Annemarie Schwarzenbach
Lyrische Novelle
Annemarie Schwarzenbach

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4

Es ist schade um die Menschen, sagt Strindberg. Vor einigen Monaten sass ich mit einem Dichter zusammen in einem Berliner Kaffeehaus, wir redeten begeistert und begeisterten uns immer mehr an unserem gegenseitigen Einverständnis. Er war viele Jahre älter als ich, ich hätte beinahe sein Sohn sein können. Er beugte sich über den kleinen Tisch und hielt meine Hände fest, er schleuderte mir seine Ekstase, seinen Optimismus, seine rauschähnliche Freude wie Flammen entgegen. »Sie sind die Jugend«, sagte er, »die einzige Jugend, der ich die Zukunft und den Sieg über uns nicht missgönne –«

Seine Worte ernüchterten mich ein wenig. Er schien es augenblicklich zu empfinden, er liess meine Hände los, sah mir eindringlich ins Gesicht und sagte:

»Wissen Sie denn, wie liebenswert und wie gefährdet Sie sind? Sie sind auf einmal so blass, sagen Sie, was ich für Sie tun kann.«

Man sagt mir oft, dass ich gefährdet sei. Vielleicht liegt es an meiner zu grossen Jugend –

Damals lachte ich darüber. »Ich liebe die Gefahr«, sagte ich, und ich fühlte, dass mir die Freude aus den Augen leuchtete.

»Jetzt muss ich gehen«, sagte ich, es war Mitternacht, ich verliess ihn in Eile, fast ohne Abschied 14 zu nehmen. Unter der Tür kam mir das Unschickliche meines Verhaltens zum Bewusstsein, ich eilte zurück, presste seine Hände und sagte: »Verzeihen Sie, ich warte seit zwei Tagen auf eine grosse Gefahr . . .«

»Gehen Sie«, sagte er lächelnd, »bestehen Sie sie . . .

Ich habe sie aber nicht bestanden. 15

 


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