Ein Skizzenbuch
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279 Der Trilpetritsch.

281 Man konnte eigentlich nicht sagen, dass der Christian dumm war, und doch galt er im ganzen Dorfe dafür. Es mochte wohl davon kommen, dass es Niemanden gab, der sich besser und geduldiger hänseln liess und für alle ländliche Kurzweil dieser Art ein so sicheres Opfer war. Das hatte nun seinen Grund weniger in seiner Dummheit, als in seiner grossen Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit, denn er war als ein Sohn armer Köhlersleute in der Einsamkeit des Waldes gross geworden und hatte von der Welt und den Leuten wenig gehört und gesehen, höchstens einmal den Fuhrmann, der die Kohlen auflud, oder ein Beeren und Kräuter suchendes Weiblein, oder den Jäger, der sein Revier abschritt und dabei ein wenig mit dem 282 Köhler plauderte. Desto besser aber wusste Christian im Walde Bescheid und kannte im weiten Umkreis jedes Fleckchen und die Stellen, wo die besten Beeren und Haselnüsse wuchsen. Er wusste die Orte, wo am steinigen Bergabhang die Eidechsen und Ringelnattern sich sonnten, und verstand es, an dem rasch fliessenden Waldbach Forellen zu greifen, die in den Uferhöhlen standen, oder in der Dunkelheit bei dem Lichte eines Kienspans die scheuen Krebse zu belauern.

An den stillen Sommerabenden, wenn die Baumwipfel ringsumher in röthlichem Lichte standen und der Rauch des Meilers kerzengerade in die Luft emporstieg, da hockte er gern neben dem Vater auf einem gefällten Stamme, und jener erzählte ihm Geschichten und Sagen aus der Umgegend, denn davon war der Köhler ganz erfüllt. Da erfuhr nun Christian, warum die Holzhauer in jeden gefällten Stamm drei Kreuze einhieben. Dies geschah der Waldweiber wegen, welche auf also gezeichneten Stämmen 283 Schutz fanden vor der Verfolgung des wilden Jägers, der sie sonst ewig hetzte. Natürlich ging Christian dann auf dem Holzschlag herum und sah nach, ob überall dies Zeichen angebracht war. Vom wilden Jäger gab's überhaupt manche schauerliche Geschichten, und in einer stürmischen Herbstnacht hatten die Köhlersleute ihn gar selber gehört, wie er durch die Luft dahinzog, und hatten das Rufen der Jäger und das Gekläff der Meute deutlich vernommen.

Aber noch mehr wunderliche Wesen gab es im Walde: so die Moosmännchen und -Weibchen, die, nur so gross wie dreijährige Kinder, am ganzen Leibe mit Moos bewachsen sind und in hohlen Bäumen wohnen. Sie baden sich des Morgens im Thau, und wer darauf achtet, kann oftmals die Stellen finden, wo sie sich gewälzt haben. Wenn aber Jemand die Rinde rings von einem Baume schält oder ein Stämmchen verdreht, dass der Bast platzt, oder es aus der Erde reisst, da müssen sie 284 sterben, und man hört ihre laute Wehklage. Aber auch im Wasser gab es derlei wunderliche Wesen. Dort weiter unten, wo der Bach aus dem Walde tritt und das weite Wiesenland sich ausbreitet, zeigten sich früher, zur Zeit der Heuernte, in einem Weidengebüsch am Wasser eine Menge ganz kleiner Weiblein, die ihre Hemdchen in den Zweigen aufhängten und weildess mit vielem Geplätscher und Gelärm, sodass man ihre feinen zwitschernden Stimmen weit hören konnte, in dem Bache badeten. Aus der Ferne durfte man sie beobachten; trat aber Jemand näher hinzu, da erhoben sie ein grosses Geschrei, rafften eilig ihre am Lande aufgehängten Hemdchen zusammen, sprangen kopfüber, wie die Frösche, ins Wasser und verschwanden.

Nun war aber in einem benachbarten Dorfe ein pfiffiger Bauernbursche, der machte eine grosse Falle aus grünem Weidengeflecht und verbarg sie dort geschickt in den Büschen. Als Köder that er ein rothes, seidenes Tüchlein hinein, denn er 285 dachte: Weib ist Weib, und was unseren eitlen Bauerdirnen so wohl behagt, das wird auch den kleinen Wasserfräulein nicht zuwider sein. Er legte sich in der Nähe auf die Lauer, und richtig, bald hatte er auch eins der niedlichen Dinger gefangen. Dies zeigte nicht die mindeste Furcht, liess sich ruhig von dem Burschen auf den Arm nehmen und schaute mit den Aeuglein, die so schwarz waren wie Heidelbeeren, ganz munter und grell um sich. Sobald er es in die Stube gebracht und auf den Boden gesetzt hatte, streifte das Ding seine Hemdärmel auf, schürzte sein schneeweisses Kleidchen und band das schwarze Haar zurück, das ihm wohlgekämmt über die Schultern hing, und dann begann es so eifrig und flink aufzuräumen, zu scheuern, zu bürsten, zu klopfen und zu fegen, dass es eine wahre Lust zu sehen und alle Hausarbeit im Umsehen besorgt war. So blieb das Weibchen im Hause den ganzen Sommer lang. Jeden Abend in der Dämmerung kam aber ein kleines Wassermännlein durch 286 eine Lücke im Gartenzaun gekrochen und kletterte aussen an der Spalierwand in die Höhe, bis es ins Fenster blicken konnte; das Weiblein stand aber drinnen auf einem Stuhl, und dann steckten sie die Köpfchen zusammen und wisperten und pisperten mit einander in einer fremden, wunderlichen Sprache, die so klang, als wenn ein kleiner Quellbach über Kiesel und Gestein klingend dahinrieselt. Bald ist das Männlein dann wieder gegangen und hat sich zuweilen noch ein wenig im Garten zu thun gemacht, an den Obstbäumen emporgesehen oder kopfnickend, mit auf den Rücken gelegten Händen und weiser Miene, die Gemüsebeete betrachtet oder an einer Blume gerochen. Einmal im Sommer hat es einen Büschel Feuerlilien zu sich niedergeholt und sein Näschen in deren Kelche vergraben. Da hat es aber von dem Blüthenstaub ein puterrothes Gesicht bekommen und hat so erschrecklich niessen müssen, dass es beinahe auf den Rücken gefallen ist. Darüber hat das kleine 287 Wasserweiblein nun eine unbändige Freude gehabt, es hat in die Händchen geklatscht und mit seinem silbernen Stimmlein unaufhörlich gelacht. Das Männchen hat zwar dies nicht gerade übel genommen, ist aber doch etwas eilfertiger als sonst durch den Zaun gekrochen und hat sich dann, wie gewöhnlich, mit einem kleinen Schrei kopfüber in den Ziehbrunnen gestürzt. Aus diesem Brunnen ist es auch jedes Mal bei seinen Besuchen zum Vorschein gekommen.

Als es nun gegen den Herbst ging, da dauerte es die Leute im Hause, dass das kleine Wesen mit seinen feinen Füsschen immer barfuss umherlief, und sie beschlossen, ihm ein paar Schuhe zu schenken; allein das Ding war nicht zu bewegen, sich Maass nehmen zu lassen. Da streute man Mehl auf den Boden, und nach den Abdrücken der kleinen Fusssohlen musste der Schuster sein Werk verrichten. Der machte nun auch mit besonderem Fleiss zwei Schuhe, die waren noch zierlicher und feiner als die ersten, welche ein Kind 288 bekommt, gar säuberlich mit rothem Leder eingefasst, dass es eine wahre Freude zu sehen war. Als man nun aber dem Weiblein die Schuhe hinstellte und es bat, sich ihrer zu bedienen, da erhob es ein Jammern und Wehklagen, weil man ihm seine Dienste belohnen wolle, zog, indessen die Thränen über sein Gesichtchen strömten, die niedlichen Dinger an, streifte dann die Hemdärmel wieder vor, entschürzte sein Röckchen, löste das Haarband und lief davon, um niemals wieder zu kommen. –

Aber nicht allein in Luft und Wald und Wasser lebte es von solcherlei Geschöpfen, nein auch in der Erde waren sie zu Hause, und diese hatten es zumeist mit Schätzen zu thun. Diese Zwerge oder Erdmännlein sonnten zur Mittagszeit zuweilen ihre goldenen Geräthe und köstlichen Geschmeide, allein dem Unkundigen erschienen die herrlichen Dinge nur als blinkende Scherbenhaufen. Kam aber ein wissender und raffte stillschweigends Alles in ein 289Tuch, so fand er es, zu Hause angekommen, gefüllt mit den werthvollsten Schätzen.

Einst, auf seinen weiten Streifereien, war nun auch Christian, dessen Sinn erfüllt war mit derlei Geschichten, an den Rand des Waldes gekommen, wo dieser von den Feldern eines benachbarten Dorfes begrenzt wurde und siehe, dort mitten in dem gepflügten Acker auf einem kleinen, steinigen Hügel da glänzte und funkelte es unsäglich in der Sonne und streute förmlich Blitze auf ihn hin. Da dachte Christian, er wolle klug sein, lief eilends hinzu, schüttete die Steinpilze aus, welche er schon in seinen leinenen Sack gesammelt hatte, und füllte den glitzernden Scherbenhaufen hinein. Als er dann, ganz heiss vom schnellen Lauf und glühend von froher Erwartung, nach Hause kam und dem Vater die köstlichen Schätze zeigen wollte, da erntete er nur Spott und Gelächter, denn aus dem Sacke kamen nur werthlose Scherben von zerschlagenen Bierflaschen hervor, und er 290 musste noch einmal fort, um die weggeworfenen Steinpilze wiederzuholen.

Die Zwerge waren häufig in der Gegend, und überall zeigte man die Orte, wo sie wohnen sollten. Dass es aber Niemanden gab, der sagen konnte, er hätte ein solches Männlein gesehen, das hatte seinen besonderen Grund, denn Jeglicher von ihnen trug ein Käppchen, das ihn unsichtbar machte. Dies war ihr höchstes Besitzthum, weil es die schwachen Geschöpfe vor den Angriffen von Mensch und Thier beschützte und ihnen die Möglichkeit gab, sich von Allem, das sie zu ihrer Ernährung brauchten, ungesehen ihren Antheil zu nehmen. Das wiederholte der Köhler oft in seinen Erzählungen und fügte dann immer hinzu: »Darum, wenn man von einem Zwerge was erlangen will, muss man trachten, dass man sich seines Mützchens bemächtigt, denn um dieses wiederzuerlangen, wird er Alles anwenden und seine kostbarsten Schätze hergeben.«

Solcher Art waren die Kenntnisse, welche 291 Christian in seiner Jugend sammelte. Ausserdem lernte er die Kuh und die zwei Ziegen hüten und in der Abwesenheit des Vaters den Meiler zu besorgen. Als er nun im Laufe der Zeit zu einem kräftigen Jüngling herangewachsen war, brachte der Kohlenfuhrmann die Nachricht, dass man in einem grossen, an den Wald angrenzenden Dorfe einen jungen Burschen suche, der den Dienst eines Kuhhirten auf der Gemeindeweide versehe. Dafür solle derselbe freie Kost, ferner einen neuen Anzug und für den Sommer sechs Speciesthaler erhalten. Er habe schon den Christian vorgeschlagen, und wenn die Köhlersleute nichts dagegen hätten, sei Alles in Ordnung. Diesen leuchtete ein solcher Vorschlag sehr ein, und auf diese Art war Christian in das Dorf gekommen und hatte sein Amt den Frühling und Sommer hindurch zur Zufriedenheit verwaltet. Zwar manchmal überkam ihn das Heimweh, zumal an stillen Sommerabenden, wenn rings um ihn nichts vernehmlich war, als das 292 Rupfen der Kühe an dem kurzen Grase und das Summen der Bremsen. An solchen Abenden sah er aus dem blauen Dämmer des fernen Waldes die schmale Rauchsäule des Meilers in die stille Luft emporsteigen und wusste dann, dass dort seine Heimath war.

Als der Sommer und ein Theil des Herbstes vergangen war und die Kühe nicht mehr auf die Weide gehen konnten, da blieb Christian bei dem einen der Bauern als Kleinknecht, und nun begannen jene Hänseleien, deren geduldiges Opfer er lange Zeit blieb, weil seine Gutmüthigkeit ihn immer wieder Glauben schöpfen, und seine Unerfahrenheit ihn in alle Schlingen fallen liess. Welches Vergnügen bereitete es der ausgelassenen Dorfjugend, Jemanden zu haben, dem man die allerbekanntesten Dinge aufbinden konnte, der sich in die Stadt schicken liess, um vom Krämer ein Fläschchen rosagrüne Tinte oder sechs Loth ungebrannte Asche zu holen, oder vom Apotheker für sechs Pfennige Mückenfett.

293 An den Abenden, wo die jungen Leute in den Spinnstuben zusammen waren, wurde immer etwas Besonderes für Christian ausgeheckt oder Altbewährtes an ihm probirt, und da er nun bereits anfing, etwas gewitzigter zu werden, so trafen seine Gegner ihre Vorbereitungen um so viel pfiffiger, sodass es ihnen vor einigen Tagen noch gelungen war, ihn zu veranlassen, mit der Zunge an dem eisernen Pumpenschwengel auf dem Dorfplatz zu lecken, indem ein Jeder in überschwenglicher Weise die herrlichen Empfindungen zu schildern versuchte, welche dies bei ihm erwecken würde, und alle um die Wette ihre Verwunderung ausdrückten, dass er sich diesen Genuss nicht schon öfter bereitet habe. Da Christian hierbei nun nichts Gefährliches denken konnte und seine Neugier gross war, zumal ihm Einige versicherten, er werde die Engel im Himmel singen hören, wenn er die Sache ordentlich mache, so liess er sich wiederum einmal übertölpeln. Nun war es aber ein bitterkalter December-Abend, und 294 sobald er nur mit der Zunge den Pumpenschwengel berührt hatte, war sie festgefroren, und der arme Christian sass wie ein Fisch an der Angel, zum grossen Jubel derjenigen, welche ihn zu dieser That verführt hatten. Er wäre nun wohl nicht ohne Verlust eines Theiles seiner Zungenhaut wieder losgekommen, hätte eines der Mädchen sich nicht schon vorher weggeschlichen, und nun war sie zur rechten Zeit mit einem Töpfchen voll warmen Wassers bei der Hand, um den Geprellten wieder loszuthauen. Während sie so liebreich thätig war, schalt sie leise in sein Ohr: »O Du dummer Christian, hast so schöne kluge Augen und bist so ein Tölpel, dass Du glaubst, was jeder Hansnarr Dir vorredet. O Du Einfalt, o Du Pinsel!«

Diese Scheltworte thaten aber dem Christian gar nicht weh, sondern tönten ihm gar lieblich, denn mit diesem Mädchen hatte es seine besondere Bewandtniss, und wenn er in der Spinnstube, wie gewöhnlich, in dem dunkelsten Winkel sass, da musste 295er immerfort heimlich nach ihr hinsehen, denn ihm dünkte, der liebe Gott habe mit ihrem rosigen Gesicht und ihrer rundlich schlanken Gestalt ein rechtes Meisterstück vollbracht. Kürzlich war sie ihm begegnet, auf dem schmalen Fusswege, zwischen den Hecken, und da hatte sie im Vorübergehen ganz derb mit ihrer runden Schulter an seine gestreift, und ihm einen Blick dabei zugeworfen, dass er blutroth geworden war. Ja, was die Annemarie wohl nur damals gewollt hatte! Den Blick konnte er nicht vergessen, und an der Stelle, wo sie ihn damals berührt hatte, glaubte er noch immer eine gewisse Wärme zu spüren.

Die strenge Winterkälte hielt an, und als die Burschen und Mädchen mal wieder in der Spinnstube beisammen waren, da entspann sich eine neue Verschwörung gegen den armen Christian. Ein alter Dorfspassmacher, der voll von Schwänken sass, hatte einen Brauch aus seiner Jugend in Erinnerung gebracht, den man an kalten Winterabenden auszuführen pflegte, sobald 296 man einen Dummen finden konnte, der darauf einging. Es hiess dann: »Wir wollen den Trilpetritsch jagen«, und Alle zogen hinaus in die kalte Winternacht. Dann gab man dem Dummen einen Sack, dessen Oeffnung er aufhalten musste, in einer Lücke zwischen zwei Gebüschen oder an einem sonstigen geeigneten Ort, und schärfte ihm ein, wohl aufzupassen; die Anderen würden sich jetzt vertheilen und den Trilpetritsch jagen und in den Sack treiben. Zuerst vollführten sie dann im Umkreis einen ziemlichen Lärm mit Händeklatschen und Rufen: »Ho, Trilpetritsch!« Dann drückte sich aber Einer nach dem Anderen heimlich in die warme Spinnstube zurück, und man liess den guten Sackträger so lange in der bitterlichen Kälte stehen, als er es aushalten mochte. Kehrte er dann endlich zu seinen Genossen zurück, so erhoben sie ein grosses Gelächter, der Arme wurde über die Massen gehänselt und behielt so lange den Namen der »Trilpetritsch«, 297 bis ein neuer Dummer gefunden wurde, der ihn ablöste.

Nachdem nun an diesem Abend schon allerlei Schnurren erzählt, Lieder gesungen und Possen getrieben worden waren, ging einer der Verschwörer an das Fenster, sah nach dem sternfunkelnden Himmel empor und sagte: »Heut wäre so ein rechter Abend, den Trilpetritsch zu jagen.«

» Ja«, sagte ein anderer, »in den klaren Nächten bei Mondschein und Sternenlicht, da treibt er sich gern umher.«

»Wer ist denn der Trilpetritsch?« fragte eins der Mädchen, das nicht eingeweiht war. Der Bursche am Fenster zwinkerte ihr mit den Augen zu und deutete heimlich auf Christian hin, fasste sich aber schnell und sagte auf gut Glück: »Nun, was wird's sein? So ein Unterirdischer, so ein Zwergenmännlein.«

»Ein grünes Röcklein hat's an und 'ne rothe Nase im Gesicht«, log ein Anderer schnell dazu.

An dieser Sache nahm Christian grossen 298 Antheil, denn mit solchen Dingen wusste er Bescheid und erinnerte sich sofort an eine Erzählung seines Vaters. Er rief plötzlich: »Hier am Fuchsberg, da wohnen welche, da, wo die grossen Steine liegen!«

»Natürlich«, rief der Erste wieder, »und da wollen wir den Trilpetritsch auch jagen!«

Sie zogen nun Alle hinaus zum Fuchsberg, einem kleinen Hügel am Rande des Dorfes, wo der Wald begann. Dort lagen viele mächtige Steinblöcke verstreut, und einige höhlenartige Oeffnungen zogen sich in das Innere des Berges; die Einen hielten diese für einen Fuchsbau, Andere aber wollten wissen, dass dort seit uralten Zeiten schon Zwerge hausten. Es entstand nun eine Berathung darüber, wer den Sack halten solle, und die allgemeine Stimme entschied sich natürlich für Christian. Dieser fühlte sich sehr geehrt durch diese Wahl, fragte aber: »Was soll ich denn mit ihm machen, wenn ich ihn habe?« Auf so gründliche Fragen waren die Anderen eigentlich gar nicht vorbereitet, jedoch rief 299 Einer schnell: »Zuerst bindest Du den Sack mit einem tüchtigen Kreuzknoten zu,« und ein Anderer fügte hinzu: »Und dann kannst Du Dir ja so viel Geld von ihm wünschen, dass Du Dir den Erlenhof kaufen kannst, der übermorgen auf die Gant kommt.« Dies leuchtete Christian sehr ein, und man stellte ihn nun am Fuchsberge an zwei grosse Steine, die einen schmalen Pfad zwischen sich frei liessen. Hier musste er seinen Sack ausspannen, und man schärfte ihm ein, recht aufzupassen und sich die Zeit nicht lang werden zu lassen; man werde sich nun im weiten Umkreis vertheilen und den Trilpetritsch allmählich hertreiben. Nach einer Weile hörte er auch rings in der Ferne ein Händeklatschen und Rufen, allein anstatt näher zu kommen und sich zu verstärken, ward es allmählich immer leiser und seltener, und nach einer Viertelstunde etwa hörte er gar nichts mehr, worüber er sich sehr verwunderte, denn er wusste ja nicht, dass die jungen Treiber bereits unter heimlichem Kichern 300 auf dem Wege nach der warmen Spinnstube waren.

Es war bitterlich kalt, und die Sterne funkelten unsäglich. Vor ihm in der Lücke zwischen zwei schwarzen Kieferwipfeln stand der Vollmond, glänzend wie polirtes Silber, und schaute mit einem sonderbaren Grinsen auf ihn hin. Bald fror ihn tüchtig, seine unbeschützten Finger waren wie Eis, und der Hauch seines Mundes schimmerte weisslich im Mondlicht. Dabei horchte der Arme scharf nach allen Seiten und suchte, so gut es ging, das Klappern seiner Zähne zu unterdrücken. Allein er vernahm nichts, als endlich in einiger Entfernung ein leichtes Rascheln, als wenn dort ein Hase sich bewegte oder ein Eichhörnchen, das unter dem welken Laube nach Eicheln suchte. Allein, obwohl die Stelle hell vom Monde beschienen war, so vermochte er doch dort nicht das Geringste zu sehen. Plötzlich aber wurden Schritte vernehmlich, von der Seite des Dorfes her. Sie nahten eilig, und dann verstummte ihr Geräusch, als 301 wenn die Person lausche oder sich umsehe. Hernach kamen die Tritte wieder schnell näher, doch sehen konnte Christian nach dieser Seite nicht, weil ein finsteres Gebüsch von jungen Fichten dort im Wege war. »Ho Trilpetritsch!« hörte er jetzt eine bekannte Stimme leise sagen. Es war Annemarie, die sich heimlich fortgeschlichen hatte, um den guten dummen Christian, welchen sie trotz alledem herzlich gern hatte, möglichst frühzeitig aus seiner hässlichen Lage zu befreien. Aber ehe dieser recht zur Besinnung kam, geschah etwas Anderes, das seine Aufmerksamkeit in hohem Grade in Anspruch nahm. Als die Tritte des Mädchens immer näher kamen, wurde es an der Stelle, wo Christian vorhin das leichte Rascheln gehört hatte, plötzlich lebendig, und als nun gar jene ihren leisen Ruf erschallen liess, wurzelte etwas wie mit kurzen Beinchen eilig durch das welke Laub, kam hastig auf Christian zu, und plötzlich spürte dieser einen heftigen Ruck an seinem aufgestellten Sack, und 302 dass sich darin etwas mit gewaltigem Zappeln regte und bewegte. Das durchzuckte den braven Trilpetritsch-Fänger wie ein Schlag, und eilig, so gut er mit den verklammten Fingern es vermochte, schnürte er den Sack mit einem tüchtigen Kreuzknoten zu.

Nun stand mit einem Male Annemarie vor ihm, doch ehe sie noch etwas sagen konnte, rief Christian voller Freude: »Ich habe ihn, ich habe ihn, den Trilpetritsch! Du hast ihn mir zugetrieben!« Damit liess er den zugeschnürten Sack am Boden liegen, und ehe es sich Annemarie recht versah, hatte Christian sie um den Leib gefasst und mitten auf den Mund geküsst. Das war doch eine unerhörte That, und er bekam auch einen ziemlichen Schreck, als er sich dessen bewusst ward, allein Annemarie, obwohl sie mit der Hand nach ihm stiess und ihn von sich drängte, schien es doch gar so übel nicht aufzunehmen. Dem klugen Mädchen war ausserdem gleich klar geworden, dass nun, da Christian in seinem 303 Sacke wirklich etwas gefangen hatte, der Vortheil auf seiner Seite lag und es darauf ankam, die anderen gehörig damit bange zu machen. »Nun, was wirst Du drin haben?« sagte sie; »ein Hase wird's sein, oder gar ein Fuchs, aber die Anderen werden sich schön davor graulen, denen sollen die Haare zu Berge stehen.« Damit eilten beide ebenfalls der Spinnstube wieder zu. Als Christian plötzlich in die Thür trat, tönten ihm von allen Seiten ein gewaltiges Gelächter und die höhnischen Rufe: »Der Trilpetritsch! Der Trilpetritsch!« entgegen; allein er ging mitten in die Stube, setzte den Sack auf den Fussboden und rief: »Ja, ich habe den Trilpetritsch!« Als nun die Anderen sahen, dass sich in dem Sacke wirklich etwas regte und bewegte, erschraken sie und wichen in abergläubischer Furcht bis an die Wände zurück, während es zugleich todtenstill im Zimmer ward.

Bis dahin hatte sich das unbekannte Ding in seinem Gefängniss ganz 304 mäuschenstill verhalten; nun aber musste es wohl denken, dass seine Zeit gekommen sei, denn plötzlich tönte aus dem Sack ein so gräuliches, höllenmässiges Geschrei, ein Jaulen und Wehklagen in den schrillsten Tönen und ein Zischen, wie von Schlangen, dass die sämmtlichen Insassen der Spinnstube, mit Ausnahme von Christian, in die furchtbarste Angst geriethen, und als nun gar der Sack anfing, sich fortzubewegen, und auf den Haufen derjenigen loskobolzte, welche sich fluchtbereit an der Thür zusammendrängten, da stürzten Alle mit Geschrei aus der Stube heraus und stiessen sich und traten sich und kreischten vor Entsetzen, denn Jeder glaubte, schon im nächsten Augenblick die Faust des leibhaftigen Satans in seinem Nacken zu spüren. Als nun alle fort waren, von solcher Angst erfüllt, dass Keiner den Muth hatte, von aussen in das Fenster zu sehen, da fing Christian seinen Sack wieder ein und liess sich weder durch Fauchen noch Prusten, Zischen und Geheul beirren, denn 305 dergleichen Sachen kannte er und wusste, dass solches nichts zu bedeuten hatte. Er packte zu und fühlte nun, dass das Ding kein Thier war, sondern Arme und Beine und einen Leib hatte, wie ein Mensch. Mit einem geschickten Griff fasste er es um den Hals, und nun zog das Geschöpf andere Saiten auf und begann mit einem quäkenden Stimmlein um Gnade zu flehen und die schönsten Versprechungen zu machen. Aber Christian wusste, was er zu thun hatte. Mit der anderen Hand löste er die Verschnürung des Sackes und schälte nun sorgfältig, ohne das wunderliche Wesen loszulassen, den Kopf desselben heraus. Das Sonderbarste aber war, dass er diesen nun wohl befühlen konnte, aber nichts sah. Das änderte sich jedoch plötzlich, als er zugriff und eine rothe Mütze in der Hand behielt, welche er sofort in seiner Tasche verbarg. Nun sah er in das zornige Gesicht eines Zwergenmännleins und sagte sehr vergnügt: »Guten Abend, lieber Herr Trilpetritsch.«

306 »Ach was, Trilpetritsch!« rief dieser unwirsch, »Rumpetrumpen heiss' ich! Und was würgst Du mich so, Du Tapps!«

Christian liess das Männlein los, und nun verhandelten sie mit einander und kamen überein, dass der Zwerg ihm am anderen Morgen bei Sonnenaufgang gegen Zurückgabe des Mützchens dreitausend Kremnitzer Randducaten auszahlen solle.

»Dir gönn' ich's noch am meisten«, sagte Rumpetrumpen, »denn ich hatte Dich immer gern, und obwohl mir meine schönen Ducaten leid thun, so freut es mich, dass die Anderen, die mit dem Trilpetritsch Dich zum Narren haben wollten, Dir so zum Glücke verholfen haben. Ich verlustirte mich da ein wenig im Mondschein und sah Dich nicht, weil Du im Schatten standest. Als nun das Mädchen kam, da wischte ich fort und gerieth in den infamen Sack. Ja, die Dummen haben das Glück«, schloss er dann und kicherte mächtig.

Das Männlein liess sich nun wieder in den Sack stecken, und Christian trug es, 307 unbemerkt von den Anderen, da das rothe Mützchen ihn unsichtbar machte, wieder zum Fuchsberge. Dann eilte er schnell wieder in seine Kammer, verbarg das Mützchen an einem sicheren Ort und kehrte wieder auf den Dorfplatz zurück, wo die anderen Leute noch alle frierend herumstanden und mit ängstlichen Gefühlen auf die erleuchteten Fenster der Spinnstube hinstarrten. Soeben hatte einer der Kühnsten sich herangewagt und einen scheuen Blick hineingethan. Jetzt kam er gerade zurück und rief: »Alles ist leer, der Teufel ist bereits mit ihm abgefahren!«

Darüber musste Christian so laut lachen, dass Alle zusammenschraken; doch als sie bemerkten, dass er es war, stürmten sie auf ihn ein und befragten ihn um das seltsame Abenteuer. »Nun, es war der Trilpetritsch!« sagte Christian, den das geglückte Abenteuer ganz übermüthig gemacht hatte.

»Wie sah er denn aus?« rief Einer.

»Ein grünes Röcklein hatte er an, und 308 'ne rothe Nase im Gesicht, das wisst Ihr ja schon.«

»«Was hast Du denn mit ihm angefangen?«

»Nun, ich hab' ihn wieder laufen lassen. Ich konnte das Ding doch nicht in einen Bauer sperren, wie ein Eichhörnchen oder einen Staarmatz.«

Unterdess war es Christian gelungen, Annemarie verstohlen am Rock zu zupfen, diese verstand ihn und entfernte sich heimlich. Während nun die Anderen wieder Muth schöpften und die Spinnstube aufsuchten, drückte auch Christian sich unbemerkt bei Seite und folgte ihr. Dann, in einer dunklen Ecke, erzählte er ihr Alles, und als er endlich eine Frage an sie that, über deren Kühnheit er fast selber erschrocken war, sagte sie Ja, sank ihm an die Brust und küsste ihn herzlich.

Am nächsten Morgen holte sich Christian das Geld von dem braven Rumpetrumpen, und am Tage darauf, als der Erlenhof zur Versteigerung kam, da that er zur 309 allgemeinen Verwunderung das höchste Gebot und zahlte baar in den herrlichsten Ducaten. Da sahen die Leute wohl, dass es mit dem Trilpetritsch doch seine besondere Bewandtniss hatte, und manche von den jungen Männern wurden gelb vor Neid und fast krank vor Aerger, als sie bedachten, dass sie ihm durch ihre Hänseleien zum Glücke verholfen hatten. Die jungen Mädchen aber fanden sämmtlich, dass der Christian ein hübscher, kluger Bursche sei, und begriffen kaum, wo sie früher ihre Augen und ihren Verstand gehabt hatten, dass sie dessen nicht eher inne geworden waren. Er aber blieb seiner Annemarie treu, und im Frühjahr gab's eine mächtige Hochzeit auf dem Erlenhofe. Alles gedieh ihnen, sie bekamen schöne Kinder und lebten vergnügt bis an ihr seliges Ende.

 

 


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