Ein Skizzenbuch
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239 Der Goldbrunnen.

241 I.

In einem schnell dahinrauschenden Gebirgsbache lebte in alter Zeit ein Fischer, der alltäglich ausging, um seine Angel nach Forellen und Aeschen auszuwerfen, von deren Verkauf in der benachbarten Stadt er seinen Unterhalt zog. Dies war ihm nun auch alle Zeit wohl gediehen, bis in einem Sommer der Fang nicht mehr gelingen wollte, ob er gleich mit derselben Kunst und Geschicklichkeit als früher die Fliegen oder Grashüpfer, welche an seiner Angel als Köder befestigt waren, über das strömende Wasser tanzen liess. Nur selten bekam er ein Gericht der köstlichen Fische beisammen und gerieth in solche Noth, dass er bereits seine wenigen Sparpfennige angreifen musste und in Sorgen darüber gerieth, wie er sich von seinem 242 Berufe ferner ernähren möchte. An einem heissen Sommertage hatte er wieder unzählige Male vergeblich die Angel ausgeworfen und war hinaufgewandert bis dorthin, wo er nicht mehr fischen konnte, weil daselbst das Wasser in brausenden Fällen über mächtige Felsblöcke herabgeschossen kam. Dort sass er nun, während schon die Abendsonne röthlich in den Wipfeln lag und die Kuppen der Felsen leuchtend aus den dunklen Massen des Waldes hervorhob, hatte das Gesicht auf beide Hände gestützt und dachte über sein trauriges Schicksal nach, als er plötzlich zusammenfuhr, denn eine weiche weibliche Stimme in seiner Nähe sagte deutlich: »Was fehlt dir, mein guter Fischer?«

Er erhob seine Augen und erschrak nun fast noch mehr, denn ihm gegenüber auf der anderen Seite des Baches sass in einer Felsenhöhlung, aus welcher ein klarer Quell hervorrieselte, eine wunderschöne Wasserfrau. Sie war gekleidet in ein schneeweisses Gewand, aber noch weisser leuchteten 243 ihre schimmernden Glieder daraus hervor und bis zu den Hüften war sie umwallt von ihrem langen Haar, das wie röthliches Gold schimmerte.

Als der Fischer nun wieder etwas Muth geschöpft hatte, klagte er der schönen Frau seine Noth und bat sie, ihm zu helfen, wenn sie könne, denn ihm war wohl bewusst, dass solche Wesen allerlei besonderer Künste mächtig sind. Darauf schien das schöne Weib nur gewartet zu haben, denn es lachte lieblich, griff hinter sich und rief: »Nun fange, lieber Fischer!« Damit warf sie ihm ein rundes silbernes Büchschen zu, welches er auch geschickt in der Luft ergriff und alsbald neugierig öffnete. Es befand sich weiter nichts darin als eine künstliche Fliege von wunderbarer Schönheit, denn ihr Leib war aus Edelsteinen und schimmerte herrlich roth und grün, die Beine und Fühlhörner waren fein aus Gold gearbeitet, und die Flügel aus überaus zarten Silberfäden gewebt. Als er nun danken wollte, und zugleich verwundert 244 fragen, wozu er das sonderliche Geschenk brauchen solle, da bemerkte er zu seinem Staunen, dass nun das schöne Weib spurlos verschwunden war, nur die Quelle rieselte dort einsam aus der kühlen Grotte hervor.

Seufzend wollte der Fischer noch einmal, bevor die Sonne ganz fort ging, sein Glück mit der Angel versuchen, da bemerkte er, dass von den Fliegen, die ihm als Köder dienten, bereits die letzte verbraucht war und zugleich fiel ihm ein, wozu das Geschenk der schönen Wasserfrau wohl am Ende nützlich sein könne. Er steckte die künstliche Fliege an seinen Haken und ging an einen Ort in der Nähe, wo in den Höhlungen des überhangenden Ufers immer gern Forellen zu stehen pflegten. Kaum hatte er hier das glänzende Juwel einmal sänftlich auf das Wasser fallen lassen, da blitzte und sprang schon etwas und eine Forelle sass am Haken. Ein solches Prachtthier hatte er selten gesehen. Der Fisch war über zwei Fuss lang, der olivengrüne Rücken feist und rund, und der Bauch 245 leuchtete wie Gold. So ging es weiter, kaum hatte er die Angel ausgeworfen, so sass auch schon ein Fisch daran, und ehe die Dunkelheit hereinbrach, hatte er so viele gefangen, wie sonst in einer ganzen Woche nicht. Da sah er, welch' ein herrliches Geschenk er von der Wasserfrau bekommen hatte, sperrte die Fische in seinen Hütkasten und ging dankerfüllt und fröhlichen Herzens nach Hause.

Durch den Besitz dieser wunderbaren Fliege wendete sich nun sein Glück zum Besseren, sodass er fortan fast mehr Fische fing, als er verkaufen konnte. Jedoch hatte ihn eine starke Sehnsucht erfasst, die wunderschöne Wasserfrau wiederzusehen; allein, obwohl er sich an jedem Abend an der Stelle einfand, wo er sie zuerst erblickt hatte, so wollte sie doch niemals wieder sich zeigen. Zuweilen wohl glaubte er ihre sanfte Stimme zu hören oder einen leisen melodischen Gesang, allein wenn er dann genauer zuhorchte, ward er inne, dass er sich durch das klingende Rieseln des Baches 246hatte täuschen lassen. Sonst hatte er wohl nach den hübschen Mädchen gesehen im Dorfe und in der Stadt, und auch diese blickten den stattlichen Fischer nicht unfreundlich an, allein jetzt erschienen ihm alle unschön und gering, denn immer schwebte ihm das rosige Antlitz vor Augen, von dem das weiche Haar in goldenem Falle herniederging und die schimmernden Glieder, welche weisser waren als Kirschenblüthe. So war fast ein Monat vergangen, da sass der Fischer einst zur Abendzeit wieder an jenem Orte, hatte wie damals das Gesicht in beide Hände gestützt und dachte voll starker Sehnsucht an die schöne Wasserfrau. Zuletzt übermannte es ihn, er seufzte tief und sprach: »O du allerschönstes Weib, soll ich dich niemals wiedersehen?!«

Da hörte er plötzlich ein silberhelles Lachen, und diesmal war es nicht das melodische Rieseln des Baches, was ihn schon so oft getäuscht hatte, denn als er aufblickte sah er die schöne Wasserfrau 247 wieder wie damals in der Quellgrotte sitzen. Sie winkte mit ihrer weissen Hand und sprach: »So komm doch und setze dich zu mir!«

Der Fischer erschrak sehr und das Herz pochte ihm gewaltig, allein er gehorchte doch sofort und ging über die grossen Steine, welche aus dem Bache hervorragten, zu ihr hin. Als er nun dort stand so steif wie ein Bock und nicht wusste, ob er es wagen dürfe warum die Schöne ihn ersucht hatte, da rückte diese ein wenig zur Seite und zog ihn sanft mit der Hand zu sich nieder. Da sass er nun und wagte nicht sie anzusehen, denn er fürchtete sich fast vor ihren sieghaften Augen, welche so blau waren wie das südliche Meer bei klarem Sommerhimmel. Sie aber lehnte sich an ihn, dass es ihn wie sanftes Feuer durchströmte, neigte den Kopf an seine Schulter, sah zu ihm empor und sagte: »Nun, so küsse mich doch, es ist dir wohl vergönnt, mein lieber Fischer!«

Einen Augenblick war ihm, als müsse 248 er nun Hals über Kopf davonlaufen, aber da blickte er in ihre Augen, die voll tiefer Zärtlichkeit auf ihn gerichtet waren und da war es um seine Besinnung geschehen, er beugte sich nieder auf den Mund, der glühte wie eine Purpurrose, zwei weisse Arme schlangen sich um seinen Nacken, und nun küssten sie sich so recht von Herzen.

Da ging ein Rauschen und Klingen durch das Gewässer des Baches wie lauter Musik, blitzende Forellen schleuderten sich wie jauchzend aus den Wellen hervor und eine der sonst so scheuen Wasseramseln kam geflogen, setzte sich ganz in der Nähe auf einen Stein und sang ihr lieblich geschwätziges Lied, dass es schallte. Sie gewannen sich nun alsbald sehr lieb und der Fischer fragte das schöne Wasserweib, ob es nicht seine Frau werden wolle. Da ward ihr Gesicht ganz ernst, sie schüttelte langsam den Kopf und sagte: »Ich thäte es schon gern, denn seit lange gefällst du mir wohl, allein fast noch niemals hat eine 249 Verbindung eines Wesens unserer Art mit einem Menschen zu dauerndem Glücke geführt und furchtbare Strafe, sowie langwierige Gefangenschaft in finsteren Höhlen wartet mein, wenn ich gezwungen werde, in das Reich der unterirdischen Wasser zurückzukehren.«

Sie konnte aber dem inbrünstigen Flehen des Fischers nicht widerstehen und sprach dann: »Ach, du guter Mann, wie kannst du lieblich bitten. Ich vermag es nicht, dir abzuschlagen, was du wünschest, ob ich gleich für die Zukunft fürchte. Denn obwohl es leicht erscheint, die Bedingung zu erfüllen, welche ich stellen muss, so ist es doch fast noch keinem Menschenkinde gelungen, sie inne zu halten, denn neugierig und misstrauisch ist eure Art und ihr duldet nicht, dass Jemand anders sei und sich von euch unterscheide. Darum merke, wenn ich zu Zeiten von dir gehe auf kurze Zeit, so darfst du niemals fragen, wohin ich mich begebe, noch mir nachspüren, noch mich darum schelten. Kannst du mir 250 dies beschwören, will ich die Deine sein. Brichst du aber diesen Schwur, so ist es dein Tod und mein Verderben!«

Diese Bedingung schien dem Fischer kinderleicht zu halten und er beschwor, was das schöne Weib verlangte. Dieses aber sprach: »Noch einen Monat gedulde dich, mein Geliebter, nicht eher darf ich dein werden. So lange magst du meiner harren, in geduldiger Treue.«

Weildess war die Sonne ganz gesunken und der Abendschein brannte durch die lichten Stämme mit einer rothen Feuersgluth. Das schöne Wasserweib umschlang den Nacken des Fischers und küsste ihn zum Abschied. In diesem Kuss entschwanden seine Sinne, und es war ihm als würde er hinausgetragen in jene leuchtende Gluth und löse sich auf in eitel feurige Wonne. Und wie das Abendroth allmählich verschwimmt in das Dunkel der Nacht, so verdämmerte auch seine Besinnung.

Als er wieder zu sich kam, war er allein, ringsum war es finster und still, nur der 251 Bach rauschte stärker durch die Dunkelheit.

Für den Fischer kam nun ein Monat, der ihm so lang erschien, als sonst nicht Jahre. Die Anzahl von Forellen, welche er in der kleinen Stadt absetzen konnte, war vermöge seiner wunderbaren Fliege bald gefangen und in der übrigen Zeit sass er gegenüber der kleinen Felsengrotte und starrte unablässig auf das rieselnde Rinnen der Quelle, welche daraus hervorkam und hing sehnsüchtigen Träumen nach.

Als nun der Monat endlich entschwunden war und der Fischer am nächsten Tage die Erfüllung seiner Wünsche hoffte, klopfte es eines Morgens ziemlich leise an die Thür seiner Wohnstube, und als er öffnete, stand eine allerliebste Bauerndirne draussen und lachte ihn halb schüchtern, halb verführerisch an. Der Fischer, dessen Gedanken ganz von seiner Liebe erfüllt waren, bemerkte ihre Schönheit nur wie durch einen Schleier und fragte nach ihrem Begehr. Das Mädchen aber schlüpfte an ihm 252 vorüber in's Zimmer, drehte sich dann einmal zierlich vor ihm herum, dass die Röckchen flogen und fragte: »Kennst du mich denn nicht mehr?«

Nun kam sie dem Fischer wohl bekannt vor, allein er vermochte sich nicht auf sie zu besinnen: »Bist du vielleicht die Lore, mit welcher ich als Kind gespielt habe?« fragte er. Da lachte die Schöne hell auf und rief: »O du hübscher Fischer, was hast du für blöde Augen!« Und damit, ehe er sich dessen versah, fiel sie ihm um den Hals und küsste ihn. Darüber gerieth aber der Fischer in Zorn, denn er gedachte einzig seiner schönen Wasserfrau, welcher er die Treue bewahrte. Er drängte das Mädchen von sich, schob es zur Thüre hin und rief: »Hinaus mit dir, du lose Dirne, ich habe nichts mit dir zu schaffen!«

Diese aber, anstatt beschämt oder erzürnt zu sein, lachte jauchzend auf, sprang einen Schritt zurück, nahm mit der einen Hand das gestickte Käppchen ab und löste mit der anderen das Band ihrer Haare und 253 als diese nun wie ein goldener Strom bis über die Hüften hinab flossen, als ihn zwei Augen so blau wie das südliche Meer bei klarem Sommerhimmel sieghaft anblickten, da wusste er mit einem Male, wer sie war, und dass er sein einziges Glück hatte von sich stossen wollen. Nun aber war seine Freude unbeschreiblich und Seligkeit und Wonne eingekehrt in das einsame Fischerhaus.

 

 

254 II.

Der Fischer lebte mit seiner schönen Frau herrlich und in Freuden und nach Jahresfrist ward ihnen auch ein wunderschönes Töchterchen geboren, welches beider Eltern Schönheit in sich vereinigte. Niemals forschte oder fragte er, wenn seine Frau zuweilen heimlich von seiner Seite schwand und erst nach vierundzwanzig Stunden zurückkehrte. Es war dann jedes Mal als läge es wie frischer Morgenthau auf ihrem Antlitz und gleichsam ein Leuchten ging von ihr aus, wie der Wiederschein einer seligeren Welt. So lebten sie eine Reihe von Jahren, bis dass ihr Töchterlein, welches Wogelinde hiess wie ihre Mutter, zu einer holdseligen Jungfrau herangewachsen war. Um diese Zeit begab es sich, dass ein benachbarter junger 255 Ritter Namens Werner von Steinbach mehr als nothwendig sich in der Gegend zu schaffen machte, so dass es dem Fischer bald auffällig wurde, zumal als er eines Tages von Ferne sah, dass der junge Mann mit seiner Frau sich unterhielt und bei seinem Nahen sich in anderer Richtung schnell entfernte. Von diesem Augenblicke an kehrte der böse Dämon der Eifersucht in sein Herz ein und liess ihm fortan keine Ruhe mehr. Der junge Ritter, welcher wohl die Laute zu schlagen verstand, besass ausserdem die Kunst des Dichters und vermochte in wohlklingende Verse zu bringen Alles, was ihm das Herz bewegte. Als nun einmal der Fischer an einem einsamen Waldgewässer angelte, im Gebiete des Werner von Steinbach, da vernahm er den melodischen Gesang einer männlichen Stimme. Es war ein Minnelied und der Kehrreim eines jeden Gesetzes lautete, wie er nur zu wohl verstand: »Dein gedenk' ich, Wogelinde!« Er schlich näher und bemerkte nun den jungen Werner, welcher ganz 256 in seinen verliebten Gesang vertieft, seiner nicht ansichtig ward. Das schnürte ihm das Herz zusammen und zehrte an seiner Seele, denn nichts anderes glaubte er, als dass an seine Frau diese Verse gerichtet seien. Diese bemerkte wohl die Veränderung, welche mit ihrem Manne vorgegangen war und sah ihn oftmals wehmüthig fragend an oder strich leise mit der Hand über seine Stirn, als wolle sie die bösen Falten weglöschen, welche dort seit einiger Zeit sich eingefunden hatten. So kam wieder einmal der schöne Sommermonat Juli heran, da bemerkte der Fischer, den seine fressenden Gedanken in einer Nacht nicht schlafen liessen, wie seine Frau um die zwölfte Stunde leise aufstand und an den Schrank ging, wo ihre Kleider hingen. Er sah es deutlich bei dem hellen Schein des Mondes, wie sie ein weisses Gewand hervornahm, dergleichen sie früher als Wasserfrau getragen, und sich damit bekleidete. Dann liess sie ihr langes goldenes Haar herniederrollen, seufzte einmal recht tief wie aus 257bedrängtem Herzen und glitt lautlos zur Thüre hinaus. Der böse Dämon, welcher das Herz des Fischers gefangen hielt, flüsterte ihm zu: »Was kann sie anderes treiben in solcher Heimlichkeit als böse und verbotene Dinge.« Und seinen Schwur vergessend kleidete er sich schnell an und folgte ihr. Er sah die schimmernde Gestalt bei dem hellen Schein des Mondes in einiger Entfernung bachaufwärts gleiten. Zuweilen verschwand sie in dem Schatten überhängender Baumzweige, dann tauchte sie fernerhin leuchtend wieder hervor. Während er ihr nun lautlos folgte, war sie zu jenem Orte gelangt, wo er zuerst ihrer ansichtig geworden war, und hier schwebte sie wie eine Erscheinung über den Bach und verschwand in der dunklen Felsenhöhlung. Der Fischer verlor nun wieder allen Muth; er setzte sich gegenüber der Grotte auf einen Felsblock und starrte auf die Quelle hin, welche silbern aus dem finstren Grunde hervorrieselte. Zur Seite war ihm das wilde Brausen und 258 Rauschen des Baches, der über felsige Trümmer hundertfach zertheilt herabstürzte und sonst that sich nichts hervor in der weiten Runde als das glänzende Weben des Mondlichtes, das Alles rings mit Silber säumte und mit wechselndem Lichte durch geheimnissvolle Finsternisse wandelte. So sass er in grübelnden Schwanken, bis der Schein des Mondes vor der herannahenden Sonne entschwand, und die schwarzen Schatten in eine weiche graue Dämmerung sich auflösten, so sass er noch, als rings die Welt bereits in voller Klarheit lag, die Schatten sich wieder vertieften und die Berghäupter und Baumwipfel in den goldnen Strom des Morgenlichtes getaucht waren.

An das ewig gleichmässige Rauschen und Brausen des Gewässers hatte sein Ohr sich allmählich gewöhnt und nun war es ihm, als höre er durch alles dieses Getöne hindurch flüsternde Liebeslaute und kosendes Gespräch; er glaubte die zärtliche Stimme seiner Frau zu unterscheiden und nun schwoll es wieder giftig in ihm empor. 259 Mit einem plötzlichen Entschluss sprang er auf, schritt über die hervorragenden Steine an das andere Ufer und drang in die Höhlung des Felsens ein. Hier fand er, dass zur Seite ein schmaler Gang sich öffnete, wo er sonst stets nur den starren Felsen bemerkt hatte. Am Grunde dieser engen Höhle ging in schmalem Faden die Quelle dahin. Als er eine Weile mit pochendem Herzen den mehrfach gewundenen Gang vorangeschritten war, stand er und horchte. Das Geräusch der Aussenwelt drang nur wie ein dumpfes Summen an sein Ohr. sonst hörte er nur das leise Rieseln des Wässerchens zu seinen Füssen und von Ferne ein melodisches Klingen gleich dem Tone silberner Glöckchen. Er schritt noch eine Weile voran, da ward das Klingen stärker und vor ihm an den von weissem Sinter bezogenen Wänden des schmalen Ganges ward ein seltsamer goldiger Schein bemerklich, in dessen Lichte das aus den Fugen des Gesteines fein hernieder rieselnde Wasser beständig glitzerte. 260 Dem Fischer war so bange zu Muthe und das wunderliche Klingen schlug so mahnend an sein Herz, allein dennoch schritt er weiter. Der Lichtschein verstärkte sich, der Gang bog plötzlich um die Ecke und nun that sich eine weite Höhle mit weissen glänzenden Wänden vor ihm auf, ganz durchleuchtet von jenem seltsamen goldenen Scheine. Von den Wänden rieselte das Wasser in feinen glitzernden Fäden, an den Vorsprüngen der Decke sammelte es sich in Tropfen wie durchsichtiges Gold; diese fielen dann melodisch klingend in die schimmernden Lachen am Boden und diese wieder sendeten schmale gewundene Rinnen von sich aus, welche zu dem abfliessenden Wässerchen sich vereinigten.

Die Quelle des Lichtes, von dem die Höhle erhellt ward, konnte der Fischer nicht sehen, deshalb trat er leise noch einige Schritte vor und nun bemerkte er eine grottenartige Vertiefung, gleichsam eine Seitenkapelle der Höhle, welche ganz in goldenem Feuer stand. Ein furchtbarer 261 Schreck befiel ihn, denn auf dem Grunde dieser Seitenhöhle sah er einen fast kreisrunden Brunnen, bis an den Rand mit diamantklarem Wasser gefüllt und um den Rand dieses Brunnens lag eine mächtige goldene Schlange, die von innen heraus wie in krystallenem Feuer leuchtete. Sie schien aus dem Brunnen zu trinken, denn ihr Kopf lag nahe dem Rande und die leuchtende zwiegespaltene Zunge tauchte unablässig in die klare Fluth hinab. In seinem Schreck hatte der Fischer wohl ein lautes Geräusch verursacht, denn plötzlich fuhr die Schlange empor, richtete den Kopf hoch auf und sah auf ihn hin mit zwei seltsam leuchtenden Augen, die so blau waren, wie das südliche Meer bei klarem Sommerhimmel. Reglos vor Angst erwartete der Fischer, das glänzende Ungethüm werde sich nun zischend auf ihn stürzen, allein nichts derartiges geschah. Ein schneidender Wehlaut ging durch die Luft und dann erblasste das goldene Feuer, in welchem der Leib der Schlange leuchtete, 262 so dass in Kurzem die schwärzeste Finsterniss herrschte. Der Fischer in tödtlicher Furcht, dass nun im Dunkeln das schreckliche Thier sich über ihn hermachen werde, stürzte eilig in den engen Gang zurück, stolperte und fiel gegen die Wände und stiess sich blutig, allein er hielt nicht eher inne, als bis er das Freie gewonnen und endlich das eigene Haus wieder erreicht hatte.

Der arme Fischer hatte nun all sein Glück verscherzt, da er entgegen seinem Schwur die Heimlichkeit seiner Frau belauscht hatte, denn von dieser Zeit an sah er sie niemals wieder. Er verfiel in eine schwere Krankheit, in welcher er sich immer von einer furchtbaren goldenen Schlange verfolgt glaubte und in einem solcher Anfälle stürzte er sich in ein tiefes Wasser und ertrank. Nun war Wogelinde die schöne Tochter ganz allein. Der junge Werner von Steinbach, der ihr und nicht der Mutter in herzlicher Liebe zugethan war, befand sich in einer entfernten Stadt, 263wo zu Ehren einer fürstlichen Hochzeit ein festliches Turnier stattfand, sonst hätte er jetzt wohl seine Schüchternheit überwunden und dem verlassenen Kinde seine Hülfe angeboten. Dem schönen Mädchen blieb nun nichts, als auf dem Grabe ihres Vaters zu weinen und um ihre verschwundene Mutter zu klagen. Da erschien diese in einer Nacht an ihrem Bette. Sie sah nicht mehr so blühend und schön aus, sondern ihre Wangen waren bleich wie Wachs, und ihr Antlitz trug einen Zug tiefen Leidens. Sie sprach: »Noch einmal ist es mir auf kurze Zeit vergönnt worden, dich zu sehen und Abschied von dir zu nehmen, mein Kind. Entzünde das Licht in der Laterne und folge mir.«

Zitternd entsprach die Tochter diesem Verlangen, denn sie wusste nicht, ob sie wirklich ihre Mutter oder nur deren Geist vor sich habe. Die Erscheinung führte sie zu jener Höhle, zeigte ihr das Geheimniss, wie sie zu öffnen sei und führte sie dann an den klaren Brunnen, um welchen damals 264 die Schlange sich geringelt hatte: »Das Geheimniss dieses Brunnens gebe ich dir als dein Erbtheil,« sagte sie, »wisse also, dass alle Dinge, welche man hineintaucht, sich in eitel Gold verwandeln, nur musst du dich hüten, selber mit dem Wasser in Berührung zu kommen. Dies merke wohl, es wäre sonst dein Tod, denn obwohl von meinem Blute in deinen Adern fliesst, so genügt das doch nicht, dich vor dem Verderben zu bewahren. Zugleich auch würde dadurch die Kraft des Brunnens auf ewig verlöschen. Meinem Geschlechte kann dies Wasser nichts anhaben; ich trank aus ihm Kraft und neues Leben für mein ungewohntes Dasein unter den Erdenbewohnern, bis dein armer Vater vorwitzig all unser Glück zerstörte.«

Dann schwieg sie und nur das melodische Klingen der Tropfen und das leise Rieseln der Wasserfäden tönte durch die Einsamkeit. Da hörte man tief unter der Erde dumpf aber deutlich den Ruf einer furchtbaren Stimme: »Die Zeit ist um, wo bleibst du!«

265 Die Frau seufzte tief auf, umarmte und küsste noch einmal ihre Tochter, stieg dann in den Brunnen und versank, indem sie noch einmal die Arme sehnsüchtig nach ihr ausbreitete. Wogelinde aber kehrte in das verlassene Haus zurück und grosse Thränen rollten ihr reichlich über das liebliche Antlitz.

 

 

266 III.

Um diese Zeit begab es sich, dass die schöne Wittwe Brigitte von Löwen, welche in der Nähe ein schönes Schloss bewohnte, eines Tages auf ihrem isabellfarbigen Zelter in das Thal geritten kam und der Jungfrau Wogelinde ansichtig wurde, welche vor der Thüre des Fischerhauses sass und Fäden spann, so zart und glänzend wie Seide. Da sie von deren traurigen Schicksalen erfahren hatte, ritt sie näher hinzu und als sie die Anmuth und Geschicklichkeit der schönen Fischerstochter bemerkte, welche demüthig und bescheiden vor ihr stand, da erinnerte sie sich, dass sie gerade einer neuen Zofe bedürftig war und fragte Wogelinde, ob sie gewillt sei, einen solchen Dienst anzunehmen. Diese war es wohl zufrieden und so beredete 267 man, dass sie am anderen Tage schon nach Schloss Löwen übersiedeln solle. Wogelinde besorgte nun das Haus, schnürte ihr Bündelchen und pflückte sich zum Andenken die schönste Rose von dem Strauche, der an der Hauswand gerade in vollster Blüthe stand. Da gedachte sie, wie unliebsam es wäre, dass diese schöne Blume so bald welken würde und dabei fiel ihr das Vermächtniss ihrer Mutter ein. Es stand ja in ihrer Macht, diese Rose in Gold zu verwandeln und ihr dadurch ewige Dauer zu verleihen. Zugleich war ihr kleines Rothkehlchen gestorben, das sie schon Jahre lang gepflegt; es war als solle sie alles Lebende verlieren, daran ihr Herz gehangen. Sie nahm auch dieses todte Vögelchen, sowie eine fein und kunstreich gearbeitete Spindel, deren sich ihre Mutter immer bedient hatte und ging damit zum Goldbrunnen. Sie band alle drei Gegenstände sauber an Fäden, tauchte sie in das zauberkräftige Wasser und zog sie alsbald in das feinste Gold verwandelt, wieder hervor. 268 Sie packte diese Sachen sorglich in ihr Bündelchen und trat am anderen Tage ihren Dienst bei der schönen Frau Brigitte von Löwen an.

Nun ereignete es sich, dass Werner von Steinbach durch die Sehnsucht nach der schönen Wogelinde getrieben, noch vor Beendigung der Festlichkeiten an jenem fürstlichen Hofe eilig nach Hause zurückkehrte. Unter all den stolzen Schönheiten des Adels und den anmuthigen Bürgertöchtern jener Stadt hatte er keine gefunden, welche der schönen Fischerstochter gleich kam; diese schien ihm alle zu überstrahlen, gleich wie der ruhig leuchtende Mond die Sterne besiegt, ob sie auch noch so sehr funkeln und blitzen. In seiner Heimath angelangt, erfuhr er zuerst von dem Unglück, welches die Fischerfamilie heimgesucht hatte und zugleich, wo die schöne Wogelinde sich jetzt befand.

Da erinnerte er sich schnell, wie Unrecht es sei, dass Nachbarsleute so wenig Verkehr mit einander hätten, machte der 269 Frau Brigitte von Löwen sehr bald einen Besuch und war dann unter allerlei Vorwänden recht oft auf ihrem Schloss zu sehen. Die stolze Frau bemerkte diese Annäherung mit grossem Vergnügen, denn schon lange hatte sie ein Auge auf den stattlichen jungen Ritter und nichts lag ihr ferner, als der Gedanke, die schöne Jugendzeit, welche noch vor ihr lag, allein und ohne Gemahl zu verbringen. Nein, sie dachte im Gegentheil einen recht frischen jungen Mann zu gewinnen und mit ihm sich schadlos zu halten für die trübselige Zeit ihrer ersten kurzen Ehe mit einem alten Raufdegen und Saufaus, der zu keines Menschen Bedauern vor einem Jahre bei einem Sturz vom Pferde sich das Genick abgeschossen hatte. Sie hätte aber kein Weib sein müssen, wenn sie nicht bald gesehen hätte, dass diese Besuche nicht ihr, sondern ihrer schönen Zofe galten, und diese Entdeckung verursachte ihr den heftigsten Zorn und verwandelte die wohlwollenden Gefühle, welche sie anfangs für 270 das einsame Fischerkind gehegt hatte, in den bittersten Hass. Da sie noch immer hoffte, Werner von Steinbach für sich zu gewinnen, so liess sie diesem gegenüber sich nichts merken, das unglückliche Mädchen aber sperrte sie in ein einsames Thurmzimmer mit vergitterten Fenstern und gab ihr alltäglich so viel zu spinnen auf, dass die Arme bei der ungenügenden Nahrung von Wasser und Brod, welche sie erhielt, sich noch dazu den Schlaf abbrechen musste, um so schwere Aufgaben zu erfüllen. Wenn nun Werner kam und seine Augen suchend umhergehen liess voller Unruhe, dass er der Geliebten nicht ansichtig wurde, während er doch nicht nach ihr fragen mochte, so war Brigitte wohl äusserlich so lieblich wie Honigseim, doch innerlich von bitterer Galle erfüllt und liess es am Abend die schöne Wogelinde entgelten, deren Arbeit sie nicht genügend fand und dafür sie an den goldenen Zöpfen zerrte, mit den Füssen nach ihr stiess, ja sich nicht entblödete, das wehrlose Kind mit ruchloser Hand in 271 das blüthenreine Antlitz zu schlagen. Und diese weinte, duldete und spann vom frühesten Morgen bis in die späte Nacht, und ihre Wangen, die sonst wie Apfelblüthe anzusehen waren, glichen bald den schneeweissen Rosen, die man auf Gräber pflanzt. Da ereignete sich an einem Morgen das Unglück, dass ihr die Spindel zerbrach und nun war ihre Sorge gross, denn konnte sie am Abend die vorgeschriebene Menge Garn nicht abliefern, wie bisher, dann waren sicher schreckliche Misshandlungen ihr Loos. Zum Glück fiel ihr noch zur rechten Zeit ein, dass sie ja die in Gold verwandelte Spindel ihrer Mutter besitze. Sie holte das Päckchen herbei, welches die drei goldenen Dinge enthielt, setzte das Rothkehlchen auf den Tisch, legte die Rose daneben und brachte die Spindel in Gang. Wie gross war aber ihre Verwunderung, als sie bemerkte, dass nun das Spinnen ganz von selber ging, ohne dass sie etwas zu thun brauchte. Der Faden schlüpfte ihr aus der Hand aber die Spindel tanzte 272 und sprang allein weiter und spann so feine glänzende Fäden wie sie noch niemals gesehen hatte und dabei glitzerte und funkelte sie in dem schmalen Sonnenstreif, welcher durch das kleine Fenster hereinstand, wie eitel Feuer. Wogelinde steckte den Rocken in den Halter und sah eine Weile vergnügt zu, wie das Spinnen vor sich ging. Sie brauchte nur zuweilen neuen Flachs aufzustecken, das übrige besorgte die kluge Spindel. Das Mädchen setzte sich nun aller Sorgen frei an den Tisch und betrachtete den Vogel und die Rose, und da liefen ihr bald die Thränen der Erinnerung über die bleichen Wangen. Deren eine fiel aber auf die goldene Rose. Da thaten sich die Kelchblätter ein wenig weiter von einander, und der süsseste Duft füllte das Zimmer, ein Duft der Hunger, Kummer und Schmerzen vergessen liess und solche Stärkung gab, dass mit einem Male die bleichen Wangen des schönen Kindes rosig wieder aufblühten. Diese Kraft schien auch auf das goldene Vögelchen 273 zu wirken, denn plötzlich wendete es sein Köpfchen und fing an, sich die Federn zu putzen. Sodann hüpfte es Wogelinden auf den Finger und sang so herrlich, wie diese es noch niemals von dem Vogel gehört hatte, als er noch lebte. So blieb es bei, bis die Spindel den ganzen Flachsvorrath aufgesponnen hatte und sich auf den Boden niederlegte. Da that die Rose sich wieder zusammen und verlor ihren Duft, das Vögelchen hörte auf zu singen und erstarrte zu festem Golde wie vorhin.

Als am Abend Brigitte kam, um nachzusehen, war sie so verwundert über das feine seidenglänzende Gespinnst, dass sie gar nicht zu schelten und zu zanken vermochte, wie sie sich doch vorgenommen hatte. Desgleichen war sie erstaunt darüber, dass sie die vorher so bleichen Wangen der schönen Fischerstochter wieder fein rosenfarb angeblümt fand. Sie gab ihr desshalb für den nächsten Tag die doppelte Menge Flachs zum Spinnen und drohte ihr mit grausamen Strafen, wenn sie nicht am 274 andern Abend alles in ebenso feines seidenglänzendes Garn verwandelt habe. Am nächsten Tage ging es ebenso: die Spindel tanzte, die Rose duftete, der Vogel sang und schon um Mittag war sämmtlicher Flachs aufgesponnen. Frau Brigitte entsetzte sich fast, als sie am Abend diese unglaubliche Menge Garn vorfand, daran auch die strengste Hausfrau nichts hätte aussetzen können. Sie gab dem Mädchen noch einmal so viel Flachs wie am Abend vorher, beschloss aber im Stillen, sie am anderen Tage zu belauschen, denn Solches konnte unmöglich mit rechten Dingen zugehen.

Nach dem Frühmahl schlich Brigitte leise herzu und sah nun durch das Schlüsselloch mit grossem Staunen, was in dem Thurmzimmer für verwunderliche Dinge vor sich gingen. Sie brach dann schnell hinein, überraschte Wogelinden mitten in ihren Heimlichkeiten und drängte sie alsbald, ihr zu gestehen, wo sie diese drei kostbaren Dinge herhabe. Sie liess auch nicht 275 nach mit Drohungen und Misshandlungen, ja sogar Versprechungen, die sie allerdings nicht zu halten gedachte, bis Wogelinde ihr endlich das Geheimniss des Goldbrunnens mittheilte. Da erwachte in dem bösen Weibe die Gier nach Gold und unermesslichem Besitz und keinen Augenblick wollte sie zögern, sich von der Wahrheit dessen, was sie vernommen hatte, zu überzeugen. Und mit solcher Hast drängte es sie zu dem wunderbaren Brunnen hin, dass sie vergass die Thür des Gefängnisses wieder zu verschliessen. Sie liess sich alsbald ihr Pferd satteln und ritt, so schnell sie es vermochte, zu dem ihr wohl beschriebenen Orte.

Als Wogelinde sich überzeugt hatte, dass sie nicht mehr eingesperrt war, packte sie ihr Bündelchen zusammen und beschloss, aus ihrer Gefangenschaft zu entfliehen. Als sie eben aus dem Schlossthore schlüpfen wollte, welches gerade zufällig unbewacht war, denn der Thorwart hatte die Abwesenheit seiner Herrin schnell benutzt, um zu seinem Freunde dem Kellermeister zu 276schlüpfen und einen Blick in dessen geräumige Weinkanne zu thun, da begegnete ihr Werner von Steinbach, welchen seine verliebte Unruhe wie gewöhnlich um diese Zeit auf das Schloss trieb. Als er nun die Vermisste blühend und rosig so plötzlich vor sich sah, da verliess ihn mit einem Male seine grosse Schüchternheit, er sprang vom Pferde, schloss sie in seine Arme und sagte ihr, wie lieb er sie habe. Sie erzählte ihm dann in grosser Eile ihre Schicksale. Dann nahm er sie vor sich auf sein Pferd und ritt mit ihr auf sein Schloss. Und rings sangen jauchzend die Vögel auf allen Zweigen und in der blauen Luft, aus den fröhlichen Berggewässern sprangen blitzend die Forellen empor, und auf den Waldwiesen standen ohne Scheu die Rehe und sahen nach ihnen hin, als sie so durch den glänzenden Sommertag davonritten.

Als Brigitte von Löwen den ganzen Tag ausblieb und auch in der Nacht nicht zurückkehrte, da gerieth die Dienerschaft in grosse Unruhe, zumal als sich ihr Pferd 277 mit zerrissenem Zügel am Morgen allein einstellte, und man schickte überall hin Boten nach ihr aus. Einer derselben kam auch auf die Burg des Werner von Steinbach, und nun fiel es Wogelinden mit Schrecken ein, dass sie in der Eile vergessen hatte, Brigitte zu warnen, mit dem Wasser des Goldbrunnens nicht in leibliche Berührung zu kommen. Es wurden schnell einige Diener mit Fackeln und einer Bahre ausgerüstet und als man unter der Führung Wogelindens in die geheimnissvolle Höhle bis an den Brunnen vorgedrungen war, fand man dort Brigitte starr und in eitel Gold verwandelt. In der Hand trug sie einen Stein von der Grösse eines Kindskopfes, der ebenfalls ganz golden war. Wogelinde war so guten Herzens, dass sie ihrer Peinigerin viele Thränen nachweinte, allein ihr Schmerz verlor sich bald, da sie nach einer prächtigen Hochzeit Werner von Steinbachs glückliche Gattin wurde. War nun auch die Kraft des Goldbrunnens erloschen, so besassen sie doch genug Geld und Gut und 278 was noch mehr war, ihre Liebe. Und dazu erhielten sie prächtige Kinder, so dass das Geschlecht der Steinbachs sich vermehrte und ausbreitete und noch blühet bis auf den heutigen Tag.

Die Erben der Frau Brigitte von Löwen wollten anfangs den goldenen Leib als ein Denkmal in der Schlosskapelle aufstellen, allein schliesslich überwog doch bei ihnen die Geldgier. Sie haben ihn nachdem heimlich in die Münze gegeben und es sind eine grosse Menge der feinsten Dukaten daraus geprägt worden.

 

 


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