Arthur Schurig
Der Roman von Tristan und Isolde
Arthur Schurig

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Das Glück war ihnen hold. Fest schlief der König, tot war der Verräter, keiner im Schloß ahnte Tristans Besuch.

Und als sie Abschied nahmen, war Isolde der Raserei nahe. Immer von neuem drückte sie den Geliebten an sich.

Leben und Traum war ihr eines.

Als sie dann wieder an der Seite Markes lag, schwanden ihr die Sinne. Tristan übersprang den hohen Pfahlzaun, suchte sein Roß und ritt von dannen, auch er wie in einem Traum von Wunder und Wehmut.

Als man am Morgen Denowals Leiche im Park entdeckte, zweifelte niemand, daß hier einer Schandtat die gerechte Rache gefolgt war, aber an Tristans Schwert dachte keiner.

König Marke nahm die Nachricht ohne Teilnahme hin; nur Herzog Audret beklagte den Verlust des Verräters.

Am selben Vormittag ritt Godwin nach seinem Hof, der in der Weißen Haide lag. Wie er am Dornbusch vorüberkam, sauste ihm ein kräftiger Pfeil durch die Schläfe. Tot entsank er dem Sattel.

Wenige Augenblicke später trabten zwei Reiter querfeldein in Richtung nach den westlichen Wäldern. Sieben Jahre gingen dahin. Tristan und Kurwenal wanderten als fahrende Ritter durch die Welt. Lange verweilten sie in Kordova, in der glanzvollen Hauptstadt der Kalifen. Unerwarteter Wissensdurst hatte die beiden Schwertleute überkommen. Zu Füßen maurischer Gelehrten erweiterte sich ihre Geisteswelt um wunderbare Dinge.

Dann trieb fromme Sehnsucht sie nach der Ewigen Stadt. Aber am Grabe der Scipiohen besannen sich ihre Heldengeister. Und so sah man sie in den blutigen Schlachten gegen die wilden Scharen der Ungarn manch kühne Tat vollbringen.

Zwei Leidenschaften nur kennt mein ruhelos Herz, sagte Tristan am Abend nach einem Siege, der seiner Tapferkeit zu verdanken war, zu Kurwenal, zwei Leidenschaften: ewigwerbende Liebe und den grimmigen Krieg. Ich muß Eroberer sein, sonst ist mir das Leben matt und schal! Stolz pflegte sich Tristan einen Heimatlosen zu nennen. Sein Herzogtum Leonnois war ihm in der Tat gleichgültig, und doch hing sein Herz an der schwermütigen Bretagne; heimlich wohnte es in Tintagol, auch zuweilen in jenem stillen Hause, das den Namen Frohe Warte trug.

Das wenigstens wollte er einmal wiedersehen! Und das gab den Anlaß, daß die beiden Ritter, nach beschwerlichem Marsch über die Alpen und durch das Frankenreich, an einem grauen Herbsttage im heimatlichen Hafen landeten.

Noch immer lebte Rual der Treue, nun hochbetagt. Unter seiner Statthalterschaft erfreuten sich Land und Leute gedeihlichen Friedens. Etliche Monate blieb Tristan in der Burg Kanohel. Bald aber kam er sich recht unnötig vor, und wie der Schnee schmolz, da machte er sich von neuem auf. Es hielt ihn nichts im engen Vaterlande. Wiederum war Kurwenal sein einziger Begleiter. Vom Kamme der Arreer Berge führte der Weg hinab in das benachbarte Herzogtum Arund. Diesen ritten Tristan und Kurwenal. Das Land lag in Verwüstung. Die verstreuten Gehöfte starrten in Trümmern, vom Brande geschwärzt. Die Äcker waren unbestellt, die Apfelbäume umgehauen, die Weiden ohne Vieh, die Koppelricks zerstört.

Schon war den Rittern um die nächtliche Unterkunft bange, da sahen sie zur Rechten auf dem höchsten Hügel eine Kapelle, die offenbar unversehrt war, denn hinter ihr kräuselte sich der bläuliche Rauch einer Herdstelle.

Dorthin wandten sie sich und fanden in der Hütte neben dem Kirchlein, das dem Heiligen Michael geweiht war, einen einsamen Mönch, der sich sein kärglich Abendmahl bereitete. Ein Fell diente ihm als Wams.

Tristan bat um Herberge auf die Nacht für sich und seinen Gefährten. Auch verhehlte er nicht, daß sie zwei Tage weder gegessen noch getrunken hatten.

Ihr Herren, sagte der Mönch, ich gebe jedem Gast, was ich habe. Viel ists nicht!

Tristan und Kurwenal dankten ihm redlich. Nach dem Essen saßen sie zu dritt am Herdfeuer. Tristan fragte: Wer hat Euer schönes Land so verwüstet?

Wißt, Ihr Herren, entgegnete der Mönch, dies Land gehört Herrn Howel, dem Könige von Arund. Er steht in unglücklicher Fehde mit dem Grafen Rigol von Nantes. Die Wälschen haben alles ausgeraubt und niedergebrannt. Ach, wie war es stattlich und fruchtbar, ehe des Krieges Furien über die Gefilde rasten!

Und wo ist Euer König? fragte Kurwenal.

In seiner festen Burg Kerahes, berichtete der Mönch, wo ihn der böse Feind seit Wochen und Monden umstellt. Bei ihm ist sein Sohn Kaherdin, ein tapferer Mann, und seine Tochter, die schöne Weißhand, wie sie wohl zu meist genannt wird. Einige brave Edelleute des Landes harren bei ihnen aus und eine kleine Schar treuer Bauern und Knechte. Es sind ihrer nicht mehr viel, und da sie seit langem keinerlei Zufuhr haben, leiden sie argen Mangel und große Not. Mit den Waffen können sie nichts ausrichten, denn die Belagerer sind in großer Überzahl und voller Kraft und Stärke. Nur der liebe Gott noch vermag sie vor dem Untergange zu retten. Wer weiß, vielleicht ist seine Hilfe nahe?

Tristan ward von Mitleid bewegt.

Wie weit ist es nach Kerahes? fragte er.

Zehn Wegstunden, vermeldete der Mönch.

Andern Tags in der Frühe empfahlen sich Tristan und Kurwenal unter vielem Dank, nachdem der Mönch ihnen ein Mahl und seinen Segen gegeben. Eifrig ritten sie vom Michelstein gen Morgen.

Vor Abend erblickten sie die Zinnen der Königsburg; auch gewahrten sie das Lager der Feinde im Nordosten der Feste auf einer Waldblöße. Rings um Kerahes standen Feldwachen und starke Posten, zumal an den fünf Zugangswegen.

Als dies gebührlich erkundet war, erwarteten die Ritter die Nacht und schlichen sich im Dunkel unbemerkt durch den Forst vor das Tor der Burg.

Wer da? fragte droben der Wächter.

Gut Freund! rief Tristan.

Schon erschien der König auf der Zinne.

Was begehrt Ihr von uns? fragte er, verwundert über die ihm verdächtigen Ankömmlinge. Ich bin der Herr der Feste.

Da sprach Herr Tristan: König Howel, man sagt uns, daß Euch im Kriege mit einem bösen Nachbar Frau Fortuna wenig gnädig sei. Desungeachtet sind wir bereit, unter Eurem Banner ritterlich zu kämpfen. Wollt Ihr mich und meinen Kameraden aufnehmen?

Der König gab die Antwort: Euer Angebot erfreut mein Gemüt, aber die große Not, in der wir stehen, gebietet uns, es abzulehnen. Wir sind dem Hungertode nahe. Wir fristen unser armseliges Leben nur noch von Bohnen. Gott erbarme sich unser. Und nun sagt mir, wer seid Ihr, edler Herr?

Tristan gab sich zu erkennen.

Da sagte König Howel: Oftmals habe ich Rühmliches über Euch und Eure Taten vernommen, Herr Tristan von Leonnois, und so bitte ich Euch, die Nacht bei uns zu verweilen.

So ward den Rittern Einlaß in die belagerte Burg gewährt.

Nach der Begrüssung Tristans und seines treuen Gefährten durch König Howel und seinen Sohn Kaherdin, geleitete dieser die beiden Ritter durch die Burg. Er zeigte ihnen die Anlage der Feste, die Wurfmaschinen, die kahl gewordenen Werkstätten und die zusammengeschmolzenen Vorräte. Vom Turm aus unterrichtete er sie über die Stellungen und Maßregeln der Belagerer.

Darnach sagte Kaherdin zu Tristan: Nun wollen wir gehen, die Frauen zu begrüßen, meine Mutter Karsie und meine Schwester. Eine edlere und schönere Jungfrau findet Ihr nicht im Lande Arund. Sie ist es wert, das Weib eines wackeren Mannes und Fürsten zu werden.

Wie heißt Eure schöne Schwester? fragte Tristan.

Isolde! entgegnete der Königssohn.

Isolde! wiederholte Tristan. Der Gedanke an die andere Isolde überkam ihn mit der ganzen Macht der Sehnsucht und der Liebe. Und er dachte bei sich:

Isolden verloren, Isolden gefunden!

Aber wie er dann vor ihr stand, fand er nichts Ähnliches zwischen dieser Isolde Weißhand und jener Isolde Blondhaar, von der ihn sein hartes Lebenslos zu seinem endlosen Schmerz auf immerdar getrennt hatte. Schön, wunderschön war auch diese braune Isolde, von königlichem Wuchs, voller Liebreiz und Holdseligkeit. Aber der himmlische Schein, der ihm von der Stirne der Einzigen geleuchtet hatte, strahlte nicht über dem dunklen Scheitel dieser Anderen.

Beim knappen Mahl erzählte Kaherdin von der Fehde mit dem Grafen Rigol von Nantes, von den bisherigen Gefechten und den Bedrängnissen der Belagerung.

Tag um Tag, sagte er zum Schluß, schickt Herr Rigol etliche seiner Ritter vor unsre Burg, uns mit hämischer Rede zu Zweikämpfen herauszufordern. Es ist wahrlich nicht unritterliche Feigheit, wenn wir solches ablehnen. Wir sind unsrer längst zu wenige. Wir dürfen keinen Mann unnütz verlieren.

Tristan, als umsichtiger und kluger Kenner des Krieges, fragte nach allerlei Umständen.

Herr Kaherdin, scherzte er sodann. Wir sitzen hier bei einer Tafel ohne Fleisch und Wein, und drüben, keine drei Wegstunden von hier, schmausen und schwelgen die Feinde. Ich spüre Lust, ihnen morgen in der Frühe mit meinem lieben Kurwenal einen Besuch abzustatten und ihnen ein paar fette Hammel abzujagen. Was meint Ihr dazu? Wieviel Ritter und Knechte wollt Ihr mir stellen?

Kaherdin redete gegen den kühnen Plan, aber am Ende ward das Vorhaben beraten und vorbereitet. Am andern Morgen rückten Tristan, Kaherdin und Kurwenal samt sieben Rittern, zwölf Knechten und drei Wagen aus, wohlgerüstet und voll Zuversicht. Durch den Tannenwald schlichen sie sich von rückwärts an das Lager des Feindes heran. Unvermutet brachen sie aus der Deckung und überfielen die Wagen und Zelte des Trosses. Es entstand ein leichtes Geplänkel der Ritter mit der Lagerwehr, währenddem die Knechte Vieh und Vorräte erbeuteten und wegfuhren.

Dieser erfolgreiche Handstreich hob den Mut und das Vertrauen der Belagerten beträchtlich.

Andern Tags gegen Mittag erschien der Feind in gewaltiger Stärke auf dem Hügel vor der Burg Kerahes. An den wehenden Bannern erkannten die Belagerten, daß Graf Rigol selber in der Schar war nebst seinen vornehmsten Vasallen.

Durch einen Herold ließ er König Howel zum Zweikampf fordern.

Da bat Herr Tristan den König, ihm zu gestatten, die Herausforderung für ihn anzunehmen.

Herr Howel umarmte den jungen Freund und bat ihn, davon abzustehen; der aber ließ nicht nach mit herzlicher Bitte.

So geschah es, daß König Howels Herold ausritt und Herrn Rigol ansagte, daß Herzog Tristan von Leonnois für seinen Gastfreund und Bundesgenossen den Waffengang annähme.

Rigol, den schon der gestrige verwegene Überfall verwundert hatte, weil er den Belagerten keinen Widerstand mehr zutraute, war baß erstaunt, wie er urplötzlich von einem fremden und so berühmten Herrn im belagerten Kerahes zu hören bekam. Ohne Verzug machte er sich kampffertig und ritt mit einem kleinen erlesenen Gefolge vor König Howels Burg.

Die Begegnung der beiden Kämpfer fand im Vorfelde von Kerahes statt, angesichts der auf den Zinnen der Burg und auf dem ihr gegenüberliegenden Hügel versammelten Heere. König Howel und seine Tochter Isolde schauten vom Torturm herab.

Tristan und Rigol ritten mit den Lanzen gegeneinander an. Und wie der Graf von Nantes aus dem Sattel gehoben war, als hätte er nie darin gesessen, saß auch Tristan ab, und der heiße Kampf ward zu Fuß fortgeführt.

Tristan zerschlug dem Gegner den Schild und versetzte ihm einen wuchtigen Kopfhieb, der die Helmhaube durchdrang.

Rigol sank mit einem Aufschrei zu Boden, und Tristan glaubte schon, daß er nimmer wieder werde aufstehen. Aber er war noch am Leben, und wie ihm der Sieger den Todesstoß versetzen wollte, da sprach er:

Herr Tristan von Leonnois, haltet ein! Ich will Euer Gefangner sein und bei meiner Ehre alles zusagen und ehrlich erfüllen, was Ihr von mir verlangt.

Er reichte ihm sein Schwert und ließ sich in die Halle von Kerahes tragen.

Dort ward der Vertrag zwischen König Howel und dem Grafen von Nantes vor Zeugen beider Parteien erörtert. Rigol sollte geloben, sein Heer ohne Verzug abziehen zu lassen, alles Kriegsgerät, alle Pferde und alle Vorräte auszuliefern, den angerichteten Schaden im Lande Arund voll zu ersetzen und sein Leben lang wider König Howel und sein Volk Krieg nicht zu führen.

Rigol willigte ohne langes Feilschen in alles ein, froh, sein liebes Leben gerettet zu haben. Kurwenal, der den Friedensvertrag zu Urkund brachte, belustigte sich ob der Eile des Besiegten. Nehmt es uns nicht übel, Graf Rigol, meinte er in spöttischer Gelassenheit, wenn wir bitten, es Euch bis zur Anfuhr von Speise und Trank im Turm behaglich zu machen. Unsere braven Knechte und Bauern haben eines fröhlichen Mahles lange entbehrt, und auch wir Ritter werden es wahrlich nicht verachten.

Herr Rigol lachte grimmig und sagte: Mich mag der Teufel holen, wenn ich mir wegen Schinken und Apfelwein Euren Turm von innen anschaue.

Alsbald ließ er das Geforderte eiligst herbeischaffen.

Nach so glücklichem Kriegsende erlaubte es König Howel nicht, daß Herr Tristan und sein Gefährte das Land Arund wieder verließen. So blieben sie in Kerahes und verrichteten beim Aufbau der verbrannten Dörfer und Höfe viel nützliche Dinge.

Kaherdin gewann Herrn Tristan besonders lieb, und da er fürchtete, der tatenlustige Freund werde einmal jählings aufbrechen und auf neue Abenteuer ziehen, da dachte er sich aus, wie dies zu hindern sei, und eines Tages sprach er zu ihm:

Freund, du hast meinen Vater und uns allen den größten Dienst erzeigt und uns zu ewigem Danke verpflichtet. Es ist kein Mann im ganzen Lande, der dir nicht Liebe und Treue geschworen hätte. Du bist der Retter des Volkes. Mein Vater schätzt dich als den weit und breit ersten Helden. Und ich will dir ein guter Bruder sein, solange ich lebe. Bleibe also in Kerahes, um welchen Preis es auch sei! Auch gestehe ich dir, daß ich mir nichts heißer erwünsche als daß du König Howel um die Hand meiner Schwester Isolde bätest.

Habe ich endlich meine Heimat gefunden? dachte Tristan bei sich, dem die Zuneigung der schönen Isolde von Kerahes längst kein Geheimnis mehr war.

Wüßte ich, erwiderte er, daß dein Vater mir Isolden gäbe, so würde ich ihn darum bitten.

Des war Kaherdin froh, und er sagte es seinem Vater, der die Werbung mit Freuden hörte.

So brachte Isoldens Bruder die Heirat zu wege. Wäre es doch nicht geschehen! klagt der bretonische Dichter an dieser Stelle. Tristans Liebe war rein wie der Sternenhimmel. Dunkler Nebel kam und trübte seine Klarheit. Ach, diese Finsternis brachte ihm den frühen Tod!

Die Hochzeit ward mit Prunk und Pracht im Schlosse Kerahes abgehalten. Tristan war fröhlich und guter Dinge, aber in der Nacht, als ihn die Freunde in die Kammer der Braut geleiteten und ihm nach altem Brauch beim Sichentkleiden unter allerlei Scherz halfen, da geschah es, daß ihm der enge Ärmel des Rockes den Jaspisring abstreifte, den die blonde Isolde ihm dereinst beim Scheiden gegeben hatte.

Mit hellem Klang fiel er zu Boden und blieb zu Füßen Tristans liegen. Da war es dem Bräutigam, als mahne ihn der Ring an jene Abschiedsstunde, da ihm das Herz so schwer gewesen war und er der Anderen Treue bis in den Tod gelobt hatte.

Im Geiste stand die hohe Gestalt der geliebten Frau vor ihm. Er schaute ihr in die graublauen Augen; er sah das wunderbare Gold ihres Haars; er fühlte den lieben Druck ihrer Hand.

Im Banne der Vision hielt er sich beide Augen zu. Er gedachte der süßen Zeit im Walde von Morlaix.

Wer von uns zweien hat die gelobte ewige Treue gebrochen? fragte er sich tiefbewegt. Isolde, die ich dem König Marke zurückgab, oder Tristan, der eine Andere freit, obwohl ihn niemand in der Welt dazu zwingt? Ich, ich bin der Verräter. Wehe mir!

Mit einem Seufzer legte er sich zur Seite des ihm angetrauten schönen Weibes, das sehnsüchtig seiner Liebkosungen harrte.

Was ist dir, Lieber ? fragte sie nach einer Weile, indem sie sich ihm anschmiegte.

Isolde, stöhnte Tristan, übermannt von seinem heimlichen Herzeleid, Freundin und liebe Frau, glaube mir, meine Seele ist voller Schwermut. Doch die Zeit, die alles lindert, wird auch mich heilen. Sei gütig und geduldig mit mir!

Während der lange Jahre, da Herr Tristan in Kampf und Abenteuer durch die Welt gezogen war, vernahm Frau Isolde keinerlei Nachricht von ihm. Erst als er beim Herzog Howel Aufnahme gefunden hatte, drang Kunde hierüber zu den Rittern des Königs Marke. Auch erfuhren sie von den Gefahren, die Herr Tristan bestanden, und von den Heldentaten, die er in ferner Herren Ländern vollbracht. Das Herrliche daran verdarb man, und das Grausige entstellte man zu Bösem. Solches ließ man die blonde Isolde von ihrem geliebten Freunde hören. Audret, der in all der Zeit um die Gunst der Frau Isolde vergeblich gebuhlt und gebettelt hatte, hinterbrachte ihr voll Haß und Schadenfreude die verlogenen Meldungen.

Eines Morgens saß Frau Isolde am Fenster in der Halle des Schlosses Tintagol und sang das isländische alte Lied von der Welt Untergang und Wiedergeburt:

... Balders Ende naht. Schreiten
Seh ich sein Schicksal. Bleich
Blüht am Baum dem Todgeweihten
Der Mistelzweig ...

Isolde spielte die Rotta zu ihrem Liede, und diese Musik war todtraurig wie ihr Herz. Eine kleine Weile, ehe der Gesang zu Ende war, trat Audret ein.

Königin, sagte er zu Frau Isolden, als sie verstummte und in Sehnsucht und Leid über das weite Land schaute, Euer Lied war schauerlich wie das Lied einer Eule, und, wie Ihr wißt, heißt es im Volksmunde, wenn eine Eule ihre Klage erhebt: Es stirbt Einer! Der Eine bin ich, aus Liebe zu Euch!

Isolde lachte laut auf: Stirb, Audret! Stirb! Eine größere Freude kannst du mir nicht bereiten!

Wer aber weiß, ob nicht ein Andrer stirbt? warf Audret hin.

Isolde nahm das Wort wieder auf. Wenn ich die Eule bin, sagte sie scharf, dann bist du der Uhu. Wie der Unglücksvogel läßt du dich nur sehen, wenn du Übles zu verkünden hast.

So ist es! erwiderte Audret. Wollt Ihr meine Unglücksbotschaft hören?

Sagt sie und verschwindet! entgegnete die Königin.

Ich verdiene Eure Ungnade nicht, Frau Isolde. Umsomehr Euer einstiger Freund Tristan. Er verschmäht Euch. Herzog Howels schöne Tochter hat es ihm angetan mit ihrem rabenschwarzem Haar und ihrer schneeweißen Hand. Die Hochzeitsfeier hättet Ihr sehen sollen. Das war ein Freudenfest ohne Gleichen. Für Euch ist Herr Tristan tot. Darum sang die Eule!

Isoldens empörter Aufschrei verscheuchte den Unglücksboten.

Als sie allein war, weinte sie bitterlich.

Kaherdin und Tristan waren gute Freunde und treue Waffenbrüder geworden. Sie ritten und jagten zusammen, und manches Abenteuer, manche Fehde, manche Gefahr bestanden sie gemeinsam.

Eines Tages ritten König Howel, Kaherdin, Isolde Weißhand, Tristan und einige Herren zur Jagd nach den Schwarzen Bergen. Bruder und Schwester trabten nebeneinander.

Quer über den schmalen Weg starrte eine Wasserlache. Wie Isoldens Zelter darein trat, spritzte das Wasser auf. Hoch in den Rock, zwischen die Schenkel, weit über das Knie kamen die derben Tropfen.

Isolde stieß einen leichten Schrei aus. Dann lachte sie und sagte laut zu sich: Wasser, bist kühner als mein Mann!

Kaherdin hörte die Worte und drang in seine Schwester.

Ich sprach nicht zu deinem Ohr, lieber Bruder, wehrte sie errötend ab. Und ich habe zu viel gesagt.

Aber Kaherdin gab nicht nach, bis ihm die Schwester gestand, daß Herr Tristan ihrer Jungfrauenschaft noch nicht zu nahe gekommen, obgleich sie über ein Jahr schon Mann und Weib waren.

Das zu hören, betrübte Kaherdin sehr, denn er liebte die Schwester wie den Schwager. Unter dumpfen Gedanken ritt er dahin. Und wie dann der Hirsch auf der Strecke lag, da rief er den Freund beiseite und sprach zu ihm:

Schwager Tristan, ich muß, so weh es mir tut, Euch die Freundschaft kündigen.

Erstaunt fragte Tristan: Warum wohl, mein Lieber?

Ich will es Euch sagen, erwiderte Kaherdin, weil Ihr meine Schwester verschmäht und unserm ehrbaren Geschlecht Schmach antut!

Tristan schwieg, traurig und verlegen.

Wollt Ihr Isolden zu Schimpf und Spott verlassen? fragte Kaherdin, betroffen von Tristans Trübsinn.

Das werde ich Eurer Schwester, die mir lieb und wert ist, und Euerm edlen Hause nimmermehr antun! bedeutete der Freund. Aber komm! Ich muß dir das Unglück meines Lebens erzählen. Drei Tage ging Kaherdin in tiefem Schmerz mit sich zu Rate. Tristan hatte ihm ehrlich gebeichtet, daß er der anderen Isolde verfallen war, daß er an namenloser Sehnsucht litt, daß er die Geliebte wieder sehen müsse und wäre es nur einmal noch, daß er vor Unrast nicht leben und nicht sterben könne.

Er erzählte ihm von der Brautwerbung auf König Hangwins Grünem Eiland, von der Liebesfahrt über das Meer, vom Verrat des bösen Zwerges, von Frau Isolden, wie sie dem Feuertod überliefert war, wie König Marke sie den Aussätzigen preisgegeben, von ihrer Befreiung, von den köstlichen siebzehn Monden im Walde von Morlaix, von Isoldens Rückkehr nach Tintagol, von seinem nächtlichen Abschied in Baumgarten, von seiner großen Fahrt durch die Welt, von allen den Kämpfen und Abenteuern, über denen er die Geliebte doch nicht vergessen mochte, von seinem ehrlichen Bemühen, die braune Isolde liebzugewinnen, von seiner Trostlosigkeit und seinem endlosen Leide.

In Verwunderung und Mitleid vernahm Kaherdin des Freundes Schicksale. Nie hatte er Ähnliches gehört, von so gewaltiger Liebe und Leidenschaft, von so viel Himmelslust und Höllenleid.

Sein Grimm floß dahin. Nimmer konnte er einem Manne zürnen, des Herz schier erdrückt ward.

Lange sann er nach, wie er ihm und zugleich der geliebten Schwester am besten helfen könne. Tristan, sprach er endlich voller Hoffnung, höre mich an! Wir wollen heimkehren nach Kerahes und uns alsbald aufmachen nach dem Lande Cornouaille. Dein Verbleiben hier wäre Qual und Pein, ohne Glück weder für Euch noch für meine Schwester. Darum gehen wir zusammen nach Tintagol. Du mußt die blonde Isolde wiedersehen, dich überzeugen, ob sie dir wahrlich Treue hält. Vielleicht hat sie dich in den sieben Jahren vergessen, hat ihr Herz einem Andern vergeben, will dich nicht mehr sehen und hören. Geheilt von deiner vergeblichen Sehnsucht kommst du dann wieder zu deiner anderen Isolde und findest Trost bei ihr und einen geruhsamen Feierabend deines ruhlosen Daseins. Auf! Ich begleite dich als Freund und Bruder.

Ergriffen stammelte Tristan: Heißt es nicht in einem alten Liede: Ein ganzer Mann wiegt alles Gold des Landes auf? Ein solcher bist du. Wir wollen deinem Rate folgen.

Wie Pilger gekleidet, die zum Heiligen Grabe wallen, in grauen Kitteln, in Bundschuhen, mit Tasche und Stab, also brachen an einem Maienmorgen Tristan und Kaherdin auf. Kurwenal, der immer Treue, begleitete seinen Herrn, dazu ein einziger Knappe, beide in Kutten; alle zu Fuß.

Bis Dinan, dem Sitze des alten Seneschalls, waren es fünf Tagereisen.


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