in Rußland kaum die Hälfte zu stehen kommt, gegen den deutschen Fuß gerechnet, so wie die deutschen Truppen noch nicht die Hälfte der englischen kosten; und doch thun verhältnißmäßig die russischen weniger bezahlten Truppen mehr als die Truppen irgend einer andern Nation. So viel kommt auf die Behandlung und auf die Gewöhnung in Nahrung und Arbeit an! Denn ich kann nicht glauben, daß der russische Soldat in dem Grund seiner Physik etwas vor andern Völkern voraus habe.

Daß die Monarchin nicht allein Gönnerin und Unterstützerin, sondern auch selbst Kennerin der schönen Wissenschaften war, wirkte bei der Nation so viel Ehrfurcht und Vertrauen, daß man ihre Aussprüche wie Orakel ansah. Es mag unter ihren übrigen großen Regententugenden von keiner Bedeutung sein, daß sie selbst Verfasserin einiger gemeinnützigen und angenehmen Arbeiten war; es gereicht ihr aber doch mehr zur Ehre, daß sie ihre wenigen Mußestunden auf diese Art anwendete, als wenn sie irgend ein zweckloses verderbliches Spielwerk geliebt und getrieben hätte. Das Beispiel der Kaiserin war Allen, die einige Kräfte in sich fühlten, eine Aufmunterung; und Aufmunterung dieser Art ist noch nicht überflüssig unter den Russen wie vielleicht unter andern europäischen Nationen. Daß die Monarchin selbst mit Reinheit und Zierlichkeit eine Sprache redete und schrieb, die sie erst spät zu lernen angefangen hatte, feuerte die Genies der Nation an, diese ihre Muttersprache selbst mehr zu lernen, zu bestimmen und sie zu classischen Werken brauchbarer zu machen. Suade giebt es in jeder noch so ungebildeten, unbestimmten Sprache, und gab es ehemals auch in der russischen; jetzt giebt es in derselben richtige Beredsamkeit mit Wohllaut und Anmuth des Ausdrucks. Und auch diese Ausbildung dankt die Nation vorzüglich dem Beispiel, der Aufmunterung und Unterstützung der verstorbenen Kaiserin.

Bisher habe ich von ihrem öffentlichen Charakter auswärts und im Reiche und von ihren Privateigenschaften gelegentlich nur insofern gesprochen, als sie Beziehung auf die öffentlichen Geschäfte hatten. Mit der nämlichen Freimütigkeit will ich nun noch etwas Weniges über ihren Privatcharakter sprechen, so weit man ohne nähere, vertrautere Nachrichten mit einiger Gewißheit darüber sprechen kann.

Daß ihr Charakter liebenswürdig gewesen sein muß, erhellet daraus, weil sie die Liebe der ganzen Nation wirklich gewonnen hat. Was nicht liebenswürdig ist, gewinnt nie allgemeine Liebe; und was allgemeine Liebe gewinnt, ist in den meisten Rücksichten wirklich liebenswürdig. Alle Diejenigen, welche näher um sie gewesen sind oder sie auch nur ein einziges Mal gesehen haben, sind von ihrem humanen, gütevollen Betragen eingenommen. Die Güte war mit Ernst gemischt und die Majestät mit Freundlichkeit. Sie verstand mehr als irgend ein König der Erde, den die Geschichte nennt, viele Freunde zu haben und selbst alle ihre Feinde zu Freunden zu machen. Nie wußte eine Person mit so vieler Feinheit und Klugheit Menschen zu behandeln wie sie; Niemand ging unzufrieden von ihr, selbst Diejenigen nicht, denen ihre Bitte nicht gewährt worden war. Alle Einheimische und Ausländer ohne Unterschied fanden in ihrem Benehmen die unwiderstehliche Magie der männlichen Würde und weiblichen Grazie vereint. Sie liebte in ihrer Jugend sehr lebhafte Vergnügungen, und es ist nicht zu leugnen, daß sie den Teilnehmern an diesen Vergnügungen zuweilen etwas zu viel nachsah. Schon seit langer Zeit pflegte man zu sagen: » La Russie est le pays des possibilités;« und man muß freilich auch unter der Regierung Katharina der Zweiten die Sentenz noch gelten lassen, wenn man die Erscheinung von Männern sieht, wie Orlow und Potemkin waren. Daß beide Männer und vorzüglich der Letzte große Verdienste um den Staat hatten, ist ohne Widerspruch wahr. Das hat Orlow zur Zeit der Pest in Moskau und Potemkin in seinen türkischen Feldzügen und durch manche Anstalten bei der Armee bewiesen. Aber Beiden gebührte doch nicht die Allmacht, mit welcher sie zuweilen ausschließlich im Felde und Cabinette mit Uebergehung alter würdiger, erprobter Diener des Staats durch übertriebene Nachsicht der Monarchin zu handeln wagten.

Es ist kein Geheimniß, daß die Kaiserin in der Physik der Liebe etwas leidenschaftlich war: sie verletzte dadurch Niemandes Rechte; und warum sollte der strengere Moralist nicht Verzeihung für sie haben, da sie selbst für so viele Schwachheiten Anderer so viel Nachsicht hatte und immer in den Grenzen des Wohlstandes und der weiblichen Sittsamkeit blieb? Alle, welche lange und viel in der Gesellschaft der Kaiserin gewesen sind, betheuern, daß sie in Gespräch und Betragen nie eine sittsamere Frau gesehen haben. Es entstand aber dennoch aus dem Favoritenwesen und der excessiven Güte der Monarchin sehr oft Aufwand, der nicht in ihrem Charakter lag; und sodann fand die Cabale trotz dem Scharfsinn Katharinens doch zuweilen Gelegenheit, Manches durchzusetzen, was nicht durchgesetzt hätte werden sollen. Aber eine Menge alter, braver, rechtschaffener Diener des Staats, die ihre Bahn, ohne links und rechts zu sehen, mit eigenen Kräften geradezu fortgingen, Männer wie Romanzow, Repnin, Soltikow und Mehrere, erhielten doch immer ihren ehrenvollen Credit und wurden endlich belohnt. Allzu große Güte in Belohnungen und allzu große Nachsicht in Bestrafungen werden vielleicht nicht ohne Ursache der Kaiserin zur Last gelegt. Hunderttausende wurden wiederholt weggeschenkt und doch nicht immer an Männer, die von dem Staate eine solche Belohnung zu erwarten Recht hatten; und die wirklich das Recht gehabt hätten, wären gegen ihr Vaterland uneigennützig und großmüthig genug gewesen, darauf Verzicht zu thun. Verbrecher, die den Staat um ebenso große Summen defraudirt hatten, kamen nach mancherlei Umschweifen doch endlich in Freiheit. Ungestraftheit kann Einladung zum Verbrechen werden und ist es häufig geworden. Der Staat war und ist noch in Schulden, und jede Banknote ist ein Schuldbrief auf ihn; die Monarchin, als seine Verweserin, sollte also ihre Großmuth einschränken und seine Güter auf keine Weise vergeuden, zumal wenn seine Schuldscheine nicht mehr baares Geld ohne allen Verlust sind. Denn wenn alle Cabinetsordres es sagten und nie ein Philosoph aufgetreten wäre, das Gegentheil zu sprechen, wenn alle Ukasen und Mandate es zum Kanon machen wollten, daß der Monarch Herr des Staats sei, so lehrt es doch die ganze Weltgeschichte fürchterlich laut, er sei nur sein Verweser. Es war in Rußland seit geraumer Zeit eine allgemeine Regel, daß die Vicegouverneure durch das Magazinwesen und die Oekonomiedirectoren in ihrer Verwaltung in kurzer Zeit reiche Leute werden müssen; der häufige Gebrauch hatte eine Menge Mißbräuche fast rechtlich, ich will nicht sagen gesetzlich gemacht. Katharina hatte bei aller ihrer Größe vielleicht nicht den Muth, dieser Hyder entgegenzutreten. Peter der Erste hatte über ähnliche Fälle einigemal mit fürchterlicher Strenge gesprochen. Seit seiner Zeit hatte man die Sachen gemächlich gehen lassen, und da pflegen sie denn immer leidlich schlecht zu gehen. Große Bedrückungen hat Katharina die Zweite einigemal strenge bestraft; aber die Geschäfte sind zu weitläufig und verwickelt, und man weiß sie geflissentlich noch mehr dazu zu machen, als daß sie alle kleinere Malversationen hätte entdecken und gehörig bestrafen können. In Rußland sind sie klein, in jedem andern Staate würden sie von großem Belang sein. Selbst in den Dikasterien, aus welchen die Kaiserin durch fixe Besoldungen alles in allen übrigen Ländern noch häßliche Sportelwesen verbannt hatte, fand man doch immer noch Mittel, durch Geschenke und Intrigue, selbst in den hohen Tribunälen, Manches durchzusetzen, worüber man selbst unter den Augen des Gouvernements sich nicht scheut, laut zu sprechen. Freilich erfuhr die Monarchin davon nichts, und wenn zuweilen eine Ungerechtigkeit oder Verzögerung der Justiz bis zu ihr drang, so war sie strenge genug; man wußte aber vorzubauen, daß dieses so selten als möglich geschah. Man wird es selbst den Tribunalen eigentlich nicht zur Last legen, was zuweilen schlechte Mitglieder oder Subalterne durch künstlich verdrehete Vorstellungen zu erschleichen die Geschicklichkeit haben.

Die Kaiserin hatte im Anfange ihrer Regierung Jedermann, der ihr etwas vorzutragen hatte, den freien Zutritt erlaubt. Man kann denken, daß sich eine Menge Processirender zu ihr drängte, deren Charakter nichts weniger als Bescheidenheit war. Sie mußte endlich über den Wirrwarr, den man ihr oft vortrug, und die unbefugten Forderungen, welche gemacht wurden, verdrießlich werden. Nach und nach wurde der Zutritt erschwert, und zuletzt erschien gar ein Befehl, daß sich Niemand geradezu an die Kaiserin wenden sollte. Welchen Grund und welche Modification dieser Befehl hat, weiß ich nicht; denn aus der Seele der Monarchin scheint er nicht zu sein, das beweisen alle ihre Handlungen, selbst in Rücksicht dieses Befehls. Auf der Promenade in dem Garten stand es freilich nicht frei; es war aber doch sehr leicht, mit ihr zu sprechen und seine Sache selbst zu übergeben, welches auch gewöhnlich geschah. Der Sollicitant wurde gewöhnlich in die Wache genommen, wo er selten über eine Stunde saß, bis die Monarchin ihm ihren Entschluß auf sein Papier, Gewährung oder abschlägliche Antwort, bekannt machen ließ. Dieses geschah Jedem ohne Ausnahme, und man thut Unrecht, dieses für einen Arrest zu halten, da der Bittende blos bleiben mußte, bis die Kaiserin seine Papiere gelesen hatte; und das konnte nicht besser geschehen als in der Wache. Daß die Bedrücker und Cabalenmacher des Hofs die Sollicitanten so viel als möglich zu entfernen suchten, ist sehr wahrscheinlich; aber daß die Monarchin, wenn sie die Ungerechtigkeit erfuhr, auch strenge ahndete, ist gewiß. Vorzüglich persönliche Ungerechtigkeiten reizten sie zu heftigem Unwillen. Eine junge, liebenswürdige Schauspielerin, die durch ihr Spiel der Liebling des ganzen Publicums und durch ihre persönlichen Annehmlichkeiten der Wunsch mehrerer Herren vom Hofe insbesondere war, liebte ganz ernsthaft und ehrlich einen jungen Menschen und wies natürlich jeden Antrag der besternten Herren geziemend zurück. Einer der Herren von Gewicht entdeckte bald seinen Nebenbuhler und fand ebenso bald Mittel, ihn in eine kleine Stadt zu entfernen. Nun hoffte er, glücklich zu sein, und irrte sich. Das Mädchen konnte sehr gut rathen, was vorgegangen war. Sie wollte Gerechtigkeit auf gewöhnlich rechtlichem Wege suchen; diesen hatte man zu verrennen gewußt. Von der Monarchin selbst hoffte man die aufgebrachte Liebende zu entfernen. Da sie kein anderes Mittel fand, wagte sie es, öffentlich auf dem Theater ihr Spiel abzubrechen, sich der Loge der Monarchin zu nähern und ihr mit rührenden Thränen ihre Bittschrift zu übergeben. Die Kaiserin las, untersuchte und fand den Grund. Zwei der leidenschaftlichen Herren, die in der Sache zu stark gespielt hatten, wurden auf lange Zeit vom Hofe entfernt, der junge Mensch wurde gerufen, und die Monarchin richtete dem glücklichen Paare selbst die Hochzeit aus.

Die Kaiserin pflegte gewöhnlich äußerst regelmäßig zu leben. Früh um sechs oder sieben Uhr stand sie auf und arbeitete allein oder mit ihren Ministern in den wichtigsten Geschäften des Tages, welches kürzer oder länger dauerte, nachdem der Geschäfte mehr oder weniger waren. Ordentlich pflegte sie dann spazieren zu gehen, mit mehr oder weniger Begleitung der Herren, die den Dienst des Tages hatten, und ein Jeder konnte sie dann in dem Garten so bequem sehen, als erwünschte. Dieses war, wie ich schon erinnert habe, auch die Periode, wo man ihr seine Sache schriftlich übergeben konnte; denn sie verlangte billig allezeit einen schriftlichen Vortrag. Vor oder nach Tische besuchte sie auch wol einen ihrer Minister, der krank war, oder das Erziehungsinstitut im Fräuleinstift, am Häufigsten ihre eigene Familie. Abends bei der Cour pflegte sie gewöhnlich eine bis zwei Stunden, nach der Sitte des Hofes, selbst Whist zu spielen, und es war natürlich Derjenige wieder der Mann des Tages, den sie einigemal ununterbrochen zu ihrer Partie wählte. Gewöhnlich war ihr Liebling dabei, der die beiden Uebrigen nach ihrem, vielleicht auch wol nach seinem eigenen Gefallen aussuchte. Um neun oder halb zehn, höchstens um zehn Uhr pflegte sie sich jederzeit zu entfernen und nach einiger Lectüre sogleich schlafen zu gehen. Dieses war das Zeichen, daß auch meistens der Hof auseinanderging. Nach ihrem Willen und Beispiel hätte dann Alles ruhig nach Hause gehen sollen, um ein Gleiches zu thun, und sie sprach oft sehr philosophisch über Ordnung und vernünftige Diätetik; aber nun flogen und rangirten sich erst die sybaritischen Partien nach ihrem eigenen Geschmack und lebten nach demselben die mille modos deliciarum die Nacht durch bis zwei oder wol vier Uhr des Morgens. Daher es bei einem Petersburger Mann vom Ton Gewohnheit war, nie vor drei Uhr schlafen zu gehen und beständig ungefähr um elf Uhr aufzustehen. » Est Romae quaedam!« möchte man ausrufen, wenn es nicht überall so Stil wäre. Es versteht sich, daß es noch ernsthafte Männer genug gab, die nicht vom Ton waren und doch den größten Credit bei Hofe hatten. – Katharina hatte billig ein großes Vergnügen, wenn ihre Erziehungsanstalten für die Nation gut gediehen. Wenn sie die Mädchen im Fräuleinstift besuchte, pflegte sie dieselben nach der Classenkleidung nur vertraulich: » Mes soeurs blanches, mes soeurs bleues« u. s. w. zu nennen; und wenn sich Einige unter den Zöglingen auszeichneten, so suchte sie auf alle Weise für ihr Glück zu sorgen, besonders wenn es junge Personen waren, deren Vermögensumstände eingeschränkt waren. Eine besondere Sorgfalt und Vorliebe hatte sie für die Erziehung der jungen Leute zunächst unter ihren Augen, nämlich ihrer Pagen, und freute sich herzlich, wenn zuweilen ein Mann, der sich durch Herz und Kopf unterschied, aus diesem kleinen Corps kam. »Es ist meine Erziehung!« pflegte sie wol mit Selbstgefälligkeit zu sagen; und dieses mußte ihr desto angenehmer sein, da die Pagenerziehung wie überall also auch in Rußland nicht in dem besten Credit steht.

Seit einigen Jahren schon hatte ihre Gesundheit merklich abgenommen, welches bei ihren Jahren und den vielen Unruhen, die sie in manchen Perioden ihres Lebens ausgestanden hatte, nicht anders zu erwarten war. Doch besorgte sie noch alle ihre Geschäfte bis an ihr Ende mit Munterkeit und gewöhnlicher völliger Stärke des Geistes, so daß man aus dem Gange der Sachen im Reiche wol nirgends entdeckt hätte, die Monarchin sei eine alte Matrone. Den letzten Sommer ging sie seltener spazieren; ein sicheres Merkmal ihrer abnehmenden Kräfte, da sie billig die tägliche Promenade als die beste Arznei betrachtete. Sie starb bekanntlich den vorigen 17. November, kurz nach einem Schlagflusse, der bei ihrer etwas corpulenten Constitution immer die muthmaßlich zu befürchtende Krankheit war.

So wie das Leben Katharinens zwar unruhig, aber thatenvoll und glänzend gewesen war, so war ihr Ende glücklich. Keine lange, schmerzhafte Krankheit machte es melancholisch, und in allen ihren politischen und häuslichen Verhältnissen hatte sie Ursache, höchst zufrieden zu sein. Sie hatte über sechzig Jahre gelebt, und die größere Hälfte dieser Zeit hatte sie in einem Reiche geherrscht, das an Umfang alle Reiche der Geschichte übertrifft und an Stärke nur dem alten römischen weicht. Viele Nationen sind unter ihrem Scepter froh und zufrieden gewesen und mit großen Schritten zur höheren Bildung vorwärts gerückt. Der Verfasser glaubt gezeigt zu haben, daß die anscheinenden Beeinträchtigungen ihrer Nachbarn nicht Ungerechtigkeiten, sondern leider nothwendige Verflechtungen in dem Interesse der Völker waren. Daß sie sich in der polnischen Königswahl über alle Erwartung nicht geirrt hatte, zog die ganze Kette der großen Begebenheiten ihrer Regierung nach sich; und daß sie diese Begebenheiten mit Weisheit und Muth und Standhaftigkeit leitete und endigte, giebt ihrem Charakter für ihre Nation den Werth, den sie bei ihr behauptet. Die Geschichte wird gerecht sein, wo die Zeitgenossen es nicht waren. Das Lob und der Tadel wird sich mäßigen, aber keines von beiden wird verschwinden. Wo glänzt in der ganzen Menschenkunde ein Charakter ohne Tadel? Selbst Gustav Adolph, der Held und Liebling aller Moralisten, hatte seine Mängel. Der Mensch muß von dem Menschen nur verlangen, was menschlich ist. An welchem Hofe hebt nicht die Cabale ihr Schlangenhaupt und sucht unter der Verkleidung des Patriotismus, des Eifers für Staatswohl oder gar der allgemeinen Menschenfreundschaft ihr Gift zu mischen? Die alte und neue Geschichte zeigt, daß diese Hyder in Republiken doppelt furchtbar ist. Daß sie auch an Katharinens Hofe brütete, wird Niemand leugnen, aber verhältnißmäßig in der großen Sphäre gewiß weit weniger als an andern Orten. Die dort nicht Freunde waren, boten sich mehr öffentlich die Stirne und schlichen nicht herum, ihre Gegner im Finstern zu verderben. Die Kaiserin übersah alle Parteien mit Scharfsinn und wählte das Gute nach ihrer Ueberzeugung; denn ihre Minister waren nur ihre Minister. Sonst spricht der Regent oft die Sprache seines Ministeriums, das Petersburger Ministerium mußte Katharinens Sprache sprechen. Nicht, als ob sie den Rath ihrer treuen Diener übergangen oder gleichgiltig übersehen hätte, sondern weil die besten Rathschläge immer mit ihrer Meinung zusammentrafen. Daß in den ministeriellen Arbeiten der Minister meistens blos die Form gegeben hatte und die Form geben mußte, welche sie billigte, versichern authentische Leute, die ihre eigenen freundschaftlichen Briefe, in sehr kritischen Zeitpunkten geschrieben, gelesen haben, wo die ganze Geistesstärke erfordert wurde, nur nicht kleinmüthig zu sein. Alle diese kleinen Blätter, durchaus von ihrer eigenen Hand, athmeten noch eine Ruhe und Zuversicht, eine frohe heitere Stimmung, die den Sokraten Ehre gemacht haben würden. Sie scherzte, als sie die Kanonen der Flotten hörte und selbst ihre Sachen schon in Ordnung gebracht waren, um im nöthigen Falle mit den wichtigsten Papieren und Effecten nach Nowgorod zu gehen. Sie besuchte ihre Colonisten rund um die Residenz und sprach mit ihnen so traulich, als ob von keiner Seite Gefahr gewesen wäre, und doch lagen an der Donau die Muselmänner, die Schweden in Finnland und auf dem baltischen Meere wirklich mit feindlichen Angriffen, und mit hohen Drohungen standen die Polen in Litthauen und die Preußen an der kurländischen Grenze. Sie kannte ihre Nation, und ihre Nation kannte sie. In ihrem Reiche wurde nichts von Secten und Sectengeist, weder in der Religion noch Politik, gehört; nur die braven, guten Männer waren Rechtgläubige, und die Schurken waren Ketzer. Es wohnten ruhig Griechen, Muselmänner, Herrnhuter, skeptische Freigeister und Dalailamaisten in Verträglichkeit neben einander. In der Residenz sind die Religionen der Erde versammelt, und fast alle Gouvernementsstädte haben protestantische Kirchen. Niemand fragt den Candidaten einer Stelle: »Weß Glaubens bist Du?« sondern nur: »Bist Du ein ehrlicher Mann und hast die Kenntnisse, welche zu der Stelle erfordert werden?« Nirgends war, selbst bei dem kritischen Zeitlauf, das Gouvernement liberaler als in Rußland. Neue französische Bücher wurden nur unter der allgemeinen Rubrik der neuen französischen Waaren verboten; aber die neuen Zeitschriften dieser Nation wurden gelesen, ohne daß sich die Polizei näher darum bekümmerte. Man las sie als ausländische Zeitungen und philosophirte darüber, Jeder nach seiner Weise, für und wider. Die Regimenter spielten neue französische Märsche, und die Gesellschaften sangen neue französische Lieder; und die Regimenter hätten sogleich russisch gegen die Franzosen geschlagen, und die Gesellschaften segneten die Monarchin und ihre Regierung.

Was die Monarchin für die Rechte und Freiheiten der niedern Volksclasse zu thun Willens war, wird aus demjenigen richtig geschlossen, was sie wirklich für sie gethan hat. So wie die Nationen nur stufenweise zur Sclaverei herabgeführt werden, so führt man sie auch nur wieder stufenweise zur Freiheit hinauf. Jeder plötzliche Fall sowol als jeder plötzliche Versuch zum Schwung bringt hier Convulsionen hervor, die der Maschine den Untergang drohen. Daß die niedern Volksclassen in Rußland noch viele Jahrhunderte in der tiefen Sclaverei fortseufzen werden, ist nicht wahrscheinlich; und daraus, daß es schon so lange gedauert hat, läßt sich sicher schließen, daß diese Sclaverei wenigstens bei dem Kern der Nation so tief und drückend nicht war, als man sich im Auslande vorstellt. Was Raynal in dieser Rücksicht von den Russen sagt, »Mais s'il n' était pas possible d'amender le Russe barbare; comment espérer d' amender le Russe corrumpu? S'il n'était pas possible de donner des moeurs à un peuple, qui n'en avait point, comment espérer d'en donner à un peuple qui n'en a que de mauvaises? Ces considérations déterminèrent Catharine à abandonner à elle même la génération actuelle, pour ne s'occuper que de races futures.« gilt ohne Ausnahme von allen Ländern, wo Luxus und Schwelgerei herrschen, wo einfache, reine Moral sowie menschliche, einfache, reine Philosophie exilirte Dinge sind. Dieses war der Fall mit den Franzosen unter Ludwig dem Vierzehnten; und dem Anschein nach ist er es noch nach dem Tode Ludwig's des Sechzehnten. Die Zeit muß lehren, ob sie je Raynal's Bahn finden werden. Der russische Adel ist ebenso gut und so schlecht in jeder Rücksicht wie der übrige europäische; von beiden Seiten könnte man ohne Schwierigkeiten Belege genug finden. Es ist aber wahr, daß Katharina vorzüglich mit der Jugend anfing, um die Nation für künftige Verbesserungen empfänglich zu machen.

Diejenigen, welche bei der jetzigen Veränderung in Rußland gewaltsame Auftritte befürchteten, haben die gegenwärtige Lage der Dinge von innen und außen nicht genau überlegt. Der neue Monarch hat gehandelt als guter Sohn, wie das nicht anders zu erwarten war. Alle seine übrigen Einrichtungen sind bisher durchaus so menschlich consequent und zweckmäßig, daß gewiß alle Guten der Nation ihre Wünsche erfüllt sehen, und der Schlimmen werden zum Troste der Menschheit von Tage zu Tage weniger. Wir dürfen nicht hoffen, daß sie ganz aussterben werden, auch wenn man überall den Artikel der Erbsünde cassirte. Eben gegen sie, und sie im Zaum zu halten, ist der Staat mit seinen Gesetzen. Für die Guten hat man wenig nöthig, Gesetze zu schreiben und Tribunale zu errichten. Der Charakter, den der neue Kaiser bisher öffentlich behauptet hat, ist Ernst und strenge Gerechtigkeit. Niemand wird zweifeln, daß diese Eigenschaften mit der gewöhnlichen Philanthropie, die ihm nicht fremd ist, diejenigen sind, welche vorzüglich die russische Nation in ihrem Monarchen nöthig hat. Strenge Gerechtigkeit wird zwar Vielen unwillkommen sein; aber desto willkommener ist sie gewiß der ganzen Nation.

Man glaubt, daß der Monarch, der einige Vorliebe für den deutschen, vorzüglich den preußischen Kriegsfuß gezeigt hat, manche Veränderung bei dem Militär treffen werde. Daß beide Armeen, die russische und die preußische, zu ihrer Vervollkommnung gegenseitig Manches von einander lernen könnten, ist ganz gewiß. Bei den Russen ist die ganze Kleidung bequemer, zweckmäßiger und stattlicher als bei irgend einem Truppencorps in Europa: und wenn der Feldmarschall Potemkin sonst nichts Gutes gethan hätte, so würde ihm schon hierin jeder Militär Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er den Armeen eine Bekleidung gegeben hat, die mehr als irgend eine andere aller Kritik Genüge leistet. Daß das preußische Gewehr besser gebaut ist, leidet keinen Widerspruch, aber ebenso wenig, daß nächst dem schwedischen das russische Bajonnett das beste ist. Daß aber das Bajonnett und sein Bau keine Kleinigkeit sei, wird Jeder einsehen, der nur einige Bände Kriegsgeschichte gelesen hat. Das russische asiatische runde Zelt ist besser und vorteilhafter als das deutsche. In dem deutschen liegen nicht mehr als sechs Mann höchstens, im russischen liegen über zwanzig, welche eine größere, bessere Kameradschaft im Essen und Fechten machen; kein geringer Vortheil! Und das russische Zelt ist doch verhältnißmäßig kaum so schwer als zwei deutsche. Man ziehe nun die Berechnung! Das Artell oder die Art der russischen Compagnien, ihre Menage zu machen, ist bei keiner Armee mit so wenig Kosten so vollkommen. Kein Soldat ist so zweckmäßig gekleidet und genährt. Die Preußen haben blos im Gewehrbau und folglich im Schießen, im Marsch und dem richtig gehaltenen Schwenkungspunkt einigen Vortheil; in allem Uebrigen sind ihnen die Russen überlegen. Vielleicht läßt der Monarch das Gewehr so vollkommen machen, als das Bajonnett ist, und hält durchaus auf Strenge und Genauigkeit im Manövriren, so giebt sich das Uebrige in kurzer Zeit selbst ohne die geringste Veränderung. Schwenkung, Distanz und Alignement hängen durchaus von der festen Aufmerksamkeit der Subalternofficiere ab. Das Wetter des Tages beurtheilt man am Besten am Abend. Die Nation hat alle Gründe zur guten Hoffnung, und mehr kann der Mensch für seine Zukunft nicht haben.

Ich ende hier das unvollständige und unvollkommene Gemälde mit nochmaliger Betheurung meiner Wahrheitsliebe. Bei manchen Fehlern, die auf ihre Rechnung geschrieben werden können, bleibt doch Katharina die Zweite nicht allein in der Geschichte Rußlands, sondern in der Geschichte der Welt eine außerordentliche Regentin, und man könnte für sie eher den Namen der Einzigen behaupten als für den großen König Friedrich den Zweiten von Preußen. Friedrich findet gewiß in der Geschichte der Männer noch mehr, wie er war, es würde aber schwer werden, noch eine Frau zu finden, die mit Katharinen durchaus verglichen werden könnte.

Da einige Anekdoten oft in dem Charakter großer Personen Nüancen ziehen, die ihn kenntlicher machen als lange Darstellungen, so setzt der Verfasser zum Behuf mehrerer Leser nur folgende bei, die er oft von authentischen Personen gehört hat, und die vielleicht dem deutschen Publicum wenig bekannt und nicht unangenehm sind.

Ein Edelmann hatte nach alter edelmännischer Weise die französische galante Gewohnheit, bei jeder Gelegenheit zu sagen: »Ich küsse Ihnen die Hand!« Als er mit der Kaiserin sprach, wiederholte er vermuthlich ganz unwillkürlich verschiedenemal seine Formel: »Ihre Majestät, ich küsse Ihnen die Hand!« Die Kaiserin reichte ihm die Hand lächelnd hin und sagte: »Nun, wenn Sie sie denn durchaus küssen wollen, hier ist sie.« Der gute Mann kam also mit ziemlicher Verwirrung zu einem Handkusse, an den er wol kaum gedacht hatte.

Sie sprach einst mit ihrer Gesellschaft über den Grad der Kälte des Tages. Einer ihrer alten angesehenen Diener, der sich mehr durch seinen ehrlichen Eifer als durch Aufklärung und Wissenschaft empfohlen hatte, erhielt von ihr den Auftrag, hinaus in das Vorzimmer zu gehen und zu sehen, ob das Thermometer gefallen sei. Seine barocke Excellenz ging und kam schnell mit der naiven Antwort zurück: »Ihre Majestät, es hängt noch an Ort und Stelle.« Die Kaiserin hatte immer Geduld mit dem guten Manne, der einen ansehnlichen Posten mit Fleiß und Rechtschaffenheit verwaltete. Auf Rechnung des nämlichen Herrn erzählt sich das russische Publicum eine Menge ähnliche Stücke, die wenigstens zur Hälfte richtig sind.

Ein Engländer, Officier von der russischen Flotte, kam mit dem Rapport eines Sieges nach Petersburg. Nachdem er der Monarchin Alles gesagt, was des Dienstes war, und die Kaiserin schon das Zeichen zu seiner Entfernung gegeben hatte, blieb er immer noch stehen. »Haben Sie mir noch etwas zu sagen?« fragte Katharina. »Ihre Majestät,« antwortete der Brite, »ich werde meinen Abschied nehmen und nach Hause gehen. Ich bin so glücklich, vor Ihnen zu stehen; aber mein Gesicht ist sehr kurz, ich möchte doch auch meinen Landsleuten mit Wahrheit sagen, daß ich die Monarchin, der ich diente, gesehen habe. Ich bitte um die Gnade, Ihre Majestät durch das Glas sehen zu dürfen.« Die Kaiserin sagte mit Lächeln: »Nun, so sehen Sie mich durch das Glas!« Der Engländer nahm sein Glas und sah die Monarchin, welche in einer kleinen Entfernung vor ihm stand, schlug es zu, machte seine Verbeugung und ging.

Ein Officier von der Armee hatte sich sehr brav gehalten. Der Fürst Repnin schickte ihn mit seiner Empfehlung nach Hofe. Die Kaiserin gab ihm zur Belohnung selbst den kleinen Georgenorden, der in das Knopfloch gebunden wird. Der Officier glaubte Anspruch auf die größere, folgende Classe zu haben, die man um den Nacken trägt. Er war ein sehr freimüthiger, kühner Mann, nahm das kleine Band und versuchte in ihrer Gegenwart immer, es um den Hals zu binden, aber es blieb zu klein. Die Monarchin sah ihn an und sagte mit Güte: »Nur Geduld, lieber Herr Oberster, dieser wird auch kommen!«


 << zurück weiter >>