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Ein alter Urian.

I.
Das nächtliche Heulen.

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Dreifach verschieden ist das Geheul des jagenden Wolfes: das langgezogene, tiefe Heulen, der Appell, gibt davon Kunde, daß der Heulende Wild aufgespürt habe, allein aber damit nicht fertig werden könne; das Heulen in höheren Tönen geht gellend und schwellend von dem auf heißer Spur jagenden Rudel aus, und das scharfe Gebell, an das sich ein kurzes Heulen schließt, ist, obwohl es am wenigsten so klingt, in Wahrheit ein Triumphlied, denn es soll bedeuten: »Nimm teil, wir haben's erreicht!«

Wir ritten, King und ich, über die Präriewellen mit einer Meute verschiedener Jagdhunde hinter und neben uns. Die Sonne war untergegangen, und ein blutroter Streif bezeichnete die Stelle, wo sie verschwunden war, dort hinten über der langgestreckten Wachthöhe. Verschwommen lagen die Hügel, dunkel die Täler, als unfern aus dem Düster ein langgezogener Ton hervorbrach, den niemand verkennen kann, ein nicht unmelodischer Ton, aber doch mit einem Beiklang, der einen bis ins Mark schaudern läßt, obwohl ihn jetzt kein Mensch mehr zu fürchten braucht. Einen Augenblick lauschten wir, dann brach der Wolfsjäger das Schweigen mit den Worten: »Das ist der alte Urian! Hat der 'ne Stimme, nicht wahr? Er will sich ein Stück Rindfleisch zum Abendessen holen.«

II.
Alte Zeiten.

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In alten Zeiten folgten den Büffelherden Rudel von Wölfen, denen die kranken, schwachen und verwundeten Tiere zum Opfer fielen. Als die Büffel ausgerottet wurden, gab es für die Wölfe eine magere Zeit, aber die Rinderherden kamen und lösten für sie die Magenfrage, indem sie die Stelle der Büffel einnahmen. Das führte zum Wolfskrieg. Die Viehbesitzer setzten einen Preis aus für jeden erlegten Wolf, und jedem Hirten gab man Fallen und Gift mit, um das Raubzeug zu vertilgen. Manche, die besonders Glück und Neigung dazu besaßen, beschäftigten sich ausschließlich mit dieser Tätigkeit, man normte sie darum Wolfsjäger. Zu ihnen gehörte auch King Ryder. Er war ein gelassener, stiller Mann mit scharfen Augen und einem Verständnis für das Leben der Tiere, das ihm besondere Macht verlieh über Broncos (Ponies) und Hunde, wie über Wölfe und Bären, obwohl sich diese Macht in den beiden letzten Fällen darauf beschränkte, daß er sie am besten aufzuspüren und zu beschleichen verstand. Seit Jahren lag er seinem Gewerbe ob, und darum überraschte es mich sehr, als er mir sagte, er habe es nie erlebt, daß ein Grauwolf einen Menschen angreife.

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Als die andern schliefen, saßen wir wach am Lagerfeuer und unterhielten uns, und bei dieser Gelegenheit erzählte er mir auch das wenige, was er von Urian wußte. »Sechsmal habe ich ihn gesehen, und das siebtemal wird es am Sonntag sein, ich wette darauf. Er wird dann seine große Pause machen.« Und so hörte ich auf demselben Boden, wo sich alles, was mir erzählt wurde, zutrug, beim Wehen des Nachtwinds, beim Kläffen des Präriewolfs oder Coyote, das manchmal vom Geheul des Helden selbst unterbrochen wurde, die einzelnen Teile einer Erzählung, die mir mit anderm sonst Erfahrenem zusammen die Geschichte vom großen Schwarzwolf der Wachtkette eingab.

III.
Im Cañon.

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Vor langer Zeit, im Frühling 1892, ging ein Wolfsjäger auf der Ostseite der Wachthöhe, die so lange Zeit für die alten Präriesiedler eine Landmarke war, seinem Gewerbe nach. Die Pelze waren im Mai nicht viel wert, aber die Prämien hoch, fünf Dollars das Stück und das Doppelte für Wölfinnen. Als er eines Morgens zum Bach hinabstieg, sah er auf der andern Seite einen Wolf zur Tränke kommen. Er hatte einen leichten Schuß und fand nachher, daß es eine säugende Wölfin war. Offenbar war ihr Lager und ihre Brut nicht weit; so verwendete er ein paar Tage daraus, die ganze Gegend abzusuchen, fand aber keine Spur von der Höhle.

Als der Jäger zwei Wochen später den nächsten Canon hinunterritt, sah er einen Wolf aus einer Höhle kommen. Die immer schußbereite Flinte war sofort an der Wange, und bald hing ein zweiter »Zehndollars-Skalp« an seiner Schnur. Jetzt grub er die Höhle auf und fand auch das Wolfslager, das in der Tat einen überraschenden Anblick bot, denn es enthielt nicht die gewöhnlichen fünf bis sechs Jungen, sondern elf, und diese waren sonderbarerweise von verschiedener Größe, fünf stärker und älter als die andern sechs, hier hatte er es mit zwei bestimmten Familien und nur einer Mutter zu tun, und während er ihre Skalpe auf seine Trophäenschnur reihte, dämmerte ihm die Wahrheit auf. Der eine Satz hatte offenbar der Wölfin angehört, die er vor zwei Wochen getötet hatte. Die Sache war ganz klar: die Jungen hatten in Erwartung ihrer Mutter, die nie mehr heimkommen sollte, jämmerlich gewinselt und waren, als der Hunger schlimmer nagte, noch lauter geworden. Die andere Mutter hatte, als sie vorbeitrottete, das Gewinsel der Wölflein gehört; ihr Herz war jetzt zärtlichen Gefühlen zugänglich, denn sie hatte erst vor kurzem selbst Junge geworfen. Sie nahm sich der verwaisten an, trug sie in ihre eigene Höhle und sorgte nun für zwei Familien, bis der Jäger ihrer Fürsorge ein vorschnelles Ende bereitete.

Schon mancher Wolfsjäger hat eine Wolfshöhle aufgegraben und nichts gefunden. Die Alten, vielleicht auch die Jungen selbst, graben sich oft kleine Seitengänge und Nebenhöhlen, in denen sie sich, wenn ein Feind eindringt, verstecken. Die lockere Erde deckt die kleinen Höhlungen zu, und die Jungen bleiben geborgen. Als der Jäger mit seiner reichen Leute sich entfernte, wußte er nicht, daß das größte Bunge noch in der Höhle war, und wenn er auch noch zwei Stunden länger gewartet hätte, so hätte ihm das doch nichts geholfen. Drei Stunden später ging die Sonne unter, und dann erst machte sich ein leises Kratzen im Hintergrund der Höhle hörbar; es erschienen zunächst zwei kleine, graue Pfoten, sodann ein schwarzes Näschen inmitten eines weichen Sandhaufens auf einer Seite der Höhle. Schließlich kam das ganze Wölflein aus seinem Versteck heraus. Beim Angriff auf die Höhle war der Kleine in Angst geraten und hatte sich vergraben: jetzt sah er ganz verwirrt, wie sie sich verändert hatte.

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Sie war jetzt dreimal so groß wie vorher und oben offen. Nicht weit davon lagen Gegenstände, die wie seine Brüder und Schwestern rochen, aber ihm jetzt abstoßend vorkamen. Wenn er an ihnen schnüffelte, ergriff ihn Angst, und er schlich abseits in ein Grasdickicht, als ein Nachthabicht über ihm schwebte. Die ganze Nacht hielt er sich in dem Dickicht verborgen. Der Höhle wagte er sich nicht wieder zu nähern, und wohin er sonst sollte, wußte er auch nicht. Als sich am nächsten Morgen zwei Geier auf den Wolfsleichnamen niederließen, rannte unser Wölflein im dichten Grase möglichst weit fort und kam endlich in eine Schlucht und weiter in ein breites Tal. Plötzlich richtete sich aus dem Gras eine mächtige Wölfin auf, die seiner Mutter ähnlich, aber doch anders war. Unwillkürlich ließ sich das verirrte Junge auf den Boden nieder, als die alte Wölfin herankam. Sicher hatte sie das Tierchen für eine rechtmäßige Beute gehalten, aber eine Handvoll Wind belehrte sie eines Besseren. Einen Augenblick stand sie dann über ihm, während er an ihren Füßen krabbelte.

Ihr erster Antrieb, ihn zu töten oder doch zu schütteln, verlor sich; er roch wie ein junger Wolf. Ihre eigenen Jungen waren ungefähr von seinem Alter, ihr Herz erweichte sich, und als er soweit Mut faßte, sich aufzurichten und an ihrer Nase zu riechen, zeigte sie sich weiter nicht ungehalten und stieß nur ein kurzes, nichtssagendes Geheul aus. Nun hatte er aber etwas gewittert, das ihm bitter not tat. Er hatte seit dem Tage vorher keine Nahrung gehabt, und als sich die Wölfin umwandte, um fortzutrotten, stolperte er auf seinen ungeschickten Beinchen hinterdrein. Hätte die Alte ihre Höhle weitab gehabt, so wäre das Junge bald zurückgeblieben; zum Glück enthielt aber die nächstgelegene Höhle ihr Lager, und so kam der verwaiste bald nach der Wolfsmutter am Eingang der Höhle an.

Ein Fremder ist ein Feind, und die Alte sprang zur Verteidigung auf das Junge zu, wurde aber wieder durch ein Gefühl, das sich beim Geruch des Wölfleins in ihr regte, von einem Angriff zurückgehalten. Das Junge hatte sich völlig ergeben auf den Rücken geworfen, aber dabei stieg ihm wieder der Geruch von dem Guten, das es fast erreichen konnte, in die Nase. Hierauf ging die Wölfin in die Höhle zurück und legte sich für ihre säugenden Jungen zurecht, das fremde Junge aber ließ sich nicht abhalten, ihr zu folgen. Sie knurrte, als es ihren eigenen Jungen nahekam, aber jedesmal entwaffnete es sie durch seine Unterwürfigkeit, und jetzt war es schon mitten unter ihrer Brut, langte unaufgefordert nach der Speise zu, die es so nötig hatte, und machte sich damit selbst zum Mitglied der Wolfsfamilie. In wenigen Tagen war der Kleine auf diese Weise ganz heimisch geworden, so daß die Alte vergaß, daß er ein Fremder war. Doch unterschied er sich merklich von den andern; er war zwei Wochen älter, stärker und zeigte an Hals und Schultern einen Haaransatz, der sich später zu einer dunklen Mähne entwickelte.

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Der Dunkelmähnige hätte in der Wahl seiner Pflegemutter kaum glücklicher sein können, denn die Gelbe war nicht nur eine gute Jägerin mit einem guten Teil Schlauheit, sondern sie war auch sozusagen eine Wölfin mit modernen Ideen. Die alten Kunstgriffe, wie man Präriehunde überlistet, den Ponies die Sehnen durchbeißt oder Stiere von der Seite jagt, waren ihr zum Teil triebmäßig bekannt, zum Teil hatte sie sie von ihren erfahrenen Artgenossen gelernt. Sie hatte aber auch außerdem gerade die Kenntnisse erworben, die heutzutage für einen Wolf besonders nötig sind, daß nämlich alle Männer Büchsen tragen, daß Büchsen unwiderstehlich sind, daß das einzige Mittel, ihnen zu entgehen, darin besteht, sich, solange die Sonne am Himmel steht, außer Sicht zu halten, während sie zur Nacht völlig unschädlich sind. Sie hatte auch eine unbestimmte Vorstellung davon, was es mit den Fallen auf sich hatte, denn sie war einmal in einer gewesen, und wenn sie auch beim Herausziehen der Pfote eine Zehe verlor, so hatte sie doch die Erfahrung nicht gar zu teuer erkauft. Begriff sie auch vom Wesen der Fallen nichts, so war sie doch von Schrecken davor erfüllt und scheute vor dem Eisen als einem höchst gefährlichen Gegenstande zurück.

Als sie einmal mit fünf Genossen einen Einbruch in eine Schafherde plante, hielt sie sich noch im letzten Augenblick zurück, weil sie ein paar frischgezogene Drähte bemerkte. Die andern stürzten hinein, fanden aber die Schafe unerreichbar und sich selbst in tödlichen Fallen.

So hatte sie auch die modernen Gefahren kennengelernt, und wenn es auch unwahrscheinlich war, daß sie sich ihrer klar bewußt wurde, so empfand sie doch ein heilsames Mißtrauen gegen alles Fremde und Unbekannte und einen Abscheu gegen einige Gegenstände insbesondere, und diesen Empfindungen verdankte sie, daß sie bisher jeder ernsten Gefahr entgangen war. Jedes Jahr zog sie ihre Brut glücklich auf, so daß sich die Zahl der gelben Wölfe im Lande mehrte. Büchsen, Fallen, Männer und die neuen Tiere, welche diese mit sich gebracht hatten, waren ihr bekannte Gefahren, aber eine andre, und zwar eine furchtbare, sollte sie erst noch kennenlernen.

Als Dunkelmähnes Brüder einen Monat alt waren, kehrte seine Pflegemutter einmal in einem sonderbaren Zustand heim. Schaum stand ihr vor dem Maul, ihre Beine zitterten, und sie fiel dicht vor dem Eingang der Höhle, von Krämpfen ergriffen, zu Boden, erholte sich aber und kroch langsam herein. Ihre Kiefer bebten, und ihre Zähne klapperten, als sie ihre Jungen lecken wollte; sie packte ihren eigenen Vorderfuß und biß hinein, um die Kleinen nicht zu beißen, aber schließlich ward sie etwas gefaßter und ruhiger. Die Jungen, die sich voll Angst in eine entfernte Ecke verkrochen hatten, kamen nun wieder herbei und suchten sich wie gewöhnlich zu nähren. Die Alte genas wieder nach zwei oder drei schwerkranken Tagen, und diese Tage, während deren das Gift, das sie genommen hatte, in ihrem Körper voll wirksam war, wurde für ihre Brut verhängnisvoll. Alle Jungen erkrankten schwer, nur der Stärkste vermochte es zu überstehen, und als die schwere Zeit vorüber war, barg die Höhle nur noch zwei Insassen, die Alte und das schwarzmähnige Junge, ihr Pflegekind. So vereinigte sich ihre ganze Fürsorge auf den allein Übriggebliebenen; alle ihre Kraft konnte sie auf dessen Aufzucht verwenden, und so entwickelte er sich auch mit Riesenschritten.

In mancher Beziehung sind Wölfe sehr gelehrig, und die Geruchseindrücke sind die stärksten, die ein Wolf empfinden kann. Infolgedessen wurden von nun an das Junge wie die Alte sofort und unwillkürlich von einem Gefühl der Furcht und des Widerwillens ergriffen, sobald sie den Geruch von Strychnin spürten.

IV.
Aus der Lehrzeit eines Wolfes.

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Mit der Nahrung, die für sieben gereicht hätte, zu seiner Verfügung, hatte unser junger Wolf allen Anlaß, schnell zu wachsen, und als er im Herbst anfing, seine Mutter auf ihren Jagdausflügen zu begleiten, war er auch in der Tat schon so groß wie sie. Jetzt mußte sie aber eine andere Gegend aufsuchen, denn zahlreiche kleine Wölfe wuchsen heran. Die lange Wachtkette, das felsige Rückgrat der Prärie, suchten daher viele auf, die groß und stark waren, so daß die schwächeren Tiere, darunter auch unsere beiden, auswandern mußten.

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Die Wölfe besitzen keine Sprache in menschlichem Sinne; ihr Wortschatz beschränkt sich wahrscheinlich auf ein Dutzend Heul-, Bell- und Knurrtöne, mit denen sie die einfachsten Regungen ausdrücken; sie haben aber verschiedene andere Mittel der Gedankenmitteilung und darunter eine ganz besondere Art der Bekanntmachung, nämlich das Wolfstelephon. Über ihr Gebiet zerstreut liegt eine Anzahl anerkannter »Zentralen«. Manchmal sind das Steine, manchmal das Kreuzstück sich schneidender Fährten, manchmal ein Büffelschädel – kurz, irgend etwas hervorragendes unweit einer Hauptfährte. Ein Wolf, der hierher kommt, macht es wie ein Hund an der Telegraphenstange oder eine Bisamratte an gewissen schlammigen Stellen, er hinterläßt seinen eigenen Körpergeruch und erfährt seinerseits, wer von seinen Artgenossen sich in letzter Zeit hier eingefunden hat. Er erfährt weiter, woher diese Artgenossen gekommen sind und wohin sie gehen, sowie auch dies und das über den Zustand, in dem sie sich befanden, ob sie gejagt wurden, ob sie hungrig oder gesättigt, ob sie gesund oder krank gewesen sind. Diese planmäßige Nachrichtenvermittlung läßt einen Wolf wissen, wo er seine Freunde und wo er seine Gegner finden kann, und Schwarzmähne lernte, hinter der Gelben hertrottend, die Lage und den Nutzen der vielen Standorte kennen, ohne daß seine Pflegemutter sich irgendwelche bewußte Mühe gab, ihn zu belehren. In der Tat war das Beispiel, das bei dem angeborenen Trieb aus fruchtbaren Boden fiel, sein Hauptlehrer, aber bei einer Gelegenheit wenigstens war es, als handle die Alte ähnlich wie eine menschliche Mutter, die ihr Kind vor Schaden bewahren will.

Das Junge hatte sich nun die Grundzüge wölfischen Wissens zu eigen gemacht. Es wußte, daß man beim Kampf mit Hunden laufen und beim Laufen sie angreifen, daß man mit ihnen sozusagen nicht handgemein werden, sondern immerzu nach ihnen beißen, und daß man in zerrissenes Gelände laufen muß, wohin die Pferde ihre Reiter nicht tragen können.

Es lernte, daß man sich um die Präriewölfe, die auf der Jagd der Abfälle wegen folgen, nicht kümmern dürfe, weil sie zu schnell sind, um sie einzuholen, und weil sie einem nichts zuleide tun.

Es wußte, daß man seine Zeit nicht durch Laufen nach sitzenden Vögeln verschwenden dürfe, und daß man sich von dem kleinen, schwarzweißen Tier mit dem buschigen Schweif fernhalten müsse, denn es schmeckt nicht sehr gut und riecht sehr, sehr schlecht.

Und was das Gift betrifft; den Geruch von jenem Tage her, wo alle seine Pflegebrüder umkamen, hat es nie vergessen.

Es war ihm nun auch bekannt, daß es beim Angriff auf Schafe zunächst gilt, sie auseinander zu treiben, da ein einzelnes Schaf eine hilflose und leichte Beute ist, und daß man eine Viehherde am ehesten dadurch zum Zusammendrängen im Kreise veranlaßt, daß man ein Kalb in Schrecken setzt.

Es lernte, daß man einen Ochsen immer von hinten angreifen muß, ein Schaf von vorn und ein Pferd in der Mitte, das heißt auf der Seite, und daß man einen Menschen niemals angreifen und ihm nicht einmal vor Augen kommen darf. Aber dazu lernte es noch etwas Besonderes, indem die Mutter es bewußterweise einen geheimen Feind kennen lehrte.

V.
Wie der junge Wolf die Fallen kennenlernte.

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Ein Kalb war verendet und war nun, nach zwei Wochen, am allerwohlschmeckendsten, nicht zu frisch, nicht zu alt – nämlich für einen Wolfsgaumen –, und der Wind gab hiervon weithin Kunde. Die Gelbe und ihr schwarzmähniger Pflegesohn waren ausgegangen, ihre Abendmahlzeit zu halten, und wußten noch nicht wo, als ihnen der Duft von dem Kalbe zukam. Sofort trotteten sie nun dem lockenden Winde entgegen. Sie fanden bald das Kalb, das auf freiem Felde im Mondschein offen dalag. Ein Hund wäre sofort auf den toten Körper losgestürzt, ein Wolf der alten Zeit hätte es vielleicht ebenso gemacht; aber der beständige Kriegszustand hatte die gelbe Wölfin zu nimmer rastender Wachsamkeit erzogen; sie traute nichts und niemand außer ihrer Nase und mäßigte ihren Lauf, als sie näher kam. Sobald das Kalb in bequemer Seh- und Riechweite war, prüfte sie mit gedehnten Nüstern lange den Wind und unterzog ihn einer möglichst eingehenden chemischen Zergliederung. Sie strengte ihre Geruchswerkzeuge auf das äußerste an, reinigte sie wiederholt und versuchte aufs neue, und der Schlußbericht ihres getreuen Riechorgans lautete folgendermaßen: Erstens, ein starker und würziger Kalbsgeruch: sagen wir siebzig Prozent; Geruch von Gras, Käfern, Holz, Blumen, Bäumen, Sand und anderen gleichgültigen Gegenständen: fünfzehn Prozent; Geruch von ihrem Jungen und ihr selbst: zehn Prozent; Geruch von menschlichen Fußspuren: zwei Prozent; Geruch von Rauch: ein Prozent; Geruch von schweißigem Leder: ein Prozent; Geruch von menschlichem Körper (nur hin und wieder bemerkbar): ein halb Prozent; Geruch von Eisen: nur in geringen Spuren.

Die Alte bewegte sich langsam kriechend und schnüffelte stark mit schwingender Nase; das Junge machte ihr alles nach. Dann zog sie sich ein Stück zurück, während Schwarzmähne stehen blieb. Als sie leise winselte, folgte er ihr widerwillig. Sie umkreiste den verführerischen Kadaver; hierbei entdeckte sie einen neuen Geruch, die Witterung von einer Präriewolffährte, der bald die von dem Körper eines Präriewolfs folgte. Ja, dort schlichen sie auch an einem nahen Erdrücken entlang, und jetzt, als sie auf die andere Seite kam, änderten sich die Sinneseindrücke. Der Wind enthielt kaum noch eine Spur von Kalb, und es machten sich dafür gemischte, gewöhnliche und uninteressante Gerüche geltend. Die Witterung von menschlichen Fußspuren war noch die gleiche, die Spur von Leder war verschwunden, aber das volle halbe Prozent von Eisengeruch und Menschenfleisch vermehrte sich auf beinahe zwei Prozent.

Jetzt war ihr Argwohn aufs höchste gestiegen, und ihre Furcht, die sich in ihrer starren Haltung, ihrem gespannten Ausdruck und ihrer sich leicht sträubenden Mähne widerspiegelte, übertrug sich auf ihr Junges.

Sie setzte die Umkreisung fort. An einer hochgelegenen Stelle verstärkte sich der Menschengeruch auf das Doppelte, dann, als sie an tiefere Punkte kam, verschwand er wieder, hier trug der Wind wieder die volle Witterung vom Kalbe sowie vom Coyote und verschiedenen Vogelfährten zu. Ihr Argwohn schläferte sich ein, als sie sich von der Windseite in enger werdendem Kreise dem lockenden Schmause näherte. Schon war sie bis auf wenige Schritte gerade darauf losgegangen, als sich das schweißige Leder wieder kräftig bemerkbar machte und sich darein noch deutlich die Spuren von Rauch und Eisen mengten. Indem sie darauf ihre ganze Aufmerksamkeit richtete, näherte sie sich dem Kalbe bis auf zwei Sätze. Dort auf dem Boden lag ein Stück Leder, dem auch stark Menschengeruch anhaftete, dicht beim Kalbe, und jetzt erschienen ihr das Eisen und der Rauch in dem vollen Kalbsgeruch wie eine Schlangenfährte, die die Fährte einer ganzen Rinderherde kreuzt. Für Schwarzmähne mit seinem Appetit und seiner Ungeduld der Jugend war der Mißton so unbedeutend und so unmerkbar, daß er gegen die Schulter der Alten drängte, um weiterzugehen und sich ohne Verzug zu sättigen. Sie packte ihn aber am Nacken und schleuderte ihn zurück. Ein Stein, an den seine Füße stießen, rollte vorwärts und brachte, an einen Gegenstand am Boden stoßend, einen eigentümlichen Klang hervor. Dabei erhöhte sich die Witterung von Gefahr bedeutend, so daß die gelbe Wölfin langsam von dem lockenden Mahl zurückwich, wobei ihr das Junge nur ungern folgte.

Als das Junge sehnsüchtig zurückschaute, sah es, wie die Präriewölfe, die vor allem ihre stärkeren Vettern vermeiden wollten, näher zogen. Es verfolgte ihr vorsichtiges Vorrücken, das aber im Vergleich mit der Art, wie sich seine Mutter genähert hatte, als leichtsinniges Vorwärtsstürzen erschien. Jetzt kam eine Wolke auserlesenen und überwältigenden Kadavergeruchs heran, denn sie zerrissen soeben das Fleisch, als aus einmal ein scharfer Knall und ein lautes Coyotegeheul hörbar wurde. Zugleich wurde die nächtliche Ruhe durch ein Krachen und einen Feuerschein unterbrochen. Schwere Schüsse trafen das Kalb und die Präriewölfe, die heulend wie geschlagene Hunde auseinander fuhren, außer einem, der tot war, und einem zweiten, der sich in der Falle des allzeit rührigen Wolfjägers gefangen hatte. Die Luft war jetzt voll von den schon vorher schwach bemerkten, verabscheuten, jetzt doppelt starken und anderen erschrecklichen Gerüchen.

Die alte Wölfin wandte sich in eine Schlucht und führte ihr Junges in flüchtiger Eile davon; aber während sie davonliefen, sahen sie einen Mann von der Höhe herabeilen, wo die Nase der Alten die Nähe des Menschen am schärfsten gewittert hatte.

VI.
Wie sich die gelbe Wölfin fangen ließ.

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Das Lebensspiel ist kein leichtes Spiel, denn wir können zehntausendmal gewinnen, und verlieren wir nur ein einzigesmal, so ist alles, was wir gewonnen haben, dahin. Wieviel hundertmal hatte unsere Wölfin Fallen verächtlich liegen lassen, wie viele Junge hatte sie dasselbe gelehrt! Unter allen Gefahren, die ihr Leben bedrohten, war sie mit Fallen am meisten vertraut, und doch!

Der Oktober war herangekommen, und das Junge war jetzt schon viel größer als die Mutter. Einmal hatte sie der Wolfsjäger zu Gesicht bekommen – einen gelben Wolf, dem ein zweiter folgte, dessen lange, ungeschickte Glieder, große, weiche Füße, dünner Nacken und dürftige Rute das heurige Junge erkennen ließen. Die Spuren im Staub und Sand zeigten, daß die Alte eine rechte Vorderzehe verloren hatte und daß das Junge von riesigem Bau war.

Es war der Wolfsjäger gewesen, der gedacht hatte, sich den Kadaver zunutze zu machen, aber zu seiner Entrüstung brachte ihm der Gedanke nur Coyoten, keine Wölfe ein. Es fing gerade die Fallenzeit an, denn in diesem Monat sind die Pelze am wertvollsten. Ein junger Fallensteller befestigt oft den Köder auf der Falle, ein erfahrener tut das nie. Ja, dieser legt den Köder an eine Stelle und die Falle zwei oder vier Meter davon, aber an einen Fleck, den der Wolf wahrscheinlich beim Umkreisen berührt. Besonders gern versteckt man drei oder vier Fallen um einen offenen Platz herum und streut ein paar Stückchen Fleisch in die Mitte. Die Falleisen legt man so, daß sie nicht gesehen werden können, nachdem man sie zur Verdeckung des Eisen- und Handgeruchs geräuchert hat. Manchmal nimmt man gar keinen Köder, außer einem Stück Zeug oder einer Handvoll Federn, die dem Wolf ins Auge fallen oder seine Neugier stacheln und ihn verlocken könnten, auf dem verhängnisvollen, verräterischen Boden zu weilen. Ein guter Fallensteller wechselt mit seinen Kniffen beständig, so daß die Wölfe nicht hinter seine Schliche kommen können. Ihre einzige Rettung liegt in unermüdlicher Wachsamkeit und im Mißtrauen gegen alle Gerüche, die, wie sie wissen, von Menschen ausgehen.

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Mit einem ganzen Haufen stärkster Stahlfallen ausgerüstet, hatte King Ryder seine Herbstarbeit im »Pappelholz« angefangen.

Eine alte Büffelfährte kreuzte in der Nähe den Fluß und folgte einer kleinen Einsenkung, die sich den Abhang hinauf zur Hochfläche zog. Diese Fährten benutzten alle Tiere, Wölfe und Füchse so gut wie Rinder und Hirsche; es sind die allgemeinen Heerstraßen. Unweit der Stelle, wo die Fährte in das kiesige Flußbett tauchte, stand ein Pappelstumpf mit Wolfsspuren, die dem Jäger über die Benutzung als »Telegraph« keinen Zweifel ließen. Das war ein vorzüglicher Platz für Fallen; aber nicht auf der Fährte, wo viel Vieh verkehrte, sondern zwanzig Meter weg, auf einem ebenen, sandigen Platz, legte King auf einen Raum von zwölf Fuß im Geviert vier Fallen. Neben jede streute er ein paar Stückchen Fleisch, und drei, vier weiße Federn auf einem Büschel Gras in der Mitte krönten das Ganze. Kein menschliches Auge und nur wenige Tiernasen hätten die verborgene Gefahr auf dem sandigen Boden entdecken können, nachdem Sonne und Wind und der Sand selbst die Spur des Menschentrittes vertilgt hatten.

Die gelbe Wölfin hatte derartige Fallen schon tausendmal bemerkt und gemieden, auch ihr Riesenjunges gelehrt, dergleichen zu meiden.

In der Mittagshitze kamen die Rinderherden und zogen den Büffelpfad hinab, wie es einst die Büffel getan. Die kleinen Grasfinken flatterten vor ihnen her, die Kuhvögel ritten auf ihnen, und die Präriehunde kläfften nach ihnen, gerade wie sie es einst nach den Büffeln getan hatten.

Von der graugrünen Prärie mit ihren grüngrauen Hügelwellen wanderten sie hinunter mit großer Feierlichkeit, Würde und Zielbewußtsein. Ein paar übermütige Kälber, die sich neben der Fährte tummelten, wurden gesetzt und wandelten gebührlich hinter ihren Müttern drein, als man zum Flußspiegel kam. Die alte Leitkuh, die an der Spitze ging, schnüffelte argwöhnisch, als sie bei den Fallen vorüberkam, aber sie lagen weit vom Wege, sonst würde sie auf den blutigen Rindfleischstücken so lange brüllend herumgestampft haben, bis jede Falle zum Springen gebracht und unschädlich gemacht war.

So ging sie weiter bis zum Flußufer. Nachdem sie hier alle ihren Durst gestillt hatten, legten sie sich auf der nächsten Erdwelle nieder bis spät in den Nachmittag hinein. Dann brachte sie ihre unhörbare Mittagsglocke auf die Beine und ließ sie zur fettesten Weide zurückkehren.

Ein paar kleine Vögel hatten an den Fleischstücken herumgepickt, blaue Fliegen summten darüber her, sonst aber fand die sinkende Sonne die sandige Stelle unangerührt.

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Als die Sonne mit ihrem Farbenspiel begann, kam eine braune Sumpfweihe über die Wasserfläche dahergestrichen. Schnell huschten die Drosseln in das Dickicht und entgingen leicht ihrem plumpen Stoß. Für die Mäuse war es noch zu früh, aber während sie niedrig dahinstrich, entdeckte ihr scharfes Auge die Federn bei der Falle, und sie wandte ihren Flug dorthin. Ehe sie an Ort und Stelle war, hatte sie schon bemerkt, daß es unnütze, bloße Federn waren, aber nun sah sie die Fleischstücke. In ihrer ungewitzigten Arglosigkeit ließ sie sich nieder und war eben dabei, den zweiten Bissen zu verschlingen, als klick, klack der Staub aufflog, und die Weihe, an den Zehen festgehalten, sich vergebens aus einer kräftigen Wolfsfalle zu befreien suchte. Schaden hatte sie nicht viel genommen. Ihre breiten Schwingen fächerten von Zeit zu Zeit, um sich freizumachen, aber sie war ohnmächtig wie ein Sperling in einer Mausefalle, und als die Sonne ihre blutige Farbenskala durchgespielt, ihr Schwanenlied gesungen hatte und geschieden war, wie sie nur im leuchtenden Westen scheidet, und als sich die Schatten auf die Szene von der Maus in der Elefantenfalle gesenkt hatten, da erklang von der flachen Kette her ein tiefer, reicher Ton, dem ein zweiter antwortete, beide nur kurz, ohne Wiederholung und eher triebmäßig als mit überlegter Absicht ausgestoßen.

Der erste war der Sammelruf eines gewöhnlichen Wolfes, der zweite die Antwort seines auffallend großen Genossen – nicht eines Paares in diesem Falle, sondern von Mutter und Sohn, der gelben Wölfin und Schwarzmähne, die den Büffelpfad hinabtrotteten. Bei dem Telephonpfahl oben und bei der alten Pappelwurzel unten machten sie halt und näherten sich schon dem Wasser, als die Weihe in der Falle mit den Flügeln schlug. Die Alte wandte sich ihr zu: offenbar ein verwundeter Vogel auf dem Boden, und sie sprang auf sie zu. Sonne und Sand tilgen bald alle Spuren aus, so daß nichts sie warnte. Sie sprang also auf den flatternden Vogel zu, und ein Druck ihrer Kiefer machte seiner Qual ein Ende, aber ein schreckliches, gefahrdrohendes Knirschen: ihre Zähne bissen auf Eisen. Sie ließ die Weihe los und sprang von der gefährlichen Stelle zurück, geriet aber dabei in eine zweite Falle, hoch schloß sich an ihrem Fuße der tödliche Griff, und indem sie alle Kraft daran setzte, sich durch einen Sprung nach vorn freizumachen, setzte sie ihren Vorderfuß wieder in einen von den lauernden Stahlgriffen. Angst und Wut füllten das Herz der alten Wölfin, sie zog und riß, sie biß in die Ketten, sie heulte und schäumte. Eine Falle mit ihrem Gestell hätte sie vielleicht fortgeschleppt, doch mit zweien war sie ganz hilflos. All ihr Sträuben und Zappeln ließ die grausamen Kiefer sich nur noch tiefer in die Pfoten bohren. Wie toll schnappte sie in die Luft; sie riß die tote Weihe in Fetzen und stieß das kurze, bellende Geheul eines tollen Wolfes auf. Sie biß nach den Fallen, nach dem Jungen, nach dem eigenen Körper. Sie riß verzweifelt an den festgehaltenen Füßen, sie nagte sinnlos an ihrer Flanke, sie biß sich in ihrem Wahnsinn den Schwanz ab; sie zersplitterte alle ihre Zähne an dem Stahl und füllte ihre blutenden und schäumenden Kiefer mit Erde und Sand.

So raste sie, bis sie zusammenbrach, und wand sich hin und her oder lag wie tot, bis sie wieder stark genug war, sich zu erheben und wieder ihre Zähne in die Ketten zu schlagen.

Und so verging die Nacht.

Und Schwarzmähne? Wo war er? Das Gefühl von damals, als seine Pflegemutter vergiftet heimgekommen war, ward wieder lebendig; aber er fürchtete sich jetzt sogar noch mehr vor ihr. Sie schien ganz von wütendem Haß erfüllt zu sein. So hielt er sich, leise winselnd, fern; wenn sie still war, schlich er näher, aber nur, um sich wieder zurückzuziehen, als sie vorwärtssprang und gegen ihn wütete und dann von neuem mit äußerster Anstrengung an den Fallen riß. Er konnte sie nicht begreifen, nur so viel wußte er, daß sie sich in schrecklicher Not befand, und die Ursache schien die gleiche zu sein, wie die, die sie in der Nacht, wo sie das Kalb gelockt hatte, in Schrecken versetzte.

Schwarzmähne blieb die ganze Nacht in der Nähe und wußte, hilflos wie seine Pflegemutter, nicht, was er tun sollte.

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Als der Tag zu dämmern begann, kam ein Hirt, der verirrte Schafe suchte, und bemerkte sie von einem nahen Hügel. Ein Spiegelsignal rief den Wolfsjäger herbei. Schwarzmähne sah die neue Gefahr. Er war, wenn auch so groß, doch erst ein Junges; den Mann konnte er nicht bestehen und floh bei dessen Annäherung davon.

Der Jäger ritt heran, sah die klagende, zerfetzte und blutende Wölfin in der Falle, erhob die Büchse, und bald hatte das verzweifelte Ringen ein Ende. Bei genauer Untersuchung der Fährte sagte sich der Jäger, wenn er sich an das erinnerte, was er früher gesehen hatte, daß es der Wolf mit dem großen Jungen, die Wölfin von der Wachthöhle, sei.

Wohl hörte Schwarzmähne den Büchsenknall, als er sich geduckt an eine gedeckte Stelle schlich, aber was er bedeutete, konnte er schwerlich ahnen. Jedenfalls sah er seine freundliche, alte Pflegemutter nie wieder und mußte sich hinfort in der Welt allein zurechtfinden.

VII.
Der junge Wolf gewinnt einen Bereich und einen Namen.

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Zweifellos ist der Naturtrieb der erste und beste Führer im Wolfsleben, aber fähige Eltern gewähren von vornherein einen Vorzug. Das schwarzmähnige Junge hatte eine besonders vorzügliche Mutter gehabt, und es kam ihm allein der Gewinn von ihrer ganzen Schlauheit zugute. Eine erlesene Nase hatte ihm die Natur verliehen, und er schenkte ihren Weisungen unbedingtes vertrauen. Ein Mensch kann sich schwer vorstellen, was die Nase alles vermag. Ein grauer Wolf kann den Morgenwind zu Rate ziehen, wie ein Mensch seine Zeitung, und alles Neue dadurch erfahren. Wenn er mit offener Nase eine Strecke fortschreitet, so weiß er genau, welches lebende Geschöpf sich dort seit einer langen Reihe von Stunden bewegt hat. Seine Nase sagt ihm sogar, welchen Weg es gegangen ist, kurz, sie macht ihm Mitteilung von jedem Tier, das vor kurzem seine Fährte gekreuzt hat, auch woher es gekommen und wohin es gegangen ist.

Diese Fähigkeit besaß Schwarzmähne im höchsten Grade; das mußten die Sachverständigen schon an seiner breiten, feuchten Nase erkennen. Dazu kam noch, daß er einen ungewöhnlich kraftvollen und ausdauernden Körper besaß, und schließlich hatte er sich früh ein tiefes Mißtrauen gegen alles Fremde angewöhnt, und mag man es Scheu, Vorsicht oder Argwohn nennen, jedenfalls war dieses Gefühl mehr wert als all seine Schlauheit. Gerade diese Eigenschaft war es neben seinen körperlichen Fähigkeiten, die ihn so Großes ausführen ließ.

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Im Wolfslande ist Macht Recht, und so waren Schwarzmähne und seine Mutter von der Wachtkette vertrieben worden. Aber es war eine Gegend, in der sich sehr gut wohnen ließ, und so wandte er sich jetzt in seine erste Heimat zurück. Ein paar großen Wölfen war er dort nicht genehm? sie trieben ihn mehrmals fort, aber jedesmal, wenn er wiederkam, war er besser imstande, sie zu bestehen, und ehe er noch achtzehn Monate alt war, hatte er alle Nebenbuhler in die Flucht geschlagen und sich wieder auf dem Heimatboden festgesetzt, hier führte er ein echtes Raubritterleben, machte sich das reiche Land ringsum abgabepflichtig und fand bei Gefahr seine Sicherheit in der Felsenfeste.

Wolfsjäger Ryder jagte oft in dieser Gegend und es dauerte nicht lange, so stieß er auf eine dreizehn Zentimeter große Fährte, die Fußspur eines riesigen Wolfes. In runden Zahlen kann man auf je zwei bis drei Zentimeter eines Wolfsfußes knapp neun bis elf Kilogramm Körpergewicht oder fünfzehn Zentimeter Leibeshöhe rechnen; demnach war dies ein Wolf mit einer Schulterhöhe von etwa achtzig Zentimetern und einem Gewicht von etwa dreiundsechzig Kilogramm, bei weitem der größte Wolf, der Ryder je vorgekommen war. Als er sich diesen Riesenwolf vorstellte, rief er aus: »Beim Nimrod, ist das ein alter Urian!« So erhielt Schwarzmähne den Beinamen »Alter Urian«.

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Ryder kannte den Sammelruf der Wölfe, das gedehnte, glatte Heulen, gut, aber Urian hatte einen besonderen schleifenden Ton, der nicht zu verkennen war. Der Wolfsjäger hatte ihn schon vorher im Pappeltal gehört, und als er schließlich den großen Wolf mit der dunklen Mähne zu Gesicht bekam, sagte er sich, daß er das Junge der von ihm in der Falle gefangenen wütenden Alten vor sich habe.

Das war es, was mir Ring unter anderem beim Scheine des Lagerfeuers erzählte. Ich wußte, daß in der alten Zeit jeder mit Gift oder Fallen Wölfe erlegen konnte, und daß diese Zeit vorüber war, seit es keine einfältigen Wölfe mehr gab; ich wußte auch von der neuen, schlaueren Wolfsrasse, die der Fangarten der Viehhirten spottete und sich immer vermehrte. Nun erzählte mir noch der Wolfsjäger von den mannigfaltigen Versuchen, die ein Herdenbesitzer, Penroof, mit verschiedenen Hundearten gemacht hatte, von Fuchshunden, die ein zu dünnes Fell hatten, von Windhunden, die nicht zu gebrauchen waren, wenn sich das Wild außer Sicht befand, von Doggen, die in der unebenen Gegend zu schwerfällig waren, und schließlich von einer Meute aus allen möglichen Arten, darunter manchmal auch ein Bullterrier, der beim Entscheidungskampfe gewöhnlich der erste war.

Er erzählte mir von der Jagd auf Präriewölfe, die gewöhnlich einige zur Strecke brachte, weil diese unvorsichtig genug waren, sich in die Ebene zu flüchten, wo sie leicht von den Windhunden eingeholt wurden. Auch von der Erlegung einiger kleiner Grauwölfe erzählte er; man benutzte dabei die gleiche Meute, deren Anführer aber gewöhnlich dabei zum Opfer fiel. Aber mit Vorliebe verweilte er bei dem alten schwarzen Urian von der Wachthöhle und erzählte von den zahlreichen Versuchen, ihn totzuhetzen oder in die Enge zu treiben – eine ununterbrochene Reihe von Fehlschlägen. Denn mit empörender Ausdauer fuhr der große Wolf fort, sich die schönsten Stücke von Penroofs Vieh auszusuchen und jedes Jahr mehr Wölfe zu lehren, wie sie ihre Räubereien ungestraft ausführen könnten.

VIII.
Die Stimme in der Nacht und die mächtige Fährte am Morgen.

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Eines Abends, Ende September, als der letzte Lichtstreif im Westen verglommen war und die Präriewölfe ihren kläffenden Chor eröffnet hatten, wurde ein tiefer, dröhnender Ton hörbar. King nahm seine Pfeife aus dem Munde, drehte sich um und sagte: »Das ist er, das ist der alte Urian. Den ganzen Tag hat er uns von einem erhöhten Platz beobachtet, und jetzt, wo die Büchsen unschädlich sind, da kommt er und will uns 'n bißchen zum Narren haben.«

Mit gesträubter Mähne fuhren ein paar Hunde auf, denn es war ihnen klar, daß das kein Coyote war. Sie stürzten ins Dunkel hinaus, kamen aber nicht weit; in ihr herausforderndes Gebell mischten sich bald gellende Töne des Schmerzes, und sie kamen zum schützenden Feuer zurückgerannt. Einer hatte eine so schwere Wunde in der Schulter, daß er bei der Jagd nicht weiter zu verwenden war. Ein zweiter hatte einen Biß in die Seite gekriegt. Diese Wunde schien nicht so ernstlich zu sein, und doch war dieser Hund am nächsten Morgen verendet.

Die Männer wüteten. Sie gelobten schleunige Rache, und der dämmernde Morgen sah sie bereits auf der Fährte. Die Präriewölfe kläfften ihr Dämmerungslied, verzogen sich aber in die Hügel, als es heller wurde. Die Jäger sahen sich eifrig nach der großen Wolfsfährte um, in der Hoffnung, die Hunde würden sie aufnehmen und den Urian finden, aber entweder konnten sie nicht, oder wollten sie nicht.

Dagegen fanden sie einen Coyote, den sie nach ein paar hundert Metern gepackt und getötet hatten. Es war wohl ein Sieg, denn die Coyoten bringen Kälber und Schafe um, aber ich glaube, wir alle hatten gleichen Gedanken: »Mächtig sind mutige Hunde dem kleinen Coyote gegenüber, aber dem großen Wolf gestern abend konnten sie nicht standhalten.«

Als wollte der junge Penroof auf eine ungestellte Frage antworten, sagte er:

»Sagt, Jungens, hatte der alte Urian nicht 'nen ganzen Haufen Wölfe bei sich?«

»Hab' bloß eine Fährte gesehen,« murrte King.

Auf diese Weise ging der ganze Oktober dahin; jeden Tag von früh bis abends im Sattel auf zweifelhaften Fährten hinter den Hunden her, die entweder die Spuren nicht festhalten konnten oder sich davor fürchteten, und dabei erhielten wir immer wieder neue Kunde von dem Unheil, das der Wolf anrichtete. Manchmal kam ein Rinderhirt mit solcher Meldung, und manchmal fanden wir selbst die Kadaver. An ein paar von diesen legten wir Gift, obwohl dies, wenn Hunde frei herumlaufen, nicht ungefährlich ist. Am Ende des Monats waren wir eine vom Wetter mitgenommene, enttäuschte Schar von Jägern mit abgematteten Pferden und einer wegemüden Hundemeute, die von zehn auf sieben zurückgegangen war. Bis dahin hatten wir erst einen Grauwolf und drei Coyoten erlegt, und dabei hatte unser Urian mindestens ein Dutzend Kühe und Hunde, die je auf fünfzig Dollars zu schätzen waren, umgebracht. Ein paar Teilnehmer gaben die Sache auf und gingen heim; so machte sich King ihre Rückkehr zur Farm zunutze und schickte einen Brief, in dem er unter anderem um die Zusendung von allen noch verfügbaren Hunden von der Viehfarm bat.

In den zwei Tagen, die wir warten mußten, ließen wir unsere Pferde rasten, schossen zur Übung und, um Abwechslung in der Kost zu haben, nach Präriehühnern und bereiteten uns auf eine schärfere Jagd vor. Km Spätabend des zweiten Tages trafen die neuen Hunde ein – acht Prachtstücke, so daß die ganze Meute auf fünfzehn Stück stieg.

Jetzt wurde es schon recht kalt, und am Morgen war der Boden zur Freude der Wolfsjäger mit Schnee bedeckt. Das war vielversprechend; denn bei kaltem Wetter konnten Pferde und Hunde weit besser laufen. Auch konnte der große Wolf nicht fern sein, da man ihn in der letzten Nacht gehört hatte, und dazu kam noch die gute Fährte im Schnee, so daß er uns, war diese einmal gefunden, nicht mehr narren konnte; es schien nicht möglich, daß er uns entging.

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Vor Tagesanbruch waren wir auf, aber noch ehe wir das Lager verlassen hatten, kamen drei Männer angeritten. Es waren die drei Knechte aus der Penrooffarm, die uns im Stich gelassen hatten. Der Umschlag der Witterung hatte sie zurückgeführt; sie wußten, bei Schnee konnten wir auf eine glückliche Jagd hoffen.

»Vergesse keiner,« sagte King, als wir alle im Sattel saßen, »unser Ritt gilt nur dem alten Urian. Kommen wir nur an ihn heran, so kann's uns nicht fehlen. Es ist eine Fährte von über dreizehn Zentimetern.«

Und jeder maß an seinem Reitpeitschengriff oder an seinem Handschuh möglichst genau die dreizehn Zentimeter, die dazu dienen sollten, die gewünschte Fährte zu erkennen.

Nicht mehr als eine Stunde war vergangen, da hörten wir von dem Reiter, der am meisten im Westen ritt, ein Zeichen; es war ein Schuß, der bedeutete: Aufgepaßt! Wir zählten bis zehn, worauf zwei Schüsse ertönten, das verabredete Zeichen für: Komm her!

King brachte die Hunde zusammen und ritt geradeswegs auf die ferne Gestalt auf dem Hügel zu. Aller Herzen schlugen hoffnungsvoll, und wir wurden nicht enttäuscht. Es waren schon verschiedene kleine Wolfsfährten gefunden worden, aber hier war endlich die richtige, fast fünfzehn Zentimeter lange Fährte. Der junge Penroof schrie vor Vergnügen auf und sprengte in vollem Galopp davon. Es war wie eine Löwenjagd; es war wie die Jagd nach dem Glück. Für den Jäger gibt es nichts Anregenderes als die sich klar abzeichnende Fährte eines begehrenswerten Wildes, das er lange Zeit vergebens gejagt hat. Wie glänzte Kings Auge, wenn es sich an der Spur weidete!

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IX.
Schließlich erreicht.

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Es war das hindernisreichste von allen Hindernisrennen. Schon die Dauer war viel größer, als wir erwartet hatten, und voll von Zwischenfällen, denn die endlose Reihe von Spuren war ein genauer Bericht alles dessen, was der große Wolf in der vorhergehenden Nacht getan hatte, hier war er zu seinem Telephon abgebogen, um das Neueste zu erfahren; dort war er stehengeblieben, um sich einen alten Schädel anzusehen; hier war er scheu ausgewichen und hatte sich vorsichtig gegen den Wind genähert, um den verdächtigen Gegenstand, es war eine alte Konservenbüchse, zu prüfen. Dort war er endlich einen niedrigen Hügel hinaufgestiegen und hatte sich hingesetzt, wahrscheinlich um seinen Sammelruf ertönen zu lassen, denn zwei Wölfe waren von verschiedenen Seiten herbeigekommen. Dann waren sie zusammen zur Flußwiese hinabgestiegen, wo das Vieh vor dem Unwetter Schutz suchte, hier hatten alle drei einem Büffelschädel einen Besuch abgestattet; dort trotteten sie hintereinander, und da drüben trennten sie sich wieder und gingen drei verschiedene Wege, um sich wiederzutreffen – ja, hier, o was für ein Anblick: eine schöne Kuh mit aufgerissenen Flanken, tot liegen gelassen und nicht gefressen! Sie war, scheint's, nicht nach ihrem Geschmack, denn siehe, anderthalb Kilometer weiter findet sich eine zweite, die sie erlegt haben. Keine sechs Stunden ist es her, daß sie hier geschmaust haben. Hier trennen sich wieder ihre Spuren, aber nicht weit, und der Schnee läßt deutlich erkennen, wie sich jeder zum Schlafen niedergelegt hat. Als die Hunde diese Stelle beschnüffelten, sträubten sich ihre Mähnen. Bis dahin hatte King die Tiere gut an der Leine halten können, jetzt wurden sie aber aufgeregt. Wir kamen zu einer Anhöhe, wo sich die Wölfe umgewandt und uns entgegengeschaut hatten, dann aber in voller Eile geflohen waren – das sah man aus ihrer Fährte, und nun war es klar, daß sie uns von der Höhe beobachtet hatten und nicht sehr weit entfernt sein konnten.

Die Meute hielt gut zusammen, da die Windhunde, die ihre Beute noch nicht vor Augen hatten, ruhig mit den anderen Hunden liefen oder bei den Pferden zurückblieben, wir ritten so schnell wie möglich, denn die Wölfe liefen offenbar aus Leibeskräften, hinauf zur Hochebene und hinunter zum Tal trabten wir unter möglichst enger Fühlung mit den Hunden, obwohl das Gelände das denkbar zerrissenste war. Eine Schlucht nach der andern, und immer noch weiter ging die dreifache Spur; eine neue Stunde und noch keine Änderung, sondern unaufhörliches Klimmen, Abrutschen und Straucheln durch Buschwerk und über Erdhügel dem jetzt etwas weiter entfernten Hundegebell nach.

Jetzt führte die Jagd hinab zu dem tiefen Flußtal, wo es kaum noch Schnee gab. In Sätzen den Abhang hinab und mit gefährlichen Sprüngen über abgrundtiefe, sehr breite Rinnen und auf schlüpferigem Felsengrunde ging es dahin mit Ansprüchen an unsere Muskeln und Nerven, daß wir fühlten, viel länger könnten wir es nicht mehr aushalten, plötzlich, auf der tiefsten, trockensten Stelle, dritteilt sich die Meute, manche gehen aufwärts, manche nach unten, manche geradeaus. Oh, wie raste King! Natürlich war uns sofort klar, was dies bedeutete. Die Wölfe hatten sich getrennt und so verschiedene Hunde auf die verschiedenen Fährten gelockt. Drei Hunde hatten aber einem Wolf gegenüber keine Aussichten, vier konnten ihn nicht umbringen, und zwei gingen in den sicheren Tod. Und doch war dies auch das erste ermutigende Zeichen für uns, denn wir erkannten daraus, daß sich die Wölfe in die Enge getrieben fühlten. Wir spornten die Pferde, um die Hunde zurück auf die eine Fährte, auf die wir es abgesehen hatten, zu bringen. Aber das war nicht so leicht. Beim Fehlen des Schnees und bei den zahlreichen durcheinander laufenden Hundespuren versagte unser Scharfsinn. Das einzige, was uns übrig blieb, war, die Hunde wählen zu lassen, aber sie dann auf der neuen Spur festzuhalten. Fort ging es wieder wie zuvor in der Hoffnung, die richtige Fährte zu haben. Die Hunde liefen gut, ja sehr schnell. Das sei ein schlechtes Zeichen, meinte King, aber wir konnten selbst die Fährte nicht mehr zu Gesicht bekommen, weil sie von den Hunden zertreten wurde, ehe wir hinkamen.

Nach drei Kilometern führte die Jagd wieder hinauf in schneeiges Gebiet; der Wolf kam uns vor Augen, aber zu unserem Ärger mußten wir sehen, daß wir hinter dem kleinsten von den dreien her waren.

»Dachte ich mir's doch,« knurrte der junge Penroof. »Die Hunde waren viel zu toll dahinter, als daß es was Rechtes sein konnte. Mich wundert's bloß, daß es nicht am Ende ein Hase gewesen ist.«

Nach einem weiteren Kilometer hatte sich der Verfolgte in ein Weidendickicht geflüchtet. Wir hörten, wie er ein langgezogenes, um Hilfe werbendes Geheul ausstieß, und ehe wir die Stelle erreichen konnten, sah King, wie die Hunde zurückwichen und auseinanderfuhren. Eine Minute darauf konnte man aus dem abgelegenen Ende des Dickichts einen kleinen Wolf und einen weit größeren schwarzen vorbrechen sehen.

»Beim Nimrod! Ob der nicht um Hilfe geheult hat, und der alte Urian ist zurückgekommen, ihm zu helfen! Das ist großartig,« rief der Wolfsjäger. Und ich konnte mich nicht des Mitgefühls für den tapferen, großen Wolf entschlagen, der lieber die eigene Sicherheit daran gab, um den Freund nicht im Stich zu lassen.

Die nächste Stunde brachte eine Herz und Nieren prüfende Wiederholung des Sprung- und Rutschreitens, aber wir waren jetzt doch oben, wo Schnee lag ? und als die Meute sich wieder zersplittern wollte, gelang es uns mit größter Mühe, sie auf der uns so vertrauten großen Fährte festzuhalten, um die in meinen Augen schon ein romantischer Schimmer gewoben war.

Offenbar wollten die Hunde lieber einen von den beiden andern Wölfen aufnehmen, aber schließlich gelang es uns, sie nach unserem Willen zu lenken. Noch eine schwere halbe Stunde, und weit vorn sah ich, als ich zu einem breiten, flachen Tafelland aufritt, zum erstenmal den großen, schwarzen Isegrim von der Wachtkette vor uns.

»Hurra, alter Urian I« rief ich ihm wie grüßend zu, und die andern stimmten in den Ruf ein.

Jetzt waren wir endlich, dank seiner eigenen Mithilfe, hinter der richtigen Spur her. Die Hunde bellten lauter, die Windhunde kläfften und stürzten vorwärts ihm nach, und die Pferde schnaubten und sprangen kräftiger, von dem Jagdtrieb ergriffen. Schweigend verhielt sich nur der Schwarzmähnige, und als ich sah, wie groß und stark er war, und vor allem, was für lange und mächtige Kiefer er hatte, da wußte ich, warum die Hunde einer anderen Fährte lieber folgten.

Mit gesenktem Kopf und Schwanz setzte er über den Schnee. Lang hing ihm die Zunge heraus; offenbar war er stark mitgenommen. Die Wolfsjäger rissen ihre Revolver heraus, obwohl er über dreihundert Meter entfernt war; um Blut war es ihnen zu tun, nicht um Sport. Aber einen Augenblick später war er im nächsten Cañon vor unsern Augen verschwunden.

»Welchen Weg,« fragten wir uns, »hat er nun eingeschlagen? Ist er den Cañon hinauf oder hinunter gegangen?« Nach oben zu kam er in seine Gebirgsgegend, nach unten zu fand er zunächst bessere Deckung. King und ich stimmten für aufwärts und ritten so nach Westen, am Höhenrücken entlang. Die andern dagegen wandten sich ostwärts, um so zum Schutz zu kommen.

Bald waren wir außer Hörweite. Wir hatten uns geirrt, der Wolf war abwärts gegangen, aber wir hörten nicht schießen. Der Cañon ließ sich hier durchkreuzen; wir erreichten die andere Seite, wandten uns dann im Galopp zurück und spannten alle Sinne an, um eine Fährte im Schnee oder etwas Eilendes am Gesichtskreis oder irgendeinen verräterischen Ton zu entdecken.

»Quietsch, quietsch,« machte unser Sattelleder, »puff, puff« unsere Pferde, und »kakalum, kakalum« ihre Hufe.

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X.
Urian flüchtet in sein Bergland.

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Wir waren jetzt bis zu der Stelle zurückgekommen, wo der Wolf im Cañon verschwunden war, bemerkten aber keine Spur von ihm. In leichtem Galopp ritten wir ostwärts einen Kilometer und noch weiter, als King aufschrie: »Sehen Sie doch mal da!« Ein dunkler Fleck bewegte sich auf dem Schnee vorwärts. Wir setzten die Sporen ein. Ein zweiter dunkler Punkt erschien und noch einer, aber sie bewegten sich nicht schnell. In fünf Minuten waren wir ihnen nahegekommen und sahen nun – unsere eigenen drei Windhunde. Sie hatten das Wild aus den Augen verloren und somit auch den Anreiz zur Jagd, und nun suchten sie uns. Von den anderen Jägern sahen wir keine Spur mehr. Aber als wir zum nächsten Erdrücken eilten, stießen wir unvermutet auf die gesuchte Spur, der wir so schnell wie möglich folgten. Ein zweiter Cañon sperrte unseren Weg, und als wir daran entlang ritten, um eine Stelle zum Kreuzen zu finden, erhob sich aus einer buschigen Tiefe ein wildes Hundegebell. Der Lärm wurde, wie wir weiter ritten, immer lauter.

Bald sahen wir nun auch die Hunde auf der andern Seite, aber nicht in einem Knäuel, sondern in langen Faden auseinandergezogen. Noch fünf Minuten, und sie liefen den jenseitigen Abhang hinauf und vor ihnen her der große, schwarze Wolf. Wie vorher, lief er auch jetzt mit gesenktem Kopf und Schweif dahin. Jedes Glied an ihm zeugte von Kraft, und doppelte Kraft drückte sich in seinen Kiefern und seinem Nacken aus, aber seine Sätze waren jetzt, schien mir, kürzer und minder elastisch als vorher. Langsam erklommen die Hunde den steilen Abhang, und als sie ihn oben wieder erblickten, brachen sie in ein schwaches Triumphgebell aus; auch ihre Kraft war fast erschöpft. Kaum sahen die Windhunde das Wild, als sie ungestüm losbrachen und, wie von neuem Geist beseelt, sich in den Cañon stürzten und drüben hinaufeilten, während wir noch immer vergebens nach einer Kreuzungsstelle suchten.

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Wie mein Gefährte wütete, als er die Jagd da vorn sich ihrem Höhepunkte nähern sah und selbst hinten festgenagelt war! Aber er ritt und raste und wandte sich vorwärts, wo der Cañon immer schmäler wurde – es war ein schweres Reiten aus zerrissenem Gelände. Als wir uns dem mächtigen Bergabsatz näherten, hörten wir wieder schwaches Gebell von Süden her, das sich dann der Gegend der Wachtkette zuwandte. Wir hielten auf eine kleine Erhöhung zu und musterten den schneeigen Gesichtskreis. Ein dunkler Fleck erschien und bewegte sich vorwärts, dann andere, nicht in einem Haufen, sondern einer nach dem andern, und von Zeit zu Zeit hörten wir ein leises Bellen. Sie nahmen ihre Richtung mehr nach uns zu, sie kamen näher, ja, näher, aber nicht mehr rasch, denn recht zu laufen war, scheint's, keiner mehr imstande. Da rückte er heran, der grimmige Kuhwürger, in lahmen Sätzen daherhumpelnd, und ziemlich weit hinter ihm ein Windhund und ein zweiter und noch weiter die andern Hunde je nach ihrer Schnelligkeit, langsam und mühselig, wenn auch furchtlos hinter dem Wilde her. Die vielen Stunden schwerster Anstrengung waren nur zu sichtbar, vergebens hatte der Wolf versucht, durch seine größere Schnelligkeit die Verfolger abzuschütteln. Jetzt war seine Stunde gekommen, denn er war am Rande seiner Kraft, während die Hunde immer noch etwas übrig hatten. Gerade auf uns zu richtete sich eine Zeitlang die Jagd langsam um den Fuß des Bergrückens herum.

Über den Cañon hinüber, um mitzumachen, konnten wir nicht – so hielten wir den Atem an und folgten dem aufregenden Schauspiel mit den Augen. Jetzt waren sie uns weit näher, und der Wind trug uns häufiger den Klang des Hundegebells zu. Jetzt wandte sich Urian einem steilen Aufstieg zu, anscheinend einem gewohnten Pfade, denn er schwankte keinen Augenblick. Meine Teilnahme folgte ihm in Erinnerung daran, daß er sich selbst, um dem Gefährten beizustehen, seinen unbarmherzigen Verfolgern ausgeliefert hatte, und wir konnten uns einen Augenblick des Mitgefühls nicht enthalten, als wir ihn sich umblicken und sich langsam den steilen Weg hinaufschleppen sahen, um auf seinem Berge zu verenden. Ein Entrinnen konnte es für ihn nicht geben, wenn fünfzehn Hunde hinter ihm drein waren und außerdem noch die Jäger! Er schritt nicht, sondern er stolperte aufwärts, und die einzeln folgenden Hunde kamen jetzt ein wenig besser vorwärts als er und gewannen sicherlich Gelände. Wir hörten sie schnaufen, zum Bellen fehlte ihnen wohl der Atem. Den Berg hinauf ging so der fesselnde Zug um einen Abhang der Wachtkette herum, auf einer Felsenleiste entlang, die, wie sie anstieg, immer schmäler wurde und dann in einen ein paar Meter langen Vorsprung hoch über dem Cañon auslief. Die vordersten Hunde waren jetzt dem Wolf hart auf der Ferse, denn sie fürchteten sich nicht vor einem Feinde, mit dem es bald aus war.

Hier an der engsten Stelle, wo ein falscher Tritt den Tod bedeutete, wandte sich der große Wolf und bot ihnen die Stirn. Breitbeinig, mit vorgestrecktem Kopf und ein wenig aufgehobenem Schwänze, die schwarze Mähne sträubend und seine furchtbar schimmernden Zähne fletschend, aber ohne, soviel wir hören konnten, auch nur einen Ton von sich zu geben, so bot er der Schar der Feinde Trotz. Seine Beine konnten offenbar nicht mehr weiter, aber Nacken, Kiefer und Herz waren stark und drohend, und nun – wer ein großer Hundefreund ist, der mache hier lieber das Buch zu – vorwärts, herauf und geradeaus kamen die vierzehn gegen den einen, sie kamen heran, die schnellsten zuerst, und wie es eigentlich geschah, konnte das Auge kaum unterscheiden; aber wie ein Wasserguß auf einen Felsen niederströmt und aufschlägt, um in zerteilten Spritzern auseinander zu stäuben, so ergoß sich die Meute die Felsenleiste entlang und stürzte in einzelnen Kaskaden auf den empfangsbereiten schwarzmähnigen Urian. Ein schwacher Ansprung, ein Gegenstoß, eine Schmarre, und das Spiel ist aus, »Fango« hat keinen Grund mehr unter den Füßen und ist verschwunden. Da sind »Dandy« und »Nero« heran und wollen ihn packen; ein Ruck, ein Schleudern, und sie sind vom engen Pfad gestoßen. »Blaufleck« kommt und dicht dahinter der mächtige »Oskar« und der furchtlose »Tiger« – aber der Wolf steht fest und dicht an der Bergflanke, und als das Getümmel vorüber ist, da sieht man nur noch ihn allein und nichts mehr, rein gar nichts mehr von den mutigen Hunden; die übrigen stoßen vor, einer nach dem andern, denn die Hintersten drängen die Vordersten vor – vorwärts auf die Felsenkante, hinab in den Tod. Ritsch, ratsch, weg – vom Schnellsten bis zum Dicksten, bis zum Allerletzten, hinunter, hinunter schleudert er sie, daß sie niederwirbeln auf den Felsengrund tief unten, wo Riffe und Baumstümpfe ihnen den Rest geben.

In fünfzig Sekunden war alles vorüber. Der Fels hatte den Wasserguß beiseite geschleudert – die Meute aus der Penrooffarm war nicht mehr vorhanden, und der alte Urian stand wieder allein als Herrscher in seinem Bereich da.

Einen Augenblick wartete er, um zu sehen, ob noch mehr kämen. Es war keiner mehr da, die Meute war tot; aber diese Pause hatte ihm den Atem wiedergegeben. Da erhob er zum erstenmal seine Stimme während des ganzen tragischen Schauspiels, ließ ein langes Triumphgeheul hören, kroch sodann langsam der nächsten Felsbank zu und entschwand unseren Augen in einem Cañon der Wachtkette.

Wir starrten ihm nach, als wären wir von Stein. Die Büchsen in unseren Händen hatten wir vergessen. Alles war so schnell, so überwältigend vor sich gegangen. Wir rührten uns nicht, bis der Wolf verschwunden war. Wir hatten nicht gar weit bis zum Ort der Tat, so gingen wir zu Fuß hin, um zu sehen, ob einer von den Hunden seinem Geschick entgangen war, aber es war keiner mehr am Leben, wir konnten nichts tun, auch die Worte blieben uns im Halse stecken.

XI.
Das Abendgeheul.

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Eine Woche später ritten wir, King und ich, am Rande der Schornsteinschlucht entlang heim. »Der alte Penroof hat's jetzt dick,« sagte er. »Wenn 'r könnte, würd' 'r verkaufen. Er weiß nicht, was 'r nu tun soll.«

Die Sonne ging hinter der Wachtkette unter. Es war schon dämmerig, als wir an die Biegung kamen, wo es zu Dumonts Gebiet geht, als vom Flußgelände ein tiefes, rollendes Geheul zu uns heraufdrang, dem ein mehrfaches Geheul in höheren Tönen folgte. Sehen konnten wir nichts, um so gespannter lauschten wir. Die Töne wiederholten sich, es war das Jagdzeichen der Wölfe. Es verscholl, doch bald wurde die Abendruhe durch ein zweites Konzert unterbrochen, bei dem sich an ein scharfes Gebell ein kurzes Heulen schloß, das mir wohlbekannte Wolfszeichen: »Kommt mit!« Ein Brüllen wurde hörbar, aber nur sehr kurze Zeit, denn es brach plötzlich ab.

Und King murrte, sein Pferd in Bewegung setzend, ärgerlich: »Das ist er, er ist mit dem Rudel unterwegs, und uns kost's eben wieder 'ne Kuh!«


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