Arthur Schurig
Der Roman von Tristan und Isolde
Arthur Schurig

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Tynas empfing seine unerwarteten Gäste voll Herzensfreude. Schon hatte er geglaubt, den lieben jungen Freund nimmer wiederzusehen, und oft schmerzlich seiner gedacht.

Tristans erste Frage war: Was habt Ihr mir von Frau Isolden zu berichten?

Ach, lieber Sohn, entgegnete der Alte, nur Betrübliches!

Sodann erzählte er:

Fürwahr, König Marke hat die Königin alle die Zeit in Ehren gehalten. Soweit es in seiner Macht steht, erfüllt er ihr jeden Wunsch. Er tut alles, um die schöne Frau zu erfreuen und zu belustigen. Es hilft nicht viel. Seit Ihr aus dem Lande seid, verzehrt stilles Leid ihr einsames Herz, und zumal in der letzten Zeit schmachtet sie dahin. Alle Tage sieht man sie in Tränen. Keiner weiß, was ihr fehlt. Weint sie um Euch? Beklagt sie ihr Leben? Reuen sie Dinge, ehedem getan? Keiner weiß es.

Tristan seufzte tief auf.

Und nun kommt Ihr zurück. Wollt wiederum Euer und ihr Leben mit Unruhe und Gefahr füllen. Nein, junger Freund, besinnt Euch rechtzeitig! Laßt davon ab! Habt Mitleid mit der Königin! Wenn sie Euch nimmermehr sieht, wird sie schließlich ihren Frieden finden.

Tristan schüttelte bekümmert sein Haupt.

Väterlicher Freund, begann er von neuem, ohne Umschweife sage ich Euch: helft Ihr mir, so rettet Ihr mir das Leben; helft Ihr mir nicht, so muß ich sterben. Lieber guter Freund Tynas, so stehts mit mir!

Der Seneschall drückte Tristans Hände.

Sagt, was soll ich für Euch tun!

Tristan erwiderte voller Freude: Freund, bringt es zu wege, daß ich die geliebteste aller Frauen wiedersehe, ein einziges Mal!

Sagt mir zuvor, fragte Tynas, ist es die Wahrheit, daß Frau Isolde Euch die höchste aller Frauen ist?

Die nunc et semper dilecta, wie der lateinische Dichter singt, beteuerte Tristan.

Und doch geht das Gerücht, fuhr der Seneschall fort, Ihr wäret König Howels Eidam?

Freund, entgegnete Tristan, es ist nicht anders, und Ihr mögt Euch gewißlich darauf verlassen: nie habe ich der Einzigerwählten die Treue gebrochen.

Wenn dem so ist, erklärte Tynas, so bin ich bereit, Euch zu helfen, soweit ich es vermag. Hört mich an! Übermorgen begibt sich König Marke mit dem Hofe auf etliche Tage zur großen Jagd in die Weiße Haide nach dem Waldschlosse Yvignac. Ich werde der Königin vermelden, daß Ihr in der Nähe ihrer harret....

Tristan unterbrach ihn ungeduldig.

Wie danke ich Euch, Herr Tynas! Ja, vermeldet dies der Königin und sagt ihr noch folgendes. An der Straße, die sie reitet, eine halbe Wegstunde vor Yvignac, steht rechterhand ein dichter dornenumwachsener Busch. Den habe ich erkoren zum Lagerort für mich und meinen Gefährten. Ich werde ein Zweiglein über den Weg legen, worauf die liebe Frau acht gebe. Sie möge Hüsdan bei sich führen. Auch ihn möchte ich wiedersehen, pflege ich doch zu sagen, mein Hund habe es besser als ich.

Ehe Herr Tynas gen Tintagol abritt, vertraute ihm Tristan den Ring mit dem grünen Jaspis an, den ihm einstmals beim Scheiden die blonde Isolde geschenkt.

Tynas fand den König und die Königin beim Schachspiel. Marke lud ihn huldvoll ein, sich zu setzen.

Isolden zur Seite faßte der Seneschall, wie um ihr einen Rat zu erteilen, in die Figuren.

Beim zweiten Male fiel Isoldens Blick auf den Ring. Erbleichend erkannte sie den grünen Stein. Es war ihr unmöglich, weiter zu spielen.

Wie aus Ungeschick stieß sie mit der Hand an das Brett, so daß alle Figuren umfielen.

O weh! rief sie unwillig. Nun ist das Spiel gestört. Enden wir! Der Herr Seneschall wird mir Neues berichten.

König Marke erhob sich. Er hatte Geschäfte und verließ die Halle.

Seneschall, sagte Isolde, sich nicht mehr beherrschend, Ihr seid der Bote Tristans? Redet, sprecht!

Meine verehrte Königin, so ist es! bestätigte Tynas. Er weilt in meiner Burg, voller Ungeduld, Euch ein einziges Mal wiederzusehen.

Ist es wahr, fragte Isolde, daß er König Howels Tochter zum Eheweib hat?

Vor Erregung kam ihr das Wort Eheweib kaum über die Lippe.

Man hat die Wahrheit berichtet, Königin, erwiderte Tynas. Doch beteuert mir Tristan, daß er Euch die Treue nicht gebrochen habe. Was er damit meint, darnach mögt Ihr ihn selber fragen. Er habe nicht einen Augenblick aufgehört, Euch über alle Frauen der Welt zu lieben. Mich dünkt, er sagt keine Lüge. Er hat am Leben keine Freude mehr gefunden, seit er Euch nicht mehr Tag für Tag sieht. Die halbe Welt hat er durchkreuzt, an den herrlichsten Orten der Erde verweilt, überall das Schöne suchend und um das Gute kämpfend. Nirgends ward ihm Ruh und Frieden zu Teil. Noch einmal möcht er Euch schauen, noch einmal mit Euch reden, noch einmal Euch seine Verehrung zollen. Ich bringe Euch seinen Gruß und die Mahnung, des Gelübnisses zu gedenken, das Ihr ihm beim Abschied ausgesprochen, als Ihr ihm diesen Jaspisring reichtet.

Die Königin überließ sich eine Weile ihren Gedanken und der Erinnerung. Endlich sagte sie zu Kurwenal:

Als Herr Tristan von mir schied, an der Siechenbrücke, da habe ich zu ihm gesagt: Freund, wenn ich je dies goldne Ringlein mit dem grünen Stein erblicke, so soll mich keine Macht, kein Gesetz, kein Verbot hindern, ohne Verzug zu tun, was du mir zu tun entbietest, sei es gut oder böse, klug oder torhaft! Die Königin Isolde hält ihr Wort. Sagt, Herr Seneschall, wo soll Ich Eurem Schützling begegnen?

Tynas erwiderte: Wie Ihr wißt, Königin, bricht übermorgen der Hof auf nach der Weißen Haide. Ihr hattet nicht Lust mitzugehen. Ändert Euren Entschluß! Im Dornbusch vor dem Jagdschlosse wird Tristan warten, bis Ihr vorüberreitet. Ein Baumzweig über dem Wege wird Euch seine Nähe vermelden. Gebt darauf acht! Macht ihn glücklich, Euren Freund!

Im Herzen glückselig, sagte Isolde nichts als nochmals die Worte: Keine Macht, kein Gesetz, kein Verbot hindert mich zu tun, was mein liebster Freund mir zu tun entbietet!

Strahlend leuchtete die Morgensonne über Wald, Wiesen und Haide. Tristan und Kaherdin lauerten im Dornbusch an der Straße. Sie hatten ihre Pilgerkutten abgetan, hatten Panzerhemden angezogen und Stahlhauben aufgesetzt.

Zwei Wege führten von Tintagol nach Yvignac, die Fahrstraße, die am Saum des Dornbusches vorüberging, und ein kürzerer holpriger Reitweg, der durch den Forst lief. Auf diesem hielten die vier Pferde, behütet von Kurwenal und dem Knappen; beide waren im Waffenkleide wie ihre Herren. An den Sätteln hingen die Schilde; auf dem seinen hatte Tristan in greller Farbe sein Wappen gemalt, den roten Löwen von Leonnois. Das war alter Brauch.

Dicht am Versteck, quer über der Straße, auf der des Königs Jagdzug zu erwarten war, lag, von Tristans Hand hingelegt, ein Haselzweig, eine Geißblattranke darum. Einst, in frohen Tagen, hatte Tristan ein Lied gedichtet und ein Vorspiel dazu gemacht. Isolde hatte große Freude daran gehabt, denn es verherrlichte die Untrennbarkeit der Liebe beider zueinander. An dieses Lied sollten Zweig und Ranke gemahnen.

Drei Stunden vor Mittag erklangen die Trompeten. Bald erschienen die ersten Reiter. Dann kam der König mit seinen Herren geritten. Es folgten die Hundsmänner, die bellende Meute, die Falkner, die Jäger. Darnach, auf zwei weißen Zeltern mit silbernem Zaumzeug, die Königin und Brangäne, Hüsdan hinter ihnen, zuletzt der tückische Herzog Audret (Verdamme ihn Gott! fügt der alte bretonische Dichter hier ein) mit drei berittenen Edelknaben. Es war ein gar ritterlich Schauspiel.

Frau Isolde trug ein purpurnes Gewand aus Samt und Seide, dazu ein goldverbrämtes Barett. Wie die schöne Reiterin nahe kam, da dünkte es die beiden Ritter im Dornbusch, als leuchte Überirdisches vom Goldreif auf ihrer weißen Stirn.

Als Isolde auf ihrem Wege den Geißblattzweig erspähte, lächelte sie holdselig wie die himmlische Fee im Märchen, und vor sich flüsterte sie die Verse aus des Geliebten Gedicht:

So stehts um uns:
Keins findet Ruh,
Ich nicht fern dir,
mir fern nicht du!

In diesem Augenblick hob ein Pirol im Dornbusch überfroh an zu jubilieren.

Isolde parierte ihren Schimmel.

Sie rief Hüsdan; er richtete sich an ihrem Pferd hoch, und sie streichelte ihm zärtlich den Kopf. Lieber Vogel im Walde, rief sie, erfüllt von Glück und Freude, wie schön ist dein Lied! Heut Abend komm in mein Schloß zu mir! Ich will dirs vergelten.

Tristan schwoll das Herz nach so langer Sehnsucht.

Nun aber ist ein traurig Begebnis zu erzählen. Seiner Herrin vorauseilend, um sie im Waldschlosse bewillkommnen zu können, ritt Paramis, ihr Kämmerer, auf dem kürzeren Wege durch den Forst. So traf er auf Kurwenal und den Knappen.

Wie diese den Ritter herantraben sahen, sprangen sie in die Sättel und galoppierten mit den Handpferden quer über die nahe Lichtung.

Paranis aber erkannte den Ritter Kurwenal an seiner Gestalt, und auf dem Schild am Handpferde des Knappen sah er den Löwen von Leonnois. Da glaubte er, der Reiter müsse Herr Tristan selber sein.

Herr Tristan! rief er, verwundert und doch erfreut, denn er liebte den Freund seiner verehrten Gebieterin.

Nochmals rief er ihn mit lauter Stimme an: Steht, Herr Tristan! Bei Eurer Ritterehre!

Und zum dritten Male: Steht, Herr Tristan, im Namen der Königin Isolde!

Vergebens.

Die beiden Reiter verschwanden im Walde. Nur verloren sie Tristans Schild, wie er beim hastigen Ritt an einen Baumstamm schlug.

Paranis hob ihn auf und verbarg ihn im Schlosse Yvignac.

Es war edler Brauch, daß ein Ehrenmann beim Anruf im Namen seiner Herzliebsten dem Rufer stehen mußte. Daß der vermeintliche Ritter Tristan anders gehandelt hatte, bereitete Herrn Paranis große Betrübnis.

Als die Königin im Jagdhause eintraf und er sie in ihr Gemach führte, fügte es sich, dieweil jedermann seine Herberge beschaute, daß er mit ihr allein war.

Königin, sagte er, Herr Tristan weilt im Land! Wie kommt Ihr darauf? fragte Isolde vorsichtig, um sich nicht zu verraten.

Der Kämmerer fuhr fort: Als ich heute früh durch den Wald dahinritt, standen mir, nahe vor Yvignac, im Rücken des Dornbusches (Ihr kennt ihn gewiß!) zwei fremde Ritter im Wege. Wie sie mich sahen, flohen sie zur Seite. Einer von ihnen war Herr Tristan. Dreimal habe ich ihn ritterlich angerufen, zuletzt im Namen der Königin Isolde. Er stand mir nicht.

Lieber Paranis, entgegnete Isolde, zu Tod erschrocken: Unmöglich war es Herr Tristan! Ihr irrt Euch. Man hat Euch getäuscht. Er flieht niemals. Und bei dem Namen Isolde steht er, und sei es dem Tode, der ihn ruft.

Verzeiht mir, Königin! Er verlor den Schild. Ich habe ihn aufgehoben. Der rote Löwe von Leonnois ist darauf gemalt. Seht ihn Euch an, wenn Ihr zweifelt.

Isolde ward bleich. Zorn flammte in ihren ernstgewordenen Augen. Mit herrischer Gebärde entließ sie den Kämmerer.

Er ist mir ein treuer Diener, der niemals lügt, sagte sie sich, und Tränen der Trauer traten ihr in die Augen.

Ich Unglückselige! rief sie aus. Tristan spottet meiner und hat meinen Namen geschändet. Hätte er ehedem bei seinem Klange nicht dem stärksten Feinde mit Freuden gestanden ? Wehe mir, mein bester Freund hat mich verraten! Er treibt ein böses Spiel mit mir. Und warum? Um zu Haus der Anderen, der rabenschwarzen Isolde, zu berichten: Isolde die Blonde weint über ihren entehrten Namen... Aus meinen Augen, aus meinem Sinne, Verräter, trage deine eigene Schande heim!

Sie rief nach dem Kämmerer.

Paranis, sprach sie, eisernen Klang in ihrer gebieterischen Stimme, nehmt Euer Pferd und sucht, bis Ihr Herrn Tristan findet! Er wird im Dornbusch liegen. Sage ihm ohne meinen Gruß, er möge sich nicht erkühnen, sich mir zu nähern. Ich würde ihn mit Schimpf und Schande von dannen jagen durch meine niedrigsten Knechte.

Es reute den Kämmerer, der Ursacher solcher Abweisung zu sein. Von Schmerz erfüllt ritt er auf die Suche. Er fand Tristan und Kaherdin im Dornbusch, wie sie in froher Laune an einem Feuer ihr schlichtes Mahl verzehrten.

Paranis richtete seine schlimme Botschaft aus. Was sagt Ihr mir da? rief Tristan erschrocken und ergrimmt aus. Ich? Ich hätte Euch nicht gestanden beim Namen der Dame, die mir mehr wert ist als mein Leben? Ihr lügt oder habt Euch selber betrogen! Wir rasten hier seit dem frühen Morgen. Und seht Ihr nicht, daß wir keine Pferde bei uns haben? Sie stehen auf dem andern Wege, der durch den Wald nach Yvignac führt. Wartet hier! Die Gefährten, die uns die Pferde bringen, müssen jeden Augenblick hier erscheinen.

Alsbald kam Kurwenal und meldete den Verlust von Tristans Schild.

Da erkannte der Kämmerer seinen argen Irrtum und beklagte heftig das Unheil, das er angestiftet hatte, ohne Böses zu wollen. Er vermochte sich nicht zu beruhigen.

Tristan tröstete ihn.

Freund, sagte er voll Zuversicht, eile zu deiner Herrin. Überbringe ihr meinen Gruß! Niemals habe ich ihr die geringste Unehre gemacht, nicht in Taten, nicht in Worten, nicht in Gedanken. Sie ist mir über allen Frauen lieb und wert. Das sage ihr! Sie möge mir in Gunst und Gnade ihren Willen kundgeben. Ich warte hier ihres Bescheides.

Paranis eilte zur Königin zurück und berichtete ihr, was er gesehen und gehört. Doch sie schenkte ihm keinen Glauben.

Paranis, sagte sie in unerschütterlichem Hochmut, Ihr wart von Kindheit auf mein Vertrauter und Getreuer, in meiner Heimat dereinst wie hier. Ihr meint es ehrlich mit mir, und Euer Bericht ist ohne Arglist und ohne Lüge. Aber Tristan, ein Zauberer über Hirn und Herz, hat Euch betört. Und so seid Ihr Mitschuldiger am höchsten Verrat, den ein Mann begehen kann. Geht! Ich bedarf Eures Dienstes nicht mehr. Geht!

Paranis sank in seine Kniee. Er verstand nicht, was mit ihm geschehen. Hohe Herrin, sagte er zerknirscht, harte Worte sagt Ihr mir. Und nie in meinem Leben hat mich so starkes Leid ergriffen. Nicht meinetwegen. Ich diene Euch in Gnaden wie in Ungnaden mit gleicher Treue. Euretwegen! Ihr tut einem edlen Ritter bitteres Unrecht zu Eurem eigenen Unglücke.

Isolde würdigte ihn keines weiteren Wortes.

Bis in die Nacht wartete Tristan auf des Kämmerers Wiederkehr. Vergebens. Er kam nicht.

Gegen Morgen irrte er um das Schloß. Vergebens. Verstört suchte er seine Gefährten auf.

Ein Aussätziger kam des Weges. Tristan nahm ihn mit sich und tauschte sich dessen zerlumpten Mantel und seine Klapper ein. Dann bestrich er sich mit dem Saft von roten Beeren und Nußschalen das Gesicht, bis er schier aussah wie ein Aussätziger.

Auf einen rohen Stock gestützt, betrat er den Hof des Jagdhauses.

Gegen Mittag kam die Königin aus dem Schlosse. Brangäne war bei ihr. Diener, Bereiter und Knechte nahmen ihre Befehle entgegen.

Bettelnd nahte Tristan.

Königin, habt Erbarmen mit mir! bat er mit verstellter Stimme.

Er war ein schlechter Komödiant. Seine Herrengestalt, seine machtvolle Gesundheit, sein ritterlich Wesen vermochte er nicht zu verbergen.

Isolde erkannte ihn sofort. Im Moment zitterte sie am ganzen Leibe. Des geliebten Mannes jedwede Verkleidung durchstrahlende Schönheit drohte ihr die Sinne zu verführen. Aber sie raffte ihre verrinnende Kraft zusammen, sah starr ins Leere und befahl den Dienern:

Jagt den erbärmlichen Gesellen aus dem Hof! Man packte den Bettler und stieß ihn mit Fäusten und Stöcken.

Königin, rief er, was tut Ihr mir an?

Isolde lachte grell auf, warf ihm einen blinden Blick der Verachtung zu und wandte sich hochmütig ab.

Tristan starrte ihr ein paar Augenblicke fassungslos nach. Rasch aber ermannte er sich und schritt hoch aufgereckt durch das Tor ins Freie.

Isolde brach in der Halle des Hauses zusammen. Brangäne fing die Ohnmächtige auf und trug sie in ihr Gemach.

Am Abend nahm Herr Tristan Abschied von Tynas und verließ die Burg.

Das Schiff eines Kaufmannes, das just auslief, nahm ihn und seine drei Gefährten an Bord.

Isoldens Hochmut schwand, wie ihr Tynas von Tristans edlem Schmerze berichtete. Zu spät erkannte sie den Wahn, der sie verblendet hatte.

Beschämt bat sie Paranis um Verzeihung, die dieser wortelos abwehrte.

Verlorener liebster Freund, klagte die Unglückliche, warum habe ich meinem treuen Kämmerer nicht geglaubt? Grausam und ungerecht habe ich dich verstoßen. Groll und Grimm entfremden dich mir, bis der Haß mein Bild aus deiner Seele reißt. Tristan, nie werde ich dich wiedersehen. Nie wirst du meine ewige Reue erfahren.

Zur Buße für ihre Torheit und Herzlosigkeit legte sich Isolde die Pflicht auf, fortan ein härenes Hemd auf dem Leibe zu tragen. Das feine linnene darüber glich dem trügerischen Lächeln um ihren trotzigen Mund, der keinen Mann mehr zu küssen sich verschwor.

Während der fünftägigen Fahrt sprach Tristan kein Wort. Er nahm weder Speise noch Trank. Versonnen saß er am Bug des Langschiffes und schaute in die grauen Wogen. Die große Enttäuschung, die einmal im Leben jeden Mann niederwirft, der das Fangnetz seiner kühnen Phantasie Überirdischem zuwirft, verbrannte ihm die göttliche Jugend. Als er im Hafen von Douarnenez ans Land stieg, trug der Achtunddreißigjährige silberne Strähnen über den Schläfen.

Dann, auf dem Wege nach Kerahes, hatte er Sprache, Stolz und Weltmannstum wieder. Auf den Lippen einen losen Scherz, dessen innere Wehmut niemand heraushörte, ritt er wie ein heimkehrender Sieger ein in König Howels Burg.

Kaherdin erklärte seinem Vater: Unser Freund Tristan hat kein Wort wider die Wahrheit geredet. Alles war, wie er gesagt. Ach, sein Schicksal ist hundertfältig schwerer als ich gedacht. Gott bewahre jeden braven Mann und jede liebe Frau vor Gleichem!

Wie zuvor waren Kaherdin und Tristan treue Gefährten, und Isolde Weißhand fortan rechtschaffen Tristans eheliches Weib. In Eintracht und Freundlichkeit lebten sie dahin. Tatenlos aber zu leben wäre wider Tristans Art gewesen. Das ward sein Verhängnis.

Gegen Südwesten von Kerahes saß auf seiner Burg Gamaroch der Graf Bedenis. Das war ein schlimmer Kumpan, ohne Unterlaß verstrickt in Händel und Abenteuer, so daß kein Ritter noch Bauer viel mit ihm zu tun haben mochte.

Rasch nacheinander waren die sechs Frauen gestorben, die seine Gemahlinnen gewesen, und man munkelte im Lande, er habe sie aus Eifersucht umgebracht. Nur, weil ihm niemand seine zumeist nicht gerade bescheiden vorgebrachten Wünsche abzuschlagen wagte, um nicht seiner bösen Feindschaft zu verfallen, war es ihm geglückt, eine siebente Jungfrau gegen ihren Willen als sein Weib heimzuführen, die schöne Gariole, die Tochter eines arundischen Edelmannes. Sie war die Gespielin des Herzogs Kaherdin gewesen; aber soviel er darum hätte geben wollen, zu seinem Herzeleid vermochte er ihr Mißgeschick nicht abzuwenden.

Seit der Hochzeit lebte Gariole wie eine Gefangene, denn Herr Bedenis war gewaltig argwöhnisch und des jungen Fürsten alte Liebe blieb ihm nicht unbekannt. Mit List und Tücke wußte er es einzurichten, daß sich die beiden nicht wieder sahen. Heimlichen Gedanken freilich konnte er den Weg nicht verlegen, und so blieben sich Kaherdin und Gariole lieb und treu, als wären sie alle Tage beisammen. Beim Abschied hatte ihm die Unglückliche gelobt, wenn je sie sich wieder begegneten, ihm die zärtlichste Minne zu gewähren.

Die Mauern von Gamaroch waren etliche Ellen höher denn die jeder andern Burg und der Graben einige Klaftern tiefer und breiter denn sonstwo einer. Auch trug der Graf den Schlüssel zum Tor immer bei sich und war stets selber der Pförtner. Alle seine Knechte waren ergraute Krieger, und keinem Fremden männlichen Geschlechts ward je Einlaß gewährt. Die Zugbrücke, die selten herabging, durften nur Frauen und Jungfrauen überschreiten. Zog Herr Bedenits auf Jagd oder Fehde, so blieb die Burg fest verschlossen, und der mitgenommene Schlüssel kam nicht aus seiner Tasche. Also war der Gräfin Leben elender als das einer eingesperrten armen Sünderin.

Eines Tages, da Kaherdin hatte auskundschaften lassen, daß Bedenis mit allen seinen Leuten zur Eberjagd geritten war, machte er sich auf, trabte in die Nähe von Gamaroch, verbarg sein Pferd und schlich sich an den Burggraben.

Wie immer, wenn sie allein war, hatte sich Gariole in ihr Gärtlein begeben, das am inneren Wall zwischen Tor und Turm lag. Nur ihre getreue Kammerzofe war bei ihr.

Kaherdin sah die beiden Frauen lustwandeln und gab der Geliebten ein Zeichen. Gariole bemerkte es und erkannte den Herzliebsten. Nachdem sie die Dienerin weggeschickt, damit sie Wache halte, unterredeten sich Kaherdin und Gariole eine gute Weile, ohne daß es wer gewahr ward. In ihrer Freude, daß sie den heiß Ersehnten wiedersah, rief ihm Gariole gar liebe Worte zu, und Kaherdin dankte es ihr mit dem Schwur ewiger Treue. Zu Ende gemahnte er sie an ihr Gelübde ehedem beim Abschied. Da sagte Gariole: Herr Kaherdin, Ihr wart und seid mir lieb und wert, das leugne ich nicht. Wenn Ihr je zu mir kommt, will ich Euch gern alles gewähren. Ich denke auch allezeit nach, wie dies am besten geschehen könne. Doch Ihr wißt und seht, wie es um mich steht, daß ich eingeschlossen und arg behütet bin. Zeigt mir einen Weg, wie Ihr zu mir dringen wollt! So hart mich mein Mann in der Hut hat, so stark ist mein Wille und Mut. Es steht bei Euch, zu mir zu kommen!

Kaherdin sann Tag und Nacht nach, wie er zu seiner liebsten Frau gelangen möchte, doch er fand den rechten Weg nicht. Da vertraute er sich seinem Schwager Tristan an und bat ihn um Rat und Hilfe.

Herr Tristan, der die Herzensnot Liebender besser kannte denn je einer auf Erden, und der einen Beruf darin sah, jedem beizustehen, der sich aus Liebe in Leid befand, ließ sich alle Umstände genau berichten. Dann sagte er: Mich dünkt nichts besser denn daß du die Herzliebste bittest, daß sie den Schlüssel zum Tor in Wachs abdrücke und dir das Wachs über den Graben werfe. Darnach läßt du dir einen Schlüssel machen, und du vermagst in die Burg zu kommen, so oft das Glück es dir fügt.

Kaherdin freute sich ob dieses Rates, und es gelang ihm, abermals mit Gariole über den Graben zu reden. Er schlug ihr vor, was der Freund ausgedacht, und solches gefiel ihr wie ihrer Vertrauten. Kaherdin solle sich das Wachs in drei Tagen holen.

Als er wiederkam, lag das Wachs da. Die beiden Frauen hatten es ihm über den Graben geworfen. Froh ritt er heim; aber als er sein Heil bei den Schmieden versuchte, die ihm bekannt waren, wollte sich keiner zu dem Geschäft hergeben. Kaherdin war arg betrübt. Was nutzte ihm nun der gute Rat und der Wachsabdruck?

Wiederum wandte er sich an seinen Schwager. Da sprach Herr Tristan: Ich habe einen Schmied in der Stadt Kehares, namens Gudri; er ist mir aus Kanohel gefolgt und mir zugetan. Der wird es meinetwillen tun.

Gudri ward geholt. Tristan redete mit ihm, ohne daß es wer hörte, zeigte ihm das Wachs und bat ihn, ihm darnach einen Schlüssel zu machen.

Der Schmied lachte und sprach: Herr Herzog, wollt Ihr stehlen? Ich bin ein ehrlicher Handwerker und kann Euch hier nicht helfen. Nehmt es mir nicht übel; ich mache den Schlüssel nicht. Tristan erwiderte ihm: Frage nicht darnach, was ich wohl vorhabe! Du weißt, nach unrecht Geld und Gut trachte ich mein Leben lang nicht. Mache mir den Schlüssel gut und recht, und es soll Dein Schaden nicht sein!

Da unterstand sich der Schmied es zu tun. Kaherdin aber ward wieder froh und voller Zuversicht.

Und als er den Schlüssel mit vielem Dank empfangen hatte, kundschaftete er abermals den Tag aus, da der Graf mit seinen Leuten auf die Jagd ritt.

Er bat Tristan, ihn auf seinem Abenteuer zu begleiten, und so ritten sie, dazu ein Knecht, auf den Verlaß war, gen Gamaroch.


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