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[Abraham Lincoln]

Kein Amerikaner kann sich ohne eine gewisse Überschwenglichkeit des Gefühls mit der Persönlichkeit und dem Lebenslaufe Abraham Lincolns beschäftigen. Wir sind eben stets geneigt, das, was wir lieben, zu idealisieren; und diese Gemütsverfassung ist für nüchterne Kritik und sachliches Urteil sehr ungünstig. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die meisten derjenigen, welche über diesen außerordentlichen Menschen geschrieben oder gesprochen haben, selbst wenn sie sich gewissenhaft bemühten, ein in allen Zügen genau ähnliches Bild zu zeichnen und eine gerechte Würdigung seiner öffentlichen Tätigkeit darzubieten, doch in eine Strömung von mehr oder weniger unterschiedslosen Lobeserhebungen geraten, seine Vorzüge in den glühendsten Farben schildern und alles, was auch nur wie der geringste Tadel erscheinen könnte, möglichst in den Schatten rücken.

Lincolns Stellung in der Weltgeschichte gewinnt jedoch weder durch das bloße Lob seiner Charaktereigenschaften und Fähigkeiten, noch durch das Verschweigen der Grenzen seines Könnens und seiner Fehler an Bedeutung. Das Bild dieses großen Mannes, dessen besonderer Reiz darin bestand, daß er so anders war wie alle anderen großen Männer, kann durch schwärmerisches Idealisieren, das so leicht trivial wird, eher verlieren als gewinnen. Denn gerade die eigentümliche Verschmelzung der Eigenschaften und Kräfte seiner Persönlichkeit, das Gemisch von Erhabenem und Alltäglichem, von idealer Gesinnung und derbem Wesen, von dem, was er geworden war, und dem, was er nicht aufgehört hatte zu sein, machte ihn zu einer hervorragenden und fesselnden Persönlichkeit, verlieh ihm eine eigentümliche Macht über die Geister und Herzen seiner Landsleute und befähigte ihn, in der schwersten Krisis, die im nationalen Leben Amerikas je entstanden ist, ihr größter Führer zu sein.

In der Tat war er ein merkwürdiges Erzeugnis amerikanischer Verhältnisse. Staatsmänner und Feldherren, die in einer Blockhütte geboren und erzogen wurden, sind freilich in der amerikanischen Geschichte keine Seltenheit; aber wir können unter unseren berühmten Männern vergebens einen suchen, dessen Abkunft und dessen Jugendjahre so elend waren, wie diejenigen Abraham Lincolns. Er erblickte das Licht der Welt in Kentucky, in einer armseligen Hütte. Die väterliche Farm bestand aus ein paar unfruchtbaren Morgen Landes in einer öden Gegend. Sein Vater war der Typus eines »armen Weißen« aus den Südstaaten, im höchsten Grade unpraktisch, ohne jeden Gedanken der Fürsorge für die Zukunft und ohne allen Ehrgeiz, weder für sich noch für seine Kinder; er schaute stets nach einem andern Stück Land aus, wo er seinen Lebensunterhalt verdienen könnte, ohne viel zu arbeiten. Die Mutter war in ihrer Jugend hübsch und frisch gewesen, aber sie war durch die täglichen Sorgen und Kümmernisse vorzeitig gealtert, ihre Schönheit verblüht, ihr Gemüt verbittert. Das ganze Haus war schmutzig, verkommen, freudlos, aller erhebenden Elemente bar. Das wurde erst anders, als die Familie nach den fieberverseuchten Urwäldern von Indiana »ausgewandert« war, als die Mutter starb, und eine energische, praktische und sparsame Stiefmutter die Sorge für die Kinder auf sich nahm. Dann erst begann der einsame, verwahrloste, nunmehr siebenjährige Knabe, der barfuß und in Lumpen gehüllt umherlief, »sich als Mensch zu fühlen«. Schwere Arbeit war schon früh sein Los. Als Knabe mußte er bereits zur Erhaltung der Familie mit beitragen, entweder auf seines Vaters dem Urwald abgerungener Farm, oder als Tagelöhner bei anderen Farmern, wo er pflügen, Gräben ziehen, Ochsenwagen fahren oder gar, wenn die Farmersfrau sonst in Anspruch genommen war, das Kind in der Wiege hüten mußte. Er konnte es einen großen Fortschritt, gewissermaßen das Eintreten in ein höheres Tätigkeitsgebiet nennen, als er in dem »Laden an der Wegkreuzung« Arbeit erhielt. Hier unterhielt er die Kunden am Ladentisch durch seine lebhaften Gespräche und erwarb sich bald bei den Hinderwäldlern den Ruf eines Mannes, dem es sich lohnte zuzuhören. Um diesen Ruf zu erlangen und zu erhalten, war er eigentlich ganz auf seinen eigenen Mutterwitz angewiesen, denn, wenn auch sein Wissensdurst groß war, so gab es betrübend wenig Gelegenheiten ihn zu stillen.

In der Schule, einem entlegenen Blockhause, das er nur wenig besuchen konnte, bot sich ihm nur Gelegenheit Lesen, Schreiben und etwas Rechnen zu lernen. Unter den Ansiedlern, Buschfarmern und kleinen Händlern, fand er keinen von außerordentlicher Intelligenz oder Bildung; aber einige besaßen ein paar Bücher, und diese borgte er fleißig. Er las wiederholt die Fabeln des Aesop und lernte aus ihnen, eine Sache knapp und zugespitzt zu erzählen und seine Rede mit Gleichnissen zu schmücken. Er las Robinson Crusoe; er las die bei den englischsprechenden Nationen so verbreitete religiöse Allegorie John Bunyans: The Pilgrim's Progress. Er las ferner eine kurze Geschichte der Vereinigten Staaten und das Leben Washingtons von Weem. Bei dem Stadtkonstabler las er die revidierten Gesetze und Verordnungen des Staates Indiana. Jedes gedruckte Blatt, welches ihm in die Hände fiel, verschlang er geradezu. Verwandte und Freunde sahen mit Staunen, wie der sonderbare, ungeschlachte Knabe nach der Tagesarbeit in einem Winkel der Blockhütte oder im Schatten eines Baumes sich hinhockte, ganz in ein Buch vertieft, während er langsam an seinem Abendessen von Maisbrot kaute. Auf diese Weise erwarb er allmählich einige Kenntnisse und überraschte die Schwestern manchmal mit erstaunlichen Mitteilungen, so z. B. daß die Erde um die Sonne kreise, und nicht die Sonne um die Erde. Die Mädchen wunderten sich dann sehr, woher wohl nur »Abe« so seltsame Ansichten habe. Bald fühlte er auch den Trieb zum Schreiben; er machte nicht nur Exzerpte aus Büchern, die er nicht zu vergessen wünschte, sondern schrieb kleine eigene Aufsätze. Diese schrieb er erst in Kladde mit Holzkohle auf eine weißgescheuerte Holzschaufel oder auf Schindeln von Lindenholz. Dann machte er eine Reinschrift auf Papier, welches im Lincolnschen Hause ein seltener Artikel war. Also befleißigte er sich sehr, seine Ausdrücke so knapp und inhaltreich wie möglich zu gestalten, um damit möglichst wenig Raum einzunehmen – ein stilbildnerisches Verfahren, das nicht genug empfohlen werden kann. Als er eines Tages sah, wie mutwillige Knaben eine glühende Kohle auf die Schale einer Schildkröte legten, schrieb er sofort über Tierschutz. Der Anblick Betrunkener regte ihn an, über Enthaltsamkeit zu schreiben. Auch im Verseschreiben versuchte er sich und in der Satire auf solche, die ihm oder anderen mißliebig waren – eine Satire, deren derber Witz nicht immer für verfeinerte Ohren taugte. Auch Gedanken über Politik brachte er zu Papier, und einige seiner Artikel wurden sogar für würdig befunden, im »Wochenblatt« des Distriktes veröffentlicht zu werden.

So wuchs sein Ruf als kluger junger Mann in der ganzen Umgegend, und er erhöhte diesen Ruf noch durch seine Leistungen als Redner. Nicht selten zog er sich nämlich die Unzufriedenheit seiner Arbeitgeber dadurch zu, daß er auf freiem Felde, auf irgendeinem Baumstumpf stehend, die Farmarbeiter durch kleine lustige oder auch ernsthafte Reden von ihrer Feldarbeit abhielt. Bei den bäurischen Vergnügungen der Ansiedler wurde er bald eine leitende Persönlichkeit. Er wußte viele Witze zu machen, drollige Geschichten zu erzählen, und die reisenden Wanderprediger, die vorbeikamen, trefflich nachzuahmen, und zugleich wußte er auch bei den Ringkämpfen seinen Leistungen Geltung zu verschaffen, denn schon mit siebzehn Jahren hatte er seine ganze Größe von sechs Fuß vier Zoll englisch in Strümpfen – wenn er gerade welche besaß – erreicht und war ein erschreckend muskulöser, kräftiger Bauernbursche. Er brauchte seine außerordentliche Kraft anerkanntermaßen nie zum Schaden oder zur Demütigung anderer, sondern eher um ihnen einen guten Dienst zu leisten, oder um Geradheit und anständige Gesinnung bei ihnen zu unterstützen. All dieses machte ihn in der Hinterwäldlergesellschaft sehr beliebt, wenn er auch in manchen Dingen seinen Freunden sehr sonderbar vorkam. Nicht nur daß er mehr als all seine Genossen dem Lesen ergeben war, sondern oftmals versank er auch in längeres, tiefes Sinnen oder in seltsame Anfälle von Melancholie, aus denen er dann plötzlich zu übermütigen Ausbrüchen von Heiterkeit erwachte und seinen drolligen Humor lustig spielen ließ. Im ganzen jedoch glich er den Leuten, unter denen er lebte. Äußerlich war er vielleicht noch ungehobelter und derber als die meisten von ihnen – ein großer, starkknochiger Jüngling mit groben Zügen, dunkler, faltiger Haut und widerspenstigem Haar. Er hatte unverhältnismäßig lange Arme und Beine. Letztere staken stets in hirschledernen Hosen, die infolge vielfacher Regenschauer derartig eingelaufen waren, daß sie viel zu eng geworden waren und zwischen ihrem unteren Saum und den schweren braunen Schuhen ein paar Zoll vor Kälte blauangelaufener Haut sehen ließen; meistens waren sie an einem einzigen Hosenträger über dem rauhen Hemd von Hausmacherleinen befestigt. Sein Haupt bedeckte im Winter eine Mütze von Waschbärfell, im Sommer ein grober Strohhut ohne Band und von zweifelhafter Form und Farbe.

Seiner Umgebung scheint er sich kaum überlegen gefühlt zu haben, obgleich er zugab, daß er große Sehnsucht habe, die Welt, die außerhalb seines engen Kreises lag, kennen zu lernen. Seine Sehnsucht wurde erfüllt, aber wie? Mit neunzehn Jahren fuhr er als Schifferknecht auf einem Schleppkahn den Mississippi hinunter nach New Orleans, wählte also zeitweilig einen Beruf, dessen Mitglieder damals noch stolz darauf waren »halb Pferd, halb Alligator« genannt zu werden. Nach seiner Rückkehr lebte und arbeitete er in der altgewohnten Weise bis, im Frühling 1830, sein Vater abermals »auswanderte«, diesmal nach Illinois. Auf der vierzehntägigen Reise dahin mußte »Abe« den Ochsenwagen fahren, der all das Hausgerät der Familie enthielt, wieder wurde eine Blockhütte gebaut, und beim Errichten einer Einfriedigung spaltete Abraham Lincoln jene geschichtlich berühmt gewordenen Holzstämme, die achtundzwanzig Jahre später bei der Präsidentschaftswahlkampagne eine so wirkungsvolle, ja, geradezu dramatische Rolle spielen sollten.

Als er majorenn geworden war, verließ Lincoln seine Familie, um »auf eigenen Füßen zu stehen«. Er mußte »jede Arbeit tun, die sich ihm bot«. Zunächst führte ihn diese wieder als Schifferknecht nach New Orleans, und dort geschah etwas, das einen gewaltigen und dauernden Eindruck auf seine Seele machte. Er wohnte einer Sklavenauktion bei. »Das Herz blutete ihm«, schrieb einer seiner Kameraden. »Er sagte zwar nicht viel; er schwieg, aber er sah schlecht aus. Ich weiß bestimmt, daß er auf dieser Reise sein Urteil über die Sklavereifrage gebildet hat. Damals, im Mai 1831, bohrte sich ihm der Stachel dieser Ungerechtigkeit in die Seele. Ich habe es ihn oft sagen hören.«

Darauf lebte Lincoln mehrere Jahre in New Salem, Illinois, einem jener elenden Dörfer mit einer Mühle und einigen »Läden« und Whiskyverkaufstellen, Dörfer, die damals wie Pilze aus der Erde emporschossen und eben so schnell wieder verschwanden. Sein Leben war öde, ziellos, halb Arbeit, halb Bummelei, mit dem einzigen Zweck, von einem Tag zum andern Nahrung und Wohnung zu erwerben, ein rechtes von der Hand in den Mund leben. Er arbeitete heute als Lotse auf einem Mississippidampfer, morgen als Kommis in einem Laden oder einer Mühle; ging ein Geschäft ein, so war er einige Zeit arbeitslos. Als er genötigt wurde, seine Kräfte mit denen des berühmtesten Raufboldes der Umgegend zu messen, und ihn überwand, wurde er sofort in jener muskelkräftigen Gemeinde eine hervorragende Persönlichkeit. Ja, er gewann sich die Achtung und Freundschaft der Anführer jener Kampfhähne in so hohem Grade, daß, als der Krieg gegen den berühmten Indianerhäuptling Black Hawk ausbrach, sie ihn, einen jungen Menschen von dreiundzwanzig Jahren, zum Hauptmann einer meist aus rauflustigen Burschen ihres Schlages bestehenden Freiwilligenkompanie erwählten. Er führte sie ins Feld; seine beachtenswerteste Heldentat war aber nicht, daß er Indianer tötete, sondern daß er einen alten Rothäuter, der sich in sein Lager verirrt hatte, mit Lebensgefahr vor der Wut seiner eigenen Leute schützte.

Als der Krieg gegen Black Hawk beendet war, wandte er sich der Politik zu. Der Schritt von der Hauptmannschaft einer Freiwilligenkompanie zur Kandidatur für einen Sitz in der Legislatur des Staates erschien als ein ganz natürlicher. Die Beliebtheit, deren er sich beim Volke von New Salem in so hohem Maße erfreute, hatte sich jedoch nicht über den ganzen Distrikt verbreitet, und er unterlag. Darauf fing das jämmerliche von der Hand in den Mund leben von neuem wieder an. Er »errichtete ein Ladengeschäft« mit einem liederlichen Teilhaber, der sich in Whisky betrank, während Lincoln in seinen geliebten Büchern studierte. Die Folge war natürlich ein vollständiger Bankerott und eine erdrückende Schuldenlast. Dann wurde er stellvertretender Feldmesser und wurde zum Postmeister von New Salem ernannt. Die Geschäfte seines Postamts waren so gering, daß er die ein- und ausgehende Post bequem in seinem Hute tragen konnte. All dies konnte ihn selbstredend der Armut nicht entreißen, und so wurden bald seine Feldmeßinstrumente und sein Pferd und Sattelzeug vom Gerichtsvollzieher zur Deckung seiner Schulden verkauft.

In all diesem Elend jedoch strebte sein Ehrgeiz höheren Zielen zu. Er ließ es sich nicht verdrießen, meilenweit zu wandern, um von einem Schullehrer eine Grammatik zu borgen, nach deren Regeln er seine Sprache zu verbessern strebte. Ein Rechtsanwalt lieh ihm ein Exemplar von Blackstones Kommentaren, und er begann eifrig Gesetzeskunde zu studieren. Die Leute betrachteten voll Erstaunen die wunderliche Gestalt, die da im Grase auf dem Rücken lag und die Füße hoch gegen einen Baumstamm gestützt hatte, oder die über ein Buch gebeugt auf einem Zaun saß; er aber lernte inzwischen eifrig und beharrlich, richtige Sätze bilden und Gesetz und Recht verstehen. Er erhielt auch sofort etwas Praxis, indem er vor dem Friedensrichter für Freunde den Advokaten spielte, allerdings ohne Honorar zu beziehen. Sogar schiedsrichterliche Funktionen wurden ihm auferlegt, aber nur bei Pferderennen oder bei Ringkämpfen, wo seine allgemein anerkannte Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Unparteilichkeit seinen Schiedssprüchen unbedingte Anerkennung sicherte. In der Volksgunst stieg er immer mehr; bald konnte er sich wieder als Wahlkandidat für die Legislatur aufstellen lassen. Trotzdem er sich als Whig bezeichnete und ein glühender Bewunderer Henry Clays war, trugen ihm seine witzigen und gehaltvollen Wahlreden den Sieg in einem stark demokratischen Distrikte ein. Damals schenkte er vielleicht zum ersten Male seinem Äußeren ernstlich Beachtung. Bis dahin war er stets mit einem Anzuge aus » Kentucky jeans«, dem im Hause gesponnenen, rauhen Wollstoffe, zufrieden gewesen, der obendrein nicht selten zerrissen, gewöhnlich geflickt und stets sehr abgetragen war. Jetzt borgte er sich von einem Freunde Geld, um sich einen neuen Anzug – einen fertigen Anzug aus dem Laden – zu kaufen, der eines Staatsmannes von Sangamon County würdig wäre. Im Schmuck dieses neuen Gewandes machte er sich auf den Weg nach Vandalia, der Hauptstadt des Staates, um seinen Platz unter den Gesetzgebern einzunehmen.

Seine gesetzgeberische Laufbahn erstreckte sich über drei Sitzungsperioden, denn er wurde dreimal wiedergewählt, 1836, 1838 und 1840, sie war aber nicht besonders hervorragend oder gar glänzend. Es fehlte ihm freilich nicht an Ehrgeiz; es war sogar sein Traum, der »de Witt Clinton von Illinois« zu werden, und er zeichnete sich durch energische und wirksame Arbeit auf dem Gebiete des als » log-rolling« bekannten und auf Gegenleistung beruhenden Verfahrens beim gemeinsamen Handeln aus. Jenes Verfahren trug dem jungen Staate ein »allgemeines System innerer Verbesserungen« ein, welche besonders aus Eisenbahnen, Kanälen und Banken bestanden. Dieser scheinbare Fortschritt erwies sich tatsächlich als eine sehr unvorsichtige und sorglose Politik, welche dem Staate eine unverhältnismäßig schwere Steuerlast aufbürdete und die übliche Ernte von politischer Demoralisation im Gefolge hatte; aber es war eine für die damaligen Zeiten und für den ungeduldigen, unternehmungslustigen Geist der Bewohner des Westens höchst charakteristische Politik. Lincoln war zweifellos von den besten Absichten beseelt, aber er verstand von all den Dingen gar nichts und folgte daher bloß der Strömung im Volke. Die Tat, auf deren glückliches Vollbringen er am meisten stolz war, war die Verlegung des Sitzes der Staatsregierung von Vandalia nach Springfield. Dies war ein Erfolg seiner Geschicklichkeit, wie er leicht den Stolz der Staatsklugheit des Politikers im kleinen bildet. Eins tat jedoch Lincoln, worin seine wahre Natur sich offenbarte, und was auch für die Zukunft bei ihm das Erstreben der höchsten Ziele deutlich voraussehen ließ. Gegen die fast übermächtig in der Legislatur hervortretende Ansicht und nur von einem einzigen Mitgliede unterstützt, protestierte er in kräftigen Worten gegen eine Resolution zugunsten der Sklaverei. In jenem Protest erklärte er unter anderem, daß »die Institution der Sklaverei sowohl auf Ungerechtigkeit als auch auf falscher Politik beruhe«. Hieraus sprach nicht nur die nicht zu unterdrückende Stimme seines Gewissens, sondern auch wahrer sittlicher Mut, denn zu jener Zeit wurde in vielen Teilen des Westens der Abolitionist dem Pferdedieb gleichgeachtet. Selbst »Abe Lincoln« wären seine Antisklavereigrundsätze kaum verziehen worden, wenn er nicht allgemein als ein »besonders guter, tüchtiger Kerl« bekannt gewesen wäre. Hier aber wagte er es, getreu der großen Überzeugung seines Lebens, allein zu stehen, und zeigte jenen Mut, welcher für den Führer einer großen Sache unbedingt erforderlich ist.

Zugleich mit seinem Ruf und seinem Einfluß als Politiker wuchs seine Praxis als Rechtsanwalt, besonders nachdem er von New Salem nach Springfield gezogen war und sich dort mit einem erfahrenen und angesehenen Berufsgenossen geschäftlich vereinigt hatte. Nun hatte er endlich eine feste Stellung in der Gesellschaft erworben. Er hatte als Rechtsanwalt großen Erfolg, weniger durch seine juristischen Kenntnisse als durch die Wirksamkeit seiner Advokatur und durch die hervorragende Rechtschaffenheit seines Charakters. Mit Recht kann gesagt werden, daß sein lebhaftes Gefühl für Wahrheit und Gerechtigkeit sehr viel zu seinen Erfolgen als Advokat beitrug. Er weigerte sich sogar, die Sache seiner persönlichen Freunde zu führen, wenn er erkannte, daß das Recht auf der anderen Seite sei. Noch während des Prozesses gab er die Führung einer Sache auf, wenn er aus dem Beweismaterial ersah, daß sein Klient Unrecht hatte. Er riet solchen, die seine Dienste in Anspruch nahmen, sogar davon ab, erreichbare Vorteile zu verfolgen, wenn ihm ihre Ansprüche nur im geringsten unbillig oder ungerecht erschienen. Bei seiner allerersten Sache vor dem United States Circuit Court, wo es sich einzig und allein um gewisse Gerechtsame handelte, erklärte er, daß er nach eingehender und sorgfältiger Prüfung alle Rechte auf seiten der Gegenpartei und kein einziges auf der seinigen finde. Verbrecher, die er für schuldig hielt, verteidigte er überhaupt nicht, oder, wenn er es wirklich versuchte, vermochte er nicht sein ganzes Können zu entfalten und zur Geltung zu bringen. Eines einzigen Ausnahmefalles erinnert man sich, als seine persönlichen Sympathien ungewöhnlich erregt worden waren, wenn er sich hingegen als Beschützer der Unschuld fühlte, als Verteidiger des Rechts oder als Verfolger des Unrechts, dann erschloß er oft so unerwartete Quellen der Beweisführung und solche Tiefen des Gefühls, und seine Rede schwang sich zu solcher Glut und solcher zwingenden Macht auf, daß er seine Zuhörer in Verwunderung setzte, sie überwältigte und fast unwiderstehlich mit fortriß. Gebrauchte er auch nur ein alltägliches juristisches Argument, so machte das bei ihm stets den Eindruck, als sei er innerlich von der Rechtmäßigkeit der von ihm vertretenen Sache vollkommen überzeugt. Es kann deshalb nicht wundernehmen, daß das bloße Auftreten eines so gewissenhaften Anwalts nicht nur bei den Geschworenen sondern auch bei den Richtern die Annahme entstehen ließ, das Recht müsse auf seiner Seite sein, und daß alle Leute aus aufrichtiger Überzeugung begannen, ihn den »ehrlichen Abe Lincoln« zu nennen.

Inzwischen hatte er in seinem Privatleben das schmerzlichste Leid erfahren. Er hatte ein sehr schönes und achtbares Mädchen, Ann Rutledge, geliebt, und seine Gefühle waren von ihr erwidert worden. Sie starb in der Blüte der Jahre, und Lincoln betrauerte ihren Verlust mit solcher Heftigkeit und Verzweiflung, daß seine Freunde für seinen Verstand fürchteten. Als er sich endlich aus seiner fast krankhaften Niedergeschlagenheit aufgerafft hatte, glaubte er eine neue Neigung für eine andere junge Dame zu empfinden, die ihn jedoch abwies. Endlich, da er einigermaßen zu Wohlstand gelangt war und Aussichten auf Erfolg in der Politik hatte, warb er um Mary Todd von Kentucky und wurde erhört. Dann erfaßten ihn aber quälende Zweifel über die Echtheit seiner Gefühle für sie, über das Zusammenpassen ihrer beiden Charaktere und über ihr künftiges Glück. Die Qual war so unerträglich, daß er oft dem Selbstmorde nahe war, sogar fürchtete, ein Taschenmesser bei sich zu tragen, und seine Braut dadurch tödlich beleidigte, daß er am festgesetzten Hochzeitstage nicht erschien. Nun wurde aber das peinliche Bewußtsein des ihr zugefügten Unrechts zu neuer, noch unerträglicherer Qual. Er gewann ihre Liebe zurück und endete das Martyrium dadurch, daß er sie heiratete. Er wurde ein treuer und geduldiger Gatte und ein guter Vater, aber denen, welche der Familie nahestanden, blieb es kein Geheimnis, daß Lincolns häusliches Leben voll schwerer Prüfungen war. Die Launenhaftigkeit seiner Gattin stellte Lincolns Sanftmut oftmals schwer auf die Probe, und diese Sorgen, Differenzen und Kümmernisse, welche ihn durch alle Wechselfälle seines Lebens, von seinem bescheidenen Heim in Springfield bis zum Weißen Hause begleiteten, fügten zu den Sorgen des öffentlichen Lebens ungeahnten stillen Kummer hinzu und bereiteten ihm bei der Ausübung seiner Staatspflichten manchmal unglaubliche Verlegenheiten. Sie bilden eins der rührendsten Kapitel seines Lebens.

Er fuhr fort, die Wandergerichte zu besuchen, las fortwährend auf der Fahrt in seinem leichten zweiräderigen Wagen, dem buggy, erzählte seinen Berufsgenossen im Wirtshause Witze und plauderte im » store«, dem einzigen Laden des Orts, oder im Postgebäude, an den Ofen gelehnt mit den Ansiedlern. Und oftmals versank er wieder wie ehedem in tiefsinniges Brüten. Er wurde in immer weiterem Umkreise bekannt, und die Einwohner seines Staates schätzten ihn mehr und mehr wegen seines aufrichtigen, rechtschaffenen Charakters und des stets quellenden Borns von teilnehmender Freundlichkeit in seinem Herzen. Sein Hauptehrgeiz war eingestandenermaßen, auf politischem Gebiete Auszeichnungen zu erlangen; dennoch hätte damals wohl niemand in ihm den Mann vermutet, dessen Bestimmung es sein sollte, das amerikanische Volk durch die größte Krisis dieses Jahrhunderts hindurchzuführen.

Seine Zeit war noch nicht gekommen, als er im Jahre 1846 in den Kongreß gewählt wurde. Im Repräsentantenhause erhob er in einer geistvollen und treffenden Rede gegen Präsident Polk die Anklage, er habe Mexiko ungerecht den Krieg aufgezwungen; die Kommission des ganzen Hauses amüsierte er mit einem witzigen Angriff auf General Cass. Noch wichtiger war es, daß er seiner Neigung zur Antisklaverei dadurch Ausdruck verlieh, daß er einen Gesetzentwurf zur Emanzipation der Sklaven im Distrikt von Columbia vorlegte, und daß er wiederholt für das berühmte sogenannte Wilmot Proviso stimmte, eine Klausel, nach welcher die Sklaverei in den von Mexiko erworbenen Territorien ausgeschlossen sein sollte. Aber als er nach Ablauf seiner Abgeordnetenperiode im März seinen Sitz im Kongreß wieder verließ, war er in trübster Stimmung und verzweifelte daran, daß er je den Tag erleben würde, an dem diese seinem Herzen so naheliegende Sache vom Volke richtig gewürdigt werden würde, und er Gelegenheit fände, seinem Vaterlande bei der Lösung dieser wichtigen Frage irgendwelche Dienste zu leisten. Überhaupt konnte seine Wirksamkeit als Kongreßmitglied in keiner Hinsicht seinen Ehrgeiz befriedigen. Im Gegenteil, wenn er je an eine große Bestimmung für sich geglaubt hat, so muß zu jener Zeit sein Glaube besonders schwach gewesen sein, denn er suchte sogar bei dem neuen Präsidenten aus der Whigpartei, General Taylor, um die Stelle eines Commissioner of the General Land Office nach und war also willens, sich in dem Verwaltungsbureau der Staatsländereien zu vergraben. Glücklicherweise für Amerika blieb sein Gesuch erfolglos. Und ein eben solches Glück war es, daß, als ihm später das Amt des Territorialgouverneurs von Oregon angeboten wurde, er sich durch den lebhaften Protest seiner Gattin bestimmen ließ, dieses Amt auszuschlagen. Er kehrte nun nach Springfield zurück und gab sich wieder mit Eifer den Geschäften seines Anwaltsberufes hin. Dem Kompromiß von 1850 stimmte er widerwillig und mit geheimem Vorbehalte zu. In der Präsidentschaftswahlkampagne von 1852 unterstützte er den Kandidaten der Whigpartei mit einigen flauen Wahlreden und hatte überhaupt für die Tagespolitik nur geringes Interesse. Und doch kam jetzt seine Zeit heran.

Der vom Kompromiß von 1850 versprochene und anscheinend auch geschlossene Friede wurde im Jahre 1854 durch die Einführung der Kansas-Nebraska-Bill rauh gestört. Die Aufhebung des Kompromisses von Missouri öffnete in den Territorien der Vereinigten Staaten, die doch das Erbe künftiger Generationen sein sollten, der Sklaverei Tür und Tor. Nun war den Bürgern der freien Staaten mit einem Schlage die ganze Tragweite der Sklavereifrage enthüllt; sie drängte sich als die erste und wichtigste Frage in die Politik des Landes. Die Nordstaaten durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag. Männer, die vor kurzem noch ganz von ihren Geschäftsinteressen in Anspruch genommen waren und von Politik nichts wissen wollten, wurden plötzlich aus ihrer Ruhe und Sicherheit aufgeschreckt und nahmen in höchster Erregung Partei für oder wider. Die Gewissensbeunruhigung in betreff der Sklaverei, welche selbst in Zeiten scheinbarer Ruhe die Seelen der Nordstaatler bewegt hatte, brach gewaltiger und lauter denn je hervor. Alle Bande der üblichen Parteianhängerschaft wurden gesprengt. Vertreter der Antisklavereibewegung fanden sich unter den Demokraten wie unter den Whigs: sie fühlten sich durch dies alles andere überwältigende Gefühl verbunden und scharten sich bald zu einer neuen Organisation zusammen. Die republikanische Partei trat plötzlich ins Leben, sie entsprach einer dringenden Anforderung des Augenblicks. Nun war auch die Zeit für Abraham Lincoln gekommen. Er rückte bald zu einer hervorragenden Stellung als Streiter in diesem Kampfe auf. Und er verdankte dies Aufrücken nicht nur seinen Tugenden und seinen Fähigkeiten. Die Frage der Sklaverei hatte die tiefsten Tiefen seiner Seele erregt, es war »die einzige Frage, über die«, wie einer seiner Freunde sagt, »er sich aufregen konnte; sie weckte all seine Kräfte, seine ganze Energie. Doch gab es viele, die den Kampf gegen die Sklaverei in öffentlichen Versammlungen, in der Presse oder im Sitzungssaal des Kongresses lange und angestrengt gekämpft hatten, die weit höheres Ansehen genossen als Lincoln, und im Vergleich mit denen er noch immer eine unbekannte und unerprobte Kraft war. Sein höchst ehrenvoller und wohlverdienter Ruf war bis so weit zum größten Teil nur von lokaler Bedeutung gewesen. Als Wahlredner in den Wahlversammlungen der Whigs hatte er außerhalb seines eigenen Staates nur wenig Aufsehen erregt, aber in Illinois war er anerkanntermaßen einer der Führer der Whigpartei. Unter den Gegnern der Nebraska-Bill nahm er eine so hervorragende Stellung ein, daß, als im Jahre im Senate der Vereinigten Staaten ein Platz frei wurde, die Stimmen einer großen Majorität der »Anti-Nebraska-Männer« in der Legislatur sich auf ihn vereinigten. Da er dann aber als ehemaliger Whig die Stimmen der Demokraten von Nebraska, die ihm zur Majorität noch nötig waren, nicht erlangen konnte, forderte er seine Freunde und Anhänger großmütig auf, ihre Stimmen auf Lyman Trumbull zu übertragen, der dann auch gewählt wurde. Zwei Jahre später, im ersten Nationalkonvent der republikanischen Partei, schlug eine Delegation von Illinois Lincoln als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft vor und erhielt namhafte Unterstützung. Immerhin war der Name Abraham Lincolns außerhalb der Grenzen seines Staates nicht weit bekannt. Es sollte aber gerade diese gleichsam lokale Bedeutung in Illinois für Lincoln zu einem besonderen Vorteil auf dem Felde der nationalen Politik werden. In dem vorerwähnten Angriff auf das Missouri-Kompromiß, welcher alle gesetzlichen Schranken vor der Ausbreitung der Sklaverei niederriß, war Stephen Arnold Douglas offenkundig Führer und Hauptperson, und Douglas war Senator von Illinois, dem Heimatstaate Lincolns. Der nationale Schauplatz für Douglas' Taten war der Senat, aber die wurzeln seiner offiziellen Stellung und Macht waren in seinem Wahlkreise in Illinois, was er im Senate tat, mußte er in Illinois vor dem Volke vertreten, wenn er sich seine Stellung erhalten wollte, und in Illinois richteten sich aller Augen auf Lincoln als den natürlichen Gegner Douglas'.

Beide waren als ganz junge Leute nach Illinois gekommen, Lincoln von Indiana, Douglas von Vermont; sie waren nebeneinander im öffentlichen Leben aufgewachsen, Douglas als Demokrat, Lincoln als Whig. Sie waren sich zuerst im Jahre 1834 begegnet, als Lincoln in der Legislatur saß und Douglas als lobby member draußen in den Wandelgängen politischen Einfluß zu gewinnen suchte, wieder trafen sie sich im Jahre 1836, diesmal beide als Mitglieder der Legislatur. Douglas war ein sehr geschickter und fähiger Politiker, er gehörte zu den gewandten, kampflustigen, kühnen »Strebern« und gelangte in auffallend kurzer Zeit zu hohem politischen Ansehen. In rascher Folge wurde er Mitglied der Legislatur, State's attorney, Staatssekretär von Illinois und Richter am höchsten Gerichtshof von Illinois; er wurde dreimal zum Repräsentanten in den Kongreß gewählt und war mit neununddreißig Jahren bereits Senator der Vereinigten Staaten. Im demokratischen Wahlkonvent von 1852 trat er sogar als Aspirant für die Nominierung zur Präsidentschaftswahl auf und erhielt als Vertrauensmann des »jungen Amerika« eine ganz stattliche Anzahl von Stimmen. Er hatte in allem, was gemeinhin Ruf und Erfolg in der Politik genannt wird, Lincoln weit hinter sich gelassen. In den politischen Fehden war es nun öfter vorgekommen, daß Lincoln sich gedrungen fühlte, oder von seinen Parteigängern dazu auserwählt wurde, auf Douglas' Reden zu antworten. In einem großen Teil des Staates wurden deshalb diese beiden Männer für die natürlichen Partei-Vorkämpfer in den Diskussionen, welche den Volksversammlungen vorangingen, gehalten. Als nun Douglas nach der Annahme seiner Kansas-Nebraska-Bill nach Illinois zurückkehrte, um seine Sache vor seinen Wählern zu verteidigen, stellte sich Lincoln, teils aus eigenem Antriebe und teils um der allgemeinen Erwartung zu entsprechen, als sein Hauptgegner auf. Der Kampf um die in der Kansas-Nebraska-Bill vertretenen Prinzipien, oder in weiterem Sinne der Kampf zwischen Freiheit und Sklaverei, nahm infolgedessen in Illinois die Gestalt einer persönlichen Fehde zwischen Lincoln und Douglas an. In seinem immer lebhafter werdenden Verlauf wurde diese persönliche Fehde mit wachsendem Interesse vom ganzen Lande verfolgt. Im Jahre 1858 neigte sich Douglas' Amtsperiode im Senat ihrem Ende zu, und Lincoln wurde von dem republikanischen Konvent von Illinois in aller Form an Douglas' Stelle als der Senatskandidat der Partei vorgeschlagen. Die beiden Gegenkandidaten kamen dahin überein, daß sie über die Streitfragen von Angesicht zu Angesicht in einer Reihe öffentlicher Versammlungen debattieren wollten, und auf diese Versammlungen waren die Blicke ganz Amerikas in äußerster Spannung gerichtet. Das Schauspiel erinnerte an Schilderungen aus alten Sagen und Rittergedichten, in denen von zwei feindlichen Heeren erzählt wird, die sich in Schlachtordnung gegenüberstehen und zuschauen, wie ihre beiden streitbarsten Kämpen angesichts der feindlichen Reihen die Sache im Zweikampf austragen.

Lincoln war damals auf der Höhe seiner Kraft. Freilich war seine Ausrüstung in bezug auf die Kenntnis von Staatsgeschäften nur sehr mangelhaft. Was er gelernt hatte, hatte er sich allerdings gründlich zu eigen gemacht mit jenem leidenschaftlichen Verlangen und jener hartnäckigen Zähigkeit, die für bedeutende Geister, welche unter großen Schwierigkeiten wissen erwerben, charakteristisch sind. Aber die seltenen und kümmerlichen Gelegenheiten zum Lernen, das unstete Leben, welches er in seinen jungen Jahren geführt hatte, waren für die Ansammlung und Aufspeicherung von Kenntnissen sehr ungünstig gewesen. Freilich hatte er in Wahlkampagnen verschiedentlich über die zwischen Whigs und Demokraten verhandelten Fragen geredet, so über den Tarif, über innere Reformen, über Banken usw., aber doch nur oberflächlich, wenn er diesen Gegenständen jemals ernste Betrachtung oder gar eingehendes Studium gewidmet hätte, kann man sicher annehmen, daß sein an eigenen Gedanken so reicher Geist auch darüber Äußerungen getan haben würde, welche es wert wären, der Vergessenheit entrissen zu werden. Diese Dinge hatten augenscheinlich seine Seele nie tief berührt. Aber wenn sein innerstes Wesen ergriffen war, dann entwickelte auch sein Gehirn eine unermüdliche Tätigkeit zur Erlangung aller nur irgend erreichbaren Kenntnisse auf dem betreffenden Gebiete. Sobald die Aufhebung des Missouri-Kompromisses die Sklavereifrage als brennende Frage in die gesamte Politik getragen hatte, stürzte sich Lincoln in ein eifriges Studium der ganzen Sache, um sie vom juristischen, geschichtlichen und moralischen Standpunkte aus ganz zu beherrschen, und sein Geist wurde eine wahre Rüstkammer von Beweisgründen. Seine reichen, natürlichen, durch so lange und vielseitige Übung vervollkommneten Geistesgaben machten ihn zu einem Redner von seltener Überzeugungskraft. Als unreifer junger Mann hatte er sich eine Zeitlang in jenem schwülstigen Stil gefallen, der bei Ungebildeten für »schönes Reden« gilt. Aber seine innere Wahrhaftigkeit und sein künstlerisches Empfinden überwanden bald diese Verirrung und ließen ihn die edle Schönheit und Kraft der Einfachheit erkennen. Er besaß eine ungewöhnliche Fähigkeit, sich knapp und klar auszudrücken, welche daran erinnerte, wie er als armer Knabe sich bemühte, beim Abschreiben von seiner Kladde, der hölzernen Schaufel, seine Ausdrucksweise sorgfältig zu kürzen, um ja kein Papier zu vergeuden. Seine Sprache hatte den energischen Klang ehrlicher Geradheit, und er war ein Meister der logischen Klarheit. Er liebte es, seine Beweisführung durch humoristische Züge zu beleben, meistens Anekdoten aus dem Westen, deren er eine schier unerschöpfliche Menge im Gedächtnis bewahrte. Diese Anekdoten waren nicht selten von bäuerischer Derbheit; sie hatten etwas vom Erdgeruch an sich, aber sie verfehlten nie ihre Wirkung und nie den Zweck, die Zuhörer zu amüsieren und zugleich einen abstrakten Gedanken zu beleben, eine Torheit zu bekämpfen, eine Schlußfolgerung festzulegen oder eine Warnung eindringlich zu bekräftigen. Das natürliche Wohlwollen seines Tones besänftigte alles Vorurteil, entwaffnete alle Parteifeindschaft und verschaffte seiner Beweisführung manchmal bei den widerstrebendsten Geistern Gehör.

Seine größte Macht lag jedoch in dem Zauber seiner Persönlichkeit. Dieser Zauber machte sich nicht in der üblichen Weise dem Ohr oder dem Auge geltend. Seine Stimme war nicht wohlklingend, eher scharf und durchdringend, besonders wenn sie in Augenblicken höchster Erregung sich überschlug. Seine Gestalt war unschön, seine Bewegungen eckig und ungewandt. Alles, was gemeinhin beim Redner für äußere Anmut gilt, fehlte ihm. Sein Zauber war ganz anderer Art. Er entsprang der seltenen Tiefe und Echtheit seiner Überzeugungen und seiner teilnehmenden Gefühle. Mitgefühl war das stärkste Element seines Wesens. Einer seiner Biographen, der ihn kannte, ehe er Präsident geworden war, schreibt: »Lincoln konnte durch etwas Gegenwärtiges zu tiefstem Mitleid gerührt werden, aber niemals durch etwas, das er nicht sah. Im ersten Falle gab er meistens gleich eine Unterstützung, ohne die Sache lange zu prüfen, um, wie er sich ausdrückte, ›den Schmerz aus seinem eigenen Herzen zu entfernen‹.« – Kaum die Hälfte von diesem trifft zu. Es ist sicher wahr, daß er bei keinem Menschen Schmerz oder Unterdrückung und sonstiges Leid wahrnehmen konnte, ohne selbst aufs schmerzlichste davon berührt zu werden. Dadurch, daß er so viel wie möglich dem Leid des anderen abhalf, verringerte er den eigenen Schmerz. Diesen Impuls des Mitleids fühlte er nicht nur für Menschen, sondern überhaupt für alle lebenden Wesen. Als Knabe schon hatte er andere Jungen zornig zur Rede gestellt, die einer Schildkröte eine glühende Kohle auf die Schale gelegt hatten, und als herangereifter Mann heißt es, daß er auf Reisen öfter vom Wagen gestiegen und bis an den Gürtel im Schlamm gewatet sei, wenn er damit einem im Moor halb versunkenen Schwein in seinen verzweifelten Anstrengungen sich wieder herauszuarbeiten behilflich sein konnte. Einern Appell an sein Mitleid konnte er kaum widerstehen, und es wurde ihm so schwer etwas abzuschlagen, wenn sein abschlägiger Bescheid Kummer machen konnte, daß er selbst oft sagte, es sei ihm unmöglich »nein« zu sagen, was er als Schwäche beklagte. Dies alles beweist aber gewiß nicht, daß sein Mitleid nur solchen Fällen galt, wo er das Leiden handgreiflich vor Augen hatte. So wie den Knaben der Anblick der gequälten Schildkröte dazu veranlaßte, einen Aufsatz über Tierquälerei zu schreiben, so bewegte der Anblick anderer Fälle von Leiden und Unrecht seine Seele und feuerte ihn dazu an, gegen Grausamkeit, Ungerechtigkeit und Unterdrückung im allgemeinen zu streben.

Seine warme Teilnahme rief bei anderen freundliche Gefühle für ihn hervor. Besonders die bescheidenen Leute aus dem Volk, welche er »die schlichten Leute« zu nennen pflegte, fühlten sich zu ihm hingezogen; sie hatten die instinktive Empfindung, daß er sie verstand, achtete und schätzte. Er war unter den Armen, den Niedrigen und den Ungebildeten aufgewachsen. Er vergaß nie, wie viel Gutherzige er unter ihnen angetroffen, und wie viel Freundlichkeiten und Guttaten sie ihm erwiesen hatten. Trotzdem er sie an geistiger Entwicklung weit überflügelt hatte, sah er nie auf sie herab. Ihre Gefühle und ihre Gedanken kannte er gut, denn so hatte ja auch er einst gefühlt und gedacht, wie sie zu bewegen waren, wußte er, denn so war auch er früher bewegt worden und hatte sich darin geübt, andere so zu bewegen. Sein Geist war viel umfassender als der ihre, aber war doch voll Verständnis für sie; und während er viel weiter voraus dachte als sie, waren ihre Gedanken ihm stets gegenwärtig. Auch war die sichtbare Kluft zwischen ihnen und ihm nicht so breit und trennend geworden, wie sein außerordentliches Emporkommen in der Welt es wohl gerechtfertigt hätte. Hinterwäldlersprache und Hinterwäldlermanieren hafteten ihm an, und obgleich er für seine neuen Bekannten natürlich »Mr. Lincoln« hieß, so war er für die Dutzfreunde seiner Jugend immer noch »Abe«. Und den »Nats«, Billys« und »Daves« erschien ihre Vertraulichkeit ebensowenig unnatürlich, wie sie ihm peinlich war. Er erzählte mit derselben Freude ähnliche Anekdoten und Geschichten, wie er sie auf der Ansiedlung in Indiana und im Städtchen New Salem erzählt hatte. Er blieb so einfach und anspruchslos, wie er es von jeher gewesen war; in seinen häuslichen Gewohnheiten hatte er sich durchaus nicht ganz seiner aus besserer Familie stammenden Gattin angepaßt, und obgleich die Anzüge aus Kentucky-Hausmachertuch längst ein überwundener Standpunkt waren, saßen auch die aus besserem Stoff verfertigten Kleider von gutem Schnitt doch schlecht auf seinen riesigen Gliedern. Seines baumwollenen, mit Bindfaden zusammengebundenen Schirmes ohne Griff, welchen er auf seinen Ritten zu Gerichtssitzungen mitführte, sollen sich noch einige hochbetagte Anwohner aus jener Gegend erinnern. Dieses Ungehobelte in den Gewohnheiten und im Äußern war weit entfernt von jener zur Schau getragenen Verachtung von Bildung, feiner Sitte und äußerer Behaglichkeit, welche gewisse self-made men zuweilen in ihre wohlhabenderen Verhältnisse hinübertragen. Abraham Lincoln war diese Verachtung des Äußerlichen ganz natürlich, und alle, die mit ihm in Berührung kamen, fühlten dies heraus. An Gedanken und Empfindungen war er ein Gentleman in des Wortes schönster Bedeutung geworden, aber der verfeinernde Prozeß hatte die äußere Form fast unberührt gelassen. Die »schlichten Leute« sahen daher »Abe Lincoln« noch immer als ihresgleichen an, und wenn sie, was nicht ausbleiben konnte, fühlten, daß seine Gedanken und sein Streben sich in einer höheren Sphäre bewegten als ihre eigenen, waren sie um so mehr stolz auf ihn, ohne daß ihr Gefühl der Zusammengehörigkeit darum geringer geworden wäre. Dieses Verhältnis der gegenseitigen Teilnahme und des gegenseitigen Verstehens zwischen Lincoln und den einfachen Leuten aus dem Volk verlieh ihm jene hervorragende Macht im öffentlichen Leben und befähigte ihn ganz besonders, wie wir noch sehen werden, die Führerschaft in der herannahenden gewaltigen Krisis zu übernehmen, eine Führerschaft, die für die großen Massen des Volkes immer vorausdenkt und ihnen vorangeht, jedoch stets in ihrem Gesichtskreis bleibt und sich die teilnehmende Fühlung mit ihnen erhält.

Besser gerüstet als je vorher trat Lincoln in die Wahlkampagne von 1858 ein. Er fühlte nicht nur instinktiv, sondern er überzeugte sich auch durch eifriges Studium, daß in diesem Kampf gegen die Ausbreitung der Sklaverei Recht und Gerechtigkeit, Philosophie, Aufklärung, Geschichte, Staatsverfassung und gesunde Politik auf seiner Seite waren. Es fiel auf, daß, seitdem er die Sklavereifrage in seinen Reden erörterte, er einen viel erhabeneren Ton anstimmte, als in seinen bisherigen rednerischen Leistungen, während er in Privatgesprächen noch immer gern drollige Anekdoten erzählte, verschwanden sie mehr und mehr aus seinen öffentlichen Reden. Wohl spitzte er seine Argumente noch mit Ausdrücken unnachahmlicher Feinheit zu und ließ Geistesblitze freundlichen Humors und witziger Ironie durch seine Reden leuchten, im Grunde war aber der Ton seiner Reden ernst und schwang sich manchmal zu feierlichem Pathos auf. Seine Meisterschaft in der dialektischen Fechtkunst, sein reiches Wissen, seine scharfsinnigen Folgerungen und seine Gefühlstiefe wurden in einer selten knappen, kernigen Sprache offenbart und setzten seine alten Freunde oft in helles Erstaunen.

Keiner der beiden politischen Führer hätte einen gefährlicheren Gegner finden können, als jeder in dem anderen vor sich hatte. Douglas war bei weitern das hervorragendste Mitglied seiner Partei. Seine Bewunderer hatten ihm den Beinamen »der kleine Riese« gegeben und wollten in diesem Gegensätze die Größe seines Geistes und die Kleinheit seines Körpers hervorheben. Aber obgleich er klein war, erschien seine untersetzte Gestalt ungewöhnlich kräftig, und seine massige Stirn, sein festes Kinn und die Art, wie er trotzig sein langes Haar schüttelte, gaben seinem Haupte etwas Löwenartiges. Seine laute und nachdrückliche Forderung der territorialen Erweiterung im Namen der Vaterlandsliebe und der »augenscheinlichen Bestimmung« ( manifest destiny) hatte ihm besonders bei der Jugend und den feurigen Enthusiasten viele Anhänger gewonnen. Große Geistesgaben, ein sehr kampfbereites Temperament und lange Übung hatten ihn zu einem unübertroffenen Debattierer in einem aus höchst fähigen Männern bestehenden Senate gemacht. Er konnte in einem Appell an den Patriotismus eben so kraftvoll sein, wie er in der Anklage wild und in allen Künsten und Kniffen des parlamentarischen Kampfes bewandert war. Im geselligen Verkehr war er lustig, ja ausgelassen, – das geliebte Ideal der »Jungen«, – dabei fühlte er sich aber als einer der berühmtesten Staatsmänner seiner Zeit und trat seinen Gegnern oft hochfahrend und anmaßend entgegen, als seien sie Leute, die eher Mitleid als Furcht erregen könnten. In seiner Eröffnungsrede der Wahlkampagne von 1858 sprach er von Lincoln, den die Republikaner wagten als ihren Kandidaten für »seinen« Platz im Senate aufzustellen, im Tone gönnerhafter, um nicht zu sagen verachtender Herablassung und nannte ihn »einen freundlichen, liebenswürdigen und intelligenten Mann und einen guten Staatsbürger«. Der kleine Riese hätte seinen Gegner gern für einen großen Zwerg ausgegeben. Er kannte Lincoln indes zu gut, um sich ernstlich einer solchen Illusion hinzugeben. Die politische Lage war damals eigentümlich verworren, und Douglas konnte bei dieser Verwirrung hoffen, einen erheblichen Vorteil über seinen Gegner davonzutragen.

Durch die Aufhebung des Missouri-Kompromisses, welche die Territorien dem Eindringen der Sklaverei öffnete, hatte Douglas im Süden sehr gefallen, im Norden aber Schrecken erregt. Das feindselige Gefühl in den Nordstaaten hatte er dadurch zu versöhnen gesucht, daß er seiner Kansas-Nebraska-Bill die Erklärung hinzufügte, sie beabsichtige nicht »die Sklaverei in irgendeinem Staate oder Territorium zu verfügen, oder sie daraus auszuschließen, sondern nur den Bürgern der betreffenden Staaten und Territorien volle Freiheit zu lassen, ihre Institutionen nach eigenem Ermessen, jedoch der Verfassung der Vereinigten Staaten gemäß, zu regeln«. Dies nannte er »das große Prinzip der Volksherrschaft«. Als man ihn fragte, ob nach diesem Gesetz die Bürger eines Territoriums, ehe es als Staat zugelassen sei, das Recht haben würden, die Sklaverei auszuschließen, antwortete er, das sei eine Frage, welche die Gerichte entscheiden müßten. Dann erfolgte das berühmte » Dred Scott- Urteil«, nach welchem der oberste Gerichtshof ( Supreme Court) im wesentlichen erkannte, daß das Recht, Sklaven als Eigentum zu halten, in den Territorien kraft der Bundesverfassung bestehe, und daß dieses Recht durch keine Verfügung der territorialen Regierung aufgehoben werden könnte. Natürlich wurde dadurch den Bürgern irgendwelcher Territorien das Recht abgesprochen, während sie noch Territorium waren, die Sklaverei aufzuheben, und dieses steigerte in den Nordstaaten in noch größerem Maße die Beunruhigung. Douglas erkannte an, daß das Urteil des obersten Gerichtshofes bindend sei, und behauptete zugleich, sehr wenig logisch, daß sein großes Prinzip der Volksherrschaft dennoch in Kraft bleibe. Inzwischen waren die sklavereifreundlich gesinnten Bewohner von West-Missouri, die sogenannten »Grenzraufbolde« ( border ruffians) in Kansas eingefallen, hatten einen konstitutionellen Konvent eingesetzt und eine ganz extrem sklavereifreundliche Verfassung, die » Lecompton Constitution« ausgearbeitet; sie hatten dann verweigert, diese Verfassung, wie es sich gehörte, der Abstimmung der Bevölkerung von Kansas zu unterwerfen, sie überwiesen sie vielmehr gleich zur Genehmigung an den Kongreß und suchten auf diese Weise die Zulassung von Kansas als Sklavenstaat zu bewirken, wenn Douglas einen solchen Plan unterstützt hätte, wäre seine Stellung im Norden vollständig untergraben gewesen. Im Namen der Volksherrschaft erklärte er laut, daß er Einspruch erhebe gegen die Annahme irgendeiner nicht durch Volksabstimmung genehmigten Verfassung. Es sei ihm gleichgültig, sagte er, ob für oder wider die Sklaverei gestimmt würde, aber ehrlich abgestimmt müsse werden im Volk, hierdurch zog er sich die Feindschaft der Regierung Buchanans zu, welche von den Interessen der sklavereifreundlichen Partei beherrscht wurde, aber er rettete sich seine Anhängerschaft in den Nordstaaten. Mehr noch, nicht allein priesen ihn seine demokratischen Anhänger als den »wahren Vorkämpfer der Freiheit«, sondern auch einige einflußreiche Republikaner, unter denen Horace Greeley besonders hervorragte, waren auf Douglas' Seite in seinem Kampf gegen die Lecompton Constitution. Sie hofften ihn endgültig von der sklavereifreundlichen Partei loszulösen und eine dauernde Bresche in die demokratische Partei zu schlagen und rieten daher den Republikanern von Illinois ernstlich, den Widerstand gegen Douglas aufzugeben und seine Wiederwahl in den Senat möglichst zu unterstützen. Lincoln teilte diese Ansicht nicht. Nach seiner Meinung konnten große soziale Bewegungen nur Erfolg haben, wenn überzeugungstreue Männer an ihrer Spitze standen, und die Sache der Antisklaverei konnte nicht wohl einem Manne anvertraut werden, dem es »gleichgültig war, ob für oder wider die Sklaverei gestimmt würde«. Diese Ansicht herrschte in Illinois vor, aber die einflußreichen Männer in der republikanischen Partei, über welche sie schließlich obsiegte, gaben, wenn überhaupt, nur mit äußerstem Widerstreben nach, und erst nachdem sie Douglas' Stellung erheblich gestärkt hatten. So lagen die Dinge, als die Wahlkampagne von 1858 zwischen Lincoln und Douglas begann.

Lincoln eröffnete die Kampagne seinerseits in dem Konvent, der ihn zum republikanischen Senatskandidaten nominierte, mit den denkwürdigen Worten, die wie ein Ruf vom Wachtturm durch die Weltgeschichte hallen: »Es heißt in der heiligen Schrift: »Ein Haus, so es mit sich selbst uneins wird, mag nicht bestehen«. Ich bin überzeugt, daß diese Regierung nicht auf die Dauer halb als Freund, halb als Gegner der Sklaverei bestehen kann. Ich glaube durchaus nicht an die Auflösung der Union. Ich glaube nicht daran, daß das Haus aufhören wird zu bestehen, aber ich glaube, daß es aufhören wird, uneins zu sein. Es wird entweder nach der einen oder nach der anderen Seite etwas Ganzes werben. Entweder werden die Gegner der Sklaverei ihre weitete Ausbreitung verhindern und dafür sorgen, daß das Volk die Überzeugung ihrer bevorstehenden vollständigen Ausrottung gewinne. Oder ihre Vertreter werden sie unterstützen und verbreiten, bis sie in allen Staaten gleich Gesetz wird, in den alten Staaten wie in den neuen, im Norden wie im Süden. « Dann machte er darauf aufmerksam, daß das Nebraska-Prinzip und die Dred Scott-Entscheidung zusammen dahin wirkten, daß das gesamte Volk »ganz Anhänger der Sklaverei« ( all slave) würde. Dies war der »ununterdrückbare Konflikt«, wie Seward ihn kurz darauf in einer gerade durch diese Worte berühmt gewordenen Rede nannte, wenn in den Worten Sewards etwas durchaus Neues ausgedrückt werden sollte, so konnte Lincoln das Recht der Priorität beanspruchen. Lincolns Worte aber bewiesen nicht nur seine staatskluge Auffassung der ganzen Frage, sondern auch in seiner Lage als Kandidat, seine Festigkeit und seinen moralischen Mut. Freunde, denen er das Konzept seiner Rede mitteilte, ehe er sie hielt, warnten ihn eindringlich und wiesen darauf hin, daß diese Rede seinen Erfolg bei der Wahl ernstlich in Frage stellen könnte. Das waren in des Wortes gewöhnlicher Bedeutung sehr kluge Ratschläge, während die Sklavenhalter unbeschadet mit Loslösung von der Union drohen konnten, würde die bloße Andeutung, daß das Bestehen der Sklaverei mit der Freiheit in der Union nicht vereinbar sei, die Aussichten irgendwelchen Politikers im Norden aufs Spiel stellen. Aber Lincoln war unerschütterlich. »Es ist die Wahrheit«, sagte er, »und ich will so reden, wie ich geschrieben habe ... Ich möchte lieber unterliegen, wenn dabei diese Worte meiner Rede hervorgehoben und von allen Leuten besprochen würden, als ohne diese Worte den Sieg davontragen.« Der Staatsmann hatte in seinem weitblickenden Urteil und seiner gewissenhaften Darlegung der Wahrheit recht; aber die praktischen Politiker behielten auch recht in ihrer Vorhersage der unmittelbaren Wirkung seiner Rede. Douglas griff sofort die Behauptung auf, daß ein Haus, so es mit sich uneins wird, nicht bestehen könne, und machte sie zu seinem Hauptangriffspunkt, indem er sie als eine Anreizung zu einem »partikularistischen Krieg bis aufs Messer« auslegte. Es ist auch kein Zweifel, daß die hartnäckige Wiederholung dieser Anklage gegen Lincoln dazu diente, eine nicht geringe Anzahl furchtsamer Seelen abzuschrecken.

Lincoln bemühte sich fortwährend, die sittlichen und philosophischen Gesichtspunkte des Gegenstandes in das rechte Licht zu setzen. »Die Sklaverei ist ein Unrecht«, das war der Grundton all seiner Reden. Auf Douglas' glänzenden Sophismus, daß es das gute Recht der Bürger eines Territoriums und mit dem Prinzip der wahren Volksregierung vollständig vereinbar sei, daß sie nach ihrem Belieben die Sklaverei einführen könnten oder nicht, gab er die feine Antwort: »Dann sei es also nach Ansicht des Senator Douglas wahre Volksregierung, wenn ein Mensch einen anderen zu seinem Sklaven mache, und kein Dritter etwas dagegen einwenden dürfe«. Eine weitere Folgerung Douglas' war, daß das Prinzip, nach welchem die Bewohner eines Territoriums wählen dürften, ob sie die Sklaverei gestatten wollten oder nicht, »entstanden sei, als Gott den Menschen erschuf, ihm Gut und Böse vorsetzte und ihm erlaubte, auf eigene Verantwortung zu wählen«. Da antwortete Lincoln feierlich: »Nein, Gott setzte nicht Gut und Böse zur freien Wahl vor den Menschen, sondern im Gegenteil, Gott zeigte ihm einen Baum, dessen Früchte er bei Todesstrafe nicht essen durfte«. Lincoln stellte sich jedoch nicht auf den äußersten, von den radikalen Antisklavereimännern eingenommenen Standpunkt. Er gab zu, daß, der Verfassung gemäß, »die Südstaatler ein Recht auf ein Kongreßgesetz über die Auslieferung flüchtiger Sklaven hätten«, obgleich er die bestehende Fassung dieses Gesetzes nicht billigte. Er erklärte auch, daß, wenn die Sklaverei, wie billig, aus den Territorien ausgeschlossen würde, während sie noch Territorien waren, und dann die Bewohner irgendeines Territoriums, bei günstiger Gelegenheit und freier Bahn, etwas so Außergewöhnliches täten wie, unbeeinflußt von der tatsächlich unter ihnen bestehenden Institution, eine sklavenfreundliche Verfassung einzusetzen, es seines Erachtens keine Alternative gebe, als das betreffende Territorium in den Bund der Vereinigten Staaten aufzunehmen. Er erklärte ferner, daß, obgleich er sich sehr freuen würde, im Distrikt Columbia die Sklaverei aufgehoben zu sehen, er doch als Kongreßmitglied mit seinen gegenwärtigen Ansichten keine Versuche machen würde, diese Aufhebung herbeizuführen, es sei denn unter der Bedingung, daß die Emanzipation sehr allmählich vor sich gehe und von einer Majorität der Stimmberechtigten des Distrikts getragen werde, und daß den nicht einverstandenen Sklavenhaltern eine Entschädigung geboten werde. Bei jeder nur möglichen Gelegenheit sprach er sich zugunsten der Gründung von Negerkolonien und der Transportation der Schwarzen aus, sofern sie selbst einwilligten. Verschiedentlich stellte er energisch in Abrede, daß er wünsche, zwischen Weißen und Schwarzen soziale und politische Gleichheit einzuführen. In dieser Hinsicht faßte er seine Ansichten in die folgenden Worte zusammen, welche eine Antwort auf Douglas' Behauptung waren, daß die Unabhängigkeitserklärung bei den Worten, alle Menschen seien gleich geschaffen, die Neger ausschließe. »Ich deute die Unabhängigkeitserklärung nicht dahin,« sagte er, »daß alle Menschen in jeder Hinsicht gleich sind. Sie sind nicht gleicher Farbe. Aber ich bin überzeugt, sie will erklären, daß alle Menschen in gewisser Hinsicht gleich sind. Sie haben alle das gleiche Recht auf Leben und Freiheit und auf das Streben nach Glück.«

In mancher Hinsicht änderte Lincoln später diese seine Ansichten etwas, und es ist sogar die Vermutung laut geworden, daß er in der Diskussion mit Douglas weitergehende Ansichten zutage gefördert haben würde, wenn er nicht dadurch einen Stimmenverlust befürchtet hätte. Diese Vermutung kann kaum aufrechterhalten werden. Lincoln hatte wohl den Mut seiner Überzeugung aber er war nicht radikal gesinnt. Der Mann, der, entgegen dem dringenden Rat seiner Freunde, mit der Rede von dem »Hause, so mit sich selbst uneins wird«, seine Wahl aufs Spiel setzte, wäre gewiß nicht davor zurückgeschreckt, auch weitergehende Ansichten auszusprechen, wenn er sie überhaupt geteilt hätte. Es ist nur gerecht gegen ihn, wenn man annimmt, daß die damals geäußerte Meinung seine feste Überzeugung war, und daß, wenn er diese später änderte, es infolge neuer Ideen über gute Politik und über seine eigenen Pflichten, wie sie mancherlei neue Umstände und Anforderungen in ihm gezeitigt hatten, geschah. Charakteristisch ist, daß er den ganz unausführbaren Transportationsplan noch befürwortete, nachdem schon die Emanzipationsproklamation erlassen war.

Aber in diesem Kampfe zeigte sich Lincoln nicht nur als geschickter Debattierer, sondern auch als ein politischer Stratege ersten Ranges. Der »freundliche, liebenswürdige und intelligente Mann«, wie es Douglas gefallen hatte, ihn zu nennen, war keineswegs »ohne Falsch wie die Tauben«. Er besaß einen großen Anteil jenes weltklugen Scharfsinns, welcher nicht selten mit echter Schlichtheit des Wesens zusammentrifft. Die politische Erfahrung, die er in der Legislatur und im Kongreß gesammelt und in mancher Wahlkampagne erweitert hatte, und seine eigene scharfe Geisteskraft machten ihn zu einem weitblickenden Beurteiler der Wirkung, die Worte und Taten eines Mannes in öffentlicher Stellung wahrscheinlich auf das Volk ausüben würden, machten ihn zu einem, der politische Chancen genau berechnen und richtig abschätzen und Resultate voraussagen konnte, wie kein zweiter unter den Parteileitern in Illinois. Und nun erkannte er scharfsichtig die böse Klemme, in der Douglas sich befand zwischen der Dred Scott-Entscheidung, welche erklärte, daß das Recht Sklaven zu halten in den Territorien kraft der Bundesverfassung bestehe, und seinem eigenen »großen Prinzip der Volksregierung«, nach der die Bewohner eines Territoriums das Recht haben sollten, wenn es ihnen beliebte, die Sklaverei auszuschließen. Douglas wand und krümmte sich wie ein Aal, um nur nicht zugeben zu müssen, daß die beiden Positionen unvereinbar seien. Dann tat sich die Frage auf, ob es für Lincoln politisch richtig sei, Douglas zu einer klaren Äußerung seiner Meinung darüber zu zwingen, ob trotz der Dred Scott-Entscheidung »die Bewohner eines Territoriums auf gesetzmäßigem Wege die Sklaverei innerhalb der Grenzen ihres Territoriums abschaffen könnten, ehe sie Staatsrechte und eine Staatsverfassung erlangten«. Lincoln sah Douglas' Antwort voraus: daß Sklaverei in einem Territorium nur auf Verlangen der Bevölkerung und wenn sie ihr durch territoriale Gesetzgebung Schutz gewährte, bestehen könne. In einer improvisierten Wahlvorversammlung wurde die Frage erörtert, ob man Douglas mit einer förmlichen Interpellation zur Entgegnung drängen sollte. Lincolns Freunde rieten jedoch einstimmig davon ab, weil Douglas durch seine vorherzusehende Antwort der Bevölkerung von Illinois genügend empfohlen sein würde, um seine Wiederwahl in den Senat zu sichern. Aber Lincoln bestand darauf. »Ich jage ein größeres Wild«, sagte er. »Wenn Douglas wirklich so antwortet, kann er niemals Präsident der Vereinigten Staaten werden, und der Kampf von 1860 wiegt hundert der heutigen Kämpfe auf.« Douglas wurde förmlich interpelliert und antwortete, daß, unbeschadet der Entscheidung des höchsten Gerichtshofes über die theoretische Frage, die Bevölkerung eines Territoriums jedenfalls gesetzliche Mittel habe, die Sklaverei in ihrem Bereich durch territoriale, dem Prinzip freundliche oder gegnerische Gesetzgebung einzuführen oder abzuschaffen. Für Lincoln war es leicht, die Ungereimtheit des Satzes zu beweisen, daß, wenn die Sklaverei zugestandenermaßen in den Territorien kraft des höchsten Rechts, der Bundesverfassung, bestände, sie nicht durch ein untergeordnetes Gesetz der territorialen Verfassung ferngehalten oder aufgehoben werden könnte. Wieder traf die Ansicht der Politiker, die nur das Nächstliegende im Auge hatten, zu: Douglas wurde in den Senat wiedergewählt. Aber Lincoln behielt ebenfalls recht: Dadurch, daß Douglas seine Zuflucht zu seiner Doktrin der »unfreundlichen Gesetzgebung« ( unfriendly legislation doctrine) nahm, büßte er die letzte Aussicht ein, je Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Bei genügender Sühne hätte er vielleicht hoffen können, von den Südstaaten Vergebung für seine Opposition gegen die Lecomptonsche Verfassung zu erlangen; aber daß er den Bewohnern der Territorien einen Kniff gelehrt hatte, durch welchen sie das vereiteln konnten, was die Sklavenhalter für ein verfassungsmäßiges Recht ansahen, und daß er diesen Kniff für gesetzmäßig erklärte, das konnte ihm die sklavereifreundliche Macht niemals verzeihen. Der Bruch zwischen den Demokraten des Südens und des Nordens war von dem Augenblick an vollständig und unheilbar.

Die Präsidentschaftswahlkampagne von 1860 nahte. Der heiße Kampf in Kansas und die darauf bezüglichen Debatten im Kongreß, welche nicht selten heftige Ausbrüche der Leidenschaft verursachten, hielten das Volk in fortwährender Aufregung. In der demokratischen Partei wütete ein heftiger Fraktionskampf. Der demokratische Nationalkonvent trat in Charleston am 23. April 1860 zusammen. Nach zehntägigem heißem Kampfe zwischen den Anhängern und Gegnern des Senator Douglas, während welchem die Abgeordneten aus den Baumwollstaaten sich ganz zurückgezogen hatten, wurde die Versammlung vertagt, ohne daß sie einen der Kandidaten nominiert hatte, und trat am 18. Juni in Baltimore aufs neue zusammen. Es war jedoch keine Aussicht darauf, die feindlichen Elemente zu versöhnen. Es wurde sogar wahrscheinlich, daß der Konvent von Baltimore Douglas nominieren würde, während die abgefallenen südstaatlichen Demokraten einen eigenen, die extremsten sklavereifreundlichen Prinzipien vertretenden Kandidaten aufstellen würden.

Inzwischen trat der republikanische Nationalkonvent in Chicago am 16. Mai voll Begeisterung und freudiger Hoffnung zusammen. Die Lage war leicht zu übersehen. Den Demokraten gehörte der Süden. Um bei der Wahl den Sieg davonzutragen, mußten die Republikaner außer den Staaten, die Fremont im Jahre 1856 zugefallen waren, noch die sogenannten »zweifelhaften« gewinnen, d. h. New Jersey, Pennsylvania und Indiana, oder Illinois an Stelle von New Jersey oder Indiana. Die hervorragendsten republikanischen Staatsmänner und Führer jener Zeit, die für die Präsidentschaft in Frage kamen, waren Seward und Chase, die beide als Anhänger einer ausgesprochenen Antisklavereirichtung angesehen wurden. Von diesen beiden hatte Seward die größte Anhängerschaft hauptsächlich aus New York, New England und dem Nordwesten. Vorsichtige Politiker zweifelten ernstlich daran, daß Seward, der wegen einiger starken Ausdrücke in seinen Reden unverdienterweise in den Ruf eines rücksichtslosen Radikalen gekommen war, sämtliche republikanische Stimmen der zweifelhaften Staaten erhalten würde. Auch hatte er sich während seiner langen politischen Laufbahn Feinde gemacht. Es war augenscheinlich, daß diejenigen, welche die Nominierung Sewards für zu gewagt hielten, Chase aus demselben Grunde für nicht geeignet halten würden. Man hielt also Umschau nach einem »geeigneten« Manne, und unter den »geeigneten« stand in erster Linie Abraham Lincoln. Seine große Debatte mit Douglas hatte ihm nationale Berühmtheit verliehen. Die Bewohner der Oststaaten wünschten sehr, den Helden eines so dramatischen Kampfes von Angesicht zu sehen. Man hatte ihn vermocht, mehrere Städte des Ostens zu besuchen, und dort waren seine zahlreichen und geistig hochstehenden Zuhörer von der hervorragenden Kraft und Originalität seiner Reden überrascht und entzückt. Eine Rede, die er in New York im Cooper-Institut vor einem Publikum, das zum großen Teil aus hervorragenden Männern bestand, hielt, wurde damals und wird noch jetzt für eine der an geschlossener Logik und kräftiger Beweisführung reichsten politischen Reden angesehen, die je in Amerika gehalten wurden. Die Bewohner des Westens waren stolz auf ihn als auf den »großen Mann« ihrer engeren Heimat. Seine Popularität wies manche Züge auf, die einen mächtigen Zauber ausüben mußten. Die Entdeckung Lincolns als eines geeigneten Kandidaten war durchaus nicht zufällig, wenngleich es nicht wahrscheinlich ist, daß er während seines Kampfes mit Douglas um den Sitz im Senat an die Möglichkeit einer dereinstigen Präsidentschaftskandidatur gedacht hat. Noch im April 1859 hatte er als Antwort auf die Anfrage eines Freundes geschrieben, daß er sich zum Präsidenten nicht für geeignet halte. Sein Ehrgeiz richtete sich damals nur auf die Vizepräsidentschaft. Einige seiner Freunde in Illinois nahmen sich der Sache jedoch sehr energisch an, und nach einigem Zögern autorisierte Lincoln sie, für ihn zu agitieren. Die Sache wurde dann mit solcher Energie und Umsicht geleitet, daß beim Konvent Lincoln nicht allein von Anfang an alle Stimmen von Illinois hatte, sondern auch von vielen anderen Seiten her Stimmen gewann, ohne dabei einen einzigen Rivalen zu verletzen. Die meisten Gegner Sewards gingen zu Lincoln über und errangen ihm bei der dritten Abstimmung die Nominierung. Wie vorhergesehen war, wurde Douglas vom einen Flügel der demokratischen Partei in Baltimore nominiert. Der extreme sklavereifreundliche Flügel stellte hingegen Breckinridge als Kandidaten auf. Nach einer von seiten der Antisklavereipartei mit Energie und echter Begeisterung geführten Kampagne schlugen die vereinigten Republikaner die uneinigen Demokraten, und Lincoln wurde in den Wahlkollegien mit einer Mehrheit von siebenundfünfzig Stimmen gewählt.

Das Ergebnis der Wahl war kaum bekannt geworden, als im Süden die lang drohende und sorgfältig vorbereitete Spaltung in Gestalt offener Empörung losbrach. Fast einen Monat vor der Inauguration Lincolns als Präsidenten der Vereinigten Staaten hatten bereits sieben südliche Staaten Sezessionsverordnungen eingeführt, eine unabhängige Konföderation gebildet, eine Verfassung entworfen und Jefferson Davis zum Präsidenten erwählt in der Erwartung, daß die übrigen Sklavenstaaten sich ihnen bald zugesellen würden. Am 11. Februar 1861 verließ Lincoln Springfield, um nach Washington überzusiedeln. Mit charakteristischer Schlichtheit bat er seinen Teilhaber, den Namen der Anwaltsfirma » Lincoln and Herndon« während der vierjährigen, unvermeidlichen Abwesenheit des Seniors nicht zu ändern. Tief gerührt nahm er dann herzlichen Abschied von seinen Nachbarn und Freunden.

Die Situation, welcher sich der neue Präsident gegenüber befand, konnte wohl Schrecken einflößen. Im größten Teil des Südens herrschte offene Empörung, und die übrigen Sklavenstaaten schwankten und drohten, sich dem Süden anzuschließen. Der Aufstand wurde von entschlossenen, wagemutigen und geschickten Führern geleitet. Die ganze Bevölkerung der Südstaaten eilte, anscheinend voll Begeisterung und kriegerischem Mute, zu den Waffen und hatte schon einige der Festungen und Arsenale in ihrer Gewalt. Beim Regierungsantritt des neuen Präsidenten war die Staatsregierung der Union in den Händen von Männern, von denen einige offen für den Aufstand Partei ergriffen, während andere durch ihre überlieferte politische Doktrin in ihrer Stellungnahme behindert wurden und der Sache der Aufständischen durch ihre unentschlossene Haltung Vorschub leisteten. Alle Departements der Verwaltung waren voll Sympathien für den Süden, alle waren mit Illoyalität durchsetzt. Der Staatssäckel war leer, und der Staatskredit stand so schlecht wie nur möglich. Die Arsenale waren ungenügend mit Waffen versehen oder gar durch verräterische Umtriebe geleert. Das stehende Heer war unbedeutend, über eine große Fläche verstreut, und einige der besten Offiziere waren abgefallen und verloren gegangen. Die Flotte war klein, die Schiffe veraltet. Und das war nicht alles. Die Drohung des Abfalls und der Spaltung war in den letzten Jahren von der sklavereifreundlichen Macht so oft ausgestoßen, daß die meisten Nordstaatler sie nicht mehr ernst nahmen. Aber als nun die Drohung sich plötzlich verwirklichte, und die Spaltung in ihrem vollen Ernste da war, überlief es gleichsam den ganzen Norden mit einem kalten Schauer. Der Ruf nach Eintracht und Frieden um jeden Preis erhob sich von allen Seiten. Die demokratischen Parteigänger wiederholten den Ruf mit lärmender Energie, und es wurde sogar vielen Republikanern der Sieg, den sie eben an der Wahlurne davongetragen hatten, unheimlich, und sie sprachen von Kompromiß. Das ganze Land hallte wider von den sogenannten anti-coercion meetings. Es fehlte gewiß nicht an entschlossenen und festen Worten von entschiedenen Antisklavereimännern, aber sie wurden zeitweilig fast übertönt von einem wirren Durcheinander ohrzerreißender Stimmen. Und auch dies war noch nicht alles. Einflußreiche Mächte in Europa hegten den nur schlecht verhehlten Wunsch, daß die Spaltung der amerikanischen Union von Dauer sein möchte, sie traten eifrig für die Sezessionisten ein, und die beiden hauptsächlichsten Marinemächte der alten Welt schienen nur auf eine günstige Gelegenheit zu warten, um ihnen hilfreiche Hand zu bieten.

Dies war die Lage der Dinge, die »der ehrliche Abe Lincoln« meistern sollte, als er seinen Sitz auf dem Präsidentenstuhl einnahm, er, »der ehrliche Abe Lincoln«, der so gutmütig war, daß er nie »nein« sagen konnte, dessen größte Tat eine Diskussion über die Sklavereifrage gewesen war, der nie eine führende Stelle innegehabt hatte, der in hohen Staatspflichten gänzlich unerfahren war, und der die Männer, auf deren Rat und Mitwirkung er sich verlassen sollte, fast nur von Ansehen kannte. Sein Regierungsantritt wurde deshalb durchaus nicht mit allgemeinem Vertrauen begrüßt, selbst nicht in seiner eigenen Partei. Er hatte wohl große Popularität erreicht, aber viele Republikaner, besonders solche, die Sewards Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten befürwortet hatten, sahen mit einem an Schrecken grenzenden Gefühl den schlichten »Rechtsanwalt aus Illinois« die Zügel der Regierung ergreifen. Redner und Zeitungen der Opposition karikierten ihn und machten ihn auf jede Weise lächerlich. Viele wunderten sich geradezu darüber, wie ein solcher Mann es wagen könne, eine Aufgabe zu unternehmen, welche nach seinen eigenen Abschiedsworten an seine engeren Landsleute »schwieriger als diejenige Washingtons« war.

Lincoln brachte freilich zur Bewältigung dieser Aufgabe, neben anderen seltenen Eigenschaften, das erste und wichtigste Erfordernis mit, nämlich eine instinktive Erkenntnis ihrer Natur. Wenn er sich auch keinen Augenblick der Illusion hingab, daß die Union ohne Krieg erhalten oder wiederhergestellt werden könnte, so konnte er doch all die schwierigen Probleme, die er würde lösen müssen, nicht voraussehen. Er begriff nur instinktiv, wie ein solcher Konflikt von einer demokratischen Regierung behandelt werden mußte. Er wußte, daß der bevorstehende Krieg, ob groß oder gering, nicht wie ein Krieg gegen äußere Feinde eine allgemeine nationale Begeisterung entflammen, sondern als ein Bürgerkrieg wahrscheinlich den Parteihader – selbst in den unter dem Einfluß der Regierung stehenden Gegenden – zu ungewöhnlicher Heftigkeit entfachen würde. Er wußte auch, daß dieser Krieg nicht mittels eines vorhandenen, von einem absoluten willen beherrschten Kriegsapparats geführt werden konnte, sondern daß die Mittel dazu erst geschaffen, vom Volke freiwillig dargebracht werden mußten. Ein Heer mußte gebildet werden und zwar aus Freiwilligen. Große Summen Geldes waren nötig; das Volk mußte sie aufbringen, indem es sich durch seine Abgeordneten selbst besteuerte. Es mußte vertrauensvoll außergewöhnliche Macht in die Hände einzelner legen. Drückenden Kriegsmaßnahmen, welche die gewohnten Rechte und Freiheiten des Bürgers beschränkten, mußte sich das Volk oder doch die große Mehrzahl des Volkes freiwillig und ohne Murren unterwerfen. Und dieser Zustand, das wußte Lincoln, würde nicht nur während einer kurzen Zeit der Begeisterung dauern, sondern möglicherweise durch lange beschwerliche Jahre, die in wechselndem Erfolge Glück und Unglück, Hoffnung und Verzweiflung bringen würden, wenn er die Regierung vermittelst der öffentlichen Meinung erfolgreich durch all die von Vorurteilen, Zweifeln und Meinungsverschiedenheiten in der Volksseele geschaffene Verwirrung führen wollte, und wenn er den Volkswillen so versöhnen, begeistern, beeinflussen und leiten wollte, daß das Volk alle zur Ausführung der gewaltigen Aufgabe nötigen Mittel gewährte, dann mußte er, das fühlte er, alle Strömungen und Einflüsse, welche die Gefühls- und Gedankenwelt des Volkes stark bewegten, berücksichtigen und lenken, während er glauben machte, daß er ihnen gehorchte.

Er fühlte instinktiv, daß, wenn ein freies Volk als Ganzes vorwärts geführt werden sollte, um eine große gemeinsame Gefahr unter den allerschwierigsten Umständen zu überwinden, dies die Art Führerschaft sei, deren es bedürfe, eine Führerschaft, die nicht nur kühn voranstürmt, unbekümmert darum, wer ihr folgt, sondern die darauf bedacht ist, alle verfügbaren Kräfte festzuhalten und alle Nachzügler zu sammeln und auf diese Weise die Kolonne geschlossen zu halten, damit die Front im Vormarsch gut unterstützt werde. Für eine solche Führerschaft eignete Abraham Lincoln sich ganz besonders, ja, besser als irgendein anderer der damaligen amerikanischen Staatsmänner. Er hatte Verständnis für die einfachen Leute aus dem Volk, für ihre Liebe und ihren Haß, ihre Vorurteile und ihre edlen Impulse, ihre Schwäche und ihre Kraft; er kannte sie so gut, wie er sich selbst kannte, und sein verständnisvolles, teilnehmendes Wesen trug ihm auch ihre Teilnahme und ihre Zuneigung ein.

Seine Inaugurationsrede ließ seinen politischen Kurs in charakteristischer weise vorhererkennen. Im Prinzip gab er in dieser Ansprache kein Tüttelchen nach, aber sie war nicht das flammende Antisklaverei-Manifest, wie es den eifrigeren Republikanern lieb gewesen wäre. Es war eher das Bitten und Ermahnen eines betrübten Vaters, der mit eigensinnigen Kindern spricht. Mit den freundlichsten Worten wies er die Sezessionisten darauf hin, wie schlecht beraten sie bei ihrem Versuch der Trennung seien, und weshalb sie im allereigensten Interesse davon ablassen sollten. Nachdrücklich, aber fast mit einem Anfluge von Wehmut sagte er ihnen, ebenso wie ihre Pflicht nicht sei, die Union zu zerstören, so sei es seine heiligste, mit dem Eide bekräftigte Pflicht, die Union zu erhalten. Er sagte, das wenigste, was ihm der Verfassungseid auferlegte, sei, das Eigentum der Union zu hüten und zu bewahren, er hoffe, dies mit friedlichen Mitteln zu erreichen, denn er verabscheue den Krieg, zu welchem Zwecke auch immer, und es werde keinen Krieg geben, wenn sie nicht die Angreifer wären. Das Ganze war ein Meisterstück der Überredungskunst und war im wesentlichen Lincolns eigenes Werk, wenn auch Seward ihm manche Zusätze und Verbesserungen vorgeschlagen hatte. Vermutlich erwartete Lincoln nicht, daß seine Inaugurationsrede irgendeinen Einfluß auf die Sezessionisten ausüben würde, denn er mußte wissen, daß sie um jeden Preis zur Trennung entschlossen waren. Aber seine Worte enthielten einen Appell an die unentschlossenen Geister im Norden, und auf sie übte die Rede eine gewaltige Wirkung aus. Jeder offene und ehrliche Mensch, wenn er auch noch so ängstlich und unentschlossen war, mußte zugeben, daß der Präsident durch seinen Eid gebunden war, seine Pflicht zu tun, daß dieser Eid ihn zwang, das zu tun, was er zu tun versprach, daß, wenn die Sezessionisten einem solchen Appell wie dem des Präsidenten widerstanden, sie Böses im Schilde führen mußten, und es dann notwendig sei, die Regierung gegen sie zu unterstützen. Die Parteinahme und Sympathie für die Aufständischen in den Südstaaten verschwand allerdings nicht ganz im Norden, aber sie wurde angesichts solcher Vernunftgründe wesentlich geringer. Die, welche Widerstand leisteten, taten es auf die Gefahr hin, unpatriotisch zu erscheinen.

Es darf aber nicht angenommen werden, daß es Lincoln sofort gelang, es jedem recht zu machen; selbst unter seinen Anhängern und seinen nächsten Freunden erhoben sich mißbilligende Stimmen. Bei der Bildung seines Kabinetts, welche er im wesentlichen vollendet hatte, ehe er von Springfield nach Washington übersiedelte, hielt er es für klug, die Unterstützung der einflußreichen Männer seiner Partei in Anspruch zu nehmen, besonders derjenigen, die seine Nebenbuhler im Konvent von Chicago gewesen waren und erwiesenermaßen über Anhang verfügten. In ihnen fand er zugleich Vertreter der verschiedensten Meinungsschattierungen innerhalb der Partei und der verschiedenen Elemente, frühere Whigs und frühere Demokraten, aus denen die Partei zusammengesetzt war. Dies war unter den damaligen Umständen die richtigste Politik. Es war freilich vorauszusehen, daß unter den Mitgliedern eines derartig zusammengesetzten Kabinetts störende Meinungsverschiedenheiten und Rivalitäten ausbrechen würden. Dennoch war es für den Präsidenten besser, diese führenden und ehrgeizigen Männer in seiner Nähe zu Mitarbeitern, als sie im Kongreß zu Gegnern und Kritikern zu haben, wo ihre Differenzen sich in der gemeinsamen Opposition gegen Lincoln wahrscheinlich geschlichtet haben würden. Als Mitglieder seines Kabinetts konnte er hoffen, sie zu beherrschen und im Dienste der Allgemeinheit beschäftigt zu halten, wenn er Kraft dazu besäße. Ob er diese Kraft besäße, sollte bald auf eine besonders harte Probe gestellt werden.

Es kann kein Zweifel sein, daß Seward und Chase, die beiden hervorragendsten republikanischen Staatsmänner, sich von ihrer Partei gekränkt und zurückgesetzt gefühlt hatten, als in ihrem Nationalkonvent ihnen als Präsidentschaftskandidat ein Mann vorgezogen wurde, dem sie sich sehr natürlicher Weise sowohl was Fähigkeit und Erfahrung betraf als auch im Staatsdienst überlegen fühlten. Die Bitterkeit dieser Enttäuschung wurde noch verschärft, als sie das Gebühren dieses Mannes aus dem Westen im Weißen Hause gewahrten und sahen, wie er, dem noch in Worten und Manieren so viel Bäurisches anhaftete, seine Mitbürger alle, groß und gering, mit schlichter Herzensgüte und ohne allen Aufwand von offizieller oder würdevoller Haltung als Gleichgestellte empfing und die Staatsgeschäfte in einer formlosen, unsystematischen und anscheinend sogar etwas sorglosen Weise erledigte. Sie verstanden einen solchen Mann einfach nicht. Besonders Seward, der als Staatssekretär sich als nächster zur Exekutive fühlte und sich bald angewöhnte, auf eigene Hand Befehle zu erteilen und Anordnungen zu treffen, hielt es für notwendig, die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten aus so ungeschickten Händen zu retten und sich selbst der Sache anzunehmen. Nach Ablauf des ersten Monats der neuen Administration legte er Präsident Lincoln ein Memorandum vor, welches von Nicolay und Hay entdeckt und zuerst veröffentlicht wurde und einen ihrer wertvollsten Beiträge zur Geschichte jener Zeit bildet. In diesem Schriftstück wirft Seward dem Präsidenten geradezu vor, daß jetzt, nach Verlauf eines ganzen Monats der Administration, die Regierung noch keine erklärte Politik, weder in den inneren noch in den äußeren Angelegenheiten, habe. Er sagte ferner, die Sklavereifrage müsse unbedingt aus dem Kampf um die Union ausgeschaltet werden, und die Frage der Erhaltung der Forts und sonstigen Besitzungen im Süden müsse im Hinblick darauf entschieden werden. Er betonte, daß von Spanien und Frankreich ganz kategorisch Erklärungen verlangt werden müßten, denn eine dieser Mächte bereite sich darauf vor, Besitz von San Domingo zu ergreifen, und beide beabsichtigten in Mexiko einzufallen. Auch müßten Erklärungen von Rußland und Großbritannien gefordert und im ganzen amerikanischen Festlande eine kräftige Stimmung nationaler Unabhängigkeit gegen europäische Intervention geweckt werden. Diese Politik müßte dauernd und energisch von einer maßgebenden Person befolgt und geleitet werden, entweder müsse sich der Präsident selbst ihr vollständig widmen, oder er müsse dieses Amt irgendeinem Mitgliede des Kabinetts übertragen, worauf jegliche Diskussion über diese Politik beendet sein müsse.

All dies konnte nur als eine Forderung in aller Form verstanden werden, daß der Präsident seine eigene Unfähigkeit zur Amtsführung anerkennen und sich damit begnügen sollte, kleine Ämter zu verteilen, um in den wichtigen Angelegenheiten die ganze Macht in die Hände seines Staatssekretärs zu legen. Heutzutage erscheint es unbegreiflich, daß ein Staatsmann von der Bedeutung Sewards zu jener Zeit ein politisches Programm vorschlagen konnte, in welchem die Sklavereifrage keinen Platz hatte. Die vorgeschlagene Politik beruhte auf der gänzlich irrigen Voraussetzung, daß die Sezessionisten, die bereits ihre Konföderation gebildet hatten und fest entschlossen waren, für ihre Unabhängigkeit zu kämpfen, ja bereits ihre Vorbereitungen zum Kriege trafen, durch eine sentimentale Demonstration gegen die europäische Intervention noch wieder in die Union zurückgelockt werden könnten. Eine solche Politik hätte im kritischen Augenblick die Union in einen auswärtigen Krieg verwickelt und hätte die europäische Intervention zugunsten der Südstaaten geradezu herausgefordert und dadurch ihre Aussichten im Kampfe um die Unabhängigkeit zehnfach verbessert. Ebenso unbegreiflich ist auch, daß Seward nicht erkannte, welch tödliche Beleidigung diese Aufforderung zum bedingungslosen Verzicht für das Haupt der Regierung in sich schloß, und daß durch die schriftliche Darlegung seines Vorschlags er sich gerade dem Manne preisgab, den er beleidigte. Hätte Lincoln nämlich, wie die meisten Präsidenten es gemacht haben würden, Seward sofort entlassen und dabei den wahren Grund seiner Entlassung veröffentlicht, so wäre es mit Sewards Karriere zu Ende gewesen. Lincoln aber tat, was wenige der edelsten und größten Männer der Weltgeschichte getan haben würden. Er war der Meinung, daß Seward an der Stelle, wo er stand, wenn er richtig geleitet wurde, dem Vaterlande noch große Dienste leisten konnte. Er ignorierte also die Beleidigung, stellte aber unerbittlich seine Autorität fest. In einer Antwort, die sofort abgeschickt wurde, teilte er Seward mit, daß die Administration allerdings eine innere Politik habe, wie sie mit Sewards Billigung in der Inaugurationsrede niedergelegt sei, und daß ihre auswärtige Politik aus Sewards, vom Präsidenten gebilligten, Depeschen zur Genüge hervorgehe. Sollte die Politik der Regierung fortgesetzt oder geändert werden müssen, so wolle er, der Präsident, es auf eigene Verantwortung tun. In dieser Erfüllung seiner Pflichten aber habe der Präsident ein Recht auf die Unterstützung seiner Minister. Die phantastischen Pläne Sewards von auswärtigem Krieg und europäischer Politik schob Lincoln stillschweigend beiseite. Damit war die Sache erledigt. Seward mußte wohl gefühlt haben, daß er in der Gewalt eines überlegenen Mannes war, daß sein beleidigender Vorschlag als vorübergehende Verirrung großmütig verziehen worden war, und daß er diese seine Verirrung nur durch größte persönliche Hingabe und Loyalität wieder gut machen könnte. Das tat er. Er war vollständig bezwungen und legte hinfort Lincoln alle seine Depeschen ohne Murren zur Durchsicht und zur Revision vor. An einen Krieg mit Europa wurde nicht mehr gedacht; die Sklavereifrage fand mit der Zeit ihre Erledigung im Kampf für die Union, und als in späterer Zeit von einigen unzufriedenen Senatoren Seward die Fehler der Administration vorgeworfen und seine Entlassung verlangt wurde, hielt Lincoln fest zu seinem treuen Staatssekretär.

Chase, der Schatzsekretär, Lincolns zweiter besiegter Gegenkandidat, war ein schöner Mann, von außerordentlicher Befähigung und glühendem Patriotismus. Eine gewisse äußere Kühle ließ ihn zurückhaltender erscheinen, als er wirklich war, und ließ die Enttäuschung über seine Niederlage nicht so stark zum Ausdruck kommen. Lincolns Art war jedoch so grundverschieden von seiner eigenen, daß sie ihm nie ganz verständlich wurde und ihm jedenfalls nie sympathisch war. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn zu Anfang der Administration ein entschiedener Konflikt zwischen Lincoln und Chase entstanden wäre, wie zwischen Lincoln und Seward; ein solcher hätte eine gegenseitige offene Aussprache im Gefolge gehabt, und Chase wären für eine wahre Wertschätzung von Lincolns ernster Sinnesart die Augen geöffnet. So blieb das Verhältnis der beiden stets ein wenig förmlich, und Chase fühlte sich nie ganz behaglich unter einem Staatsoberhaupte, dem er kein rechtes Verständnis entgegenbrachte und dessen Charakter und Fähigkeiten er nie ganz richtig gewürdigt hat. Indessen widmete er sich eifrig den Pflichten seines Ressorts und leistete dem Vaterlands unter den schwierigsten Verhältnissen die größten Dienste. Niemand erkannte dies herzlicher an als Lincoln selbst, und sie arbeiteten bis gegen Schluß des ersten Abschnittes von Lincolns Präsidentschaft auch gut zusammen; dann nahm Chase seine Entlassung vom Schatzamt infolge von Meinungsverschiedenheiten über Besetzung von Ämtern. Nach dem Tode Taneys ernannte der Präsident ihn zum Chief Justice, zum Vorsitzenden des obersten Gerichts.

Im übrigen bestand das Kabinett aus weniger bedeutenden Männern, die sich auch leichter unterwarfen. Im Januar 1862 hielt es Lincoln für nötig, Cameron aus dem Kriegsministerium herauszukomplimentieren und Edwin A. Stanton an seine Stelle zu setzen, einen Mann von äußerst praktischem Sinn aber von hitzigem Temperament, schroffem, rechthaberischem Wesen und rücksichtsloser Energie. Er hatte eine gewaltige Arbeitskraft und war von hohem Patriotismus und größtem Pflichtgefühl beseelt. Er nahm das Kriegsministerium an nicht als Parteimitglied, denn er war nie ein Republikaner gewesen, sondern nur, weil er alles tun wollte, was in seiner Macht stand, »um das Vaterland zu retten«. Die Art, in welcher es Lincoln gelang, diesen Löwen zu bändigen und seinem Willen gefügig zu machen durch freimütige Anerkennung seiner großen Anlagen und Eigenschaften, durch Gewährung des hochherzigsten Vertrauens, dadurch, daß er ihn nach besten Kräften in seiner Arbeit unterstützte und ihm bei Meinungsverschiedenheiten freundlich nachgab oder ihn liebevoll überredete oder, wenn es nötig war, fest seinen höheren Willen durchsetzte, legt ein beredtes Zeugnis ab von seiner Kunst Menschen zu beurteilen und zu behandeln. Stanton war mit einer sehr geringen Meinung von Lincolns Charakter und Können in den Staatsdienst getreten; er wurde aber einer seiner ergebensten Freunde, der ihm die wärmste Anerkennung zollte. Mit keinem der übrigen Staatssekretäre pflog Lincoln so vertrauten Umgang. Es war eine von Lincolns hervorragendsten Eigenschaften, offen und unbefangen Ratschläge anzunehmen und sie, ohne jede Eitelkeit auf seine eigene Meinung, zu prüfen; er hatte jedoch noch nicht lange den Vorsitz in seinem Kabinettsrat geführt, als schon alle Mitglieder desselben fühlten, daß sein Geist der herrschende sei.

Die vorsichtige Politik, welche er in seiner Inaugurationsrede angekündigt und während der ersten Periode des Bürgerkrieges befolgt hatte, befriedigte längst nicht alle seine Anhänger. Die feurigen Geister unter den Unionsleuten hielten es für richtig, daß der ganze Norden sofort zu den Waffen gerufen werde, damit die Sezession mit einem kräftigen Schlage niedergeworfen würde. Die feurigen Geister unter den Antisklavereimännern behaupteten, die Sklaverei habe die Sezession hervorgebracht, daher müsse jener kräftige Schlag gegen die Sklaverei geführt werden. Beide beklagten sich, daß die Regierung kleinmütig, unentschlossen und von bedauernswerter Langsamkeit im Handeln sei. Lincoln urteilte anders. Die Gedanken und Gefühle des Volkes, der »schlichten Leute«, waren ihm stets gegenwärtig. Aus den Reihen des Volkes rekrutierten sich die Mannschaften zum Kriege, wenn überhaupt Krieg geführt werden sollte. Er war überzeugt, daß das Volk bereit sein würde, in den Krieg zu ziehen, wenn er durchaus notwendig erschien, und diese Notwendigkeit einsehen würde, wenn es selbst angegriffen würde. Daher wartete er, bis die Feinde der Union den ersten Schlag geführt hatten. Sobald am 12. April 1861 die erste Kanone im Hafen von Charleston auf die vom Fort Sumter wehende Unionsflagge abgefeuert worden war, erscholl der Kriegsruf, und die Bevölkerung des Nordens eilte zu den Waffen.

Lincoln wußte, daß das Volk wohl bereit war, zur Verteidigung der Union in den Krieg zu ziehen, aber noch nicht bereit, für die Abschaffung der Sklaverei zu kämpfen. Er erklärte öffentlich, daß er das Recht habe, das Volk zum Kampf für die Union aufzurufen, aber nicht zum Kampf gegen die Aufhebung der Sklaverei in erster Linie. Diese Erklärung erwarb ihm zahllose Soldaten für die Union, welche zu jener Zeit noch gezögert haben würden, gegen die Institution der Sklaverei zu Felde zu ziehen. Eine Zeitlang gelang es ihm, den Ruf der Oppositionspartei, daß die republikanische Regierung den Krieg der Union in einen »Abolitionskrieg« verkehre, unschädlich zu machen. Aber als er so weit ging, gegen einzelne die Sklavenemanzipation begünstigende Handlungen der im Felde stehenden Generäle in ihrem Bezirk Gegenbefehl zu geben, erschollen laute Klagen der eifrigen Antisklavereimänner, welche den Präsidenten beschuldigten, der Antisklavereisache untreu geworden zu sein, viele dieser Männer werden jetzt bei ruhiger, rückschauender Überlegung bereitwillig zugeben, daß es eine gefährliche Politik gewesen wäre, den Erfolg des Kampfes für die Union durch einen vorschnell herbeigeführten, demonstrativen Kampf gegen die Sklaverei aufs Spiel zu setzen.

Lincolns Ansichten und Empfindungen, die Sklaverei betreffend, waren unverändert. Diejenigen, die damals vertrauliche Gespräche mit ihm über die Sache geführt haben, wissen, daß er nicht erwartete, daß die Sklaverei den Sieg der Union lange überdauern würde, auch wenn sie nicht gleich durch den Krieg selbst vernichtet werden würde. Hierin behielt er recht. Wenn das Heer der Union in einem frühen Stadium des Kampfes schon einen entscheidenden Sieg errungen hätte und die abtrünnigen Staaten mit der Sklaverei wieder in den Bund aufgenommen worden wären, so wäre die »Sklavenhaltermacht« doch eine besiegte Macht gewesen, besiegt bei ihrem Versuch, ihre wirkungsvollste Drohung auszuführen. Sie hätte ihr Ansehen eingebüßt. Ihre Drohungen würden einen hohlen Klang bekommen und niemand mehr erschreckt haben. Sie hätte alle Hoffnung darauf, sich auszubreiten, sich auf irgendeinem Gebiete des Kongresses im Gleichgewicht mit den anderen Parteien zu erhalten und die Regierung zu beeinflussen, aufgeben müssen. Die siegreichen freien Staaten hätten ein großes Übergewicht auf sie ausgeübt, und sie hätte dem Einfluß eines ihren Ideen feindlichen Zeitalters nicht widerstehen können. Sie hätte nicht mehr herrschen können, und für das von ihr vertretene Prinzip der Sklaverei war Herrschen eine Lebensfrage. Die Sklaverei hätte vielleicht noch eine Zeitlang ihr Dasein gefristet, aber sie wäre gewiß »der Auflösung verfallen« gewesen. Die längere Dauer des Krieges beschleunigte das Ende der Sklaverei, ein kurzer Krieg hätte vielleicht nur ihren Todeskampf in die Länge gezogen. Lincoln erkannte dies klar. Er erkannte aber auch, daß durch einen verlängerten Todeskampf der Sklaverei illoyale Gefühle lebendig erhalten, beunruhigender Aufruhr geschürt und dem Vaterlande großer Schaden zugefügt werden konnte. Er hoffte also, daß die Sklaverei den Krieg nicht überdauern würde.

Die Frage hingegen, wie er wohl seine Macht und seinen Einfluß gebrauchen könnte, um das schleunige Ende der Sklaverei herbeizuführen, war ihm nicht bloß Gefühlssache. Er selbst hat später seine Ansichten und Schlußfolgerungen darüber in einem seiner unvergleichlichen Briefe veröffentlicht. »Natürlich bin ich Gegner der Sklaverei«, schrieb er. »Wenn Sklaverei kein Unrecht ist, gibt es überhaupt kein Unrecht. Ich kann mich der Zeit nicht erinnern, wo ich das nicht gedacht und gefühlt habe. Dennoch gab mir die Präsidentschaft meines Erachtens nie das Recht, unbegrenzt nach diesem meinem Urteil und Gefühl zu handeln. Bei meiner Inauguration erklärte ich, daß ich nach bestem Wissen und Gewissen und mit ganzer Kraft alles tun wolle, um die Unionsverfassung zu erhalten, zu schützen und zu verteidigen. Ich konnte mein Amt nicht antreten, ohne jenen Eid zu leisten. Auch war es nicht meine Ansicht, daß ich den Eid leisten dürfte, um zur Macht zu gelangen, und dann bei Ausübung dieser Macht meinen Eid verletzen dürste. Meines Erachtens verbot mir jener Eid sogar, in Regierungsangelegenheiten meiner persönlichen Ansicht über die Sklavereifrage nachzugeben. Ich sah jedoch ebenfalls ein, daß mein Eid mir die Pflicht auferlegte, nach besten Kräften und mit allen verfügbaren Mitteln die Regierung und die Nation zu erhalten, deren organisches Gesetz die Verfassung war. Ich konnte nicht finden, daß ich nach besten Kräften auch nur versucht hätte, die Verfassung zu erhalten, wenn ich, um die Sklaverei oder auch eine geringere Sache zu retten, den Ruin sowohl der Regierung und des Landes, als auch der Verfassung geduldet hätte.« Mit anderen Worten, wenn das Wohl der Staatsregierung, der Verfassung und der Union die Vernichtung der Sklaverei erfordert hätte, so fühlte er, daß es nicht nur sein Recht, sondern auch seine heilige Pflicht sei, sie zu vernichten. Infolge des Krieges für die Union wurde ihre Vernichtung eine Notwendigkeit.

Als der Krieg sich immer länger hinzog und ein Mißgeschick dem andern folgte, wurde das Gefühl jener Notwendigkeit in Lincoln immer lebendiger. Seine Freunde erinnern sich wohl, daß er schon zu Beginn des Jahres 1862 erkannte, was Seward nicht einzusehen schien, daß dem Unionskriege einen sklavereigegnerischen Charakter zu geben das sicherste Mittel sein würde, die Anerkennung der südstaatlichen Konföderation als unabhängigen Staat seitens der europäischen Großmächte zu verhindern. Da die Sklaverei von der ganzen zivilisierten Menschheit als unmoralisch verabscheut wurde, konnte keine europäische Regierung es wagen, der öffentlichen Meinung ihres Volkes eine so grobe Beleidigung zuzufügen, wie darin lag, daß sie offen für die Gründung eines neuen, auf Sklaverei begründeten Staates eintrat zum Schaden eines schon bestehenden und gegen die Sklaverei kämpfenden. Er erkannte auch, daß, solange die Sklaverei unangetastet fortbestand, sie für die Sezession ein Element der Macht war, und daß, wenn jene Macht überwunden werden sollte, es unbedingt nötig war, sie in ein Element der Schwäche zu verwandeln. Es war ihm jedoch durchaus nicht sicher, daß das Volk bereit sein würde, ein so radikales Mittel wie die Emanzipation der Sklaven durch Staatsgesetz zu verfügen, und er erwog mit Besorgnis, daß, wenn es nicht dazu bereit wäre, dieser große Schritt dadurch, daß er im Norden Zwist hervorriefe, der Sache der Union auf der einen Seite mehr schaden könnte, als er ihr auf der andern nützte. Er hieß den in New York wiederholt gemachten Versuch willkommen, das Gewissen des Publikums in der Sklavereifrage aufzurütteln und seine Gedanken durch öffentliche Versammlungen zu beeinflussen, welche sich kühn für die Sklavenemanzipation aussprachen. Zu gleicher Zeit trat er selbst vorsichtig mit einer in besonderer Botschaft an den Kongreß gerichteten Befürwortung eines Antrags hervor, daß die Vereinigten Staaten jedem Staate ihre Mitwirkung gewähren sollten, welcher die allmähliche Aufhebung der Sklaverei einzuführen gewillt sei, und einen solchen Staat auch mit Geldmitteln zur Entschädigung ehemaliger Sklavenhalter unterstützen solle. Die Diskussion begann und zog bald immer weitere Kreise. Der Kongreß nahm den befürworteten Antrag an und ging bald einen Schritt weiter: er nahm einen Gesetzentwurf an, nach welchem im Distrikte Kolumbien die Sklaverei aufgehoben wurde. Auch die breiteren Schichten des Volkes fingen an, sich in größerem Maße mit der Sklavenemanzipation zu beschäftigen als einer Sache, die von patriotisch gesinnten Bürgern wohl erwogen werden müsse. Bald meinte dann Lincoln, daß die Zeit gekommen sei, und man ohne Gefahr ernstlicher Verwirrung in den Reihen der Union das Emanzipationsedikt wagen könne.

Das Mißlingen von McClellans Bewegung auf Richmond steigerte das Ansehen des Feindes erheblich. Das Bedürfnis nach einer großen, die Lebenskraft der Union anspornenden Tat wurde täglich dringender. Am 21. Juli 1862 überraschte Lincoln sein Kabinett mit dem Entwurf einer Proklamation, welche die Sklaven in allen am 1. Januar 1863 noch gegen die Union in Aufstand befindlichen Staaten für frei erklärte. Er verkündete, daß in der Sache selbst sein Entschluß unweigerlich feststünde; er erbat sich Rat nur betreffs der und des Zeitpunktes der Veröffentlichung. Seward deutete darauf hin, daß, wenn die Proklamation jetzt, mitten in all dem Mißgeschick und Kriegsunglück erlassen würde, es wie der letzte Notschrei einer verlorenen Sache klingen würde. Lincoln gab Seward recht, und die Proklamation wurde verschoben. Es folgte abermals eine Niederlage, die zweite bei Bull Run. Als aber nach jener Schlacht das Heer der Konföderierten unter Lee über den Potomac ging und in Maryland einfiel, gelobte Lincoln im tiefsten Herzen, daß, wenn dem Unionsheere nunmehr ein Sieg verliehen würde, das Freilassungsdekret sicherlich veröffentlicht werden sollte. Die Schlacht bei Antietam wurde am 17. September gewonnen, und die vorläufige Emanzipationsproklamation wurde am 22. desselben Monats erlassen. Es war Lincolns eigenster Entschluß, seine eigenste Tat; aber sie verpflichtete tatsächlich das ganze Volk: es gab kein Zurück mehr. Trotz mancher Einschränkungen bedeutete sie tatsächlich die Aufhebung der Sklaverei. Also schrieb Lincoln seinen Namen auf die Tafeln der Geschichte und mit dem Titel, der ihm am liebsten war: Sklavenbefreier.

Freilich, die große Proklamation, welche den Krieg zu einem Kriege für »Einheit und Freiheit« stempelte, ließ nicht gleich einen Umschwung in den Ereignissen auf dem Kriegsschauplatze erkennen. Es gab weitere Mißerfolge: Fredericksburg und Chancellorsville. Aber mit Gettysburg und Vicksburg veränderte sich das ganze Bild des Krieges. Schritt für Schritt, erst langsam, dann schneller und immer sieghafter wurde die Fahne der Union von Schlachtfeld zu Schlachtfeld ihrem hohen Ziele entgegengetragen. Der Erlaß des Emanzipationsdekrets hatte natürlich das Eintreten zahlreicher freigewordener Neger in das Unionsheer zur Folge. Diese Maßregel hatte eine viel weitgehendere Wirkung, als bloß dem Unionsheere mehr Mannschaften zuzuführen. Die ganze Arbeiterschaft der Sezessionsstaaten war vollständig und hoffnungslos desorganisiert. Der Krieg wurde zu einem Rechenexempel. Im selben Maße wie die Armeen der Union vorrückten, verringerte sich das Areal, aus dem die Südstaatliche Konföderation Rekruten und Kriegsvorräte erheben konnte, während das Areal, aus dem die Union ihre Verstärkungen bezog, sich stetig vergrößerte. Dabei hatte die Union überall, sogar innerhalb des südlichen Heeres, ihre Anhänger. Das Schicksal der Sezession war schon damals tatsächlich besiegelt, aber es bedurfte noch harter Arbeit und viel Blutvergießens, um die tapferen Krieger, welche für die Sezession kämpften, zu überzeugen, daß ihre Sache verloren war.

Die Emanzipationsproklamation erfuhr auch in den Reihen der loyalen Anhänger der Union keineswegs sofort ungeteilten Beifall. Bei den Herbstwahlen 1862 traten schon deutliche Zeichen einer Reaktion gegen die Administration hervor, welche die von vielen gehegte Ansicht zu rechtfertigen schienen, daß der Präsident der Entwicklung des Volksempfindens und Volkswillens vorgegriffen habe. Der Ruf, daß der Krieg der Union in einen Abolitionskrieg verwandelt worden sei, wurde abermals und lauter als je von der Opposition erhoben. Aber der gesunde Menschenverstand und die patriotischen Instinkte des Volkes stellten sich allmählich auf Lincolns Seite, und er nahm jede Gelegenheit wahr, diese Entwicklung der Dinge durch persönliche Erörterung und Ermahnung zu fördern. Es hat in Amerika nie einen Präsidenten gegeben, der in so fortwährender, tätiger Fühlung mit der öffentlichen Meinung in seinem Lande gewesen ist; es hat auch nie einen gegeben, der, obgleich an der Spitze der Regierung, doch dem Volke so nahe gestanden hat. Weit über den Kreis derer hinaus, die ihn lange gekannt hatten, nahm die Empfindung stetig zu, daß der Mann im Weißen Hause immer der »ehrliche Abe Lincoln« geblieben war, und daß jeder Bürger sich ihm mit Klagen, Vorstellungen oder Ratschlägen nähern durfte, ohne dabei Gefahr zu laufen, stolz und herrisch abgewiesen oder durch gönnerhafte Herablassung gedemütigt zu werden. Dieses Vorrecht wurde denn auch von so vielen und mit so rücksichtsloser Freiheit ausgeübt, daß eine wahrhaft übermenschliche Geduld dazu gehörte, sie überhaupt zu ertragen. Es weilen noch heute Männer unter uns, die jetzt mit Erstaunen, wenn nicht mit Bedauern das wieder lesen würden, was sie Lincoln damals zu sagen und zu schreiben wagten. Lincoln wies jedoch keinen zurück, von dem er annahm, daß er im guten Glauben und aus patriotischen Gründen das Wort an ihn richtete. Kein guter Ratschlag wurde unbeachtet gelassen. Keine offene Kritik beleidigte ihn. Keine ehrliche Opposition, wenn sie ihm auch noch so schmerzlich war, konnte eine dauernde Entfremdung zwischen ihm und dem Gegner aufkommen lassen. Es darf behauptet werden, daß wenige Männer, die an der Spitze einer Regierung gestanden haben, kühneren Versuchen ihre Handlungsweise zu beeinflussen, strengerer Kritik ihrer Taten und grausamerer Mißdeutung ihrer Beweggründe ausgesetzt gewesen sind. Und all diesem begegnete er mit jenem ihm so ganz eigenen, gutmütigen Humor und mit dem unermüdlichen Bestreben, das Rechte zu erkennen und diejenigen, deren Ansicht von der seinigen abwich, zu überzeugen. Seine Unterredungen und sein Briefwechsel nicht nur mit Männern in hoher amtlicher Stellung, sondern mit einfachen Privatleuten waren unendlich zahlreich, und in einer großen Anzahl von offenen Briefen, die er angeblich an Versammlungen und Komitees oder an hervorragende Männer richtete, wandte er sich direkt an das Verständnis des Volkes selbst. Die meisten dieser Briefe zählen zu den herrlichsten Denkmälern unserer politischen Literatur. So gab er das eigentümliche Bild eines Präsidenten ab, der mitten in einem großen Bürgerkriege, unter der drückenden Last von beispiellos schweren Pflichten fortwährend die Hauptpunkte seiner Politik mit seinem Volke erwog und erörterte.

Während er auf diese Weise einen stets wachsenden Einfluß auf den Volksgeist ausübte, machte ihn sein wohlwollendes, teilnehmendes Wesen dem Volksherzen immer teurer. Vergebens stellten ihn Zeitungen und Redner der Opposition als einen leichtfertigen Spaßmacher dar, der sich damit amüsierte, allerhand Schnurren und plumpe Späße zu erzählen, während das Blut des Volkes in Strömen floß. Das ganze Volk wußte doch, daß der Mann, der an der Spitze des Staates stand und auf dessen hagerem, abgehärmtem Gesicht das schalkhafte Aufblitzen des Humors sich so oft in einen Ausdruck tiefsten Schmerzes verwandelte, mehr als irgend jemand anders von den Leiden, deren er Zeuge sein mußte, ergriffen war. Das ganze Volk empfand, daß er den Schmerz jeder Wunde, die auf dem Schlachtfelde geschlagen worden war, das Herzeleid jeder Frau, die ihren Gatten, und jedes Kindes, das seinen Vater verloren hatte, mitfühlte, daß er, wo er nur konnte, eifrig bemüht war, Trost zu spenden, und daß sein Mitleid nie vergeblich angerufen wurde. Die einfachen Leute aus dem Volk blickten zu ihm auf als zu einem, der mit ihnen fühlte und zu ihnen hielt in all ihren Hoffnungen und Befürchtungen, ihren Freuden und Leiden, und der mit ihnen lachte und weinte. Und wie sein Herz ihnen gehörte, so fühlten sich ihre Herzen zu ihm hingezogen. Seine Popularität war grundverschieden von der Washingtons, der ehrfurchtsvolle Scheu einflößte oder von der Jacksons, des unbesiegbaren Helden, dem der Parteienthusiasmus unermüdlich lärmende Ovationen darbrachte. An Abraham Lincoln hing das ganze Volk in aufrichtiger Freundschaft und Liebe. Dies Gefühl war nicht nur von Achtung, Vertrauen oder Parteistolz bedingt, denn es erstreckte sich weit über die Grenzen der Partei hinaus. Es war lediglich Sache des Herzens und ganz unabhängig von bloßen Vernunftgründen. Wenn die Soldaten im Felde oder ihre Angehörigen zu Hause voll Liebe von »Vater Abraham« sprachen, war das keine bloße Redensart. Sie fühlten, daß der Präsident wirklich wie ein Vater für sie sorgte, und daß jeder einzelne zu ihm gehen konnte, wie man zu seinem Vater gehen würde, und seine Sorgen mit ihm besprechen und immer sicher sein konnte, ein williges Ohr und warme Teilnahme zu finden. So wurden ihr Präsident, seine Sache, seine Bestrebungen und sein Erfolg ihnen allmählich fast zu Familienangelegenheiten. Und diese allgemeine Beliebtheit trug ihn im Triumph durch die Wahl von 1864 trotz einer Opposition innerhalb seiner eigenen Partei, welche anfangs recht beunruhigend erschien.

Viele der radikalen Antisklavereimänner waren von Lincolns Art, die Zeitfragen zu behandeln, wenig erbaut. Sie waren sehr eifrige und meist auch sehr fähige Männer mit sehr bestimmten Ansichten darüber, »wie dieser Aufstand zu unterdrücken sei«. Sie wollten die Notwendigkeit nicht anerkennen, daß die Schritte der Regierung der Fortentwicklung in den Ansichten und Überzeugungen der breiten Schichten des Volkes anzupassen seien. Sie fanden Lincolns vorsichtige Geschäftsführung unentschlossen, lahm und ohne Energie und Zielbewußtsein. Er hätte mit der Emanzipation nicht so lange zögern sollen. Er hätte die wichtigen Kommandos nicht Leuten anvertrauen sollen, deren Ansichten über die Sklavereifrage zweifelhaft waren. Er hätte die militärischen Befehlshaber ermächtigen sollen, beim Vordringen auf feindlichem Gebiet alle Sklaven zu befreien. Er behandelte erfolglos kämpfende Generäle zu glimpflich. Er hätte allen Parteiwiderstand mit starker Hand unterdrücken sollen, statt zu versuchen, ihn zu beruhigen und zu versöhnen. Er hätte dem Volke vollendete Tatsachen bieten sollen, statt mit ihm zu debattieren usw. Allerdings war diese Kritik nicht immer unbegründet. Lincolns Politik hatte neben den Tugenden einer demokratischen Regierung auch einige ihrer Fehler; und diese Fehler nahmen ihr leicht in Fällen dringender Not die erforderliche Energie. Auch ließ ihn seine Herzensgüte und seine Rücksicht auf die Gefühle anderer oft vor einer gewissen Strenge zurückschrecken, selbst wenn diese dringend nötig war. Aber viele seiner damaligen schärfsten Tadler haben seitdem ihr Urteil genügend gemildert, um anzuerkennen, daß Lincolns Politik im ganzen genommen die klügste und sicherste gewesen sei. Eine Politik der heroischen Maßnahmen, wenn sie auch manchmal große Resultate gehabt hat, konnte in einer Demokratie wie der unsrigen nur durch andauernde Erfolge aufrecht erhalten werden und wäre schnell unter der Last des Mißgeschicks und der Mißerfolge zusammengebrochen. Sie hätte wohl Erfolg haben können, wenn die Union bei Beginn des Konflikts ihre Grants und Shermans, Sheridans, Farraguts und Porters fertig an der Spitze ihrer Kriegsmacht gehabt hätte; aber, da die großen Feldherren aus der Entwicklung des Krieges selbst lernen und gleichsam entstehen mußten, konnte auf andauernden Erfolg nicht gerechnet werden, und es war rätlich, eine Politik zu befolgen, welche in freundlicher Fühlung mit dem Volksheer stand und daher den schweren Prüfungen des Kriegsunglücks besser standhalten konnte. Aber damals dachten die Kritiker anders, und ihre Unzufriedenheit mit Lincolns Handlungen wurde noch sehr vermehrt durch die Schritte, die er zur Rekonstruktion der Südstaaten tat, welche damals zum Teil von den Unionstruppen besetzt waren.

Im Dezember 1863 erließ Lincoln eine Amnestieproklamation und bot allen in die Rebellion verwickelten Personen, mit gewissen näher bezeichneten Ausnahmen, Begnadigung unter der Bedingung, daß sie einen Eid darauf ablegten, die Verfassung zu unterstützen und die Gesetze der Vereinigten Staaten sowie die Verfügungen des Präsidenten, die Sklaven betreffend, zu halten. Zugleich versprach Lincoln, daß wenn in irgend einem Staate der Sezession so viele Staatsbürger, als einem Zehntel der Wähler von 1860 entsprach, eine Staatsregierung wieder einsetzen sollten, welche mit dem obenerwähnten Eide übereinstimmte, besagte Regierung von der Exekutive als die wahre Regierung des Staates anerkannt werden sollte. Erst schien diese Proklamation allgemein eine sehr günstige Aufnahme zu finden. Bald wurde jedoch ein anderer, in seinen Einzelheiten viel strengerer Rekonstruktionsplan im Hause der Repräsentanten von Henry Winter Davis beantragt und von Benjamin Wade im Senate vertreten. In den letzten Stunden der Tagung vom Juli 1864 wurde dieses neue Projekt angenommen; aber Lincoln machte es noch nicht durch seine Unterschrift zum Gesetz, sondern nahm es in den Wortlaut einer Proklamation als einen Rekonstruktionsplan auf, der ernstlicher Erwägung würdig sei. Die Meinungsverschiedenheiten über diesen Gegenstand hatten das im Kreise der Radikalen schon lange gegen Lincoln gehegte Gefühl nur verstärkt, und einige unter ihnen erklärten laut ihr Vorhaben, sich seiner Wiederwahl zum Präsidenten zu widersetzen. Ähnliche Ansichten wurden auch von den extrem gesinnten Antisklavereimännern in Missouri geäußert. Sie hatten nämlich in dem heißen Parteikampfe mit den »Konservativen« jenes Staates bei Lincoln nicht die tätige Unterstützung gefunden, die sie erwartet hatten. Und noch einige andere Anhänger der Union, besonders im Osten, schüttelten ernsthaft das Haupt bei Erwägung der Frage, ob Lincoln wiedergewählt werden solle. Es waren diejenigen, denen ein Idealbild eines Präsidenten von staatsmännischer Weisheit und Würde im Amt vorschwebte, welchem nach ihrer Ansicht die Persönlichkeit Lincolns sehr wenig entsprach. Es verletzte sie, wenn sie hörten, wie er eine ernsthafte Beweisführung mit der Geschichte von einem Manne »da draußen in Sangamon County« übertrumpfte. Mit dieser Geschichte traf er freilich den Nagel auf den Kopf, aber sie ließ doch allzu sehr die nötige Würde vermissen. Sie konnten den Mann nicht verstehen, der eben vor Eröffnung einer Kabinettssitzung es vermochte, seinen Sekretären ein drolliges Kapitel aus dem neuesten Buche von Artemus Ward vorzulesen, mit dem er in einem unbeschäftigten Augenblick sein sorgenvolles Gemüt erheitert hatte, und der gleich darauf dem Rate der Exekutive feierlich erklärte, er habe im Herzen ein Gelübde getan, eine Proklamation zur Befreiung der Sklaven zu erlassen, sobald der Allmächtige den Unionswaffen wieder einen Sieg verleihen würde. Die Schwäche eines Präsidenten erschreckte sie, der wohl den dringenden Einwendungen von Staatsmännern gegen seine Politik widerstehen konnte, aber nicht dem flehenden Bitten einer alten Frau, deren Sohn wegen Fahnenflucht erschossen werden sollte. Diese Männer waren meist aufrichtige und glühende Patrioten, und es war nicht nur ihr Wunsch, sondern ihr eifriges Bestreben, Lincolns abermalige Nominierung zu hindern. Nicht wenige unter ihnen glaubten im Jahre 1863 bestimmt, daß, wenn der Nationalkonvent der Unionspartei berufen würde, Lincoln von keinem Delegierten irgendeines Staates unterstützt werden würde. Aber als im Juni 1864 der Konvent in Baltimore zusammentrat, machte sich die Stimme des Volkes geltend. Beim ersten Wahlgang erhielt Lincoln die Stimmen der Delegierten aller Staaten mit Ausnahme von Missouri, und sogar die Vertreter dieses Staates übertrugen ihm, noch ehe das Resultat des ersten Wahlganges bekannt geworden war, ihre Stimmen.

Selbst nach seiner abermaligen Nominierung legte sich der Widerstand gegen Lincoln in den Reihen der Unionspartei noch lange nicht. Ein Konvent, der von den unzufriedenen Radikalen in Missouri berufen und von ähnlich denkenden Männern in anderen Staaten begünstigt worden war, hatte bereits im Mai getagt und zu seinem Präsidentschaftskandidaten General Fremont nominiert. Er fand, allerdings keinen großen Anhang, aber andere Oppositionsbewegungen von verschiedenen Seiten erschienen nunmehr bedrohlicher. Henry Winter Davis und Benjamin Wade griffen Lincoln in einem flammenden Manifeste an. Andere hochstehende Unionsmänner von unantastbarem Patriotismus, überredeten sich selbst und suchten andere zu überzeugen, daß die abermalige Nominierung Lincolns unvorsichtig und der Sache der Union gefährlich sei. Da die Demokraten ihren Konvent bis zum 29. August hinausgeschoben hatten, bot sich der Unionspartei während des größeren Teiles des Sommers kein Gegenkandidat und keine gegnerische Plattform zum Angriff, und die politische Kampagne ermattete. Auch die Nachrichten vom Kriegsschauplätze waren recht trostloser und entmutigender Art. Die furchtbaren Verluste, welche Grants Heer in den Schlachten der sogenannten Wilderneß erlitten hatte, verbreiteten überall dumpfe Trauer. Sherman schien eine Zeitlang vor Atalanta in einer gefährlichen Lage zu sein. Die Opposition gegen Lincoln innerhalb der Unionspartei erhob immer neue Klagen und entmutigende Prophezeiungen. Die ernste Forderung wurde laut, daß seine Kandidatur zurückgezogen werden müßte. Lincoln selbst, der nicht wußte, in wie starker Liebe die großen Massen des Volkes an ihm hingen, war von trüben Vorahnungen einer Niederlage heimgesucht. Und nun änderte sich mit einem Schlage die ganze Sachlage. Die Demokraten erklärten in ihrem Konvent, daß der ganze Krieg ein großer Mißerfolg sei, verlangten in der Hauptsache Frieden um jeden Preis und nominierten auf Grund dieser Plattform General McClellan zu ihrem Kandidaten. Ihr Konvent hatte sich kaum vertagt, als die Einnahme von Atalanta der militärischen Lage ein ganz neues Ansehen gab. Es war wie ein Sonnenstrahl, der durch dunkle Wolken bricht. Die Reihen der Unionspartei erhoben sich wie ein Mann in wachsender Begeisterung, und das Lied » We are coming, Father Abraham, three hundred thousand strong« hallte im ganzen Lande wider. Lange vor Anbruch des entscheidenden Tages war das Resultat der Wahl zweifellos gesichert, und Lincoln wurde mit überwältigender Majorität zum Präsidenten wiedererwählt. Als die Wahl vorüber war, mußten auch Lincolns strengste Kritiker zugeben, daß er zu jener Zeit (1864) der einzig mögliche Kandidat für die Unionspartei war, und daß es weder politischer Kombinationen und Reden noch der Erfolge auf dem Schlachtfelde bedurft hätte, um seinen Sieg zu sichern. Die breiten Schichten des Volkes waren während der ganzen Zeit mit Abraham Lincoln zufrieden gewesen; sie hatten Vertrauen zu ihm, sie liebten ihn, sie fühlten sich ihm nahe, sie sahen in ihm die Sache der Union wie diejenige der Freiheit verkörpert, und sie gingen für ihn wie ein Mann zur Wahlurne.

Die Stunde des Triumphes löste alle charakteristischen Seiten seines Wesens aus. Die Opposition innerhalb der Unionspartei hatte ihn aufs tiefste gekränkt. Nun standen seine Widersacher geschlagen und gedemütigt ihm gegenüber. Er aber zögerte keinen Augenblick, allen die Freundeshand zu bieten. Auf ein ihm dargebrachtes Ständchen antwortete er mit folgenden Worten: »Wollen wir nicht alle jetzt, wo der Wahlkampf vorüber ist, uns auf unser gemeinsames Interesse besinnen und uns zusammen der Rettung unseres gemeinsamen Vaterlandes widmen? Was mich betrifft, so habe ich stets danach gestrebt und werde weiter danach streben, solchem gemeinsamen Werke kein Hindernis in den Weg zu legen. So lange ich an dieser Stelle gestanden habe, bin ich niemals absichtlich einem anderen zu nahe getreten. Ich bin von Herzen dankbar für das Vertrauen, das zu meiner Wiederwahl geführt hat, aber meine Befriedigung ist darum nicht größer, weil irgendein anderer vielleicht von diesem Ergebnis verletzt oder enttäuscht ist. Darf ich alle, die im Kampfe mit mir waren, bitten, sich dieser Gesinnung gegen solche, die gegen mich waren, zu befleißigen?« Derart bestand Abraham Lincoln die Feuerprobe des höchsten Glückes und Erfolges.

Der Krieg war tatsächlich entschieden, aber noch nicht beendet. Sherman führte die Unionsfahne unwiderstehlich weiter durch den Süden. Grant hielt die Wälle von Richmond in eisernem Griff. Die Tage der Konföderation waren offenbar gezählt. Es blieb nur noch ein letzter Schlag zu führen. Dann rückte Lincolns zweite Inauguration heran und mit ihr seine zweite Inaugurationsrede. Lincolns berühmte »Gettysburg Rede« ist viel und berechtigterweise bewundert worden; aber viel größer, erhabener und charakteristischer war jene Inaugurationsrede, in welcher sich die volle Hingabe und die nachsichtige Milde seiner großen Seele offenbarten. Diese Rede hatte die ganze Feierlichkeit der letzten Ermahnung und des letzten Segens, die ein Vater vom Totenbette an seine Kinder richtet. Sie schloß mit den Worten: »Wir hoffen und flehen innigst, daß diese grausame Geißel des Krieges bald von uns genommen werden möchte, wenn es aber Gottes Wille ist, daß der Krieg dauere, bis all der von den Sklaven in unbesoldeter Arbeit während zweihundertfünfzig Jahren angesammelte Reichtum verausgabt, und bis jeder durch die Peitsche vergossene Blutstropfen durch einen mit dem Schwerte vergossenen gerächt ist, dann können wir sagen, wie schon vor dreitausend Jahren der Psalmist gesagt hat: ›Die Gebote des Herrn sind lauter, und die Rechte des Herrn sind wahrhaftig, allesamt gerecht.‹ Lassen Sie uns versuchen, ohne Groll gegen irgend jemand und mit nachsichtiger Liebe gegen jeden, fest und standhaft im Rechten, so wie es uns Gott vergönnt, das Rechte zu erkennen, unsere Arbeit zu vollenden. Lassen Sie uns versuchen, die unserem Volke geschlagenen Wunden zu heilen, für diejenigen zu sorgen, die unter Schrecken und Not der Schlacht gelitten haben und ihrer Witwen und Waisen zu gedenken, – kurz lassen Sie uns versuchen, alles zu tun, was einen gerechten und dauernden Frieden unter uns und mit allen anderen Völkern herbeiführen und sichern kann.«

Dies klang wie ein frommes, heiliges Lied. Kein amerikanischer Präsident hatte je solche Worte an das amerikanische Volk gerichtet. Amerika hatte noch keinen Präsidenten gehabt, der solche Worte in der Tiefe seines Herzens gefunden hatte.

Nun folgten die letzten Szenen des Kriegsdramas. Die südstaatlichen Armeen kämpften bis zuletzt tapfer, aber vergeblich. Richmond fiel. Lincoln selbst betrat die eroberte Stadt zu Fuß und nur in Begleitung von ein paar Offizieren und einer Abteilung Matrosen, die ihn von der Flottille auf dem James-River ans Land gerudert hatten. Ein unterwegs aufgelesener Neger diente als Führer. Niemals hatte die Weltgeschichte einen so bescheidenen Sieger oder einen so schlichten Triumphzug gesehen; da war kein Heer mit Fahnen und klingendem Spiel, nur eine große Menge früherer Sklaven, die schnell herbei eilten und das siegreiche Staatsoberhaupt in die Hauptstadt des besiegten Feindes geleiteten. Es wird berichtet, daß sie den Präsidenten umdrängten, seine Hände und sein Gewand küßten und vor Freude jauchzten und tanzten, während ihm die Tränen über die von Sorgen gefurchten Wangen herab liefen.

Die nächsten Tage schon brachten die Nachricht von der Übergabe von Lees Heer, und der Friede war gesichert. Im Norden waren die Leute vor Freude fast von Sinnen. Überall donnerten Freudenschüsse und erklang festliches Glockengeläute, überall drängte sich eine dankerfüllte, jubelnde Menge auf den Straßen. Da plötzlich drang durch das ganze Land die Runde von der Ermordung Abraham Lincolns. Das Volk war wie betäubt von diesem Schlage. Dann aber erhob sich solch ein Wehgeschrei des Schmerzes, wie es Amerika nie vorher gehört hatte. Tausende von Familien im Norden trauerten, als ob sie ihr teuerstes Mitglied verloren hätten; und mancher Einsichtige im Süden rief schmerzlich bewegt aus, daß mit Abraham Lincoln seinem Volke in der bittersten Not und Demütigung der beste Freund geraubt worden sei. Es war als ob die zärtliche Liebe, die seine Mitbürger für ihn hegten, auch in fremden Nationen ähnliche Gefühle hervorgerufen hatte. Die ganze zivilisierte Menschheit stand trauernd und erschüttert an der Bahre des toten Präsidenten. Viele, sowohl in der Heimat wie im Auslande, die ihn noch vor kurzem lächerlich gemacht und geschmäht hatten, waren nun bemüht, ihn hochzupreisen, und in dem allgemeinen Chor der Klage und des begeisterten Lobes war keine Stimme, die nicht in aufrichtiger, schmerzlicher Rührung zitterte. Seit Washingtons Tode war niemals eine solche Einstimmigkeit im Urteil über die Tugenden und die Größe eines Mannes gewesen, und sogar Washingtons Tod hatte, trotzdem sein Name mit noch größerer Ehrfurcht genannt wurde, keine so teilnehmende Saite im Volksherzen berührt.

Man kann nicht sagen, daß dies nur eine Folge von Lincolns tragischem Tode war. Allerdings war der Tod dieses warmherzigsten und mildesten Herrschers von der Hand eines wahnsinnigen Fanatikers wohl dazu angetan, ihn in der Hochschätzung derer, die ihn liebten, über Verdienst zu erhöhen und seinen Ruhm zum Gegenstände einer besonders liebevollen Sorge zu machen. Aber es ist auch wahr, daß die Zeit dem in jenen Tagen über ihn gefällten Urteil wenig Abbruch getan hat, und daß die historische Forschung die Anerkennung seiner Tugenden, seiner Fähigkeiten und seiner Verdienste eher gesteigert als vermindert hat. Der Historiker wird freilich die Verdienste von Lincolns tüchtigen Ministern gebührend anerkennen, so z. B. Sewards treffliche Führung der auswärtigen Angelegenheiten, die Art, wie Chase unter furchtbaren Schwierigkeiten die Finanzen verwaltete, und Stantons gewaltige und schwierige Arbeit als Kriegssekretär; er wird ferner anerkennen, daß ohne die Geschicklichkeit, den Mut und die Standhaftigkeit der großen Feldherren und den aufopfernden Heldenmut der von ihnen geführten Soldaten und Seeleute kein Erfolg möglich gewesen wäre, und doch wird er finden, daß Lincolns Urteil und Wille durchaus nicht von seiner Umgebung beherrscht wurden. Sein Geist war der leitende und ausschlaggebende, und er war es hauptsächlich, dessen Weisheit und dessen Charakter für die Regierung in ihren schweren Kämpfen die Billigung, die Teilnahme und die Unterstützung des Volkes gewann. Es hat sich sogar herausgestellt, daß sein Urteil in militärischen Dingen erstaunlich scharfsinnig und richtig war, und daß die Instruktionen und Befehle, die er den im Felde stehenden kommandierenden Generälen zukommen ließ, nicht selten den tüchtigsten unter ihnen Ehre gemacht haben würden, wenn daher die Geschichte auch keinen seiner Fehler und Mängel übersieht, beschönigt oder entschuldigt, so stellt sie ihn doch immer noch in die erste Reihe der Retter der Union und der Befreier der Sklaven. Und mehr noch, sie spricht ihm das große Verdienst zu, dasjenige verwirklicht zu haben, was wenige Politiker und Philosophen für möglich gehalten hätten, nämlich, die Republik durch einen vierjährigen erbitterten Bürgerkrieg hindurchzuführen, ohne daß ihre freien Institutionen nennenswerten Schaden gelitten hätten.

Während seiner Präsidentschaft wurde er allerdings von der Opposition öffentlich als Tyrann und Usurpator angeklagt, weil er seine verfassungsmäßigen Rechte überschritten habe, dadurch, daß er die zeitweilige Unterdrückung von Zeitungen veranlaßte oder gestattete, die Habeas-Corpus-Akte eigenmächtig aufhob und willkürliche Verhaftungen vornehmen ließ. Keiner dürfte getadelt werden, der in gutem Glauben und aus patriotischen Rücksichten gegen solche Dinge protestierte. In einer Republik sollten eigenmächtige Maßregeln niemals ohne Protest auf der einen und Versuche der Rechtfertigung auf der anderen Seite durchgehen. Und es ist gut, daß sie während unseres Bürgerkrieges nicht so durchgingen. Daß eigenmächtige Maßregeln ergriffen wurden, ist wahr. Daß sie nur sehr spärlich angewandt wurden und nur, wenn die Regierung sie für die Sicherheit der Republik unumgänglich notwendig hielt, wird heute wohl kaum geleugnet werden. Aber sicher gibt es in der Weltgeschichte kein Beispiel, daß eine Regierung durch eine so gewaltige Krisis, wie sie der amerikanische Bürgerkrieg war, mit einer so geringen Anzahl von eigenmächtigen Handlungen und so wenig Eingriffen in den gewöhnlichen Lauf der Gesetze, abgesehen von den auf dem Kriegsschauplatz begangenen, hindurchgekommen ist. Kein amerikanischer Präsident hat je so viel Macht gehabt, als damals in Lincolns Hände gelegt wurde, und man kann nur hoffen, daß es nie nötig sein wird, einem amerikanischen Präsidenten wieder soviel Macht anzuvertrauen. Aber keinem Menschen ist diese Macht je anvertraut worden, dem ihre Versuchungen weniger gefährlich waren als Abraham Lincoln. Mit peinlicher Sorgfalt versuchte er, selbst unter den schwierigsten Umständen, genau innerhalb der verfassungsmäßigen Grenzen seiner Macht zu bleiben. Wurden aber diese Grenzen unsicher, oder zwangen ihn die Gefahren der Lage, sie zu überschreiten, so bezeichnete er jedesmal mit derselben peinlichen Genauigkeit seine Handlungen als Ausnahmemaßregeln, welche nur durch die vom Bürgerkriege bedingte Zwangslage zu rechtfertigen seien, und auf diese Weise verhinderte er, daß sie als Präzedenzfälle für Friedenszeiten in die Geschichte übergingen, Es ist eine erwiesene Tatsache, daß in der auf den Krieg folgenden Rekonstruktionsperiode mehr Dinge getan wurden, die als gefährliche Präzedenzfälle gelten konnten, als während des Krieges selbst. Es kann also in Wahrheit von Lincoln gesagt werden, daß unter seiner Führung nicht nur die Republik vor Spaltung bewahrt und das Land von dem Schandfleck der Sklaverei gereinigt wurde, sondern daß in der stürmischsten und kritischsten Periode der Geschichte der Vereinigten Staaten er seine Regierung so führte und seine fast diktatorische Macht so handhabte, daß er die amerikanischen freien Institutionen, in allem was die Rechte und Freiheiten der Bürger betraf, tatsächlich unangetastet ließ. Er verstand sehr wohl das Wesen dieses Problems. In seiner ersten Botschaft an den Kongreß erklärte er es in wunderbar scharfsinnigen Worten: »Muß eine republikanische Regierung notwendigerweise entweder zu stark für das Freiheitsbewußtsein ihres Volkes sein, oder zu schwach, um sich selbst zu erhalten? Besteht in allen Republiken diese innerliche Schwäche?« Diese Frage beantwortete er namens des großen amerikanischen Volkes, wie kein Mensch sie hätte besser beantworten können, mit einem triumphierenden: »Nein!«

Man hat gesagt, daß Lincoln für seinen eigenen Ruhm im richtigen Augenblick gestorben ist. Wie dem auch sein mag, jedenfalls hatte zur Zeit seines Todes sein Land den Nutzen, den es von seiner Persönlichkeit haben konnte, noch nicht voll ausgeschöpft. Sein Werk war noch nicht vollendet. Er war vermutlich der einzige, der sein Volk durch die Wirren der Rekonstruktionsperiode so hätte hindurch führen können, daß in der Arbeit des Friedens das Wiederaufflammen der Kriegsleidenschaften verhindert worden wäre. Er wäre gewiß nicht ernstem Widerspruch hinsichtlich der Einzelheiten seiner Politik entgangen, aber er hätte die Stürme viel besser als irgend ein anderer Staatsmann seiner Zeit bestehen können, denn sein Ansehen war bei den praktischen Politikern seiner Tage durch seine siegreiche Wiederwahl ungeheuer gewachsen. Er wäre auch –und dies ist noch wichtiger – von dem Vertrauen der beiden streitenden Parteien getragen worden: von dem Vertrauen der siegreichen Nordstaatler, daß er alles, was in seiner Macht stand, tun würde, um die Sicherheit der Union und die Rechte der befreiten Negersklaven zu befestigen und von dem Vertrauen der besiegten Südstaatler, daß er nicht das geringste aus unbesonnenem Fanatismus oder aus egoistischen Parteimotiven tun würde. »Ohne Groll gegen irgend jemand und mit nachsichtiger Liebe gegen jeden« – gewiß, wie er der erste unter allen Siegern war, so würde er in sich auch den Genius der Versöhnung verkörpert haben.

Auch in anderer Weise hätte er dem Lande einen großen Dienst leisten können, wenige Tage nach der Übergabe von Richmond, zeigte er einem Freunde die Menge Stellenjäger, die sich vor seiner Türe drängten. »Sieh dir das mal an«, sagte er. »Den Aufstand haben wir besiegt, aber hier siehst du etwas, was der Republik noch gefährlicher werden kann, als es der Aufstand war.« Freilich hat Lincoln als Präsident nicht dem gehuldigt, was wir heutzutage Reform der Verwaltung nennen. Er benutzte das Patronatsrecht der Regierung manchmal eingestandenermaßen dazu, Arbeit in der Partei zu belohnen, manchmal um Kombinationen und politische Wirkungen hervorzubringen, welche die Sache der Union förderten, und manchmal auch nur, um einfach den rechten Mann an die rechte Stelle zu setzen. In seinen Bemühungen, die Unionsache zu stärken und zu fördern, und in seinem Bestreben, fähige und tüchtige Leute für die öffentlichen Ämter zu finden, ging er jedoch oft über die Grenzen seiner Partei hinaus und gewöhnte sich nach und nach an den Gedanken, daß, wenn es auch wichtig sei, der Partei zu dienen, doch bei der Besetzung von Ämtern das öffentliche Interesse ungleich wichtiger sei. Ferner hatte, um die Union während des Bürgerkrieges zu unterstützen, eine solche Vermengung der verschiedenen politischen Elemente stattgefunden, daß Lincoln, der an der Spitze dieser buntdurcheinander gewürfelten Masse stand, sich selbst kaum in des Wortes eigentlicher Bedeutung als Parteimann fühlte. Die Gefahren, welcher man die Republik dadurch aussetzte, daß öffentliche Ämter als Parteibeute behandelt wurden, machten allmählich einen großen Eindruck auf ihn, und es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, daß, wenn er am Leben geblieben wäre und die große Krisis ihn nicht mehr ganz und gar in Anspruch genommen hätte, er Zeit gefunden haben würde, sich auch anderen Dingen zuzuwenden, und eine der wichtigsten Reformen späterer Tage von seinem mächtigen Geist schon damals eingeleitet worden wäre. Dies hat nicht sein sollen. Aber das Maß seiner Leistungen war für die Unsterblichkeit voll genug.

Der jüngeren Generation ist Abraham Lincoln schon eine halbmythische Gestalt geworden, die im fernen Dämmerlicht der Geschichte immer gewaltigere und heldenhaftere Verhältnisse annimmt, aber auch an Klarheit und Bestimmtheit der Umrisse einbüßt. Dies ist allerdings das gewöhnliche Schicksal von Volkshelden. Ein romantischer Nimbus wird Lincoln in mehr als gewöhnlichem Maße umweben, weil seine öffentliche Laufbahn so viele überraschende Gegensätze aufwies, und weil seine Persönlichkeit, in der so viele anscheinend entgegengesetzte Eigenschaften und Triebkräfte, zugleich eine solche geistige Bedeutung und eine solche wohlwollende Liebenswürdigkeit, sich vereinigten, ganz einzig war. In dem Maße, wie die Menschen und die Verhältnisse, unter denen Abraham Lincoln aufwuchs, entschwinden, wird die Welt mit immer größerem Erstaunen und immer größerer Bewunderung von ihm lesen und immer klarer erkennen: Dieser Mann von bescheidenster, ja niedrigster Abkunft blieb immer der schlichteste, anspruchloseste Bürger seines Staates und wurde doch zu einer in der Geschichte Amerikas nie dagewesenen Machtstellung erhoben. Er war der sanfteste, friedliebendste unter den Menschen, er konnte kein Geschöpf leiden sehen, ohne den Schmerz in der eigenen Brust zu fühlen, und doch sah er sich plötzlich vor die Aufgabe gestellt, den größten und blutigsten Krieg seines Vaterlandes zu führen. In seinen Händen lagen die Zügel der Regierung zu einer Zeit, als strenge Entschlossenheit und rücksichtslose Gewalt an der Tagesordnung waren, und doch gewann und beherrschte er Geist und Gemüt des Volkes durch sein mildes, mitfühlendes Wesen. Er war von Natur und Gesinnung ein Konservativer und stand doch an der Spitze der plötzlichsten und durchgreifendsten Umwälzung unserer Zeit. Er bewahrte selbst in der angesehensten Stellung jener Zeit seine schlichte Sprache und seine einfachen Sitten, was ihm das Gespött der vornehmen Welt zuzog, und doch packte er die Seele der Menschen und erschütterte sie durch Worte von wunderbarer Erhabenheit und Schönheit. In seinem Herzen war er der beste Freund des besiegten Südens und doch wurde er ermordet, weil ein wahnsinniger Fanatiker ihn für den grausamsten Todfeind des Südens hielt. Während er am Ruder war, wurde er von der Parteien wildem Haß und Hader umtobt, geschmäht und verleumdet; aber um seine Bahre scharten sich Freunde und Feinde und priesen ihn, wie sie seitdem nie mehr aufgehört haben, ihn zu preisen, als einen der größten Bürger Amerikas und einen der edelsten Menschen.

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