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Erste Abtheilung.

Es liebt sich selbst Genuß und seine Ehr',
Der Mann; dafür er Alles opfert hin:
Das Weib hat nicht für solche Opfer Sinn;
Für ihn sie opfert sich – und das ist mehr.

Tegnér.

In München in der Steinhäuser Straße stand ein großes Haus von finsterem Aussehen. Die immer heruntergelassenen Fenstervorhänge und das fortwährend verschlossene Thor gaben zu der Vermuthung Anlaß, daß dasselbe verlassen oder seit Jahren nicht bewohnt gewesen sei. Fühlte aber Jemand sich durch Neugierde versucht, sich darüber Auskunft zu verschaffen, so erhielt er die unerwartete Aufklärung, daß die Eigenthümerin des Hauses, eine reiche Wittwe, seit mehreren Jahren dort allein wohne.

Im Frühling des Jahres 18– trug sich in dem Schlafzimmer der Eigenthümerin Folgendes zu.

Dieses Zimmer, welches sorgfältig möblirt war, hatte doch ein schwerfälliges und steifes Aussehen. Im Bette mit den dicken, dunkeln Vorhängen lag ein Weib von ungefähr einigen und vierzig Jahren. Ihr Gesicht und ihre Hände waren abgezehrt, so daß sie denen eines Skelets glichen. Sie würde mehr einer Leiche als einem lebenden Wesen ähnlich gesehen haben, wenn nicht das Feuer der großen, schwarzen Augen verrathen hätte, daß in dieser gebrechlichen Hülle eine Seele wohnte, welche noch der Stürme und Qualen der Leidenschaften fähig war.

An ihrem Lager saß ein bildschöner junger Mann, welcher aufmerksam, aber bebend auf das horchte, was die Kranke sprach. Nachdem sie mit einem langen und, wie es schien, schmerzlichen Bekenntniß zu Ende gekommen, ruhte sie einige Augenblicke; dann fuhr sie aber wieder fort:

»Du siehst, mein Sohn, aus dieser peinlichen Beichte, daß ich eine große Sünderin bin, daß auf meinem Gewissen Verbrechen von entsetzlicher Art lasten; aber es war für dich und deine Unabhängigkeit nöthig, daß ich sie beging. Du wirst also auch Alles das vergeben können, wozu mich meine grenzenlose Mutterliebe verleitete.«

Der Sohn neigte sein bleiches Gesicht über ihre Hand und führte diese stillschweigend an seine Lippen.

»Schwöre mir, daß du die Unglückliche und ihr Kind ausfindig machst und ihnen denjenigen Theil von deinem Vermögen übergibst, den ich für sie bestimmt habe. Schwöre mir es beim Bilde des Erlösers!« sprach die Mutter und reichte ihm ein kleines Crucifix, welches innerhalb des Bettes hing.

»Ich schwöre es dir, meine Mutter; aber wo und wie soll ich sie suchen?«

» In Schweden! Dorthin gelang es ihr während des Prozesses zu flüchten.«

»Woher weißt du das?«

»Kaspar, welcher während des Prozesses der sie am meisten belastende Zeuge war, theilte mir unter einem Anfall von Gewissensbissen, während welcher er nahe daran war, sich selber anzugeben, mit, daß er es gewesen, der nach Verkündigung des Urtheils ihr und dem Kinde Gelegenheit zur Flucht verschaffte. Wie du aus dem Vorangeschickten weißt, ließ ich ihn die Welt verlassen, bevor mein Geheimniß über seine Lippen gekommen,« fügte die Mutter in düsterem Tone hinzu.

»Weißt du, daß sie lebt?«

»Ich hoffe es; denn als ich nach Kaspars Tode nach Schweden reiste, um sie auszusuchen und unschädlich zu machen – – –«

»O, meine Mutter, wollten Sie auch diese tödten?« fiel der Sohn schaudernd ein.

»Sie stand auf meiner Lebensbahn als eine drohende Gefahr, welche ich aus dem Wege räumen mußte. Ich entdeckte auch ihren Aufenthaltsort; aber am folgenden Tage war sie verschwunden. Ich setzte auch meine Nachforschungen fort, jedoch vergebens. Meine Krankheit trieb mich nach München. Was du übrigens als Anleitung zu wissen brauchst, findest du in dem Aufsatz, den ich dir übergab, und in den Aufzeichnungen, welche Kaspar nach ihrer Flucht im Gefängniß fand. Sobald ich aufgehört habe, von meinen Gewissensbissen und von den schrecklichen Bildern verzehrt zu werden, welche bis zu meinem Tode meine Seele quälen werden, machst du Vorbereitungen zu deiner Abreise und verschaffst dir so viele Kenntnisse in der schwedischen Sprache, daß du ohne Dolmetscher deine Nachforschungen anstellen kannst. O! wenn die Menschen wüßten, welche entsetzliche Leiden das Verbrechen mit sich bringt, sie würden gewiß nie mit einem Fuß diese gefährliche Bahn betreten. Jahre lang habe ich aus meinem Lager gelegen, von den Anklagen und drohenden Gestalten meiner Opfer verfolgt, welche nach Rache riefen, ohne daß ich um ein Ende meiner Qualen zu bitten wagte; denn welche entsetzliche Rechenschaft steht mir noch auf der andern Seite des Grabes bevor! Ich müßte wenigstens den Trost mit mir nehmen, daß ich einen kleinen Theil dessen wieder zu sühnen versuchte, der noch gut zu machen war. Meine Schuld ist noch so groß, daß ich nicht hoffen kann, Absolution zu erhalten.«

Es trat eine Pause ein. Der Sohn stützte seinen Kopf aus die Hand; aus seinem Gesichte wechselten Abscheu und Schmerz. Die Mutter betrachtete ihn mit ihren düstern Augen; der Ausdruck von Reue, welcher sich einige Augenblicke vorher in denselben gezeigt, verschwand und sie blickte wieder stolz vor sich hin.

»Morgen, mein Sohn, kommt für dich der wichtige Tag, an welchem du Besitzer eines fürstlichen Vermögens wirst, und durch deine näheren Verwandtschaftsverhältnisse zu einer mächtigen Familie eine Bahn betrittst, welche dich zur Ehre und zum Ruhme führen wird.«

Ein schwerer Seufzer hob die Brust des Sohnes; aber er erhob sich, schaute mit einem kecken und stolzen Blick empor und sagte:

»Ja, morgen werde ich eines großen Reichthums theilhaftig und habe eine glänzende Zukunft vor mir.«

»Möchte ich nur diesen Tag überleben! Schicke nach meinem Beichtvater,« sprach sie mit matter Stimme.

Er stand auf.

In der Thüre begegnete er einem Manne im mittleren Alter, von hoher, gerader Gestalt und von einem edlen, aber strengen Aeußeren. Dieser ging, ohne ein Wort zu sagen, an dem jungen Manne vorbei.

»Gehe, mein Sohn, ich will mit Tristan allein sein,« sagte die Mutter, als jener stehen blieb.

Der Sohn ging.

»Das Bekenntniß, welches du vor deinem Kinde abgelegt, habe ich gehört. Ich horchte hinter den Thürvorhängen versteckt …«

»Nun und? …« Die Kranke zitterte.

»Ich bin nicht dein Richter und auch nicht dein Beichtvater; ich habe dir nichts zu sagen.«

»Du bist mein Bruder.«

»Leider!«

»Du kannst dein Versprechen an meinen Sohn nicht zurücknehmen wollen. Er kann ja nicht für meine Verbrechen.«

»Nein, – aber meine Tochter kann nie die Schwiegertochter einer Giftmischerin werden.«

»Aber die Hochzeit ist ja auf morgen festgesetzt. Du kannst nicht zurücktreten,« rief die Kranke in Verzweiflung.

»Ich kann und werde thun, was ich muß,« antwortete der Bruder unbeweglich kalt und verließ das Zimmer.

Als er fort war, stand die Schwester auf und murmelte:

»Noch lebe ich, und noch einmal muß das Schicksal mir gehorchen.«

Jeder ihrer Züge drückte etwas Unheilverkündendes und Entschlossenes aus. Sie streckte die Hand aus und läutete.

Ein Bedienter trat ein.

»Gehe und bitte meinen Sohn, daß er mich sofort besuche.«


An einem schönen Sommernachmittag wanderten zwei junge Mädchen die Logaardstreppe hinunter und stiegen in eines der Böte, welche nach dem Thiergarten fahren. In diesem saß vorher schon ein junger Mann am Ruder.

»Also, liebe Thora, bekomme ich jetzt jenes Wunderthier zu sehen,« bemerkte die Aelteste, ein langes und schlankes Mädchen von ungefähr neunzehn Jahren, mit einem lebensfrischen und beweglichen Gesichte, lebhaften, aber grauen Augen, einem rosenrothen und immer lächelnden Mund, glänzend weißen Zähnen und blendender Haut.

»Ja, heute Abend ziehen Onkel und sie hinaus nach dem Thiergarten,« antwortete die andere, die höchstens siebzehn Jahre alt war. Aber ihr Aeußeres verdient eine nähere Beschreibung. Auch sie war von hohem Wuchs, aber außerordentlich schlank. Das Gesicht vom feinsten Oval zeichnete sich durch eine hohe, gewölbte und breite Stirne, sowie durch ein Paar große dunkle Augen aus. Die Farbe derselben konnte man jedoch nicht näher bestimmen, denn sie waren weder schwarz, braun oder blau, sondern spiegelten wechselweise alle diese Farben wieder; aber der Ausdruck in ihnen enthielt eine ganze Welt von noch schlummernden Gefühlen. Die Nase war fein und gerade; der Mund klein, mit schwellenden purpurrothen Lippen, und zeigte zwei Reihen hübscher weißer Zähne. Die Haut war rein und weiß wie Alabaster, aber von jener matten Blässe, welche nicht Kränklichkeit, sondern ein heroisches Temperament andeutet. Diese regelmäßigen Züge wurden von einer Fülle rabenschwarzer Locken eingefaßt. Im Gesichtsausdruck lag etwas Veränderliches und Launisches, was denselben immer in einem neuen und reizenden Lichte erscheinen ließ.

Fügt man noch hinzu, daß Hände, Füße, Hals und Schultern wie nach einer Antike geformt waren, so muß sie schön gewesen sein, wie der Schöpfer sich das Urbild des Weibes dachte, damit dieses durch seine Reize den Mann fesseln konnte.

Lassen Sie uns das unterbrochene Gespräch wieder aufnehmen.

»Aber, liebe Thora,« fragte die Aeltere, »wie ist er in Tantes Haus gekommen?«

»Das theilte ich in meinem Briefe an dich mit, Nina.«

»O nein, damit befaßtest du dich gar nicht; du schriebst nur: ›Komme, komme, dann wirst du eine große Neuigkeit erfahren.‹ Jetzt bin ich hier, voll Erwartung all des Außerordentlichen, was du mir zu erzählen hast.«

»Aber doch nicht hier im Boote,« meinte Thora lächelnd.

»Nein, ich werde wohl meine Neugierde im Zaum halten müssen.«

»Du bleibst doch jetzt bei uns den Sommer über?«

»Nur auf unbestimmte Zeit, bis das Aufzeichnen der Fahrnisse meiner Großmutter stattfinden soll, wo ich dann nach Ektorp hinausfahren muß.«

Die Mädchen plauderten so fort, bis sie durch einen heftigen Stoß gestört wurden, welchen das Boot durch einen der Pfähle an einem der Schiffsholme erhielt. Der junge Steuermann hatte seine Augen ausschließlich auf Thora gerichtet gehabt, so daß er vergessen, auf den Kurs Acht zu geben, welchen das Boot nahm.

Bei der Verwirrung, welche daraus erfolgte, wandten sich die Augen Aller nach ihm.

»Ich bitte um Entschuldigung,« sprach er zu den Mädchen; »aber der Fehler war nicht allein der meinige,« fügte er lächelnd hinzu.

Thora lächelte auch bei dieser Erklärung und dachte: »Mein Fehler war es wenigstens nicht;« aber sie irrte sich.

Nachdem das Boot wieder in Gang gekommen, ging die Fahrt ohne weitere Unterbrechung fort, bis zum allgemeinen Kreuzweg.

Die Mädchen setzten von dort Arm in Arm ihren Weg bis zur Blockhaus-Landspitze fort.

In einer Entfernung von einigen Schritten folgte ihnen der junge Mann.

Sie gingen durch das Gitterthor zu einem kleinen reizenden Landsitz, dessen Name nicht hierher gehört, wir können ihn deßhalb Rosenhügel nennen.

Nachdem sie im Wohnhause verschwunden waren, flüsterte ihr zurückgebliebener Begleiter:

»Sie ist es! Denn hier wohnt die Majorin Alm. Alles, was man von ihrem Aeußeren sagt, wird von ihr selbst übertroffen. Morgen mache ich einen Besuch bei ihnen.«

Darauf wanderte er ein Stück weiter nach und ging in eines der neueren Häuser, welche hier aufgeführt waren.

Wir verlassen ihn dort und folgen statt dessen den Mädchen.

Ein kleiner, eleganter Salon war das erste Zimmer im Parterre von Rosenhügel. Rechts befand sich ein kleinerer Speisesaal und links ein kleines, nettes Kabinet. Die Wohnung, eine Treppe hoch, bestand aus den Schlafzimmern der Majorin Alm und der Mädchen, sowie aus einem Arbeitskabinet mit einem großen Balkon davor.

Im Salon saß, als Thora und Nina eintraten, am offenen Fenster ein älteres Frauenzimmer mit noch hübschen Gesichtszügen und einer edlen und stolzen Haltung. Ihr Aeußeres verrieth eine jener Glücklichen, welche wenig oder gar nicht die verheerenden Wirkungen von Mißgeschick und Sorgen erfahren haben.

Mit einem herzlichen Nicken grüßte sie die Mädchen.

»Willkommen, Nina!« sagte die Majorin; »das war hübsch von dir, daß du zu Thora hinauskamst; sie hat sich so sehr nach dir gesehnt. Wo ist Karin? Ich schickte sie mit, um deine Kleider zu holen und euch zu begleiten.«

»Beste Tante! Ich hielt es nicht aus, auf sie zu warten, sondern bat Nina, deine Karin nachkommen zu lassen,« antwortete Thora und warf sich ganz ungenirt in einen Lehnstuhl.

»Mein liebes Kind, was du warm bist! Warum bestandest du darauf, zu gehen, als ich haben wollte, daß du fahren solltest?« sagte die Majorin und ging auf Thora zu, deren Locken sie bei Seite schob und ihre schneeweiße Stirne küßte. Thora umschlang die Tante mit ihren Armen und versicherte lachend, daß es mit ihr keine Gefahr habe.

Eine Stunde darauf saßen Thora und Nina im Grase draußen auf dem Hügel und plauderten.

»Nun, Thorachen, rücke denn doch vor allen Dingen heraus mit jenem deutschen Lieutenant. Ich befinde mich ordentlich unwohl, wenn ich nur an ihn denke, so neugierig bin ich.«

»Mag es denn sein, um überhoben zu werden, dich leiden zu sehen,« antwortete Thora lächelnd. »Wie du weißt, war Onkel Anton den ganzen verflossenen Winter nach dem Auslande verreist. Im Frühling, das heißt im Mai, erhielt die Tante einen Brief, datirt Hamburg, in welchem er sie von seiner nahe bevorstehenden Rückkehr in Kenntniß setzte und ihr zu gleicher Zeit mittheilte, daß er mit einem Lieutenant Behrend Bekanntschaft gemacht, welcher in einer Familienangelegenheit nach Schweden zu gehen beabsichtige und sich wahrscheinlich längere Zeit hier aufhalten werde. Der Lieutenant hätte den Wunsch geäußert, nicht in einem Hotel wohnen zu müssen, und dann hätte der Onkel mit seiner gewöhnlichen Dienstfertigkeit ihm unser Haus angeboten. Jetzt bat der Onkel die Tante, die kleine Wohnung zwei Treppen hoch in Ordnung zu bringen, welche der Onkel sonst selbst bewohnte, die er aber jetzt, mit Ausnahme eines einzigen Zimmers, dem Lieutenant abtrat. Sie waren eine Woche nach der Ankunft des Briefes zu erwarten. Ich that Alles, was ich konnte, zur Verschönerung des Zimmers des erwarteten Ausländers, indem ich dort ein Paar meiner besten Oelgemälde aufhing. Am Tage, an welchem das Dampfschiff Gauthjod ankommen sollte, war Alles zum Empfange des Fremden bereit; aber es war ein Sturm ausgebrochen, so daß das Schiff erst am Montag ankam. Mittlerweile hatte ich vor lauter Neugierde Fieber. – Der Onkel brachte seinen Reisekameraden und dessen Bedienten nach den Zimmern, welche für sie bestimmt waren, und ich wurde zu mehreren Stunden weiteren Wartens verurtheilt. Niemals ist die Zeit mir so lang vorgekommen; sie glich einer ganzen Olympiade. Gegen Abend kamen einige Damen auf Besuch zur Tante. In ganz schlechter Laune setzte ich mich an eine Stickereiarbeit und beschuldigte in meinem Innern den Lieutenant, welcher so lange auf sich warten ließ, des Mangels an Lebensart u. s. w.

Endlich um sieben Uhr kam der Onkel mit ihm und stellte seiner Schwester, der Majorin Alm, und seiner Nichte Thora Falk den Herrn Lieutenant Behrend vor.

Ich erhob meine Augen zu dem neuen Gast.

O, Nina! Wie soll ich Worte finden, um sein Aeußeres zu beschreiben! – Du weißt, daß ich in Phantasie und Herz eine Künstlerin bin; aber niemals, nicht einmal in meinen Träumen, habe ich etwas so vollkommen Schönes, wie sein Gesicht gesehen. Stelle dir ein Paar Augen vor, welche schwarz wie die Nacht und glühend wie die Sonne sind, eine Stirne, auf welcher der Geist thront, eine römische, edel gebogene Nase, ein tief schwarzes Haar, eine stolze, männliche Haltung und eine Apollogestalt – dann hast du doch nur einen schwachen Begriff von seinem Aeußern; denn wie sollte man den lebhaften und feurigen Ausdruck in seinen Zügen wiedergeben können? Sein Aussehen ist bis auf die etwas dunkle Haut ein rein südländisches.«

»Ich höre zwar aus deiner unvergleichlichen Beredsamkeit, daß du das Menschenkind wunderschön findest; aber daraus folgt keineswegs, daß ich dasselbe thue,« fiel Nina lächelnd ein.

Thora fuhr in ihrem Bericht fort:

»Zu unserer Ueberraschung sprach er leidlich schwedisch, obgleich ziemlich gebrochen. Nachdem er eine Weile mit meiner Tante konversirt hatte und dabei, wie ich glaube, seine Augen auf mich gerichtet gehabt, stand er auf, trat ans Fenster, an welchem ich saß und nahm mir gegenüber Platz.

›Ich bin der Güte und dem ungewöhnlichen Talent der Mamsell Falk meine wärmste Erkenntlichkeit für das Vergnügen schuldig, welches die Gemälde in meinem Zimmer mir gewährten. Kapitän Ahlrot hat mich davon in Kenntniß gesetzt, daß sie von Ihrer Hand sind. Sie zeugen von einer Geschicklichkeit, die man keineswegs Ihrem Alter zutrauen sollte,‹ bemerkte der Lieutenant.

Niemals hatte ich mich früher so glücklich gefühlt, dieses Talent zu besitzen, niemals von Jemandes Lob so geschmeichelt gefunden, wie von dem seinigen. Während er sprach, waren meine Augen auf die seinigen gerichtet und meine Bewunderung über die Schönheit derselben war so groß, daß ich zu antworten vergaß. Was er dabei dachte, weiß Gott allein; aber sein Blick bekam einen Ausdruck, den man unmöglich aushalten konnte. Ich schlug erröthend meine Augen nieder. Wir schwiegen Beide. Nach Verlauf einiger Augenblicke fing er an von gleichgültigen Dingen zu sprechen. Die Nacht darauf tanzten der Lieutenant und seine schwarzen Augen in meinem Kopfe herum und verjagten allen Schlaf. Seitdem sind wir täglich zusammen gewesen, und er hat sich immer sehr zuvorkommend und artig gezeigt. Vor einer Woche reisten er und der Onkel nach Upsala; wir erwarten sie aber heute zurück und glauben, daß sie gegen Abend hier sein werden. Den Sommer über, während die Tante hier draußen gewesen, haben der Onkel und der Lieutenant das Haus unterhalb des Hügels gemiethet. Jetzt kennst du die großen Ereignisse.«

Nina schwieg eine Weile und ihr heiteres Gesicht sah sehr nachdenklich aus, als sie endlich antwortete:

»Es gefällt mir nicht, daß die Tante jenen Fremden in ihr Haus aufnahm; denn man hört zu gut, daß du in vollem Zuge bist, dich in ihn zu verlieben, und Gott allein weiß, ob er dir Glück bringen kann.«

»Liebste Nina, sprich nicht so ernst – ganz wie die selige Tante es zu thun pflegte. Tante weiß besser als Jemand, was sie thut; aber sieh, da haben wir Cordula

Ein junges Mädchen von einigen und zwanzig Jahren kam von der Landspitze her und ging den Hügel hinauf, wo Thora und Nina saßen. Sie war klein von Wuchs, aber stark gebaut. Die breiten Schultern und die hohe gewölbte Brust gaben ihr etwas Männliches. Das Gesicht fiel beim ersten Anblick durch seine scharfen Züge auf. Die großen und dunklen Augen lagen wegen des sehr stark hervortretenden Untertheils der Stirne, die mit ein Paar gewölbten schwarzen Augenbrauen geziert war, etwas tief. Der kleine Mund hatte einen harten Ausdruck. Die Haut war bleich und das Haar dunkel. Das Ganze hatte das Gepräge eines entschlossenen und düsteren Charakters. Selten schlich sich ein Lächeln über die ernst geschlossenen Lippen, und niemals öffneten sie sich zu einem heiteren Scherz. Es hatte den Anschein, als wäre das Gesicht während irgend eines entsetzlichen Ereignisses versteinert; jedoch lag darin kein Schmerz, sondern nur eine kalte und verschlossene Düsterheit, welche einem wolkenbedeckten Himmel in einer Herbstnacht vor dem Ausbruch eines Sturmes glich. Ihr Aussehen kontrastirte in einer auffallenden Weise mit dem heiteren, jugendlichen und sorglosen Wesen der anderen Mädchen.

Nachdem Cordula Nina gegrüßt, nahm sie stillschweigend neben ihr Platz.

»Wo bist du gewesen, Cordula, ich vermißte dich bei meiner Heimkehr?« fragte Thora freundlich.

»O, das glaube ich kaum,« antwortete Cordula mit einer gewissen Bitterkeit im Tone; »warum solltest du mich vermissen? Uebrigens bin ich da unten im Hause gewesen und habe Papas Zimmer in Ordnung gebracht.«

»Und auch Lieutenant Behrends?«

»Ich glaubte, daß du das selbst thun würdest, liebe Thora.«

Hier wurde das Gespräch durch zwei Reiter unterbrochen, welche die Allee im Galopp heraufkamen. Hinter ihnen fuhr eine Droschke, in welcher ein Paar Damen saßen.

»Siehst du, Nina, dort kommt er mit Onkel.«

Nina richtete ihre Augen auf die Reiter, welche am Ende der Allee ihre Pferde anhielten.

Niemand gab in diesem Augenblick auf Cordula Acht; aber ihr Gesicht nahm, als sie ihren Blick auf die Ankommenden heftete, einen fast wahnsinnigen Schmerzensausdruck an. Mit einer gewaltsamen Anstrengung führte sie die Hand über die Stirne, als wollte sie irgend eine widrige Erscheinung verscheuchen. Sie athmete kurz und rasch; aber dieser aufgeregte Zustand dauerte nur einige Sekunden, dann stand sie auf und bemerkte in einem entschlossenen Tone gegen Thora:

»Ich gehe, um Tante davon in Kenntniß zu setzen, daß wir Fremde bekommen, denn in der Droschke sehe ich Frau H. und ihre Schwester.«

Sie ging den Hügel hinunter nach dem Wohnhause.

Eine Stunde später war die ganze Gesellschaft im Hofe unter den großen Lindenbäumen versammelt, wo einige Erfrischungen von Cordula servirt wurden.

Kapitän Ahlrot, der Bruder der Majorin, war ein kleiner Mann mit röthlichem Gesichte, wohlwollend, jovial und beweglich, im Alter von ungefähr einigen und fünfzig Jahren; er war dienstfertig, mitleidig und ohne Mißtrauen.

Lieutenant Axel Behrend entsprach vollkommen dem Bilde, welches Thora von ihm entworfen.

Er konversirte eine Weile mit der Majorin und den übrigen Damen; näherte sich aber bald Thora, welche in einiger Entfernung von den Andern aus einem Gartenstuhl saß.

»Mit Worten läßt es sich nicht schildern, wie unendlich lang diese Tage gewesen, welche ich zugebracht habe, ohne Sie zu sehen,« sagte der Lieutenant und setzte sich.

Thora erröthete, schlug die Augen nieder und bemerkte, um irgend etwas zu sagen:

»Ist die Gegend hier nicht schön?«

»Daran habe ich noch nicht gedacht,« antwortete der Lieutenant.

Nina, welche den Wechsel in Thoras Gesicht und den Ausdruck in des Lieutenants Augen beobachtete, ahnte, daß dieses Gespräch unterbrochen werden mußte; sie ging deßhalb hin zu ihnen und sagte in scherzendem Tone:

»Ich habe einen Unwillen gegen den Lieutenant gefaßt.«

»Das wäre ein weniger christlicher Einfall einem Fremden gegenüber, welcher noch nie das Glück gehabt, Sie früher zu sehen. Auf welche Weise habe ich denn solche Gefühle bei Mamsell Adler hervorrufen können?«

»Der Herr Lieutenant ist weder Schuld daran, noch haben Sie es verdient; derselbe entstand nur dadurch, daß Sie einen Brief mitbrachten, welcher mich zwingt, schon in ein paar Tagen den Rosenhügel zu verlassen. Ich halte Sie deßhalb für einen Unglückspropheten. Uebrigens ist ja auch der Haß eine Phantasie, und es amüsirt mich, der meinigen zu folgen.«

»Ich fordere Sie heraus, mich zu hassen,« und dabei heftete der Lieutenant einen eigenen Blick auf Nina.

»Grade dann thue ich es am meisten,« rief Nina lachend.

»Ich glaube, Ihr erklärt einander Krieg?« fiel Thora ein.

»Warum nicht? Vielleicht gilt der Streit Mamsell Thora,« antwortete der Lieutenant. »Ich bin es nicht, der den Handschuh hingeworfen, sondern Mamsell Adler; aber als Militär gebietet mir die Ehre, denselben aufzuheben; besonders da die Feindseligkeit von einer so hübschen Dame eröffnet worden ist.«

»Es ist also abgemacht, daß wir unser Bestes thun werden, einander zu hassen?«

»Durchaus nicht! Ich behaupte, daß Sie, Mamsell Adler, mich nicht hassen können, und Sie behaupten das Gegentheil; darauf bezieht sich der Streit. Aber ist es wirklich wahr, daß der Brief, den ich Ihnen von Doktor Adler überbrachte, Sie zu einem so raschen Aufbruch veranlaßte?«

»O, es ist nur die Rede von einer Reise aufs Land von einigen Tagen,« antwortete Nina.


Spät Abends saßen die drei Mädchen zusammen in ihrem gemeinschaftlichen Schlafzimmer.

»Nun, Nina wie gefällt er dir?« fragte Thora eifrig.

»Er ist wirklich hübsch; aber mein Ideal würde er trotzdem nie werden, denn unter dem schönen Aeußeren wohnt eine egoistische Seele. – Er hat etwas Unheilverkündendes.«

»Wie doch Nina schwatzt! – es wohnen Treue und Ehre in seinem Blick,« rief Thora hitzig; »oder was meinst du, Cordula?«

»Er ist mehr als hübsch; denn er ist ganz gefährlich, Thora!« antwortete Cordula mit Nachdruck.

»Ihr seid alle beide närrisch.«

»Ach, daß du niemals von ihm betrogen werden mögest. Ich werde es nicht wagen an das Feuer in seinen Augen zu glauben; aber du bist schon von der Leidenschaft verblendet, und es ist nicht der Mühe werth, mit dir darüber zu reden,« sagte Nina.


Am folgenden Morgen wanderten zwei junge Leute längs dem Ufer des Thiergartenkanals.

In dem einen erkennen wir den Steuermann der Mädchen auf dem Fährboot wieder; seine Züge waren regelmäßig; aber der Ausdruck in den dunkelblauen Augen verrieth ein veränderliches Gemüth. Die volle Breite der Stirne nach oben zeugte von einem excentrischen Charakter. Das Haar fiel in einer Menge dunkler Locken um die Schläfen hinab; und der wohlerhaltene Bart deutete auf eine aufmerksame Fürsorge für den äußeren Menschen. Sein Kamerad war ein junger Mann von alltäglichem Aussehen.

»Nun,« äußerte der Erstgenannte, »du versprachst mir ja eine kleine Mittheilung über deine Verwandten auf dem Rosenhügel, denen ich heute Abend vorgestellt werden soll.«

»Mehr als gern, Brüderchen, die sollst du sofort haben: Wie du weißt, so bin ich ein Schwestersohn von dem Manne der Majorin Alm; meine Mutter ist auch eine intime Freundin von ihr. – Die Majorin ist mehrere Jahre Wittwe gewesen, lebt von den Zinsen eines bedeutenden Vermögens und zusammen mit ihrem Bruder, dem Kapitän Ahlrot, in ihrem gemeinschaftlichen Hause in der Regierungsstraße. Sie hat drei Schwestern gehabt, die alle gestorben sind; aber ihre Geschichte kenne ich nicht genau. Die älteste war mit einem Baumeister verheiratet und starb vor zwölf Jahren, nachdem sie ein Jahr Wittwe gewesen. Sie hinterließ einen Sohn, den jetzigen Doktor Heinrich Adler und eine Tochter Nina. Diese beiden Kinder wurden von der Großmutter, der Stiefmutter der Tante Alm und des Kapitäns, erzogen. Die andere Schwester war die Mutter von Thora Falk; obgleich Niemand recht darüber Bescheid weiß. Sei nun dem wie ihm wolle, das Sichere an der Sache ist, daß der Graf Falkenhjelm der Vater des Mädchens ist. Die Majorin läßt sich nie auf eine Erklärung darüber ein, sondern beantwortet alle Fragen mit: ›Thora ist die Tochter meiner Schwester;‹ und das in einem Tone, welcher alles weitere Fragen verbietet. Die nahe Verwandtschaft des Grafen mit Thora muß jedoch ein Geheimniß zwischen mir und dir bleiben. In einem Alter von zwei Jahren und schon vor dem Tode des Majors wurde Thora von meiner Tante als ihr eigenes Kind aufgenommen; obgleich die vermeintliche Mutter, die unverheiratet war, damals noch lebte und sich bei der Majorin aufhielt. Sie starb einige Jahre darauf. Der Graf hat mit fürstlicher Freigebigkeit für ihre Erziehung gesorgt. Das Schicksal der dritten Schwester kenne ich gar nicht; nur das weiß ich, daß sie gegen den Willen der Mutter von Hause abreiste. Sie wird von den Verwandten nie erwähnt. Außerdem hat auch Kapitän Ahlrot eine Adoptivtochter, welche sich seit drei Jahren im Hause der Majorin aufhält. Sie heißt Cordula. Siehe, da hast du das ganze Geschlechtsregister.«

»Dies ist indessen nicht genug; du mußt mir auch einen Begriff von dem Charakter dieser Personen geben, sonst würde meine Vorstellung von ihnen eine höchst unvollständige werden.

»So gut ich kann, soll das auch geschehen: Die Majorin hat einen stolzen, etwas herrschsüchtigen Charakter. Sie wird von Allen gefürchtet und man fühlt sich nie geneigt, ihr zu widersprechen. Uebrigens ist sie freigebig, beständig in der Freundschaft, von einem vorteilhaften Aeußern und imponirendem Benehmen. Sie hat zwei Schwächen, die eine für ihren Bruder und die andere für ihre Nichte Thora, deren Wünsche sie blindlings erfüllt. Der Bruder, Kapitän Ahlrot ist ein frommer, heiterer, gutmüthiger und vielleicht etwas einfältiger Mann, welcher aber gegen seine Adoptivtochter keine übertriebene Zärtlichkeit an den Tag legt; dagegen vergöttert er Thora ganz und gar. Dieses von Allen verzärtelte Mädchen ist schön wie ein Engel, verzogen wie ein hübsches Kind, unbeständig wie Aprilwetter, geistreich und lebhaft, wie eine glücklich von der Natur begabte Französin und hat viel versprechende Anlagen, eine ausgezeichnete Künstlerin zu werden, welcher Aufgabe sie sich auch ausschließlich zu widmen gedenkt. Ihre Bilder zeugen von einem außerordentlichen Talent. Füge noch zu all dieser Herrlichkeit bei siebzehn Jahren, daß sie mit einem bedeutenden Vermögen als Mitgift so gut wie vater- und mutterlos ist, und du wirst überzeugt sein, daß sie für dich eine wünschenswerthe Partie – falls es dir gelingt, ihr Herz zu gewinnen.«

»Die Beschreibung ist lockend genug; aber noch einnehmender ist sie selbst; ich habe sie bereits gesehen.«

»O was! Wo denn?«

»Wir waren gestern fern von der Stadt auf einem Fahrboot zusammen, und haben dann denselben Weg hierher gemacht. Als sie auf dem Rosenhügel einkehrte, ahnte ich, wer sie sei, und …«

»Und du wurdest sofort in sie verliebt?«

»Gerade nicht verliebt; aber …«

»Aber beinahe?«

»Setze deine Charakterschilderungen fort; denn noch bleiben übrig: Doktor Adler mit Schwester und Mamsell Cordula.«

»Heinrich Adler, mit seiner Schwester von seiner Großmutter erzogen, ist ein ernster und strenger Kamerad und sieben Jahre älter als Nina. Sein Charakter ist entschlossen, fest und stolz; er besitzt aber auch einen klaren und ausgebildeten Verstand. Seine Studien hat er ungewöhnlich rasch gemacht und ist jetzt Arzt an einem der Krankenhäuser der Hauptstadt. Nina hielt sich bei der Großmutter bis zum Frühling aus, wo die alte Frau starb, und verweilte vor der Erbschafts-Auseinandersetzung etc. auf Ektorp, wird aber später zum Bruder ziehen und von der kleinen Erbschaft leben, welche die Alte ihr hinterlassen hat. Er wird auf dem Rosenhügel erwartet, wenn er nicht schon da ist. Nina hat ein offenes, heiteres und weibliches Wesen, einen gewissen Stolz, ein scharfes Urtheil und ein warmes, festes und durch die Erziehung unerschütterlich gewordenes religiöses Gefühl, welches ihr künftig Muth und Kraft verleihen wird, um sowohl das Unglück zu ertragen wie den Versuchungen zu widerstehen. Außerdem ist sie gut und treu und dem, an den sie sich angeschlossen, ergeben; auch besitzt sie eine wunderschöne Stimme.«

»Nun, und dann Cordula?«

»Lieber Emil, die kann ich nicht schildern. Mein Herz wird zwar zu ihr hingezogen, wie von einem Magneten; aber mein Verstand sagt mir, daß wir ebenso von einander getrennt sind, wie die beiden Pole. Ihr abgeschlossenes Leben ist wie ihr Charakter in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt. Während der drei Jahre, welche sie im Hause der Tante gewesen, ist nicht ein Wort über die Zeit vor dieser Periode über ihre verschlossenen Lippen gekommen. Sie ist kalt, wortkarg, unzugänglich; aber doch …«

»Findest du sie reizend?«

»Gewiß nicht; aber mein aufrührerisches Herz will sie durchaus lieben …«

»Und das kalte Aeußere beleben. – Aber noch eine Sache: Weiß Thora, wer ihr Vater ist?«

»Im vorigen Jahre scheint der Graf, welcher sich damals in Stockholm aufhielt, sich in dieser Eigenschaft ihr zu erkennen gegeben zu haben; aber kurz daraus unternahm er eine längere Reise ins Ausland.«

»Ist der Graf verheiratet?«

»Er ist seit neunzehn Jahren Wittwer.«


Am Abend desselben Tages saß die Majorin Alm in dem hübschen Hofe, als ihre Schwägerin, die Frau Kämmerin Grill mit ihrem Sohn Knut und einem fremden jungen Mann zum Besuch kam.

Herr Emil Liljekrona, Künstler und agregirt bei der Akademie der freien Künste etc. wurde von Frau Grill vorgestellt.

Nachdem verschiedene Complimente gewechselt und einige Erfrischungen servirt worden waren, wandte sich Liljekrona an Nina und Thora und sagte:

»Ich muß Sie um Verzeihung bitten für die ungeschickte Weise, in der ich gestern das Fährboot steuerte.«

»Aber Herr Liljekrona konnte ja nichts dafür,« antwortete Thora lächelnd.

»Mamsell Falk deuten auf die unpassende Weise, auf welche ich mich entschuldigte, und doch lag einige Wahrheit darin; denn der Fehler war nicht der meinige allein.«

»Wessen denn?«

»Der Ihrige, meine Gnädige!« antwortete Liljekrona lachend zu Thoras Verwunderung.

»Der meinige? Aber, mein Gott, ich hatte ja nichts mit dem Steuerruder zu thun.«

»Sie waren dort, und dieser Umstand war Schuld an der ganzen Unordnung; denn wie war es möglich, die Augen nur auf den Kurs zu richten, den das Boot nehmen sollte.«

»Das ist eine Entschuldigung, die durchaus nicht angenommen werden kann,« antwortete Thora erröthend, und hüpfte fort zu Knut.

»Warum stehst du hier gleich einer Statue und betrachtest das Haus?« fragte Thora und gab ihm einen leichten Schlag auf die Achseln.

»Weil ich müde wurde, dich anzusehen,« antwortete er verdrießlich und ging seiner Wege.

»Wie aufgeregt Falk doch ist,« klang die Stimme des Lieutenants Behrend hinter Thora.

Sie wandte sich um und begegnete seinem Blicke; derselbe war aber so finster, daß es Thora übel zu Muthe wurde.

»Ein hübscher Mann, der Herr Liljekrona,« fügte er hinzu, »und mit einer besonderen Fähigkeit, Freude um sich zu verbreiten. Ich bin nie so glücklich gewesen, Sie früher so heiter zu sehen.«

»Im Gegentheil, ich bin immer heiter,« fiel Thora ein, welche sich durch den Ton verletzt fühlte.

»Nicht immer so von ganzem Herzen.«

Thora wurde purpurroth und antwortete mit einem leichten Anstrich von Humor:

»Dann ist der Herr Lieutenant nicht besonders scharfsehend.«

»Wirklich? Sie finden ihn vielleicht langweilig.«

»Nein, unterhaltend, heiter und …«

»Liebenswürdig?«

»Nein!«

Thora blickte auf zu ihm; schlug aber sofort ihre Augen vor dem Blitz nieder, welcher aus den seinigen leuchtete. Beide schwiegen.

»Werden Sie nicht böse,« flüsterte der Lieutenant und beugte sich zu ihr herab.

Thora eilte von ihm fort, ohne zu antworten.


Einige Tage darauf verließ Nina den Rosenhügel, um nach Ektorp zu fahren, wo ihre Anwesenheit wegen der Erbschaftsangelegenheiten nothwendig war.

Emil Liljekrona miethete sich für den Sommer bei Frau Grill, der Mutter seines Freundes Knut, ein.


Ein Monat verging, während welcher Zeit die Familie Grill und Alm täglich zusammen waren. Nina war nur einmal auf einen kurzen Besuch da gewesen.

Emil Liljekronas Aeußeres verrieth eine beständige Unruhe. Cordula war verschlossener und düsterer als gewöhnlich, und Thora lebte nur in den Stunden, in welchen Axel in ihrer Nähe war; in der Zwischenzeit träumte sie. Aber wie stand es mit Lieutenant Axel? Sein Blick wurde mit jedem Tag bedeutungsvoller und verweilte immer länger auf Thora. Seine ganze Seele mit allen Leidenschaften derselben schienen in seinen Augen zu liegen, wenn sie denjenigen Thoras begegneten, oder auf dem schönen Mädchen ruhten. Es war ein Monat verflossen, ohne daß Axel daran zu denken schien, daß es außer dem Rosenhügel und dessen Bewohner irgend einen anderen Ort in der Welt gäbe. Nur selten machte er einen flüchtigen Besuch in der Stadt.

Am 14. Juli war Thoras siebzehnter Geburtstag. Die Majorin feierte denselben mit einem Ball, welcher im Pavillon arrangirt wurde.

Axel engagirte Thora zum ersten Walzer. Von seinen Armen umschlungen schwebte sie durch den Salon nach den reizenden Melodien von Strauß.

Während des Tanzes bat Axel:

»Sehen Sie mich an, Thora. O, sehen Sie mich ein einziges Mal an!«

Thora sah auf zu ihm mit einem strahlenden und heißen Blick.

»Walzen Sie nicht mit irgend einem Anderen. Versprechen Sie mir das?« bat Axel weiter.

»Ich verspreche,« stammelte Thora.

»Danke, angebeteter Engel!«

Jetzt war der Walzer zu Ende.

Halb besinnungslos ließ Thora sich neben Frau Alm nieder.

»Mein süßes Kind, wie du entsetzlich echauffirt bist,« sagte die Tante und führte das Taschentuch über ihr glühendes Gesicht.

»Ach! ich bin so heiß, so heiß, ich muß frische Luft schöpfen,« antwortete Thora und eilte hinaus.

Indem sie sich auf eine Bank im Garten niederwarf, suchte Thora ihre Gedanken zu sammeln; aber ihre aufgeregten Gefühle machten es ihr unmöglich. Den Kopf zurückgelehnt und mit verschlossenen Augen saß sie in ein inneres Chaos versenkt, als sich Schritte näherten. Das Herz wollte die Brust sprengen bei dem Gedanken, daß er es sein könnte; sie wagte nicht die Augen aufzuschlagen. Aber der Klang eines rein schwedischen Organs traf ihr Ohr und benahm ihr den Irrthum. Emil stand ganz bleich vor ihr und fragte ganz ernst, ob er die Ehre haben könnte, die nächste Française mit ihr zu tanzen. Thora antwortete ja und stand auf.

»Ein Wort, Mamsell Thora, nehmen Sie sich in Acht, sich von jenem Fremden bethören zu lassen,« sagte Emil und ergriff ihre Hand.

»Warum eine solche Warnung gerade von Herrn Liljekrona, welcher eine neuere Bekanntschaft ist?« antwortete Thora etwas stolz.

»Mag es so sein, aber ich bin doch Ihr Landsmann und darum ein zuverlässigerer Freund.«

Emil begleitete Thora nach dem Pavillon.

Sie walzte nicht mehr.

Nina kehrte im Laufe des Abends von ihrem Bruder Doktor Adler begleitet nach der Stadt zurück; aber ihre Seele war voll Unruhe wegen Thora. Vergebens hatte sie Frau Alms Aufmerksamkeit auf die Neigung geleitet, welche, wie Jedermann sah, zwischen Thora und Axel im Entstehen war. Die Majorin hatte Nina geantwortet, daß Lieutenant Behrend sehr reich und also eine ganz gute Partie für Thora sei.

Als Thora spät Abends in ihr und Cordulas Zimmer eintrat, fand sie diese weinend auf ihrem Bette liegen. Ein solcher Gefühlsausbruch war etwas höchst Ungewöhnliches bei dem verschlossenen Mädchen; deßhalb ging Thora, der Stimme ihres Herzens folgend, hin zu ihr und fragte zärtlich:

»Was ist es, meine kleine Cordula, hat sich etwas Unangenehmes ereignet, daß du weinst?«

Cordula erhob sich heftig, schlang ihre Arme um Thoras Leib und sagte:

»Ich weinte über dich, Thora, und über deine Liebe, welche dich in das größte Unglück stürzen wird, weil du sie für ihn hegst. O! wenn du wüßtest, was er ist! – Eine Zusammensetzung von allem Grausamen und Abscheulichen. Fliehe ihn, Thora! Sein bloßer Athem ist ein Gift, welches entsetzliche Qualen mit sich bringt.«

»Rasest du?« rief Thora erschrocken.

»Nein, ich rase gewiß nicht; ich entsetze mich bei dem Gedanken, daß du vielleicht einst seine Gattin werden könntest.«

»Aber, mein Gott, was veranlaßt dich, so von Axel zu sprechen?« antwortete Thora und machte sich von ihr los.

»Thora, ich bin weder schwach noch weich, das weißt du wohl; aber in diesem Augenblicke bitte ich dich darum, mir zu glauben. Lieutenant Behrends Liebe wird dein, wird unser Aller Unglück; fliehe während du noch kannst.«

»Warum sollte ich deinen Worten glauben; sie haben ja keinen Grund für sich; du kennst ihn nicht mehr als ich?«

»Aber ich sehe weiter als du; ich lese in seiner Seele. Es ist das Erstemal, Thora, daß ich mich Jemand nähere; verachte nicht meine wohlgemeinte Warnung.«

»Nein, gewiß nicht; aber ich finde sie lächerlich,« antwortete Thora freundlich, »und ich bitte dich, Cordula, dergleichen Grillen aus dem Kopf zu schlagen. Schlafe du ruhig und glaube mir, daß alle deine Einbildungen in Betreff Axels nur eitel Hirngespinste sind.«

»Du kümmerst dich also nicht um das, was ich gesagt habe?«

»Ja, so sehr, daß ich dir für deine wohlwollende Absicht danke; aber …«

»Aber du glaubst an ihn?«

»Ja, freilich. Gute Nacht, Cordula!«

»Gute Nacht! Du erwachst doch einmal aus deinem goldenen Traume,« antwortete Cordula in einem so düster spöttischen Tone, daß derselbe Thora schaudern machte.

Einige Augenblicke darauf schlief Thora den ruhigen Schlaf eines Kindes und träumte, daß sie mit Axel walze.

Aber Cordula wachte, die Seele voll von düstern Bildern.


Am Tage darauf fuhren die Majorin, Cordula und Axel nach der Stadt. Onkel Anton und Thora blieben allein auf dem Rosenhügel zurück.

Nachdem sie zu Mittag gegessen, fragte der Onkel:

»Willst du mich zum Fischen begleiten?«

»Nein, ich danke; laß mich um Alles von jener Quälerei verschont sein, wozu mir alle Geduld fehlt,« antwortete Thora lachend.

»Wie du willst, liebes Kind; amüsire dich auf eigene Hand; denn ich rudere hinaus.«

Damit richtete der Kapitän seinen Weg nach dem Seeufer, wo sein Boot schaukelnd auf dem Wasser lag.

Thora nahm eine Zeichenmappe, und setzte sich in den Pavillon, um zu zeichnen. So war eine Stunde verflossen, als sie ein Pferd in der Allee galoppiren hörte. Die Wangen brannten schon hochroth, als sie nach der Thüre eilte, um zu sehen, wer es sei; aber die Krümmung des Weges hinderte sie daran. Sie blieb jedoch ein Weile stehen und lauschte. Einen Augenblick darauf stand Axel von Befriedigung strahlend vor ihr.

»Endlich,« rief er, und ergriff ihre Hände, »treffe ich Thora allein. O! wie sehr habe ich mich nach dieser Stunde gesehnt, wo ich sagen darf, wie hoch, wie grenzenlos ich dich liebe; nicht wahr, meine Blicke und jeder meiner Seufzer haben dir gesagt, daß du mein Leben, mein Glück, mein Alles bist! Thora, sage, daß ich mich nicht betrogen habe, daß du auch mich liebst, mit einer ebenso heißen und glühenden Liebe liebst, wie die meinige ist; daß unsere Gefühle sich zu einem einzigen aus einem gemeinsamen Herzen entsprungenen Gefühle vereinigt haben! Er bedeckte Thoras Hände mit seinen Küssen. Von der Ueberraschung, von seinen Worten und von ihrem eigenen Herzen hingerissen, lehnte sie sich gegen seine Brust und flüsterte schüchtern:

»Ja, ich liebe dich!«

Arme Thora! hättest du in diesem Augenblick geahnt, welche Qualen und endlose Leiden dir deine Liebe zuziehen würde, dann wärest du gewiß von diesem Manne geflohen, obgleich er schön war wie ein verkörpertes Ideal.

Axel war von Charakter egoistisch, fest und unbeugsam, mit einem Herzen voll der heftigsten Neigungen. Wurde er von einer Begierde, von einer Leidenschaft ergriffen, dann mußte dieselbe befriedigt werden. Mit einer Beharrlichkeit, welche niemals ermüdete, suchte er alle seine Wünsche zu befriedigen, ohne zu berechnen, oder auch nur darnach zu fragen, was Andere dabei leiden oder opfern mußten.

Thora dagegen, von Natur schwach und nachgiebig, feurig und schwärmerisch, mit einem reinen, unschuldigen Herzen, überspannter Phantasie und mit einer Schönheit begabt, die jeden Mann entzücken und fesseln mußte, war gerade ein Weib, wie Axel sich das Ideal einer Geliebten geträumt. Mit den reinen Gefühlen der ersten Liebe schloß sie sich wie ein unbesonnenes Kind ohne Mißtrauen an sein Herz und überließ sich ohne Widerstand der Macht der Leidenschaft.

Madame Staël sagt irgendwo: » Die Mutter kann ihr Kind, das Kind die Mutter vergessen: aber niemals kann das Weib seine erste Liebe vergessen.« So war es mit Thora. Sie gehörte zu denjenigen, welche in ihrer ersten Liebe ihre ganze Seele mit den edelsten Gefühlen vollständig erschöpfen. Es hing von dem Gegenstand derselben ab, ob sie durch eine falsche Liebe verlöschen oder unter dem Schutze einer treuen leben und Früchte tragen sollte. Einmal betrogen, mußte das Vermögen, zu lieben, in dessen höherer Bedeutung, bei Thora sterben. Es hing von den Verhältnissen ab, in welche sie später gerathen würde, ob Thora ein hochherziges Weib mit einem aufopfernden und hingebenden Charakter, oder eine Person werden sollte, welche das Leben mit Gleichgültigkeit betrachtet und, aus Mangel an Festigkeit, leichtsinnig Trauer und Elend um sich schafft, indem sie blind den Eindrücken des Augenblicks oder den Forderungen ihrer Leidenschaften nachgibt; denn Thora gehörte zu jenen unglücklichen Kindern der heutigen Zeit, welche, durch eine nachlässige religiöse Erziehung verdorben, niemals in der Religion Kraft oder Zuflucht in der Stunde der Versuchung finden werden. Welchen von diesen Charakteren sollte Axels Egoismus bei Thora entwickeln? Der Verlauf dieser Erzählung wird es zeigen.


An einem schönen Sonntag im August finden wir die Familien Alm und Grill unter den Linden vor dem Wohnhause auf dem Rosenhügel versammelt. Die Eltern, sowie Knut und Cordula, saßen um einen Tisch, voll von Obst und Körben. Thora lag, auf den Ellbogen gestützt, auf dem Rasen und an ihrer Seite befand sich Axel. Man kann sich unmöglich eine schönere Gruppe denken, als diese beide Liebenden. Ihnen gegenüber saß auf einer Bank Nina und unterhielt sich mit Liljekrona.

»Thora, ich werde von Sehnsucht und Eifersucht verzehrt. Ich leide, ich bin unglücklich, weil ich dich besitze; ich kann nicht zu mir selber sagen: jetzt ist sie die Meinige, einzig und allein die Meinige. Wann, o wann wird der Tag kommen?«

Mit einer von der Leidenschaft bewegten Stimme flüsterte Axel diese Worte.

»Wie, mein Axel, bin ich nicht dein von meiner ganzen Seele? Gibt es denn irgend einen Winkel in meinem Herzen, der nicht ausschließlich dir gehört?«, fragte Thora und sah ihn mit einem reinen, zärtlichen Blicke an.

»Ach, Thora, deine Liebe ist doch nicht glühend wie die meinige, weil du nicht begreifst, daß ich noch viel zu wünschen und du noch viel zu geben hast. Man kann viel mehr lieben, als du, und das thue ich.«

»Gott weiß es, daß es mir bisweilen doch so vorkommt, als wäre deine Liebe mehr egoistisch, als die meinige. Gibt es denn Etwas, das du von mir fordern könntest, welches ich dir nicht sofort gewähren würde, sofern es in meiner Macht steht.«

Ein Blitz der Leidenschaft leuchtete bei dieser Antwort Thoras aus Axels Augen und verbreitete eine Glut über sein ganzes Gesicht: als er aber ihrem unschuldigen und vertrauensvollen Blick begegnete, zog eine düstere Wolke über seine Stirne und er senkte den seinigen. Die Worte starben auf seinen Lippen. Es war ein Augenblick, in welchem sein besseres, Gefühl ihm zurief: »Halt!« Seine Handlungsweise trat in ihrer ganzen Nichtswürdigkeit vor seine Seele. Nachdem er eine Weile geschwiegen, hob Axel wieder an:

»Verzeihe mir, Thora – ich bin wahnsinnig.«

»Sage, was ist es, das dich plagt?«

»Was anders denn, als daß du nicht meine Gattin bist!«

»Warum sprichst du aber nicht davon mit Tante? Gewiß wird sie dir nicht meine Hand verweigern,« antwortete Thora naiv.

Eine dunkle Röthe verbreitete sich über Axels Gesicht, er neigte die heißbrennende Stirne gegen Thora und fuhr mit der Hand darüber.

Thora, es gibt einige Familienverhältnisse, die erst geordnet sein müssen, bevor ich mit deinen Angehörigen sprechen kann. Gebe Gott, daß ich bald so handeln kann, wie mein Herz es wünscht.«

»Werde nicht traurig, mein Axel. Die deinige bin ich, wie es auch das Schicksal fügt, und warte geduldig.«

Während Axel und Thora so sprachen, hatte Nina ihre Augen auf sie gerichtet, that aber, als wenn sie auf das hörte, was Emil sagte.

»Es ist mir unmöglich, mir das Benehmen der Majorin zu erklären. Sie kann so wenig wie wir Andern blind für ihre gegenseitige Neigung sein, und doch läßt sie Alles seinen Gang gehen, ohne von dem Lieutenant irgend eine Erklärung zu verlangen, oder auch nur sie zu überwachen. Alle Andern denken ebenso, wie ich, obgleich Niemand es wagt, ihr ein Wort darüber zu sagen. Sie dürften die Einzige sein, die den Muth dazu hätte. Wenn dieser Fremde es ehrlich meint, warum erklärt er sich nicht als Freier der Mamsell Thora, statt ihr heimlich seine Liebe zuzuflüstern?«

»Das Betragen des Lieutenants kann unmöglich von einer Unbekanntschaft mit unseren Sitten herrühren; aber für so schlecht, wie Sie es voraussetzen, halte ich ihn nicht. Thora ist so reich begabt, daß es ihm Niemand verdenken kann, wenn er sich in sie verliebt hat; und dasselbe kann man auch umgekehrt sagen.«

»Es ist nicht ihre Liebe, welche ich tadle, sondern nur, daß dieselbe hat heranwachsen dürfen, bevor man sich überzeugt hat, wiefern dieselbe realisirt werden kann. Glauben Sie mir, Niemand erkennt mehr als ich den Zauber an, welchen Mamsell Thora ausübt.«

»Ich gehe jetzt hin, um ihr tête-à-tête zu unterbrechen.«

Nina stand auf und ging hin zu Axel und Thora.

»Darf ich es wagen zu fragen, was die Herrschaften mit so vielem Eifer verhandeln?« sagte Nina, und nahm Platz neben Thora.

»Die Zukunft,« antwortete Axel.

Thora schwieg und blickte nieder.

»Darf ich nicht bei der Verhandlung eines so wichtigen Themas sein?«

»Meine Zukunft, wie dieselbe sich auch gestalten möge, wird, glaube ich, Mamsell Nina nicht voraussagen können,« antwortete Axel.

»Wer weiß?«

»Thora, Thora!« rief Frau Alm, und Thora beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen.

Nina und Axel befanden sich zum Erstenmale allein. Aus innerem Instinkt hatte Axel es vermieden, mit Nina unter vier Augen zusammenzutreffen; aber jetzt war es unmöglich.

»Nun, wie wird meine Zukunft aussehen, Mamsell Nina?« fragte Axel und versuchte einen scherzenden Ton anzunehmen.

»Ich weiß nicht,« entgegnete Nina, welche plötzlich ernsthaft wurde. »Ich habe etwas ganz anders dem Herrn Lieutenant zu sagen, da der Zufall mir nun die Gelegenheit dazu verschafft hat. Erinnern Sie sich meines Scherzes bei unserem ersten Zusammentreffen?«

»Sehr gut.«

»Ich bin nahe daran, ein solches Gefühl gegen Sie zu hegen, wie das ist, von welchem damals die Rede war.«

»Und ich errathe die Ursache,« antwortete Axel ernst. »Aber ersparen wir uns alle Umschweife, was wünscht Mamsell Adler von mir?«

» Eine Erklärung

Nina betonte das Wort.

»Ueber was?«

»Ueber Ihre Gefühle gegen Thora. Lieben Sie Thora?«

»Von meinem ganzen Herzen!«

»Was folgt daraus? Von welcher Art sind Ihre Absichten, da Sie nur heimlich mit Thora davon sprachen?«

»Meine Absichten kennt Thora: übrigens hat Niemand außer ihrer Tante das Recht, eine Erklärung von mir zu fordern. So lange sie schweigt, bin ich nicht verpflichtet, irgend Jemand Rede zu stehen,« antwortete Axel stolz.

»In diesem Falle werden Sie es verzeihen, Herr Lieutenant, wenn ich Sie dazu auffordere.«

Nina stand auf, um zu gehen.

»Einen Augenblick,« bat Axel. »Was Sie zu thun beabsichtigen, kann höchst traurige Folgen haben, weil ich nicht als der Freier Thoras auftreten kann, bevor ich zu Hause in meinem Vaterlande gewesen. Glauben Sie mir, wenn ich anders handeln könnte, dann würde es auch geschehen.«

»Dann, Herr Lieutenant, hätte Ihre Ehre Sie davon abhalten sollen, Thora etwas zu sagen, bevor Sie es Ihren Angehörigen sagen konnten. Welches auch Ihre Verhältnisse in Ihrem Vaterlande sind, so müssen Sie dieselben Thoras Tante anvertrauen können, sofern dieselben nicht unehrenhafter Natur sind; und in diesem Falle muß Thora gerettet werden.«

Nina entfernte sich.

»Du willst sie mir rauben, aber wenn du dir zutraust, das zu können, dann kennst du mich nicht,« dachte Axel.

Karin erschien jetzt von Kapitän Ahlrot begleitet, mit einem Präsentirteller voll von Gläsern und Flaschen. Die Gläser wurden mit Wein gefüllt, und Onkel proponirte einen Toast darauf, daß Axel in die Familie als Mitglied aufgenommen werden sollte; etwas, was Onkel auch hoffte, daß er bald werden werde, und daß in Folge dessen alle Titel wegfielen. Der Toast wurde von Mehreren gefällig aufgenommen.

Als aber Cordula ihr Glas an die Lippe bringen sollte, ließ sie es fallen.

Mit einigen herzlichen und verbindlichen Worten beantwortete Axel den Toast, worauf er sich der Majorin näherte, ihre Hand ehrfurchtsvoll an seine Lippen führte und mit leiser Stimme sagte:

»Durch die Worte veranlaßt, welche dem Kapitän entfielen, wage ich meine gnädige Tante zu ersuchen, ihr einige Worte unter vier Augen sagen zu dürfen, während wir eine kleine Promenade im Garten machen.«

»Gern,« antwortete die Majorin, nahm seinen Arm und wanderte den Hügel hinab.

»Ich bekam nämlich von Mamsell Nina scharfe Vorwürfe, weil ich mich noch nicht gegen meine gnädige Tante über meine Absichten in Beziehung auf Thora erklärt hätte, und ich befürchte in der That selbst, daß mein Schweigen Tante sonderbar vorkommen möchte; ich wünsche deßhalb, dasselbe zu brechen, bevor eine weniger wohlwollende Person die Sache auf eine schiefe Weise darstelle und mir dadurch schade.«

»Lieber Axel, etwas Derartiges brauchst du gar nicht zu fürchten. Ich schmeichle mir, genügende Menschenkenntniß zu besitzen, um, ohne den Beistand Anderer, meine Umgebung und folglich auch dich beurtheilen zu können.«

»Ich fühle mich bei diesem edlen Vertrauen glücklich, und will nur noch hinzufügen, daß ich, sobald ich im Herbst auf einen kurzen Besuch zu Hause in München gewesen bin, bei meiner Rückkehr hier sofort um die Hand Thoras anhalten werde, welches ich, wegen der Beilegung eines Familienzwistes, bis dahin verschieben muß. Darf ich es wagen, zu hoffen, daß Tante diesen Aufschub meiner theuersten Hoffnungen zugeben werden?«

»Ueberzeugt, daß Thora mit dir vollkommen glücklich werden kann, halte ich es für meine Pflicht, deinem Wunsche entgegenzukommen,« antwortete die Majorin ganz sanft.

Als Axel und die Majorin zu den Uebrigen zurückkehrten, ging Ersterer hin zu Nina und bemerkte:

»Jetzt steht es Ihnen frei mit der Majorin zu sprechen.«

»Gott gebe, daß ich Unrecht hätte, ich wünsche nichts höher, als Ihnen trauen zu können; aber eine heimliche Ahnung sagt mir, daß Sie das Unglück Thoras sind.«

Hier wurde das Gespräch von Axels Bedienten unterbrochen, welcher meldete, daß ihn Jemand suche. Axel entschuldigte sich und eilte fort.


In seinem Zimmer angekommen, fand Axel dort einen hochgewachsenen Mann in mittlerem Alter, mit einem ernsten und strengen Gesichte. Es bestand jedoch zwischen ihnen eine große Aehnlichkeit. Axel begrüßte den Fremden fast furchtsam.

»Du hast dich drei Monate in Schweden aufgehalten; sind deine Nachforschungen dir noch nicht geglückt?« fragte der Fremde auf deutsch.

Axel erröthete bei dem Gedanken, daß er während dieser Zeit nichts ausgerichtet, sondern sie nur dazu benutzt habe, sich seiner Leidenschaft für Thora hinzugeben.

»Du schweigst – vielleicht willst du aus schmutziger Habsucht gleich deiner Mutter das arme Weib um ihr Recht bestehlen? Du hast indessen jetzt weit mehr, als du bedarfst.«

»Meine Nachforschungen sind bis jetzt ohne Erfolg gewesen. Auf den gegen mich gerichteten Verdacht glaube ich nicht nöthig zu haben zu antworten,« fiel Axel bleich vor Zorn ein.

Die Arme über die Brust gekreuzt, betrachtete ihn der Fremde. Ein bitteres Lächeln spielte um seine Lippen.

»Willst du von mir erfahren, womit du diese drei Monate deine Zeit hingebracht hast?«

»Das wäre amüsant genug,« antwortete Axel trotzig.

»Damit, daß du einem jungen Mädchen die Cour machtest, um es wo möglich zu verführen.«

»General!« rief Axel.

»Beruhige dich,« fuhr der General fort, und legte seine Hand auf die Schulter. »Du stehst so tief in meiner Achtung, daß deine Handlungen mir gleichgiltig sind. Ich komme nicht, um im Namen einer andern Person Rechenschaft zu fordern, sondern nur um dir vorzuschlagen, mir den Auftrag zu überlassen, den du selbst vernachlässigt hast. Ich hoffe, sie dann bald ausfindig zu machen. Nun, gehst du darauf ein?«

»Aber mein gegebenes Versprechen, es selbst zu thun …«

»Bah, du scheinst sonst nicht viel auf deine Versprechen zu halten – warum gerade in diesem Falle mehr! Uebrigens bleibt es sich ja gleich, wenn man nur zum Ziele kommt. Ich wünsche, daß es bald geschehen möge.«

»Wir können ja, obgleich aus verschiedene Weise, die Nachforschungen anstellen.«

»O ja, warum nicht? Dein Feld wird dieser Ort hier, das meinige weit von hier, überall. Ich gehe darauf ein.«

Der General nahm seinen Hut.

»Gehen Sie schon?« bemerkte Axel mit einem Seufzer und erleichtert.

»Warum sollte ich bleiben! Gib mir nur die Aufzeichnungen.«

»Sie gehören mir allein.«

»Knabe, ich will, daß man mir gehorche!« rief der General heftig. »Du weißt zu gut, daß ihr Inhalt mir bekannt ist; aber ich muß sie haben, damit es mir möglicher Weise gelinge.«

Axel öffnete eine Schatulle und überreichte ihm ein Paket Papiere, welches er aus derselben genommen hatte.

»Leb wohl, du wirst von mir hören.«

Der General ging nach der Thüre und Axel begleitete ihn stillschweigend hinunter zum Wagen.

Nachdem der General sich in denselben gesetzt hatte, sprach Axel vor sich hin:

»Man fängt an, zu Hause ungeduldig zu werden.«

Damit rollte der Wagen von dannen.


An demselben Abend saßen, nachdem Alle zur Ruhe gegangen, Frau Alm und Nina noch im Salon, in einem lebhaften Gespräch begriffen.

Die Majorin sagte hitzig:

»Du traust dir also mit zwanzig Jahren zu, scharfsichtiger zu sein, als ich mit meinen fünfzig? Du scheinst auch zu meinen, daß du mehr Menschenkenntniß besitzest, als ich, und auch besser als ich selbst zu wissen, was meine Pflicht ist; denn das ist der Inhalt von Allem, was du gesagt hast.«

»Gute Tante! Wie kann ich so mißverstanden und wie können meine Worte auf eine solche Weise ausgelegt werden, da es mir nicht einen Augenblick eingefallen ist, Tantes Verstand, Takt und Zärtlichkeit für Thora zu verkennen? Ich sprach auch nicht davon, sondern nur von Axels Redlichkeit, welche ich bezweifle; ebenfalls finde ich sein Benehmen sonderbar, und darauf wollte ich deine Aufmerksamkeit lenken, liebe Tante.«

Nina sprach ruhig und gelassen.

»Liebe Nina! Laß mich allein die Sache besorgen und sei ohne Unruhe. Thoras Wohl liegt mir zu sehr am Herzen, als daß ich dasselbe unbesonnen bloßstellen sollte,« antwortete Frau Alm in ruhigerem Tone und stand auf. »Gute Nacht, mein Kind!« fügte sie hinzu, und entfernte sich.

»Möge Gott Alles zum Besten lenken!« seufzte Nina andächtig.

»Gott,« antwortete ihr eine spottende Stimme hinter dem Fenstervorhang, »Gott mischt sich gewiß nicht in unsere kleinlichen Angelegenheiten,« und Cordula trat vor. »Siehst du nicht in all diesem den Finger des Schicksals? Sowohl Tante wie Papa arbeiten mit Händen und Füßen darauf hin, ihren Augapfel den Händen jenes Deutschen zu überliefern. Nun, Glück zu! Aber ich begreife nicht, was unser Herrgott mit der Sache zu thun haben sollte. Wenn er den Gang der Ereignisse lenkte, dann sähe es ganz anders aus. Jetzt erregt die Thorheit und die Blindheit der Menschen nur Lachen.«

»Deine Rede, Cordula, athmet Bitterkeit und Zweifel; warum willst du dich solchen Gefühlen hingeben, welche dein Leben und dein Herz verzehren werden?« sagte Nina und ging zu ihr hin.

»Darum, weil ich das Leben in seinem wahren Lichte sehe; darum, weil ich fühle, wie elend diese Menschen sind, welche die Welt bevölkern, und endlich darum, weil mein eigenes Dasein ein Geheimniß ist, so dunkel wie die Nacht. Glaube du nur an Gott und an das, was gut ist; ich kann es nicht. Vielleicht kommt einst der Tag, wo auch du die Wirklichkeit in ihrer ganzen Bitterkeit erblicken wirst; komme dann auch und spreche von deinem Vertrauen zum Lenker der Welt,« bemerkte Cordula und ging ihrer Wege.


Wir versetzen uns in den Monat September und führen den Leser in das Haus der Majorin in der Regierungsstraße ein.

In dem kleinen Vorgemach sitzen die Majorin und die drei Mädchen.

»Nun, Nina, wie befindest du dich bei Heinrich?« fragte Frau Alm.

»Sehr wohl, gute Tante, besonders seit mein Engagement beim Königl. Theater eine abgemachte Sache ist.«

»Was sagst du?« rief die Majorin und schlug die Hände zusammen, »wirst du Sängerin werden, du scherzest wohl?«

»Nein, meine geliebte Tante, in vier Wochen debütire ich.«

»Aber bedenke doch, daß du Actrice wirst!«

»Hat nichts zu bedeuten, wenn man sonst eine ehrliche Person ist.«

»Wie ehrenhaft du auch fein magst, so bist du doch ohne alles Ansehen vor der Welt; denn du gehörst jedenfalls zu der Anzahl derjenigen Menschen, welche das Publikum fürs Geld amüsiren. – Mir scheint es doch, daß du deine Verwandten zuerst hättest fragen sollen. Ich meine in der That, einiges Recht auf dein Vertrauen zu haben, und hätte nicht erwartet, daß du mir die Demüthigung einer solchen Ueberraschung bereiten würdest.«

»Nina hat Recht gethan,« fiel Thora ein; »was wäre sonst aus ihrer schönen Stimme geworden, wenn sie diese und sich selbst begraben hätte? Das wäre ungefähr dasselbe, als wenn ich meine Gemälde in einen Schrank einschlösse, damit das Publikum sie nicht zu sehen bekäme und möglicherweise darin ein Vergnügen fände. Wie kann Tante so voll von Vorurtheilen sein?«

»Thora, ich spreche jetzt mit Nina!« antworte die Majorin etwas scharf.

»Verzeihe mir gute Tante, wenn ich eigenmächtig gehandelt; aber ich wollte nur allein für mich beschließen, damit nur mir allein die Folgen zugemessen werden können.«

»Unsere Familie wird ganz voll von Künstlern,« bemerkte Cordula ironisch. »Thora wird Malerin, Nina Sängerin; es fehlte nur noch, daß ich Schriftstellerin werde.«

»Ja, warum nicht, du siehst wahrhaftig aus, als wenn du über irgend eine Tragödie brütest,« antwortete Thora lachend.

»Es ist vielleicht wahrer als du glaubst, Cordula, servire Thee,« unterbrach sie die Majorin in augenscheinlich übler Laune.


Einige Tage darauf erkrankte Thora an einem heftigen Katarrhfieber, welches sie ans Bett fesselte.

Thora lag auf einem Sopha in ihrem Zimmer; Doktor Adler hielt ihre Hand in der seinigen, während er den Puls fühlte. Die Majorin betrachtete sie mit Unruhe.

»Wie befindest du dich heute Abend, Thora?« fragte sie.

»Das Fieber hat zugenommen.«

»Darf ich mit auf Kapitän Kroks Hochzeit am Mittwoch?« fiel Thora mit Heftigkeit ein.

»Ja, mein Engel, wenn es dir besser wird,« antwortete die Tante.

»Und um das zu werden, mußt du ruhig sein, denn daß das Fieber stärker geworden, kommt von deiner unruhigen Gemüthsstimmung her,« fügte der Doktor hinzu.

»Wie willst du, daß ich ruhig sein soll, da ich nicht – gesund … werden darf?« schloß Thora etwas mißmuthig.

»Nina und Cordula reisten heute nach Waxholm, und wir hoffen, daß du bis Mittwoch besser wirst,« sagte Frau Alm in einem tröstenden und schmeichelnden Tone.

Die Unruhe, welche Thora bei dem Gedanken, nicht bald gesund zu werden, an den Tag legte, kam theils daher, daß sie während ihrer Krankheit Axel nicht zu Gesicht bekam, und theils daher, daß Alle, Axel mit eingerechnet, eingeladen waren, der Hochzeit eines Verwandten, des Kapitän Krok aus Waxholm, beizuwohnen. Mit Entzücken hatte Thora der Reise und dem Zusammensein mit Axel entgegengesehen; aber jetzt kam die Krankheit und stellte sich wie höhnend zwischen sie und die erwartete Freude.

Als Heinrich von der Majorin begleitet Thora verlassen hatte, brach sie in ein heftiges Weinen aus und seufzte:

»Es ist jetzt bald eine ganze Woche her, daß ich Axel nicht gesehen! – O Gott! – Laß mich lieber sterben, als getrennt von ihm leben!«

»Weinen Sie nicht, Mamsell Thora,« flüsterte Lotta, das Kammermädchen, welches Alles in Allem bei der Majorin galt und unbemerkt hereingekommen war. »Ich habe etwas, was Sie beruhigen wird.«

Sie zog ein kleines Billet aus der Tasche.

Thora schrie laut auf vor Freude und riß dasselbe an sich.

»Zeigen Sie es nicht der Majorin!« warnte Lotta und ging ihrer Wege.

Der Brief war von Axel und mit Sehnsucht, Liebe, Verzweiflung und Gott weiß mit was Allem angefüllt.


Während Thora, den Brief an ihrem Herzen, von Axel träumte, saß er selbst in seinem Kabinet, den Kopf auf die Hand gestützt, und blickte düster aus einen vor ihm liegenden Brief.

Sein Gesicht war bleich, die Augen flammten vor Zorn, die Lippen waren fest zusammengepreßt. Seine Brust bewegte sich unruhig. Endlich knitterte er den Brief zusammen und begann in einer aufgeregten Gemüthsstimmung auf« und abzugehen, während er in Gedanken folgenden Monolog hielt:

»Also binnen einem Monat zurückgerufen! … Außerdem eine besondere Drohung von … Ach, ich werde rasend bei dem Gedanken daran … soll ich Thora verlassen? … Niemals! Sie muß mir gehören … es gibt beim Himmel und bei der Hölle keinen andern Ausweg, als sie zu entführen … Dumme Skrupeln haben mich bisher abgehalten … ferner, wer kann es wagen, zu behaupten, daß meine Liebe zu ihr nicht Glück bringt?! … Diese wird das Leben zu einer einzigen Kette von Glückseligkeit machen. – Egoismus – wird der pedantische Moralist sagen. Nun gut, gibt es denn irgend einen unserer Wünsche oder eine unserer Begierden, welche nicht egoistisch ist? – Die Natur schuf uns so. – Genug, ich thue nichts Schlimmeres, als was jeder Andere in meiner Lage thun würde – sie aufopfern? bah! – man opfert nicht auf, wenn man liebt! – Thora wird mich also begleiten – in einem Monat reisen wir.

Hier wurde Axel vom Bedienten gestört, welcher den General anmeldete. – Axel verzog die Augenbrauen; aber bevor er Zeit bekam zu antworten, stand der General vor ihm.

»Wann reisest du?« fragte er.

»In einem Monat.«

»Gut; du bist von der Regierung zurückgerufen worden?«

»Ja.«

»Nun, welche Aufklärung hast du eingeholt?«

»Keine. – Ich glaubte, daß …«

»Daß es mir glücklicher gegangen sei, willst du sagen; aber noch ist das nicht der Fall gewesen. – Ich wünschte erst dich nach Hause zurückkehren zu sehen …«

»Es ist also …«

»Meine Person, der du für die Abberufung nach Hause zu danken hast? Ja!« antwortete der General kalt und setzte sich.

»Ich vermuthete es,« rief Axel und trat dem General einen Schritt näher; »aber warum?« fragte er.

»Weil ich es so wollte,« antwortete dieser, »oder glaubst du, daß ich nicht weiß, wie weit meine Macht reicht? – Du wirst also nach Hause zurückkehren!«

»Wenn ich es nicht thue?« antwortete Axel trotzig.

»Du würdest dann von einem Kriegsgericht verurtheilt und ich würde jenes Mädchen, welchem du den Hof machst, fragen, wie sie mit einem … Liebesintriguen haben mag.«

»Nicht ein Wort! Ich reise!« fiel Axel ein, und blickte scheu im Zimmer herum.

»Du fürchtest dich sehr, sehe ich, daß man hier im Hause erfahren möchte, daß …« Der General hielt inne und blickte Axel an.

Dieser schwieg.

»Du verleugnest nicht dein früheres Leben, wenn du … verführst. Das Blut deiner Mutter offenbart sich fortwährend in dir.«

Es entstand eine Pause.

»Der Taufschein des Kindes fehlte unter den Papieren, welche du mir gabst,« hub der General wieder an.

»Dieses Papier wünsche ich für meine eigenen Nachforschungen zu behalten.«

»Kannst du denn jetzt noch solche anstellen, nachdem du die Zeit leichtsinnig vergeudet hast?«

»Aber der Auftrag wurde mir allein anvertraut.«

»Und du vernachlässigtest denselben wegen einer wenig ehrenhaften Liebesgeschichte. Oder willst du Alles der Vergessenheit übergeben?«

Der Mittwoch kam und somit auch die Reise nach Waxholm; Thora aber, welche noch nicht gesund war, wurde von Heinrich verurtheilt, zu Hause zu bleiben. Alle Bitten und Thränen Thoras hälfen nichts.

Die Majorin wollte ebenfalls von der Reise abstehen; aber aus Onkel Antons und Thoras vereinte Bitten reiste sie, vom Kapitän und Axel begleitet, am Mittwoch acht Uhr mit dem Dampfschiff ab.

»Am Freitag sind wir zurück, mein Engel,« sagte die Majorin und küßte Thora. »Wache nun gut über sie,« fügte sie, an Lotta gewendet, hinzu.

Kurz darauf rollte der Wagen von dannen.

»Sind sie Alle abgereist?« fragte Thora die am Fenster stehende Lotta.

»Ja, und in einer halben Stunde geht das Dampfboot ab.«

»Fuhr der Lieutenant mit?«

Die Thränen Thoras flossen jetzt reichlich.

»Nein er ging vor Kurzem fort und wollte mit ihnen an der Logardslandung zusammentreffen, hörte ich den Kapitän sagen.«

»Du hast keinen Brief für mich?« schluchzte Thora.

»Nein.«

Heinrich besuchte sie sowohl Vor- als Nachmittags; aber ohne sie trösten zu können.

Gegen acht Uhr Abends schlief Thora ein, nachdem sie sich buchstäblich in den Schlaf geweint. Sie wurde indessen bald durch das heftige Oeffnen der Thüre des Schlafzimmers und durch rasche Schritte, welche sich ihrem Zimmer näherten, das innerhalb des Schlafzimmers lag, geweckt. Eine heimliche Ahnung stieg rasch in Thora auf; es war nicht der langsame, schwere Gang Lottas, es waren auch nicht die abgemessenen Schritte Heinrichs, es war irgend ein Anderer, könnte er es wohl sein? – Thora wagte kaum zu athmen – die Thüre flog auf und sie rief:

»Axel!«

»Ja, dein Axel! welcher lieber sein Leben dahin gegeben hätte, als länger so leben, ohne dich zu sehen. O, Thora, mein göttliches Mädchen! Wie konntest du denn glauben, daß ich von dir fortreisen würde!«

So sprach Axel, an Thoras Seite niederknieend, während sie glückselig lächelnd seine schwarzen Locken streichelte.

Nachdem die ersten Ausbrüche des Entzückens sich gelegt, sprach Axel:

»Ich bin ganz unvermuthet von meiner Regierung nach Hause berufen worden und muß innerhalb eines Monats auf dem Wege nach München sein. Aber wie sollte ich mich von dir entfernen können? – Unmöglich! Du hast so oft versichert, daß deine Liebe zu jedem Opfer fähig sei; würdest du auch fest dabei stehen bleiben, wenn ich einen großen Beweis für die Wahrheit deiner Worte verlangte?«

»Ganz gewiß werde ich das.«

»Nun gut, warum uns trennen, wenn wir es nicht nöthig haben?«

»Was meinst du?«

»Du weißt, daß ich durch Familienverhältnisse verhindert bin, mich jetzt, wie es mein Wunsch wäre, mit dir zu verbinden. Ich muß zuerst nach Hause; aber was zwingt uns denn, unser Glück etwas so Imaginärem, wie einer leeren Formalität, zu opfern; denn was ist wohl eine Trauung anders? – Dein Herz gehört mir, und wir Beide würden grausam darunter leiden, wenn wir mehrere Monate getrennt von einander leben müßten. – Sei stark in deiner Liebe, meine Thora und zeige, daß dir diese genügt.«

Axel hielt inne; es war, als wenn die Worte nicht heraus gewollt hätten.

»Nun, Axel?« fiel Thora ein, als er schwieg.

» Folge mir!« rief Axel hastig, und führte ihre Hände an seine Lippen.

»Mein Gott! Was sagst du?«

Thora zog erschrocken ihre Hände zurück.

»O Thora! Ist das dein Muth? Ist das deine Liebe, wenn du vor meinen bloßen Worten zurückbebst? Höre und verstehe mich recht: Gleich nach unserer Ankunft in München bin ich mit aller Sicherheit im Stande, so zu handeln, wie es mir mein Herz vorschreibt, und lasse dann unsern Bund vor Gott und Menschen besiegeln. – Siehst du denn nicht ein, daß dieser Schritt uns unverzüglich zum Ziele unserer Wünsche führt? Was thust du damit Böses? – Vor Gott nichts! Die eine oder die andere tadelsüchtige Zunge wird dich während einiger Wochen verdammen; aber ist denn das Urtheil solcher es werth, daß wir dafür Monate des Glücks opfern? Sie schweigen jedenfalls, wenn du meine Gattin wirst.«

Den Ellbogen aus das Kissen und den Kopf auf die Hand gestützt, hörte Thora ihm todesbleich zu. Ihre Brust bewegte sich unruhig und in dem heftig klopfenden Herzen entstand ein gewaltiger, aber kurzer Kampf zwischen ihrer Liebe, ihrem Gewissen und ihrem Stolze. Thora hätte in diesem Augenblicke sterben mögen, so schmerzlich kam ihr die Entsagung jenes reizenden, aber gefährlichen Glückes vor, welches Axel ihr in so nahe Aussicht stellte. Ohne das geringste Zögern begriff Thora klar, daß sie darauf verzichten sollte und mußte. Ihre Thränen flossen reichlich und sie versuchte vergebens ein einziges Wort über die zitternden Lippen zu bringen.

»Du schweigst und weinst; wie soll ich dein Schweigen deuten? Sollte ich denn die Kraft deiner Liebe überschätzt haben?« fiel Axel mit düsterem Blick und aufgeregter Stimme ein.

»Axel, ich leide von deinen Worten; denn unter solchen Bedingungen kann ich nie deine Gattin werden. Ich werde dir nicht folgen, denn ich muß auf den Ausweg verzichten, welchen du mir jetzt zeigst, und deine Rückkunft abwarten.«

Thora weinte heftig.

»Und warum?« rief Axel leidenschaftlich, indem er ihre beiden Hände ergriff, welche er heftig drückte. »Ach! Liebe ist also nur ein Blütenduft im Sonnenschein des Glücks; aber sie verschwindet bei der ersten Prüfung!«

»O, rede nicht diese grausame Sprache in einer so bittern Stunde! Du weißt nicht, wie viel es mich kostet, meine Liebe der Pflicht zu opfern; aber, mein Axel, ich kann vor Gott und Menschen nicht anders handeln. Soll ich denn Alle, die mich von Kindheit an geliebt haben, in Kummer und Sorge stürzen?«

»Nein, du kannst es nicht; denn deine Liebe ist dafür allzu schwach, weil du in der Welt etwas höher stellst, als sie. Indem du die Wahl hast zwischen jenen und mir, wählst du …«

» Dich!« rief Thora leidenschaftlich und führte seine Hände an ihre Lippen; denn ich verzichte ja nicht auf dich, ich warte nur.«

»Leb wohl, Thora; du bist nicht diejenige, die ich mir vorstellte!« antwortete Axel bitter. »Ich reise allein.« Dabei machte er seine Hände los und ging auf die Thüre zu.

»O, Axel, Axel! Verlaß mich nicht so!« flehte Thora verzweifelt und streckte die Arme nach ihm aus. Er drehte sich um. Jeder Zug im Gesichte Thoras spiegelte den herzzerreißendsten Schmerz in Verbindung mit der aufrichtigsten Hingebung wieder. Axel stürzte auf sie zu, fiel auf die Kniee und rief mit leidenschaftlicher Verblendung:

»Jetzt bist du mein, und keine Macht der Erde soll uns trennen!«

Aber gleichsam, um ihn zu verhöhnen, stürzte Lotta mit den Worten herein:

»Fort von hier, Herr Lieutenant, der Doktor kommt!«

Axel eilte hinaus – Heinrich trat ein.

Als der Doktor, nachdem er sich kurze Zeit aufgehalten, ging, traf er Axel auf der Treppe, welcher ihm mittheilte, er sei von seinem Advokaten so lange aufgehalten worden, daß das Dampfboot, als er bei der Schiffsbrücke ankam, bereits abgegangen sei.

Auf Heinrich machte diese Mittheilung einen unangenehmen Eindruck; aber er schwieg und kehrte zu Thora zurück, von wo er Lotta nach seinem Hause schickte, um seine alte Amme Dora zu holen, welche den Auftrag bekam, bei Thora zu bleiben. Durch diese Vorkehrung wurde es Axel unmöglich, eine fernere Zusammenkunft mit ihr zu haben, denn Dora war treu, streng und unbestechlich.


Jetzt vergingen einige Tage sehr unruhig für Thora, nachdem sie gesund geworden. Durch den heftigen Kampf mit ihrer eigenen Schwäche und Axels immer heftiger werdenden Forderungen, ihn zu begleiten, ging Thoras Gemüthsstimmung in einen Zustand der Ueberreiztheit über, welcher den Sieg immer mehr und mehr auf Axels Seite hinüberlenkte. Das schwache Herz flüsterte: Folge ihm! – aber das Gewissen: Fliehe ihn!

Einsam, sich selbst überlassen, rief Thora:

»O! daß ich nicht mehr diese drei Monate leben müßte, während welcher ich ihn nicht sehen soll! Ich halte nicht länger seine Zweifel an meiner Liebe aus! O, wie soll ich meinem eigenen Herzen entfliehen?«

Thora vergaß ihre Zuflucht zu Gott zu nehmen.

Eines Tages flüsterte nach einem solchen Verzweiflungsausbruch ihr eine Stimme ihres Innern zu: »Du sollst dich der Kunst hingeben, während du auf seine Rückkehr wartest.«

Thora ergriff diesen Gedanken mit der ganzen Heftigkeit ihrer Seele und widmete sich jede Stunde, welche sie Axel nicht sah, der Malerei. Sie machte Entwürfe und arbeitete ununterbrochen an einem Phantasiestück: Der Abschied eines Kriegers von seiner Geliebten. Wie dasselbe gelang, werden wir später erwähnen.

Der Tag, an welchem Ninas Debut auf dem königlichen Theater stattfand, kam. Alle ihre Verwandten hatten verabredet, das Schauspielhaus zu besuchen. Aus dem Opernhause strömte eine Menge Menschen heraus; die Vorstellung war zu Ende.

Nina hatte ein glänzendes Debut gemacht. Sie war applaudirt, hervorgerufen und mit stürmischem Beifall begrüßt worden. Nina fühlte sich glücklich aber betäubt von ihrem Triumph.

Heinrich hatte zur Feier des Erfolgs der Schwester die Verwandten zu einem kleinen Souper eingeladen. Die kleine Gesellschaft wanderte jetzt nach der neuen Königsholmsbrückenstraße, wo die beiden Geschwister wohnten.

Auf Axels Arm gestützt, ging Thora mit ihm zuletzt.

»Gehe etwas langsamer, damit die Anderen uns etwas vorauskommen, ich muß mit dir sprechen,« flüsterte Axel.

Thora kam seinem Wunsche nach.

»In drei Tagen reise ich ab,« sagte Axel kurz und kalt.

»Mein Gott, was sagst du?« rief Thora und blieb stehen. Ihr ganzer Körper zitterte.

»Die Wahrheit, Thora.«

»Was soll aus mir werden?«

Thora vermochte kaum zu gehen.

»So wolltest du es ja haben, daß unser Schicksal sein sollte.«

»Wie kannst du so kalt zu mir sprechen, da du doch siehst, daß ich leide?«

»Oh, du wirst dich schon trösten.«

»Axel,« fiel Thora mit Schmerz ein, »wozu diese grausamen Worte?«

»Sprich mir nicht von Grausamkeit, Thora, da es doch die deinige ist, die mich zur Verzweiflung gebracht hat. Deine Gefühle sind Thautropfen gegen die meinigen, welche siedender Lava gleichen. Du bist es, welche den Stab über unser Glück bricht, und dasselbe auf eine unbestimmte Zukunft verschiebt; denn wissen wir denn, ob der Frühling uns Beide am Leben sehen wird? Du bist es, welche bei der Wahl zwischen mir und dem Vorurtheil, dem letzteren den Vorzug einräumt. Du bist es endlich, welche mich zu den Qualen der Entbehrung und der Eifersucht verurtheilt, du erwiderst meine glühenden Wünsche dadurch, daß du die Erfüllung derselben bis auf meine Rückkehr verschiebst.«

Axel hielt einen Augenblick inne und fuhr dann fort:

»Aber warum davon sprechen? – Du bist Weib, und deine Gefühle sind beengt durch allerlei kleinliche Empfindeleien. Ich habe Unrecht gehabt, als ich glaubte, daß du besser und hingebender als die Anderen seiest.«

»Halt, Axel, weißt du denn, wozu ich fähig bin?«

»Oh ja, in Worten bist du stark, aber im Handeln schwach; sonst würdest du Alles vergessen und – mit mir gehen! Glaubst du auf der anderen Seite, daß es Etwas auf der Erde gibt, das mich bewegen könnte, dir zu entsagen?« fragte Axel und blickte Thora mit seinen allzu gefährlichen Augen an.

»Aber weißt du denn so bestimmt, daß ich nicht auf dieselbe Weise denke und fühle?« flüsterte Thora, sich kaum dessen bewußt, was sie sagte.

»Du gehst also mit mir, nicht wahr?« Axels Stimme war voll Leidenschaft.

»Nein, nein! ich kann nicht,« antwortete Thora, bei dem Gedanken an das Unrecht eines solchen Schrittes zusammenschaudernd und dadurch wieder aus ihrem Taumel erweckt.

Axels Gesicht veränderte sich. Sein Blick wurde kalt und starr, wie die Schneide eines Schwertes; seine Lippen zitterten und mit einer Stimme so unbeweglich wie der Tod fuhr er fort, indem er Thoras Arm losließ:

»Lebe wohl, Thora, wir haben nichts mehr einander zu sagen! Ich komme nicht mehr auf dieses Thema zurück. – Deine pflichtgemäße Liebe genügt nicht meinem siedenden Herzen. Ich reise ab, aber ich kehre niemals wieder zurück.«

In demselben Augenblick that er einige Schritte vorwärts, um die Anderen einzuholen; aber mit einem Sprung stand Thora wieder an seiner Seite. Sie war unnatürlich bleich und ihre Brust bewegte sich keuchend. Mit krampfhafter Heftigkeit ergriff sie seinen Arm und stammelte fast lautlos:

»Ich gehe mit dir!«

»Du spielst mit mir; morgen wirst du deine Worte zurücknehmen.«

»Nein, niemals!«

»Schwöre mir das!«

»Bei unserer Liebe!«

Sie standen jetzt am Thore vor Ninas Wohnung.


Man war von Nina nach Hause zurückgekehrt und Frau Alm lag bereits in ruhigem Schlafe, aber in Thoras Zimmer brannte noch Licht.

Vor dem Bildnisse ihres Vaters kniete Thora unter Thränen und Gebet zu dem Vater aller Irrenden; aber ohne weder Ruhe noch Trost finden zu können.

Leise wurde die Thüre von Cordulas Zimmer, welche sich auf der andern Seite von Thoras befand, aufgemacht und die erstere trat ein.

Sie blieb auf der Thürschwelle stehen und sah das betende Mädchen mit finsterem Blicke an.

»Thora!« rief sie endlich. Thora fuhr erschrocken auf und wandte ihr leidendes, verweintes Gesicht gegen Cordula.

»Ich wollte dich um einen Dienst bitten, aber da du traurig bist, so thue ich vielleicht am besten, wenn ich damit schweige,« sagte Cordula und trat näher. Thora trocknete ihre Thränen und fragte freundlich:

»Und um was wolltest du mich bitten?«

»Komm erst und setze dich,« antwortete Cordula, und sie nahmen Platz aus einem kleinen Sopha.

»Würdest du wohl, wenn es in deiner Macht stände, mich fürs ganze Leben heiter und glücklich machen wollen?« begann Cordula.

»Wie kannst du daran zweifeln? Ach, von meinem ganzen Herzen will ich das; sprich, sage mir's!«

»Aber du darfst keine Fragen an mich richten, sondern nur auf meine Forderung antworten.«

»Das verspreche ich.«

»Ich weiß zu gut, daß du die einzige bist, welche meinen Wunsch wird erfüllen wollen; denn wer fragt sonst nach mir? Ich brauche 200 Reichsthaler Banko und die mußt du mir verschaffen.«

»Aber, mein Gott! wie und auf welche Weise?« rief Thora bestürzt.

»Du schlägst es also ab.«

Cordula senkte ihren Kopf.

»Nein, Cordula, ich schlage es dir gewiß nicht ab, aber ich weiß nur nicht, wie ich es machen soll. – Von Onkel oder Tante eine solche Summe zu verlangen, wäre umsonst; weil sie dann würden wissen wollen, wozu ich dieselbe verwenden wollte.«

Beide schwiegen eine Weile.

»Und doch beruht die Ruhe und der Frieden meiner ganzen Zukunft darauf, daß ich dieselbe erhalte,« fuhr Cordula fort.

»Stille, Cordula, jetzt weiß ich, wie ich die Summe bekommen kann,« rief Thora und liebkoste sie.

»Auf welche Weise denn?«

»Meine Garnitur, welche ich von Onkel zu Weihnachten bekam, ist doppelt so viel werth; nimm sie und verkaufe sie. – Keine Einwendung! wenn dein Glück davon abhängig ist, dann entbehre ich sie sehr gerne. – Aber vielleicht handelst du am klügsten, wenn du dich Onkel vertrautest; denn er ist so gut.«

»Gegen dich? – Ja …«

»Nein gegen Alle.«

»Nicht gegen mich. Aber schon reut es dich, wie ich sehe. Mit Papa kann ich nicht sprechen, und will dich auch nicht deines Schmuckes berauben. Wahrlich, ich bin doch recht unglücklich!«

Cordula verbarg ihr Gesicht in ihren Händen.

Thora eilte hin zu ihrem Sekretär, und nahm daraus ein Etuis von Maroquin, welches sie Cordula überreichte.

»Halte mich nicht für so kindisch, daß ich solche Lappalien vermissen sollte, wenn es sich um eine gute That handelt. Nimm es, Cordula, sonst machst du mich unglücklich.«

Noch eine Weile stritten sich die beiden Mädchen, und wir werden später sehen, welche von beiden siegte.


Am Tage darauf strömte der Regen die Straßen hinab und der Sturm heulte um die Häuserecken. Es war einer jener naßkalten Abende, am welchen Stockholm bloß Schmutz und Schlamm aufzuweisen hat.

Die Wohnung der Majorin Alm kam Einem auch gerade jetzt doppelt behaglich vor und man fühlte sich sehr wohl darin. Im Salonkamin brannte ein munteres Feuer, und auf dem weichen Sopha saßen die Majorin, Frau Grill und einige ältere Damen. Kapitän Ahlrot politisirte vor dem Kaminfeuer mit einem alten Herrn. Rings um einen kleineren Tisch, welcher etwas weiter weg stand, hatten Thora, Nina und Axel Platz genommen. Heinrich saß neben seiner Schwester in einem Lehnstuhl und betrachtete Thora mit einem gedankenvollen, aber doch warmen Blick.

»Nun, Nina, findest du nicht die Huldigung, welche dir gestern vom Publikum dargebracht wurde, berauschend?« fragte Thora.

»Nicht berauschend, aber freudebereitend. Dieselbe machte im ersten Augenblick einen größern Eindruck auf mich, als meine Vernunft billigen konnte. Du kennst, liebe Thora, meinen Naturfehler, daß ich von Allem mich hinreißen lasse, was ich nicht früher gekannt,« antwortete Nina lächelnd.

»Vielleicht reut es dich schon, daß du Sängerin geworden bist?« rief Thora.

»Im Gegentheil, ich bin jetzt damit zufriedener als vor meinem Debut.«

»Ach! Ich fühle es lebhaft, daß falls mein Herz von irgend einem Kummer getroffen werden sollte, ich vielleicht auch einen Trost in der Bewunderung suchen würde, welche mein Talent möglicherweise erwecken könnte!« rief Thora mit Wärme.

»Du, Thora, gehörst nicht zu denjenigen, welche ihr Glück im Lob der Welt finden können; für dich würde es nur ein augenblicklicher Rausch sein, der eine entsetzliche Leere hinterläßt, welches mit jedem Gefühle der Fall ist, das sich zur Leidenschaft steigert,« fiel Heinrich ein.

»Und warum?«

»Du bist noch viel zu jung, als daß ich dir das sollte klar machen können; aber reife erste heran zum Weibe und du wirst mich verstehen.«

»Ich meinerseits glaube, daß alle Gefühle, welche eine poetische Seite haben, ein so lebhaftes Gemüth wie Thoras entzücken würden,« bemerkte Axel.

»Herr Lieutenant, die Ehre – ist nur ein leerer Schatten, dem nur Thoren nachjagen, und noch hat Niemand während der Jagd nach derselben sein Glück gefunden,« antwortete Heinrich.

»Sie ist nicht ein leerer Schatten; sondern eine der mächtigsten Leidenschaften der Seele. Was wäre die Welt ohne diese Triebfeder! – Die Menschen würden in einen gleichgültigen Winterschlaf verfallen, ohne daß irgend Jemand einen Trieb zu Thaten verspürte. Ich fühle lebhaft, was der Ehrgeiz heißen will; die Stimme desselben mahnt auch mich zur Thätigkeit und fordert mich auf, nicht eher zu ruhen, bis ich den Anforderungen desselben Genüge gethan. Mit einem starken und festen Willen wie der meinige wird es mir auch gelingen, mir einen Namen zu verschaffen,« sagte Axel mit großer Lebhaftigkeit.

»Wenn man nur nicht findet, daß der Ehrgeiz des Herrn Lieutenants künftig dem Rathe des Hermokrates an den Macedonier Pausanias entsprach: Tödte denjenigen, welcher die größten Thaten verrichtet hat; denn wenn der Ermordete in der Erinnerung der Nachwelt lebt, so wird man sich auch seines Mörders erinnern. Wie bekannt wurde auch Pausanias unsterblich durch den Mord des Philipp von Macedonien. Es gibt also viele verschiedene Arten, sich einen Namen zu machen.«

Heinrich sprach mit Ironie. – »Der einzige Ehrgeiz, welcher in der Brust des Mannes wohnen darf, ist seiner Mitwelt durch etwas Nützliches und Gutes Gewinn gebracht zu haben; unbekümmert darum, ob er dabei Tadel oder Lob erntet und nur den Forderungen des Rechts gehorchend.«

Hier wurde das Gespräch durch Lotta unterbrochen, welche meldete, daß ein Herr den Kapitän suche. Dieser ging hinaus in den Saal. – Man hörte ihn sagen:

»Gehorsamer Diener, Herr Graf! Seien Sie bestens willkommen bei Ihrer Rückkehr nach Schweden. Ist dem Herrn Grafen nicht gefällig, hereinzutreten? Es wird eine höchst angenehme Ueberraschung werden.«

» Der Graf!« rief Thora mit freudestrahlenden Augen und sprang auf.

»Thora, Thora!« warnte die Majorin.

In demselben Augenblick trat ein Herr mit aristokratischer Haltung, hoch empor gehobenem Haupte, ein Paar großen, blauen durchdringenden Augen, braunem Haare und einer gewölbten, von Intelligenz zeugenden Stirne, herein. Sein Alter war zwischen 40 und 50 Jahren.

Thora blickte ihn mit rosenroth erglühenden Wangen voll Bewunderung an.

» Graf Falkenhjelm etc.,« so stellte ihn der Kapitän Ahlrot vor.

Der Graf plauderte mit der Majorin, während er unablässig seine Augen auf Thora gerichtet hatte. Nach einer Weile näherte er sich ihr.

»Was doch Thora gewachsen und hübsch geworden ist,« bemerkte der Graf und blickte sie mit väterlicher Zärtlichkeit an.

»Ach! Wie glücklich es sich trifft, daß der Herr Graf jetzt zurückgekommen ist!« sagte Thora mit einer vor Bewegung zitternden Stimme.

»Hat Thora während dieser Zeit an mich gedacht?« fragte der Graf.

»Jeden Tag!« versicherte Thora entzückt, obgleich nicht ganz der Wahrheit gemäß.

Der Graf wandte sich mit einigen verbindlichen Worten an Nina und endlich auch an Axel, indem er fragte:

»Wenn ich recht hörte, so war der Name des Herrn Lieutenant Behrend?«

»Ja, mein Name ist Behrend.«

»Aus welche Lande?«

»Aus Bayern.«

»Vielleicht ein Sohn des General Behrend?« Der Graf fixirte Axel scharf.

Eine dunkle Röthe verbreitete sich über Axels Gesicht, als er antwortete:

»Nur ein Verwandter.«

»Ich kann Grüße bringen von den Verwandten des Herrn Lieutenant in München; ich war bei dem Grafen Schek mit Allen in Gesellschaft; ebenfalls vom General, den ich schon hier in Stockholm getroffen habe.« Der Graf sprach diese Worte mit starker Betonung aus, und betrachtete Axels von Gemüthsbewegung aufgeregtes Gesicht. Darauf stand er auf und ging hin, um sich mit dem Kapitän zu unterhalten.

Als Axel sich unbemerkt glaubte, beugte er sich zu Thora herab und flüsterte:

»Du bist ziemlich intim mit dem Menschen, da er es wagt, dich auf eine solche familiäre Weise anzureden. – Welches Recht hat er dazu? Ich weiß nicht, wen ich verächtlicher finden soll, dich oder ihn. Ihn, welcher vor einer ganzen Gesellschaft sich einer solchen Sprache gegen dich bediente, – oder dich, welche lachend antwortete.«

Axel erhob sich, um zu gehen; aber Thora ergriff angstvoll seine Hand und blickte ihm in sein bleiches entstelltes Gesicht. Sie war so aufgeregt, daß die Worte auf ihren geöffneten Lippen erstarben.

Nina, ein stummer aber aufmerksamer Zeuge, sprach leise und ernst zu Axel: »Vergessen Sie sich nicht, Axel; besinnen sie sich, wo Sie sind, und geben Sie keinen Anlaß zu einem Auftritt vor den Augen des Vaters der Thora, des Grafen Falkenhjelm

»Was sagen Sie, er – Thoras Vater?« antwortete Axel erstaunt und setzte sich.

»Ja, Thoras Vater! Im Fall, daß sie Ihnen nichts davon gesagt hat, thue ich es jetzt, und ich hoffe, daß er, welcher sie liebt, auch über das künftige Glück Thoras wachen wird.«

»Stille, Nina, ich bitte; Sie sehen ja, daß ich leide,« unterbrach sie Axel und beugte sich nachher zu Thora herab und flüsterte in flehendem Tone:

»Verzeihe mir, mein Engel; wer weiß es besser als ich, wie rein und unschuldig du bist! O sprich es aus, daß du mir verzeihst!«

Thora lächelte ihm durch ihre Thränen entgegen, und antwortete: »Das ist schon vergessen.«

Nina saß bestürzt da; sie war auf einmal in das Verhältniß zwischen Thora und Axel eingeweiht worden. Thoras Liebe hatte ungehemmt eine solche Höhe erreicht, daß Axel mit einem Blick, mit einem freundlichen Wort, sie eine Beleidigung vergessen machen konnte. Nina dachte mit beklommenem Herzen daran, wie unverantwortlich leichtsinnig die Majorin gehandelt. Der Graf hatte auch das, was sich zwischen Thora und Axel zugetragen, bemerkt und aufgefaßt. Kurz darauf verabschiedete er sich.

Als Kapitän Ahlrot ihn hinausbegleitete, bemerkte er gegen ihn: »Ich wünsche Thora morgen um zwölf Uhr zu Hause zu sehen.«


Bevor wir in unserer Schilderung und den Ereignissen des Abends fortfahren, wollen wir sehen, was während dieser Zeit Cordula und Knut vorhatten. Sie saßen an einem der Fenster des etwas dunkeln Saales.

»Ich muß es, weil mein Gefühl für dich niemals etwas anderes werden kann, als das einer Schwester. Auf meinem Dasein ruht ein düsterer Schatten, welcher es mir unmöglich macht, Frieden oder Glück in der Ehe suchen oder finden zu können. Mein Lebensziel ist nicht das der Freude.«

»Aber, Cordula, das ist doch kein stichhaltiger Grund für dich, einen treuen Freund und ein unabhängiges Leben von dir zu weisen. Als ich mein väterliches Erbe Bjursdal kaufte, und aus Neigung mich der Landwirthschaft widmete, da stand in der Fernsicht der Zukunft immer dein Bild vor mir. Hast du das Herz, aus bloßer Laune diesen meinen einzigen Traum zu vernichten?«

»Solltest du lieber wollen, daß ich mit einem kalten und bittern Gefühl im Herzen deine Frau würde und dich dann durchs ganze Leben an meiner Seite frösteln ließe? Nein, lieber Knut, mein Gemüth ist nicht sehr weiblicher Natur, und ich würde mich niemals unter das Joch der Ehe beugen können, ohne daß sie damit endete, dich und meine Pflichten zu hassen. Mein Selbstgefühl sträubt sich gegen den Zwang, welchem ich mich unterwerfe, indem ich abhängig werde; ich empfinde Groll statt Dankbarkeit, wenn ich Almosen empfange, welche mir aus Mitleid, aber nicht als ein mir von Rechts wegen gehöriges Eigenthum hingeworfen werden. Ich hasse alle Bande, verabscheue Alle, welche mir solche auferlegen, und werde sie einst alle mit Füßen treten.«

Cordula sprach in verächtlichem Tone, und Knut hörte ihr mit Bestürzung zu.

In demselben Augenblick trat der Graf aus dem Salon. Cordula flüsterte Knut zu:

»Wäre ich die gefeierte und schöne Tochter des reichen Grafen Falkenhjelm, dann, dann …«

Hier schwieg sie und entfernte sich.

Cordula war von Knut eine ruhige, unabhängige und geachtete Stellung im Leben angeboten worden, aber sie entsagte derselben, um sich der Gewalt einer düsteren Leidenschaft, welche sie beherrschte, hinzugeben. Wer kann wohl leugnen, daß der Mensch in einem solchen Falle den Faden seines eigenen Schicksals spinnt?


Nach dem Souper ging Axel zu Nina und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Ich habe eine Bitte an Nina.«

»Welche denn?« fragte sie kalt.

»Antworten Sie mir aufrichtig; beabsichtigt Nina es zu verrathen, auf welchem Fuße Thora und ich miteinander stehen?«

» Verrathen! – Nur derjenige braucht sich davor zu fürchten, welcher sich bewußt ist, etwas Böses gethan zu haben.«

Nina wandte sich von ihm weg.

»Bleiben Sie, ich bitte! Das war keine ehrliche Antwort.«

»Dann will ich Ihnen eine geben, die deutlich sein wird; morgen weiß Thoras Vater Alles, was ich in Beziehung auf Sie und Thora selbst weiß.«

»Ich bitte um Erlaubniß, ein paar Worte sagen zu dürfen. Sie müssen um Thoras willen mich anhören. Kommen Sie an dieses Fenster, ich werde nicht weitläufig werden.«

»Mag es sein, um Thoras willen.«

Nina näherte sich dem angedeuteten Fenster. Die Uebrigen gingen, von Thora begleitet, in das Arbeitszimmer derselben, um einige Zeichnungen einzusehen.

»Unterlassen Sie es, Graf Falkenhjelm etwas zu sagen, das ihn veranlassen könnte, von mir eine Erklärung in Beziehung auf meine Absichten auf Thora zu verlangen; denn ich kann jetzt eine solche nicht geben, sondern es würde nur zu einem unangenehmen Auftritt führen. Wollen Sie dadurch mich von Thora trennen, so sagen Sie mir doch, wozu das nützt, da ich binnen achtundvierzig Stunden auf dem Wege nach München bin? Mir ihr Herz zu entreißen, steht weder in Ihrer noch in des Grafen Macht. Mich zwingen zu wollen, daß ich aufhöre, sie zu lieben, ist ebenso vergeblich, denn ich habe geschworen, daß sie früher oder später mir gehören muß. Noch hat keine menschliche Macht es vermocht, zwischen mich und das Ziel meines Willens zu treten; der erste Versuch, es zu thun, würde unheilbringend werden. Betrachten Sie mich genau und sagen Sie mir, ob Sie glauben, daß meine Worte leere Drohungen sind.«

Nina blickte zu ihm auf; sein Gesicht hatte einen harten und unbeweglichen Ausdruck; sie schauderte zusammen.

»Warum können Sie sich denn nicht mit Thora verheiraten?«

Axel beugte sich über sie herab und flüsterte ihr einige Worte ins Ohr. Sie machte dabei einen Schritt zurück, und rief mit vor Abscheu flammenden Augen:

»Sie sind ein Elender

Damit wandte sie sich von ihm ab, um fortzugehen.

»Nina, Sie müssen schweigen, bis ich selbst mit Thoras Vater gesprochen, wenn Thoras Leben Ihnen lieb ist,« bemerkte Axel und ergriff ihre Hand, welche er krampfhaft drückte.

»Sie sind einem Kampfe mit mir nicht gewachsen,« fügte er mit einem entsetzlichen Ausdruck hinzu. »Nehmen Sie sich in Acht, meine wilden und unheimlichen Leidenschaften zu erregen; denn in demselben Augenblick, in welchem Sie mir Thoras Liebe rauben, tödte ich sie. Ich verlange nur, daß Sie vierundzwanzig Stunden schweigen. Nun, Ihre Antwort?«

Axel war bleich und kalt wie Marmor; Nina fuhr mit der Hand nach der Stirne; sie athmete hastig und unruhig. Es war ein entsetzlich peinlicher Augenblick für die gute und rechtlich denkende Nina; endlich sprach sie:

»Ich verspreche denn zu schweigen, aber nur unter einer Bedingung.«

»Und die ist?«

»Daß Sie mir dagegen schwören, nichts gegen Thora zu unternehmen, oder sie zu einer Handlung zu überreden, welche für sie und ihre Angehörigen Unheil bringen könnte. Schwören Sie mir bei Ehre und Gewissen, daß Sie abreisen werden, ohne sich noch mehr gegen dieses Haus zu Schulden kommen zu lassen.«

»Ich schwöre es bei Ehren und Gewissen!« Nina entfernte sich, ohne ein Wort mehr zu sagen.

Axel blieb stehen und lehnte seine kalte Stirne gegen die Fensterscheibe. Seinem Gedächtniß schwebten Lysanders Worte vor: » Kinder spielen mit Würfeln; Männer mit Eiden


Die Nacht war bereits vorgerückt, und noch saß Axel in seinem Zimmer in Gedanken von wenig angenehmer Natur versunken. Nur ein einziger Tag trennte ihn von dem Tage, von welchem er glaubte, Thora entführen zu können, und doch wie viele Hindernisse erhoben sich jetzt nicht gegen die Ausführung seines Planes. Thoras Vater! Beim Gedanken an ihn knirschte Axel mit den Zähnen vor Zorn. Der Graf trat vor seine Einbildung wie ein böser Geist, welcher sich drohend zwischen ihn und Thora stellte. Aber Axel gehörte nicht zu denjenigen, welche sich aufhalten lassen, wenn sie auf einen Widerstand stoßen, oder darum dem Erfolge ihrer Unternehmung mißtrauen. Er verließ sich blind auf seine eigene Fähigkeit, die Ereignisse zu beherrschen, und wog durchaus nicht die Mittel, wenn sie ihn nur zum gewünschten Ziele führten. Er war schon mit seiner Handlungsweise im Klaren, wie er der drohenden Gefahr entgehen könnte. Er wollte selbst zum Grafen gehen, und ihm zeigen, daß Thoras Ruhe es verlange, daß er über das, was er wisse, so lange schweige, bis Axel fort sei. Mit diesem Vorsatz erhob er sich, um zur Ruhe zu gehen, und murmelte dabei vor sich hin:

»Ich besuche also den Grafen morgen ganz früh, bevor er noch mit Thora, zusammengetroffen, und beuge dadurch einer Erklärung zwischen ihnen vor; denn, daß er wußte, was er nicht wissen durfte, das las ich in seinem Blick.«

Darauf nahm er das Licht; erhielt aber in demselben Augenblick einen leichten Schlag auf die Schulter. Ueberrascht wandte er sich um und befand sich Angesicht zu Angesicht mit – Cordula.

»Sie wollen Thora mit sich wegführen; aber ohne mich soll es nicht gelingen,« begann Cordula kalt.

Ueber Axels Lippen glitt ein eigenes Lächeln, als er antwortete:

»Sie irren sich, Cordula.«

»Ich glaube Ihnen nicht, ich sehe schärfer und weiter als die Anderen. Ich habe gewacht und spionirt, und Sie durchschaut.«

Cordulas Ton war bestimmt.

»So – Aber bedenken Sie, wenn ich Ihnen denselben Dienst leistete, wenn ich Ihnen den Grund Ihrer Scharfsicht erklärte?«

Der Ton Axels war spottend.

»Nun, lassen Sie einmal hören, ich fordere Sie heraus!«

»Eifersucht!«

Dieses einzige Wort, welches in einem Tone voll Ironie ausgesprochen wurde, machte die Wangen Cordulas vor Verdruß erröthen; sie maß Axel mit einem Blick voll Zorn.

»Sie sind ein Narr, Herr Lieutenant! Aber lassen wir das, denn Ihre Gedanken sind mir in dieser Beziehung gleichgültig. Antworten Sie nur: Wollen Sie, daß es Ihnen gelinge, Thora zu entführen, oder wollen Sie, daß es Ihnen mißlinge?«

»Lassen Sie uns des Spasses halber annehmen, daß ich eine solche thörichte Absicht hätte, dann verstände es sich von selbst, daß ich wünschte, daß es mir gelinge; aber was könnten Sie dabei machen?«

»Alles!«

»Oh, charmant! Aber auf welche Weise?«

»Lassen Sie ab von diesem spottenden Ton, ich finde keinen Spaß daran, und hören Sie statt dessen, wie ich Ihren Plan vernichten kann. Morgen ganz früh gehe ich zu Graf Falkenhjelm und sage: Nehmen Sie Ihre Tochter in Acht, man beabsichtigt, sie zu verlocken, vom Hause zu entfliehen und mit Lieutenant Behrend abzureisen. Nun, was glauben Sie wohl, was der Graf dann thut?«

»Das weiß ich nicht, aber die Denunciation wäre falsch.«

Axel war ernst geworden.

»Hat nichts zu bedeuten. Der Graf wird doch daran glauben, weil er Ihnen mißtraut, und wird mit seiner Tochter aus der Stadt fortreisen, bis Sie sicher fort sind. Nun sagen Sie, wollen Sie mich zu Ihrem Verbündeten haben?«

»Ob ich es will? Unter welchen Bedingungen?«

»Unter der Bedingung, daß ich Thora nach München begleiten darf, nachher verlasse ich Sie.«

»Warum wollen Sie nach München?«

»Das gehört durchaus nicht hieher; genug, ich will, und muß dorthin. Gehen Sie auf meinen Vorschlag ein, dann verpflichte ich mich, ohne Aufsehen zu erregen, Thora am Donnerstag um zwölf Uhr an Bord zu führen und darüber zu wachen, daß sie nicht in ihrem Entschluß wankend wird. Nun gut, Ihre Antwort?«

Axel stützte sich an den Tisch und betrachtete Cordula scharf; er hätte ein Jahr seines Lebens darum geben wollen, um in ihrer Seele lesen, und die Beweggründe dieser wenig ehrenhaften Handlungsweise erklären zu können. Aber vergebens; ihr Inneres war und blieb für Alle ein verschlossenes Buch.

»Wenn ich darauf eingehen würde, wer garantirt mir dafür, daß Sie mir nicht eine Schlinge legen?«

»Mein eigener Wunsch, hinauszukommen.«

»Dessen Motive ich nicht kenne.«

»Nun, thun Sie, wie Sie wollen. Gehen Sie darauf ein, dann helfe ich Ihnen; weigern Sie sich aber, dann können Sie aber auch darauf rechnen, daß ich Sie verrathe.«

»Ich nehme Ihren Plan an, an welchen ich indessen früher nie gedacht,« antwortete Axel nach einigem Bedenken; »aber unter der Bedingung, daß ich meinem Bedienten läuten darf, damit er Ihnen begegnet, wenn Sie von hier fortgehen.«

»Was ist Ihre Absicht damit?«

»Wenn Sie mich täuschen, dann räche ich mich dadurch, daß ich sage, daß die Eifersucht Ihnen die Anklage diktirt hatte, weil Sie meine Geliebte gewesen. Mein Bedienter kann die Wahrheit meiner Worte bezeugen, da er Sie bei Nachtzeit bei mir gesehen hat,« antwortete Axel lächelnd. »Ich liebe es nicht, mich mir nichts dir nichts in die Gewalt von irgend Jemanden zu begeben; man muß immer einen Ausweg haben, um die Verrätherei zu bestrafen, oder wenigstens zu verhindern.«

Eine Sekunde flammte die Röthe des Zorns auf den Wangen Cordulas. Darauf ergriff sie selbst den Glockenzug und läutete. Nachdem dieß geschehen, näherte sie sich der Thüre und sagte:

»Leben Sie wohl, wir verstehen uns vollkommen. Schaffen Sie Plätze und Pässe sowohl für mich wie für Thora.«

Sie öffnete die Thüre und begegnete in derselben dem Bedienten von Axel, welcher mit einem zweideutigen Lächeln auf die Seite trat, und sie vorbeipassiren ließ.

»Kein Wort von derjenigen, welcher du begegnetest, Gotthard, sofern dein Dienst dir lieb ist.«


Am folgenden Tage um zwölf Uhr trat der Graf Falkenhjelm in Thoras Arbeitszimmer. Ein Zufall hatte den Grafen veranlaßt, schon so früh sein Haus zu verlassen, so daß er, als Axel ihn um zehn Uhr Morgens besuchen wollte, bereits ausgegangen war.

Bei der Ankunft des Grafen stand Thora vor dem fast vollendeten Bilde » Der Abschied«, einem kleinen Oelgemälde. Man konnte kaum etwas Vollendeteres sehen, als dieses Bild. Der Ausdruck des Gesichts war so sprechend und so lebhaft, daß derselbe Alles wiedergab, was das Herz an Wärme besitzt.

Ein Ausruf der Bewunderung entschlüpfte dem Grafen, als er an Thoras Seite vor der Staffelei stand.

»Mein Kind, du kannst stolz auf diese Arbeit sein. Wenige von deinem Geschlecht haben etwas so Vollkommenes hervorgebracht, und wahrscheinlich in so jungen Jahren Niemand,« bemerkte der Graf. »Dieses hier ist indessen nur ein Porträt,« fügte er hinzu, indem er auf den Krieger deutete, welcher eine gar zu treue Copie von Axel war. Thora erröthete und schwieg.

Der Graf sprach eine Weile von den künstlerischen Anlagen seiner Tochter und von der ruhmvollen Zukunft, welche sich dadurch für sie eröffnete. Er erkundigte sich nach dem Unterrichte, welchen sie in seiner Abwesenheit genossen, sowie nach der Entwicklung, welche sonst ihre intellektuelle Bildung erhalten.

»Du bist talentvoll und schön geworden; aber bist du auch verständig? Sage mir Eines: Du scheinst dich in jenen hübschen Deutschen verliebt zu haben?«

»Ja, ich liebe ihn, mein Vater,« antwortete Thora erröthend.

»Und er?«

Bei diesen Worten runzelte der Graf die Stirne.

»Blicke mich nicht so an,« flehte Thora und ergriff des Vaters Hand. »Auch er liebt mich aus seiner ganzen Seele. Wenn er den Frühling wieder hierher zurückkehrt, beabsichtigt er bei dir um Thoras Hand anzuhalten.«

»Und während der Zeit hat er dir das Versprechen abgelockt, ihm zu gehören, nicht wahr?« rief der Graf hitzig.

»Werden Sie nicht böse, ich habe ihm in der That Liebe und Treue versprochen. Ach! mein Vater, werfen Sie einen Blick auf dieses Bild und sagen Sie, ob Sie nicht finden, daß man grenzenlos lieben muß, um lediglich aus dem Gedächtnisse jeden Zug so treu wiedergeben zu können, daß das Bild dessen, welchen man mit so vieler Sicherheit auf die Leinwand überträgt, alle unsere Gefühle, Gedanken und Wünsche beherrschen muß?« …

»Aber weißt du denn nicht, daß er verheiratet ist?«

» Verheiratet!« schrie Thora und stürzte auf den Grafen zu, indem sie verzweifelt und schaudernd seinen Arm ergriff. – »O nein, nein, es ist nicht so, es kann unmöglich so sein!«

Thoras Aussehen wurde entsetzlich, die Augen hatten einen irrsinnigen Ausdruck und ihr Körper bebte.

Mit Schrecken sah der Graf die Wirkung seiner Worte, und er fürchtete, daß der Schlag, welcher sie so unvorbereitet traf, ihr den Verstand rauben würde. Er beeilte sich deßhalb hinzuzufügen:

»Komm wieder zu dir selbst, Thora, ich weiß nichts Bestimmtes, vielleicht verwechsle ich ihn mit irgend einem seiner Verwandten. Sei indessen ruhig, ich werde mir darüber nähere Aufklärung verschaffen, und morgen selbst mit ihm sprechen.«

»Ach ja, es ist gewiß ein Irrthum!« antwortete Thora, und führte die Hand an die Stirne, um ihre Gedanken zu sammeln. Sie hatte ein Gefühl, als wenn ein glühendes Eisen durch ihr Hirn gefahren wäre.

»Er hat sowohl mir wie meiner Tante selbst gesagt, daß er einen verheirateten Bruder hat,« fügte Thora nach einer Weile hinzu.

»Der Schurke hat keinen Bruder,« dachte der Graf, sagte aber nichts, sondern suchte nur Thora zu beruhigen und sie zu bewegen, über Alles, was Axel betraf, Auskunft zu geben. Beim Abschiede fragte er:

»Was gedenkst du heute zu thun?«

»Ich bin bei meiner Cousine Nina Adler eingeladen.«

»Dann wünsche ich, daß du die Nacht bei ihr bleibst. Ich werde dich selbst morgen abholen, wenn ich mit dem Deutschen gesprochen habe. Jetzt habe ich nur einige Worte deiner Tante zu sagen.«

Der Graf küßte mit einem wehmüthigen Seufzer die Stirne der Tochter.

Was zwischen dem Grafen und der Majorin verhandelt wurde, wissen wir nicht; als sie aber Alle bei dem Mittagstische versammelt waren, lag etwas Kaltes und Fremdes in ihrem Benehmen gegen Axel. Dabei beschäftigte sie Thora auf eine so geschickte Weise, daß diese unmöglich Gelegenheit bekommen konnte, ein einziges Wort mit ihm zu wechseln. Der Mittagstisch war langweilig und einförmig. Nach dem Schluß desselben eilte Axel auf seine Zimmer. Thoras verweinte Augen und das abgemessene Benehmen der Majorin sagten ihm, daß irgend etwas vorgefallen sei.

Kurz darauf flüsterte Cordula Thora zu:

»Axel bittet mich, dir zu sagen, daß er dich nothwendig sprechen muß.«

»Antworte ihm, daß er mich um fünf Uhr an den rothen Krämerläden treffen kann,« sagte Thora und ging jetzt hinaus, um sich anzuziehen.

Eine Stunde später waren sie und Cordula bereit, sich zu Nina zu begeben.

»Ich habe deinem Vater versprochen, daß du bei Nina bleiben würdest, bis er dich abholt,« bemerkte die Majorin. »Adieu, mein geliebtes Kind, amüsire dich jetzt und sei heiter. – Um 10 Uhr schicke ich Lotta zu Cordula. – Jetzt könnt ihr fahren;« und damit küßte Frau Alm die seufzende Thora.

Der Wagen hielt am Thor von Ninas Hause an und die beiden Mädchen hüpften heraus.

»Geh du hinauf, Cordula, ich komme gleich nach,« bat Thora, als der Wagen fort war.

»Sei ruhig, ich finde schon irgend einen Vorwand für dein Ausbleiben,« antwortete diese und sprang die Treppe hinauf.

Mit leichten Schritten und klopfendem Herzen eilte Thora hinunter zu den rothen Läden, wo Axel, in einen Mantel gehüllt, sie bereits erwartete.

»Mein Gott! was hat sich zugetragen? – ich habe deine verweinten Augen gesehen. – Du, meine geliebte Thora, weinen – und weßhalb?« rief er ihr entgegen.

Thora nahm seinen Arm und beide schlugen die Richtung nach der Königsholmsbrücke ein. – Thora theilte ihm jetzt ihr Geständniß an den Vater, sowie dessen Entschluß, am folgenden Tage Axel sprechen zu wollen, mit. Schließlich fügte sie wehmüthig lächelnd hinzu:

»Was meinst du, – er behauptete, daß du verheiratet seiest

Axel schwieg, aber Thora fühlte, daß sein Arm zitterte.

Eine Todeskälte durchschauerte ihr Herz. Sie war so überzeugt gewesen, daß er diese Beschuldigung mit Lachen erwidern würde, daß sein Schweigen sie gleich einem Donnerschlage traf. – Ein heftiger Schmerz fuhr durch ihren Kopf und mit unbeschreiblicher Angst fragte sie:

»Axel! kann das wahr sein? – Bist du wirklich verheiratet

Thoras Augen sahen fast wild aus und ihre Wangen waren schneeweiß.

Mit abgewendetem Gesichte und zitternder Stimme antwortete Axel:

»O meine arme, geliebte Thora! Ich habe dich betrogen; – ich bin verheiratet

Nicht ein Laut kam über Thoras Lippen, einen Augenblick blieb sie aufrecht stehen, dann schwankte sie aber und würde zu Boden gestürzt sein, wenn Axel sie nicht in seinen Armen aufgenommen und sie zu einem Haufen Bretter hingeführt hätte, auf welche er sie niedersetzte.

Vergebens verschwendete Axel zärtliche Bitten und Schmeicheleien, seine Worte gingen an ihren Ohren vorbei, ohne daß sie dieselben hörte, und doch war Thora nicht in Ohnmacht gefallen, denn ein kurzes und heftiges Athmen bewegte ihre Brust. Die großen dunkeln Augen schienen größer und dunkler als gewöhnlich zu sein, aber das Leben und das Feuer in denselben war ausgelöscht. Der Blick war kalt und klar wie der Mond, welcher das arme, durch eine zügellose Leidenschaft um ihr ganzes Lebensglück bestohlene Mädchen mit seinem matten Schimmer beleuchtete.

Noch fanden sich indessen in Thoras Kopf einige dunkle Gedanken, denn sie erhob sich und sprach mit fast lautloser Stimme:

» Fort von hier, ich will zu meinem Vater

Ein einziges Mal flüsterte Thora während der Wanderung nach Ninas Wohnung, die Axel wie ein Vorgeschmack des Fegefeuers vorkam, mit ihrer tonlosen und traurigen Stimme:

» Er ist verheiratet

Axel trug sie die Treppe hinauf zu Nina und fragte bei seinem Eintreten heftig:

»Ist der Doktor zu Hause? – Thora ist krank, helfen Sie ihr, Nina.«

»Heinrich findet man beim Doktor M.,« antwortete Nina und führte Thora nach dem Sopha. Axel stürzte hinaus.

»Ich will schlafen,« flüsterte Thora und strich mit der Hand über die Stirne. Von Cordula unterstützt, brachte Nina sie zu Bette.

Axel kam mit Doktor M. wieder, ohne Heinrich getroffen zu haben. Als dieser Thora ganz ruhig gegen die Wand gekehrt liegen fand, sagte er:

»Sie schläft, es ist am besten, sie ungestört zu lassen, bis sie von selbst erwacht.«

Nachdem der Doktor sich entfernt hatte, erzählte Axel, was vorgefallen war.

Ein paar Stunden darauf kam Heinrich nach Hause. Nachdem er von dem Vorgefallenen unterrichtet worden war, ging er hinein zu Thora, beugte sich über sie herab und betrachtete sie lange. Weiß wie Schnee, die Augen offen und gegen die Wand gerichtet, lag Thora da, ohne irgend ein anderes Lebenszeichen, als daß die Brust durch das Athmen sich hob und senkte. Als Heinrich sich wieder erhob, war er fast ebenso bleich wie sie. Nina wagte keine Frage an ihn zu richten.

Mit langsamen Schritten ging er in das Zimmer hinaus, in welchem Axel sich befand.

»Wie steht es mit Thora?« fragte dieser voll Angst.

»Heute Abend kann ich nichts sagen: aber morgen werde ich dem Herrn Lieutenant antworten.«

Heinrichs Stimme war scharf und kalt.

Kaum sich dessen bewußt, was er that, kehrte Axel, ein Raub der quälendsten Gemüthsbewegungen nach Hause zurück.

Ganz früh am folgenden Morgen wurde an Graf Falkenhjelm geschickt und er erfuhr, als er bei Heinrich ankam, daß Thora – irrsinnig geworden sei.

Nachdem er sich eine Stunde bei seiner unglücklichen Tochter aufgehalten, warf der Graf sich sehr aufgeregt in seinen Wagen und befahl dem Kutscher, ihn nach dem Hause der Majorin Alm zu fahren. Er trat bei Axel ein, gerade als dieser im Begriff war, zu Heinrich zu gehen, um sich nach dem Zustande Thoras zu erkundigen.

Was zwischen diesen beiden Herren, – welche beide, obgleich auf verschiedene Weise, mit den Frauenherzen gespielt, – gesprochen wurde, das ist überflüssig zu erwähnen. Beide waren sogenannte Männer von Ehre, welche gegen jeden eine blutige Rache genommen haben würden, der es gewagt hätte irgend einen Zweifel über ihre Ehrenhaftigkeit laut werden zu lassen, und doch wie ehrlos hatten sie nicht gegen diese Frauen gehandelt, deren größter Fehler darin bestand – daß sie dieselben geliebt hatten. O, ihr Männer von Ehre! – wie wenig findet sich bei euch von wahrem Ehrgefühl!

»Wenn Sie nicht, wie Sie beabsichtigten, heute abreisen,« sagte der Graf, »dann finde ich mich veranlaßt, bei Ihrem König einen Bericht darüber zu erstatten, wie ein bairischer Offizier bei uns die Gastfreundschaft verletzt hat.«

»Ich reise,« antwortete der Lieutenant. »Ich schwöre es bei meiner Ehre.«

Er sprach noch von Ehre; – denn was thut nicht die Gewohnheit?

»Ich bin zufrieden,« sagte der Graf und ging; er glaubte auch aus Gewohnheit an das Ehrenwort jenes Mannes.

Kurz nachdem sich der Graf entfernt hatte, erhielt Axel folgendes Billet:

 

»Reisen Sie ruhig ab und verlassen Sie sich auf mich. Man täuscht Sie, um Sie von hier fortzubekommen. Thora ist bereits wieder hergestellt. Wir werden uns auf dem Dampfschiffe treffen.

Cordula

 

Am folgenden Tag wurde auch die Majorin von Thoras Unglück in Kenntniß gesetzt; man hatte bis dahin damit gewartet. Der Kummer darüber hätte ihr beinahe das Leben gekostet. Sie mußte jetzt, obgleich spät genug, einsehen, daß ihre Handlungsweise unverantwortlich leichtsinnig gewesen war.

Axel war abgereist und Cordula – war verschwunden.

Zu welchen Vergehen können nicht die Grausamkeit des Egoismus und die verblendete Liebe, sowie die ungezügelten Leidenschaften den Menschen führen! –


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