Heinrich Seidel
Neues Glockenspiel
Heinrich Seidel

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Der verarmte Feinschmecker

1. Verlornes Glück

        Wenn ich bei Brod und Kuhkäs sitze
Und trinke still mein dünnes Bier,
Weht oftmals um die Nasenspitze
Ein Säuseln der Erinnrung mir.

Ein Duft der köstlichsten Gerichte,
Verlornen Glück's ein matter Schein ...
Ach, soll ich nur noch im Gedichte
Und in Erinnrung glücklich sein?

2. Trauriges Loos

        Die Trüffel reift in Frankreichs Gauen
Verborgen in der Erde Schooss,
Allein für mich, auf märk'schen Auen
Wächst die Kartoffelknolle bloss.

Es glänzt verlockend in der Sonne
Böhmens Fasan mit hellem Schein ...
Für mich blinkt in des Krämers Tonne
Ein Hering mager nur und klein.

3. Traumestücke

        O denkt, um welche Himmelswonne
Des Traumes Tücke mich gebracht:
Es war ein Schinken aus Bayonne ...
Ich schnitt ihn an, und bin erwacht!

Hinweggetäuscht, was noch soeben
Mir hold und lockend schwebte vor,
Und Niemand kann mir wiedergeben,
Und Niemand ahnt, was ich verlor.

4. Holde Ahnung

        Hört' ich im blühenden Apfelbaum
Jauchzend im Frühling die Drossel schlagen,
Zog es mir wie ein seliger Traum
Ahnungsvoll durch Gaumen und Magen.

Dacht' ich im Stillen: Es sollen zum Schluss
Süsse Erfüllung die Tage bringen:
Krammetsvögel mit Apfelmus
Will dir verheissen dies Blühen und Singen!

5. Lerchenzeit

        O schöne Zeit, du Zeit der Lerchen,
Vorüber bist du nun für mich ....
Wie an ein hold verklungnes Märchen
Denk' ich voll Sehnsucht nur an dich.

Wenn ich die zarten Steisslein schaue
In Kästchen säuberlich gereiht ....
Wo bist du hin, du schöne, blaue,
Ewig verlorne Lerchenzeit.

6. Erinnerung

        In Andacht stand ich jüngst versunken
Vor jenem Haus, wo manches Mal
Ich viel gegessen und getrunken
Und gut, nach meines Herzens Wahl

Nach jener Zeit, nach jenen Tagen
Ward meine Sehnsucht wieder jung,
Und leise fiel auf meinen Magen
Die Thräne der Erinnerung.

7. Grausames Schicksal

        Für mich der etwas weiss vom Essen,
Kann nichts Betrübteres geschehn,
Als Andre schlemmen sehn und fressen,
Die keine Spur davon verstehn.

Ja, düster ist des Schicksals Wille
Und kalt vermag es zuzusehn,
Wie ein Talent so in der Stille
Muss ungenutzt zu Grunde gehn.

 


 


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