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Meine Tante Margarete war eine Dame von jener ehrenwerten Schwesternschaft, die sich mit all jenen Mühen und Bekümmernissen trägt, welche der Besitz von Kindern mit sich bringt, mit Ausnahme allein jener Beschwernisse, von denen ihr Eintritt in die Welt begleitet ist. Wir waren eine sehr zahlreiche Familie von sehr verschiedener Veranlagung des Gemüts und des Körpers. Die einen waren einfältig und verschlafen sie wurden zur Tante Margarete geschickt, damit sie dort Unterhaltung finden sollten; die andern waren roh und zänkisch und machten gern Spektakel sie wurden zur Tante Margarete geschickt, damit sie dort zur Ruhe angehalten würden oder vielmehr weit genug weg wären, um nicht mehr gehört zu werden. Die Kranken wurden zur Pflege und Genesung zu ihr geschickt; die Unfolgsamen wurden in der Erwartung zu ihr gebracht, daß ihre milde Zucht ihnen Gehorsam beibringen möchte. Kurz, der Tante Margarete lagen alle Pflichten einer Mutter ob, nur daß ihr die Achtung und der Respekt, die dem mütterlichen Charakter gebühren, nicht entgegengebracht wurden. Die emsige Betätigung ihrer vielfältigen Sorgsamkeit ist vorüber ob sie kränklich waren oder robust, ob sie sanftmütig waren oder zanksüchtig, ob sie tölpelhaft waren oder anmutig von all den Kindern, die sich von früh bis spät in ihrem Stübchen herumtrieben, ist keines mehr am Leben als ich allein; und gerade ich litt oft an Kinderkrankheiten, war einer der schwächlichsten ihrer Zöglinge und habe doch alle andern überlebt.
Noch jetzt besuche ich meine liebwerte Tante zweimal in der Woche und werde es immer tun, so lange ich noch meine gesunden Glieder habe. Sie wohnt etwa eine halbe Meile außerhalb der Vorstädte, wo meine Wohnung liegt; ich kann sowohl auf der Chaussee, wo ich allerdings einen kleinen Umweg mache, als auch auf einem durch schöne Wiesen führenden Fußsteig in ihr Haus gelangen.
In meinem Leben ereignet sich jetzt so wenig, was mir zur Qual wird, daß einer meiner größten Schmerzen in der Gewißheit liegt, daß diese Felder bebaut werden sollen. Auf dem der Stadt am nächsten gelegenen sind ein paar Wochen lang Schubkarren in solcher Anzahl tätig gewesen, daß ich tatsächlich glaube, die ganze Oberfläche bis zur Tiefe von wenigstens achtzehn Zoll, hat zu einundderselben Zeit auf diesen einrädrigen Beförderungsmitteln gelastet und ist von einem Flecke zum andern geschleppt worden. Desgleichen sind große Bretterhaufen hier und dort aus diesem dem Untergange geweihten Stückchen Erde aufgestapelt worden, und ein niedliches Beieinander von Bäumchen, das den sanftansteigenden Ostausgang jetzt noch ziert, hat auch schon durch eine Schmiererei von weißer Farbe die Kündigung bekommen, daß es den Platz zu räumen hat und einem absonderlichen Haine von Schornsteinen weichen muß.
Vielleicht würde mancher in meiner Lage Schmerz empfinden bei der Erinnerung, daß dieses Stückchen Weide meinem Vater gehörte, der eine angesehene Stellung in der Welt bekleidete, daß dieser Grund und Boden stückweis veräußert worden ist, um die schweren Verluste wieder wettzumachen, die er erlitten hatte, als er mehrere Vermögenseinbußen durch kaufmännische Spekulationen wieder hatte ausgleichen wollen. Während die neuen Häuser dort im Bau waren, wurde ich daran oft von jener Sippe von Freunden erinnert, welche dafür sorgen zu sollen glaubt, daß man auch nicht einen Teil seines Unglücks vergesse.
Daß aus diesem Stückchen Erde etwas andres geworden ist, tut mir nur deshalb weh, weil dadurch Gedankenketten zerrissen worden sind, und weit lieber würde ich den Park in den Händen Fremder sehen, wenn er dabei nur seinen Waldwuchs behalten hätte, als daß ich ihn mit dem Pfluge beackert oder mit Gebäuden bedeckt sehen müßte.
Ich hoffe jedoch, die angedrohte Verwüstung wird zu meinen Lebzeiten nicht mehr vollendet werden. Der Geist der Zeit ist nicht mehr so arg auf Spekulation versessen wie damals, als die Unternehmung begonnen wurde, und ich habe jetzt Ursache anzunehmen, daß infolge der Ereignisse der letzten Zeit die Lust zu angeblich gewinnbringenden Unternehmungen bedeutend nachgelassen hat. Der Fußsteig nach der Wohnung meiner Tante Margarete, der noch erhalten ist, wird also wohl, solange sie und ich noch am Leben sind, auch erhalten bleiben.
Daran allerdings hänge ich sehr, denn jeder Schritt, den ich auf diesem Wege über die schon erwähnte Wiese gehe, erweckt in mir Jugenderinnerungen. Dort ist die Sonnenuhr, und bei ihrem Anblick denke ich daran, wie eine unfreundliche Amme mich meiner Lahmheit wegen schalt und mich die steinigen Stufen, die zu der Uhr hinaufführen und die meine Brüder lärmend emporsprangen, grob und unvorsichtig emporriß. Ich erinnere mich, wie tief es mich schmerzte und wie bittern Neid ich empfand, als ich mit dem Bewußtsein meines Gebrechens die leichten Bewegungen und elastischen Sprünge meiner glücklicher gestalteten Brüder betrachtete.
Ach, diese schön gebauten Schiffe sind alle auf dem weiten Meere des Lebens untergegangen, und gerade nur das, welches der See am wenigsten Trotz bieten zu können schien, ist nach überstandenem Sturme in den Hafen eingelaufen.
Dort ist auch der Teich, auf dem mein Bruder eine kleine aus Schwertlilienblättern gebaute Flotte schwimmen ließ. Er fiel hinein und wurde nur mit knapper Not gerettet, und dann ist er später im Dienst der britischen Flotte unter Nelsons Flagge gestorben. Dort ist auch das Haselgestrüpp, wo mein Bruder Henry Nüsse zu suchen pflegte und auch er hat damals nicht gedacht, daß er einst in einer indischen Dschungel bei der Suche nach Rupien sterben würde.
Auf dem kleinen Spazierwege drängen sich mir so viel Erinnerungen auf, daß ich jetzt, indem ich, auf meinen krückenartigen Spazierstock gestützt, daran denke, was ich war und was ich bin, fast mich von Zweifeln erfüllt fühle, ob ich denn auch noch derselbe bin bis ich vor dem Hause meiner Tante stehe, dessen Eingang mit Gaisblatt umrankt ist. An dieses Haus das ehemalige Lusthaus des Parkes haben wir noch geringen Anspruch. Laut einem Familienkontrakt war es nämlich der Tante Margarete auf Lebzeiten überlassen worden.
An diesem kleinen Besitztum haftet sozusagen der letzte Schatten des Hauses Bothwell von Earl Closes. Der letzte Vertreter des Geschlechts wird alsdann ein alter, schwacher Mann sein, der sich nur zu gern dem Grabe nähert, das bereits all seine Lieben verschlungen hat.
Wenn ich ein Weilchen derartigen Gedanken nachgehangen habe, trete ich in das Wohnhaus, das ursprünglich nur die Behausung eines Parkaufsehers gewesen sein soll. Dort finde ich eine Person, auf die die Zeit wenig gewirkt zu haben scheint, denn die Tante Margarete von heute steht zu der Tante Margarete meiner Kindheit in demselben Verhältnis der Jahre wie der zehnjährige Knabe zum sechsundfünfzigjährigen Manne. Die alte Dame kleidet sich noch immer so wie früher, und daher stammt wohl die Meinung, daß die Zeit, was Tante Margarete anbetrifft, stillgestanden ist.
Das chokoladenfarbene Seidenkleid mit seidenen Spitzen am Ellbogen – die schwarzseidenen Handschuhe – das weiße, zurückgekämmte Haar die fleckenlose Battisthaube, die das ehrwürdige Antlitz umschließt all dies war 1780 ebensowenig Mode wie 1820, es war vielmehr nur der Tante Margarete Eigenart, sich so zu kleiden. Noch wie vor dreißig Jahren sitzt sie dort mit dem Spinnrad oder dem Strickstrumpf im Winter am Kamin, im Sommer am Fenster; des Sonnabends, wenn das Wetter sehr schön ist, wagt sie sich wohl auch vor die Haustür. Ihr Körper verrichtet noch wie ein gutgebauter Automat die Tätigkeit, zu der er bestimmt schien. Die Maschinerie macht ihren Kreislauf in allmählich schwächer werdendem Laufe, aber es ist noch kein Grund zu der Annahme, daß sie bald zum Stillstand kommen werde.
Wenn ich mit Tante Margarete plaudere, so reden wir wenig von Gegenwart und Zukunft; für die Vergangenheit aber haben wir alles übrig, und sie ist uns das liebste. Was die Zukunft anbelangt, so hegen wir für unsre Zeitspanne diesseits des Grabes weder Hoffnungen noch Befürchtungen noch bange Wünsche. Unser Sinnen gilt daher begreiflicherweise lediglich der Vergangenheit, und wir vergessen, daß unsre Familie ihr Vermögen eingebüßt hat und in ihrem Ansehen verloren hat, und denken nur an die Zeit des Reichtums und des Glückes. Als ich in der vergangenen Woche an einem Sommerabend die alte Dame besuchte, wurde ich von ihr mit der üblichen Güte und Liebe empfangen. Sie schien aber ein wenig zerstreut und nicht zum Plaudern aufgelegt.
»Sie haben die alte Kapelle ausgeräumt,« sagte sie, als ich nach der Ursache fragte. »John Clayhudgeons ist, wie es scheint, dahinter gekommen, daß die Asche dort ich glaube, es ist der Staub unsrer Ahnen sich vorzüglich dazu eignet, unsre Wiesen zu düngen.«
Ich fuhr so heftig empor, wie ich es seit Jahren nicht mehr an der Gewohnheit hatte. Ich setzte mich aber wieder, als meine Tante mir die Hand auf den Arm legte und hinzufügte:
»Die Kapelle, lieber Neffe, gilt lange als Gemeindegrund und ist als Hühnerhaus in Benützung es läßt sich also gar nichts dagegen einwenden, daß der Mann sein Eigentum verwertet, wie es ihm am nützlichsten dünkt. Ich habe überdies mit ihm gesprochen, und er hat mir bereitwillig und liebenswürdig die Versicherung gegeben, daß Gebeine oder Grabmäler verschont bleiben sollten wo welche ausgeworfen würden, sollten sie sorgsam wieder an ihren Platz gelegt werden. Konnte ich mehr von ihm verlangen? Der erste Stein, der gefunden wurde, trug den Namen Margarete Bothwell und die Jahreszahl 1585. Ich ließ ihn sorgsam bei Seite legen, wie man es meiner Meinung nach den Toten schuldig ist. Dieser Stein, der meiner Namensvetterin 200 Jahre gedient hat, ist gerade noch zur rechten Zeit gefunden worden, daß er auch mir noch den gleichen guten Dienst erweisen kann. Ich habe ja mein Haus längst bestellt, soweit es mein kleines Anwesen hier auf Erden erfordert. Wer aber kann sagen, daß die Rechnung mit dem Himmel in gleicher Weise geordnet sei?«
»Zu jeder Zeit, liebe Tante, ist es unsre Pflicht, des Todes zu gedenken. Es wäre aber ein Aberglaube, wollte man daraus, daß man einen alten Grabstein gefunden hat, den Schluß ziehen, daß der Tod deshalb nahe bevorstünde. Dich aber, die du dank deinem starken Verstande so lange Zeit die Stütze einer Familie im Verfall gewesen bist, hätte ich am allerwenigsten einer solchen Schwäche für fähig gehalten.«
»Dein Verdacht träfe mich auch unverdient, lieber Vetter,« erwiderte Tante Margarete, »wenn hier die Rede wäre von einem Vorgang im tatsächlichen Laufe des Menschendaseins. Aber trotz alledem bin ich in einem Gefühl des Aberglaubens befangen, dem ich mich nur ungern entringen möchte. Es ist eine Empfindung, die mich von der Zeit hinieden trennt und mich mit der verknüpft, der ich jetzt entgegeneile. Und wenn diese Empfindung mich sogar wie jetzt eben an den Rand des Grabes zu führen scheint und mich darauf zu blicken zwingt, so ist es mir doch nicht lieb, wenn sie verscheucht wird.«
»Sie sind da, liebe Tante, wie ein Wanderer, der vom Wege abweicht!«
»Schone meiner, ich bitte dich,« versetzte meine Tante, »erinnre dich des alten galischen Gesanges, der mit der Lehre beginnt, daß man den, der in Träume versunken sei, nicht wecken dürfe. Glaube mir auch, Vetter, diese wachenden Träume, die meine Phantasie spinnt, bereiten mir eben solchen Genuß wie mein tägliches Leben. Anstatt daß ich vorwärts schaue, wie ich in der Jugend pflegte, und mir am Rande des Grabes noch Luftschlösser baue, wende ich den Blick rückwärts auf die Tage meiner bessern Zeit. Dann überkommen mich die schwermütigen und doch so erheiternden Erinnerungen so zahlreich und so anregend, daß ich es fast für eine Entweihung erachten möchte, wenn ich klüger oder vernünftiger oder weniger von Vorurteilen erfüllt sei, als selbst die Kinder, die mich in meiner Jugend umgaben.«
»Ich glaube dich jetzt zu verstehen,« antwortete ich, »und es ist mir klar, weshalb du manchmal die Dämmerung des Wahnes dem Tageslicht der Vernunft vorziehst.«
»Wenn wir keine Arbeit vorhaben,« erwiderte sie, »können wir im Dunkeln sitzen, sobald es uns paßt; wenn wir aber arbeiten wollen, müssen wir uns Licht bringen lassen.«
»Und bei so schattenhaftem Zwielichte,« sagte ich, »hat die Phantasie ihre bezaubernden Visionen, die sich oft den Sinnen als etwas Wirkliches aufdrängen.«
»Du brauchst deshalb nicht die schmerzhaften Schrecken zu empfinden, die ein inniger Glaube an das Wunderbare erweckt solchen Glauben hegen heutzutage übrigens nur noch die Kinder und die Narren. Es brauchen dir auch nicht die Ohren zu klingen oder die Wangen zu erblassen, wie es bei Theodor war, wenn der wilde Jäger kam. Wenn du die sanftere Wonne übernatürlicher Eindrücke genießen willst, so brauchst du nur des leichten Schauders fähig zu sein, der dich bei einer gruseligen Erzählung beschleicht. Das zweite Zeichen dafür, daß so etwas bei dir so wirkt, wie es soll, ist, daß du in dem Augenblick, wo die Spannung der Erzählung ihren Höhepunkt erreicht hat, dich nicht getraust, dich umzuschauen, und das dritte Zeichen ist, daß du darauf bedacht bist, ja nicht in einen Spiegel hineinzusehen, wenn man abends allein im Zimmer ist. Dies sind die Merkmale, an denen man erkennt, ob eine zarte Phantasie in der richtigen Stimmung ist, eine Geistergeschichte richtig zu genießen.«
»Das Zeichen mit dem Spiegel,« sagte ich, »scheint indessen bei dem schönen Geschlecht selten einzutreffen.«
»Du weißt nicht Bescheid in Toilettenangelegenheiten, lieber Vetter, alle Frauen befragen ängstlich den Spiegel, ehe sie in Gesellschaft gehen. Wenn sie nach Hause kommen, hat der Spiegel für sie allerdings nicht mehr denselben Reiz. Ich will dich indessen nicht in die Geheimnisse des Toilettentisches einweihen, ich kann nur sagen, wie viele andre habe auch ich nicht gern den leeren schwarzen Hintergrund eines großen Spiegels in einem düster erhellten Gemache, wo es den Anschein hat, als ob sich der Widerschein der Kerzen eher im tiefen Dunkel des Glases verlöre, statt daß er ins Zimmer zurückstrahlte. Die pechschwarze Fläche scheint so recht ein Spielplatz zu sein für die Ausgeburten der Phantasie. Sie gaukelt uns andre Züge als die unsern entgegen, oder eine unbekannte Gestalt sieht uns über die Achsel, wie in dem Zaubermärchen, das wir als Kinder erzählen hörten. Wenn ich in solcher Stimmung des Geistersehens bin, dann lasse ich das Dienstmädchen die grünen Vorhänge vor den Spiegel ziehen, ehe ich ins Zimmer trete, damit auf die Magd der erste Schrecken der Erscheinung fällt, sofern eine da ist. Um dir aber die Wahrheit zu sagen, beruht die Abneigung, die ich zu gewissen Zeiten und an gewissen Orten vor Spiegeln hege, eigentlich auf einer Geschichte, die ich von meiner Großmutter habe; sie selbst hat bei den Ereignissen, von denen ich dir jetzt erzählen werde, eine Rolle gespielt.
»Du hörst ja gern die Schilderungen aus jener Zeit, die längst von der Bühne verschwunden ist. Ich wollte, ich könnte dir den Philipp Forester beschreiben, der gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts der ausgemachteste Wüstling der höchsten schottischen Kreise war. Ich habe ihn nie gesehen, aber meine Mutter hat mir oft von seinem Witz, seiner Galanterie und seiner Verschwendung erzählt. Dieser fidele Ritter spielte gegen Ende des siebzehnten und zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts eine hervorragende Rolle. Er war der Lovelace oder der Don Juan seiner Zeit und seines Vaterlandes, dem die von ihm ausgefochtenen Zweikämpfe und seine großen Erfolge in Liebesangelegenheiten einen hohen Ruf verschafft hatten. Er hatte eine unumschränkte Herrschaft in der vornehmen Welt erlangt. Wenn man sich ein paar von seinen Taten vergegenwärtigt, für die er den Galgen verdient hätte, wenn es für alle Stände einunddasselbe Gesetz gäbe, so geht wirklich aus der Beliebtheit eines solchen Mannes hervor, daß man heutzutage weit mehr auf Anstand und Tugend gibt, als früher. Kein Geck von heute könnte sich eine so niederträchtige Affäre wie die Geschichte mit der schönen Müllerstochter in Sillermills erlauben, ja es hätte da sogar der Staatsanwalt ein Wort mitgeredet. Sir Philipp Forester hatte aber dadurch gar keine Unannehmlichkeiten, er war in der Gesellschaft ebenso gern gesehen wie zuvor, und er war beim Herzog A. zu Gaste an demselben Tage, an welchem das unglückliche Mädchen beerdigt wurde. An gebrochenem Herzen ist sie gestorben, das hat aber mit meiner Geschichte nichts zu tun.
Du mußt jetzt eine kurze Auslassung über Verwandtschaft mit anhören, ich verspreche dir aber, daß ich mich so kurz wie möglich fassen werde. Damit du aber auch glaubst, daß meine Geschichte wohl verbürgt ist, mußt du wissen, daß Sir Philipp Forester dank seiner hübschen Gestalt, seinem graziösen Benehmen und seinem vornehmen Wesen die junge Miß Falconer of Kings-Copland zur Braut gewonnen hatte. Die ältere Schwester dieser Dame hatte vor einiger Zeit meinen Großvater, Sir Geoffrey Bothwell, geheiratet und unserer Familie ein stattliches Vermögen gebracht. Miß Jemima oder Jemmy Falconer, wie sie schlechtweg genannt wurde, hatte ebenfalls 10000 Pfund eine ansehnliche Mitgift für die damaligen Zeiten.
Die beiden Schwestern waren sehr verschieden, hatten aber alle beide als ledige Mädchen ihre Verehrer gehabt. Lady Bothwell hatte etwas von dem alten Blute der Kings- Copland. Sie war tapfer, doch dabei nicht tollkühn, ehrgeizig und bedacht, ihrem Hause und ihrer Familie eine immer höhere Stellung zu erringen. Meinen Großvater, einen sonst phlegmatischen Mann, soll sie scharf angespornt haben. Wenn man Klatschereien glauben soll, die über ihn umliefen, so ist er durch seine Frau in politische Händel verwickelt worden, in die er sich nicht hätte einlassen sollen.
Sie war eine Frau von hohen Grundsätzen und mannhaftem Verstand, was aus einigen ihrer Briefe hervorgeht, die ich noch in meinem Schranke habe.
Jemmy Falconer war das gerade Gegenteil ihrer Schwester in allen Stücken. Ihr Verstand ging nicht über das Durchschnittsmaß hinaus, wenn er nicht gar darunter stand. Ihre Schönheit so lange sie währte lag in sehr zarter Gesichtsfarbe und regelmäßigen Zügen, die jedoch jedes kraftvollen Ausdrucks entbehrten. Selbst diese schwachen Reize verzehrte das Elend, das eine Heirat zweier nicht zueinander passender Wesen mit sich brachte. Sie hing leidenschaftlich an ihrem Gemahl, der sie mit hartherziger, wenn auch höflicher Gleichgültigkeit behandelte, die für ein Weib von zartem Gemüt und schwacher Urteilskraft vielleicht verhängnisvoller war, als es eine offenkundig schlechte Behandlung hätte sein können. Sir Philipp war ein Wollüstling, das heißt ein großer Egoist, dessen Gemüt und Charakter dem Degen glich, den er trug glatt, scharf, blank und geschliffen, aber unbiegsam und ohne Erbarmen.
Da er seiner Frau gegenüber die herkömmlichen Formen nicht außer acht ließ, so wußte er sogar durch sein wohlberechnetes Benehmen ihr das Mitgefühl der Welt zu entziehen, und die Klatschereien der Gesellschaft taten ihr möglichstes, den sündhaften Mann als besser hinzustellen als seine leidende Frau. Einige nannten sie ein elendes schwächliches Ding und meinten, wenn sie nur halb soviel Courage hätte wie ihre Schwester, so hätte sie schon aus Sir Philipp einen vernünftigen Mann machen können. Die Mehrzahl ihrer Bekannten urteilte dahin, daß der Fehler auf beiden Seiten läge, und solche Kritiken lauteten dann etwa folgendermaßen:
»Gewiß wird kein Mensch Sir Philipp in Schutz nehmen wollen, wir alle kennen ihn ja, und Jemmy Falconer hätte also vorher wissen müssen, was sie von ihm zu gewärtigen hatte. Warum hat sie sich auch absolut auf Sir Philipp kapriziert? Wenn sie sich ihm nicht mit ihren lumpigen 10000 Pfund an den Hals geworfen hätte, wäre es ihm nie eingefallen, sie auch nur anzusehen. Sicherlich hat er ein schlechtes Geschäft dabei gemacht, wenn es ihm um Geld zu tun war. Bei der und jener wäre er weit besser gefahren. Wenn sie aber durchaus ihn zum Manne haben wollte, dann mußte sie auch versuchen, ihm das Haus angenehmer zu machend. Statt ihn mit Kindergeplärr zu peinigen, mußte sie seine Freunde öfter einladen und dafür sorgen, daß im Hause alles hübsch gemütlich war. Ich glaube bestimmt, Sir Philipp wäre ein sehr häuslicher Ehemann geworden, wenn er eine Frau bekommen hätte, die ihn zu nehmen verstanden hätte.«
Die dieses Urteil fällten, hatten nur den einen Umstand vergessen, daß der Schlußstein dabei fehlte; wenn sie nämlich Gesellschaften hätten geben sollen, so hätte Sir Philipp die Mittel dazu hergeben müssen. Sein Vermögen war aber durch sein verschwenderisches Leben sehr verringert worden und reichte nicht mehr aus, ein gastfreies Haus zu halten, da der gute Ritter ja doch seinen kleinen Vergnügungen nicht entsagen mochte. Trotz aller weisen Ermahnungen seiner Freundinnen amüsierte sich Sir Philipp außer dem Hause und ließ seine Frau dort in Einsamkeit sich grämen.
Zuletzt faßte Sir Philipp den Entschluß, nach dem Festlande zu gehen, und als Freiwilliger den damaligen Krieg mitzumachen. Er dachte auf diese Weise am besten den Geldschwierigkeiten, die sich jetzt einstellten, und der Langweiligkeit seines Heims zu entrinnen.
Seine Frau war über diesen Entschluß völlig entsetzt, und ihre Trostlosigkeit war dem würdigen Baronet so zuwider, daß er ganz gegen seine Gewohnheit sich bemühte, sie ein wenig gutes Mutes zu machen.
Lady Bothwell bat nun Sir Philipp, während seiner Abwesenheit ihre Schwester mit ihrer Familie zu sich nehmen zu dürfen, und Sir Philipp war hiermit gern einverstanden, da dadurch erstens ihm die Kosten erspart wurden und zweitens jedem etwaigen übeln Gerede, er hätte Frau und Kinder verlassen, vorgebeugt wurde.
Ein paar Tage vor Sir Philipps Abreise nahm Lady Bothwell sich die Freiheit, ihm im Beisein ihrer Schwester die Frage vorzulegen, die diese selbst oft an ihn zu richten gewünscht hatte, nur daß ihr stets der Mut dazu gefehlt hatte.
»Wohin wollt Ihr gehen, Sir Philipp, wenn Ihr das Festland erreicht habt?«
»Ich reise mit dem Dampfer von Leith nach Helvoetsluys.«
»Das kann ich mir denken,« sagte Lady Bothwell trocken, »ebenso, daß Ihr nicht lange in Helvoetsluys bleiben werdet. Ich will aber wissen, welches das weitere Ziel Eurer Reise ist.«
»Verehrte Lady,« sagte Sir Philipp, »Ihr stellt mir da eine Frage, die ich mir selber noch nicht gestellt habe. Die Antwort bleibt dem Kriegsglück überlassen. Ich gehe natürlich ins Hauptquartier, wo sich das nun gerade befinden mag, gebe meine Empfehlungsschreiben ab, lerne von der edeln Kriegskunst soviel, als für einen armen Pfuscher von einem Dilettanten ausreicht und sehe mir dann mit eignen Augen all das an, wovon in den Zeitungen soviel zu lesen steht.«
»Und ich hoffe auch, Sir Philipp,« sagte Lady Bothwell, »Ihr werdet stets dessen eingedenk sein, daß Ihr Ehegatte und Vater seid, und wenn Ihr es auch für am Platze haltet, Euern militärischen Neigungen nachzuhängen, so werdet Ihr Euch doch nicht in Gefahren begeben, in die sich nur Leute von der Zunft einlassen dürfen.«
»Lady Bothwell erweist mir zuviel Ehre,« antwortete der auf Abenteuer ausziehende Ritter, »wenn sie sich in dieser Hinsicht auch nur die geringste Sorge macht. Damit jedoch Eure Ladyschaft sich in der mir so schmeichelhaften Angst beruhigt, so hoffe ich, Ihr werdet bedenken, daß die ehrwürdige und väterliche Eigenschaft, an die Ihr mich in so liebenswürdiger Weise gemahnt, nicht dem blinden Zufall preisgegeben werden kann, ohne daß dabei auch ein ehrlicher Kerl, Philipp Forester genannt, in Lebensgefahr gerät und mit dem Kameraden lebe ich nun schon dreißig Jahre zusammen, und ich habe gar keine Lust, mich von ihm zu trennen, obgleich ihn manche Leute für einen Gecken halten.«
»Nun wohl, Sir Philipp, Ihr müßt am besten zu beurteilen wissen, was Ihr zu tun und zu lassen habt. Mir steht es nicht zu, mich da hineinzumischen Ihr seid nicht mein Mann.«
»Verhüts Gott!« fiel Sir Philipp hastig ein, doch er setzte sogleich hinzu: »Verhüts Gott, daß ich meinem Freunde Geoffrey ein so unschätzbares Kleinod rauben sollte!«
»Aber Ihr seid der Mann meiner Schwester,« setzte die Dame hinzu, »und ich glaube, Ihr habt gemerkt, wie untröstlich sie ist.«
»Sofern etwas, was man den ganzen Tag über vom frühen Morgen bis zum späten Abend zu hören kriegt, gemerkt werden kann,« entgegnete Sir Philipp, »so bin ich allerdings etwas davon gewahr geworden.«
»Ich nehme innigen Anteil an meiner Schwester, und daher erklärt sich die Besorgnis, mit der ich etwas von den Plänen Sir Philipp Foresters zu erfahren wünsche. Ich habe ja auch Ursache, mir um einen Bruder Sorge zu machen.«
»Ihr meint den Major Falconer, Euern Bruder mütterlicherseits, was hat jetzt der mit unserm sehr angenehmen Gespräch zu tun?«
»Ihr seid mit ihm zusammengekommen,« sagte Lady Bothwell.
»Selbstverständlich, wir sind ja Verwandte,« erwiderte Sir Philipp, »und als solche haben wir stets miteinander in dem herkömmlichen Verkehr gestanden.«
»Ihr antwortet mir ausweichend,« entgegnete die Dame, »ich meine, Ihr seid hart aneinander geraten wegen der Art und Weise, wie Ihr Eure Frau behandelt.«
»Wenn Ihr, Lady Bothwell,« erwiderte Sir Philipp, »den Major Falconer für so einfältig haltet, daß er mich in meiner Häuslichkeit mit seinen Ratschlägen belästigt, so habt Ihr allerdings Ursache anzunehmen, daß ich mir seine Einmischung nicht gefallen lassen und ihn ersuchen würde, seinen Rat solange für sich zu behalten, bis er danach gefragt würde.«
»Und trotzdem Ihr so mit ihm steht, wollt Ihr doch in demselben Heere, wo er steht, Kriegsdienste nehmen?«
»Niemand weiß besser als Major Falconer, wie der Ehre Genüge zu tun ist,« sagte Sir Philipp. »Ein Mann, der wie ich sich erst Ruhm erwerben will, kann keinen bessern Führer finden, als wenn er genau in seine Fußstapfen tritt.«
Lady Bothwell erhob sich und ging zum Fenster, Tränen traten ihr in die Augen.
»Mit so herzlosen Scherzen,« sagte sie, »fertigt Ihr uns ab und uns preßt es fast das Herz ab, daß dieser Zwist so verhängnisvolle Folgen haben kann. Guter Gott, aus was muß das Herz eines Mannes sein, der so mit dem Schmerze andrer spielen kann?«
Sir Philipp Forester war ergriffen, er gab den ironischen Ton auf, in dem er bisher geredet hatte.
»Werte Lady Bothwell,« sagte er und ergriff trotz ihres Sträubens ihre Hand, »wir haben beide unrecht; Ihr nehmt es zu ernst und ich vielleicht zu wenig. Der Zwist, den ich mit Major Falconer hatte, war völlig belanglos. Wäre etwas Ernstes zwischen uns vorgefallen, so sind wir beide nicht die Männer danach, die Genugtuung lange zu verschieben. Ich weiß, daß Ihr gesunden Menschenverstand habt, Lady Bothwell, Ihr werdet es also begreifen, wenn ich Euch sage, meine Verhältnisse erfordern es, daß ich auf einige Monate außer Landes gehe. Jemima kann das nicht verstehen, von ihr höre ich nur immer wieder die Fragen: warum ginge das nicht so oder so oder noch anders? Und wenn ich ihr auseinandergesetzt habe, daß alle ihre Vorschläge nichts helfen können, so fängt sie doch dieselbe Leier immer noch einmal von vorne an. Nun aber sagt ihr, werte Lady Bothwell, daß ich Euch beruhigt habe. Bringt mir nur ein wenig Vertrauen entgegen, und Ihr sollt sehen, daß ich es reichlich vergelte.«
»Wie schwer ist es,« antwortete Lady Bothwell kopfschüttelnd, »Vertrauen zu schenken, wenn die Grundlage, worauf es beruhen sollte, so sehr erschüttert ist. Ich will aber tun, was in meinen Kräften steht, um Jemmy zu beruhigen. Indessen kann ich aber nur sagen, ich mache Euch vor Gott und den Menschen dafür verantwortlich, daß Ihr von Euerm Vorhaben nicht laßt.«
»Seid unbesorgt, ich schenke Euch reinen Wein ein,« versetzte Sir Philipp. »Briefe erreichen mich am besten durch das Generalpostamt in Helvoetsluys; dort werde ich Sorge tragen, daß mir die Briefe nachgeschickt werden. Was Falconer anbetrifft, so macht Euch keine Sorge, wir werden bei einer Flasche Burgunder Wiedersehen feiern.«
Ich kann leider nicht genau das Jahr angeben, in welchem Sir Philipp nach Flandern reiste, es war aber gerade damals der Feldzug in seiner blutigsten Phase, und viele mörderische Schlachten waren zwischen den Franzosen und den Alliierten geschlagen worden, ohne daß eine Entscheidung herbeigeführt worden wäre.
Unter allen Fortschritten der Neuzeit ist vielleicht der der bedeutendste, daß jetzt Nachrichten mit Sicherheit und Schnelligkeit befördert werden können, so daß die Angehörigen der Offiziere und Soldaten sofort nach einem Gefecht über ihr Befinden Mitteilung erhalten. Zur Zeit der Feldzüge Marlboroughs jedoch hatten die vielen Menschen, die Verwandte beim Heere hatten, am allerschlimmsten unter der Ungewißheit zu leiden, in der sie wochenlang schwebten, wenn eine Schlacht stattgefunden hatte, in der die, um die ihr Herz sich bangte, aller Wahrscheinlichkeit nach mitgekämpft hatten.
Zu denen, die unter dem Schmerz der Ungewißheit litten, zählte auch die verlassene Gattin des leichtfertigen Sir Philipp Forester. Ein einziger Brief hatte ihr mitgeteilt, daß er glücklich auf dem Festlande angekommen sei, sonst erhielt sie keine Nachricht.
Nur eins laß sie in den Zeitungen: es wurde von dem Freiwilligen Sir Philipp Forester erzählt, er habe einen ihm aufgetragenen, gefahrvollen Patrouillengang mit Todesverachtung und Klugheit und Geschicklichkeit ausgeführt und habe die öffentliche Anerkennung des kommandierenden Generals erhalten.
Vorübergehend färbte sich die blasse Wange seiner Gemahlin, als sie so die bestimmte Nachricht bekam, daß er sich rühmlich hervorgetan hatte, aber gleich darauf dachte sie an die Gefahr, und die Röte wich einer fahlen Blässe.
Hiernach trafen weder von Sir Philipp noch von seinem Schwager Falconer Nachrichten ein. Die Ungewißheit war für Lady Forester, ein einsam lebendes, empfindsames, mutloses und jeglicher Seelenstärke entratendes Weib, die bitterste der Martern.
Als Lady Forester von Sir Philipp nichts mehr erfuhr, weder durch Boten noch durch Briefe, begann sie sogar einen Trost zu suchen in der Leichtfertigkeit, die ihr früher so zur Pein geworden war.
»Er ist so gedankenlos,« sagte sie immer wieder zu ihrer Schwester, »daß er überhaupt nicht ans Schreiben denkt, sobald es ihm gut geht. Das ist so seine Manier. Wäre ihm etwas zugestoßen, bekämen wirs gleich zu erfahren.«
Lady Bothwell hörte ihre Schwester an und versuchte nicht, sie zu trösten. Vielleicht meinte sie, selbst die schlimmste Nachricht, die aus Flandern hätte kommen können, hätte tröstend wirken müssen. Lady Forester als Witwe sofern ihr dieses Unglück bestimmt war hätte eine Quelle des Glückes finden können, die sie als Gattin des leichtsinnigsten und schönsten Mannes in Schottland nie kennen gelernt hatte.
Diese Überzeugung bestärkte sich, als auf im Hauptquartier eingezogene Erkundigungen der Bescheid kam, Sir Philipp sei nicht mehr beim Heere. Aber keiner seiner Landsleute im Lager der Alliierten konnte angeben sei es auch nur als Vermutung ob er in einem der beständig stattfindenden Scharmützelgefechte, worin er sich mit Vorliebe auszuzeichnen pflegte, gefallen sei oder ob er aus einem unbekannten Grunde oder infolge launenhafter Abänderung seiner Pläne den Kriegsdienst aufgegeben habe.
Inzwischen drängten seine Gläubiger immer ungeduldiger, setzten sich in den Besitz seines Eigentums und drohten sogar, ihn in den Schuldturm werfen zu lassen, sofern er so unvorsichtig sein sollte, nach Schottland zurückzukehren.
Dieses neue Ungemach steigerte noch Lady Bothwells Erbitterung gegen den flüchtigen Ehegatten. Ihre Schwester wurde nur noch trauriger und trostloser; denn ihre Phantasie stellte ihr den abwesenden Gemahl wie vor der Ehe als tapfer, lustig und liebevoll dar.
Um diese Zeit kam ein Mann nach Edinburgh, – eine eigenartige, sonderbare Erscheinung. Sie hießen ihn gewöhnlich den Doktor von Padua, weil er in dieser berühmten Universität der Republik Venedig seine Erziehung genossen hatte. Es ging die Rede von ihm, er sei im Besitz seltener Rezepte, mit denen ihm sehr merkwürdige Kuren geglückt seien.
Die Ärzte von Edinburgh schalten ihn zwar einen Kurpfuscher, aber es gab auch viele und darunter vor allem Geistliche, die zwar an der Tatsächlichkeit seiner Heilungen und der Heilkraft seiner Mittel nicht zweifelten, zugleich aber behaupteten, Doktor Baptista Damiotti treibe Zaubereien und verbotene Künste, um in seiner ärztlichen Praxis Glück zu haben. Es wurde sogar von der Kanzel herab feierlich gegen ihn agitiert.
Doch mehrere hochstehende, einflußreiche Gönner gewährten ihm Schutz und so konnte er diesen Bezichtigungen die Stirn bieten. Er konnte sogar in der Stadt Edinburgh obgleich sie wegen ihres Hasses gegen Hexen und Zauberer bekannt und gefürchtet war den gefahrvollen Charakter eines Weissagers und Zukunftsdeuters annehmen. Schließlich lief auch noch das Gerücht um, Doktor Baptista Damiotti sei imstande allerdings gegen ein nicht unbeträchtliches Honorar das Schicksal fernweilender Personen zu verkünden, ja er vermöchte sogar die Erscheinung des Abwesenden zu berufen und zu zeigen, was die Person im Augenblick gerade beginne.
Dieses Gerücht kam der Lady Forester zu Gehör, und sie war jetzt auf dem Höhepunkt des Seelenschmerzes angelangt, daß sie alles zu tun und zu ertragen willens war, wenn nur die peinvolle Ungewißheit durch sichere Kunde aufgehoben würde.
Bei all ihrer Sanftmut und Furchtsamkeit stimmte sie doch ihr jetziger Seelenzustand starrsinnig und leichtsinnig. Nicht wenig überrascht und besorgt war daher Lady Bothwell, als sie vernahm, daß ihre Schwester sich entschlossen habe, diesen Mann der Kunst zu besuchen und ihn nach dem Schicksal ihres Gemahls zu befragen. Lady Bothwell versuchte, ihr klarzumachen, daß so übernatürliche Leistungen, wie ihrer der Fremde sich rühmte, nicht gut etwas anderes als purer Betrug sein könnten.
»Das ist mir einerlei,« war die Antwort der verlassenen Gattin, »wenn ich nur hoffen kann, daß unter hundert Mitteln eines mir Gewißheit geben könne, was aus meinem Mann geworden ist, so will ich es nicht unversucht lassen.«
Lady Bothwell machte zunächst darauf aufmerksam, daß es gegen das Gesetz verstoße, solche Quellen verbotener Kenntnis zu benützen.
»Schwester,« entgegnete die Leidende »wer vor Durst verschmachtet, läßt sich selbst hinreißen, vergiftetes Wasser zu trinken. Wer unter steter Ungewißheit vergeht, muß Nachricht zu erlangen suchen, selbst wenn unheilige höllische Mittel ergriffen werden müssen. Ich will allein gehen, mein Schicksal zu hören, noch heute Abend muß ich es wissen. Und wenn die Sonne morgen sich rötet, werde ich, wenn auch nicht glücklicher, so doch ruhiger sein.«
»Schwester,« versetzte Lady Bothwell, »wenn du fest entschlossen bist, diesen unbedachten Schritt zu tun, so sollst du nicht allein gehen. Sollte dieser Mann ein Schwindler sein, so bist du vielleicht zu aufgeregt, um hinter seine Taschenspielerei zu kommen. Wenn aber an dem, was er zu können sich anmaßt, etwas Wahres ist, was ich nicht glauben kann, so sollst du eine Nachricht so außergewöhnlicher Art nicht allein vernehmen. Ich komme mit dir, wenn du wirklich gehen willst. Überlege es dir aber noch einmal und verzichte lieber auf eine Nachforschung, die sich nicht ohne Schuld und vielleicht auch nur mit Gefahr anstellen läßt.«
Lady Forester warf sich ihrer Schwester in die Arme, drückte sie an ihre Brust und dankte ihr herzlich, daß sie sie begleiten wolle; den freundschaftlichen Rat, den sie ihr gab, lehnte sie jedoch mit einer Gebärde der Traurigkeit ab.
Als die Dämmerstunde herangekommen war, die Zeit, zu der der Doktor von Padua stets von denen aufgesucht wurde, die ihn um Rat bitten wollten verließen die beiden Damen ihre Wohnung in Canongate zu Edinburgh, verkleidet als Frauen niedern Standes und wie diese die Köpfe in Mäntel eingeschlagen. Lady Bothwell hatte es für geraten gehalten, sich in dieser Weise zu verkleiden, um einerseits das Haus des Beschwörers unauffällig aufsuchen zu können, andererseits um diesen selber auf die Probe zu stellen, ob er scharfsinnig genug sei, ihren Mummenschanz zu durchschauen.
Der Diener der Lady Forester war vorher zu dem Doktor geschickt worden – ein Mann, dessen Treue erprobt war. Er hatte durch eine angemessene Belohnung die Gunst des Gelehrten gewinnen müssen und ihm angedeutet, daß die Frau eines Soldaten zu wissen wünsche, was aus ihrem Manne geworden sei, ein Gegenstand, über den der Weise sicherlich sehr oft gefragt würde.
Die Uhr im Schlosse schlug acht. Bis zum letzten Augenblicke hatte Lady Bothwell ihre Schwester beobachtet und gehofft, sie werde ihr unbesonnenes Vorhaben noch aufgeben. Manchmal vermag jedoch selbst die Sanftmütigkeit und die Beschränktheit leidenschaftlich auf bestimmten Entschlüssen zu bestehen, und so war auch Lady Forester unerschütterlich, bis es Zeit war zu gehen.
Verdrossen über ein solches Beginnen und doch fest entschlossen, ihre Schwester in solcher Gefahr nicht allein zu lassen, schritt nun Lady Bothwell mit Lady Forester durch manche düstre Straße und Gasse, während ein Diener, den Weg weisend, voranging.
Plötzlich bog ihr Führer in einen engen Hof ein und pochte an eine gewölbte Tür, die zu einem anscheinend schon sehr alten Gebäude zu gehören schien. Die Tür ging auf, ohne daß ein Pförtner sich gezeigt hätte. Der Diener trat vor dem Portal zur Seite und bat die Damen einzutreten. Dies taten sie, und die Tür schloß sich wieder, während der Führer draußen blieb.
Die beiden Damen standen nun auf einem schmalen Korridor, der, durch eine Lampe matt erhellt, mit dem Licht und der Luft draußen nicht in Verbindung zu stehen schien. Am Ende des Korridors befand sich eine Tür, die halb offen stand.
»Wir dürfen jetzt nicht zaudern, Jemima,« sagte Lady Bothwell und trat in das Gemach, wo inmitten von Büchern, Karten, physikalischen Instrumenten und anderm Gerät der Mann der Wissenschaft saß.
Das Äußere des Italieners hatte nichts Auffallendes. Er hatte die dunkeln Wangen und die scharfen Züge seiner Rasse, sah aus wie ein Fünfzigjähriger und war etwas geziert, doch einfach gekleidet in jene schwarze Tracht, die damals bei den Ärzten allgemein üblich war.
Große Wachskerzen in silbernen Leuchtern erhellten das nicht eben ärmlich ausgestattete Gemach.
Als die Damen hereintraten, erhob er sich. Trotzdem sie so unscheinbar gekleidet waren, empfing er sie mit all der Achtung, die ihrem Stande zukam.
Lady Bothwell gab sich Mühe, sich ihrer Verkleidung gemäß zu betragen, und machte eine ablehnende Gebärde, als der Dokter sie nach dem obern Ende des Zimmers führte, wie um anzudeuten, daß solche Aufmerksamkeit ihr nicht gebühre.
»Wir sind arme Frauen,« sagte sie, »nur der Gram meiner Schwester führt mich hierher, wir wollen Euer Gnaden um Rat bitten «
Lächelnd unterbrach er sie.
»Mylady,« sagte er, »ich weiß um den Gram Eurer Schwester und kenne auch den Grund dazu. Ich weiß auch, daß ich mit dem Besuch zweier Damen des höchsten Standes, der Lady Bothwell und der Lady Forester, beehrt werde. Wenn ich sie nicht von derjenigen Klasse der Gesellschaft zu unterscheiden vermöchte, deren Tracht sie augenblicklich angelegt haben, so wäre ich wohl schwerlich in der Lage, ihnen die Auskunft zu erteilen, die sie von mir begehren.«
»Ich verstehe sehr wohl « begann Lady Bothwell.
»Verzeiht, daß ich so kühn bin, Euch zu unterbrechen,« fiel ihr der Italiener ins Wort, »Ihr wolltet sagen, Ihr verstündet sehr wohl, daß ich durch Euern Bedienten wisse, mit wem ich es zu tun habe. Wenn Ihr aber so denkt, so tut Ihr ein doppeltes Unrecht, indem Ihr an der Treue Eures Dieners zweifelt und an der Klugheit eines Mannes, des Baptista Damiotti, der auch nichts andres ist als Euer ergebener Diener.«
»Ein solcher Zweifel liegt nicht in meiner Absicht,« antwortete Lady Bothwell in gefaßtem Tone trotz ihrer Überraschung. »Dies alles ist nur etwas Neues für mich. Wenn Ihr wißt, wer wir sind, so wißt Ihr auch, was uns herführt.«
»Das Begehr, das Schicksal eines schottischen Herrn von hohem Range zu erfahren, der auf dem Festlande weilt,« erwiderte der Seher. »Er heißt il Cavaliero Philippo Forester und ist ein Herr, der die Ehre hat, der Ehegatte dieser Dame zu sein, eine Ehre, die er sofern ich mit Eurer Ladyschaft Erlaubnis ganz offen reden darf unglücklicherweise nicht nach Gebühr schätzt.«
Lady Forester seufzte tief, und Lady Bothwell antwortete:
»Da Ihr somit wißt, ohne daß wir es Euch bekannt haben, in welcher Absicht wir gekommen sind, so habe ich nur noch die eine Frage an Euch: seid Ihr imstande, meine Schwester von ihrer Angst zu befreien?«
»Wohl ist mir dies gegeben, Mylady,« versetzte der Gelehrte von Padua, »doch zuvor muß ich selber Euch noch eine Frage vorlegen: habt Ihr Mut genug, mit eigenen Augen zu schauen, was Sir Forester in dieser Stunde tut oder wollt Ihr den Bericht aus meinem Munde hören?«
»Auf diese Frage muß meine Schwester selber Antwort geben,« sagte Lady Bothwell.
»Ich will es mit eignen Augen sehen, was Ihr mir zu zeigen imstande seid,« antwortete Lady Forester mit der gleichen Entschiedenheit, mit der sie ihren Entschluß ausgeführt hatte.
»Es ist mit Gefahren verknüpft.«
»Falls die Gefahr mit Gold zu beseitigen ist « sagte Lady Forester, die Börse ziehend.
»Ich tue das nicht um Gewinn,« unterbrach sie der Fremde; »wenn ich von den Reichen Gold nehme, so geschieht es nur, um es den Armen zu geben. Auch nehme ich nie mehr, als was ich von Euerm Diener erhalten habe. Steckt Eure Geldtasche also wieder ein, Mylady, ein Adept braucht Eures Geldes nicht.«
Daß der Mann das Anerbieten ihrer Schwester zurückwies, hielt Lady Bothwell lediglich für den Kunstgriff eines Quacksalbers, der nur noch eine größere Summe herauszulocken beabsichtigte. Um zum Ende zu kommen, bot sie ihrerseits dem Italiener Geld an, das er zu dem Zweck verwenden solle, seine Wohltätigkeit vielfältiger ausüben zu können.
»Möge Lady Bothwell ihre eigne Barmherzigkeit in größerm Maße üben,« sagte der Paduaner, »und zwar nicht nur im Austeilen von Almosen, sondern auch in der Beurteilung andrer. Sie möge den Baptista Damiotti dadurch sich zu Danke verpflichten, daß sie ihn solange für ehrlich hält, bis sie herausbekommt, daß er ein Gauner ist. Wundert Euch nicht, Mylady, daß ich auf Eure Gedanken mehr eingehe als auf Eure Worte, und sagt mir noch einmal, ob Ihr wirklich den Mut habt, anzuschauen, was ich Euch zeigen werde.«
»Ich muß gestehen, Herr, Eure Worte machen mir bange,« sagte Lady Bothwell; »was aber meine Schwester sehen will, werde auch ich ohne Bedenken mitansehen.«
»Die Gefahr liegt lediglich darin, daß der Mut Euch verlassen könnte. Was Ihr schauen werdet, kann sich nur sieben Minuten zeigen. Wenn Ihr die Vision auch nur mit einem Worte stört, so ist nicht allein der Zauber vernichtet, sondern auch die Zuschauer können in Gefahr geraten. Wenn Ihr aber diese sieben Minuten lang das unverbrüchlichste Schweigen wahren könnt, so wird Eure Wißbegier befriedigt werden, ohne daß Ihr das geringste dabei zu befürchten braucht, dafür verbürge ich mich mit meiner Ehre.«
Im Innern glaubte Lady Bothwell sich nicht vor Gefahr gesichert, sie verbarg jedoch ihre Befürchtungen, denn es schien ihr, als ob der Adept, in dessen dunkeln Zügen ein leises Lächeln spielte, selbst ihre heimlichsten Gedanken durchschaute.
Eine feierliche Pause trat ein, bis Lady Forester sich ein Herz gefaßt hatte und dem Arzt wie er sich nannte erklärte, daß sie fest bleiben wolle und schweigen werde und daß sie nun der Vision gewärtig sei, die er ihnen zu zeigen versprochen habe.
Der Gelehrte verneigte sich hierauf tief und ging hinaus mit den Worten, er werde Vorkehrungen treffen, ihren Wunsch zu erfüllen.
Die beiden Schwestern setzten sich auf zwei Stühle dicht nebeneinander und hielten sich bei den Händen, als wollten sie durch dieses enge Zusammenschließen die Gefahr, die ihnen vielleicht drohte, von sich wenden. Jemima suchte eine Stütze in der mannhaften Art der Lady Bothwell, und diese wiederum war aufgeregter, als sie sich selbst gedacht hatte, und suchte sich an der verzweiflungsvollen Entschlossenheit zu stärken, mit der ihre Schwester zu ihrem Plane gegriffen hatte.
Nach einer kleinen Weile wurden beider Gedanken durch eine so seltsam liebliche und feierliche Musik abgelenkt, daß die ernste Stimmung, die das vorhergehende Gespräch wachgerufen hatte, nur noch erhöht wurde. Die Musik schien gleichzeitig darauf angelegt, jede der Harmonie zuwiderlaufende Empfindung zu verscheuchen. Sie war von einem Instrument, das beiden unbekannt war. Als die himmlischen Töne verstummten, tat sich eine Tür am obern Ende des Gemaches auf, und sie sahen Damiotti ein paar Stufen hoch auf einer Estrade stehen und ihnen winken, näherzutreten. Er war jetzt so ganz anders gekleidet als vorhin, daß sie ihn kaum wieder erkannten. Der etwas spöttische Ausdruck, mit dem er beide und besonders Lady Bothwell betrachtet hatte, war einer Totenblässe und jener finstern Spannung aller Muskeln gewichen, wie man sie bei jemand beobachten kann, der vor einer außergewöhnlichen und kühnen Handlung steht.
Er war barfuß und trug Sandalen antiker Form; die Beine waren bis an die Knie nackt. Er hatte ein Beinkleid und ein enganliegendes Wams von karmoisinroter Seide an, darüber einen Mantel von schneeweißem Linnen, der wie ein Chorhemd aussah. Der Hals war frei, und das lange, straffe, schwarze Haar war lang und sorgfältig herabgekämmt.
Als die Damen, seinem Winke folgend, nähertraten, unterließ er jede Gebärde der höflichen Form, worin er doch vorher so freigebig gewesen war. Im Gegenteil gab er den Wink näherzutreten mit einer Miene des Befehls; als die Schwestern Arm in Arm auf den Fleck zukamen, wo er stand, legte er den Finger auf die Lippen und warf ihnen einen finstern Blick der Warnung zu, wie um sein Gebot unbedingten Schweigens zu wiederholen.
Dann ging er voran und führte sie ins nächste Zimmer.
Dieses Gemach war geräumig und mit schwarzem Tuch ausgeschlagen, wie zu einem Begräbnis hergerichtet. Am obern Ende stand ein Tisch, oder vielmehr ein Altar, der mit einem Tuch von der gleichen Farbe bedeckt war und auf dem verschiedene Gegenstände zu sehen waren, in denen man das übliche Handwerkszeug der Zauberei erkannte. Das Zimmer war nur matt erhellt von zwei Lampen, die im Verlöschen waren.
Der Maestro – um die italienische Bezeichnung für Männer dieser Art anzuwenden schritt nach dem obern Ende des Gemaches, indem er die Knie beugte, wie die Katholiken vor dem Kruzifix zu tun pflegen, und sich dabei bekreuzte. Die Damen gingen Arm in Arm schweigend hinter ihm her.
Ein paar niedrige Stufen führten zu einer Plattform vor dem Altar, hier stellte sich der Maestro auf und ließ die Damen neben sich treten, nochmals durch Winke sein Gebot zu schweigen ernsthaft wiederholend. Dann streckte er den nackten Arm aus dem Mantel hervor und deutete auf fünf große Fackeln, die rechts und links neben dem Altar standen. Als seine Hand oder vielmehr sein ausgestreckter Zeigefinger ihnen nahe kam, fingen sie an zu brennen und verbreiteten nun helles Licht.
Jetzt erkannten die beiden Damen, daß auf dem Altar kreuzweis zwei große Schwerter lagen, ein dickes Buch lag aufgeschlagen, sie hielten es für die heilige Schrift, nur in einer ihnen unbekannten Sprache. Daneben stand ein Menschenschädel.
Am meisten aber war den Schwestern ein großer, breiter Spiegel aufgefallen, der den ganzen Hintergrund ausfüllte und das Licht der brennenden Fackeln und das Bild der davor liegenden geheimnisvollen Dinge zurückwarf.
Der Maestro trat nun zwischen beide Damen, zeigte auf den Spiegel und nahm beide bei der Hand, doch ohne ein Wort zu reden. Sie blickten starr auf die düstere, strahlende Fläche, worauf er ihre Aufmerksamkeit gelenkt hatte. Plötzlich zeigte sich in ihr ein neues wundersames Bild.
Nicht länger spiegelten sich darin die davor liegenden Gegenstände, es zeigten sich Bilder für sich in dem Spiegel. Zuerst erschienen die Dinge in Unordnung und buntem Wirrwarr, dann zeigten sie sich deutlich und bestimmt in Formen und Ebenmaß. Nachdem auf der Fläche des zauberischen Spiegels ein paarmal Licht und Schatten gewechselt hatten, wurde ein langer, doppelseitiger Durchblick von Säulen und Bogen sichtbar, und ein Dach wölbte sich darüber. Nach einem vagen Vibrieren kam Festigkeit und Bestimmtheit in die ganze Vision: es war das Innere einer fremden Kirche.
Die stattlichen Pfeiler waren mit Wappenschildern geschmückt, die Bogen waren hoch und prachtvoll, der Fußboden mit Grabinschriften bedeckt. Besondere Sakristeien waren nicht da, es hingen weder Bilder an den Wänden, noch stand auf dem Altar ein Kruzifix oder ein Kelch. Es war also eine protestantische Kirche auf dem Kontinent.
Ein Geistlicher in Talar und Beffchen stand an dem Abendmahltische, die Bibel lag aufgeschlagen vor ihm, im Hintergrunde harrte ein Küster. Es schien alles hergerichtet zu sein für eine kirchliche Zeremonie.
Zuletzt trat in die Kirche ein Hochzeitszug, wie es schien, denn ein Herr und eine Dame gingen Hand in Hand voran, und eine große Zahl von Personen beiderlei Geschlechts kamen hinterdrein in festlicher, prachtvoller Tracht.
Die Braut, deren Gesicht deutlich zu erkennen war, schien höchstens sechzehn Jahre alt zu sein und von großer Schönheit.
Der Bräutigam drehte ihnen ein Weilchen den Rücken zu, aber seine zierliche Gestalt und sein graziöser Gang versetzte beide Schwestern plötzlich in die gleiche Angst. Als er dann sein Gedicht rasch ihnen zukehrte, sahen sie ihre Furcht entsetzlich bestätigt, denn sie erkannten in dem geschmückten Bräutigam Sir Philipp Forester.
Seine Frau vermochte nicht völlig einen Aufschrei zu unterdrücken, und bei diesem Laut schien die ganze Szene in Unordnung zu geraten und sich aufzulösen.
»Ich kann dies,« sagte Lady Bothwell, wenn sie später die wundersame Geschichte erzählte, »nur damit vergleichen, wie eine stille Wasserfläche, die ein Bild widerspiegelt, plötzlich von einem hineingeschleuderten Stein in Aufruhr gebracht wird und die Umrisse der Spiegelung sich verwirren und auseinander fahren.«
Der Maestro drückte beiden Damen heftig die Hand, wie um sie an ihr Versprechen und an die Gefahr zu gemahnen, der sie sich aussetzten. Der Schrei erstarb der Gattin auf der Zunge, ohne deutlich auszuklingen, und nachdem das Bild im Spiegel flüchtig geschwankt hatte, nahm es wieder die Bestimmtheit eines tatsächlichen Auftrittes an, der innerhalb des Spiegels sich abzuspielen schien. Das Ganze war sozusagen ein Gemälde, nur daß die Gestalten sich bewegten, statt regungslos zu sein.
Das Bild Sir Philipp Foresters war jetzt in Gestalt und Gesichtszügen deutlich erkennbar. Sie sahen ihn das schöne Mädchen zu dem Geistlichen führen, in ihrem Gang lag zugleich Zaghaftigkeit und liebevoller Stolz.
Inzwischen trat eine zweite Gruppe, worunter sich einige Offiziere befanden, ebenfalls in die Kirche. Der Prediger war gerade im Begriff, die Trauung zu vollziehen. Die Neuhinzugekommenen kamen zuerst nur näher, als wollten sie bloß zusehen. Plötzlich aber sprang einer der Offiziere, der den Zuschauern den Rücken zukehrte, aus der Mitte seiner Gefährten heraus und stürzte auf die Hochzeitsgesellschaft zu, deren Mitglieder sich alle nach ihm umdrehten, wie entsetzt über einen Ruf, den er beim Vorspringen ausgestoßen hatte.
Indem der Mann sich hereindrängte, zog er den Degen, der Bräutigam riß das Schwert aus der Scheide und stürzte auf ihn zu. Auch andere, sowohl von der Hochzeitsgesellschaft als auch von denen, die zuletzt hereingekommen waren, zogen blank. Allgemeine Verwirrung entstand. Der Prediger und einige gesetzte ältere Herren schienen bemüht zu sein, Frieden zu stiften, die Ungestümen zückten drohend die Degen gegeneinander.
Inzwischen war die kurze Zeitspanne verflossen, in der der Wahrsager nach seiner eigenen Erklärung seine Künste betätigen durfte. Das Gebilde zerfloß und zerging, so daß nichts mehr zu erkennen war. Die Gewölbe und Säulen der Kirche rollten auseinander und verschwanden, und der Spiegel warf wieder den Schein der Fackeln und die düstern Dinge auf dem Altar oder auf dem Tische zurück.
Der Doktor geleitete die Frauen, die seiner Stütze sehr bedurften, zurück in das Gemach, aus dem sie gekommen waren. Hier hatte er Wein, stark duftende Essenzen und andre Mittel, ermattete Lebenstätigkeit wieder aufzufrischen, während seiner Abwesenheit herbeibringen lassen. Er forderte die Damen auf, sich zu setzen, was sie schweigend taten. Lady Forester rang die Hände und schlug die Blicke gen Himmel. Aber als ob sie noch jetzt das Zauberspiel vor Augen hatte, sprach sie auch jetzt noch kein Wort.
»Was wir eben gesehen haben,« fragte Lady Bothwell, mit Mühe sich wieder fassend, »geschieht das jetzt gerade?«
»Das,« erwiderte Baptista Damiotti, »kann ich nicht bestimmt behaupten. Was Ihr gesehen habt, geschieht entweder eben jetzt oder ist vor ganz kurzer Zeit geschehen, jedenfalls ist es das letzte nennenswerte Ereignis, bei dem der Cavaliere Forester eine Rolle spielte.«
Lady Bothwell sagte sodann, sie fürchte für ihre Schwester, die so gar kein Bewußtsein von dem, was um sie her vorginge, zu haben scheine, daß es vielleicht unmöglich sein werde, sie wieder nach Hause zu bringen.
»Für diesen Fall habe ich gesorgt,« antwortete der Adept, »ich habe Euern Diener beauftragt, Euern Wagen so nahe an das Haus heranzufahren, als es bei der Enge der Straße mögliche ist. Sorgt Euch nicht um Eure Schwester, zu Hause aber gebt ihr diese beruhigende Medizin, es wird ihr dann am Morgen besser gehen. Nur wenige,« setzte er im Tone der Schwermut hinzu, »gehen so gesund, wie sie gekommen sind, aus diesem Hause wieder fort. Lebt wohl und vergeßt nicht den Trank.«
»Ich möchte ihr nichts geben, was von Euch ist,« sagte Lady Bothwell, »ich habe schon genug von Eurer Kunst gesehen. Ihr würdet vielleicht uns beide vergiften, damit Eure Gaukelei nicht ruchbar wird. Wir aber haben nicht nur die Mittel, ein uns zugefügtes Unrecht bekannt zu machen, sondern auch Anhang genug uns dafür schadlos zu halten.«
»Ich habe Euch' kein Unrecht zugefügt, Mylady,« sprach, der Adept. »Ihr seid zu einem Manne gekommen, der Euch für die Ehre, die Ihr ihm damit erwiesen habt, keinen Dank weiß. Dieser Mann geht selber zu niemand und gibt nur denen Auskunft, die zu ihm kommen und ihn darum ersuchen. Im übrigen habt Ihr das Unglück, das Euch bevorsteht, nur ein wenig früher erfahren. Ich höre Euern Diener an der Tür und will Euch nun nicht länger aufhalten. Die nächste Post vom Kontinent wird Euch bringen, was Ihr zum Teil schon gesehen habt. Wenn ich Euch einen Rat geben darf, so gebt diesen Brief nicht sogleich Eurer Schwester.«
Mit diesen Worten wünschte er Lady Bothwell gute Nacht. Die beiden Damen gingen, der Gelehrte leuchtete ihnen hinaus, indem er rasch einen Mantel umwarf, die Tür öffnete und die Frauen der Sorge des Dieners anvertraute.
Als Lady Forester zu Hause angekommen war verfiel sie sogleich in eine Art Irrsinn, der sich als Folge des abergläubischen Schreckens und der furchtbaren Nervenerschütterung einstellte.
Plötzlich trafen aus Holland Nachrichten ein, die die Verwirklichung ihrer schrecklichsten Ahnung enthielten.
Es kam die traurige Kunde, daß zwischen Sir Philipp Forester und dem Halbbruder seiner Frau, dem Kapitän Falconer von den Schottisch-Holländischen Truppen, wie man sie damals nannte, ein Zweikampf stattgefunden habe. Kapitän Falconer war gefallen. Die Nachricht von der Ursache des Zwistes gestaltete die Meldung nur noch um so betrübender.
Allem Anschein nach hatte Sir Philipp plötzlich das Heer verlassen, weil er nicht imstande war, eine bedeutende Geldsumme zu bezahlen, die er im Spiel an einen andern Freiwilligen verloren hatte. Er hatte einen andern Namen angenommen und war nach Rotterdam gegangen, wo er sich bei einem alten reichen Bürgermeister in Gunst zu setzen und zugleich durch sein schönes Äußere und sein anmutiges Wesen die Liebe seiner Tochter zu gewinnen wußte eines einzigen Kindes, das jung und schön und Erbin eines großen Vermögens war.
Der reiche Kaufherr, der eine viel zu hohe Meinung von englischer Ehrenhaftigkeit hatte, um Erkundigungen über seinen künftigen Schwiegersohn einzuziehen, war von seinem gefälligen Wesen sehr eingenommen und gab mit Freuden seine Einwilligung zu der Heirat. Sie sollte eben in der ersten Kirche der Stadt gefeiert werden, als das Fest durch ein unerwartetes Geschehnis unterbrochen wurde.
Kapitän Falconer war nach Rotterdam entsendet worden, um einen Teil der dort einquartierten schottischen Brigade dem Heere des Herzogs von Marlborough zuzuführen. Ein angesehener Einwohner, mit dem er von früher her bekannt war, machte ihm den Vorschlag, mit ihm nach der Kirche zu gehen und dort der Trauung eines seiner Landsmänner mit einer reichen Bürgerstochter beizuwohnen.
Mit einigen Offizieren der schottischen Brigade und mit seinem holländischen Freunde ging Kapitän Falconer in die Kirche. Man kann sich denken, wie groß sein Erstaunen war, als er seinen eignen Schwager, einen verheirateten Mann, dort im Begriffe sah, das unschuldige schöne Mädchen zum Altar zu führen, das er in so schändlicher, eines Mannes unwürdiger Weise betrogen hatte.
Sofort gab er die Schurkerei öffentlich kund, und die Vermählung wurde natürlich infolgedessen aufgehoben. Entgegen der Ansicht besonnener Männer, die Sir Philipp Forester für einen Schuft erklärten, der nicht mehr auf die Rechte eines Ehrenmannes Anspruch hätte, gestand ihm Kapitän Falconer doch noch das Vorrecht eines solchen zu und nahm die Herausforderung zum Zweikampf an, in welchem er tötlich verwundet wurde.
So waltet und wirkt geheimnisvoll die Vorsehung. Lady Forester hat sich von dem Schreck dieser Trauerkunde nie wieder erholt.
»Ereignete sich der traurige Vorfall,« fragte ich, »genau zu der Zeit, als das Bild im Spiegel gezeigt wurde?«
»Es ist verdrießlich, die Wirkung einer Erzählung in etwas abzuschwächen. Um jedoch bei der Wahrheit zu bleiben, muß ich sagen, daß das Ereignis einige Tage vor der Erscheinung im Spiegel sich zugetragen hatte.«
»Mithin ist auch die Möglichkeit vorhanden,« sagte ich, »daß der Schwarzkünstler durch geheime und schnelle Botschaft rechtzeitig Nachricht von dem Vorfall erhalten hatte.«
»So sagten alle, die nicht daran glaubten,« erwiderte meine Tante.
»Und was ist aus dem Adepten geworden?« fragte ich.
»Ein Haftbefehl wurde gegen ihn erlassen, aber er verstand das Wahrsagen viel zu gut, als daß er nicht das tragische Schicksal vorausgesehen hätte, das seiner warten würde, wenn er dem Manne des Gesetzes nicht aus dem Wege ginge, er schlug sich daher, wie man so sagt, seitwärts in die Büsche, und man hat nie wieder von ihm gehört, noch ihn je wieder gesehen.«
»Und ist auch Sir Philipp Forester für immer von der Bildfläche verschwunden?« fragte ich weiter.
»Nein,« versetzte meine liebe Erzählerin, »bei einem seltsamen Anlaß hat man wieder von ihm gehört. Es heißt, wir Schotten sofern wir uns als ein besonderes Volk für sich bezeichnen können haben unter unsern vollen Scheffeln von Tugenden auch einige Gerstenkörner von Lastern. Besonders macht man uns den Vorwurf, daß wir Schmähungen und Unbilden selten oder nie verzeihen und daß wir unsern Groll gehörig hegen, damit er hübsch heiß bleibt. Auch Lady Bothwell hegte solchen Grimm, und ich glaube, nichts hätte ihr mehr Entzücken verursacht, als wenn sie an Sir Philipp für die doppelte Untat, durch die er ihr einen Bruder und eine Schwester geraubt hatte, vollgiltige Rache hätte nehmen können. Aber erst nach vielen Jahren hörte man wieder von ihm.
An einem Fastnachtsabend, als die ganze vornehme Gesellschaft von Edinburgh versammelt war, trat ein Bedienter zu Lady Bothwell und sagte ihr leise, ein Herr wünsche sie insgeheim zu sprechen.
»Insgeheim? und hier in einer Gesellschaft? der muß nicht recht bei Sinnen sein. Sagt ihm, er solle morgen früh zu mir kommen.«
»Das habe ich ihm schon gesagt,« entgegnete der Diener. »Er hat mir aber aufgetragen, dieses Billet an Euch abzugeben.«
Sie öffnete das seltsam gefaltete und versiegelte Schreiben. Auf der Adresse standen nur die Worte: In Sachen über Leben und Tod und zwar in einer Handschrift, die sie zuvor noch nie gesehen hatte.
Sie folgte dem Boten in ein kleines Nebenzimmer, wo Erfrischungen zubereitet wurden und wohin die Gesellschaft sonst nicht Zutritt hatte. Dort fand sie einen alten Mann, der, als sie näher kam, sich erhob und sich tief verneigte. Er sah körperlich völlig zerrüttet aus, seine Kleider, die er der Etikette des Balles entsprechend sorgfältig angelegt hatte, waren fadenscheinig und verschossen und hingen faltenreich um seine hagre Gestalt.
Lady Bothwell zog bereits die Börse, um mit einem Almosen den Bittsteller loszuwerden, aber im selben Augenblick hatte sie doch das Gefühl, daß sie sich irren könne, und sie hielt die Hand zurück. Indessen ließ sie dem Manne Zeit, seine Sache vorzutragen.
»Habe ich die Ehre, mit Lady Bothwell zu sprechen?«
»Ich bin Lady Bothwell, ich muß Euch aber sagen, daß hier nicht der Ort und auch nicht die Zeit zu einer längern Auseinandersetzung ist. Was ist Euer Begehr?«
»Eure Ladyschaft,« sagte der alte Mann, »hatte einmal eine Schwester.«
»Allerdings, und ich liebte sie wie mich selber.«
»Auch einen Bruder.«
»Den tapfersten und liebevollsten Bruder.«
»Diese beiden Lieben habt Ihr verloren durch die Schuld eines Elenden,« fuhr der Fremde fort.
»Durch das Verbrechen eines unnatürlichen, blutgierigen Mörders,« sagte die Dame.
»Ich habe nun meinen Bescheid erhalten,« versetzte der alte Mann und verneigte sich zum Abschied.
»Halt, Herr! ich befehle es Euch!« rief Lady Bothwell. »Wer seid Ihr, daß Ihr an solchem Ort und zu solcher Zeit so furchtbare Erinnerungen in mir wachruft? Das will und muß ich wissen.«
»Ich bin einer, der nichts Böses gegen Lady Bothwell im Schilde führt, der es ihr im Gegenteil ermöglichen will, eine Tat christlicher Barmherzigkeit auszuüben, um die die Welt sie bewundern und der Himmel belohnen würde. Ich sehe aber, daß sie nicht in der Stimmung ist, um zu solchem Opfer, das von ihr zu erflehen ich mich gerüstet hatte, fähig zu sein.«
»Sprecht Herr, was begehret Ihr?«
»Der Elende,« begann der Fremde wieder, »der Euch so bittern Kummer zugefügt hat, liegt auf dem Totenbett. Seine Tage gehörten dem Jammer, seine Nächte der schlaflosen Angst. Er kann nicht sterben, ohne daß Ihr ihm verziehen habt. Sein Leben war ununterbrochener Buße geweiht, er hat aber nicht den Mut, sich von dem ihm so qualvollen Dasein zu trennen, so lange noch Euer Fluch auf seiner Seele lastet. Eure Verzeihung ist sein letzter innigster Wunsch. Aus ihr kann er auf eine Begnadigung hoffen, die er dann von seinem Schöpfer, Mylady, und von dem Eurigen erflehen kann. Bedenkt, Lady Bothwell, auch Euch steht ein Totenbett bevor. Auch Eure Seele muß den Schrecken spüren, der keiner Menschenseele erspart bleibt, mit der frischen, brennenden Wunde eines nicht ausgeheilten Gewissens vor das jüngste Gericht zu treten. Wie wird Euch dann das Bewußtsein quälen: Ich habe keine Gnade gewährt wie darf ich um Gnade bitten?«
»Mensch, wer du auch sein magst,« versetzte Lady Bothwell, »dringe nicht so grausam in mich ein. Heuchelei, ja Gotteslästerung würde es sein, wollten meine Lippen die Worte sprechen, gegen die jede Fiber meines Herzens sich auflehnt. Spräche ich solche Worte, die Erde täte sich auf und die hingemarterte Gestalt meiner Schwester die blutüberströmte Gestalt meines Bruders stiege herauf ! ich ihm vergeben nimmermehr!«
»Großer Gott im Himmel!« rief der Alte, die Hände emporreckend, »so also, so also befolgen die Würmer, die du aus dem Staube erschufst, die Gebote ihres Schöpfers! Fahr wohl, stolzes, erbarmungsloses Weib! Freue dich, denn zu einem Ende in Not und Elend hast du die Qual religiöser Verzweiflung hinzugetan. Nie aber wage es, den Himmel zu höhnen und ihn um die Verzeihung zu bitten, die du selber zu gewähren dich geweigert hast.«
Mit diesen Worten wollte er von ihr gehen.
»Halt!« rief sie. »Ich will es versuchen, ja, ich will versuchen, ob ich ihm verzeihen kann.«
»Edle Frau,« sagte der alte Mann, »Ihr erleichtert die schwerbelastete Seele, die sich von ihrem sündigen Genossen hinieden nicht zu trennen wagt, ehe sie nicht mit Euch Frieden geschlossen hat.«
»Ha!« schrie die Dame, der plötzlich alles klar wurde, »es ist der Schurke selber!«
Sie packte Sir Philipp Forester – denn er war es selbst – beim Gewand und rief:
»Mörder, Mörder, nehmt den Mörder fest!«
Auf diesen an solchem Orte ganz unvermuteten Schrei stürzte die ganze Gesellschaft herein, allein Sir Philipp Forester war verschwunden.
Er hatte sich von Lady Bothwell losgerissen und war aus dem Zimmer geeilt, dessen Tür auf die Haupttreppe mündete. Hier schien jedoch eine Flucht unmöglich, denn es kamen mehrere Personen die Treppe hinauf, den Unglücklichen aber hatte die Verzweiflung erfaßt, er sprang über das Geländer und tat einen Fall von mindestens fünfzehn Fuß auf die Hausflur hinab, von wo er auf die Straße flüchtete und sich im Dunkeln verlor.
Ein paar Mitglieder des Hauses Bothwell verfolgten ihn und hätten ihn vielleicht niedergeschlagen, wenn sie ihn eingeholt hätten, denn damals rann das Blut heiß in den Adern der Schotten. Die Polizei mischte sich nicht ein, da das Verbrechen vor langer Zeit und in einem fremden Lande verübt worden war. Im übrigen war man immer der Ansicht, der seltsame Auftritt sei nur ein heuchlerischer Versuch Sir Philipps gewesen, der nur habe wissen wollen, ob er vor der Rache einer Familie, der er so schwere Schmach angetan hatte, sicher sei, und nach Schottland zurückkehren könne.
Da der Erfolg nicht seinen Wünschen entsprochen hatte, so ist er aller Wahrscheinlichkeit aufs Festland zurückgekehrt und dort im Exil gestorben.
Ende.