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Zweite Abtheilung.

»Verlassnes Herz, du Tempel meiner Liebe
Und meiner Schmerzen, hülle deine Triebe
In Wolken ein, kleid' dich als Opfer jetzt!
Die Menschen richten spät; doch Gott zuletzt.«

Nybom.

 

Drei Jahre später.

Es ist zu Anfang der Theatersaison. – Wir führen den Leser in die Oper ein. Man gab Lucia di Lamermore, in welcher Oper die allgemein beliebte Nina Adler nach einer längeren Reise im Auslande jetzt auftreten sollte. Alles, was in Stockholm auf Eleganz und Reichthum Anspruch machen konnte, hatte sich in dem überfüllten Hause versammelt, um dem Wiederauftreten der berühmten Sängerin beizuwohnen.

In der ersten Rangloge saß eine Dame von ungewöhnlicher Schönheit. In ihrem Blick lag ein Feuer, welches ihrem Gesichte etwas Magisches und Fesselndes verlieh. Die Augen waren groß, dunkel, flammend, leidenschaftlich und doch so schwärmerisch träumend, daß sie den Zuschauer in eine unruhige Gemüthsstimmung versetzte. Ihre breite, weiße Stirn war von rabenschwarzen Locken umflossen. Ihr kleiner Mund mit den schwellenden Lippen hatte einen ausgeprägten wehmüthigen Zug. – Sie war in ein pariserblaues Seidenkleid gekleidet, welches eng an die schlanke Taille schloß; ein durchsichtiger Spitzenkragen von einem Rubinenschmuck zusammengehalten, bedeckte den schönen Hals und die marmorweißen Schultern. Ein Titian würde mit Entzücken diesen reizenden Kopf gemalt haben.

An ihrer Seite saß eine ältere Dame mit regelmäßigen Zügen und stolzer Haltung. Auf dem Sitz hinter ihnen finden wir Doktor Heinrich Adler und Emil Liljekrona.

Im Amphitheater sitzen Frau Grill und ihr Sohn Knut. Sie grüßen heiter und freundlich die Gesellschaft im ersten Rang; aber kaum war dieß geschehen, als Knut spürte, daß Jemand seine Schulter berührte. Als er sich umdrehte, bemerkte ein junger elegantgekleideter Mann:

»Bitte um Verzeihung, Herr Grill, wären Sie wohl so gefällig, mir zu sagen, wer die junge Dame im ersten Range ist, die Sie soeben begrüßt haben?«

»Es ist die Künstlerin Mamsell Thora Falk. Der Herr Baron werden wohl schon von ihr sprechen gehört haben?« – antwortete Knut.

»Versteht sich. – Ihre Arbeiten haben im Auslande ein gewisses Aussehen erregt. – Man hat mir gesagt, daß sie in Frankreich ansäßig sei?«

»Sie kehrte von dort vor drei Wochen zurück.«

»Sie ist eine Schönheit ersten Rangs,« bemerkte der Baron, und betrachtete Thora durch sein Opernglas. Dann fügte er hinzu:

»Ich danke verbindlich für die Mittheilung,« – und nahm wieder seinen Platz etwas höher oben im Amphitheater ein, wo er seinen Nachbarn erzählte, wer das hübsche Mädchen sei. Man betrachte sie jetzt mit doppeltem Interesse.

Wie manches Frauenherz klopfte nicht im Stillen vor Neid über die Vorzüge Thoras, ohne zu ahnen, wie wenig beneidenswerth sie in der Wirklichkeit war!

Auf der entgegengesetzten Seite in einer Prosceniumsloge saß ein junger Mann, welcher sich nachlässig zurücklehnend, seine Augen mit einer gewissen gedankenlosen Gleichgültigkeit auf Thora richtete. Jeder Zug in seinem offenen Gesichte war ein rein nordischer; die klaren, ernsten, leidenschaftslosen blauen Augen, das blonde Haar, die hohe freie Stirn, – alles erinnerte an die Worte des Dichters:

– – Nur Treu und Ehre thronen
Auf einer Stirn gewölbt wie diese.

Das stolzemporgerichtete Haupt, die ungenirte und behagliche Haltung schien anzudeuten, daß er nicht allein von Geburt, sondern auch von Herz und Seele ein Edelmann sei.

Thora unterhielt sich mit Heinrich, dessen Gesicht sehr lebhafte Gefühle wiederspiegelte.

»Erinnerst du dich heute deines Versprechens gegen mich in Hamburg? – es scheint, als wenn du nach deiner Rückkehr es ganz und gar vergessen hättest,« flüsterte Heinrich ihr zu.

»O nein, ich versprach voriges Jahr Emil etwas Aehnliches in Florenz,« antwortete Thora mit einem eigenen Lächeln.

»Du bist grausam, Thora; – wie ist es möglich, daß du mit meinem treuen Herzen Spott treiben kannst? – Wenigstens sollte ich doch auf dein Zartgefühl rechnen können.«

»Stille, wecke nicht das in mir auf, welches hier schläft;« sprach Thora und führte ihre Hand an das Herz. »Wir sind ja im Theater, um uns zu amüsiren und hier darf man nichts Vernünftiges sprechen. – Siehst du, wie man unbeobachtet und dich um das Glück meiner Nähe beneidet; obgleich ich, gewissenhaft gesprochen, der Meinung bin, daß dieses Glück ein sehr geringes ist, oder was denkst du selbst darüber?« Um Thoras Lippen spielte ein bitteres Lächeln.

»Du bist heute Abend verstimmt.«

»Glaubst du das? – O nein, jetzt bin ich niemals anders, ich verachte die Welt und mich selbst; während andere uns beiden huldigen. Dies ist alles. Der Zufall hat mich dies gelehrt, – was kann ich dafür?«

»Deine Rede, Thora, athmet Bitterkeit und nicht Hingebung.«

»Ist das zu verwundern? Bedenke, daß ich jetzt in mein Vaterland und – an das Grab meines Glückes zurückgekehrt bin; lassen wir aber das, lieber Heinrich. – Wir wollen uns an der Musik berauschen, und die Vergangenheit sowohl wie die Zukunft vergessen. Aha! sieh, dort sitzt der Graf Hugo Oernhjelm; er ist eigentlich ein Vetter von mir. Ein hübscher nordischer Typus; aber mit einem Granitherzen,« fügte Thora hinzu und lorgnettirte ihn.

»Du hast es also versucht, sein Herz zu erweichen?« fragte Heinrich in einem unwilligen Tone.

»Mein Gott, ja; aber es mißlang mir.«

Thora lachte.

»Du bist fürchterlich.«

»Durchaus nicht: – ich bedarf der Zerstreuung und suchte sie, – das ist alles.«

Der Vorhang ging auf, jedes Gespräch hörte auf. – Ninas Gesang als Lucia war entzückend, ihr Spiel vollendet. Unbewußt schwebte ihr Blick, während sie sang, von Zeit zu Zeit hinauf zur ersten Loge und begegnete dort einem Augenpaar voll wahrer Bewunderung.

Am Schluß der Oper wurde Mamsell Adler gerufen und bei ihrem Hervortreten mit Händegeklatsch und Bravorufen begrüßt. – Graf Oernhjelm machte, als ihre Augen sich beim Fallen des Vorhanges eine Sekunde begegneten, eine ehrfurchtsvolle Verbeugung.


Jeder war nach Hause zurückgekehrt. Nina und Heinrich fanden sich in dem ihrigen zusammen. Sie war aber gedankenvoll und er düster.

»Dein Auftreten auf der Bühne war ja ein wirklicher Triumph,« bemerkte Heinrich und reichte der Schwester die Hand.

»Thora kam mir heute Abend schöner vor als je; ich sah sie von der Scene aus,« antwortete Nina lächelnd.

»Aber auch unbegreiflich wie ein Räthsel. – Warum liebe ich dieses Mädchen, da sie mich doch nie weder verstehen noch lieben wird?«

»Weil sie so gut und schön ist, vielleicht auch deßhalb, weil du glaubst, daß sie durch dich wieder aufleben wird. Jedenfalls hat sie es dir zu danken, daß sie wieder zu ihrem Verstande gekommen.«

»Mag sein, daß ich in meinem Innern so denke; aber erkennt sie es denn an? – Ich zweifle daran. Es liegt in ihrem Benehmen etwas so Kaltes und Launenhaftes, aus dem ich deutlich sehe, daß sie für mich kein Gefühl hat. Wie hat sie nicht meiner Liebe gespottet; wie meine Hoffnungen zum Besten gehabt, wie mit meinem Schmerz gespielt und trotz alledem – doch meine Vernunft bethört! Aber das muß ein Ende haben, schon morgen soll sie mir eine bestimmte Antwort geben, damit ich aus diesem Zauber herauskomme, welcher jetzt meinen Willen lähmt und mein Gefühl verweichlicht.« Heinrich ging mit hastigen Schritten auf und ab.

»Aber Heinrich, ist sie wirklich eine Frau für dich, oder wirst du nicht durch deine Leidenschaft irre geleitet? Ich glaube das Letztere. – Du weißt, wie viel ich auf Thora halte, wie sehr ich ihren Geist und ihr Talent bewundere; aber doch denke ich mit Angst an eine Verbindung zwischen dir und ihr. Thora ist nicht mehr diejenige, welche sie war, und wird es nie mehr werden. Weil sie als Weib tief und entsetzlich gekränkt wurde, wünscht sie dieses dadurch zu vergessen, daß sie die abhängige und untergeordnete Stellung ihres Geschlechts verleugnet. Sie will sich mit Gewalt die Rechte des Mannes erkämpfen. Der enge Kreis des unbemerkten Lebens einer Gattin wird nunmehr für Thoras selbstgeschaffenen Freiheitssinn und für ihr rastloses Temperament immer zu klein bleiben, und sie wird früher oder später die Grenze desselben überschreiten. Du, Heinrich, ein strenger, ernster, tief fühlender, aber unerschütterlich fester Charakter, wirst das Leben an der Seite einer Frau, welche dir nicht die Rechte eines Mannes zuerkennen will, lästig finden. Glaube mir, du kannst weder ihr Glück, noch sie das deinige schaffen.«

»Und warum?«

»Weil Thora Niemanden mehr lieben kann oder wird, und du eines Tages nach einer solchen Verbindung aus deinem Rausche erwachen und finden wirst, daß du das Opfer der Leidenschaft deines Herzens warst. Wärest du gleich Axel ihre erste Liebe und Alles auf der Welt gewesen, dann wärest du sicherlich glücklich geworden, und Thora würde unter deiner Leitung alle ihre guten Eigenschaften entwickelt haben; aber jetzt sind bei ihr alle zärtlicheren Gefühle ausgestorben. Sie gleichen verwelkten Blumen, die keine Sonne wieder zum Leben zu erwecken vermag.«

»Zum Theil hast du Recht; aber doch in vielen Dingen Unrecht. Ich gehöre nicht zu denjenigen, welche sich unbesonnen der Macht der Leidenschaft hingeben. Nein, ich habe mit meiner Vernunft mein Herz und Thoras Stellung geprüft. Hier hast du das Resultat: Um das Glück betrogen, von welchem sie in ihrer ersten Jugend geträumt, hat Thora mit zwanzig Jahren im Leben mehr gelitten und erfahren, als andere Weiber während ihres ganzen Lebens. Sie kennt die gefährliche Macht der Gefühle, wenn sie sich zur Leidenschaft steigern, sie sieht ein, wie nichtssagend der Weihrauch ist, womit man ihre Eitelkeit zu befriedigen sucht. Nicht einmal der Name einer ausgezeichneten Künstlerin, den sie sich erworben, kann ihre Seele befriedigen; sie schaut mit müdem Blick' nach einem bessern Ziele für ihre Zukunft. Sie bedarf eines Freundes, eines Beschützers, dem sie ihren Schmerz anvertrauen und bei dem sie sich Trost für ihre Leiden holen kann. – Nun gut, Nina, wo wird sie ein treueres Herz finden, als das meinige? Wo eine heißere Liebe? Wo einen Mann, welcher sie besser versteht, als ich? – Sage, kann denn Emil, kann wohl der Stallmeister Gyllenfeldt Thora etwas Aehnliches bieten?«

»Alles dieses hätte in der That die Wahrscheinlichkeit für sich, falls Friede und innere Harmonie das wären, was Thora sucht. Laß uns aber die Fortsetzung dieser Unterredung verschieben, bis ich morgen Abend wieder von ihr zurückkehre; sie hat mich zu sich eingeladen. Siehe hier, lies dieses Billet, welches ich beim Schluß des Theaters erhielt.«

Nina reichte dem Bruder den Brief mit folgendem Inhalt:

 

»Meine liebe Nina!

Nachdem ich mich drei Jahre in fremden Ländern aufgehalten, und nach allem dem, was früher passirt ist, fühle ich ein starkes Bedürfniß, bevor ich einen neuen Schritt auf der Bahn des Lebens thue, dir mein Herz zu öffnen. Komm morgen zu uns zum Mittagessen, dann kann ich ungestört über mich verfügen. Bitte Heinrich, noch einen Tag zu warten. Wenn ich mit dir gesprochen und mein Leben überdacht habe, dann wird es mir auch klar sein, wie ich handeln muß.

Deine
Thora

 

Es wurden noch einige Worte zwischen den Geschwistern gewechselt, bevor sie sich trennten. Als Nina die Hand auf den Thürgriff zu ihrem Zimmer legte, drehte sie sich um und fragte:

»Weißt du, wer es war, welcher in der ersten Loge, gerade vor der Direktionsloge, saß?«

»Der Hofmarschall F–.«

»O nein, der Andere.«

»Der Neffe des Grafen Falkenhjelm, Graf Hugo Oernhjelm, ein sehr reicher Cavalier und Fideicommissär von Bredahof. Aber warum fragst du das?«

»Sein Gesicht interessirte mich. – Gute Nacht!« Und damit war Nina fort.


Am folgenden Tage führen wir den, Leser um vier Uhr bei Thora ein.

Die Majorin Alm hatte ihr Haus in der Regierungsstraße verkauft und bewohnte jetzt ein anderes, welches sie aus dem Königshügel erworben. Den ersten Stock hatten Frau Alm und Thora inne. Wenn man in das Entree kam, so fand man zwei Thüren einander gegenüber. An der einen steckte eine Visitenkarte mit dem Namen der Majorin, an der andern las man: Atelier. Durch dieses letztere treten wir ein.

Ein Atelier ist ein Zimmer, welches mit unvollendeten und unfertigen Gemälden, Gypsfiguren, Modellen, Zeichnungen, Staffeleien, Paletten und Pinseln angefüllt ist, und alles dieses unharmonisch durcheinander geworfen. Dasselbe ist die Werkstätte und die Rumpelkammer der Kunst; denn dort trifft man oft eine Flöte und einige Gedichte unter Kreidebruchstücken und Bleistiften. Die Genies wie die Gelehrten geben sich selten Zeit zur äußeren Ordnung. Der eine lebt für seine Ideale und der andere für seine Ideen; die äußern Dinge haben wenig Bedeutung. Wenn der eine nur einen Platz hat, wo er seinen Traum zur Ausführung bringen kann, und der andere, um dort seinen Studien obzuliegen, dann sind sie zufrieden und vergessen alles Andere.

Thoras Atelier glich allen andern, und wir passiren deßhalb durch dasselbe, ohne auch nur unsere Aufmerksamkeit den vielen schönen Sachen zuzuwenden, welche dasselbe enthielt. Innerhalb desselben befand sich ein kleiner einfacher Salon, und dort finden wir sie und Nina, jede in einem Lehnstuhl.

Thora sprach mit milder und klangvoller Stimme:

»Ich kann nicht viel von jenen sechs Monaten sagen, so lange mein Irrsinn dauerte. Du kennst sie, während ich dagegen keine Erinnerung aus jener Zeit habe. Auch brauche ich nicht gegen dich Heinrichs unermüdliche Sorgfalt zu erwähnen, die ich immer in meinem dankbaren Herzen bewahren und auch niemals vergessen werde, daß es Heinrich ist und er allein, dem ich es zu danken habe, daß ich in diesem Augenblick nicht eine arme Blödsinnige bin. Mein ganzes Leben würde nicht hinreichen, um die Schuld zu bezahlen, in welcher ich zu ihm stehe – und doch … Aber lassen wir das. Wir kommen später darauf zurück. – Tantes lange Krankheit, die Verzweiflung des Grafen und Cordulas unbegreifliches Verschwinden kennst du besser, als ich. Du mußt mir jedoch versprechen, mich mit Geduld anzuhören, obgleich ich viele Dinge wiederholen werde, die dir bekannt sind; aber es ist nothwendig, um ein vollständiges Bild von meinem Unglück zu bekommen. – Wie du dich erinnerst, gelang es Heinrich, durch Douchebäder nach und nach meine Seele aus dem Winterschlafs zu erwecken, in welchen ich versunken war. Jene lichten und vernünftigen Augenblicke treten noch dunkel vor mein Gedächtniß, ohne daß ich mir Rechenschaft zu geben vermag, was während derselben meine Gedanken beschäftigte. Desjenigen Tages, an welchem ich zum vollen Bewußtsein erwachte, erinnere ich mich ganz wohl. Tante, du und ich fuhren nach der Badeanstalt; die Sonne schien klar und die Lust war mild; es war Frühling. Ich erinnere mich, daß das herrliche Wetter einen recht angenehmen Eindruck auf mich machte und daß ich mich glücklich fühlte. Irgend eine Erinnerung an das, was sich vor meiner Gemüthskrankheit zugetragen, oder von der Beschaffenheit derselben hatte ich nicht. Die ganze Vergangenheit war aus meinem Gedächtniß verschwunden. Es kam mir nur vor, als wäre ich lange krank gewesen. – Nach dem Bade ging ich, auf deinen Arm gestützt, an den Wagen; Tante kam nach. Bei demselben angekommen, sah ich einen Herrn, die Hand am Thürgriff, stehen, welcher uns erwartete. – Ein sonderbares Gefühl durchzuckte mich, als ich die schlanke, hübsche Gestalt sah; das Gesicht war weggewandt. Das schlummernde Gedächtniß erwachte in mir; mein Herz klopfte heftig. In demselben Augenblick wandte er sich gegen uns. Der Anblick jenes unvergeßlichen Mannes erhellte meine Seele gleich einem Blitze. Ich ließ deinen Arm los und stürzte auf ihn zu, indem ich rief: » Axel

Tante theilte mir später mit, daß er, als ich in Ohnmacht fiel, mich in seine Arme aufnahm und in den Wagen trug; darauf half er Tante und dir hinauf und nahm, trotz aller Einwendungen, auch selbst Platz in demselben. Als wir heimkamen, trug er mich hinauf und blieb, obgleich Tante unter bitteren Vorwürfen ihn bat, sich zu entfernen. – Es wurde nach Heinrich geschickt; derselbe erklärte, daß der Anblick von Axel bei meinem Erwachen nothwendig sei, weil die Seelenerschütterung, welche ich dadurch empfinden werde, das einzige wirksame Mittel sei, den Nebel zu zerstreuen, welcher meinen Verstand umgab. Als ich wieder zur Besinnung kam, ruhte ich an einem laut klopfenden Herzen. – Heinrich hielt meinen Arm, aus welchem das Blut floß. Ich erhob langsam meinen schweren Kopf und meine Blicke begegneten denen Axels.« –

Thora machte eine Pause, einige Thränen rannen über ihre Wangen und sie drückte die Hand gegen ihr Herz, indem sie mit tiefem Schmerze fortfuhr:

»O Gott! wie hoch habe ich ihn nicht geliebt, – wie liebe ich ihn noch in dieser Stunde. – Warum verurtheilte mich ein unsanftes Schicksal zu diesen grenzenlosen Leiden?«

»Thora, gehe an dieser Periode deines Lebens vorüber und reiße nicht jene Wunde auf. – Ich weiß ja Alles, was passirt ist.«

»Nein, Nina, nein, ich muß einmal die traurige Geschichte meines Herzens durchgehen; einmal recht deutlich die Schwächen und Leiden desselben durchmustern, um nachher niemals mehr dieses Thema zu berühren,« antwortete Thora und setzte nach einer Weile die Erzählung fort:

»Meine Augen begegneten den seinigen. Ich lehnte mich laut weinend an jenes Herz, welches mich so grausam betrogen hatte. Es waren damals acht Monate seit seiner Abreise verflossen. Acht Monate waren seit jenem entsetzlichen Abend dahingeschwunden, und jene Thränen waren die ersten, welche meinem gebrochenen Herzen Linderung verschafften. – Ich weinte, – weinte lange an seiner Brust und fühlte wie dabei auch einige heiße Thränen aus seinen Augen auf meine Stirne fielen. Warum durfte ich nicht sterben in jener bittern und doch so seligen Stunde, als noch nicht die Wirklichkeit in ihrer ganzen schrecklichen Wahrheit klar vor meiner Seele stand? Warum sollte ich verurtheilt sein, ein Leben dahin zu schleppen, dem alle Freude geraubt und dessen ganzes Dasein durch das Andenken an die grausamste Täuschung, die man sich denken kann, verbittert ist? – Und doch, doch vermag ich nicht das Bild von diesem Manne aus meinem Herzen zu verdrängen, welcher mich um alles betrog, was dem Menschen heilig ist: Um meine Liebe und um meine Treue.«

Wieder schwieg Thora; denn sie war zu aufgeregt, um zu sprechen.

Die Hingebung des Weibes, welche in einem weniger berechnenden Gefühle ihren Ursprung hat, geht schließlich in einen blinden Instinkt über, während dagegen die des Mannes überwiegend mehr vom Verstand und Egoismus geleitet wird, und darum leichter der Veränderung und dem Wechsel ihres Gegenstandes unterworfen ist.

Wir kehren wieder zu Thoras Erzählung zurück.

»Die Ankunft meines Vaters zwang Axel mich zu verlassen. Ich habe ihn seit der Zeit nie wieder gesehen.«

Thora holte tief Athem.

»Heinrich hatte Recht; die heftige Gemüthsbewegung gab mir das Bewußtsein und die Erinnerung an die Vergangenheit wieder – so wie auch an das, wozu Axel mich hätte machen wollen, als er in seiner egoistischen Liebe mir das Versprechen ablockte, mit ihm zu fliehen, obgleich er – verheiratet war; – das ganze Wesen Thoras erbebte beim Aussprechen dieser letzten Worte. –

»Auch stand es lebhaft vor meiner Seele, was ich jetzt war! – Drei Wochen vergingen, während welcher ich litt, sehr viel litt. – Eines Tages wurde mir von Lotta folgender Brief übergeben:

 

»Meine geliebte Thora!

Meine! – verstehst du die Bedeutung von diesem einzigen Worte? – Du bist die Meinige, – die Meinige für Zeit und Ewigkeit, denn was auch kommen mag, so gehört dein Herz mir und nie wirst du im Stande sein, die Bande zu lösen, welche dich an mich fesseln. – Meere und Länder mögen uns von einander trennen und Jahre im unermeßlichen Raume der Zeit verschwinden; aber du wirst bis zu meinem Tode mich, einzig und allein mich lieben. – Dieses, Thora, ist der Wille des Schicksals – und wer kann demselben widerstehen?

Ich verließ Schweden, auf eine entsetzliche Weise getäuscht, nachdem unser Unglück dich in seiner ganzen Hoffnungslosigkeit getroffen hatte, ohne daß ich damals die heillosen Folgen davon ahnen konnte. – Ich kehrte hieher zurück, um zu deinen Füßen um Verzeihung zu bitten.

Ich habe dich betrogen, armer Engel! und – das, obgleich ich als Katholik wußte, daß nur der Tod die Fesseln löst, welche mich binden und uns trennen. – Aber, Thora! meine Entschuldigung liegt in den glühenden und unabweisbaren Forderungen der Liebe. – Du, die du selbst mit der Wärme des Südens liebst, mußt mich auch lieben und mir verzeihen können. – O Thora! glichen deine Gefühle den meinigen, stark wie die eines Vulkans und bereit, alle Schranken zu durchbrechen, welche das Vorurtheil zwischen mir und dir errichtet, dann würde das Leben noch einmal uns zulächeln. – – – Ich reise jetzt von hier fort; aber nicht nach meiner Heimat. – Nein, – nach Algier, um dort die Ehre oder den Tod zu suchen. – Was ist denn das Leben für mich ohne Thora? – und was bin ich jetzt für Thora? ich habe gelitten und leide grausam; denn ich liebe noch bis zur Raserei und doch – muß ich dir entsagen. Muß? – aber warum müssen wir das? – sage mir, Thora, warum? – – –

Bevor ich dich vielleicht für immer verlasse, gönne mir einen ungestörten Augenblick, eine Unterredung unter vier Augen, du – die Braut meiner Gedanken! Auf den Knieen, Thora, flehe ich um eine Viertelstunde, nur um eine einzige Viertelstunde, um dir ein langes, vielleicht ewiges Lebewohl zu sagen und selbst von deinen Lippen zu hören, daß du verziehen hast deinem unglücklichen

Axel.«

 

»Ich würde nicht im Stande sein, dir meine Gefühle beim Lesen dieses Briefes zu schildern, dessen kecke und verborgene Wünsche ich leider zu gut erkannte. Derselbe riß auch alle Wunden auf, an welchen mein Herz blutete und zeigte mir mit vernichtender Klarheit meine ganze Stellung zu Axel. – In meiner Einbildung sah ich seine Gattin: unglücklich, verzweifelnd und verlassen – um meinetwillen; – und mich selbst den einen Fuß über einen Abgrund erhoben, den man Schande und Ehebruch nennt. Bei diesen Gedanken wurde mein Herz von einem Schmerz erfüllt, welcher viel zu bitter ist, als daß man denselben beschreiben kann. Ich empfand fast ein Entsetzen vor Axel, welcher mich an den Rand eines schrecklichen Abgrundes gebracht; noch einen Schritt weiter und ich wäre verloren gewesen. – O, wie manchesmal habe ich in meinem Unglücke auf meinen Knieen Gott gedankt, daß ich ohne Schamröthe auf mein trauriges Leben zurückblicken kann, und jetzt, nach allem, was ich bereits gelitten, wagte er es, gegen mich Wünsche auszusprechen, welche, obgleich dunkel, doch eine doppelte und offenbare Beschimpfung enthielten. Unter der Macht dieser Eindrücke, schrieb ich folgende Worte:

 

»Verziehen habe ich dir schon lange, Axel, weil das Herz denjenigen nicht hassen kann, den es einst innig geliebt hat; – aber mit uns ist es vorbeifür ewig vorbei!

Kehre zurück zu deiner Gattin und mache das wieder gut, was ich unfreiwillig, du aber mit Vorsatz gegen sie verbrochen hast. – Thora existirt nicht mehr für dich, und erinnere dich, daß sie es niemals verzeihen wird, wenn du, zu den Qualen, die sie bereits ausgestanden, auch noch die entehrende Beleidigung fügen würdest, fortwährend als verheirateter Mann Wünsche der Gegenliebe zu hegen, welche sie als ein Verbrechen ansieht.

Mein Fehler, Axel, ist der gewesen, daß ich der Reinheit deiner Gefühle unbedingten Glauben schenkte, und dafür habe ich eine harte Strafe erleiden müssen.

Lebe wohl und sei so glücklich wie mein Herz es wünscht

Thora.«

 

Lotta brachte folgende Antwort von ihm:

 

»Lebe wohl, Thora! – Frei oder niemals siehst du mich wieder. – Ich werde dich nicht mit meiner treuen Liebe beleidigen; aber erinnere du dich auch, daß du doch die meinige bleibst. Dein Herz gehört mir für ewig. – Glaube mir, ohne mich wirst und kannst du keine Stunde Glück finden. – Nein, meine Liebe wird mit all ihrer wilden Leidenschaft gleich einer Flamme zwischen dich und jeden andern Mann treten, und dir zeigen, daß seine Gefühle lau und nichtssagend sind.

Dann wirst du unfreiwillig einen Seufzer nach dem Süden senden, wo ich, mitten im Getümmel des Krieges, das, was ich verloren habe, zu vergessen suche.

›Kehre zurück zu deiner Gattin,‹ sagst du – das kann ich niemals! – Steht sie nicht zwischen mir und dir? – Mein letzter Seufzer gilt dir, Thora!

Dein Axel.«

 

»O! du heillos schwaches Herz; wie laut klopftest du beim Lesen dieses Briefes!

Nach Axels Abreise versank ich in eine Schwermuth und in eine Niedergeschlagenheit, welche nicht zu überwinden war.

Ich liebte mit einer Leidenschaft, welche mich zur Verzweiflung brachte, und nahe daran war, mir wieder den Verstand zu rauben. In meinem Zimmer eingeschlossen rief ich in wahnsinniger Raserei seinen Namen und streckte meine Arme in dem leeren Raume nach ihm aus; während sowohl Vernunft wie Stolz meiner Schwäche Hohn sprachen! O! welche entsetzliche Qualen habe ich ausgestanden!«

Thora fuhr dabei mit der Hand über ihre bleiche Stirne. »Damals war es, Nina, daß Heinrich meinem Vater vorschlug, mit mir eine Reise ins Ausland zu unternehmen.

Der Graf, die Tante und ich reisten nach Kissingen ab, wo wir uns, um meiner Gesundheit willen, sechs Wochen aufhielten. Die Reise, der Wechsel des Aufenthaltsorts, sowie die Entfernung von Allem, was mich an ihn erinnern konnte, trug etwas dazu bei, meinen Schmerz zu mildern und mein Gemüth zu zerstreuen. Die Liebe zur Kunst erwachte wieder und damit auch meine Träume von Ruhm und Auszeichnung. Ich glaubte meinen Kummer im Becher des Ruhmes ertränken zu können; aber ach! Heinrich hatte Recht: das sollte mir nicht gelingen. Im Herbst reisten wir nach Paris. Tante und ich mietheten eine kleine Wohnung am Place Vendôme. Den Winter über malte ich die Familie im Thale und die Reue, welche beide auf der Ausstellung im Luxembourg-Palast Aufsehen erregten. Ich kostete jetzt den Nectar, welchen man Auszeichnung nennt; aber die Wunde meines Herzens konnte doch nicht geheilt werden. Bald vergaß ich auch den Erfolg, welchen ich errang, um mich ausschließlich der Betrachtung und dem Studium all der Kunsterzeugnisse zu widmen, welche man in Paris und auf den königlichen Schlössern in dessen Nähe sehen kann. Ich war mit Leib und Seele Künstlerin und lebte nur für die Kunst, welcher ich mich jetzt widmete. Den Sommer darauf gingen wir nach Italien. O, du schönes, herrliches Land, die Heimat der Phantasie und der Kunst. Erst hier konnte ich meinen Schmerz vergessen! In Rom trafen wir mit Emil zusammen. Wir brachten hier als Künstler manche genußreiche Stunde zu, indem wir gemeinschaftlich die Reise nach Florenz und Neapel machten. Im Herbste kehrten wir wieder nach Paris zurück; Emil blieb in Italien; bei unserer Trennung hielt er um meine Hand an: ich aber, die damals nicht daran dachte, mich zu verheiraten, sagte ihm dieses aufrichtig und bat ihn, nicht daran zu denken, bis wir einander in Schweden treffen würden, falls dann seine Gefühle dieselben wären, und die meinigen sich verändert hätten. Du wunderst dich wahrscheinlich darüber, daß ich ihm nicht eine bestimmte abschlägige Antwort gab; aber du wirst bald den Grund erfahren. Den folgenden Winter vollendete ich ein Bild, das ich vor meiner Abreise nach Italien angefangen hatte. Es war die preisgekrönte Einkleidung der Lavallière als Nonne. Mit vollen Zügen athmete ich den Weihrauch ein, den man meinem Talent und meiner Schönheit anzündete. Ich war jetzt nicht mehr nur schlecht und recht ein schönes Weib, ich war etwas weit Besseres: eine verdienstvolle Künstlerin. Ah! Es hat der Rausch befriedigten Ehrgeizes etwas Entzückendes; aber wie alle Räusche, so war auch dieser von kurzer Dauer.

Im Frühling unternahmen wir eine Reise nach Deutschland. Von einer unglückseligen, aber unwiderstehlichen Sehnsucht getrieben, wollte ich München besuchen.

Glaube doch nicht, liebe Nina, daß irgend ein Wunsch, Axel wiederzusehen, mich dazu veranlaßte.

O nein, ich wußte sehr wohl aus den französischen Zeitungen, daß er sich in Algier aufhielt und in dem dortigen Kriege sich durch Tapferkeit ausgezeichnet hatte, sowie auch befördert war. Ich wollte nur die Frau sehen, welche seinen Namen trug und ein Recht besaß, von ihm geliebt zu werden.

In München angekommen, besuchten der Graf und ich eines Tages die Pinakothek. Wir standen vor »Marias Himmelfahrt« von Guido Reni. Ich war versunken in das Anschauen von Marias verklärtem Aussehen, als der Klang einer Stimme, welche mir bekannt vorkam, mich zusammenfahren und horchen machte. Ich vernahm dann die folgenden Worte, welche leise in gebrochenem Deutsch ausgesprochen wurden:

›Sie steht dort vor » Mariä Himmelfahrt«.‹

Ich wandte meinen Kopf nach der Richtung um, von welcher die Stimme kam; aber ich sah nur unbekannte Gesichter. Die eigenthümliche Betonung in der Aussprache hatte ich zu oft gehört, um mir nicht Rechenschaft darüber geben zu können, von wem sie kam. Gerade in demselben Augenblick bemerkte ich eine kleine, blonde Dame, mit feinen, lebhaften und hübschen Gesichtszügen; dieselbe wurde von einer andern begleitet, die ihr Gesicht wegwandte. Die Blondine betrachtete mich mit einem Blick, der Unwillen, ja fast Haß ausdrückte; die andere aber trennte sich jetzt von ihr und eilte mit hurtigen Schritten der Thüre zu.

Ich vergaß darüber die Blondine, weil der Wuchs der Fortgehenden meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Die geraden, breiten Schultern und der ungleiche Gang erinnerten mich an eine Person, die ich früher gekannt. Dabei ließ ich den Arm des Grafen los und eilte ihr nach. Auf der Treppe holte ich sie ein, und berührte ihre Schulter. Sie wandte ihren Kopf unwillkürlich halb um; als aber ihre Augen durch den heruntergelassenen Schleier mir begegneten, eilte sie mit unglaublicher Hastigkeit die Treppe hinunter. Ich hatte indeß genug gesehen; es war – Cordula

»Cordula!« rief Nina sie unterbrechend, »aber wie in aller Welt ist sie nach München gekommen?«

»Dieselbe Frage stellte ich auch mir selbst, ohne daß es mir gelang, sie zu beantworten. Dieses unbegreifliche Zusammentreffen war geeignet, ein ganzes Heer von Vermuthungen in meiner Seele wach zu rufen, aus denen ich mich nicht herausfinden konnte; aber die darauffolgenden Ereignisse sollten sie in noch bitterere Leiden verwandeln.

Ueber mein plötzliches Weggehen verwundert, war der Graf mir nachgefolgt; wir kehrten darauf in die Galerie zurück. In der Thüre begegnete uns diejenige Dame, welche Cordula begleitet hatte. Ihre Augen hingen voll Haß an meinem Gesichte, und als ich vorbeipassirte, fühlte ich, daß sie mir einen Papierstreifen in die Hand steckte. Aus Neugierde nahm ich denselben, blickte aber in demselben Augenblick zum Grafen hinauf, welcher seine Schritte bedeutend beschleunigt hatte; sein Gesicht war bleich und unruhig.

»Kennt mein Vater jene Dame dort?« fragte ich, von seinem Aussehen überrascht.«

»Nein, Thora, nimm meinen Arm und laß uns weiter gehen,« antwortete er; aber es lag etwas in seinem Wesen, welches mich die Wahrheit von diesem Nein bezweifeln machte. Und statt ihm den Papierstreifen zu zeigen, den sie mir in die Hand gesteckt, schwieg ich darüber.

Sowie ich auf meinem Zimmer angekommen war, las ich folgende mit einem Bleistift auf deutsch geschriebene Worte:

»Morgen Vormittag um elf Uhr wünscht eine Dame Sie allein zu Hause zu sehen.«

Unwillkürlich wurde ich auf den Gedanken gebracht, daß Cordula sie ersucht hatte, mir diese Bitte zu überbringen, weil sie vielleicht mit mir sprechen wollte, ohne daß Tante etwas davon erfahren sollte. Was ich mir indessen nicht erklären konnte, das war der Blick, den die Unbekannte mir zuwarf. Mit diesen Gedanken beschäftigt, beschloß ich zu schweigen, und Tante sowie den Grafen zu bewegen, ohne mich ein paar Besuche zu machen, welche wir einigen merkwürdigen Punkten abzustatten beabsichtigten.

Alles ging nach Wunsch.

In gespannter Ungeduld erwartete ich die festgesetzte Stunde. Beim letzten Schlag der elften Stunde öffnete sich die Thür und – nicht Cordula, wie ich erwartete, sondern die unbekannte Dame trat ein.

Etwas überrascht stand ich auf, um sie zu begrüßen; ich wurde aber von ihr zurückgehalten, denn sie sprang auf mich zu, ergriff meine Arme und schleuderte mir dabei folgende Worte mit einer Erbitterung entgegen, die nicht zu beschreiben ist.

»Stehen Sie still, daß ich Sie recht betrachten kann. Sie sind es also, welche mich um seine Liebe bestohlen haben, welche mir meinen Mann und dem Kinde seinen Vater geraubt haben! Sie sind es, welche mein Leben zu einem Fluch gemacht haben, die mein Glück zerstört, und mich Qualen geweiht haben, die bitterer sind, als die des Todes! Ah! wahrlich, ihr Gesicht ist zu schön, um so viel Niedrigkeit zu verbergen. Wissen Sie denn nicht, wie hoch er mich liebte, wie glücklich wir waren? Aber jetzt, jetzt ist Alles vorbei, denn er hat mich verlassen! Sagen Sie, gibt es wohl eine Strafe, welche für Ihr Verbrechen grausam genug wäre?«

»Nein, nein,« rief sie mit Raserei, und schüttelte meine Arme. »Auf Ihr Haupt rufe ich alle Verwünschungen des Himmels und der Erde herab; Sie werden doch nicht meinem Hasse genügen, denn ich bin Heyses, durch Sie jetzt so namenlos unglückliche Gattin …«

Ich hörte nichts mehr, denn ich fiel in Ohnmacht.

Thora hielt inne; ihre Brust bewegte sich heftig.

»Heyse?« fiel Nina ein, »was bedeutet dieser Name?«

»Axel heißt Heyse; aber auf seiner Reise in Schweden nahm er, ich weiß nicht warum, den Namen seiner Mutter an.

Wie lange ich ohnmächtig war, weiß ich nicht; denn als ich wieder zu mir kam, war das Zimmer leer, und ich lag auf dem Boden. – Aber, welches Erwachen! Ihre Verwünschungen klangen in meinen Ohren wieder. – O! was ich damals empfand, war entsetzlich, und kann nie vergessen werden.«

Thora schwieg wieder einige Augenblicke.

»Aber, wie wußtest du, daß Axel Heyse hieß?« fragte Nina.

»Der Graf hatte mich davon in Kenntniß gesetzt. – Er erkannte gewiß Axels Frau in der Pinakothek; denn er hatte sie, während Axels Aufenthalt in Schweden, schon früher in München getroffen.

Auf meine dringenden Bitten reisten wir einige Tage darauf von München ab …«

»Und Cordula?« fiel Nina ein.

»Sah ich nicht wieder.«

»Aber, mein Gott – wie und auf welche Weise war sie mit Axels Frau in Berührung gekommen?«

»Diese Fragen haben mich vergebens gepeinigt. Ich kann keine genügende Antwort finden. – Alles, was ich weiß, ist, daß Cordula kurz vor ihrem Verschwinden zweihundert Reichsthaler Banko von mir verlangte, wozu, sagte sie nicht. – Ich besaß sie nicht; aber ich gab ihr meine Amethyst-Garnitur. Wahrscheinlich hat sie das Geld, welches sie dafür bekam, dazu angewendet, nach München zu kommen.«

»Aber in welcher Absicht?«

»Das weiß Gott allein.«

»Und warum zeigte sie dich der Frau von Axel?«

»Ach! Nina, ich habe mich in endlose Vermuthungen vertieft, ohne das Räthsel lösen zu können.« Es entstand eine Pause.

Endlich nahm Thora den Faden ihrer Erzählung wieder auf:

»Wir reisten durch Tyrol nach Italien. Meine Gemüthsstimmung war eine Zeit lang eine entsetzlich niedergeschlagene. Der Graf sah mit Unruhe diesen Rückfall zur Schwermuth. – Er kam jetzt auf einen Vorschlag zurück, welchen er mir bei seinem ersten Aufenthalt gemacht, nämlich, daß ich mich verheiraten sollte. – Ich hatte damals mich fast mit Bestimmtheit geweigert: aber doch war dieser sein Wunsch die Ursache meiner Antwort an Emil. Jetzt beschränkte sich der Graf nicht mehr darauf, dieses in der Gestalt eines Vorschlags vorzubringen, sondern suchte mir die Nothwendigkeit dieses Schrittes zu beweisen, weil er vollkommen überzeugt sei, daß es mir durch eine eheliche Verbindung gelingen werde, meine Gedanken von dem Gegenstand abzulenken, welcher mich jetzt peinigte. – Ach! er kannte nicht die Beschaffenheit der Wunden, welche mein Herz empfangen! Aber müde und gleichgültig gegen alles, begann ich wirklich an die Erfüllung des Willens meines Vaters zu denken. Es war ja gänzlich einerlei, ob ich verheiratet wurde, oder unverheiratet blieb; mein Unglücksloos war ein für allemal aus der Urne des Schicksals gezogen, und konnte deshalb nicht geändert werden; aber ich erfüllte damit einen Lieblingswunsch des Grafen, und das war immer ein Gewinn.

In Rom trafen wir mehrere Landsleute, unter welchen sich ein Neffe meines Vaters, Graf Hugo Oernhjelm befand. Mein Gemüth war zu jener Zeit zu einem anderen Extrem übergegangen. Ich überließ mich einer fast wilden Fröhlichkeit und suchte durch ein unaufhörliches Jagen nach Vergnügungen und beständige Abwechslung den Schmerz zu vergessen, welcher an meinem Inneren nagte. – Während dieser, wie es der Tante und dem Grafen schien, glücklichen Veränderung, wurde ich von beiden mit Bitten bestürmt, ernstlich an eine eheliche Verbindung zu denken. Aus den Worten meines Vaters konnte ich entnehmen, daß er es gerne sehen würde, wenn Oernhjelm und ich ein Paar würden. Nun ja; ihn so gut, wie irgend einen Anderen, dachte ich und versuchte das gewöhnliche Mittel des Weibes: die Koketterie; aber mein Herz empfand einen Ekel an dem thörichten Gaukelspiel, und die vergeblichen Versuche, welche ich machte, Hugo Oernhjelm für mich einzunehmen, ermüdeten mich. Wie ein zweiter Carl XII. verblieb er gleichgültig sowohl bei meiner Schönheit wie bei meinen übrigen Vorzügen. Obgleich wir täglich zusammen waren, erwies er mir nur die Zuneigung eines Bruders und die Hand aufs Herz kann ich versichern, daß das mich mehr freute als verletzte. – Er hatte einen viel zu edlen und erhabenen Charakter, als daß ich ihm das traurige Loos hätte bereiten mögen, mich zur Gattin zu bekommen; denn einen Anderen als Axel werde ich niemals lieben können.

Im Laufe des Herbstes verließen wir Italien, und nahmen unseren Weg durch Oesterreich. In Wien trafen wir mit Heinrich und einem anderen Landsmann, dem Stallmeister Gyllenfeldt, zusammen. Letzterer wurde bald mein unterthäniger Sklave und opferte auf dem Altar der Eitelkeit all diejenigen Schmeicheleien, welche er für nöthig hielt, um mein Herz zu gewinnen. – Wenn die Männer ahnten, wie sehr die Frauen von Verstand und Herz unter solchen Artigkeiten leiden, mit welchen sie denselben zu huldigen glauben, aber sie nur zu Thörinnen erniedrigen, dann würden sie sich nicht über den Stolz wundern, womit sie behandelt werden. Vor unserer Abreise von Wien hatte der Stallmeister, in vollem Vertrauen zu seinem Erfolg, um meine Hand angehalten; da ich aber betreffs dieses Schrittes nicht recht mit mir selber einig war, so versprach ich ihm Antwort zu geben, nachdem wir nach Stockholm zurückgekehrt sein würden; und so trennten wir uns für einige Wochen.

Heinrich machte die Reise nach Hause mit uns zusammen. Erst jetzt sprach auch er zu mir von Liebe. Er sagte mir, wie hoch er mich liebe; daß ich von seiner frühesten Jugend an seine Phantasie beschäftigt hätte … Ach! Nina, ich kann nicht seine Worte wiederholen; genug, sie drückten eine so wahre und heiße Neigung aus, daß vielleicht niemals ein menschliches Herz treuer und sanfter für mich geschlagen, als das seinige. Und doch …«

»Und doch stößst du ihn von dir und spielst mit seinem Frieden und seinem Glück?« fiel Nina in vorwurfsvollem Tone ein.

»Nein, Nina, und du wirst mich vielleicht verstehen. Bei dieser Mittheilung von Heinrich war mein erster Gedanke, ihn vor allen Anderen zu wählen; aber mein zweiter Gedanke verwarf den ersten als elenden Egoismus. Ich liebe Axel; liebe ihn in diesem Augenblick eben so hoch, wie früher. Er ist und wird meine einzige Liebe bleiben. Meine Neigung zu ihm wird, wie er selber schrieb, sich zwischen mich und jeden Anderen stellen, und bei der Erinnerung an seine glühende Liebe werden alle anderen Eindrücke erbleichen. Falls ich mich versündigt habe, dann ist meine Strafe die ausschließliche Zuneigung zu ihm, welche mich verfolgt und mein Leben verbittert. Kann ich denn, nach Allem, was Heinrich gethan, ihn dazu verurtheilen, sein Leben an der Seite einer Gattin dahinzuschleppen, welche er wirklich liebt, die aber nicht die Macht besitzt, ihm einen Winkel in ihrem widerstrebenden Herzen einzuräumen? Nein, Nina, das kann und wird nie geschehen. Nicht damit genug; meine und seine Begriffe vom Weibe sind so verschieden, daß sie sich nicht mit einander vereinigen lassen.

Meine Eigenschaft als Künstlerin und die Unabhängigkeit, welche ich bereits dadurch genieße, haben bei mir eigene Ansichten von den Rechten meines Geschlechts erzeugt; und siehe hier, zu welchen Schlußresultaten ich gekommen bin. Seitdem die rohe Kraft, welche ehemals den Mann zum Alleinherrscher über das schwächere Weib machte, den intellektuellen Fähigkeiten, welche jetzt den Menschen Macht und Ansehen verleihen, hat weichen müssen, liegt etwas Barbarisches darin, die Frauen verurtheilen zu wollen, daß sie auf ihrem niedrigen Standpunkt stehen bleiben, oder auf einen eigenen, bestimmten, engen Wirkungskreis beschränkt sein sollen. Blicken wir um uns in der Welt, so finden wir, daß das Weib sowohl wie der Mann mit einem hervorragenden Verstande einer schöpferischen Einbildungskraft und mit eben so vielem Kunstsinn, wie er, begabt ist. Wir brauchen nur daran zu denken, daß Sophie Germain in Frankreich eine ausgezeichnete Mathematikerin, daß Madame Stahl, Madame Dudevant, Miß Martineau und andere sich durch ihren Geist hervorgethan haben. Nun gut, warum denn dem Weibe diejenige Selbständigkeit verweigern, zu welcher zu gelangen dasselbe würdig ist? Es muß eine Zeit kommen, wo diese ganz unsinnige und erniedrigende gesellschaftliche Ordnung, welche die Frau in einen kleinen Wirkungskreis einschließt und an denselben kettet, über den Haufen gestürzt werden wird. Warum ihr nicht, gleich dem Manne, die Macht einräumen, ihre geistigen Fähigkeiten anzuwenden und gleich ihm denjenigen Lebensberuf frei und selbstständig wählen zu lassen, der für ihre Anlagen passend ist. Mögen die Frauen, welche die Natur nicht mit hervorragenden Geistesgaben ausgerüstet hat, gleich den Männern, denen es an Intelligenz fehlt, auf ihrem niedrigen Standpunkte stehen bleiben, und auf ihre kleinlichen Geschäfte beschränkt bleiben, aber möge auch diejenige Frau, die Geist und Kraft besitzt, aus denselben heraustreten und nicht begraben werden in dem vergoldeten Gefängnisse der Häuslichkeit!«

»Aber, liebe Thora, diese Gedanken, welche so manche geistreiche Frau bethört haben, schließen doch in sich eine große und unerhörte Verirrung. Sie sind Träume, welche gegründet sind in der Unbekanntschaft mit der Natur. Sage mir, hast du nie ernstlich daran gedacht, wozu die Frau, der deutlich ausgesprochenen Naturordnung gemäß, von der Vorsehung bestimmt worden ist? Vergleiche die beiden Geschlechter im Allgemeinen, ohne dich an einzelne Ausnahmen zu halten, und du wirst einen merkwürdigen Unterschied zwischen ihnen finden. Die Frau ist von Körperbau viel schwächer und hat für gröbere Arbeiten keine Ausdauer und keine Kraft; sie eignet sich in dieser Beziehung nur für häusliche Geschäfte. Aber auch ihre geistigen Fähigkeiten sind nicht weniger denen des Mannes unähnlich. Merke dir wohl, daß sie einen kleineren Kopf, d. h. ein kleineres Gehirn hat, als er, welches bewirkt, daß sie in geistiger Beziehung beschränkter, einseitiger, kleinlicher und kindischer in allen ihren Ansichten und in ihrem Zeitvertreib ist, als er. Dieser Mangel war jedoch für den Bestand des Geschlechts eine große Wohlthat: denn nur dadurch kann die Frau gedeihen und sich im häuslichen Leben, im Kreise ihrer Kinder, sich wohl befinden. Wenn die Frauen, statt von Freiheit zu träumen, ihre müßigen Stunden der Veredlung ihres Verstandes widmeten, um eine angenehme Gesellschaft für ihre Männer, und würdige Mütter für ihre Kinder sein zu können, dann würden sie damit mehr Ehre einlegen, denn als Künstlerinnen. – Meine Freundin, die Frau ist nicht dazu geschaffen, sich in einen Wettkampf um Ruhm mit dem Manne einzulassen, oder sich mit ihm auf das Feld der Oeffentlichkeit zu drängen; sondern nur dazu, seine Gefährtin, sowie dazu die Mutter und Pflegerin ihrer Kinder zu sein. Um ihre Bestimmung würdig zu erfüllen, muß sie allem Ehrgeiz fremd sein, und niemals ihm auf der Bahn, welche er gewählt, in den Weg treten, um sich Unabhängigkeit und Ansehen zu verschaffen. Sie soll an seiner Seite stehen wie ein Wesen des Friedens und der Liebe, welches sein Leben erheitert. Sie soll ihre Kinder erziehen, sie an das Gute gewöhnen und mit ihrer sanften Hand die ersten Schritte derselben im Leben leiten. Merke dir, daß es besonders die Frau ist, auf welcher die Gottesfurcht und die darauf gegründete Sittlichkeit beruht. Möge sie diesem wichtigen Berufe ihre ganze geistige Kraft und ihre hervorragenden Fähigkeiten widmen; denn sie ist es, welche im Herzen des Kindes, die ersten Begriffe von Gutem und Bösem entwickelt. Und diese edle Bestimmung nennst du kleinlich! Ach! was ist denn dein thörichter Kampf mit der Natur werth? – derselbe führt nur zum Unglück und zum Leiden; während es dagegen keine schönere Rolle für uns gibt, als die einer Gattin und Mutter, das Einzige, welches nöthig hätte, von Vorurtheil, Einbildung und Thorheit emancipirt zu werden, ist eigentlich – der Verstand der Frau

»Du hast aber doch selbst das freie und unabhängige Leben einer Künstlerin gewählt,« fiel Thora ein.

»Ja, aber nur für so lange, als ich allein bin; aber in derselben Stunde, in welcher ich mich verheirate, hört meine künstlerische Laufbahn auf. Man dient immer schlecht zwei Herren zu gleicher Zeit,« antwortete Nina lächelnd.

»Beste Nina, laß uns nicht mit einander streiten. Ich werde mit meinem Charakter doch niemals etwas so Ungereimtes verstehen lernen, wie alle diese unsinnigen Ansprüche auf Entsagung, welche der Mann zu einem Gesetz für uns gemacht hat. Ich werde mich niemals verheiraten, wenn ich damit mich darauf beschränken müßte, lebenslänglich die erste Dienerin meines Mannes zu sein, denn etwas anderes ist die Frau nicht, wie die Sachen jetzt stehen. – Gerade weil Heinrich in allen Punkten deine Ansichten theilt, oder richtiger die deinigen von den seinigen ausgehen, sehe ich die Unmöglichkeit einer Verbindung zwischen uns ein. Er gibt mir sein Herz, fordert aber von mir mein ganzes Leben, welches nach seinen Wünschen und nach seinem Willen zur Sklaverei verurtheilt wird. Um ein solches Opfer zu bringen, ist eine so starke und blinde Liebe nothwendig, wie diejenige, welche ich für Axel empfinde; aber jetzt wäre dies durchaus unthunlich. – Heinrichs ernste und unerschütterliche Ueberzeugung von der unerbittlichen Strenge der Naturgesetze gegen die Unabhängigkeit der Frauen würde in einen offenen, durch das ganze Leben fortgesetzten Streit mit meiner nach Freiheit dürstenden Seele gerathen. Ich verabscheue den Zwang; er sieht denselben für unsere Rettung an. O! das Leben würde dann nur ein langer und schmerzlicher Kampf werden, welcher gewiß bittere Leiden hervorrufen müßte. – Ich hätte gewünscht, daß Heinrich dieß selbst eingesehen, und mir den Schmerz erspart hätte, ihm dasselbe zu sagen.

Indessen habe ich meinem Vater und der Tante versprochen, ihrem Wunsche gemäß einen Mann zu wählen, und die Wahl muß jetzt entweder auf den Stallmeister oder auf Emil fallen. – Der Erstere ist einer von jenen wenigen Menschen, von welchen man weder sagen kann, daß sie ehrliche Burschen noch Schurken sind. Sinnlich in seinen Neigungen, ein angenehmer Gesellschafter, ein gewandter Polkatänzer, ein vortrefflicher Whistspieler, ein guter Sänger, ein ausgezeichneter Jäger und ein vorzüglicher Reiter; aber ohne Reflexion und Kunstsinn. Eine Alltagsseele, unfähig zu lieben und zu leiden, hat er bloß einen Wunsch – durch eine reiche Heirat seine liederlichen und leichtsinnigen Neigungen befriedigen zu können; ich bin eine gute Partie – und das ist der Grund, warum er um meine Hand anhält.«

»Aber, mein Gott, du wirst doch nicht den Menschen wählen?« rief Nina.

»Nein, denn wenn ich das thäte, dann würde er in einigen Jahren mich zur Sklaverei der Armuth verurtheilt haben. Es bleibt also nur noch Emil übrig. Er ist seiner Phantasie nach Künstler, und von Herzen ein dichterisches Gemüth. – Er liebt das Schöne und hält mich für hübsch. Er träumt von Leidenschaft – ich bin lebhaft, und er hofft jene bei mir zu finden. Da er von Charakter schwach, unbeständig und ohne alle Festigkeit ist, so ist seine Liebe nur so lange heftig, als sie auf Widerstand stößt. Bei seinem exaltirten und phantastischen Gemüth sind seine Leiden und Freuden nur Kinder des Augenblicks. Er ist bis zur Narrheit für Beifall empfänglich, und vergißt Alles über dem Glück äußerlicher Auszeichnung – siehe, da hast du Emils Inneres treu und wahr geschildert.«

»Und seinen Händen gedenkst du deine Zukunft anzuvertrauen?« fragte Nina.

»Ja! – Höre meine Gründe: Emil liebt mich; aber nicht mit einer so starken und dauernden Liebe, wie Heinrich, sondern eher mit seiner Phantasie. Seine Leidenschaft wird, sobald er verheiratet ist, gleich jeder andern Illusion verschwinden. Aber als Künstler werden wir als Mann und Frau nicht in drückende abhängige Verhältnisse zu einander zu stehen kommen, sondern nur zwei Freunde werden, welche zusammen arbeiten und sich bei den beiderseitigen Erfolgen wohl befinden. Der Eine wird in seiner Eigenschaft als Mann den Andern nicht unterdrücken. Um kurz zu sein: Wir werden ein paar selbständige Kompagnons sein, welche nur deßhalb zusammen sind, weil wir es wünschen; aber in der Zwischenzeit lebt jeder für sich, jeder in seinen Zimmern. Nur auf diese Weise ist es mir nunmehr möglich, eine Verbindung ohne Liebe einzugehen. – Emil wird sich in seiner Freiheit glücklich befinden und mich als eine liebe Gesellschafterin betrachten, während dagegen Heinrich unbedingt darüber unglücklich werden würde, in mir keine Gattin, kein schwaches Wesen zu finden, welches nach seinen Begriffen ohne seinen Rath nichts unternehmen sollte.«

»Gott gebe, Thora, daß du dir jetzt nicht einen grausamen Mißgriff zu Schulden kommen läßt, welcher dich deine ganze Zukunft kostet; denn mir kommt dein eheliches Gebäude so unnatürlich und auf einen so wunderlichen Grund gestellt vor, daß es bei der leisesten Berührung zusammenstürzen und in seinem Fall dich selbst mit begraben muß.«

»Aber doch ist dasselbe, trotz allen seinen Mängeln, das einzige, welches ich auf den Trümmern meines gebrochenen Herzens errichten kann. Ach! Nina, meine Ehe mit Heinrich würde einem Hause gleichen, das man auf einem Vulkan gebaut hat.«

Ein Bote der Majorin brachte ihnen die Nachricht, daß der Thee auf sie warte.


Am Tage darauf saß Thora in ihrem Atelier und arbeitete. Sie blickte ungeduldig nach der Wanduhr und ihr Gesicht zeigte eine peinliche Unruhe. Die langsamen zwölf Schläge der Uhr, das rasche Oeffnen der Thüre und Heinrichs Eintreten schien mit einem Male jener Unruhe ein Ende zu machen.

Vielleicht wäre es nicht unpassend, einige Worte über das Aeußere des Doktor Adler zu sagen. Er war ein Mann von mittlerer Gestalt, mit etwas steifer Haltung und scharfen Gesichtszügen, die Stirne war sehr gewölbt und trug ein unverkennbares Gepräge der Intelligenz, seine Augen waren klein, durchdringend und ernst, die Nase stark gebogen und der Mund mit den etwas dünnen Lippen hatte einen ziemlich strengen Ausdruck. Man las in jedem Zug einen Charakter, bei welchem Energie und Festigkeit vorherrschten; betrachtete man aber in einem unbewachten Augenblick seinen Blick etwas aufmerksamer, dann merkte man deutlich, daß unter dem kalten, ruhigen Aeußern ein warmes Herz schlug.

»Willkommen, Heinrich!« sagte Thora und reichte dem Vetter ihre Hand.

»Stimmt auch dein Herz diesem Willkommen bei? Ich glaube, es kaum hoffen zu können,« antwortete Heinrich und hielt ihre Hand in der seinigen fest.

»Jetzt und immer bist du mir willkommen. Du bleibst ja unter allem Wechsel der Verhältnisse ein Bruder und ein Retter meines Lebens.«

Thoras Blick drückte Dankbarkeit aus.

»Also nur ein Bruder! – O, Thora! Bedenke dich einen Augenblick, bevor du mich verstößest. Du bist das einzige Weib, welches ich geliebt, das einzige, welches ich je lieben werde, mein Glück, Thora, bist du; ohne die Hoffnung, dich zu besitzen, wird das Leben für mich eine unerträgliche Einöde. Meine Studien und mein Beruf werden mir nicht eine liebe und für meine Neigung theure Beschäftigung, sondern eine mühsame und schwere Pflicht sein. Aber mit dir an meiner Seite, wie ganz anders wird das Leben sich für mich gestalten! – Ich weiß, daß du mich jetzt nicht liebst, daß deine Gefühle an Axel hängen; aber ich werde dich wie eine Kranke betrachten, und mein Bestreben wird es sein, die Wunde zu heilen, an welcher du leidest. – Was will ich denn für dich sein? Deine Stütze, dein Freund und Tröster. Dir Frieden und Ruhe zu verschaffen, für dich zu leben, das wird mein ganzer Wunsch und mein ganzes Glück sein. – Sage, kannst du mich auch jetzt verstoßen?«

Heinrich sprach mit Wärme; aber Thora hörte ihn stillschweigend und mit einem schmerzlichen Ausdruck an.

»Wenn du wüßtest, wie sehr ich darunter leide, daß ich dir all den Schmerz bereite, den ich dir jetzt bereiten muß, dann würdest du finden, wie viele wahre Neigung ich für dich empfinde. – Ich werde niemals irgend eine Freude über dein Leben verbreiten können; denn all deine Zärtlichkeit vermag nicht meine erste Liebe und deren Gegenstand aus meinem Herzen zu verwischen. Es ist mir nicht mehr möglich, das Glück in einem stillen häuslichen Leben zu finden. Ich würde nur noch unglücklicher werden, falls ich dazu verurtheilt würde, an meiner Seite einen Gatten zu sehen, der zärtlichere Gefühle verdiente, ohne daß ich ihm solche widmen könnte. Deine Leiden würden mir eine Plage sein, weil ich wüßte, daß du alle die edelsten Kräfte deiner Seele mir opfertest, ohne daß mein undankbares Herz dir etwas zurückgeben könnte. – Endlich, wer weiß, zu welchen Verirrungen mein Freiheit liebendes und veränderliches Temperament mich verleiten könnte, wenn die Liebe nicht die ewige Fessel zu einem Rosenband macht? Von deinen und meinen Sorgen niedergedrückt, würde ich vielleicht uns Beide rücksichtslos ins Unglück stürzen. – Nein, ein so trübes Loos werde ich dir nie bereiten, daß du dein Leben mit einem Weibe dahinschleppen müßtest, welches deiner in keinem Falle würdig wäre.«

»Wozu diese Schilderung, welche sich niemals verwirklichen wird, wenn du die Meinige werden solltest? Du mußt mich wahrlich sehr hassenswerth finden, da du solche Mittel aufbietest, um mich abzuschrecken. Ich unterwerfe mich diesem eingebildeten Schicksal und werde es wie ein Mann tragen; wenn du nur die Meinige wirst! Beraube dich nicht aus Thorheit eines treuen und ergebenen Freundes und mich meines einzigen irdischen Glücks, selbst wenn dasselbe in den Augen Anderer wie ein Unglück aussehen sollte. Thora, ich bitte dich, um unser Beider Zukunft willen, stoße nicht die Stütze gegen die Stürme des Lebens von dir, deren du so sehr bedarfst und welche du allein bei mir finden wirst.«

»Verlängere nicht diese bittere Stunde und stelle nicht meinen Muth auf eine härtere Probe, da ja doch unsere Stellung niemals eine solche werden kann, wie sie dein entsagendes Herz wünscht. Glaubst du, daß ich lächelnd eine solche Liebe von mir weise, wie die deinige? Nein, ich leide grausam und doch, Heinrich, kann ich nicht die Deinige werden. Die Qualen, welche meine Weigerung dir jetzt bereitet, sind keine im Vergleich mit der Reue und der Qual eines ganzen Lebens, wie ich sie im entgegengesetzten Falle uns Beiden bereiten würde. – Heinrich, ich flehe dich an, höre auf, mich zu bitten; denn mit Ehre und Gewissen kann ich nicht anders handeln.«

»O! Du bist grausam – grausam gegen uns Beide; möge es dir Gott verzeihen, was du jetzt thust!« rief Heinrich und stürzte hinaus.

»Ja, möge Gott über meine Handlungsweise urtheilen,« flüsterte Thora mit Schmerz und faltete die Hände, als Heinrich fort war.


Am Nachmittage desselben Tages erhielt Emil folgenden Brief:

»Bester Emil!

Nach dem erneuerten Antrag, den du mir durch Tante machst, muß ich dir jetzt meine Antwort geben. Falls du wünschest, daß mit meiner Hand auch mein Herz dir gehören soll, dann muß ich Nein antworten; genügt es dir aber, in mir eine Gesellschafterin, eine Freundin und eine Mitarbeiterin als Künstlerin zu haben, dann will ich deine Gattin werden. – Ueberlege es dir genau und besinne dich, daß ich einmal so geliebt habe, daß ich niemals mehr den Gegenstand meiner Liebe wechseln kann.

Ich warte deine Antwort bei der Tante ab, welche heute Abend Besuch empfängt.

Immer deine Freundin
Thora Falk

 

Abends fand Emil, jubelnd vor Freude, sich ein – denn welcher Mann hätte wohl an seiner eigenen Liebenswürdigkeit oder an seiner Fähigkeit, Liebe zu erwecken, gezweifelt? Die Männer halten sich immer für unwiderstehlich und Emil machte davon keine Ausnahme.

»Wird Thora nur die Meinige, dann werde ich sie schon lehren, mich zu lieben,« dachte unser Künstler, und diese Hoffnung machte sein Glück vollständig. Die schöne und ausgezeichnete Thora sollte jetzt seine Gattin werden! – Es gab keinen Preis, um welchen Emil sich nicht ein solches Glück erkauft haben würde.


Ein paar Tage darauf saß Graf Falkenhjelm in seiner Wohnung in der Gartenstraße und unterhielt sich mit seinem Neffen, Graf Hugo Oernhjelm.

»Du wunderst dich darüber, daß ich nicht schon lange diesen Schritt gethan, und du hast Recht; aber es ist nicht so leicht, seiner ganzen Familie den Handschuh hinzuwerfen,« bemerkte Graf Falkenhjelm.

»An Onkels Stelle wäre ich keinen Augenblick unentschlossen.«

»Möglich, und ich bin es auch nicht länger, nachdem du mich von dem Charakter in Kenntniß gesetzt hast, den man meinem Verhältniß zu Thora hat aufdrücken wollen. – An ihrem Verlobungstage werde ich sie als meine Tochter anerkennen und nachher auf gesetzlichem Wege die Adoption ordnen. – Du scheinst zu vergessen, daß es der Hochmuth deiner Mutter ist, gegen welchen ich am meisten zu kämpfen habe.«

»Gewiß nicht; aber um der Schwäche meiner sonst vortrefflichen Mutter willen dürfen wir als Männer nicht unsere Pflicht opfern.«

»Damit sie nicht vor Schrecken stirbt, will ich sie doch darauf vorbereiten; begleitest du mich?«

»Ich halte es für am besten, daß Onkel allein hingeht.«

»Du hast Recht; denn das ist gewiß, daß wir uns ereifern werden.«

Graf Falkenhjelm stand auf.

»Was ist die Uhr?«

»Eins, antwortete Graf Hugo und sah auf seine Uhr.

»Es wird gerade die rechte Zeit sein.«

Damit gingen sie.

In einem prachtvollen Kabinet in ihrer Wohnung saß die Wittwe seiner Excellenz des Ministers Oernhjelm, die Mutter Hugos, und die Schwester des Grafen Falkenhjelm.

Die Gräfin war ungefähr fünfzig Jahre alt, und noch hübsch. Die Zeit hatte mit leichter Hand die stolzen, kalten, regelmäßigen Züge berührt. Jedes Gefühl ihrer Seele war aristokratisch, und mit einem hohen Gedanken von den Vorzügen, Verdiensten und Rechten des Adels vereinte sich eine grenzenlose Verachtung alles dessen, was bürgerlich heißt. Dieser ihrer Leidenschaft hatte die Gräfin vieles geopfert, und das mit einer unbeugsamen Strenge, ja man könnte sagen Grausamkeit.

Sie saß jetzt im Lesen vertieft, als der Bediente den Grafen Falkenhjelm anmeldete.

»Willkommen, Henning!« begrüßte ihn die Gräfin und reichte dem Bruder die Hand. Man sprach kurze Zeit über gleichgültige Dinge.

»Mein eigentlicher Zweck war, dir einen Entschluß, den ich gefaßt, mitzutheilen,« begann der Graf.

»Welchen denn? – aber bevor du weiter gehst, erlaube mir eine Bemerkung, die auf das Ansehen unserer Familie Bezug hat. Ich habe gewiß kein Recht mich in deine Privatverhältnisse zu mischen, und thue es auch nicht; wenn du aber durch dieselben auf irgend eine Weise unseren Namen kompromittiren kannst, dann bin ich gezwungen zu sprechen. Du stehst, wie ich weiß, mit einer gewissen Mamsell Falk in Verbindung, und dabei habe ich nichts zu bemerken; daß du aber mit ihr reisest, dich bei öffentlichen Vergnügungen und an öffentlichen Plätzen sie am Arme führend zeigst, das ist unvorsichtig und unrecht, und weil ein solches Benehmen den Leuten Anlaß zu der Vermuthung gibt, daß, – daß – oh, ich kann kaum das Wort aussprechen, so demüthigend ist es …«

»Oh, versuche es doch,« fiel der Graf spottend ein.

»Daß du dich mit jenem Mädchen zu verheiraten beabsichtigst. Du siehst wohl ein, daß ein solches Gerücht nicht allein für dich, sondern auch für mich und Alle, die zu unserer Familie gehören, verletzend ist.«

»Wirklich?« – übrigens wollte ich gerade darüber sprechen. – Hast du den Namen der Majorin Alm vergessen?«

»In der That kommt es mir vor, als wenn ich ihn einmal gehört hätte, kann mich aber nicht erinnern, wann; übrigens erinnere ich mich nie solcher Leute.«

»Das Mädchen ist die Tochter von mir und Amalia Heyse, und die Majorin die Schwester Amaliens. – Jetzt erinnerst du dich gewiß des Namens Alm

Bei diesen Worten fuhr die Gräfin zusammen; eine dunkle Röthe bedeckte ihre Wangen. Mit einer stolzen, hochmüthigen Miene warf sie den Kopf zurück und blickte den Bruder an, indem sie sagte:

»Oh, jenes Weib, um dessen Willen du zweimal nahe daran warst, dich sogar so weit zu vergessen, daß …«

»Daß ich es zu meiner Frau nehmen wollte. Als du mir die Mutter raubtest, vergaßest du, daß sie ein Kind hinterließ. Nicht wahr, Bertha, wir haben beide vieles gegen die Todte gut zu machen?«

»Wir?!«

»Ja, gerade wir! Ich, der Urheber ihrer Leiden; du die Henkerin, die du sie verfolgtest und in Landflüchtigkeit jagtest, und es mir dadurch unmöglich machtest, mein Vergehen wieder gut zu machen.«

»Du nennst das dein Vergehen wieder gut machen, eine Familie zu entehren? Nein, ich glaube wahrhaftig ganz Recht gehandelt zu haben, als ich eine solche skandalöse Verbindung verhinderte.«

»So?« – die Stimme das Grafen zitterte vor Zorn; »aber ich denke ganz anders – und darum will ich jetzt Amalias Tochter adoptiren.«

»Was sagst du?« rief die Gräfin.

»Daß morgen die Tochter jenes Weibes ein Fräulein Falkenhjelm ist.

Diesmal, meine liebe Bertha, kann weder dein Hochmuth, noch deine Intriguen, meine Pläne kreuzen, oder mich daran hindern, meine Schuldigkeit zu thun.«

Der Graf nahm seinen Hut, um zu gehen.

»Henning, bleibe, und höre mich an!« rief die Gräfin bestürzt und faßte den Arm des Bruders.

»Was willst du?«

»Erniedrige nicht so tief einen der schönsten Namen Schwedens, daß du dem unbefleckten Stammbaum desselben eine Person von niedriger Herkunft einimpfest!«

»Wann, Bertha, sahst du mich je ein Wort zurückzunehmen, oder einen auf vernünftige Gründe hin gefaßten Entschluß ändern? – Niemals! – Unseren Namen ehren wir am besten dadurch, daß wir unsere Pflichten erfüllen. Lebewohl! Deine Vorstellungen sind unnütz, denn mich kann man nicht überreden.«

Der Graf ging.

»O! es ist entsetzlich, daß ich, nach so vielem Kampfe für die Ehre unseres Namens, genöthigt bin, so etwas zu erleben!« rief die Gräfin und sank in das Sopha zurück.


Einige Tage darauf war die Wohnung der Majorin Alm glänzend erleuchtet, und sie selbst ging, elegant gekleidet durch die Zimmer, um zu sehen, ob Alles sei, wie es sein sollte. Sie trug heute ihren Kopf etwas höher und ihre Brust erweiterte sich im Gefühl der Befriedigung; denn das Dunkel, welches bisher über Thoras Geburt geruht, sollte jetzt verschwinden, und sie selbst eine Genugthuung erhalten, welche den Stolz jeder Frau befriedigen konnte. Außerdem sollte auch Thoras Verlobung heute gefeiert werden.

Nachdem die Majorin Alles überschaut hatte, kehrte sie nach dem Salon zurück, wo Thora gerade in demselben Augenblick eintrat.

»Mein Gott, Kind, an was denkst du, daß du dich schwarz gekleidet hast?« rief die Majorin unzufrieden.

»Die Farbe paßt am besten für mein Herz,« antwortete Thora und warf sich in einen Armstuhl. Sie trug ein schweres schwarzes Atlaskleid, welches in reichen Falten um ihre schlanke Figur herabfiel. Das Haar wogte in üppigen und langen Locken über Hals und Schulter. Kein Schmuck und keine Blume gab dem ernsten Anzug ein heiteres Aussehen. Thora glich, wie sie da saß, dem Engel der Trauer, welcher vom Himmel herabgestiegen war, um – am Grabe der Freude zu weinen.

»Aber, meine kleine Thora, man wird deinen Anzug sonderbar finden, und du selbst wirst ein Gegenstand von Bemerkungen werden. – Erinnere dich, daß wir außerdem Ball haben; wie kann es da angehen, daß du wie zu einem Begräbniß bekleidet bist?«

»Tante,« rief Thora heftig, »es ist ja auch ein solches, wenn man die Sache recht überlegt. Ich will und werde so bleiben wie ich bin; was frage ich nach dem Gerede der Leute.«

Die Zeit erlaubte keine weitere Diskussion über das Thema; denn die ersten Gäste traten ein.

Ein paar Stunden darauf war der Ball in vollem Gange. Thora tanzte nicht und schützte ein zufälliges Uebelbefinden vor. In einen Lehnstuhl zurückgesunken, unterhielt sie sich mit dem Grafen Oernhjelm.

»Ich sehe deine Cousine, Mamsell Adler, nicht,« bemerkte der Graf.

»Nina kommt etwas später; sie singt heute Abend in W – s Concert.«

»Findet das heute statt? – ich war der Meinung, daß es erst morgen gegeben würde.«

»Du interessirst dich für Nina?« fragte Thora matt lächelnd.

»Ihr Gesang ist entzückend; aber sonst kenne ich sie nicht.«

»Vielleicht würdest du doch wünschen, ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Ja, von ganzem Herzen.«

»Ich werde euch einander vorstellen,« seufzte Thora.

»Du bist nicht heiter, Thora?«

Der Graf blickte sie fragend an.

»Nein.«

»Und doch steht dir eine angenehme Ueberraschung bevor.«

»Du meinst die Proklamation meiner Verlobung. Ach! das ist eine Ueberraschung, von welcher ich bereits weiß.«

Nina trat von Heinrich begleitet in den Saal. Thora grüßte sie herzlich, – und stellte Graf Oernhjelm vor, worauf sie sich an Heinrich wandte, und sich mit ihm unterhielt.

»Du tanzest nicht,« bemerkte Heinrich in einem ruhigen, fast gleichgültigem Tone und setzte sich. Auf dem Gesichte des Doktors sah man keine Spur von Gemüthsbewegung.

»Nein, ich finde es langweilig,« antwortete Thora und zerpflückte das Bouquet, welches sie von Emil erhalten.

»Thora, gönne mir diesen Walzer, welcher jetzt gespielt wird,« bat Heinrich mit einer gänzlich veränderten Stimme und beugte sich über sie herab.

Thora blickte auf. – Sein Aussehen war aufgeregt, und seine Brust bewegte sich rascher als gewöhnlich.

»Verweigerst du mir auch diese Bitte?« fragte er, als Thora schwieg.

»Nein, nicht wenn du mich darum bittest,« antwortete Thora mit einem Seufzer.

Heinrich führte sie in den Tanzsaal.


»Der Herr Graf behaupten also, daß ich die Partie der Alice nicht richtig aufgefaßt habe,« gab Nina zur Antwort auf irgend eine vorhergehende Bemerkung.

»Ich meinte es bemerkt zu haben, aber Sie werden vielleicht mit Grund einwenden, daß der stürmische Beifall des Publikums den Beweis liefert, daß ich Unrecht habe,« sagte der Graf.

»Nachdem der Herr Graf mir den Einwurf etwas deutlich in den Mund gelegt haben, so lasse ich denselben passiren; ersuche Sie aber doch, mich Ihre Gründe hören zu lassen, welche Sie gegen mich und das Publikum anführen.«

»Es ist der Sängerin Mamsell Adler, welcher man das Bravo zuruft, weil ihre kräftige und schöne Stimme Alle hinreißt; aber es ist nicht Alice, welche die Bezauberung hervorruft.«

»Das bedarf einer näheren Erklärung.«

»Dieselbe ist sehr einfach: Sie sind nicht Alice, Sie sind Sie selbst.«

Nina schwieg eine Weile, fiel aber dann schließlich ein:

»Wie aber diesem Fehler abhelfen?«

»Werden Sie Alice!«

Jetzt kamen einige Cavaliere, welche Nina zum Tanze engagirten und sie vom Grafen wegführten.

Der Walzer war zu Ende. Heinrich führte Thora weiter auf ihrem Platze zurück und flüsterte dabei:

» Leb wohl, mein geträumtes Glück!« – und verließ den Ball.


»Du tanztest mit dem Doktor, nachdem du es mir ausgeschlagen hast,« sagte Emil, welcher neben Thora Platz genommen hatte. In seinem Tone lag eine unterdrückte Unzufriedenheit.

»Darum, weil ich besondere bindende Gründe dazu hatte; aber wenn du es willst, so tanze ich auch jetzt mit dir.«

»Nein, Thora, nicht einmal beim Tanzen möchte ich der Zweite in der Reihe bei dir werden wollen; lieber verzichte ich ganz darauf.«

Er ging von ihr fort.

Zwischen den Tänzen finden wir wieder Graf Hugo und Nina sich mit einander unterhaltend.

»Wenn Mamsell Adler es mir erlaubt, Ihnen einen Besuch abzustatten, so werden wir auf das Thema zurückkommen; aber hier ist es unmöglich, den Charakter zu beleuchten, welchen Alicens Gesang haben muß.«

»Es wäre unrecht von mir, eine solche wohlwollende Bemerkung außer Acht zu lassen, und der Herr Graf wird mich sehr verbinden, wenn Sie mich mit einem Besuche beehrten.«

»Aber haben Sie die Güte, der Thürsteherin Befehl zu geben, mich einzulassen; denn sonst wird es nicht auszuführen sein. Sie gleicht einem Drachen, welcher einen Schatz hütet,« sagte der Graf lächelnd.

»Beurtheilen Sie sie nicht zu streng, denn sie folgt nur den Befehlen,« antworte Nina lachend.

»Im Gegentheil, ich respektire ihre Pünktlichkeit und achte die Beweggründe hoch, welche den Befehl veranlaßt haben. Schon morgen werde ich mir die Freiheit nehmen, einen Besuch abzustatten.«

Der Graf verbeugte sich.

Die Tanzmusik schwieg, – aber die Gesellschaft hatte sich im großen Salon versammelt, die Bedienten trugen Champagner herein, und Graf Falkenhjelm, Thora an der Hand haltend, sprach mit lauter Stimme:

»Ich habe die Ehre, den Anwesenden die Verlobung meiner Tochter, Thora Falkenhjelm, mit Herrn Emil Liljekrona mitzutheilen.«

Weit unten von der Thüre her ertönten in demselben Augenblick folgende Worte in schlechtem Schwedisch:

» Das uneheliche Kind der Giftmischerin Amalia Heyse

Alle blickten mit Bestürzung dorthin. – Eine kleine, junge blonde Frau stand auf der Schwelle; dann ging sie langsam auf Thora zu, welche sie mit bleichen Wangen und entstellten Gesichtszügen anstarrte.

»Gnädige Frau, Sie vergessen sich, wenn sie es wagen, hier mit einer skandalösen Unwahrheit auf den Lippen aufzutreten, um damit eine Todte zu beflecken.«

»Der Herr Graf hat Recht; diese Frau vergißt sich selbst und die Wahrheit; denn Amalia Heyse war vollkommen unschuldig,« antwortete ebenfalls in starkgebrochenem Schwedisch eine ernste Stimme.

Der Graf drehte sich um. Ein hochgewachsener älterer Mann stand vor ihm.

» General Behrend!« rief der Graf.

Dieser verbeugte sich, ergriff dann die Hand der jungen Frau und sagte:

»Komm, Unglückliche!«

Aber sie riß sich los, stürzte hin zu Thora, und sprach auf deutsch folgende Worte:

»Fluch über Euere Ehe; möge sie ebenso werden, wie die meinige es durch Euere Schuld geworden.«

Thora sank ohnmächtig zu Boden. Bei der allgemeinen Verwirrung, welcher dieser Auftritt hervorrief, entfernte sich der General mit der Unbekannten.

So endete der Verlobungstag Thoras; und jetzt verlassen wir sie für einige Zeit.


Am Tage darauf machte Graf Oernhjelm einen Besuch bei Nina. Er erneuerte denselben nachher oft und kam nach und nach, ohne daß Jemand daran dachte, täglich. Aber obgleich sie meistentheils allein waren, so mischte sich doch kein einziges Wort in ihre Gespräche, welches eine Galanterie enthalten hätte. So verfloß die Zeit und Monat März war herangekommen.

Eines Vormittags erhielt Nina eine Einladung von der Gräfin Oernhjelm, um mit ihrem Gesang das Souper zu verherrlichen, welches die Gräfin einige Tage darauf zu geben beabsichtigte. Das Blut Ninas stürmte nach dem Herzen bei dem Gedanken, daß sie bei Hugos Mutter gleich einem anderen Instrumente behandelt werden würde.

Von dem Augenblick an, wo Nina die Bühne betrat, hatte sie auch ihren Lebensplan festgesetzt, und sich es zur Regel gemacht, niemals Besuche oder Billete anzunehmen, welche an die Schauspielerin gerichtet waren; und sich niemals als Sängerin in größeren Gesellschaften einladen zu lassen, um solche Festlichkeiten glänzender zu machen.

Als sie den Brief von der Gräfin empfing, war ihre Antwort schon beschlossen, und ohne sich einen Augenblick zu besinnen, ließ Nina sagen, daß sie nicht die Ehre haben könne.

Manches schmerzliche Gefühl durchbebte Nina bei dem Gedanken, daß vielleicht Hugo die Mutter auf die Idee gebracht hätte, sie einzuladen.

»Er betrachtet mich also nur als eine öffentliche Sängerin, dazu geschaffen, mit meiner Stimme die Hochgebornen zu unterhalten, wenn diese sich herablassen, mir ihre Salons zu öffnen. O! wenn dem so wäre …?« dachte Nina, während ihre Brust vor Zorn wogte.

Wie du siehst, mein lieber Leser, hatte Nina einen ziemlich bedeutenden Stolz.

In demselben Augenblick meldete Thora den Grafen Oernhjelm.

Nina war einen Augenblick unschlüssig, ob sie ihn nunmehr empfangen sollte; aber bevor sie einen Entschluß gefaßt stand der Graf bereits in der Thüre.

»Ich komme wohl nicht ungelegen?« fragte dieser, nachdem sie einander begrüßt hatten.

Nina reichte ihm schweigend den Brief der Mutter.

Nachdem er denselben durchgelesen, richtete er seine Blicke auf Nina und sagte:

»Ach! Sie hatten mich vielleicht im Verdacht, daß ich irgend dabei betheiligt sei; aber ich kann Ihnen die heilige Versicherung geben, daß sowohl das Souper wie diese Einladung hier, mir vollkommen fremd sind. Trauen Sie mir einen solchen Mangel an Takt zu?«

»Herr Graf, ich fühle mich glücklich, dem überhoben zu sein.«

»Sie werden zugeben, daß Ihre Zweifel nahe daran waren, mir das Glück zu rauben, Sie heute sehen zu dürfen; und daß jener Brief Sie vielleicht hätte veranlassen können, mir die Thüre zu verschließen.«

»Es kann sich jedenfalls ereignen, daß ich genöthigt wäre, Sie zu bitten, mich mit weniger häufigen Besuchen zu beehren.«

»So grausam können Sie gewiß nicht werden! – habe ich denn Sie auf irgend eine Weise, ohne daß ich es wollte, verletzt? oder sollten denn Sie, aus bloßer Furcht vor Tadel, mir einen solchen Schmerz zufügen können?«

Dabei ergriff der Graf Ninas Hand.

»Ach! Herr Graf, was hat denn ein Mädchen wie ich, nachdem mein Ruf, wenn auch unverdient, einen Flecken bekommen hat? Auch kann ich nicht verlangen, daß man mich für unschuldig hält, wenn der Schein gegen mich ist. Wie wollen Sie, daß man Ihre fleißigen Besuche erklären soll, wenn nicht auf eine für meine Ehre verletzende Weise? Kann ich als Theatersängerin verlangen, daß man besser von mir denkt, als von irgend einem andern jungen Weibe, welches täglich die Besuche eines jungen Mannes empfängt? Wären Sie mir ebenbürtig, dann würde es vielleicht weniger zu bedeuten haben; aber jetzt, Herr Graf! – urtheilen Sie selbst.«

»Es liegt leider in Ihren Worten eine bittere Wahrheit; aber gerade darum verlangen Sie eine Erklärung, welche jedoch vielleicht mit einemmale dem Glücke, das ich genossen, ein Ende machen wird. – Von den besten und edelsten Gefühlen meines Herzens zu Ihnen hingezogen, Nina, suchte ich Ihre Bekanntschaft zu machen und fand bald, daß Sie das einzige Weib sind, welches ich lieben könnte. – Sie wurden die unumschränkte Herrscherin über alle meine Gedanken und Gefühle.

»Ich vergaß die Sängerin und bewunderte nur das erhabene Weib. Aber meine Liebe ist zu tief und ernst gewesen, als daß ich in ihrer verzehrenden Glut es gewagt haben sollte, die Sprache der Leidenschaft zu sprechen. Sie war zu heilig, um in Ihnen etwas anderes sehen zu können, als diejenige, welche mein Herz zur Gattin gewählt. – Nina! ich lege mein Herz und mein Leben zu Ihren Füßen. Werden Sie Ihr Geschick mit dem meinigen verbinden wollen? – Von Ihrer Antwort hängt mein Lebensglück ab.«

»Ich bin nicht gewohnt, zu heucheln und kann es am wenigsten jetzt. – Wäre ich ein Mädchen mit einem so glänzenden Namen wie der Ihrige, so würde ich mich für glücklich halten, mit allen heißen Gefühlen meines Herzens Ihre Liebe erwiedern zu dürfen; – aber kann und darf ich es jetzt

»Nina, antworte mir nur aufrichtig: Liebst Du mich?« fragte der Graf mit Wärme und ergriff ihre Hände.

Tief erröthend, aber sanft lächelnd flüsterte Nina:

»Ja! von meiner ganzen Seele.«

»Dank, geliebte angebetete Nina! denn deine Antwort schließt mein ganzes irdisches Glück in sich.«

Hugo drückte sie fest an sein redliches Herz.

»Aber deine Mutter?«

Ninas Stimme zitterte.

»Meine Mutter ist stolz, das ist wahr; aber soll ich deßhalb mein ganzes Lebensglück opfern? – Du liebst mich, was bedarf ich denn mehr zu wissen, um selbst meine Handlungsweise bestimmen zu können? Keine Macht kann uns jetzt mehr trennen.«

Schon am folgenden Tage wollte er bei Ninas Bruder um ihre Hand anhalten; aber sie wünschte, daß er damit warte, bis die Theatersaison und ihr Kontrakt beim Theater zu Ende sei. Hugo fügte sich, obgleich ungern, ihrem Willen.

Wieder verging einige Zeit ruhig und glücklich für die beiden, welche im Schatten einer reinen und erhabenen Liebe ihr Leben zubrachten.

Das Gerücht sprach bald davon, daß Nina Adler die Bühne zu verlassen beabsichtige. Als Heinrich eines Tages dem Grafen Hugo begegnete, als dieser von Nina herauskam, sagte der Doktor zu ihr:

»Die Besuche des Grafen scheinen mir viel zu häufig zu sein; sie werden gewiß Veranlassung zu Gerede geben; du mußt es ihm sagen.«

»Dein Rath, lieber Heinrich, kommt zu spät; ich habe ihm jetzt selbst mein Herz gegeben, und er beabsichtigt, bei dir um meine Hand anzuhalten.«

»Nina! weißt du denn, welch stolzes und unbeugsames Weib seine Mutter ist? sie wird bittere Leiden über dein Haupt heraufbeschwören. Hast du an alle die Demüthigungen gedacht, welche eine solche Partie dir zuziehen kann?

»Zu wohl! – und ich glaube sie geduldig ertragen zu können, da es meiner Liebe zu Hugo gilt.«

»Hast du auch Thoras Verlobungstag und die Rache vergessen, welche die Gräfin Oernhjelm an ihrem Bruder nahm, weil er sein Kind adoptirte?«

»Du glaubst also, daß jenes fremde Weib von der Gräfin geschickt war, um Thora durch eine Beschuldigung gegen ihre Mutter zu entehren? Das wäre entsetzlich!«

»Ich bin vollkommen davon überzeugt, denn ich weiß, daß die Gräfin Thoras Mutter verfolgt hat.«

»Aber General Behrend, – was hatte er mit der Sache zu thun?«

»Das weiß Gott allein; hat Thora sich nie darüber geäußert?«

»Niemals; – sie scheint die ganze Begebenheit vergessen zu haben und ich nehme mich sehr in Acht, das Thema zu berühren. – Weiß der Graf, wer das Weib war?«

»Ich glaube gewiß, daß er es weiß, aber es vielleicht nicht merken lassen will. – Vielleicht aus Rücksicht auf General Behrend.«


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