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Der kleine Springer. Geschichte eines Hasen.

I.

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Tatsächlich kannte der kleine Springer alle Hunde im Ort. Da war zuerst ein großer brauner, der ihn oftmals gejagt hatte, dem er aber immer dadurch entgehen konnte, daß er durch ein Loch im Bretterzaun schlüpfte. Sodann war da ein kleiner Kläffer, der ihm durch das Loch folgen konnte, und diesen führte er hinters Licht durch einen sechs Meter breiten Bewässerungsgraben mit steilem Abfall und starker Strömung. Diesen Sprung brachte der Hund nicht fertig. Es war ein »sicheres Mittel« gegen diesen Feind, und die Ortsjugend nennt noch jetzt die Stelle den Hasensprung. Aber es gab auch einen Windhund, der konnte besser springen als unser kleiner Held, und konnte er ihm nicht durch einen Zaun folgen, so setzte er einfach darüber. Mehr als einmal brachte er den Hasen zum Äußersten; nur durch schnelles Hakenschlagen konnte sich dieser retten, bis sie zu einer Dornhecke kamen; dann mußte der Windhund die Sache aufgeben. Außer diesen dreien gab es noch einen Haufen großer und kleiner Hunde, die wohl zuzeiten unangenehm waren, aber im Freien leicht zurückgelassen wurden.

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Draußen auf dem Lande gab es keine Farm ohne Hund, aber nur einen von ihnen fürchtete der Springer wirklich; es war ein langbeiniger, wilder Schwarzer, ein so schnelles und hartnäckiges Geschöpf, daß er den Hasen fast zur Verzweiflung gebracht hatte.

Aus den Katzen am Ort machte er sich nichts; nur selten hatten sie sich an ihn gewagt. Ein mächtiger Kater, Sieger in vielen Schlachten, kroch einmal in einer mondhellen Nacht auf den Springer zu, als er ruhig weidete. Dieser sah das schwarze Tier mit den glühenden Augen auf sich zukommen, und im Augenblick, ehe es sich auf ihn stürzen konnte, wandte er sich ihm entgegen, erhob sich auf seinen Hüften, d. h. seinen Hinterbeinen, zu voller Höhe, wobei seine langen Ohren noch fünfzehn Zentimeter höher emporragten. Dann stieß er ein lautes »Tschurr–tschurr« hervor, den brüllendsten Ton, über den er verfügte, sprang mit einem anderthalb Meter langen Satz dem Feind auf den Kopf, den er mit seinen scharfen Hinternägeln bearbeitete, und der alte Kater floh erschreckt vor dem unheimlichen, zweibeinigen Riesen davon. Dieses Mittel hatte er mehrmals mit Erfolg angewandt, aber zweimal schlug es übel aus, das einemal bei einer Katze, die ihre Jungen in der Nähe hatte, und das anderemal, als er dabei versehentlich auf dem Kopf eines Stinktieres landete.

Aber der Windhund war der gefährlichste Feind, und er wäre wohl auch schließlich für den kleinen Springer verhängnisvoll geworden, hätte sich nicht etwas Sonderbares zugetragen, das für unseren Helden einen glücklichen Ausgang herbeiführte.

Er ging nachts seiner Nahrung nach; es waren dann nicht so viele Feinde in der Nähe, und man konnte sich leichter verstecken. Doch an einem Wintertage hatte er sich zu lange in einem Luzernenfelde aufgehalten und kreuzte beim ersten Tagesgrauen eben eine offene, schneebedeckte Fläche, seiner Lieblingslagerstätte zu, als es das Unglück wollte, daß er auf den außerhalb der Ortschaft herumstrolchenden Windhund traf. Auf freiem Schneefeld und bei zunehmendem Tageslichte gab es keine Möglichkeit, sich zu verbergen, und es blieb nichts übrig als ein Lauf im Freien auf weichem Schnee, der den Hasen mehr hinderte, als den Hund.

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Wie jagten sie dahin – die beiden prächtigen, hochgemuten Renner! Wie strichen sie durch den Schnee, den sie mit leichtem Puff–Puff–Puff aufstäubten, sooft ihre Füßchen niedergingen. Im Zickzack ging es vorwärts. Alles sprach zugunsten des Hundes, sein leerer Magen, das kalte Wetter, der weiche Schnee, während den Hasen sein überreiches Luzernenmahl beschwerte. Aber seine Füße stampften Puff–Puff so schnell, daß man auf einmal ein Dutzend kleine Schneewolken in der Luft sah. Auf freiem Felde ging es weiter; keine freundlich schützende Hecke war nahe, und jeden Versuch, einem Zaun nahezukommen, verstand der Hund zu vereiteln. Hänschens Ohren verloren ihre kühne Himmelsrichtung, ein sicheres Zeichen, daß es an Mut und gutem Winde fehlte. Auf einmal aber flatterte diese Standarte wieder stolz empor, wie wenn er plötzlich mit neuer Kraft erfüllt sei. Der Springer strengte alle seine Muskeln an, nicht um die Hecke weit nach Norden hin zu erreichen, sondern über die offene Prärie nach Westen zu. Der Windhund folgte, und nach fünfzig Metern schlug Hans einen Haken, um seinen Verfolger irrezuführen, aber bei der nächsten Wendung sprang er schon wieder in westlicher Richtung, und so im Zickzack rennend, wußte er doch dem nächsten Farmhaus zuzusteuern, wo sich ein hoher Bretterzaun mit einem Hühnerloch befand, und wo auch sein anderer verhaßter Feind, der große, schwarze Hund hauste. Eine äußere Hecke hielt den Windhund einen Augenblick auf, so daß Hans Zeit hatte, durch das Hühnerloch in den Hof zu springen, wo er sich an einer Seite an den Zaun drückte, um nicht so leicht bemerkt zu werden. Der Windhund lief herum zu dem niedrigen Tor und sprang darüber mitten unter die Hennen, und als diese gackernd und flatternd auseinanderstoben, fingen ein paar Lämmer an, laut zu blöken. Ihr natürlicher Beschützer, der große schwarze Hund, eilte zur Hilfe herbei, worauf der Springer schleunigst, ohne bemerkt zu werden, zu demselben Loch hinausschlüpfte, durch das er hereingekommen war. Schreckliches Bellen zeugte von einem wütenden Hundekampf in dem Hühnerhof, und bald mischte sich auch der Klang von Männerstimmen drein. Wie die Sache endete, blieb unserem Helden unbekannt und kümmerte ihn auch nicht; nur das eine stand fest, daß er hinfort nie wieder unter den Angriffen des schnellen Windhundes zu leiden hatte.

II.

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Schlechte und gute Zeiten waren einander abwechselnd gefolgt und wurden als etwas Selbstverständliches hingenommen, aber die letzten Jahre hatten in jener Gegend für die Hasen ganz auffallende Schwankungen gebracht. Früher hatten sie beständig Krieg zu führen mit Raubvögeln und Raubtieren, mit Hitze und Kälte, mit Seuchen und giftigen Fliegen, und doch war ihre Zahl immer etwa die gleiche geblieben. Aber mit der Besiedelung des Landes änderte sich dies völlig.

Hunde und Büchsen, die sich in großer Zahl einstellten, räumten mächtig unter den Coyoten, Füchsen, Wölfen, Dachsen und Habichten, das heißt den Verfolgern des Hasen, auf, so daß er sich riesig vermehrte. Dann aber brach eine Seuche unter ihnen aus und vernichtete sie zu Legionen. Nur die Stärksten, die zwiefach Gestählten, blieben übrig. Eine Zeitlang war ein Hase eine Seltenheit, aber da trat ein neuer Umschwung ein. Die allenthalben angepflanzten Dornhecken boten einen neuen Zufluchtsort, und nun hing die Sicherheit eines Hasen weniger oft von seiner Schnelligkeit als von seiner Schlauheit ab, und die Gewitzigtsten rannten, wenn sie ein Wolf oder Coyote verfolgte, zur nächsten Hecke und krochen durch ein kleines Loch hinein, während der Feind nach einem größeren suchte, durch das er folgen könnte.

Die Coyoten ersannen dagegen in der Treibjagd ein nicht minder schlaues Gegenmittel. Hierbei nimmt ein Coyote ein Feld und ein zweiter ein anderes, und will ein Hase die Heckenlist anwenden, so wirken sie von beiden Seiten zusammen und gewinnen gewöhnlich das Spiel, hiergegen sucht sich der Hase dadurch zu schützen, daß er den zweiten Coyote erspäht, das betreffende Feld vermeldet und sich auf seine guten Beine verläßt, um dem ersten Feind zu entgehen.

So kam es, daß die Hasen, die nacheinander zahlreich, spärlich, zahllos und selten waren, sich neuerdings wieder vermehrten, und die Überlebenden, in hundert Nöten gestählt, vermochten da zu gedeihen, wo ihre Vorväter nicht eine einzige Jagdzeit überdauert hätten.

Am liebsten hielten sie sich nicht auf den offenen Strecken der großen Farmen, sondern da auf, wo ein kleines umzäuntes Feld an ein anderes stieß und sich ein langhingestrecktes Dorf gebildet hatte.

Ein solches Dorf war auch um die Eisenbahnstation Neuhaus entstanden, und das Land war einen Kilometer weit gut mit Hasen von der neuen, auserlesenen Art besetzt. Darunter war eine kleine Hasendame, wegen ihrer körperlichen Haupteigenheit Hellauge genannt. Sie war eine vorzügliche Läuferin, besonders geschickt aber in dem Zaunspiel, das die Coyoten hinters Licht führte. Sie bereitete sich ihr Lager auf freier Weide, einem unberührten Stück der alten Prärie, hier brachte sie ihre Brut zur Welt und zog sie auf. Ein Junges war ihr selbst ähnlich mit seinen hellen klugen, seinem silbergrauen Fell und seinem Erbteil mütterlicher Schlauheit, aber in dem andern Jungen vereinten sich in seltener Weise die Gaben der Mutter mit den besten Eigenschaften der neuen, gestählten Hasenrasse der offenen Prärie.

Das war der eine, dessen Abenteuer wir verfolgt haben, der sich später den Beinamen der Springer erwarb und den allergrößten Ruhm in der Hasenwelt gewann.

Alte Kunstgriffe brachte er wieder zu Ehren und verwertete sie in neuer Weise, und alte Feinde lernte er mit neuen Waffen bekämpfen.

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Schon in seinen jungen Tagen verfiel er auf ein Auskunftsmittel, das dem klügsten Hasen in der Gegend zur Ehre gereicht hätte. Er wurde von einem schrecklichen, kleinen, gelben Hunde verfolgt und hatte ihm vergebens im Zickzacklauf durch Felder und durch Farmen zu entkommen gesucht. Gegen einen Coyote ist das kein übler Plan, weil die Farmer und die Hunde oft dem Hasen, ohne es zu wissen, helfen, indem sie den Coyote angreifen, hier half das Mittel aber gar nichts, denn der kleine Hund wurde von niemand aufgehalten; er sprang ihm nach durch einen Zaun nach dem andern, und unser noch nicht ausgewachsener Hase fing an, sich ermattet zu fühlen. Seine Ohren standen nicht mehr steif empor, sondern legten sich nach hinten – oder sanken gar nach unten, wenn er durch ein ganz kleines Loch in einer Dornhecke setzte und sehen mußte, daß sein Verfolger unverzüglich dasselbe tat. Da sah er vor sich in der Mitte einer Wiese eine kleine Herde von Kühen mit einem Kalbe.

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Merkwürdigerweise nehmen wilde Tiere, wenn sie in größter Not sind, ihre Zuflucht zu irgendeinem fremden Tiere, das ihnen vor Augen kommt. Der Feind hinter ihnen bedeutet sicheren Tod; es bleibt nur noch eine Möglichkeit der Rettung, wenn sich nämlich das Fremde freundlich erweist, und dieser Schritt der Verzweiflung führte auch den kleinen Springer zu den Kühen.

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Sicher hätten die Kühe in stumpfer Gleichgültigkeit das Geschick des Hasen sich vollziehen lassen, aber gegen Hunde empfinden sie einen tiefgewurzelten Haß, und als sie den gelben Köter auf sich zuspringen sahen, gingen ihre Nasen und ihre Schwänze in die Höhe, mit zornigem Schnauben schlossen sie sich aneinander, und unter Führung der Kuh, die das Kalb hatte, gingen sie zum Angriff gegen den Hund vor, während der Hase sich unter einen niedrigen Dornbusch flüchtete. Der Hund wandte sich seitwärts, um das Kalb anzugreifen, wenigstens meinte dies Mutter Kuh, und sie drang so wild auf ihn ein, daß er kaum mit dem Leben davonkam.

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Das war eine gute Kriegslist, die vielleicht noch von jenen Zeiten herstammte, wo Büffel und Coyoten die Rollen von Kuh und Wolf spielten. Der Springer bediente sich hinfort dieser List, so oft sich Gelegenheit bot, und mehr als einmal rettete sie ihm das Leben.

Sowohl in der Färbung wie in seiner Körperkraft war er eine Seltenheit.

Bei der Färbung der Tiere lassen sich zwei Arten verfolgen; die eine paßt sie ihrer Umgebung an, so daß sie sich leicht verstecken können – man nennt sie protektiv (Schutzfärbung, Mimikry)–, und die andere läßt sie für bestimmte Zwecke lebhaft hervortreten – diese nennt man direktiv (Leitfärbung). Die kanadischen Hasen sind dadurch ausgezeichnet, daß sie beide Arten zugleich aufweisen. Wenn sie sich in ihr Nest ducken im grauen Präriegesträuch oder auf Erdschollen, sind sie an Ohren, Kopf, Rücken und Seiten grau; sie gleichen dem Boden und sind nur dann sichtbar, wenn man dicht bei ihnen ist, d. h. sie haben Schutzfärbung. Sobald es dem Hasen aber klar ist, daß ihn der nahende Feind finden wird, so springt er auf und stürzt fort. Alle Maskierung wirft er nun von sich, das Grau scheint zu verschwinden; blitzschnell tritt eine Wandlung ein; seine Ohren zeigen ein schneeiges Weiß mit schwarzen Spitzen, die Beine sind weiß, und sein Schwanz ist ein schwarzer Fleck mit weißem Hof. Nun ist er ein schwarzweißer Hase, und seine Färbung ist ganz Leitfärbung. Wie geht das zu? Einfach so: auf der Vorderseite ist das Ohr grau und hinten schwarz und weiß. Das schwarze Schwänzchen mit seinem weißen Hof und die Beine sind am Boden untergeschlagen, der Hase sitzt darauf; der graue Mantel ist beim Sitzen heruntergezogen und ausgebreitet. Springt das Tier aber auf, so zieht sich die graue Hülle etwas zusammen, alle schwarzweißen Kennzeichen treten hervor, und gerade wie die Farben vorher besagen wollten: »Ich bin ein Erdkloß«, schreien sie jetzt: »Ich bin ein Hase!«

Warum tut er dies? Warum schreit so ein furchtsames Geschöpf, das um sein Leben läuft, seinen Namen in alle Welt hinaus, statt sich zu verstecken? Das muß seinen guten Grund haben. Es muß einen Zweck haben, sonst würde es nicht so sein. Die Antwort lautet: War das Geschöpf, das ihn aufscheuchte, von seiner eigenen Art, d. h. war es ein falsches Schrecknis, so wurde der Irrtum durch das Aufhissen des Hasenpaniers sofort berichtigt. Ist es dagegen ein Coyote, ein Fuchs oder ein Hund, so sehen sie sofort, daß es ein Hase ist, und wissen, daß dessen Verfolgung für sie nur verlorene Zeit wäre. In der Tat sagen sie sich: »Das ist ein Hase, den kann ich im offenen Laufe nicht einholen.« Sie geben die Verfolgung auf, und dadurch spart sich der Hase natürlich ein gut Teil unnützes Rennen und Mühen. Die schwarzweißen Flecke sind die Uniform und Flagge des Hasen. Bei dürftigen Tieren sind sie etwas matt, aber bei den erlesenen Vertretern des Hasengeschlechts sind sie nicht nur größer, sondern auch heller als gewöhnlich, und der kleine Springer, der im Neste so grau aussah, schimmerte wie Kohle und Schnee, wenn er dem Fuchs oder Coyote zum Trotz dahinflog und, ohne sich sehr anzustrengen, vor ihnen hertanzte, zuerst ein schwarzweißer Hase, dann ein kleiner, weißer Fleck und zuletzt eine Spur von Distelflocke, bis ihn die Ferne völlig verschlang.

Die gewitzigteren Farmerhunde hatten schon begriffen, daß man einen mattgefärbten Hasen zur Not jagen könne, keinesfalls aber einen sehr lebhaft schwarz und weiß schimmernden. Eine Zeitlang konnten sie dem Flüchtling wohl folgen, aber das war für diesen mehr ein Spaß, und seine überlegene Schnelligkeit veranlaßte den Springer oft, die Hetzjagd als kleine Aufregung willkommen zu heißen und dabei Gefahren entgegenzugehen, die andere, weniger befähigte Artgenossen eifrigst vermieden hätten.

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Unser Hase hatte wie alle anderen wilden Tiere ein gewisses Gebiet oder einen Bezirk, der seine Heimat war, und außerhalb dessen man ihn selten treffen konnte. Dieser Bezirk erstreckte sich von der Mitte der Ortschaft etwa fünf Kilometer weit und umfaßte eine Anzahl regelmäßig verteilter Nester oder Lager. Es waren das bloße, flache Erdmulden unter einem bergenden Gesträuch oder einem Grasbüschel mit keinerlei Polsterung, außer ein paar vom Winde zufällig hineingewehten Halmen oder Blättern. Aber doch waren sie nicht jeglicher Bequemlichkeit bar. Manche waren gut bei heißer Witterung; diese waren nach Norden offen, sehr flach und eigentlich nichts anderes als schattige Plätze. Andere, für kaltes Wetter bestimmt, waren tiefer ausgehöhlt und der Sonne ausgesetzt, eine dritte Gruppe endlich sollte bei feuchter Witterung Schutz gewähren; diese waren von dichterem Zweigwerk überdacht und gingen nach Westen. In einer von diesen Lagerstätten brachte er den Tag zu, nachts ging er mit anderen seiner Art zur Weide, und bei Mondschein konnte man sie wie junge Hunde laufen und tollen sehen; aber vor Sonnenaufgang waren sie regelmäßig verschwunden und saßen geborgen in ihrem je nach der Witterung gewählten Lager.

Am sichersten war es für die Hasen um die Farmen herum, wo nicht nur Dornhecken, sondern auch der neueingeführte Stacheldraht etwaige Feinde in der Verfolgung hemmte. Aber das feinste Futter findet sich näher am Ort, in den Gemüsegärten – das feinste Futter und die schlimmsten Gefahren. Wohl fehlten da zum Teil die Fährlichkeiten der offenen Prärie, aber dafür boten Menschen, Gewehre, Hunde und feste Zäune um so größere Gefahren. Wer aber den Springer genau kannte, der wunderte sich nicht, daß unser Held sich ein Lager mitten im Melonenbeet eines Gemüsegärtners bereitet hatte. Dutzende von Gefahren bedrohten ihn hier, aber es lockten ihn auch Dutzende von Genüssen und Dutzende von Zaunlöchern, wenn es galt, das Hasenpanier zu ergreifen, und an zahllosen Mitteln und Kniffen zur weiteren Flucht fehlte es ihm nicht.

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III.

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Neuhaus war das Muster einer Ortschaft des Westens. Alles legte in ihr Zeugnis ab von dem lebhaften, äußerst erfolgreichen Streben nach Verhäßlichung. Die Straßen verliefen schnurgerade ohne jede Abwechslung, in endloser Langweiligkeit, die Häuser waren von der billigsten Mache aus schlechten Brettern und Teerpappe und nicht einmal aufrichtig in ihrer Häßlichkeit, denn jedes wollte etwas Besseres vorstellen, als es in Wirklichkeit war. Dieses hatte eine falsche Vorderseite, um den Anschein zu erwecken, als sei es zweistöckig; jenes zeigte eine Nachahmung von Backsteinen, ein drittes stellte sich gar als Marmortempel vor.

Aber eins wie das andere war die häßlichste Behausung, die man sich denken konnte, und jedes sah aus, als habe sein Besitzer insgeheim den Gedanken: »'s kann nichts helfen, jetzt muß ich's aushalten; aber sobald ich irgend kann, ziehe ich sonstwohin.« Das einzig Schöne am Orte waren die langen Reihen gepflanzter, schattenspendender Bäume, die zwar auch durch Anstreichen ihrer Stämme und Beschneiden der Kronen möglichst verunziert, aber doch etwas Liebliches, Wachsendes, Lebendiges waren.

Das einzige Gebäude am Ort, das eine Spur von Malerischem an sich hatte, war der riesige Getreidespeicher. Der wollte keinen griechischen Tempel, kein Schweizerhaus oder sonst was vortäuschen, sondern wollte nichts sein als schlecht und recht ein Getreidespeicher. Am Ende jeder Straße hatte man eine Aussicht auf die Prärie mit ihren Farmhäusern, Windmühlen und langen Osagenhecken. Hier gab es wenigstens etwas Anziehendes; die graugrünen Hecken, dicht, üppig und hoch, waren mit ihren goldenen Scheinorangen übersät, die zwar als Frucht unnütz, aber doch hier willkommener waren als Regen in der Wüste; denn diese Bälle sahen wirklich schön aus und ergötzten die Augen, wenn sie, an den langen, zähen Zweigen schwingend, sich von dem sanften Grün der Blätter abhoben.

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Der Reisende, der sich gegen Ende des Winters in diesen Ort verirrt hatte, wußte nicht, wie er die zwei Tage seines Verweilens totschlagen sollte, die Sehenswürdigkeiten des Ortes, die man ihm weisen wollte, eine ausgestopfte, weiße Bisamratte, der alte Wiggins, der vor vierzig Jahren von den Indianern skalpiert worden war, und eine Pfeife, die einst der berühmte Indianerhäuptling Büffelherz geraucht hatte, konnten ihn nicht reizen; so wendete er sich der Prärie zu, die noch eine Schneehülle trug.

Es fiel ihm zwischen den zahlreichen Hundespuren eine Fährte auf, es war die eines großen Hasen. Er fragte daher den nächsten, den er traf, ob sich denn Hasen im Ort aufhielten, und bekam die Antwort, es habe ein einziger sein Nest in Paddocks Melonenbeet; das war natürlich unser kleiner Springer selbst. Als dieser den nach seinem Nest gewiesenen Fremden auf sich zukommen sah, sprang er aus und rannte spornstreichs nach Osten in die Prärie hinaus.

Ein verfolgter Hase macht gewöhnlich Sätze von zweieinhalb Meter oder noch darüber, und unter fünf oder sechs Sprüngen macht er einen Spähersatz, nicht nach vorn, sondern hoch in die Luft, um über dem Kräutig und Gebüsch sich über die Sachlage zu unterrichten. Bei einem unerfahrenen Häschen ist jeder vierte Sprung ein solcher Spähersatz, bei einem erfahrenen Hasen erst der achte oder neunte, bei unserem Springer gar erst der zwölfte, und jeder von den elf vorhergehenden Sprüngen brachte ihn drei bis vier Meter vorwärts. Auch noch eine andere Eigenart besaß unser Held; sein schwarzes, für einen Hasen ungewöhnlich langes Schwänzchen hielt er beim Springen gerade nach unten, so daß er einen langen Strich im Schnee machte, der allein fast genügte, seine Spur wiederzuerkennen.

Nun hätten sich manche Hasen beim Anblick eines Mannes ohne Hunde kaum gefürchtet, aber unser Springer, der noch einige von einem ferntragenden Gewehr herrührende Erlebnisse im Gedächtnis hatte, sprang auf, als der Feind noch fünfundsiebzig Meter entfernt war, und niedrig hinstreichend lief er in südöstlicher Richtung zu einem ostwärts verlaufenden Zaun. Dahinter bewegte er sich wie ein tief fliegender Habicht vorwärts, bis er nach zweitausend Metern zu einer zweiten Lagerstätte kam, und hier machte er nach einer Umschau, die er, auf den Zehen stehend, hielt, von neuem Rast.

Aber nicht lange. Nach zwanzig Minuten fingen seine großen Schalltrichter, die dem Boden so nahe waren, einen regelmäßigen Ton, trapp, trapp, trapp, den Tritt eines menschlichen Fußes, auf. Da sprang er wieder empor und erblickte den Mann mit dem schimmernden Stock in der Hand jetzt ziemlich nah.

Springer fuhr auf zum Zaun hin. Nicht einmal wagte er einen Spähersatz, bis der Draht zwischen ihm und dem Feinde war, eine unnötige Vorsicht, denn der Mann achtete auf die Spur, sah aber vom Hasen selbst nichts.

Möglichst niedrig strich der Hase dahin und schaute sich nur von Zeit zu Zeit nach anderen Feinden um. Er wußte nun, daß der Mann seiner Fährte folgte, und ein tief eingepflanzter Trieb veranlaßte ihn, eine Doppelfährte anzulegen. Er lief langhin geradeaus zu einem fernen Zaun, folgte ihm fünfzig Meter, kehrte dann auf der eigenen Spur zurück und lief nun in einer neuen Richtung davon bis zu einem andern von seinen Nestern. Da er die ganze Nacht wie gewöhnlich geweidet hatte, hätte er jetzt, wo die Sonne auf den Schnee brannte, gar gern geruht, aber kaum wurde es warm unter ihm, so hörte er von neuem Schritte nahen und eilte davon.

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Nach einigen hundert Metern hielt er auf einer kleinen Erhebung an und sah, daß ihm der Mann noch immer folgte. So sprang er eine Weile im Zickzack hin und her, daß seine Fährte ein ganz unentwirrbares Labyrinth bildete und den meisten Verfolgern ein unlösbares Rätsel aufgegeben hätte. Sodann rannte er hundert Meter an einem Lieblingslager vorüber, kehrte zu ihm von der andern Seite zurück und ließ sich nun zum Rasten nieder, in der Überzeugung, der Feind müsse jetzt endlich die Witterung verloren haben.

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Es dauerte diesmal in der Tat länger als die vorigen Male, aber schließlich hörte er doch wieder das Trapp, Trapp, Trapp.

Der Springer erwachte, blieb aber noch sitzen. Der Mann schritt vorbei auf der hundert Meter weiter geradeaus verlaufenden Spur, und während er dieser folgte, erhob sich der Hase unbemerkt. Es war ihm jetzt klar, in diesem ganz ungewöhnlichen Falle galt es, ein besonderes Mittel anzuwenden. In einem weiten Kreise hatte sich die Jagd um den Bezirk des Springers herumbewegt, und nun befanden sie sich keinen Kilometer mehr von der Farm mit dem schwarzen Hund entfernt, wo damals sein Abenteuer mit dem Windhund so glücklich abgelaufen war. Dorthin sprang jetzt der Hase in weiten Sätzen offen über den Schnee.

Aber das Hühnerloch, das der Springer von früher her noch gut kannte, war geschlossen, und betroffen hüpfte unser Held herum, ein anderes Loch zu suchen; doch ohne Erfolg, bis er zum Eingangstor kam. Dieses stand weit offen, und innen lag auf ein paar Brettern der große Hund in festem Schlaf.

Still hüpfte der Springer in den Hof, und das Glück wollte, daß die sonstigen Hoftiere nicht anwesend waren. So konnte er sich unbemerkt und, da hier und in nächster Umgebung des Zaunes der Schnee entfernt war, ohne eine Spur zu hinterlassen, entfernen. Nicht lange darauf kam der Mann in den Hof, und da die Fährte hier aufzuhören schien, so gab er die Verfolgung auf, und der Springer war für diesmal gerettet, mag es nun sein, daß er absichtlich oder unabsichtlich seinen Feind auf diese Weise irregeführt hatte.

Am nächsten Tage machte sich der Fremde wieder auf, den großen Hasen zu suchen, und fand zwar nicht ihn selbst, aber seine Spur, die er an der Schwanzfurche, den langen Sprüngen und den seltenen Spähersätzen erkannte. Aber fortlaufend fand sich neben und bei ihr die Spur eines kleineren Hasen, hier hatten sie sich getroffen, hier jagten sie sich offenbar spielend, denn von irgendwelchem Kampf fand sich keine Spur, hier weideten sie zusammen oder saßen nebeneinander in der Sonne, hier humpelten sie einer neben dem andern, und hier hatten sie wieder miteinander gespielt. Es blieb nur ein Schluß übrig: es war jetzt die Paarungszeit, und so mußte das auch ein Pärchen sein – der kleine Springer und seine Erkorene.

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IV.

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Im nächsten Sommer war für die Hasen eine wundervolle Zeit. Törichterweise hatte man ein Gesetz gegeben, wonach für Habichte und Eulen Schießgelder gezahlt wurden. Infolgedessen wurde unter diesen Schutzleuten im Federkleide furchtbar aufgeräumt, und die Hasen hatten sich, von ihren schlimmsten Feinden befreit, so stark vermehrt, daß sie den Farmern empfindlichen Schaden taten.

Man beschloß daher, eine große Treibjagd abzuhalten. Die ganze Einwohnerschaft des Kreises wurde aufgefordert, sich an einem bestimmten Morgen auf der Hauptstraße im Norden einzustellen, von dort wollte man dann die ganze Gegend dem Wind entgegen abklopfen, um schließlich die Hasen in einen ausgedehnten, von dichtmaschigem Drahtnetz eingehegten Raum, einen Corral, zu treiben, von Hunden und von Flinten sollte abgesehen werden, aber jeder Mann und jeder Knabe hatte zwei lange Stöcke und einen Sack voll Steine mitzubringen. Auf Pferden und in Einspännern stellten sich auch viele Frauen ein, meist mit Rasseln und Hörnern und Zinngefäßen bewaffnet. Auch hing an vielen dieser Einspänner eine Schnur mit alten Konservenbüchsen, die gegen die Radspeichen schlugen und so nicht wenig zu dem Lärm Treibens beitrugen. Da die Hasen ein ungewöhnlich scharfes Gehör haben, so kann man sich denken, daß ein Geräusch, das schon auf Menschenohren so stark wirkt, die Hasen verwirren muß.

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Das Wetter war gut, und um acht Uhr morgens wurde das Zeichen zum Vorrücken gegeben. Die Treiberlinie war etwa acht Kilometer lang, und der Zwischenraum zwischen zwei Treibern betrug ungefähr zehn Meter. Die Einspänner und die Reiter bewegten sich meist im schnellsten Zeitmaß auf den Straßen fort, aber für die eigentlichen Treiber war es Ehrensache, sich durch kein Hemmnis von ihrem Wege abbringen zu lassen, sondern lückenlos vorzudringen. Die Treiberkette nahm im großen und ganzen drei Seiten eines Vierecks ein. Jeder machte so viel Lärm, wie er nur konnte, und klopfte auf jeden Busch, den er traf. Eine Anzahl Hasen sprangen auf. Einige wandten sich gegen die Treiberkette, die sie sofort mit einem Hagel von Steinen begrüßte, der viele zur Strecke brachte. Ein paar brachen durch und kamen davon, die meisten nahmen aber vor der lärmenden Menschenkette Reißaus. Zuerst waren nicht viele zu sehen, aber noch ehe fünf Kilometer zurückgelegt waren, liefen Hasen über Hasen in jeder Richtung vor den Treibern her. Nach acht Kilometern, die aber etwa drei Stunden beanspruchten, wurde das Zeichen zum Einschwenken für die Flügel gegeben. Der Raum zwischen je zwei Treibern verringerte sich bis auf drei Meter, und das ganze Treiben richtete sich auf den Corral zu, als gemeinsamen Mittelpunkt, mit seinen langen Drahtnetzflügeln; an diese Flügel schlossen sich die Enden der Treiberkette, und damit waren die Hasen gefangen. Jetzt rückten die Treiber im Eilmarsch vor, und die Hasen fielen zu Dutzenden, wenn sie der Linie zu nahe kamen. Der Boden war von ihnen besät; dennoch schien ihre Zahl immer noch zu wachsen, und bei der letzten Einschwenkung, welche die Vierfüßler unrettbar in den Corral drängte, füllte den umschlossenen Kaum ein wirrer Knäuel drängender, hüpfender und springender Tiere. Immer im Kreise herum liefen sie, hastig nach einem Ausweg suchend, aber die unerbittliche Treiberschar verdichtete sich, und der Ring verengte sich immer mehr, so daß der ganze, große Haufe in den Corral gedrängt wurde, hier saßen manche stumpfsinnig und regungslos in der Mitte, manche rannten wie toll an der Umzäunung entlang, wieder andere suchten sich in Winkeln oder auch untereinander zu verstecken.

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Und der kleine Springer? Wo blieb er bei diesem Wirrwarr? Das Treiben hatte ihn mitgerissen, und er war einer der ersten im Corral. Es fand übrigens in merkwürdiger Weise hier eine Auslese statt. Das Gefängnis sollte für die Hasen eine Stätte des Todes sein, mit Ausnahme der besten und gesündesten. Und es waren viele nicht gesunde darunter; wer da meint, wilde Tiere seien körperlich vollkommen, der würde entsetzt gewesen sein beim Anblick der vielen lahmen, verkrüppelten und kranken Tiere unter den vier- oder fünftausend Eingeschlossenen. Es war wie bei einem römischen Siege. Die große Masse der Gefangenen sollte über die Klinge springen, und die besten für die Arena übrig bleiben. Für die Arena? Gewiß, d. h. für den Rennpark.

In dem für die Hasen angelegten Corral hatte man eine Reihe kleiner Kästen am Zaun entlang angelegt, es waren ihrer mindestens fünfhundert, und jeder so groß, daß ein Hase darin Platz hatte.

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Bei der letzten Treiberschwenkung kamen die schnellsten Hasen zuerst in den umzäunten Raum. Manche waren schnell und unbesonnen; wenn sie einmal drin waren, rannten sie sinnlos immer wieder rundum. Andere waren schnell und schlau; sie suchten sofort die in den kleinen Kästen sich bietende Deckung auf, bis diese schließlich alle besetzt waren. So waren. fünfhundert der schnellsten und klügsten Hasen auf die einfachste Weise ausgesucht. Diese fünfhundert waren dazu bestimmt, von Windhunden bei einem Schaurennen gehetzt zu werden, während die ganze übrige Menge von mehr als viertausend erbarmungslos hingeschlachtet wurde.

Fünfhundert Kisten mit fünfhundert helläugigen Hasen wurden an dem Tage zur Bahn gebracht, und darunter auch der kleine Springer.

V.

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Hasen nehmen ihre Gefangenschaft nicht schwer, und man darf nicht glauben, daß die Tiere in den Käfigen sehr erschreckt waren, als erst das Getümmel des Treibens und des Massenmordes vorüber war. Sobald man sie dann zum Rennpark bei der großen Stadt befördert und nacheinander vorsichtig ins Freie gesetzt hatte, fühlten sie sich ganz wohl, da sie sich in einer geräumigen Umzäunung befanden, an gutem Futter kein Mangel war und kein Feind ihnen das Leben sauer machte.

Gleich am nächsten Morgen fing das Einüben an. Eine Reihe von Heckenwegen wurde geöffnet, die zu einem erweiterten Räume, dem Park, führten. Sobald eine Anzahl Hasen durch diese Öffnungen ausgewandert waren, erschien ein Haufen Jungen und trieb sie mit lautem Geschrei zurück, bis sie sämtlich wieder in dem kleineren Räume, dem Hafen, gelandet waren. Nach mehrmaliger Wiederholung dieser Übung wußten die Hasen, daß sie sich vor ihren Verfolgern durch eiligen Rückzug auf einem der Heckenwege in ihren Hafen retten konnten.

Nun fing die zweite Lehrstunde an. Die ganze Schar wurde aus einer Seitenöffnung in eine lange Allee getrieben, die an drei Seiten des Parkes entlang zu einer anderen Umzäunung am jenseitigen Ende des Parkes – dem Ausgangspunkt beim Rennen – führte. Die Pforte dieser Umzäunung zur Arena, d. h. dem Parke zu, wurde geöffnet, und dann brach eine Meute von Hunden und Jungen johlend und bellend auf die erschreckten Tiere los und trieb sie durch den offenen Park zurück. Das ganze Heer jagte hüpfend und springend davon, die Jüngeren hin und wieder gewohnheitsmäßig einen Spähersatz wagend, aber niedrig dahinsausend, an ihrer Spitze ein mächtiger Schwarzweißer. Mit seinen sauberen Gliedern und hellen Augen hatte er schon im Käfig die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und jetzt im Freien führte er die Genossen, mit leichtem Schwung behend voraneilend, als sie vor der Schar gewöhnlicher Hunde flüchteten.

»Seht mal den, seht nur – ist das nicht ein kleiner Springer?« rief ein Zuschauer, und so erhielt er seinen Namen. Als die Hasen die Hälfte des Parkes hinter sich hatten, kam ihnen der Hafen in den Sinn, und alle wandten sich ihm zu und fielen in ihn ein wie Schneeflocken vor dem treibenden Winde.

Das war also die zweite Übung, die sie lehren sollte, sich sofort dem Hafen zuzuwenden, sobald sie die zweite Umzäunung verließen. Nach einer Woche hatten es alle gelernt und waren nun so weit, daß sie an dem großen Schaurennen teilnehmen konnten.

Der kleine Springer war jetzt den Besuchern wohlbekannt; schon seine helle Färbung machte ihn kenntlich, und seine Führerschaft im Heere der Langohren war unbestritten. Bei den landesüblichen Wetten nahm er immer mehr einen hervorragenden Platz ein, und die Zahl derer wuchs von Tag zu Tag mehr, die unsern Helden für einen wunderbaren Renner hielten, der voraussichtlich auch bei Verfolgung durch die besten Windhunde das seltsame Schauspiel eines ununterbrochenen Rennens vom Ausgangspunkt bis zum Hafen bieten würde.

VI.

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Klar und verheißungsvoll brach der Morgen des Renntages an. Auf der großen Zuschauertribüne drängte sich das Stadtvolk, und es entwickelte sich das gewöhnliche Treiben eines Renntages, hier und da tauchten Hundewärter auf, mit einzelnen Windhunden oder Paaren in der Koppel, die, obwohl in Decken gehüllt, doch ihre sehnigen Beine, ihre schlangenartigen Hälse und ihre feinmodellierten Köpfe mit den langen, kriechtierartigen Schnauzen und den schnellen, empfindsamen Augen sehen ließen – Doppelwesen mit natürlicher Kraft und Menschenwitz, die wunderbarsten Laufmaschinen aus Fleisch und Blut, die man je gesehen hat. Die Wärter hüteten sie wie Kleinode, pflegten sie wie kleine Kinder und suchten sie sorgsam am Aufnehmen von irgendwelchen eßbaren Gegenständen oder am Beriechen ungewöhnlicher Stoffe zu hindern, wie auch Fremde von ihnen fernzuhalten. Große Summen waren auf diese Hunde gewettet, und ein schlau gelegter Köder, ein Stück besonders zubereitetes Fleisch, ja ein klüglichst zusammengebrauter Geruch hatte schon manchmal einen prächtigen, jungen Renner in eine unbewegliche Bildsäule verwandelt, was für den Besitzer einen unersetzlichen Verlust bedeuten kann. Die einander etwa ebenbürtigen, d. h. ungefähr gleich schnellen Hunde sind abgepaart, da jeder Wettlauf ein Zweikampf sein soll; die Sieger werden dann immer wieder paarweise zusammengereiht. Bei jeder Probe wird ein Hase vom Ausgangspunkt losgelassen, und dicht dabei sind die beiden Hundenebenbuhler in einer Koppel, die der Wärter hält. Sobald der Hase ein gut Stück voraus ist, hat der Mann dafür zu sorgen, daß beide Hunde zu gleicher Zeit hinter dem Hasen herrennen, vorn in der Hütte des offenen Platzes im Park hat der Schiedsrichter in seinem Scharlachkleide seinen Platz, von dem aus er der Jagd am besten folgen kann.

Der Hase eilt über den offenen Platz dem Hafen zu, und die Hunde folgen ihm. Sobald der vorderste dem Hasen so nahe kommt, daß Freund Lampe sich bedroht fühlt, schlägt dieser einen Haken. Jede Wendung, die der Hase so macht, zählt für den betreffenden Hund als ein Punkt, und das Erbeißen des Hasen gilt schließlich auch noch als ein Punkt.

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Manchmal wird der Flüchtling nach den ersten hundert Metern eingeholt und totgebissen – das bedeutet einen ärmlichen Hasen; meist kommt es erst später, in der Mitte der Laufbahn, gerade vor der großen Tribüne, dazu, und in seltenen Fällen geschieht es, daß der Hase gute achthundert Meter quer über den offenen Platz läuft und durch rechtzeitiges Wenden sich in den Hafen retten kann, viererlei Ausgänge des Rennens sind möglich: schleuniges Einholen; schnelle, rettende Flucht bis in den Hafen; das Einstellen neuer Hunde zur Ablösung des ersten Paares, das bei der furchtbaren Anstrengung durch ihre stürmische Eile von einem Herzschlag bedroht ist, wenn der rasende Lauf bei heißem Wetter viele Minuten lang dauert; endlich wird für Hasen, die durch beständiges Zickzacklaufen die Hunde narren und hinhalten, ohne doch den Hafen gewinnen zu können, eine Schrotladung bereitgehalten.

Jockeikniffe spielen bei einem Hunde-Hasen-Wettlauf eine ebenso große Rolle wie bei einem Pferde-Wettrennen, und es ist ebenso notwendig, daß der Schiedsrichter und der Starter, d. h. derjenige, der die Tiere vom Ausgangspunkt laufen läßt, über jeden Argwohn erhaben sind.

Am Tage vor dem nächsten Hunde-Wettlauf traf ein reicher Mann »zufällig« einen der Jockeis, namens Doo, einen Irländer, also einen »Mickey« (Michael). Dem Anschein nach gab einer dem andern nur eine Zigarre, aber sie war in gestempeltes Papier gewickelt, das »Mickey« vorm Anzünden sorgfältig abwickelte. Dann sagte der Zigarrenspender:

»Wenn Sie morgen Starter wären, und 's käme so, daß Dignams Minki gewinnt, gut – dann kriegen Sie noch 'ne Zigarre.«

»Spaß; und wenn ich Starrter wärr', ich könnt's machen, daß Minki auch keinen Punkt kriegte, aber ihr Parrtner würrde dasselbe Pech haben.«

»So?« Der Mann, der eine Diamantnadel und diamantene Stulpenknöpfe trug, sah nachdenklich vor sich hin. »Schon gut – machen Sie's so; dann gibt's zwei Zigarren.«

Starter Slyman waltete schon lange seines Amtes. Die meisten hatten Vertrauen zu ihm, es gab aber auch Unzufriedene, und als ein reicher und angesehener Mann vortrat und schwere Beschuldigungen gegen ihn vorbrachte, konnte man nicht gut anders, als den bewährten Starter, bis die Beschwerden untersucht seien, vorläufig seines Amtes entheben. So hatte Mickey Doo an seine Stelle zu treten.

Mickey war arm und nicht übermäßig gewissenhaft. hier bot sich Gelegenheit, in einer Minute einen Jahreslohn zu verdienen, da war nichts Unrechtes dabei (meinte Mickey), und es könne auch (meinte Mickey) weder dem Hund noch dem Hasen etwas schaden. Ein Hase sieht nicht viel anders als ein anderer aus, das weiß jeder; es kam also nur darauf an, den richtigen Hasen auszusuchen.

Nun war das Rennen soweit vorgeschritten. Fünfzig Hasen waren gelaufen und hatten sich den Tod erlaufen. Mickey hatte seines Amtes untadelig gewaltet; jede Koppel hatte er regelrecht vom Start gelassen. Jetzt kam der Entscheidungslauf um den Becher – den Becher und mächtige Einsätze.

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VII.

Da standen die schmächtigen, feinen Tiere und warteten mit Ungeduld, bis sie an die Reihe kämen. Minki und ihr Partner waren die ersten. Bisher war alles mit rechten Dingen zugegangen, und wer kann sagen, daß das nun nicht mehr der Fall war? Mickey konnte nach seinem Belieben denjenigen Hasen laufen lassen, den er wollte.

»Nummer drei!« rief er seinem Kollegen zu.

Und heraus hüpfte der kleine Springer – mit seinen großen, schwarzweißen Ohren, mit leichten, anderthalb Meter langen Sätzen, und indem er verwundert die große Menge Menschen ringsherum anstarrte, machte er einen erstaunlich hohen Spähersatz.

»Hrrrrr!« machte der Starter und sein Kollege ließ einen Stock auf dem Bretterzaun tanzen, worauf die Sätze des Springers zweieinhalb Meter und noch länger wurden.

»Hrrrrr!« und sie wurden drei bis dreieinhalb Meter lang. Nach dreißig Metern ließ man die Hunde los; es war ein unparteiischer Start, manche meinten allerdings, zwanzig Meter hätten es auch getan.

»Hrrrrr! Hrrrrr!« und der Springer flog in vier Meter langen Sprüngen davon, ohne einen einzigen Spähersatz zu machen.

»Hrrrrr!« prachtvolle Hunde! Wie sie flogen, aber vor ihnen segelte wie ein weißer Sturmvogel oder eine eilende Wolke der Springer. Fort, bei der großen Tribüne vorüber. Und die Hunde – machten sie den Vorsprung des Hasen wett? Nein, nicht geringer, sondern größer wurde der Abstand. In kürzerer Zeit, als man braucht, um es zu erzählen, war die schwarzweiße Distelflocke durch den Eingang im Hafen verschwunden, und vom Hohngelächter der Menge und mit Hurrarufen für den kleinen Springer wurden die Windhunde begrüßt.

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Am nächsten Morgen konnte man in allen Zeitungen lesen: » Wunderbare Leistung eines Hasen. Der kleine Springer, wie man ihn nennt, hat zwei der bewährtesten Hunde auf der Rennbahn geschlagen«, usf.

Unter den Hundeliebhabern herrschte große Aufregung. So sehr war noch keiner von den beiden unglücklichen Wettläufern abgefallen; man gestattete Minki und ihrem Nebenbuhler noch einen Start, aber die ersten achthundert Meter waren zu heiß für sie gewesen; der Becher schien sie nicht mehr zu reizen.

Mickey traf am nächsten Tage den Mann mit den Diamanten »zufällig«.

»Zigarre gefällig, Mickey?«

»Ja, warrum nich'? Spaß; sie sein fein, ich nehme auch zwei – dank' schön.«

VIII.

Von da an war der kleine Springer Mickeys Stolz. Starter Slyman war mit Ehren in seinen früheren Stand eingesetzt und Mickey wieder zum Hasenstarter erniedrigt worden, aber das diente nur noch mehr dazu, seine Vorliebe den Hunden zu entziehen und den Hasen oder vielmehr dem kleinen Springer zuzuwenden, denn von all den fünfhundert, die man gefangen, hatte er allein Ruhm gewonnen. Einigen war es wohl geglückt, durch den Park zum Hafen zu gelangen, so daß sie noch einmal den wettlaufenden Hunden als Ziel dienen konnten, aber er allein hatte die Strecke zurückgelegt, ohne auch nur einmal einen Haken zu schlagen.

Zweimal in der Woche fand der Hundewettlauf statt, vierzig bis fünfzig Hasen mußten jedesmal daran glauben, und die fünfhundert in der Umzäunung waren fast sämtlich ein Opfer der Arena geworden.

Der Springer war jedesmal gelaufen und hatte jedesmal den Hafen erreicht. Mickey war ganz begeistert von den Fähigkeiten seines Lieblings. Er empfand wirklich eine Zuneigung zu dem ebenmäßigen Renner und behauptete aller Welt gegenüber steif und fest, es sei tatsächlich eine Ehre für einen Hund, von solchem Hasen besiegt zu werden.

Es kommt so selten vor, daß ein Hase die ganze Laufbahn durchmessen kann, daß die Zeitungen, als unser Held zum sechsten Male das rettende Ziel erreichte, darüber berichteten, und nach jedem Wettlauf konnte man lesen: »Der kleine Springer hat diesmal wieder die ganze Strecke durchlaufen; die alten Leute wollen darin einen Beweis von dem Rückgang der Hundezucht erblicken.«

Nach dem sechsten Male gerieten die Hasenwärter außer sich, und Mickeys, ihres kommandierenden Generals, Bewunderung war grenzenlos.

»Kerrls,« rief er, »derr verdient's frreizukommen. Er hat sich die Freiheit so gut verdient, wie jeder Amerikaner.« Das letzte fügte er schlau mit Rücksicht auf den Rennbahnpächter bei, einen Bürger der Vereinigten Staaten, d. h. einen »Amerikaner« im engeren Sinne, der der wahre Eigentümer der Hasen war.

»Schon gut, Mick; kommt er dreizehnmal durch, so kannst du ihn in seine Heimat zurückbringen,« war die Antwort.

»Woll'n Se'n nich' lieber gleich frreigeben?«

»Nein, nein, ich brauche ihn, um zu zeigen, welche von den neuen Hunden keinen Schneid haben.«

»Drreizehnmal, und err ist frei; das ist'n Worrt.«

Um diese Zeit kam eine neue Ladung Hasen an, und einer darunter hatte eine ganz ähnliche Färbung wie der kleine Springer. Er war nicht so schnell wie jener, aber um Verwechslungen vorzubeugen, trieb Mickey seinen Liebling in einen gepolsterten Versandkasten und machte ihm mit einem scharfen Locheisen ein Sternmal durch den dünnen Ohrlappen, wobei er ausrief: »Spaß, un' ich mach' d'r jedesmal 'n Stern, wenn de durchkommst.« So stach er sechs Sterne in einer Reihe. Da sagte er: »Nu aber, Springer, bist du 'n freier Hase, wenn de deine drreizehn Sterrne hast, ganz wie se unsrre Fahne hatte, wie w'r frrei wurrden.«

Binnen einer Woche hatte der Springer die neuen Windhunde in Staub und Schande gebracht und besaß so viel Sterne, daß das andere Ohr schon herhalten mußte. Noch eine Woche, und die dreizehn Sterne waren voll, sechs saßen im linken und sieben im rechten Ohrzipfel, und die Zeitungen hatten wieder etwas vom Springer zu berichten.

»Hurra!« schrie Mickey voll Begeisterung. »Und nu bist de ein frreier Hase, Sprringer! Drreizehn hat mirr immer Glück gebracht. Ich wußt' schon, 's konnte nich' fehlen.«

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IX.

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»Ja, ich habe eingewilligt,« sagte der Pächter. »Aber einmal muß er mir noch laufen. Ich habe eine Wette auf ihn gegen einen neuen Hund hier. Es wird ihm nichts schaden, er bringt's schon fertig. O freilich! höre, Mickey, werde mir nicht aufsässig! Noch einen Lauf heute nachmittag! Hunde rennen auch an einem Tage zweimal oder dreimal, warum nicht auch der Hase?«

Viele neue Hasen waren inzwischen der Umzäunung einverleibt worden, große und kleine, friedfertige und kriegerische – und darunter befand sich auch ein besonders rauflustiger Kämpe. Als dieser am Morgen den Springer in den Hafen schießen sah, nahm er sofort die günstige Gelegenheit wahr und griff ihn an.

Zu jeder andern Zeit wäre ihm der Springer auf die Krone gestiegen, wie er es mit dem Kater getan hatte, und hätte die Sache im Augenblick abgemacht; aber jetzt dauerte es ein paar Minuten, bis er mit dem Unverschämten fertig wurde, und dabei hatte er selbst ein paar Quetschungen und Beulen davongetragen, die zwar nichts Ernstliches zu bedeuten hatten, aber doch am Nachmittag seine Schnelligkeit beeinträchtigten.

Im Anfang verlief der Wettlauf wie gewöhnlich. Der Springer flog wie auf Fittichen des Windes niedrig und leicht dahin, die Ohrenstandarten ragten hoch, und die Luft pfiff durch die dreizehn Ohrsterne.

Minki und Fango, der neue Hund, setzten hinterdrein, aber zur Überraschung der Starter verringerte sich der Vorsprung. Der Springer kam in Gefahr; gerade vor der großen Tribüne zwang ihn Minki zu einem Haken, und die Hundefreunde brachen in ein lautes Hurra für Minki aus. Fünfzig Meter weiter gewann Fango einen Punkt, und nun ging die Jagd genau zum Ausgangspunkt zurück. Dort standen Slyman und Mickey. Der Hase machte Winkel, die Windhunde stürzten immer wieder auf ihn los, der Hase konnte ihnen nicht mehr entgehen, und gerade als der allerletzte Akt bevorzustehen schien, sprang unser kleiner Held unmittelbar auf Minkey zu und war im Augenblick von den Armen seines Freundes umschlossen, der zugleich mit seinen Beinen energisch um sich stieß, um sich die wütenden Hunde vom Leibe zu halten. Es ist nicht wahrscheinlich, daß der Springer Mickey als seinen Freund kannte; er folgte wohl nur seinem Naturtrieb, der ihn lehrte, vor dem sicheren Feinde Zuflucht bei einem neutralen Dritten zu suchen, der sich vielleicht als Freund erweisen konnte. Das Glück wollte es, daß sein Sprung ihm Rettung brachte. Als Mickey mit seinem Liebling zurückeilte, erhob sich in den Bänken der Zuschauer ein Beifallsgeschrei. Aber die Hundebesitzer erhoben Einspruch, das sei kein unparteiischer Wettlauf – er müsse regelrecht durchgeführt werden. Sie wandten sich an den Pächter, der selbst auf den Springer gegen Fango gewettet hatte. Dieser ordnete darauf notgedrungen einen neuen Wettlauf an.

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Eine Stunde Rast war alles, was Mickey für seinen Hasen erlangen konnte. Dann ging die Jagd von neuem los: der Hase voraus und Fango und Minki hintendrein. Er schien jetzt etwas weniger steif und rannte mehr nach alter Weise; aber kurz hinter der Tribüne brachte ihn Fango zum Wenden, dann wieder Minki, und er ging rückwärts und seitlich und hierhin und dahin mit tollen Sätzen und nur mit Mühe den Feinden entgehend. Das aufregende Spiel dauerte ein paar Minuten, und Mickey konnte sehen, daß der Hase seine Ohren sinken ließ. Der neue Hund machte einen Sprung, der Hase wandte sich fast unter ihm zur Seite, stieß aber dabei auf den zweiten Hund, und nun lagen seine beiden Ohren auf dem Rücken. Aber auch die Hunde litten schwer. Ihre Zungen hingen lang heraus, ihre Kiefer und fliegenden Flanken waren mit Schaum bedeckt. Da hoben sich wieder die Hasenohren, es war, als verleihe ihrem Träger die sichtbare Not der Feinde neuen Mut. Geradeswegs jagte er auf den Hafen zu, aber das war gerade, was die Hunde am liebsten sahen und selbst auch noch am besten konnten. Nach hundert Metern mußte er wieder wenden, und der alte, verzweifelte Zickzack begann von neuem.

Dann fürchteten die Hundebesitzer für ihre gänzlich erschöpften Tiere, und es wurden zwei neue, frische Hunde losgelassen. Die konnten doch sicher die Sache zu Ende bringen. Aber nein, sie vermochten es nicht. Gerade war der Hase wieder einmal, dem erschöpften ersten Paar entgehend, nahe bis zum Hafen gekommen, als das zweite paar zur Stelle eilte. Nur schnelles Wenden konnte hier retten. Springers Ohren legten sich, sein Herz pochte gegen die Rippen, aber noch dachte er nicht an Ergebung. Im wildesten Zickzack flog er dahin, daß die Hunde gegen- und übereinander stolperten. Wer weiß, wie oft sie dachten, sie hätten ihn; einer schnappte ihm ein Stück von seiner langen, schwarzen Schwanzspitze ab, aber er entkam doch, zum Hafen freilich konnte er nicht mehr gelangen. Das Glück war gegen ihn. Er kam jetzt wieder näher an die Tribüne heran, von wo tausend Damenaugen seinem tapferen Ringen folgten.

Die vorgeschriebene Zeit war inzwischen abgelaufen und auch das zweite Hundepaar schon abgehetzt. Da kam Mickey, wie toll schreiend, herbeigerannt, ergoß eine ganze Flut der urkräftigsten Schimpfwörter, die die englisch-irische Mundart so reichlich besitzt, über die Hunde und wollte sich offenbar an ihnen vergreifen.

Beamte eilten herbei, und Mickey, der Pest und Hölle auf Mann und Hund herabwünschte, wurde von dem Schauplatz seiner Tätigkeit entfernt. Das letzte, was sein Auge sah, waren die vier schaumbedeckten Hunde, die mühsam hinter dem abgehetzten Hasen herkrochen, und der Schiedsrichter auf seinem Pferde, der dem Manne mit der Flinte einen Wink gab.

Das Tor schloß sich hinter Mickey, er hörte ein Bang-Bang, einen Stimmenlärm, in den sich Hundegebell mischte, und wußte, daß der arme, kleine Springer durch Schrot Nummer 4 sein sprungreiches Leben enden mußte.

Sein Lebtag hatte er Hunde gern gehabt, aber das war kein ehrliches Spiel mehr, da hörte doch alles auf. Er konnte zur Rennbahn nicht hinein, konnte auch von dem Platze, wo er sich befand, nichts sehen. So lief er die Allee entlang zum Hafen, wo er einen guten Überblick haben konnte, und kam gerade zurecht, um zu sehen, wie – der kleine Springer mit seiner auf Halbtrauer gehißten Ohrenflagge in den Hafen humpelte. Mickey erfaßte die Sachlage sofort; er sagte sich, daß der Schütze den beständig hin und her springenden Hasen gefehlt und den Unrechten getroffen hatte, denn vor der Tribüne stand ein Haufen Menschen und sah zwei Männern zu, die einen verwundeten Windhund trugen, während ein Tierarzt sich um einen zweiten bemühte, der keuchend auf dem Boden lag.

Mickey sah sich um, ergriff eine kleine Versandkiste, stellte sie in einen Winkel des Hafens, trieb das abgemattete Geschöpf hinein und schloß den Deckel, dann machte er sich mit der Kiste unter dem Arm davon, ohne in der Verwirrung bemerkt zu werden.

Es war ihm gleich; seine Stelle hatte er ohnehin verloren. So verließ er die Stadt und fuhr mit der Bahn zur nächsten Station, ging von hier ein paar Stunden zu Fuß und befand sich nun in der Heimat unseres Hasen. Schon lange war die Sonne untergegangen, die Nacht herrschte mit ihrem Heer von Sternen über der Prärie, als Mickey mitten zwischen den Farmen, den Osagen- und Luzernenhecken seine Kiste aufmachte und den Springer vorsichtig herausholte.

Grinsend sagte er dabei: »Ja, alt Irrland muß 's wieder sein, das den drreizehn Sterrnen stolz die Frreiheit wiedergibt!«

Einen Augenblick zögerte der kleine Springer und blickte sich zweifelnd um, darauf machte er drei, vier lange Sprünge und hierauf zur Orientierung einen Spähersatz. Dann aber hißte er seine Nationalflagge und seine Ohrenstandarte mit den Ehrenmalen und setzte davon, hinaus in seine schwererrungene Freiheit, bis er in der Nacht seiner Heimatsprärie verschwand.

Noch oft hat er sich in der Gegend sehen lassen, und noch oft hat man dort große Hasentreiben veranstaltet, aber, wie es scheint, kennt er nun ein Mittel, dem Gefangenwerden zu entgehen, denn unter all den Tausenden, die man im Corral zusammengetrieben hat, konnte man seitdem nie wieder die sterngeschmückten Ohren des kleinen Springers sehen.


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