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Die Wilddiebin.

Erzählung.


I.

Es war im Anfange der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. In einer Schlucht, mitten im tiefsten Waldgebirge, stand ein junger Mann, an den Stamm einer Eiche gelehnt. Er trug Jagduniform, Büchse und Hirschfänger, und ein prachtvoller, hellgelber Wolfshund lag, mit einem Strick an seine Waidtasche befestigt, zu seinen Füßen. Der junge Mann war eine hohe Gestalt, so schlank und fest gebaut, wie die schönste Edeltanne in seinem Walde. Er hatte regelmäßige Gesichtszüge, eine spiegelreine, hochgewölbte Stirn und einen auffallend zart und graziös geformten Mund; jenen feinen und aristokratischen Mund voll verführerischen Reizes, dem wir jetzt auf alten Familienbildern weit häufiger als im Leben begegnen – als ob die lächelnde Weltweisheit von ehemals nach ihrer Flucht uns nicht einmal ihren leeren Thron hätte zurücklassen wollen.

Ob unser Held ein so guter und erfahrener Jäger, wie er ein schöner und stattlicher Mann – das läßt sich schwerer sagen. Wenigstens scheint der reine, ungebräunte Teint und die weiße Hand, welche auf dem Lauf der Büchse ruht, zu beweisen, daß er unmöglich seit langer Zeit den Einflüssen von Luft und Wetter ausgesetzt gewesen.

Die Schlucht, in welcher er seinen Stand genommen, ist von einem rauschenden kleinen Gießbach durchströmt, der um Kiesel und dunkle Baumwurzeln unaufhörlich Schaumwellen schlägt, als hätte er wie ein muthwilliges Kind sein Vergnügen daran, den düster Dreinschauenden Steinblöcken und den Alraungesichtern der langbeinigten Wurzelstämme den Bart einzuseifen, und würde auch, wie ein Kind, diesen vortrefflichen Einfall gar nicht satt und müde. Und doch schießt er an andern Stellen über den hellgelben Kies mit solcher Schnelle fort, als ginge es ihm an Kopf und Kragen, wenn er nicht noch vor Abend bei seinem Mütterchen, der Mosel, angekommen, die ihn unten im Thale erwartet. Von dem Standpunkte des Jägers aus sieht man sie durch die Oeffnung der Schlucht nordwärts in blauer Ferne ihre anmuthigen Windungen ziehen.

Jener Standpunkt ist dicht an einem Fußsteig genommen, der sich parallel mit dem Bache die Schlucht hinaufzieht. Dem Jäger gegenüber und hinter ihm erheben sich steile, dichtbewachsene Bergwände.

Unser Mann muß schon lange so gestanden haben; er stützt das Gewicht seines Körpers bald auf das eine, bald auf das andere Bein, als ob seine Glieder ermüdeten; der Wolfshund hat den Kopf auf die Vordertagen gedrückt und verdrießlich die Augen geschlossen, als ob er längst Geduld und Lust verloren und eingeschlafen sei.

Alles ist still. Ein paar Vögel schießen über die Schlucht daher, aber so lautlos wie die Wölkchen am blauen Himmel, wie die Sonnenstrahlen, die bereits schräge durch die Wipfel fallen und mit abendlicher Färbung um die grünen Laubbüschel blitzen. Da knistert etwas – Zweige biegen sich auseinander – es ist am andern Ufer des Baches – eine junge Rehkuh steckt ängstlich den Kopf durch's Dickicht; dann kommt sie vorsichtigen Schrittes, den Leib lässig in Wellenbewegungen schaukelnd, nieder, beugt den Hals und schlürft das klare Wasser ein.

Der Hund hat sich auf die Vorderbeine erhoben; sein Auge funkelt: da jedoch sein Herr keine Bewegung macht und nur leise: » A bas, Leo!« flüstert, legt er sich wieder, als ob er sagen wolle: hat sie für dich kein Interesse – mir ist die braunäugige Waldschönheit auch gleichgültig; und dann drückt er den Kopf so fest an den Boden und schaut so klug aus den intelligenten Augen, als ob er es jetzt zu seiner Unterhaltung durchaus darauf angelegt habe, rechts und links von seinen zottigen Ohren das Gras wachsen zu hören.

Endlich richtet sich der junge Mann unmuthig auf.

»Bertram!«

»Hier,« antwortet eine Stimme von drüben, aus dem dichtesten Gebüsch der jenseitigen Bergwand. Eine Weile nachher springt ein grauer, verwachsener Bursch mit dreieckigem Hütchen und kurzem Zopf über die Kiesel des Baches und klimmt dann den kurzen Hang diesseits bis zu dem Wartenden empor.

»Was ist's, Herr?«

»Wir wollen heim. Den fangen wir nicht.«

»Der Teufel hole den Galgenstrick,« versetzte Bertram, Athem holend. »Wer die Waldwege kennt, hätte darauf geschworen, daß er durch diese Schlucht sich zurückziehen müßte. Drüben am Hahnenstein verlegt ihm der Rudolph mit der alten Juno den Paß und hinter uns über die Halde – Jesus Maria –«

»Was gibt's?«

»Da, da!« schrie der kleine Graue und wies mit beiden ausgestreckten Armen empor auf den Gipfel der Bergwand in ihrem Rücken.

Das Gebüsch, welches diesen Gipfel bedeckte, war kurzer Aufschlag und bestand aus jungem Gestrüpp, das aus den Wurzelstämmen gefällter Bäume entsprossen. Zwei Gestalten bewegten sich durch dies Gezweig, das ihre Oberkörper vollständig überragten. Sie trugen dunkle Röcke, dreieckige Hütchen, mit schmalen Goldborten eingefaßt, und die Eine von ihnen eine Flinte, die sie über die Schulter geworfen hatte. Im nächsten Augenblick waren sie verschwunden.

»Ihrer zwei! sie sind's!«

»Nach, nach!« rief der Jäger und sprang die Bergwand hinan.

»Den Leo los, Herr, den Leo!«

Aber der Herr hörte in seinem Eifer nicht. Leo setzte mit so gewaltigen Sprüngen den Berg hinan, daß er seinen weniger raschen Gebieter an der Schnur, die ihn fesselte, niederriß. Der Jäger fiel hart an den Grund. Als er sich wieder aufrichtete, fühlte er einen heftigen Schmerz am Fuße.

»Ich habe mir den Knödel verstaucht, Bertram,« sagte er und ergriff den Arm des Alten, um sich darauf zu stützen. »Verdammt! Sie entgehen uns.«

»Laßt wenigstens den Leo ihnen nachsetzen!«

»Sie werden ihn erschießen!«

»Ihr habt recht! Die Spitzbuben!«

»Nur voran – es geht schon wieder – nur voran!«

Beide klimmten hastig empor. Der Jäger verbiß heroisch seinen Schmerz. Die Wand war hoch. Es verging eine gute Weile, bis sie oben waren. Hier dehnte sich eine weite, mit Haidekraut bewachsene Hochebene vor ihnen aus. Sie sahen, wie die Verfolgten mit raschen Sprüngen über die Fläche liefen und einem Bauernhause zuflüchteten, das am Rande derselben stand.

»Sie wollen sich in dem Hofe verbergen,« sagte keuchend der Forstmann. »Bertram, eile Du ihnen dorthin nach – ich will rechts ab, ihnen voraus, an den Weg, der von diesen Hofe in's Thal führt, um sie dort zu erwarten. Biete die Leute im Hofe zur Hülfe auf!«

Der Jäger eilte fort rechts ab, während der krumme Bertram, der die Behendigkeit eines Affen zu haben schien und wie ein wahrer kleiner Waldteufel aussah, in possirlichen Sprüngen über die Büschel des Haidekrautes setzte, dem Bauernhause zu, in welchen nach wenigen Augenblicken die Flüchtlinge verschwunden waren. Sein Herr eilte, wenn auch nicht eben so rasch, in anderer Richtung fort, erreichte nach einer Weile das Ende der Haide und befand sich bald wieder unter den Aesten eines Waldes. Noch einige Minuten und er stand am Rande eines Hohlweges, der unter ihm mit tiefen ausgefahrenen Geleisen thalwärts, nach der Mosel zu, sich hinabwand.

Er spannte den Hahn seiner Büchse, warf sich dann auf das grüne Moos und hielt mit dem Ausdrucke größter Erwartung das Auge nach der Seite des Bauernhofes auf den Pfad gerichtet.

»Dies keck Gesindel, das mir so am hellen lichten Tage in's Revier bricht!« flüsterte er, und fügte einen derben Fluch hinzu.

Eine Weile hatte er so gelegen, da hörte er helle, kichernde Stimmen – es waren auffallend helle Stimmen – zwei Gestalten wurden sichtbar, welche jetzt um die nächste Wendung des Weges bogen – zwei junge Mädchen mit rothen erhitzten Gesichtern waren es.

Leo schlug an; die Frauen blieben erschrocken stehen.

Der Jäger sprang auf, glitt den Hang bis zum Wege hinunter und ging ihnen entgegen. Eine von ihnen hatte ein hübsches, aber unbedeutendes rundes Gesichtchen mit etwas zu großem Munde und schmalgeschlitzten braunen Augen; die Andere, größer, eleganter gekleidet, zeigte dagegen feine, auffallend schöne, regelmäßige Züge, blonde reiche Locken und etwas wie einen Ausdruck von Kälte und Stolz, der sich um die starkgewölbten Lippen und die kräftig gezeichneten Nasenflügel gelagert. Sie trug einen Strohhut, mit frischem Strauß von rothen Haide- und gelben Ginsterblüthen daran, in der Hand; die Andere, kleinere, trug einen Korb.

Während der Jäger diese Beobachtungen gemacht, hatte er sie erreicht und, an die größere der Damen sich wendend, sagte er mit vollkommenster Unbefangenheit:

»Verzeihen Sie mir, wenn ich wage, eine Frage an Sie zu richten: sind Sie nicht Jägern ober bewaffneten Leuten begegnet?«

Die Dame schüttelte den Lockenkopf; sie schien ein Lächeln zu verbeißen; die Andere versteckte sich hinter sie.

»Ich bin Wilderern auf der Spur,« fuhr der junge Mann fort, »der Wald ist unsicher – Sie scheinen die Gefahr nicht zu ahnen, welche Sie bedroht. Dazu wird es Abend: nehmen Sie meine Begleitung an!«

»Aber die Wilderer?«

»Eben vor ihnen möcht' ich Sie beschützen!«

»Von einem Feinde wie Sie verfolgt, werden sie mehr an ihre eigene Rettung, als an Beleidigung harmloser Frauen zu denken haben,« versetzte die Dame mit einem leisen Anfluge von Spott.

»Wenn ich nun mein Waldhüteramt geltend mache, das mir die Pflicht auflegt, Unheil in meinen Forsten zu verhüten – werden Sie dann meine Begleitung annehmen? Keinenfalls können Sie verwehren, daß ich Ihnen folge, um im Falle der Noth zu Ihrem Schutze nahe zu sein.«

»Das kann ich freilich nicht – aber unser Weg ist durchaus nicht kurz!«

»Glauben Sie, daß ich ihn so wünsche?«

Der Jäger warf seine Büchse über die Schulter und um seiner Galanterie die Krone aufzusetzen, nahm er der Kleinen den Korb ab, welchen diese am Arme trug.

Das Mädchen erschrak sichtlich dabei und lehnte stotternd die Höflichkeit des Fremden ab. Der junge Mann aber hatte bei aller Zuvorkommenheit etwas so Entschiedenes, daß ihm nicht zu widerstehen war. In den Gesichtern der jungen Mädchen hatte sich bis jetzt eine gewisse versteckte Schelmerei gespiegelt, in ihren Worten etwas Spöttisches gelegen. Seltsamerweise war dieser Ausdruck in Zügen und Reden plötzlich auf den jungen Mann übergegangen, seitdem er den Korb in der Hand trug.

Für diesen Korb bezeigte übrigens auch Leo eilt außerordentliches Interesse. Er schnupperte in allen Richtungen an dem Weidengeflecht umher.

»Sie müssen den Weg zeigen,« sagte der Jäger nach einer Weile – »ich glaube, dort rechts hinab geht es in's Thal hinunter.«

»Kennen Sie Ihre eignen Wälder noch nicht?«

»Die Wälder wohl – aber nicht all ihre Pfade! – Doch auch etwas von diesen,« setzte der Jäger lächelnd hinzu. »Uebrigens bin ich in der That noch nicht lange genug hier, um alle Pfade und Stege zu kennen. Noch vor einigen Monaten dachte ich nicht im Traume daran, daß jemals ein so respectables Glied der Gesellschaft aus mir werden würde, wie ein wohlbestallter Revierförster ist! Und dies Revier ist groß. Ich habe fast eine Quadratmeile kurfürstlicher Waldungen zu beherrschen, die tausend Morgen des Barons Windschrot, die freilich von dem alten Verschwender grauenhaft verwüstet sind, nicht einmal gerechnet. Aber was meine Unterthanen, die Bäume, angeht, so glaube ich nicht, daß irgend ein Fürst sicherer sein kann, jeden von den Seinigen so treu, fest und Tag für Tag an seiner rechten Stelle zu finden! Das erleichtert die Regierung!«

Es mußte etwas in den Worten des Forstmannes gelegen haben, was der jungen Dame die Lust am Spott vollständig zu nehmen schien. Sie war erblaßt und sah, wie um eine innere Bewegung zu verbergen, auf die Seite. Ihr Begleiter plauderte heiter in demselben Tone fort:

»Und was meine Gerichtsbarkeit über Wilddiebe und Holzfrevler angeht,« sagte er, »so sind sie auf Gnade und Ungnade in meine Hand gegeben.«

Die junge Dame beschleunigte ihre Schritte.

»Auch können sie sich auf eine strenge Behandlung von mir gefaßt machen – ich werde ihre Sünden gewissenhaft wägen, und finde ich sie schwer, so schwer wie diesen Korb zum Beispiel« – der Förster wog den Korb in seiner Hand – »dann –«

»Nun dann?« stieß das Mädchen wie in hastiger Angst hervor.

»Doch das wird Sie nicht interessiren,« versetzte er; »lassen wir das. Ich war im Begriffe, Ihnen zu erklären, weshalb ich mein eigenes Revier noch nicht vollständig kenne. Vor drei Monaten war ich noch hochgebietender Lieutenant in kurfürstlich Trier'schen Diensten – seitdem ist mein Vater gestorben; ich mußte mich nach einer einträglicheren Beschäftigung umsehen, als ein paar Epauletten spazieren zu tragen, und weil ich als guter Waidmann galt, gab mir der Kurfürst diese Stelle hier. Vor drei Wochen bin ich mit schwerem Herzen aus der Welt geschieden und in mein einsames Forsthaus gezogen. Ich bin ein Einsiedler geworden und lebe wie Vater Lorenzo, Kräuter pflückend, den Hirschen ihre Salzsteine legend und dem Schlage der Amsel lauschend. Der Harzduft der Fichten, die über mein Dach emporragen, entschädigt mich für die Patschouligerüche und den Ambra der Gesellschaftssäle. Und wenn ich gewußt hätte, zu welchen Begegnungen mein neuer Beruf mich führen würde, dann hätte ich ihn von Anfang an gesegnet!«

Der junge Mann sprach diese Worte mit einen Ausdruck, der eine gewisse Innigkeit des Gefühls verrieth, und den Schluß seiner Worte nicht bloß mit oberflächlicher Galanterie, sondern mit einer Wärme, daß seine Begleiterin nichts zu erwiedern wußte.

Nach einer Weile war das Ende des Waldes erreicht. Das Moselthal lag vor den Augen der Wandernden. Es war ein wunderbar schöner Anblick. An den prächtigen, dicht bewaldeten Bergwänden her schlängelte sich der dunkelblaue Fluß, die Abendröthe tauchte die Landschaft in ihre weichen und zarten Farbentöne. Der glühende Abendhimmel stand darüber, als ob seine lichten und kühn übereinander geworfenen Farbenströme den ernsteren und dunkleren Erdfleck da unten mit seinem Geschick, jetzt den Schatten der Nacht verfallen zu sein, versöhnen wollten. Links in der Tiefe auf einem bis an den Fluß niedersteigenden Wiesengrunde erhob ein kleines Schloß Thürmchen und Giebel aus Gebüsch und Obstbaumkronen; ein Haufen unansehnlicher Hütten lag einen Büchsenschuß weit davon entfernt, dicht am Flusse.

»Jetzt sollen Sie keinenfalls weiter gehen,« sagte die Dame, »wir sind im Angesichte meiner Wohnung – Dort ist sie!«

Sie deutete auf das Schloß.

»Dort? Sie sind das Fräulein von Windschrot?«

Die Dame machte eine leichte Verbeugung.

»Verzeihen Sie mir –« stammelte der Forstmann verlegen.

»Darf ich um den Namen meines Beschützers bitten?

»Ich heiße Philibert Wolfskron, mein gnädiges Fräulein – hier, nehmen Sie,« fügte er hinzu, den Korb seiner ersten Trägerin zurückgebend, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte und augenscheinlich die Zofe war – »sollte sich einmal in Ihrer Gegenwart eine Meinungsverschiedenheit darüber erheben, in welcher Zeit Rebhühner geschossen werden müssen, so behaupten Sie nur auf meine Autorität hin, in dem Monate, in welchem wir jetzt stehen, sei es in bedenklicher Weise zu früh!«

Der Forstmann machte Fräulein von Windschrot eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung und war nach wenig Augenblicken im Dunkel seiner Wälder verschwunden.


II.

Als der Jäger sie verlassen hatte, eilten die beiden Mädchen doppelt hastigen Schrittes dem kleinen Schlosse zu, das sich, je näher man kam, desto mehr als ein sehr verfallener Edelhof von altfränkischer Bauart zeigte.

»Das Herz hat mir stillgestanden, als er mir den Korb aus der Hand nahm,« sagte die Zofe, tief Athem schöpfend.

»Das Wild ist theuer erkauft – in meinem Leben wag' ich's nicht wieder!« flüsterte das Fräulein, sich nach dem Forstmanne umschauend.

Als Fräulein von Windschrot an der Schwelle ihres Hauses stand, zog sie einen Schlüssel hervor und öffnete die verschlossene Eingangsthüre. Keine Seele, nicht einmal der Gruß eines Dienstboten empfing sie. Die Räume waren verlassen, dunkel, nackt, einige mit altmodischen Meubeln höchst nothdürftig besetzt und dadurch sahen sie doppelt so groß und so öde aus. Andere waren vollständig ausgeleert. Es war unheimlich in den Stuben und Gängen, unheimlich wie in einem Hause, das seit Jahren zu vermiethen steht, und das keinen Einwohner findet, weil Niemand Lust hat, in den weiten, kalten, spukhaften Gelassen zu wohnen.

Die beiden Bewohnerinnen, die Herrin wie die Zofe, hatten seit mehreren Tagen einen hartnäckigen Krieg mit Staub und Spinnengeweben geführt, der aufgewaschene Boden war in vielen Zimmern noch feucht, aber das alte Haus hatte sich sein historisches Recht, an vergangene Herrlichkeit zu mahnen, nicht nehmen lassen. Da die Fensterläden geschlossen waren, und die Dämmerung also nur ein unendlich dürftiges Theilchen Licht in die alten Gelasse kommen ließ, so hatte Alles einen desto schauerlicheren, gespenstischeren Character.

Leonore von Windschrot suchte ein Eckzimmer im ersten Stock auf. Wie auf der Flucht vor einem Feinde, der alle übrigen Theile der Festung bereits eingenommen hat, schien sich Alles, was von Wohnlichkeit und Eleganz in diesem »Schlosse« noch zu finden, hier wie in seinen letzten Versteck zurückgezogen zu haben. Ein großes Himmelbett mit grünen Sergevorhängen, ein Marmortisch mit geschnitzten und vergoldeten Füßen, darüber ein Spiegel, nach alter Mode von einer, aus einzelnen kleinen Spiegelgläsern zusammengesetzten Cartouche umrahmt – dann ein Sopha mit krummen Dachsbeinen und verschossenem Calicotüberzuge – Fenstervorhänge von demselben Zeuge, nur um einige Grade im Wettkampf, wer zuerst zu vollständigem Grau verblichen, dem trägen Lotterbett voraus – das waren die Hauptbestandtheile dieser Einrichtung.

Leonore warf sich ermüdet nieder und nachdem sie das Mädchen mit einigen Aufträgen fortgesandt, legte sie den Kopf auf die Sophalehne, um träumerisch in die grünen Laubwolken vor den Fenstern zu blicken, welche im Abendwinde hin- und herschwammen.

Das Herz war ihr unendlich schwer. Leonore stand vor einer furchtbaren Aufgabe, welche sie sich zu lösen vorgenommen und an der ihre Kräfte zu erlahmen drohten. Und doch – sie durften – sie sollten nicht erlahmen, diese Kräfte – das Opfer, welches sie bringen sollten, galt ja dem einzigen Wesen auf Erden, an welchem Leonorens Herz hing – dem langentbehrten, einzigen, mit einer ungestümen Leidenschaft geliebten Bruder.

Um Leonorens Lage zu erklären, müssen wir den Leser einen Blick in die letzten Blätter der Familienchronik des Hauses Windschrot thun lassen. Was auf den früheren Blättern steht, ist ohne Interesse für ihn; es ist darin von nichts anderm die Rede, als von sehr tapferen Rittern und gestrengen Gutsherren, von züchtigen Frauen und in's Kloster gegangenen Tanten, von erlegten Hirschen mit höchst seltsamen Geweihen, von Geburten und Hochzeiten und vielen andern der Familie zu Ruhm und Ehren ausgeschlagenen Ereignissen dieser Art. Erst mit dem Vater Leonorens erhebt sich aus der reichen Nomenclatur heimgegangener Barone von Windschrot eine originelle und ganz aus der Art schlagende Physiognomie.

Stephan Heribert von Windschrot war nämlich schon als Knabe ein schwer zu lenkender Querkopf. Es war nicht möglich gewesen, von den ehrwürdigen und weisen Grundsätzen, welche bisher die unabänderliche Richtschnur aller Windschrote gebildet und die Ehre des Hauses in allen schwierigen Lagen und kritischen Augenblicken oben erhalten hatten, etwas seinem durchaus räthselhaften Charakter einzuprägen. Der würdige Stolz seiner Ahnen fehlte ihm vor allen Dingen ganz und gar. Er kannte kein größeres Vergnügen, als sich mit den Bauernbuben im Dorfe umherzutummeln und gleich ihnen mit bloßen Füßen umherzulaufen.

Als er größer wurde, verstärkten sich diese gemeinen Neigungen nur immer mehr; sie erstreckten sich bald nicht allein über die Buben, sondern auch über ihre Schwestern; und weit entfernt, durch diese Erweiterung an Innigkeit abzunehmen, wurden sie nur immer scandalöser. Kurz, dem Hause Windschrot war in seinem jüngsten Sprossen ein wahrer Taugenichts erblüht, welcher aller pädagogischen Weisheit, die sich an ihm erproben wollte, eine glänzende Niederlage beibrachte.

Stephan wurde endlich nach Mainz gesandt, um bei den Pagen des kurfürstlichen Hofes unter strenger Zucht Sitte und cavaliermäßiges Benehmen zu lernen. Der Pagenhofmeister erklärte nach einem halben Jahre, daß er des Ausbundes nicht mehr Meister werden könne. Man übergab ihn nun einem Jesuitencollegium zur Erziehung; nach einem Jahre entließen ihn die frommen Väter, weil sie vollständig daran verzweifelten, den Wildfang in die Fußstapfen des heiligen Aloysius, dieses ihres Spiegels seraphischer Lebensheiligkeit, treten zu sehen!

So kehrte Stephan Heribert in das Schloß seiner Väter zurück – aber freilich nicht ganz derselbe Mensch mehr, als welcher er ausgezogen war. Der wilde Tollkopf war er noch immer, aber die Neigung zu offener Empörung hatte sich mit einem Hange zu stiller Tücke einträchtlich zusammengefunden: er war neben seinen früheren überaus glänzenden Eigenschaften auch noch verstockt, rachsüchtig und schadenfroh geworden und die seraphische Erziehungsmethode hatte – das war unverkennbar – immerhin einige bleibende Spuren zurückgelassen.

Als unsere edle Pflanze zur Freude Gottes und der Menschen bis zu einem Alter von zweiundzwanzig Jahren emporgeblüht war, suchten ihm seine Aeltern eine Frau aus. Da sie hübsch war und einiges Vermögen besaß, zeigte er bei dieser Gelegenheit nichts von seinem sonstigen Widerspruchsgeiste, sondern ließ sich die sämmtlichen, bei einer solchen Veranlassung üblichen Verhandlungen und Ceremonien auf's Geduldigste gefallen. Auch beschenkte er seine Gattin in höchst anständiger Weise mit zwei Kindern, einem Sohne und einer Tochter; dann aber kümmerte er sich nicht weiter um sie und ließ sie still und langsam in Langerweile und Gram sich verzehren, bis sie nach einer Reihe von Jahren wie ein zu Ende gekommenes Licht lautlos und ohne Klage erlosch.

Es war eine Wohlthat des Himmels, daß er sie zu sich nahm. Denn da schon vorher ihre beiden Schwiegerältern zu Grabe gegangen und Stephan Heribert somit Baron von Windschrot und unumschränkter Herr seines Alodialguts geworden, so hatte ein Leben auf dem einsamen Schlosse begonnen, in welches eine stille, streng erzogene Frau nicht paßte. Baron Windschrot beschloß nämlich, sobald er unabhängig geworden, sich das Landleben durch die Freuden der Geselligkeit zu versüßen und in seinem Hause den Grundsatz unbedingter Gastlichkeit einzuführen.

Aber, weiß der Himmel wie es kam, die nächsten Gutsnachbarn, solide Leute von Ehre und Reputation, zeigten sich alle insgesammt als höchst sauertöpfische Gesellen, und von der Gastlichkeit des Hauses Windschrot machte nur eine Horde kurioser Bursche, die sich weither zusammenfanden, Gebrauch: alte Fuchsjäger, die all' ihr Pulver verschossen hatten und unverschämt lügen konnten; außer Dienst gekommene Hofcavaliere, welche den alten Spruch: ora et labora, mit »spiele und fluche« übersetzten – ein cassirter Husarenrittmeister, der beachtenswerthe Kenntniß in der natürlichen Magie besaß, und ein alter ruinirter Krautjunker, der sich seinen Lebensabend durch außerordentliche Thätigkeit im Ausstopfen aller möglichen Arten von Eulen und Habichten versüßte – das waren die Stammgäste des Barons, der einen theuern Eidschwur darauf ablegte, daß es unmöglich sei, eine Tafelrunde von ergötzlicheren alten Narren zusammen zu bringen.

Herr von Windschrot lebte mehrere Jahre lang mit seinen heitern Freunden in Fülle und Freudigkeit, bis er zu seinem Entsetzen inne wurde, daß die Hofcavaliere ihm seine sämmtlichen Renten aus den Händen gespielt, der Rittmeister durch seine natürliche Magie Aecker und Wiesen in Rauch aufgehen lassen und der Krautjunker an die Stelle von Habe und Gut ihm eine höchst übelriechende Sammlung von nichtsnutzigen Sperbern und Käuzen hinterlassen hatte.

In dieser Lage begann er nachzudenken und seinen Geist auf die Betrachtung seiner häuslichen nicht nur, sondern auch der allgemeinen Weltzustände zu richten, die er plötzlich höchst unnatürlich und widersinnig fand. Es gibt Lagen im Leben, in welchen man sich im Stande fühlt, mit großem Vergnügen und unbedingter Heiterkeit dem ganzen Aufbau der menschlichen Gesellschaft mit einem Fußtritt den Garaus zu machen, wenn dies denkbarerweise irgend möglich wäre. Aber Herr von Windschrot mußte mehr thun, als sich solchen angenehmen, seiner Stimmung zusagenden Phantasien hingeben: er mußte handeln.

Um eine Anleihe zu bewerkstelligen, begab er sich in die Heimath seiner schönsten Jugenderinnerungen, seiner Pagenstreiche nämlich, nach Mainz. Aus der Anleihe wurde hier nun freilich nichts, da weder Christ noch Jude sich geneigt finden ließ, auf die zu Grunde gewirthschaftete Windschrot'sche Baronie sein gutes Geld herzugeben. Aber der plötzlich in so hohem Grade erweiterten socialen und politischen Intelligenz unseres Mannes kam hier ein Kreis von Leuten entgegen, welche für den Baron von Windschrot gerade, wie ausgesucht, die rechten Leute waren.

Nicht daß sie so amusante Gesellen und unüberwindliche Zechbrüder gewesen wären, wie seine jetzt in alle vier Winde zerstreuten Freunde, die ihn zu Grunde gerichtet hatten, waren – wenn auch nicht zu leugnen stand, daß der kleine Dorsch, ihr hochgebietender Präsident, es an Wunderlichkeit mit jedem Kauz in der Welt aufnehmen konnte: aber dafür wußten sie die rechten Worte und Gedanken auszusprechen, welche Windschrot's innerstes Herz bewegten, und verstanden es, Pläne und Anschläge zu machen, die seine tiefsten Seelenwünsche befriedigten.

Bald war er einer der eifrigsten und verwegensten unter ihnen; keiner machte höhere und ausdrucksvollere Sätze – Sprünge, in welchen die ganze Metaphysik der »Freiheit und Gleichheit« lag – wenn die Carmagnole um den Freiheitsbaum getanzt wurde, und keiner entwickelte donnerndere Lungen- und Zungenkraft, wenn der fabelhafte »rheinisch-deutsche Nationalconvent« seine Sitzungen hielt.

Aber ach, dem deutschen Nationalconvent war eine kurze Lebensdauer beschieden! Die Preußen rückten vor Mainz und machten ihm ein Ende. Glücklicher als viele andere seiner Schicksalsgenossen, welche dem General Kalkreuth in die Hände fielen, wußte Windschrot in der Montour eines französischen Soldaten mit den abziehenden Franzosen aus Mainz zu entkommen. Er begab sich mit ein Paar andern Flüchtigen nach Paris und verließ es nach drei Tagen wieder, von Angst und Schrecken ergriffen, da er mitten in die Greuel des Terrorismus hineingerathen war und nachdem er das blutige Haupt seines Freundes Adam Lux gesehen. Er suchte seine Heimat wieder zu erreichen. Nach einer gefahrvollen Wanderung endlich in Trier angekommen, wurde er erkannt und sofort verhaftet. Jetzt saß er in Trier im Gefängnisse.

Baron Windschrot hatte zwei Kinder, Joseph und Leonore. Beide waren von einer unverheiratheten Tante erzogen, welche nach dem Tode ihrer Mutter dem Haushalt des Barons vorstand. Diese Tante war eine strenge, adelstolze, gottesfürchtige Dame, die es sich zur Aufgabe setzte, das junge Blut vor dem Verderben zu bewahren, womit das Beispiel des Hausherrn es bedrohte. Gottlob, diese Aufgabe zeigte sich nicht schwer. Die beiden Kinder waren zwar nicht übermäßig lenksam und geduldig, sondern bewiesen beide, daß sie in hohem Maße das besaßen, was man bei Kindern Eigensinn und bei Erwachsenen Character nennt. Aber da nichts leichter in Kindern zu erwecken ist, als gerade Geburtsstolz und Hochmuth, so sah die gestrenge Stiftsdame ihre Bemühungen, in den kleinen Windschrot's das Bewußtsein ihrer Würde und ihres Standes wachzurufen, das sie vor den gemeinen Neigungen des lustigen Papa's schützen sollte, mit dem ausgesprochensten Erfolge gekrönt. Joseph und Leonore trugen in der That ihre kleinen Näschen so hoch, daß es eine wahre Freude anzusehen war; der Bube wurde so vorwitzig, das Mädchen so schnippisch und naseweis, daß es zehn Meilen in der Runde nichts Aehnliches von trutziger Vornehmheit unter Fräulein und Jünkerchen gab.

»Gott schütze sie,« sagte die Tante in stolzer Selbstzufriedenheit mit ihrem Werke; »sie werden den Namen Windschrot schon wieder zu Ehren bringen!«

Joseph war neunzehn Jahre alt, Leonore siebzehn, als die pecuniären Verhältnisse des Barons sich in einer Weise verwirrt zeigten, daß die Tante in ihr Stift zurückzukehren für gut fand und Joseph von der Universität, wo er den Studien oblag, zurückberufen werden mußte, weil der Vater kein Geld für seine Bedürfnisse mehr aufzubringen vermochte. Dies war ein furchtbarer Schlag für den hochmüthigen jungen Mann. Er glaubte sich in den Augen aller seiner Mitstudirenden geschändet, und ohne von Einem derselben Abschied zu nehmen, eilte er in verzweifelter Stimmung heim. Als er zurückgekehrt war, hatte er eine furchtbare Scene mit dem Vater. In der Leidenschaft seines gekränkten Stolzes, die furchtbar auflohte, als er aus seines Vaters halben Geständnissen die ganze Wahrheit schließen mußte, vergaß er sich bis zu Schmähungen und Ausbrüchen, welche der alte Verschwender mit Schlägen seiner Reitpeitsche strafen wollte. Joseph zog, seiner nicht mehr mächtig, zur Abwehr den Degen wider seinen Vater und dann verließ er mit stolzen Schritten das Zimmer, verfolgt von den Flüchen und donnernden Verboten der Alten, je wieder in seinen Gesichtskreis zu kommen.

Der junge Mann flüchtete sich mit der Last seines Herzens und seinem Ingrimm zu seiner Schwester. Leonore suchte ihn zu beruhigen, aber sie gewahrte bald, daß ihre sanften Worte seine Macht hatten über den Sturm, der in ihm tobte. Sie empfand dies tief. Ihr Vater hatte sich nie um sie und die Gefühle ihres Herzens gekümmert; sein Anblick schüchterte sie ein; er war ihr fremd, als ob eine Welt zwischen ihr und ihm liege; so hatte sie alle Empfindungen ihrer jungen Seele dem Bruder zugewendet. Sie liebte nur ihn, sie kannte nur ihn, – er war ihr Stolz, ihre Zuversicht, die Hoffnung ihrer Zukunft, der Mittelpunkt ihrer Träumereien. Desto tiefer schmerzte es sie, daß sie jetzt so ganz ohne Einfluß auf ihn sei, daß ihre schmeichelnden, flehenden, beschwörenden Worte nicht vermochten, seine Gedanken von einem düstern und verzweifelten Plane abzulenken, den er in sich herumwälzte.

»Schweig, Leonore, ich bitte Dich,« sagte er barsch und heftig im Zimmer auf- und abstürmend, während Leonore sich blaß und verweint in eine Fensterecke drückte: »ich bitte Dich, schweig und mache mich nicht noch toller. Das ich etwas thun muß, siehst Du ja – und was sollte ich Besseres, Entscheidenderes thun? Ich will ein großes, ein unerhörtes Opfer bringen, ein Opfer, das den Zorn des Schicksals, welches uns verfolgt, versöhnen muß; ich will mich tief erniedrigen, ich will zum Ellenritter werden! aber fern, fern von hier, wo Niemand meinen Namen kennt; ich will wie ein schmutziger Wucherer, wie ein Jude auf Gewinn ausgehen; ich will meine Seele verkaufen, wenn mir Einer Geld dafür gibt, Geld, Geld, viel Geld! Glaubst Du nicht, daß es mir gelinge? O, es steckt ein geheimer magnetischer Zug im Gelde, der es dahin führt, wo man es liebt! Ich will nach Batavia gehen. Dort sterbe ich und daran liegt mir nichts – oder ich bin reich nach fünf Jahren und dann kehre ich heim und bezahle die Schulden meines Vaters, die uns hier mitten im Besitze einer solchen Baronie zu verachteten Bettlern machen. Ja, bei Gott – ich will sehen, ob ich den Namen und die Ehre meines Hauses wieder zu dem stolzen Glanze bringen kann, den sie so viele Generationen hindurch gehabt haben und der in diesem schmachvollen Jahrhundert sich verdunkelt, sobald der Glanz des Geldes sich nicht mehr damit paart!

Von diesem abenteuerlichen Plan vermochte Leonore ihren Bruder nicht mehr abzubringen. Die Tante Stiftsdame mußte eine Summe Geldes dazu herschaffen und brachte außerdem einige Empfehlungsschreiben an holländische Häuser zusammen. Joseph reiste damit wirklich ab. Er ging aus der Heimat fort, ohne von seinen Vater Abschied genommen zu haben. Dieser schlug ihm erleichtert ein Kreuz nach und war froh, den einzigen Menschen in der Welt, unter dessen ernsten, kalten Blicken er sich seit je unbehaglich fühlte, los zu sein.

Joseph war lange, lange fort, ohne daß er eine Zeile herüberschickte, ein Wort von sich hören ließ. Leonore war in tödtlicher Angst um ihn. Und wie sollte sie auch nicht? Ein Kaufmann hatte noch nie in einem Baron von Windschrot gesteckt, und wie sollte der hochfahrende, trotzige Joseph das rechte Holz sein, einen Speculanten daraus zu schnitzen? Und dann dies Batavia mit seinem mörderischen Klima! Und Joseph mit seinem reizbaren händelsüchtigen Naturell! Sie konnte nicht an ihn denken, ohne daß ihre Augen sich mit Thränen füllten. Und wie oft dachte sie an ihn!

Kurz nach Joseph's Abreise war es, daß, wie wir oben berichteten, der Vater sich nach Mainz begeben. Auch von ihm hörte sie kaum etwas, höchstens einen kurzen Gruß, der in seinen Briefen an den Verwalter als Nachschrift eine just übrig gebliebene weiße Stelle des Papiers füllte. Desto mehr hörte sie von seinen Gläubigern, welche endlich gerichtlich einschritten und sein Gut zum Verkaufe ausbieten ließen, während er selbst sich sorglos den Heiterkeiten der Carmagnole und den lustigen Tönen jenes kräftigen » Ca ira« hingab, das seine verdammten Philister von Standesgenossen, die ihn zu meiden und zu verachten gewagt hatten, mit so vielem Nachdruck an die Laterne verwünschte.

Das Gut Windschrot wurde für eine sehr geringe Summe vom Kurfürsten von Trier angekauft, der daraus mit andern Gütern ein Familienfideicommiß für einen Neffen zu stiften vorhatte; der bisherige Verwalter des Barons wurde in kurfürstlichen Dienst genommen und die Besitzung der Oberaufsicht des nächsten kurtrier'schen Stiftstellnereivorstandes und Landrentmeisters übergeben.

Und Leonore? Was sollte nun aus Leonore werden? Die alte Tante war zu hohen Jahren gekommen und hatte keinen Platz für sie in ihrem Stifte. Wie so viele Menschen hatte sie, gleich einem zunehmenden Baume, mit jedem Jahre einen stärkeren Ring angesetzt – von Egoismus und Kälte. Sie hatte nicht Lust, in einem anmuthigen jungen Wesen einen Spiegel ihrer verschwundenen Glanzzeit sich Tag für Tag gegenüber sitzen zu sehen! – Andere Verwandte, mit denen die Familie in freundlichen Beziehungen gestanden hätte, waren nicht da. Bis ein passendes Unterkommen gefunden, mußte Leonore mithin auf dem Gute bleiben, geschützt von der Großmuth des treuen Verwalters, der ihr vom Landrentmeister die Vergünstigung erwirkte, bis auf weiteres unter dem verlassenen Dache ihrer Ahnen ein kleines Stübchen bewohnen zu dürfen.

In dem gänzlichen Ruin ihrer Familie mußte jetzt für Leonore der einzige Trost liegen, wenn sie an Joseph's Untergang dachte. Der Himmel hat ihm erspart, diese Demüthigung zu erleiden, sagte sie sich; er hat es nicht erleben sollen, seinen Vater in den Reihen rebellischer Thoren und den Herd seiner Vorfahren, die Heimat eines ritterlichen Geschlechts, in fremden Händen zu sehen. Es ist gut, daß sein Auge sich geschlossen, ehe der Schild, auf dem nie ein Flecken gehaftet hat, von seiner stolzen Stelle am Giebel unseres Schlosses niedergeworfen und zertrümmert wurde!

Je ärmer und verlassener Leonore geworden, desto höher war ihr Adelstolz gewachsen – es war ja ihr letztes Besitzthum, das Einzige, was sie aus dem Schiffbruch retten konnte.

In dieser Lage befand sich Leonore, als sie im Laufe einer und derselben Woche drei Nachrichten erhielt, von denen eine immer erschütternder auf sie wirkte, als die andere. Ein Brief der Tante meldete ihr, daß eine reiche, ältliche Dame ohne Kinder sie als Gesellschafterin zu sich nehmen wolle, sobald sie von der Badereise zurückgekommen, welche sie anzutreten beabsichtige. – Es war also vom Schicksale unwiderruflich beschlossen – Leonore sollte das Brod der Dienstbarkeit essen! – Wie viel Andere hätten bei einer solchen Lage in der Nachricht eine Botschaft des Glücks gesehen: Leonoren war es eine demüthigende Hiobspost.

Das Unglück weckt das Selbstbewußtsein, und doch führt es dann immer einen Schlag nach dem andern wider dieses Selbstbewußtsein, als verfolge es in seinem eigenen Kinde eine empörerische Macht, die es nicht dulden wolle und völlig zernichten müsse. Dies ist das Geheimniß jedes Kampfes zwischen dem Individuum und der dämonischen Macht, welche wir Unglück nennen. Das Sprichwort deutet seine Ahnung davon mit den Worten an: »Ein Unglück kommt nie allein.«

Die Praxis des Lebens scheint diese Ahnung in noch stärkerem Maße zu besitzen. Man erbarmt sich nur des Unglücklichen, der in Sack und Asche einhergeht. Wer das Unglück verbirgt und stolzer Stirne, lächelnden Mundes duldet, den meidet man und die Menschen schmähen ihn. Man scheint zu ahnen, daß ihm tiefere Demüthigungen noch bevorstehen, daß er sie selbst auf sich herabbeschwört! Oder zürnen wir ihm, daß er uns einen stillen pharisäischen Triumph, den wir hofften, nicht gönnen will?

Der zweite Schlag, der Leonoren traf, als es ihr kaum gelungen, von dem ersten sich zu erholen und ihr gekränktes Selbstbewußtsein auszuheilen, war in einem Briefe ihres Vaters enthalten. Er schrieb ihr, daß er gefangen, schrieb aus seinem Gefängnisse – der Brief enthielt sonst nicht viel anderes als Schmähungen auf den tyrannischen Fürsten, der ihn gefangen halten lasse und sich seiner Güter bemächtigt habe – Baron Windschrot, schien es, war überzeugt, er sei das unglückliche Opfer eines teuflischen Complotts, das ihn um seine Habe und seine Freiheit gebracht. Zum Schlusse verlangte er von Leonoren eine Menge Sachen und Gegenstände, von denen sie nicht ein Zehntel ihm zu verschaffen im Stande war.

Die dritte vollständig überwältigende Nachricht, welche das arme Mädchen erhielt, kam in einem Briefe an, der das Postzeichen Amsterdam trug. Es war die Hand ihres Bruders, die diesen Brief geschrieben hatte. Alles Blut strömte zu ihrem Herzen zurück, als er ihr übergeben wurde. Sie wollte einen Freudenschrei ausstoßen – der Athem fehlte ihr. Ihre Knie zitterten, sie mußte den Brief eine Viertelstunde lang in den Händen halten, an die Brust drücken, mit ihm im Zimmer auf- und ablaufen – endlich wurde es klar vor ihren Augen; – sie las – sie las Freude, Jubel und – Schrecken aus dem Briefe! Und doch war sein Inhalt von Anfang bis zu Ende nur eine Freuden-Botschaft.

Joseph war glücklich nach Batavia gekommen. In dieser Hauptstadt hatten sich freilich bald seine Hoffnungen auf indische Reichthümer bedeutend herabgestimmt, noch einigen Monaten waren sie sogar vollständig zu Wasser geworden. Im Begriff, sich um die Stelle eines Correspondenten in einem Handlungshause zu bewerben, hatten ihn seine Empfehlungsbriefe in das Haus eines Handelsherrn geführt, der damit beschäftigt war, seine Reichthümer aus den Unternehmungen, die sie ihm erworben, zurückzuziehen, um nach Europa heimzukehren und in Amsterdam das Leben eines Nabobs zu führen.

Mynher und Myjouffrow hatten eine Tochter, ein schönes, gutes, natürlich sehr verwöhntes Mädchen; Joseph hatte ihr den Hof gemacht, er hatte um sie geworben und in der That ihre Hand erhalten – er, der arme Glücksjäger! Hatte die Leidenschaft die unermeßliche Kluft zwischen ihm und dem Manne von so und so viel Tonnen Goldes ausgefüllt? Bewahre – wie hätten die milden, anständigen Regungen in der Brust der jungen Holländerin einen so fürchterlichen Namen verdient! Es war etwas anderes, das für Joseph sprach – es war ein tönendes Wort, das allen Goldklang der Welt aufwog – und man kann dreist annehmen, daß Joseph keine Gelegenheit verabsäumt hatte, dieses Wort voll und kräftig tönen zu lassen!

Es hieß Baron!

In Batavia war der alte Holländer mit seinen Plantagen, seinen Schiffen, seinen Hunderten von Sclaven, über deren Tod und Leben er Gewalt hatte, ein Fürst. Für Europa gab er seine Tochter hin um den Namen: »Gnädige Frau.«

Joseph hatte sich in Batavia möglichst schnell trauen lassen, die Familie hatte jetzt glücklich Amsterdam erreicht, und während die Schwiegereltern mit der Einrichtung eines eben erstandenen großen Hauses beschäftigt waren, sollte Joseph mit seiner jungen Frau sein Stammgut besuchen. Dann nach kurzem Aufenthalt sollten sie zurückkehren und bis zum Tode der Schwiegereltern bei ihnen in Amsterdam wohnen, da diese es zur Bedingung im Ehecontracte gemacht, daß die einzige Tochter sich nicht von ihnen trenne.

»Ich sehne mich danach,« schrieb Joseph, »aus der Atmosphäre dieser Geldmenschen fortzukommen und auf meinem Stammschloß die reine Luft zu athmen, welche meinem durch diese Verbindung gedemüthigten Herzen wohl thun wird. Inmitten meiner einstigen Gutsunterthanen will ich fühlen, daß ich trotz der Frau an meiner Seite, mit ihrem lächerlichen Butterquirl im Signet, der Sohn und Erbe meiner Väter bin. Meine gute Frau ist gespannt auf meine Heimat. Sich als Frau von Windschrot auf ihren Gütern zu sehen, macht seit Monaten das Ziel ihrer liebsten Träumereien aus. Du kannst Dir denken, liebe Leonore, daß ich in meinen Schilderungen meinem Herkommen und meinem Vaterhause kein Unrecht gethan habe.

Darum bitte ich, meine theure Schwester, biete Alles auf, was in Deiner Macht steht, um meine Schilderungen nicht lügen strafen zu lassen. Meine Frau ist verwöhnt. Darum sieh zunächst vor allen Dingen nach der Einrichtung der Zimmer, welche Du uns anweisest. Ich denke, die Reihe Gemächer nach dem Baumgarten hinaus, welche der Rittmeister bewohnte, ist am passendsten. Oder haben seine Essenzen und Kochereien die blaue Tapete des Vorsaals zu sehr ruinirt? Laß die Bauern aufbieten, sie mögen immerhin einige Frohntage auf das folgende Dienstjahr voraus leisten. Es ist durchaus nöthig, daß der Garten in vollständige Ordnung gebracht werde, daß man den Weg in der großen Allee fahrbar mache, und vor allen Dingen, daß der Schloßgraben ausgeschlammt und das Schilf, welches schon während meiner Anwesenheit ihn ganz ausfüllte, daraus entfernt werde.

An den Vater schreibe ich nicht. Bereite ihn auf meine Ankunft vor. Ich überlasse es ihm selbst, ob er dem Sohne, der einst mit seinen Tonnen Goldes wird intercediren müssen, um die Löcher zu stopfen, die sein unbegreiflicher Leichtsinn aufgerissen, ein freundliches Gesicht machen will! Adieu, Theuere, auf Wiedersehn! Allen Berechnungen nach werden wir am 14. Abends bei Euch eintreffen.

Dein treuer Bruder Joseph.«

Leonoren fiel das Blatt aus den Händen, als sie es mit Mühe bis zu Ende gelesen. Sie war in einen wahren Sturm von Aufregung versetzt. Die Freude über sein Leben, sein Glück; der Kummer, daß nicht ein Wort der Liebe für sie im ganzen Briefe stand; die Eifersucht auf eine junge, schöne Frau, die keine Stelle in seinem Herzen ihr übrig gelassen zu haben schien: endlich, alles Andere niederdrückend, die Angst, die unsägliche Angst vor dem Wiederseh'n und der Enttäuschung, die es für den nichts ahnenden Bruder haben mußte – das Alles wirbelte in ihrem armen Kopfe durcheinander.

Je mehr aber Leonore sich zu klarer Besinnung und unbefangenem Ueberblick ihrer Lage aus dem Sturm und Drang ihrer ersten Empfindungen emporarbeitete, desto fester bildete sich ein Entschluß in ihr aus, desto feierlicher gelobte sie sich, Alles aufzubieten, um diesen Entschluß durchzuführen.

Joseph und seine junge Frau sollten nichts erfahren von der wahren Lage, worin ihr Vater, ihr Erbgut, worin Leonore selbst sich befand. Der Holländerin sollten diese Verhältnisse auf ewig, dem Bruder so lange es irgend möglich, verborgen bleiben.

Der arme Bruder! Zur Rettung seines Stammguts, zur Bewahrung des ehrenvollen Ranges, den ihm dies Besitzthum unter der Ritterschaft des Landes gab, zur Erhaltung der Ehre seines Namens hatte er so viel geopfert: er hatte Gefahren und Tod getrotzt, war über's weite Meer deshalb gezogen, er hatte seinen Adel verleugnet und Knechtesdienste im Hause eines grausamen Herrn, des Mammon, gesucht; er hatte sich erniedrigt so tief, daß er den Bund mit der Tochter eines Kaufmanns als ein Glück betrachten mußte.

Und jetzt, wo er heimkehrte, um an dem Herde seiner Ahnen, unter den Erinnerungen und Traditionen hoher Stammesehre seinen gerechten Stolz von so viel Wunden heilen zu lassen, sollte Leonore ihm das Thor dieser Heimat mit einer Hiobspost schließen? Er sollte nach solchen Opfern den Vater im Gefängnisse, seinen Namen durch eine Schmach gebrandmarkt finden?

Und dann die junge Frau! und ihre Eltern! Joseph war in ihren Augen verloren, wenn sie die Wahrheit erführen. Die Tochter des Kaufmanns, diese geldstolzen Holländer plebejen Herkommens – Herr im Himmel, was würden sie sagen! Es handelte sich darum, ob Joseph in ihren Augen der Baron Windschrot mit aller der vornehmen Herrlichkeit, die er gewiß beredten Mundes zu schildern gewußt hatte, oder ob er ein Schwindler und Betrüger sein sollte. Da war kein Mittelding denkbar – in den Augen solcher Menschen wenigstens.

Leonore ging lange mit sich zu Rathe. Dann rief sie ihre treue Gertrude herbei. Gertrude war die Tochter der Kammerfrau ihrer Mutter; sie war Leonoren ergeben mit Leib und Seele; ihr konnte die Hälfte der Aufgabe anvertraut werden. Als ihr Leonore den Plan mitgetheilt hatte, schüttelte sie anfangs muthlos den Kopf. Als aber das Fräulein ihren festen Willen ausdrückte, der keinen Widerspruch duldete, schien sie nach und nach Zuversicht und Lust zu bekommen. Sie entwickelte endlich noch obendrein eine gewisse zofenhafte Erfindungsgabe, die sich höchst nützlich bewies, und hatte Einfälle, welche ihrer Herrin zu wahrem Troste gereichten.

»Das Haus sieht fürchterlich aus, das ist wahr,« sagte sie – »aber wer weiß, ob die junge Frau nicht äußerst kurzsichtig ist!«

»Wenn das wäre« – versetzte Leonore ungläubig.

»Und wenn Sie fürchten, daß irgend Jemand den Verräther spiele – so denken Sie nicht, daß sie eine Holländerin ist, mit der Niemand hier sich unterhalten kann. Vielleicht spricht sie gar nur batavianisch, und obwohl ich nie von der Sprache habe reden hören, so will ich darauf wetten, daß keine Christenseele daraus klug wird!«

Leonore mußte lächeln trotz ihrer Sorge.

»Es wird gehen, es wird ganz vortrefflich gehen,« fuhr Gertrude fort, die immer mehr Vergnügen an der Sache fand; – wann hätte auch eine Zofe nicht Vergnügen an einer unschuldigen Verstellung, an einer kleinen unschädlichen Betrügerei, an einer solchen Komödie, wie Gertrude es nannte, gefunden? Es lag sogar für Leonoren etwas von einem geheimen Reize in der Sache!

»Ueberlegen wir – entwerfen wir zuerst einen Plan,« sagte Leonore. »Mein Zimmer muß ihnen als Schlafgemach eingeräumt werden. Der blaue Salon ist zum Wohnzimmer am tauglichsten. Zuerst sind der Pfarrer und der Verwalter zu bewegen, daß sie die nöthigen Meubel, Leinen und das Porcellanservice herleihen, welche sie bei der Versteigerung erstanden haben; der Pfarrer macht mir keine Sorge, er ist mein väterlicher Freund – aber der Verwalter –«

»Der macht nun gerade mir keine Sorge,« fiel Gertrud mit verschmitztem Lächeln ein.

»Auf ihn wird ein großer, großer Theil der Arbeit fallen. Er wird den Garten ordnen lassen müssen: er wird uns Küche und Keller und Milchkammer zur Verfügung stellen müssen; und was das Schlimmste, er wird uns zu Liebe lügen und sich als Diener meines Bruders in dessen Befehle fügen müssen – wenn auch nur scheinbar –«

»Ich stehe für ihn,« sagte Gertrude zuversichtlich.

»Ich möchte wissen, welchen Zauberspruch Du für ihn hast. Er liebte meinen Bruder nicht.«

»Freilich – wenn man den gnädigen Junker früher mehr geliebt hätte, dann –

»Ja, dann!« sagte Leonore seufzend.

»Aber liebt, verehrt man Sie nicht desto mehr, Fräulein? Und da Sie unglücklich sind – und doch bisher zu stolz, irgend Jemanden um eine Hülfe anzugehen – die armen Leute im Dorfe ließen gern ihr Leben für Sie! Glauben Sie mir, Alles wird gut gehen.«

»Der Verwalter wird vielleicht die besten Versprechungen geben: er wird es einen Tag lang aushalten, wieder den Diener machen, nachdem er so lange schon den Herrn hier im Hause gespielt: aber ein unfreundliches Wort meines Bruders – mein Bruder ist so heftig – ein Befehl, den er auf der Stelle ausführen soll und den er doch nicht ausführen darf – und alles ist verloren! Und Du, Gertrude – glaubst Du, ich wüßte nicht, daß der Verwalter Dir so wenig hold ist, wie irgend ein Mann einem Mädchen, das ihn ausgeschlagen hat?

Gertrude erröthete: »Nun, wenn er nicht anders will, dann – dann heirathe ich ihn trotz seiner fünf gräulichen Buben.«

»Gertrude – das wolltest Du thun?« Leonore ergriff die Hand ihrer Dienerin; dann fuhr sie erleichterten Herzens fort: »Nun, dann frisch an's Werk: mit einer kleinen Summe Geld hat mich neulich die Tante versehen; wenn wir über die ersten Tage nur fort sind – dann kann ich mir von meinem Bruder geben lassen. Reich' mir den Hut und mein Tuch. Ich will zum Pfarrer gehen.«

»Und ich,« sagte Gertrude, indem sie die schönen Schultern ihrer Herrin mit einem dunkeln Shawl umhüllte – »ich sehe dort im Hofe das kleine Scheusal von Verwalterssöhnchen eine Katze mit Steinwürfen verfolgen. Ich will es auf den Arm nehmen, und so, glauben Sie mir, Fräulein, daß ich beim Papa etwas ausrichte?«

Sie sprang lachend zur Thüre hinaus. Leonore folgte ihr und schlug gedankenvoll den Weg zum Pfarrhause ein, das unten am Ufer des Flusses, mitten unter einem Dutzend ärmlicher Strohhütten lag. –


III.

Der Dreizehnte war da, der Vorabend des Tages, an welchem Joseph kommen sollte.

Das Haus war gescheuert, die alten wettergebrannten Scheiben waren gewaschen, die Thürschlösser abgeseift. – Gertrude schien wie eine wahre kleine Nixe nur noch im Wasser zu leben, und wie eine Nixe hatte sie sich getummelt. Leonore unterdeß hatte geordnet, Vorhänge aufgesteckt, die Rococo-Meubel, welche Pfarrer und Verwalter wieder an ihre alten Plätze gesandt, abgestäubt und gerückt und ausgebessert. Der Jude im Dorfe, der den Schlächter machte, hatte eine Kuh um's Leben gebracht, von deren außerordentlichen Verdiensten er Wunderdinge erzählte – sie mußte mindestens so saftig sein, wie die Götterkuh Wasischta's Vasishtha ist einer der sieben Weisen im Hinduismus. In den klassischen indischen Schriften finden sich von ihm unzählige Geschichten. und alles Ochsenfleisch der Welt schlagen. Der Verwalter hatte Alles – Alles hergegeben, was er besaß – ein wahres Glück, daß seine Frau todt war: der Pfarrer hatte endlich nicht nur, gerührt über Leonorens schwesterliche Liebe, seinen Wein überlassen, sondern auch den Schulmeister über die Verwendung der Dorfjugend zur Herstellung einer Ehrenpforte aus Laubgehängen und Cyanenkränzen instruirt.

Leonore erhob sich am Tage vor der erwarteten Ankunft ihres Bruders mit dem Frühesten. Ihre treue Gertrude war bald neben ihr. Sie durchwandelten zusammen die Zimmer. Sie konnten sich nicht den Eindruck verhehlen, den diese Räume machten; helle und spiegelblanke Reinheit kämpften darin nur stellenweise mit Erfolg gegen die kalte Decke, das Verkommensein, welches so lange darin geherrscht. Die Fremdenzimmer dagegen waren, wenn auch weit von allem Luxus entfernt, doch anständig, ja behaglich und ohne auffallenden Verstoß gegen den guten Geschmack eingerichtet.

»Gott gebe unserer Holländerin ein verliebtes Herz – ich möchte sie so recht bis über die Ohren verliebt wissen,« sagte Gertrude seufzend. »Dann wird sie Alles schön finden im Hause ihres jungen Mannes.«

Sie waren in die Küche gekommen und musterten ihre Vorräthe.

»Welch ein Glück, daß uns der Pfarrer den guten schwarzen Peccothee von seinem Collegen in Trarbach verschaffen konnte.«

»Wenn er nur reicht: die Holländer sollen furchtbar viel Thee trinken!«

»Und Käse essen,« sagte Leonore, plötzlich erschrocken stehen bleibend.

»Das ist fürchterlich – Käse ist nicht da – aber die Magd des Verwalters hat einige Handkäse oben auf der Hürde vor dem Giebelfenster zum Trocknen ausgelegt –«

»Es ist unmöglich, ihn aufzutischen, gesetzt auch, er wäre fertig! Du mußt mit dem Verwalter darüber reden, Gertrude!«

»Und was setzen wir ihnen morgen Abend nach der Ankunft vor? ein Souper ohne Fleisch? Wir können doch nicht gleich mit der famosen Kuh Schmuels des Juden beginnen – ich fürchte, sie wird ohnehin noch oft genug an die Reihe kommen!«

»Du hast Recht, Gertrude: wir müßten Wildpret haben. Du mußt mit dem Verwalter darüber reden.«

Gertrude hatte bis jetzt alle derartigen Anweisungen auf den Verwalter schweigend angenommen; auch hatte dieser es mit seltener Unermüdlichkeit an Rath und That nicht fehlen lassen. Wie weit Gertrude dafür sich mit ihrer frischen, jungen Persönlichkeit verstrickt und vorgewagt hatte, das scheute Leonore sich zu untersuchen. Sie fühlte sich dem Mädchen tief verpflichtet; aber das Opfer, welches diese ihr brachte, nahm sie ohne Bedenken an.

Jetzt aber protestirte Gertrude.

»Wildpret, das ist nicht möglich! Glauben Sie, daß ich nicht schon längst daran gedacht? Aber die Jagd ist dem Verwalter untersagt, und zum Wilddieben, dazu bringe ich ihn nicht! Auch ist ein neuer Förster oben im Jägerhause eingezogen, der furchtbar strenge sein soll – die Waldungen und das Gehege hier sind ihm ausschließlich untergegeben worden, seitdem der Kurfürst das Gut gekauft – nein, Wild bekommen wir nicht!«

»Nicht,« sagte Leonore stolz – »ich soll nicht einen elenden Hasen, oder ein paar Hühner mehr bekommen können, aus dem Revier, in welchem Jahrhunderte lang die Hifthörner der Windschrot getönt haben?«

Gertrude schüttelte den Kopf.

»Ich will doch sehen, wer es mir wehrt, wenn ich sie selber schieße?«

»Es käme auf die Probe an,« lachte Gertrude.

»Und die will ich machen!«

Leonore hatte früher an kleinen Jagdstreifereien ihres Bruders nicht selten Theil genommen. Sie schoß ihre Vogelflinte so sicher und ruhig ab, wie nur je irgend ein resolutes Landfräulein. Weshalb sollte sie, was sie zum Scherz gelernt, nicht einmal im Ernste anwenden? Eine Vogelflinte und ein paar verschossene Jagdcostüme für Frauen befanden sich in einer Bodenkammer. Gertrude mußte sie herunterholen, vom Verwalter Pulver und Schrot schaffen und dann begannen die beiden Mädchen, in halbem Männercostüme, ihren Jagdzug, der zwei blutjungen Repphühnern und einem Hasenjünglinge in der zartesten Blüthe seines Alters das Leben kosten sollte.

Unglücklicherweise war der neue Förster Wilddieben auf der Fährte, und wir sahen, wie nahe die kühne Unternehmung Leonorens an einem höchst unangenehmen Ausgang vorüberstreifte. Hätte nicht der Bauernhof, das Eigenthum eines früheren Gutsunterthanen der Windschrot, auf ihrem Wege gelegen und eine verschwiegene Zuflucht geboten, in der Jagdkleider und Waffe abgeworfen und verborgen werden konnten – wer weiß, ob der junge Forstmann jene ritterliche und rücksichtsvolle Höflichkeit bewiesen, für welche Leonore ihm so viel Dank wußte?

Als sie von der Jagd heimgekehrt, dachte Leonore mit einem seltsamen, nicht leicht zu erklärenden Gefühle an den Förster. Sie war vor ihm geflohen; er hatte ihr kleines Vergehen durchschaut, sie beschämt. Eine solche Verlegenheit giebt einem Manne immer einen gewissen Vortheil über ein weibliches Wesen. Es ist ein Anfang von gegenseitigen Beziehungen da, wie sie vielleicht eine lange Bekanntschaft nicht gegeben hätte. Der Mensch, vor dem man erröthete, ist eine Gestalt, welche in unsern Augen eine unbestrittene Wichtigkeit annimmt. Auf der einen Seite das Bestreben zu beweisen, man wolle aus seiner günstigen Stellung keinen unedlen Vortheil ziehen; auf der andern Seite der dringende Wunsch, darzuthun, man habe eigentlich gar keinen Grund zur Verlegenheit gehabt – das führt zusammen, das bringt eine Intimität hervor, die für das Gemüth oft von den entschiedensten Folgen ist!

Je mehr Leonore über den Forstmann nachdachte, desto vortheilhaftere Züge nahm sein Bild an, desto peinlicher fühlte sie ihre Situation ihm gegenüber. Aber auch ein Aufwallen gekränkten Stolzes kochte in der Seele des Edelfräuleins empor – ungeduldig verwünschte sie, zum ersten Male im Leben, ihre ganze erbarmenswerthe Lage, welche sie so lange mit resignirter Sanftmuth ertragen. Sie hätte vieles darum gegeben, hätte sie eine Schuld an dem Menschen gefunden, vor dem sie sich gedemüthigt fühlte, um auf ihn die Verwünschungen zu häufen, in welchen ihr übervolles gekränktes Herz eine Erleichterung zu finden hoffte. Aber sie vermochte es nicht, und hülflos, niedergeschlagen, tiefbetrübt fand sie endlich keine andere Zuflucht, als bei der ultima ratio der Frauen.

Leonore verbarg das Gesicht in den Kissen ihres Sophas und weinte, bis sie, körperlich und geistig erschöpft, eingeschlummert war.


IV.

Als Gertrude am andern Morgen früh in der Küche beschäftigt war, hörte sie ein leises Klopfen am Fenster. Sie schrak zusammen, denn sie erwartete beim Aufsehen den Kopf des Verwalters zu erblicken, dem sie nun einmal » bonne mine« machen mußte, obwohl ihr das Spiel seiner Züge bei solchen Begrüßungen ein recht » mauvais jeu« schien. Aber es war ein ganz anderes Gesicht, das sich in diesem Augenblicke eine breite und höchst kurzweilig gedrechselte Nase an der Fensterscheibe platt drückte – ein rundes, rothes Menschenantlitz mit Pockennarben und fuchsigem Stoppelbärtlein, und kleinen, kugelrunden, hervortretenden Augen, die aus der Wirrniß dieser verwickelten Züge so klar und hell hervorguckten, wie ein paar Eidechsenäuglein aus einem Büschel Thymian.

Gertrude stieß einen leisen Schrei der Ueberraschung aus. Der Mann nahm sein dreieckiges Hütlein vom grauen Kopfe, an dem ein kurzer Zopf baumelte, und rief durch die Scheiben:

»Oeffne Sie, Jungfer, bitte, öffne Sie einmal.«

Als Gertrude öffnete, bückte er sich, hob eine Last empor und gleich darauf schoß ein todter Rehbock durch das Fenster und fiel schwer auf den Anrichtetisch, der unter demselben stand.

»Was ist das, was soll das?«

»Das ist ein Rehbock,« lächelte der Mann mit einem gutmüthigen Kopfnicken.

»Von wem – wer seid ihr – wie kommt der Bock hierhin?«

»Was fragt Sie – Sie sieht es ja, er läuft Ihr in die Küche!«

»Aber – um Gottes willen –

»Frag' sie doch nicht – so was ist schon mehr geschehen. Den Mönchen von Corvey liefen alle Jahr zu Sanct Veit zwei Hirsche in die Küche. Zu Ihr kommt ein Rehbock. Weshalb nicht – ist Sie nicht eben so viel Ehre werth, wie ein alter Mönch? Sie ist ein nettes, reinliches Mädel. Sie wäre mir lieber, als alle Mönche in der Welt. Adieu, auf Wiederseh'n!«

Der seltsame Mensch nickte wieder mit dem Kopfe, lachte Gertruden ganz ungenirt in's Gesicht und dann schoß er mit possirlichen Sprüngen davon.

»Das muß ein alter Familienkobold sein, der sich in Zeiten der Noth sehen läßt!« sagte Gertrude und dann sprang sie die Treppe hinauf zu ihrer Herrin, um ihr mit freudestrahlendem Gesicht die Vermehrung ihrer Vorräthe zu melden.

Leonore erschrak fast mehr darüber, als sie sich freute. Sie ahnte, woher das Geschenk komme, und es war ihr, als wenn eine Demüthigung darin liege.

Die Stunden des Tages verflossen rasch. Leonore hatte noch so unendlich Vieles zu thun. Sie wußte bald nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Eine wahre Wohlthat war es ihr, in all der Hast und Beängstigung die Theilnahme zu bemerken, welche von allen Seiten strebte, ihre Aufgabe zu erleichtern. Der Pfarrherr hatte ihr aus freiem Antriebe seine Köchin gesendet, um Gertruden beizustehen, die sich schon rathlos abgeängstigt hatte, wie sie dem Reh beikommen sollte. Auch wurde Leonore nach und nach ganz keck. Sie, die zuvor keine Blume abzubrechen gewagt hatte, holte einen ganzen mächtigen Strauß aus dem Garten, das Zimmer der Schwägerin damit zu schmücken; als ob die Vergangenheit nichts denn ein böser Traum, fühlte sie sich wieder die Herrin in ihrem Hause, und mit den Worten: »Es ist gut nun – gefällt es der Holländerin noch nicht, so mag sie heimkehren!« setzte sie sich nieder um sich von Gertruden frisiren und zum Empfang der Gäste kleiden zu lassen.

Es war beinahe Dämmerung geworden, als ein mit drei Postkleppern bespannter Reisewagen sich dem Herrenhause von Windschrot nahte. Der Verwalter und der Pfarrer standen am Thorwege, den die Schuljugend mit einem Ehrenbogen gekrönt hatte, und diese selbe kleine Garde, die sich heute mit Verdienst bedecken zu wollen schien, ordnete sich unter der heftigen Leitung des höchst aufgeregten, ganz aus dem Gleichgewicht gekommenen Schulmeisters zu einem Sängerchor, welcher nun ein frommes Lied zur Verherrlichung dessen, der sie erschaffen, anstimmte – unbekümmert darum, ob die Mitwelt in das unbedingte Lob dieser That einstimmen werde oder nicht. In dem Thurme der Dorfkirche erklangen die Glocken.

Leonore, die eben an den Männern vorübereilen wollte, ihrem Bruder entgegen, drückte dem Pfarrer warm die Hand.

»Was wollen Sie, Fräulein – es ist ja doch der Sohn unserer alten Gutsherrschaft,« sagte der freundliche alte Herr mit Rührung. »Das vergessen wir nicht, Sie sehen es, mag geschehen sein, was da will!«

»Nun kann sie doch zufrieden sein, diese unverschämte kleine Holländerin,« sagte Gertrude, welche einen wahren Widerwillen gegen die erwartete junge Frau gefaßt hatte, der in demselben Maße zunahm, wie die Last der Arbeit, welcher Gertrude sich ihretwegen unterziehen mußte: »die Glocken hat doch sicherlich noch Niemand ihr zu Ehren läuten lassen!«

Der Wagen bog in die Allee ein – er kam rasch näher – Leonore hatte ihn erreicht – ihr Bruder sprang heraus und umarmte sie. Er war so braun und bärtig geworden, daß sie ihn kaum wiedererkannte. Sehr rasch entzog er sich ihrer Umarmung.

»Leonore – meine liebe Schwester, wie geht es Dir?« sagte er: »hier ist meine Frau – meine Schwester Leonore, Frau!«

Man hätte Leonore eine halbe Welt bieten können – sie hätte kein Wort hervorgebracht, so bewegt, so erschüttert, so athemlos war sie. Sie warf sich der Dame, die leicht und anmuthig aus dem Wagen schlüpfte, voll inniger Rührung in die Arme. Diese bot ihr mit graciösem Lächeln die Wange zum Kusse und dann entzog sie sich ihr und nahm den Arm ihres Mannes.

»Wo ist mein Vater, Leonore – er wird uns am Schloßthore erwarten – nicht wahr?«

»Der Vater ist –« Leonore schöpfte tief Athem und hätte ihr flammendes Gesicht noch röther werden können, es wäre es geworden – »der Vater ist nicht da – er ist abwesend – er ist –«

»Abwesend?

»Deine Frau muß verzeihen. Er ist in Trier – es ist ihm unmöglich, hier zu sein!«

»Christine,« wandte sich Joseph rasch zu seiner Frau, »mein Vater läßt sich bei Dir entschuldigen – er ist beim Kurfürsten in Trier – der Kurfürst kann ihn keinen Augenblick entbehren – er ist in dringenden Geschäften dort, Christine.«

»O!« sagte die junge Frau mit einer Verwunderung.

»Es ist sehr unangenehm –« fuhr Joseph fort – »der Vater hat sicherlich die Equipage mit sich genommen!«

Leonore schwieg.

»Christine, mein Vater hat die Equipage und alle Dienerschaft mit sich genommen, Kutscher, Jäger und Lakaien – Du wird also sehr nachsichtig sein müssen.«

»O!« sagte die junge Dame.

Man hatte das Hofthor erreicht. Joseph deutete mit der Hand auf die Gruppe derer, welche sich hier zum Empfang aufgestellt hatten – und zwar mit einer gewissen nachlässigen und unbekümmerten Haltung, als ob sie damit gegen die Annahme protestiren wollten, es sei ihre Pflicht und Schuldigkeit, so dazustehen.

»Beamten meines Vaters, die Schulkinder, die uns empfangen –« sagte Joseph zu seiner Frau.

Ohne sie zu begrüßen, ging er an ihnen vorüber.

Der Pfarrer sah lächelnd den Verwalter an. Dieser flüsterte ihm eine Verwünschung nach.

»Wäre das Fräulein nicht – ich wollte Dich Höflichkeit lehren!« murmelte der Verwalter.

»Du hast den Pfarrer und den Verwalter nicht begrüßt, Joseph, flüsterte Leonore erschrocken.

»Was brauch' ich? – Ich erlaube Dir, sie zu Tisch zu laden!«

Als man das Haus betrat, dessen Flur mit Blumen bestreut war, blickte die junge Frau überrascht die leeren Räume an und dann fragend in das Gesicht ihres Mannes.

Joseph warf Leonoren einen Zornblick zu. Dieser stockte das Herz darunter.

»Lieber Joseph,« sagte sie leise – »zürne mir nicht – Du weißt, es ist so vieles verdorben worden – der Vater war in Verlegenheiten – es waren durchaus keine Meubeln mehr da für diese Zimmer.

Sie verdoppelte ihre Schritte, um die Gäste mit sich fortzuziehen, und eilte die Thüre zu den Gemächern aufzuwerfen, welche zur Aufnahme der Fremden bestimmt waren. Sie athmete erleichtert auf, als sie das junge Paar endlich über die Schwelle des wohnlichen, blumengeschmückten Eckzimmerchens treten sah. Es lachte sie wie ein wahres kleines Eldorado an.

»Hattest Du nicht einmal einen Teppich, Leonore?« fragte Joseph verstimmt.

»Soll ich hier schlafen? Kann der schwere Betthimmel nicht einstürzen? ich fürchte mich so. Es ist auch kein Toilettenspiegel da –« sagte die junge Dame.

Leonore stand auf Kohlen.

»Du mußt Dich für heute Abend begnügen, Christine,« sagte Joseph etwas barsch. »Wir wollen uns morgen einrichten, wie Du es wünschest.«

Die Dame verlangte nach ihrer Kammerfrau, welche, unterstützt von Gertruden, Koffer und Cartons aus dem Wagen herbeizuschleppen begann und dann mit ihrer Gebieterin allein blieb.

Joseph setzte sich zu seiner Schwester in den blauen Salon. Leonore hatte vor diesem ersten Alleinsein mit Joseph eine grenzenlose Angst. Sie mußte eine Flut von Fragen erwarten. Und welche Erklärungen sollte sie geben? Es war ihr seit je unmöglich gewesen, zu lügen. Und nun saß sie mitten in einer großen Lüge fest – ihr Bruder war obendrein so schlau als argwöhnisch.

Doch, es ging weit besser, als sie gehofft hatte. Joseph glaubte zu ahnen, daß sein Vater dem Zusammentreffen mit ihm ausgewichen sei, und deshalb bestand er nicht auf Erklärungen. Es war merkwürdig, wie wenig er überhaupt fragte: er erzählte nur von sich, seinen Erlebnissen, seiner Frau, seinen Schwiegerältern, von ihrem Reichthum, und wenn er dazwischen eine Frage über Leonorens Erlebnisse und Wohlergehen einstreute, so schien er die Antwort kaum anzuhören, die Leonore in ihrer Bescheidenheit dann auch so kurz wie möglich machte, um wieder an den Lippen des theuren Bruders zu hängen.

Er sagte auch kein Wort davon, wie er sich freue, sie wiederzusehen: er hatte kein Wort der Entschuldigung, daß er ihr alle möglichen Anstrengungen zugemuthet, das Haus zum Empfange seiner Frau herzurichten – kein Wort des Dankes für die unsägliche Mühe, welche er ihr gemacht – aber Leonoren fiel ja auch nicht ein, so etwas zu verlangen – nein, sie wußte ihm Dank, daß er die Zeit nicht vergeude und nur immer von sich, nur von sich rede.

Gertrude kam hereingestürzt. Sie hatte sich getummelt, daß ihr die hellen Schweißtropfen auf der Stirne standen. Sie wollte Rath und Hülfe von Leonoren zur Herrichtung der Tafel. Als Leonore mit ihr auf dem Wege zur Küche war, sagte sie:

»Um Gottes Willen, gnädiges Fräulein – an eins haben wir nicht gedacht – eins ist schrecklich, und das ist die Kammerfrau – die Kammerfrau ist fürchterlich! Die Kammerfrau ist ein wahrer Drache. Die flucht und wettert und das alles in dem abscheulichen Batavianisch, das keine Christenseele versteht! Sie will ein Zimmer für sich und nicht bei mir schlafen – sie will ein Bett mit Vorhängen, zu Abend will sie frische Schellfische essen – der Himmel weiß, was sie Alles will – ich möchte darauf wetten, daß in der ganzen Mosel kein Schellfisch ist! Ich will gern auf ein paar Stühlen schlafen, aber –«

»So thu' das, gute Gertrude,« sagte Leonore ruhig, »und was das Andere angeht, so erinnere Dich, daß Du nicht in meinen Diensten bist, um ›Batavianisch‹ zu verstehen!«

»Das ist auch wahr – Sie haben ganz recht – ich will sie schwätzen lassen – sagen Sie, gnädiges Fräulein, ist sie« – Gertrude deutete über die Schulter, »ist sie etwas kurzsichtig?«

»Ach nein – sie scheint leider sehr gute Augen zu haben!«

»Fatal – das ist recht albern von ihr,« sagte Gertrude.

Als man zu Tische ging, erschien die junge Frau von Windschrot in einem kostbaren Kleide von gelbem Seidendamast, der ihre elegante und feine Gestalt mit schweren Falten umrauschte. Sie war ein zartes, vor Luft und Sonne gehütetes Gebilde, das auch unter der glühenden Zone ihres Geburtslandes den milchweißen Teint der holländischen Schönheiten bewahrt hatte. Mitten im verschwenderischsten Luxus erzogen, war sie mehr verwöhnt, als gerade anspruchsvoll, und die Spuren von Dürftigkeit und Leerheit des Hauses, welche ihrem Auge nicht verborgen bleiben konnten, erregten ihr mehr Verwunderung, als große Unbehaglichkeit und ließen sie nur auf einen grenzenlosen Mangel an Bildung und Civilisation und Lebensart bei den guten Deutschen schließen. Sie suchte sich zu beherrschen und befriedigt zu scheinen – schon um ihres Gatten willen, den sie zu verletzen fürchtete. Doch war sie freilich an hundert Dinge so gewöhnt, daß sie eine Existenz ohne dieselben gar nicht begriff, und diese Naivetät mußte Leonore denn oft genug auf die Folter spannen.

Der Verwalter und der Pfarrer waren zur Theilnahme am Souper gebeten. Verletzt durch Joseph's herrisches Benehmen, der in Gegenwart seiner Christine den Seigneur herauskehrte, waren sie schweigsam.

Joseph trug die Kosten der Unterhaltung, wobei es ihm außerordentlich zu Statten kam, daß seine Frau kein Deutsch und die andern Anwesenden kein Holländisch verstanden. Er beutete diesen Umstand mit großem Geschicke aus. Wenn er einige Worte Deutsch von den Anwesenden gehört, wandte er sich zu seiner Frau und theilte ihr auf Holländisch mit, welche Berichte über die außerordentlich glänzenden Verhältnisse, Einkünfte und Vergrößerungen der Baronie Windschrot er soeben von den Beamten empfange: gleich darauf schlüpfte über seine Lippen wieder das theuere heimathliche Deutsch und er entwarf beredte Schilderungen der schwiegerväterlichen Herrlichkeit in Holland und Indien, von denen seine Frau kein Wort verstand.

Diese wandte sich am Schlusse des Soupers mit der Bitte an Leonore, ob sie ihr nicht eine Zimmerreihe nach vorn hinaus einräumen könne, es müsse dort eine weit schönere Aussicht auf den Fluß sich bieten – Leonore erschrak über diese Worte –: »Es ist kein Tisch und kein Stuhl in den Zimmern nach vorn, der Kalk ist von den Wänden gefallen und der Regen tropft durch die Decke,« flüsterte sie ihrem Bruder, der neben ihr saß, in's Ohr.

»Liebe Christine,« sagte Joseph mit großer Gemüthsruhe, »nach vorn hinaus sind die Empfang- und Wohnzimmer des Vaters – sie sind kostbar eingerichtet und der Vater hat seine Sammlungen, sein Münz- und Medaillencabinet darin – deshalb pflegt er sie sehr sorgfältig zu verschließen, wenn er kleine Reisen macht.«

»O!« sagte die junge Frau.

Leonore hob die Tafel auf.

Nachdem man sich gegenseitig tief vor einander verbeugt hatte, sprach Joseph mit großer Würde:

»Du hast sehr vorlieb nehmen müssen, theure Christine; Du hast unter meinem väterlichen Dache nichts von den kostbaren Weinen und üppigen Schüsseln gefunden, an welche Dich der Luxus Deiner Umgebung gewöhnt hat. Aber ich hoffe, daß Du die stille Größe, das Herzerhebende einer solchen adeligen Einfachheit wirst zu würdigen wissen. Du hast gesehen, wie die Barone von Windschrot zu Abend essen und Du kannst Dir sagen: so ist Abend für Abend in diesem Hause servirt worden, seit so viel hundert Jahren; nicht mehr, nicht weniger – mag das Haus voll Gäste sein oder meine Schwester allein speisen – dieselbe Anzahl Schüsseln, dieselbe würdige Einfachheit. Ihr habt bei Euch die Sitte, sobald Gäste da sind, die Tafeln unter den ausgesuchtesten Leckerbissen sich biegen zu lassen, dagegen im Familienkreise frugal zu sein. Das ist nicht vornehm, Christine, nein, in der That nicht. Du siehst, hier ist es anders. Was das Edelfräulein Leonore Windschrot, wenn sie allein speist, anständig findet, das darf sie auch als anständig Grafen und Fürsten bieten.«

Daß Joseph diese Rede in holländischer Sprache hielt, braucht nicht angeführt zu werden.


V.

Leonore war am Abende in später Stunde todtmüde in die Kissen gesunken und eingeschlummert; erst als sie am andern Morgen erwachte, war es ihr möglich, ihre Gedanken zu sammeln und die Ereignisse und Gestalten des vorigen Tages an sich vorüberziehen zu lassen. Ein frohes Erwachen war es nicht. Es lag auf ihrem Geiste ein niederdrückendes Gefühl, ein Gefühl wie bei einer großen Enttäuschung, wie bei dem Ausgehen einer letzten Lebenshoffnung.

Der Gegenstand ihrer theuersten Wünsche war nicht das eigene, sondern das Glück ihres Bruders gewesen. In seiner Frau hatte sie eine warme, liebende Schwester für sich – sie hatte darin einen Lebensengel für ihren Bruder zu finden erwartet. Daß dies kalte, theilnahmlose, geistig unmündige Wesen, welches sie an seiner Seite gefunden, für sie keine Liebe mitgebracht hatte, konnte sie überwinden. Aber mit Schrecken dachte sie an die Zukunft ihres Bruders in dieser Verbindung.

›Er wird sie tyrannisiren,‹ sagte sie sich, ›und sie wird sich tyrannisiren lassen bis zu einem Punkte und Grade, wo eine Katastrophe ausbricht, welche Beider Lebensglück zerstört. Sie passen nicht zusammen. Joseph hätte einen großen, starken Charakter finden müssen, der ihn mit steter Achtung erfüllt und seine Leidenschaften geregelt hätte, oder eine Frau, deren flüssiger Geist und Coquetterie ihn gefesselt!‹

In diese Sorge um den Bruder versunken, verschloß sie ein gewisses Gefühl persönlicher Kränkung und innerer Gereiztheit tief in ihr Herz. Sie hätte sich eine Egoistin gescholten, wenn sie den Klagen ihres Busens, auch bei Joseph so wenig Freude des Wiedersehens, so wenig brüderlicher Wärme gefunden zu haben, in diesem Augenblicke würde Gehör haben schenken können.

Sie mußte sich erheben, sie durfte sich länger nicht der furchtbaren Last und Arbeit des neuen Tages entziehen. Gertrude kam sie anzukleiden und schüttete tausend Befürchtungen, Klagen, Verwünschungen der »batavischen Kammerfrau« in den Busen ihrer Gebieterin aus.

Als Leonore gekleidet war, sah sie ihren Bruder unten auf der Gartentreppe stehen.

»Herr im Himmel!« rief Gertrude aus, »dort drüben den Wiesenpfad entlang geht der Förster. Baron Joseph sieht mit seinem Augenglase nach ihm.«

Leonore wurde bleich vor Schrecken – »Wenn er die kurfürstliche Uniform bemerkt, so ist Alles verloren!« stammelte sie.

»Der schweift nur Ihnen zu lieb um's Haus, Fräulein, das können Sie glauben – gestern um Mittag hab' ich ihn auch gesehen, wie er das Schloß anglotzte –«

»Schweig, Gertrude!«

»Das wird viel helfen – ich wette darauf, daß wir ihn fortan täglich auf Schußweite zu Gesicht bekommen – glauben Sie, ich hätte nicht bemerkt, wie er neulich Abends Ihnen die seltsamsten Augen von der Welt machte?«

Leonore war im nächsten Augenblicke aus dem Zimmer und flog in den Garten hinab, um bei ihrem Bruder irgend etwas zur Erklärung der auffallenden Erscheinung eines fremden Jägers auf dem Grund und Boden der Baronie Windschrot vorzugeben. Sie kann leider zu spät; der heftige junge Mann war längst auf dem Wege zu einer kleinen Anhöhe, die hinten im Garten lag und den Pfad beherrschte, welchen der Förster gegangen kam. Beide Männer standen sich bald gegenüber, nur die Gartenhecke trennte sie.

Der Förster wollte mit einem freundlichen Gruße vorüber gehen. Joseph hielt ihn auf.

»Mein Herr – erlauben Sie mir – wie kommen Sie mit Flinte und Hund in mein Jagdgehege? Ich finde das sehr sonderbar, und bin nicht gewillt …«

In diesem Augenblicke sprang Leonore athemlos den Hügel hinan und stand neben ihrem Bruder.

»Joseph, Joseph – ich bitte Dich –«

Der Jäger hatte sich auf den Lauf seines Gewehrs gestützt und das Lächeln der Ueberlegenheit auf seinem Gesichte brachte den eifernden Baron in immer größeren Zorn. Als er jedoch Leonore erblickte und ihre schreckensblassen Züge sah, zog er tief den Hut, verbeugte sich vor ihr und, die Augen fortwährend auf sie geheftet. sagte er mit dem höflichsten Tone von der Welt:

»Verzeihen Sie, Herr Baron. Ich bin der kurfürstliche Revierförster des Wallscheidter Geheges. Ihr Herr Vater aber hat mich gebeten, während seiner Abwesenheit auch ein wachsames Auge auf seine Forsten zu werfen, um Holz- und Wildfrevel zu verhüten! Wenn Ihnen dies jedoch unangenehm –«

»Ach so – das ändert die Sache – weshalb sagtest Du mir das nicht, Leonore?«

Leonore antwortete nicht. Sie sah mit einem feuchten Blicke voller Dankbarkeit den Förster an.

»Ich bin Ihnen verbunden für die Mühe, der Sie sich unterziehen, Herr Förster,« fuhr Joseph fort. »Es wird mir angenehm sein, wenn Sie mich bald besuchen wollen.«

Der Förster verbeugte sich und ging.

Als Leonore mit ihrem Bruder in's Haus zurückgekehrt war, zupfte Gertrude sie am Aermel.

»Der komische Mensch ist wieder da gewesen,« sagte die Zofe, »und hat eine Menge Wildpret abgeliefert. Die Haushälterin des Pfarrers behauptet, es sei der alte Bertram, des Försters von Wallscheidt Jagdgehülfe.«

Diesmal hatte eine solche Nachricht für Leonoren nichts Unangenehmes und Demüthigendes mehr, wie das erste Mal. Der Stolz in ihr, der sich des Bewußtseins, Jemanden dankbar sein zu müssen, hätte erwehren mögen, war nun einmal von Philibert soeben für immer überwunden; Leonore fühlte sich dem jungen Manne so tief verpflichtet, daß es ihr jetzt nur eine Genugthuung sein konnte, wenn er die Pflicht der Dankbarkeit immer größer machte. Jede Wohlthat war eine Rechtfertigung ihres Gefühls mehr; und da sie doch einmal gesehen, wie vollständig er das Geheimniß ihrer Situation durchschaute, so konnte sie hoffen, daß das Demüthigende derselben in seinen Augen ein Gleichgewicht erhalte durch das, was auch Rechtfertigendes für sie darin lag.

Für's Erste hatte Leonore übrigens wenig Zeit, an Philibert zu denken, so oft sie sich auch über dem Wunsche ertappte, eine kurze Stunde sich zurückzuziehen, um in Ruhe träumen zu können. Ein solches Glück war ihr aber nicht beschieden. Die Schwägerin forderte hundert, ihre Kammerfrau tausend Dinge, welche nicht zu beschaffen waren, und für die irgend ein Surrogat erfunden werden mußte; sie flog Trepp auf, Trepp ab im Hause wie ein gehetzter Vogel, aber unermüdlich, ohne Klage, ohne Ueberdruß.

So gelang es Leonoren denn, die Gäste in der besten Illusion zu erhalten. Die Stunden des Tages verflossen ohne irgend ein bemerkenswerthes Zwischenereigniß. Am Nachmittage wandelten die drei Bewohner von Windschrot einen schattigen Pfad am Ufer des Flusses entlang. Bei einer Wendung des Weges sahen sie plötzlich Philibert vor sich, der von seiner Jagdstreiferei heimzukehren schien. Leonore fühlte, daß sie erröthete und, ohne sich Rechenschaft von diesem seltsamen Erschrecken geben zu können, hing sie sich unwillkürlich, wie um eine Stütze zu suchen, an den Arm ihres Bruders.

Der Forstmann schloß sich den Spaziergängern nicht an. Er grüßte freundlich und ging vorüber. Leonore hatte gefürchtet, daß er sich anschließen werde; sie freute sich, daß er es nicht that. Es lag ein Zeugniß für ihn darin. Er hatte – für sie – lügen können, aber er war zu stolz, zu ehrlich, schien es, diese Lüge länger, als es irgend nöthig, fortzusetzen. Er kam ihr so groß, so edel vor in dieser Flucht vor der Unwahrheit. Wie hätte sie sich geschämt, wenn er Zeuge geworden, wie sie selbst so mitten in einem Gewebe von Täuschungen sitze, dessen Fäden fort; während von ihren Händen mit kecker Schlauheit geschlungen wurden. Es fiel ihr jetzt doppelt schwer auf's Herz; ihre Lage bekam etwas fürchterlich Drückendes.

Als der Förster verschwunden, sahen die Lustwandelnden zwei Männer, welche dem Anscheine nach mit ganzer Seele in das Vergnügen einer Wasserfahrt vertieft waren. Sie wurden in einem leichten Kahne stromabwärts von der Fluth herangetragen, die sie rasch näher brachte; als sie unsere drei Spaziergänger erblickten, lenkten sie das Boot plötzlich an's Ufer und sprangen bald darauf unmittelbar vor Joseph und den Damen an's Land. Der Eine befestigte das Fahrzeug, der Andere machte Joseph eine höfliche Verbeugung und sagte in französischer Sprache;

»Mein Herr, Sie könnten mich sehr verbinden. Ich habe eine Stunde von hier, in dem nächsten Dorfe an dieser Seite des Flusses, den Nachen gefunden und mich seiner bedient. Haben Sie die Güte, ihn durch irgend Jemand wieder an jene Stelle bringen zu lassen; sein unbekannter Eigenthümer wird sich dort schon melden.«

Joseph musterte verwundert den Mann, der mit so wenig Blödigkeit sich fremden Eigenthums bemächtigte und einem Wildfremden dann solch einen nicht gerade unbedeutenden Dienst zumuthete.

Da dieser Mann eine Rolle von entschiedener Bedeutung in der Erzählung spielt, welche wir hier dem Leser vortragen, so müssen wir zunächst ein Bild seines Aeußern entwerfen. Seine Gestalt war groß, mager, von feinem Knochenbau; eine hochaufstrebende Stirn, eine schmale und lange Nase von geringer Biegung, so daß es zu viel gesagt wäre, hätte man sie mit »römisch« bezeichnet, und darunter ein schöner Mund, den schmalgeschnittene Lippen bildeten. Es war ein intelligenter, geistreicher Kopf. Er hatte dunkle Haare und lebhafte braune Augen, starke Brauen und auffallend kleine, schmale Hände und Füße, und überhaupt war an ihm jeder Zoll ein Aristokrat.

Während Joseph diese Beobachtungen machte, betrachtete der Fremde seinerseits mit großer Dreistigkeit die beiden Frauen.

»Mein Herr,« sagte der Freiherr von Windschrot – der letzte Mann, der sich etwas bieten ließ, oder für nichts und wieder nichts sich im Dienste Anderer in Kosten setzte – »ich begreife nicht ganz, was Sie mir zumuthen und was ich mit der Entwendung dieses Kahnes zu schaffen habe. Ich bin der Freiherr von Windschrot, Herr dieser Baronie …«

Der zweite Fremde, kleiner, stärker, aber ebenso vornehm aussehend, wie der erste, trat in diesem Augenblicke heran.

» Monsieur,« sagte er lächelnd, aber mit scharfer Betonung, » vous avez l'honneur de parler à Son Altesse Royale Monseigneur le comte d'Artois

Joseph blickte staunend bald den Einen, bald den Andern an. Er war wie angedonnert; ein ungeheurer Respect lähmte seine Zunge und eine geraume Zeit verging, ehe er nur so viel Besinnung wieder erhielt, seinen Hut abzureißen, sich bis zur Erde zu verbeugen, tausend Entschuldigungen zu stammeln und schleunige Rückkehr zu versprechen, um die Befehle ausführen zu lassen, mit welchen ein königlicher Prinz von Frankreich ihn zu seiner unaussprechlichen Glückseligkeit beehre. Es fehlte wenig, und er hätte aus lauter Diensteifer sich selbst in den Kahn gestürzt, um ihn eine Stunde weit flußaufwärts zu rudern.

Die beiden Herren wollten desselben Weges, den Joseph mit den Frauen zurückzumachen hatte. Diese letzteren schienen Gnade vor dem Auge des königlichen »Sohnes von Frankreich« zu finden, den die Emigration in diese stillen deutschen Thäler geworfen hatte, entfernt von allem Prunke und aller Hoheit, die ihn einst umgeben. Der Graf von Artois reichte Leonoren den Arm und der andere Herr bemächtigte sich » principis ad exemplar« sofort der kleinen Holländerin.

»Ich muß mich selbst vorstellen,« sagte dieser, »da mein erlauchter Vetter sich nicht dazu herabläßt, mir einen Gegendienst zu thun. Ich bin der Herzog Louis von Bourbon und Condé.«

Die hübsche Holländerin war so überrascht und verwirrt, daß sie nichts zu erwidern wußte.

»O!« sagte sie, doppelt so laut, wie gewöhnlich.

Joseph erhielt einen Stich in's Herz. Ein strafender Blick fiel auf sie, der sie nun vollends um ihre Haltung brachte. Sie wagte kaum noch ihre schmale, weiße Hand auf den Arm des Mannes von so übermenschlich vornehmen Namen zu legen.

Diese Vornehmheit schien ihre Inhaber jedoch nicht sehr zu drücken. Man hätte sie mit Fug und Recht ein paar lustige und verwegene junge Männer nennen können. Als solche hatten sie einen Ausflug von dem nicht sehr entfernten Schlosse Schönbornslust, welches sie als Gäste des Kurfürsten von Trier bewohnten, die Mosel hinauf gemacht und kehrten jetzt zurück. An einer Stelle, wo der Fahrweg die Ufer des Flusses verließ, um einen Bergrücken zu übersteigen, hatten sie ihren Wagen mit dem Gefolge vorausfahren heißen, einen einsam liegenden Nachen bestiegen und sich von dem Flusse hinabtragen lassen, dessen schönes und malerisches Gestade sie anzog.

In der Nähe von Windschrot war ihrer Equipage das Rendezvous gegeben. Joseph ließ es sich nicht nehmen, sie bis dahin zu begleiten; die beiden Fürsten nahmen diese Höflichkeit ohne Umstände an, um so eher, als die Frauen ebenfalls mitwanderten. Diese waren viel zu verlegen, als daß sie den Muth gehabt, an irgend einer passenden Stelle des Weges zu erklären, sie wollten hier scheiden und nach Windschrot heimkehren, welches während ihrer Wanderung zur Rechten sichtbar blieb.

Der Graf von Artois zeigte sich jedoch sehr dankbar für solche Aufmerksamkeit.

»Meine Damen,« sagte er, als er seinen Wagen erreicht hatte, »ich verdanke Ihnen alles Vergnügen, welches mir dieser Ausflug gewährt hat. Ich hoffe, Sie wiederzusehen. Mein Vetter Condé bereitet mir ein kleines Fest zur Feier meiner Anwesenheit im Schlosse Schönbornslust vor. Vielleicht geht Ihre Freundlichkeit so weit, dasselbe durch Ihre Theilnahme glänzender zu machen?«

»Das Fest findet morgen Abend statt« – setzte Condé hinzu – »die Damen und der Herr Baron werden es nicht über's Herz bringen können, durch ein Verschmähen mich zu kränken?«

Man konnte nicht herablassender, nicht bezaubernder sein. Joseph verbeugte sich unermeßlich tief, die kleine Holländerin machte einen Knix, daß sie in ihrer Robe ganz verschwand, und Leonore, die von der Unterredung mit dem Grafen ganz roth geworden, verbeugte sich mit dem anmuthigsten Lächeln, welches ihr zu Gebote stand.

Die Equipage rollte nun, von vier Eisenschimmeln gezogen, rasch mit den Prinzen davon.

Joseph strahlte vor Vergnügen. Diese eine Begegnung war ja genug, um seine ganze Reise zu belohnen; sie war die Krone seines Aufenthalts in der Heimat, sie mußte Christine, seine Schwiegereltern, ja das ganze Geschlecht von holländischen Vettern und Basen, und wären ihrer auch tausendmal mehr gewesen, blenden, überwältigen, zu Boden drücken. Der Graf von Artois – der königliche Prinz von Frankreich und Navarra – der Herzog von Bourbon obendrein, der Enkel des heiligen Ludwig und der Enkel des großen Condé – sie hatten mit ihm gesprochen und gescherzt wie mit ihres Gleichen, sie hatten ihn eingeladen – es war merkwürdig, es war famos – nein, es war gar nicht merkwürdig, es war durchaus nicht famos – er war ja Baron Windschrot! –

»Du hast Dich darüber nicht zu verwundern, liebe Christine,« rief er aus – »ich fand, daß Du auf höchst plebejische Weise Dich verwundertest und verlegen wurdest, Christine – es ist Niemand als der Grafen von Artois königliche Hoheit, liebe Christine, mein Großvater war mit Kaiser Karl VI. bras dessus bras dessous – es ist sehr unanständig für die Gemahlin Deines Mannes, sich darüber zu verwundern, liebe Christine!«

Christine sagte kein Wort – nicht einmal: O! aber sie verwunderte sich doch aus Leibeskräften und ihr kleiner Kopf war und blieb ganz dunkelroth.

Unterdeß lagen der Prinz und der Herzog von Bourbon, deren Leutseligkeit im Herzen unseres Barons so großen Jubel zurückgelassen hatte, bequem in ihren schaukelnden Wagen ausgestreckt. Der Weg nach Schönbornslust, diesem Herde ihrer Plane, ihrer Truppenwerbungen, ihrer kriegerischen Berathungen, führte sie durch eine wunderbar schöne Landschaft; denn jenes Lustschloß, erbaut von einem Kirchenfürsten aus dem Hause Schönborn, liegt unfern der Stelle, wo die Flüsse Mosel und Rhein sich vermählen, d. h. in einer Gegend, welche zu den schönsten in der Welt gerechnet wird. Unsere Emigranten jedoch schienen für solche Dinge kein Auge mehr zu haben. Der einzige Gegenstand ihres Gespräche war Leonore.

»Sie ist das hübscheste Geschöpf, das ich seit lange gesehen habe,« sagte Karl von Artois.

»Ich bin nie weniger versucht gewesen, Ihnen zu widersprechen, Hoheit!« versetzte der junge Condé,

»Haben Sie diesen reizenden Schwung der Nasenflügel bemerkt? Diese Feinheit der Knöchel, diese vollkommen schön gebildeten Finger?«

»Sie hat merkwürdig viel Race. Aber sie ist kalt. Machen Sie sich auf keine leichte Eroberung gefaßt.«

»Pah – zu einer schweren habe ich keine Zeit! Es ist fürchterlich langweilig, auf Euerm Schönbornslust – sobald ich kann, reise ich ab. Unterdeß –

»Ich verstehe, Hoheit! Unterdeß will das Herz seine kleine Beschäftigung. Ich wünsche Ihnen alles Glück – mais nous verrons!«

»Sie sagen das so sarkastisch, Condé! Wollen Sie mir einen Streich spielen?«

»Gott bewahre mich! J'ai d'autres chats à fouetter!«

Condé sagte dies mit der Miene eines ausgelernten Heuchlers. Aber Karl von Artois traute ihm nicht. Er beobachtete ihn mit mißtrauischen Seitenblicken. Beide hatten schon einmal – sie standen damals in der höchsten Blüthe ihrer ›Etourderie‹ – ein Duell um einer Dame wegen gehabt, welche Niemand anders war, als die erlauchte Gemahlin unseres Herzogs von Bourbon. Es war unblutig beendet, und seitdem waren sie die besten Freunde von der Welt. Aber dies hielt sie keineswegs ab, sich bei den Frauen jeden irgend möglichen Streich zu spielen. Karl von Artois bereute deshalb, daß er Condé den ungewöhnlich tiefen Eindruck verrathen, den Leonore auf ihn gemacht hatte.

Als er in dem Jagdschlosse zu Schönbornslust angekommen war, das jetzt einem ganzen Heere französischer Flüchtlinge zum Aufenthalte diente, begab er sich augenblicklich zu einer alten Dame, Frau von Breteuil geheißen, welche die ausgezeichnete Gunst genoß, von ihm bei allen leichtfertigen Unternehmungen und delicaten Angelegenheiten einer gewissen Art in's Geheimniß gezogen zu werden. Nach einer halben Stunde wurde dann der alte Kastellan des Schlosses, unter dem Vorwande, Befehle über einige für den folgenden Abend nöthige Einrichtungen entgegenzunehmen, zu Frau von Breteuil beschieden.

Als der alte Diener das Zimmer der Dame wieder verließ, fiel ihm ein, daß man ihm über den morgigen Tag eigentlich keine Sylbe gesagt, die er nicht schon früher gewußt, und daß man die ganze Zeit damit zugebracht, über die Familien der benachbarten Edelleute und besonders über die Verhältnisse der Windschrots mit ihm zu plaudern.

»Sonderbare Leute, diese Franzosen,« sagte der Alte kopfschüttelnd. »Wenn sie nur plaudern können, sind sie selig! So unnütz die Zeit zu verschwenden! und ich habe alle Hände voll zu thun!«

* * *

Wir haben Joseph verlassen, wie er mit seinen Begleiterinnen seinem väterlichen Dache zueilt. Er machte im Uebermaß seiner freudigen Aufregung riesenlange Schritte.

Leonore und Christine konnten ihm kaum folgen. Als sie auf dem Hofe angekommen waren, sagte Leonore:

»Geh nur hinein, lieber Joseph; ich will sogleich den Verwalter bitten, daß er den Kahn hinaufsendet.«

»Erlaube, Leonore, dafür sorge ich selbst,« versetzte Joseph eifrig und eilte auf die Wohnung des Verwalters zu. Seine Schwester folgte ihm. Der Verwalter stand an der Hausthüre. Joseph gab ihm seine Befehle, der Verwalter nickte blos und sah dabei vertraulich lächelnd Leonoren an.

Es hieße an der Wahrheit sündigen, wenn man verhehlen wollte, daß auch Leonore sich in einer Gemüthsstimmung befand, in welcher ihr die Vertraulichkeit des Verwalters einen widerwärtigen, verlegenden Eindruck machte.

»Das Volk hier ist ziemlich des Respekts entwöhnt,« sagte Joseph, als er mit Leonore in's Haus trat.

»Der Vater ist so lange fort,« stammelte seine Schwester verlegen.

»Ich werde ihnen einige Lectionen geben,« sagte Joseph.

Leonore eilte ihre Zofe aufzusuchen. Gertrude sollte den Verwalter um Ausführung dessen bitten, was Joseph ihm aufgetragen. Gertrude schüttelte den Kopf.

»Ich geh nicht mehr zu ihm,« sagte sie blaß werdend und sich abwendend.

»Aber um Gotteswillen, was sollen wir denn beginnen?«

»Fordern Sie Alles von mir, nur dies nicht!«

Gertrude wollte sich nicht weiter erklären – Leonoren verhinderte ein natürliches Gefühl weiter zu forschen. Es mußte etwas vorgefallen sein; der Verwalter, schien es, hatte das Vortheilhafte seiner Situation zu stark ausbeuten wollen. –

Da war denn freilich nichts anderes zu thun, als einen Menschen aus dem Dorfe zu beauftragen; aber während Leonore darüber mit ihrer Zofe sprach, hörte sie einen lauten Stimmenwechsel auf dem Hofe. Sie eilte voll plötzlicher Angst hinaus. Joseph zankte sich mit dem Verwalter; er war zornig geworden, da er den letztern fortwährend ruhig unter seiner Hausthüre stehen sah, als ob es in der Welt nichts für ihn zu thun gebe. Darum überschüttete er ihn mit einem Strome von Vorwürfen.

Der Verwalter aber war durchaus nicht in der Laune, sich Dinge sagen zu lassen, welche so wenig Schmeichelhaftes für ihn hatten, als nur irgend Worte ausdrücken können. War es nicht genug, daß Gertrude ihm heute, während des Spazierganges der Herrschaft, in einer sehr lebhaften Debatte, die freilich nur sein Betragen ihm zu Wege gebracht hatte, die Vorzüge seines äußern Menschen höchst schnippischer Weise in Frage gestellt? Und nun wollte noch dieser »verlorene Sohn« seine innere Würde, seinen moralischen Menschen durch liebenswürdige Aufrichtigkeiten, wie Faulenzer, ungetreuer Knecht, Schlingel u. s. w. antasten? Das war zu viel!

»Mein Herr, ich rathe Ihnen, schweigen Sie, oder ich sage Ihnen etwas –«

»Ich bitte Dich, schweig, Joseph,« sagte zitternd Leonore, die in diesem Augenblicke den Arm ihres Bruders ergriff, um ihn fortzuziehen.

»Schweigen soll ich? geh, geh, Leonore, dies ist keine Scene, bei der Frauen etwas zu thun haben. Geh, ich will diesem unverschämten Menschen hier seinen Laufpaß geben.«

»Alle Donnerwetter,« brach jetzt der Verwalter los – »meinen Laufpaß geben! – was verhindert mich, Sie noch in diesem Augenblicke aus dem Schlosse zu weisen?«

Leonore stürzte auf den Verwalter zu, sie hob bittend, weinend die Hände zu ihm auf.

»Fräulein, es thut mir leid Ihretwegen,« entgegnete der Entrüstete, »aber was ist das auch für ein Ansinnen! wie können Sie mir zumuthen, ich soll die große Gefälligkeit haben, mich Hallunken und weiß Gott was Alles schimpfen zu lassen? Nein, Herr Baron Joseph von Windschrot, gehen Sie, woher Sie eben angelangt sind, nach dem Lande, in dem der Pfeffer wächst; oder suchen Sie Ihren Herrn Vater auf, der als Jacobiner und Uebelthäter zu Trier unter Dach und Fach gebracht ist. Hier haben Sie nichts zu schaffen, dies Schloß gehört dem Kurfürsten, meinem gnädigen Herrn, und nicht Sie, Ich habe hier zu bestimmen, wer ein Schlingel ist!«

Damit wandte der Verwalter den Rücken und schlug die Thür seines Hauses hinter sich zu.

Joseph war todtenblaß; er blickte seiner Schwester in's Gesicht, aber sie sah es nicht und es war gut, daß sie diesen Blick von Wuth und Verzweiflung nicht sehen konnte; sie hatte die Augen geschlossen und sich schluchzend an seine Brust geflüchtet.

Er führte sie in's Haus und hier warf er sich in einen Stuhl und bedeckte die Augen mit seiner Rechten. Leonore nahm seine andere Hand, und so vor ihm stehend, versuchte sie, endlich ihn zu trösten.

»Laß mich, laß mich –« sagte er – »nein, bleib und erzähle, erkläre mir, was vorgefallen ist, während ich fern war!«

Leonore erzählte Alles, was sie wußte.

Als sie geendet hatte, sprang er auf und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. Er stieß gräuliche Verwünschungen aus, er fluchte auf Gott und die Welt, er fluchte auf seinen Vater. Leonore verbarg ihr Gesicht vor diesem furchtbaren Ausbruch seiner Leidenschaftlichkeit. Es lag etwas Erschütterndes darin, es war ein Vulcan, ein Flammenaushauch einer Seele, auf deren Grund Dinge lagen, von denen Leonore nie vorher eine Ahnung gehabt.

»Geh,« sagte er endlich, »und sorge, daß meine Frau nichts erfährt; ich will noch diesen Abend zum Landrentmeister, und Windschrot für die nächsten Wochen von ihm miethen. Er wird es nicht abschlagen können. Unterdes kann ich auf Mittel sinnen, unser schmachvoll vergeudetes Eigenthum wieder zu erringen. Denn das will ich und müßte ich den Teufel zu Hülfe rufen!«


VI.

Wir überspringen die nächsten vierundzwanzig Stunden. Es war eine milde duftige Sommernacht. In dem Parke, in den wir den Leser führen, kräuselte ein leiser Lufthauch die Lindenwipfel und die Wellen des Weihers, der weiße, verschwiegene Gestalten spiegelte, welche durch das Grün der Gebüsche glänzten. Sie standen still und unbeweglich, diese marmornen Ideale, während alles Andere im Hauch der Nacht ein zweites innigeres, tieferes Leben zu leben schien.

Man hätte sie beneiden können, solche Wesen von voller harmonischer Bildung, die sich in Marmor gefestet hat, dem Schmerz und der Leidenschaft und was entstellt und den Herzensfrieden stört, in ewiger Unveränderlichkeit enthoben. Auf ihren glatten Stirnen liegt der Kuß des Mondes, ihr Auge blickt unbeweglich in die Ferne und um den Mund liegen stolze Zuversicht und der Gedanke der Schönheit, dieser hohen Braut des Schöpfers.

Welcher Abstand von ihnen bis zu den Wesen, die in ihrer Nähe sich versammelt haben, in jenen hohen prachtglänzenden Sälen des Schlosses, dessen strahlende Fenster durch die Gebüsche des Parkes blitzten, während Musik ihre üppigen Tonströme hinaussendet und der geheimnißvollen leisen Stimmen der Nacht spottet. Von schönen, blendend schönen Frauen, von Männern in goldstrotzenden Uniformen sind diese Säle angefüllt; Federn, Blumen, Diamanten, Perlen, Ordenssterne, das Alles schwimmt wie ein Meer von Glanz durcheinander, und schöner, glänzender, stolzer noch als diese königlichen Stirnen, diese Perlen, diese Diamanten sind die Namen, welche tönen durch das Gesumme der Stimmen, die ruhmbedecktesten Namen, welche selbst Perlen sind, die die Geschichte vieler Jahrhunderte sich um's Haupt geflochten hat.

In dem größten Saale steht, auf Treppenstufen erhöht, ein Fauteuil, und über ihm hängen reiche Gewinde aus Blumen, unter denen vor allen die Lilie schimmert; ein schöner Mann von stolzer Haltung. steigt die Stufen hinab und mischt sich unter die Andern: es ist ein Prinz von Frankreich, Karl von Artois; zwei andere Bourbons sind neben ihm, die beiden Condé, Vater und Sohn. Umher Sprossen der Häuser Crequy, Rohan, de la Tour d'Auvergne, Nivernois, Froulay, Croy, Montmorency, Elbeuf – der ganze stolze Adel Frankreich's hat sich hier versammelt – alle, alle sind sie da, bis auf Diejenigen, welche ein halb toller Advocatensohn im Eifer für die Wahrheit der »Menschenrechte« hat – köpfen lassen.

Wir sind auf einem Feste der Emigranten. Diese ganze glänzende Welt – es sind heimatlose Flüchtlinge, dem Schwert entronnene Unglückliche ohne Habe und ohne Vaterland. Und doch so froh, so sorglos!

Unter allen den glänzenden Gestalten begegnen uns außer Artois und Condé drei, welche wir kennen. Die erste ein großer, düsterer, gebräunter Mann mit starkem, schwarzem Bart und unstät umherfahrenden Blicken der schmalen, schlauen Augen. Er scheint Conversationen mit den Einzelnen entgehen zu wollen und ist bald in dem einen, bald in dem andern der Gemächer, wo er die verschiedenen Gruppen beobachtet. Es ist Joseph. Seine Frau sitzt auf einer Causeuse neben einem alten Militair mit dem Ludwigskreuz, der einst Gouverneur von Martinique war und sich mit ihr in tropischen Erinnerungen ergeht.

Leonore aber ist im Ballsaal und tanzt eine Française. Ihr Partner ist der junge Condé, der ihr fortwährend die verliebtesten Blicke zuwirft. Kein Wunder; sie ist von strahlender Schönheit und ihre flammenden Augen, ihre lieblich gerötheten Wangen scheinen mit muthwilliger Heiterkeit sich in den Wettkampf deutscher und französischer Schönheit gewagt zu haben. Sie fühlt, daß eine Menge feuriger Blicke auf ihr liegen, auf ihr, deren hohe, schlanke Formen, deren blaue Augen und blonde Locken sie vor allen den kleineren, zarteren, sylphenhaften Schönheiten auszeichnen, welche sie umgeben. Dies hebt und beflügelt sie und sie tanzt, als ob der elastische Fuß einer Atalante sie trüge.

Als der Tanz beendet, bot Condé ihr den Arm und führte sie durch die Gemächer.

»Sie sind die Königin des Festes, das die Ritter der Lilie feiern,« sagte er. »Sie allein sind die Lilie in dem Blumenkranz von Schönheiten, die uns umwogen. Platz der Königin!«

Er sagte dies, indem er einen vor ihm stehenden Herrn zur Seite schob. Dieser wandte sich: es war Joseph. Leonore erröthete, während der Blick ihres Bruders ihr mit einem Ausdrucke von Bitterkeit und Verschmitztheit folgte. Als die Beiden am Ende der Gemächer angekommen waren, befanden sie sich in einem Cabinet, das mit seltenen Treibhausblumen angefüllt war; es herrschte ein beklemmender Duft und eine erstickende Hitze darin. Der junge Herzog öffnete eine Glasthüre, welche über einige Stufen in den Park hinabführte; einzelne Paare der Tänzer waren vor ihnen hinausgeschritten, um die Kühlung der wundervollen Sommernacht einzusaugen, und wandelten in den Pfaden auf und nieder.

»Sie sind echauffirt – wandeln wir ebenfalls hinaus,« sagte Condé – »es wird Sie erfrischen. Die Nacht ist berauschend schön, ist magisch –«

»Aber« – stammelte Leonore erschrocken –

»Aber – Sie wissen nicht, wie weh Sie mir mit diesem ›Aber‹ thun,« flüsterte der Herzog weich. Dann wandte er sich zu einer ältlichen Dame, die eben in das Cabinet eintrat.

»Madame de Breteuil,« sagte er, »würden Sie uns nicht begleiten, da das Fräulein mit mir allein die Nachtluft fürchtet?«

»Ich glaube es! Sie heißen Condé,« sagte Frau von Breteuil mit einem ironischen Lächeln – »das ist viel zu sehr ein Eroberername!«

Die Dame nahm den andern Arm des Herzog und alle Drei schritten in dem Garten zwischen den Blumenparterres auf und nieder.

Nach einer Weile fand Frau von Breteuil, daß es für sie zu kühl sei. Sie machte sich los und eilte in das Schloß zurück, um, wie sie sagte, ihren Shawl zu holen.

»Welch glücklicher Einfall der alten Dame,« sagte Condé – »Leonore, lassen Sie mich diese kostbaren Augenblicke zu dem benutzen, wozu mich mein Herz unwiderstehlich drängt –«.

Leonore erbebte und entzog ihm ihren Arm, während sie sich ängstlich umsah, als wollte sie Frau von Breteuil nacheilen.

»O um Gottes willen, eilen Sie nicht fort – zürnen Sie mir nicht – ich fühle es, meine brüske Leidenschaftlichkeit muß Sie beleidigen – aber ist es meine Schuld, wenn mein Herz so heiß schlägt? wenn die gewaltigsten, göttlichsten Gefühle stets nur weniger Augenblicke bedürfen, um sich seiner zu bemächtigen?«

»Sprechen Sie nicht weiter, Herzog, oder ich muß Sie allein lassen!«

»Sie wissen nicht, wie grausam Sie sind – was verlange ich denn von Ihnen? Nichts, als ein theilnehmendes Gehör; für meine letzten Empfindungen und Gedanken möchte ich eine schöne und tiefe Seele finden, würdig sie aufzunehmen und als das Erbe eines Condé zu bewahren, wenn ich nicht mehr bin. Ich habe ja leider nichts Anderes zu vererben – ich bin ein armer, geächteter Flüchtling!«

Condé hatte den Ton angeschlagen, der allein Leonore bewegen konnte, ihm zuzuhören. Er wandte sich an ihr Mitleid, diesen Zauberschlüssel, der jedes Frauenherz öffnet.

»Und doch,« fuhr er fort, »dieses Erbe, das ich Ihnen, nur Ihnen auf Erden hinterlassen möchte, ist ja so unendlich reich – was ist dagegen alles Gold, aller äußere Glanz, den das Haus meiner großen und erlauchten Väter je besessen hat! Es ist der Schatz meiner glühenden Seele, meiner – ja ich will es aussprechen, ich werde nach wenigen Tagen in den Krieg ziehen und, ich ahne es, ich werde fallen in diesem Kriege – das Testament eines Kriegers aber, das wissen Sie, bedarf keiner langen Vorbereitungen: – es ist der Schatz meiner Liebe für Sie!«

»Um Gottes willen, mein Herr – schweigen Sie.«

Leonore wollte fliehen, aber er hielt sie zurück.

»O, so hören Sie mich doch, Leonore, Sie wissen, was uns aus unserem Vaterlande verbannt hat. Wir haben uns hier zusammengeschart, ein kleines Heer, aber entschlossene Männer, der höchste Adel Frankreich's, Alle bereit, unser Blut hinzugeben für die Befreiung unseres Vaterlandes, für unsern König, für den allmächtigen Gott, den die frevelhafte Canaille entthront hat. Mein Vater führt uns; ich diene unter ihm, und ehe wenig Tage vergehen, stehen wir Aug' in Aug' einem unermeßlichen blutigen Barbarenhaufen gegenüber, um einen Krieg auf Tod und Leben, einen Krieg der Vernichtung mit ihm zu führen. In dieser ernsten Lage – die Hand auf's Herz – werden Sie behaupten, Leonore, ich könne in dieser Lage Sie täuschen wollen? Ist dies eine Zeit für mich, ein frevelhaftes Spiel mit einem Wesen zu treiben, dessen erster Anblick auf mich den unauslöschlichen Eindruck machte, den die Erscheinung eines strahlenden Engels auf einen armen Sterblichen machen würde? O, antworten Sie mir, ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, antworten Sie mir!«

Condé ließ ihren Arm fahren, und kniete vor ihr nieder, indem er ihre Hand mit Küssen bedeckte.

»Ich bitte Sie,« sagte Leonore, deren Herz stille stand vor innerer Bewegung, »lassen Sie uns zurückkehren – es ist Niemand mehr im Garten, bei Allem, was Ihnen heilig ist, Herzog, lassen Sie uns zurückkehren!«

»Wenn Sie mich so beschwören, so muß ich gehorchen. Aber ich muß Sie einmal noch allein sprechen. Ein freundliches Wort müssen Sie mir mitsenden in den Krieg, in welchem Ihr Bild vor mir herziehen wird, wie eine zweite Jungfrau von Domremy, um mich zum Siege zu führen, zum Siege Frankreich's und seines Königs, zum Siege jener heiligen Weltordnung, der die Religion, die Jahrhunderte und die Hingebung unsrer Väter ihre unantastbare Sanction verliehen haben.«

Condé küßte noch einmal ihre Hand und dann führte er sie in die Gesellschaft zurück. Als er die Thüre des kleinen Blumencabinets vor ihr offen warf, murmelte er zwischen den Zähnen:

» Ma foi, il ne l'aura pas!«

Leonoren kam ihr Bruder entgegengeschossen.

»Um's Himmels willen, Leonore, welche Thorheit begehst Du,« sagte er leise, aber mit großer Heftigkeit: »Graf Artois hat dreimal nach Dir gefragt.«

»Was geht mich Artois an?« versetzte Leonore gereizt und wendete stolz und unwillig ihrem Bruder den Rücken. Sie hatte nie in ihrem Leben einen Augenblick gehabt, in welchem sie weniger gestimmt gewesen wäre, Vorwürfe anzuhören.

»Was er Dich angeht? Leonore,« sagte Joseph und ergriff ihre Hand, die er kräftig drückte – »keine Thorheit! Du hast allen Grund, Dich gegen den Prinzen freundlich zu zeigen. Von ihm hängt das Schicksal unsers Hauses ab. Präg' Dir das tief in's Herz und – sei klug!«

Leonore sah ihn überrascht an – aber Joseph wandte sich ab und überließ sie einem jungen Marquis, der sie zum Tanze abholte.

Als der Tanz beendet, suchte Leonore ihren Bruder wieder auf. Sie fand ihn, nachdem sie sich lange vergeblich nach ihm umgeschaut, mit Frau von Breteuil in einer Fensternische stehend.

»Man ist voll des besten Willens für Sie,«. sagte ihm die alte Dame. »Sie können darauf rechnen, daß man es sich beim Kurfürsten zu einer Ehrensache machen wird. Warnen Sie Ihre Schwester nur vor Condé. Er ist ein Schalk und es scheint mir, er beabsichtigt, dem Prinzen einen Streich zu spielen!«

»Still, meine Schwester kommt. – Leonore,« fuhr Joseph fort, als diese herantrat, »Frau von Breteuil ist von großer Freundlichkeit für uns. Es sind so viele Fremde da, daß die Equipagen nicht hinreichen, auch uns fortzubringen, da wir am weitesten bis zu Hause haben. Herr von Mollenbach wird meine Frau in seinem Wagen mitnehmen und nach Windschrot fahren lassen; ich gehe zu Fuße und Du wirst in den Gemächern der Frau von Breteuil im Schlosse schlafen – morgen wird man Dich heimfahren lassen, oder ich werde kommen, Dich abzuholen.«

»Ich bin Frau von Breteuil sehr dankbar – aber ist nicht –«

Leonore wurde unterbrochen. Der Graf von Artois trat zu der Gruppe.

»Sie waren verschwunden, Mademoiselle Leonore, die Königin unsers Festes war fort,« sagte er vorwurfsvoll. »Wenn man wie Sie ist, so hat man nicht nöthig zu glänzen durch Abwesenheit! Das ist eine Art sich auszuzeichnen, welche die Gesellschaft, die alle Auszeichnungen nicht leicht verzeiht, Ihnen am schwersten vergeben wird.«

»Monseigneur –« versetzte Leonore schüchtern – »wie sollte ich dies fürchten – eine solche Gesellschaft kann sich unmöglich um ein armes Mädchen kümmern, das sie nicht kennt.«

»O glauben Sie das nicht – die Gesellschaft vergöttert Sie, betet Sie an – Sie lächeln ungläubig, Mademoiselle, und Sie beleidigen mich. Wenn ein französischer Prinz auch nicht mehr sagen kann: der Staat, das bin ich, so lassen Sie ihm doch den Trost, zu sagen: die Gesellschaft, das bin ich!«

Der Prinz verbeugte sich und Leonore wußte nicht mehr, was sie den Schmeicheleien des geistreichen Fürsten erwiedern sollte. Er verließ sie von nun an kaum mehr und machte ihr in höchst auffallender Weise den Hof.


VII.

Das Fest war zu Ende. Die Equipagen rollten mit den Gästen davon. Joseph hatte seine Frau den leeren Platz im Wagen eines Herrn von Mollenbach, eines Landedelmanns aus der Gegend von Windschrot, einnehmen sehen, dann kehrte er in die Säle zurück, um von Leonoren Abschied zu nehmen. Frau von Berteuil hatte eben ihren Arm ergriffen, um sie nach oben in ihre Wohnzimmer zu führen.

»Leonore,« flüsterte Joseph ihr in's Ohr – »Leonore, sei klug – stoße nicht zurück, was das Glück Dir in den Schoos wirft und – denke an die Lage unsers Hauses! – Frau von Breteuil,« fügte er dann laut hinzu, »ich werde morgen meine Schwester abholen und Ihnen sagen, wie tief Sie mich verpflichten.«

Er wandte sich und eilte fort, ohne auf Leonorens ängstlichen Ruf zu hören, die, erschrocken über seine mysteriösen Andeutungen, eine Menge Fragen an ihn richten wollte.

»Kommen Sie, Mademoiselle, kommen Sie,« sagte die graziös lächelnde alte Dame, »ich habe ein stilles Zimmerchen für Sie herrichten lassen, wo Sie charmant schlafen werden – denn Sie bedürfen der Ruhe, Sie sind furchtbar echauffirt.«

Das war Leonore in der That, der Kopf wirbelte ihr förmlich, und so ruhig auch ihr kleines Schlafzimmer neben den Zimmern der Frau von Breteuil, so war doch an Schlaf für sie lange nicht zu denken. Sie zog den großen Fauteuil, der am Kopfende ihres Bettes stand, an das Fenster, öffnete dies und warf sich erschöpft auf das schwellende Polster. Die Nachtluft strömte auf sie ein und war ihr wie ein kühler Trunk, den ein Verdurstender in vollen Zügen schöpft. Das Mondlicht übergoß sie und lag so hell auf ihr, als ob es angezogen werde von der grazienhaften, prachtvollen Gestalt mit dem herrlichen Kopfe. Auf der hellgrünen Seide, in dem bleichen Licht, sah dieser Kopf wie Marmor aus, in dem ein Künstler seines Herzens süßeste Träume von idealer, ewiger Schönheit zur Wirklichkeit gezaubert.

Sie fühlte sich wie in einem Traume. Und traumhaft war freilich dieser Uebergang aus einer peinlichen, ärmlichen, verlassenen Lage in einen Kreis, in dem alle Strahlen irdischen Glanzes wie in einem Zauberspiegel zusammenzulaufen schienen, in welchem sie, das einfache Landfräulein, das arme verwaiste Mädchen, plötzlich der Gegenstand so vieler Huldigungen geworden war, in welchen ein Prinz von Frankreich, ein Herzog von Bourbon zu ihren Füßen lagen. Leonore hätte kein Weib sein müssen, wäre sie nicht berauscht geworden.

Und das war sie. Diese Männer mit den großen, ruhmbedeckten Namen standen vor ihr wie ideale Gestalten, von einem Strome von Poesie getragen. Es waren die purpurgeborenen Söhne des Geschickes, welchen der Himmel selbst die Salbung zu Fürsten der Menschheit gegeben, die Heroen, auf deren Haupt die Erinnerungen so vieler glorreicher Jahrhunderte wie eine Krone glänzten. Und sie waren verbannt und geächtet. Sie besaßen nur noch ihren Degen, diese Ritter des göttlichen Rechtes und alles Adelthums, diese Männer und Helden der Idee, welche seit tausend Jahren die abendländische Welt getragen und gefestet hatte. Wie erschienen sie nun doppelt groß, wie rissen sie nun das ganze Leben des jungen Mädchens zu Bewunderung, zu tief innerster Theilnahme hin!

Und dieser Condé vor Allen, dieser Mann mit den dunkeln, blitzenden Augen und der verführerischen Lippe, dem großen, offenen Herzen und der freien Seele – Leonore hätte aus schwärmerischer Begeisterung seinen Namen in die verschwiegene Nachtluft rufen mögen, während sie die Hand auf das fieberisch pochende Herz drückte. –

Endlich schlummerte sie ein, und als sie erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel. Ihr erster Blick fiel auf einen großen Blumenstrauß, der vor ihr in der Brüstung des offenen Fensters lag. Sie ergriff ihn – ein Billet fiel daraus, das sie hastig aufriß und las. Es lautete:

»Theuere Leonore!

Ich bin in Verzweiflung. Von diesem Tage erwarte ich das Glück meines Lebens, und nun erhalte ich vom Grafen von Artois den Befehl, mich sofort nach Coblenz zu begeben, wo ich den ganzen Tag beschäftigt sein werde. Und doch muß ich Sie sprechen. Ich werde Abends zurück und um zehn Uhr an der Statue des Schlummergottes neben dem Weiher im Parke sein. Wollen Sie, daß ich leben soll, o so versagen Sie nicht! Unterdeß – fürchten Sie Artois.

Bis in den Tod Ihr

Louis de Bourbon.«

Leonore war heftig erschrocken. Ihr jungfräulicher Stolz empörte sich bei der dreisten Leidenschaftlichkeit des Mannes, der solche Zeilen an sie zu richten wagte. War etwas in ihrem Betragen gewesen, das ihn dazu berechtigt? Und weshalb sollte sie Artois fürchten? Das beunruhigte sie auch. Sie sollte ja nur noch wenige Augenblicke im Schlosse sein. Dann kam ihr Bruder, um sie abzuholen. Wie konnte sie deshalb Condé ein Rendezvous geben?

Das Kammermädchen der Frau von Breteuil kam herein, beschwert mit einem Carton, der in der Frühe angekommen; er enthielt Kleider Leonorens, die Joseph seiner Schwester herübersandte, welche nur ihren von der Schwägerin entliehenen Ballstaat bei sich hatte. Die Zofe bot ihre Dienste bei der Toilette an und führte Leonoren dann zu ihrer Herrin, um mit dieser die Morgenschokolade zu nehmen.

»Wie haben Sie geruht?« fragte die freundliche alte Dame, als Leonore bei ihr eintrat – »setzen Sie sich, theures Kind – der Graf hat schon zweimal hergeschickt, um sich nach Ihnen zu erkundigen – wissen Sie, daß es zehn Uhr ist?«.

»Zehn Uhr? Und mein Bruder noch nicht da?«

»Es ist merkwürdig, wie Sie aussehen! So frisch, so blendend – keine Spur von Ermüdung mehr – Sie sind ein wahres Wunder. Es ist leicht begreiflich, daß Sie alle Männerherzen hinreißen. Der Graf ist rein toll – und darauf können Sie sich etwas einbilden – wäre er auch nicht nach dem Könige von Frankreich der vornehmste Mann, ich darf wohl sagen, der Welt – er wäre immer der süperbste Cavalier!«

Frau von Breteuil ergoß sich nun in einen Strom von Lobeserhebungen des Grafen von Artois. Sie hatte eine höchst geläufige Zunge. Sie plauderte in Einem fort, sie schüttete endlich in Leonorens Busen allen ihren Kummer aus. Was hatte sie auch nicht leiden müssen, die arme Frau, seit sie Frankreich verlassen! Das Unglück hatte begonnen mit dem herzbrechenden Tode Coco's, ihres Affen, der am Tage nach dem 14. Juli, der Erstürmung der Bastille, gestorben war, ganz gewiß aus Zorn über die Frechheit des so plötzlich emancipirten Pöbels. Dann war ihr ein Garten mit zwei schönen Gewächshäusern demolirt worden, weil man ein Beet mit blühenden Lilien durch das Gitterthor hatte schimmern sehen. Auch hatte das Volk bei dieser Gelegenheit ihren Gärtner erdrosselt, der sich zur Wehre gesetzt, worüber Frau von Breteuil sich noch am ersten tröstete, weil sie ihn doch hatte abschaffen wollen, da er es nie dahin gebracht, ihr die Artischoken so zeitig zu liefern, wie die Herzogin von Luynes sie auf die Tafel bekam. Pour comble de malheur aber hatten die Jakobiner ihren Schooshund Zaire als Aristokraten mit den Beinen an einen Laternenpfahl aufgehängt, weil das arme, liebe Thier aus ihrer Equipage heraus einen Trupp Sansculotten angebellt, als sie ihn hatte spazieren fahren lassen, um die freie Luft zu genießen.

Da hatte sie es nicht mehr ausgehalten und war emigrirt, und nun saß sie hier, in einem miserablen deutschen Landschloß mit seinem jämmerlichen Park, von der Gnade eines deutschen Fürsten lebend, der die Niedrigkeit gehabt hatte, ihr nicht einmal einen Theil seines Marstalls zu ihren Gebrauch herüberzusenden, der sich endlich in allen Dingen als einen höchst knauserigen Juden zeigte, wenn er auch ein Erzbischof und Kirchenfürst war; und wenn sie nicht wüßte, daß das Emigrantenheer da sei und nächster Tage in Frankreich einrücken werde, um Zairens beweinenswerthen Tod im Blute einer Million gottverfluchter Jakobiner zu rächen, so würde sie ganz außer sich sein. So plauderte Frau von Breteuil und hörte nicht auf, bis ein Diener eintrat und meldete, daß das Frühstück servirt sei.

Frau von Breteuil begab sich mit Leonoren in den Speisesaal. Mehrere Herren traten ihr entgegen und umgaben sie. Ein gewisser Uebermuth in ihrem Wesen, etwas, das wie spöttisches Lächeln aussah, begann Leonoren zu verletzen. Aber nach wenig Augenblicken flog eine Flügelthüre auf, der Ruf: » Son Altesse royale!« tönte durch den Saal, die Anwesenden bildeten in ehrfurchtsvoller Haltung ein Spalier und verbeugten sich tief, als der Graf von Artois an ihnen vorüberschritt, um sich an einem oben im Saale aufgestellten erhöhten Tische niederzulassen.

Er frühstückte allein, während die Uebrigen an einer größeren Tafel Platz nahmen. Leonore war erstaunt über die Strenge der Etiquette, welche alle Bewegungen regelte, und die doch so übel angebracht war bei einer Schaar beraubter Flüchtlinge; aber noch weit mehr war sie erstaunt über die Gespräche, welche rechts und links von ihr geführt wurden. Sie sah, daß Frau von Breteuil durchaus nicht eine Thörin auf ihre eigene Rechnung war, wie sie geglaubt hatte, sondern daß alle diese Menschen in gleichem Tone redeten.

Man moquirte sich aufs Grausamste über die deutschen Gäste, welche am gestrigen Abende sich eingefunden, obwohl sie Eltern, Brüder, Schwestern der Anwesenden großmüthig unter ihr Dach aufgenommen hatten und eine verschwenderische Gastlichkeit gegen dieselben übten. Die Damen beklagten sich über die lächerlichsten Lappalien, die sie entbehren mußten. Der einen fehlte ein Saffiankissen, und die andere war in Verzweiflung, daß sie ihren Beichtvater und ihren Canarienvogel nicht bei sich habe; eine gutmüthig aussehende dicke Vicomtesse war trostlos, daß ihr Lieferant von Poudre à la Marechale und Odeurs dem execrablen Dumoulins Zimmer vermiethet habe, und daß sie nun, wenn sie nach einigen Wochen im Gefolge der Armee nach Paris heimkehre, ohne ihr bewährtes Arom sein werde.

Nur einige wenige Männer waren da, auf deren Gesichtern der Schatten einer ernsten Trauer lagerte und auf sie und auf Artois heftete Leonore ihre Blicke, um nicht aus ihren Himmeln zu fallen. Sie ahnte es nicht, wie viel noch in diesem emigrirten Grafen von dem Prinzen von Frankreich steckte, der unter anderen Streichen vor nicht langer Zeit die »Salzmagazine des Königs« hatte öffnen lassen, um mitten im Sommer sich das Vergnügen einer künstlichen Schlittenbahn zu machen, die von Marly bis nach Rambouillet reichte!

Der Graf hob die Tafel auf. Leonore wurde immer unruhiger, weil ihr Bruder nicht kam. Ihre Frage nach ihm schnitt Artois ab, indem er ihr den Arm bot, um sie in den Hof zu führen, wo ein paar angespannte Wagen hielten. Man wollte mit einer Spazierfahrt in's Gebirge die Stunden bis zum Diner o am späten Abend hinbringen.

»Aber ich darf mich nicht entfernen. Jeden Augenblick kann mein Bruder kommen; es ist unmöglich, Hoheit!«

»Was ist unmöglich einer Schönheit, wie die Ihrige, Madamoiselle – Ihr Bruder weiß Sie gut aufgehoben – er wird warten, wenn er kommt!«

Der Graf hatte ihren Arm gefaßt und hob sie in den Wagen. Nach ihr half er Frau von Breteuil hinein, setzte sich zu ihnen und der Wagen rollte davon.

Das Ziel der Spazierfahrt sollte eine Ruine an andern Ufer der Mosel sein. Nachdem man etwa eine Stunde gefahren, verließ man die Wagen, um sich in einem Nachen über den Fluß setzen zu lassen und die übrige Strecke des Weges zu Fuß zu machen. Leonore athmete froh auf, als sie den Wagen verlassen konnte. Während der ganzen Fahrt hatte Frau von Breteuil geschlafen, oder sich schlafend gestellt, und Artois war Leonoren während des Tete a Tete, das daraus folgte, immer unheimlicher geworden. Er war ihr immer näher gerückt, er hatte nicht aufgehört, ihr die übertriebensten Schmeicheleien zu sagen, und in seinem ganzen Wesen einen spöttischen Uebermuth verrathen, eine sieggewöhnte Unverschämtheit, die Leonoren empörte und der sie doch weder recht zu antworten, noch sich zu entziehen vermochte – so sehr imponirte ihr noch immer der Rang und der Name des Mannes, der sie demüthigte.

Auch während man den Pfad zu der Burgruine hinanstieg, war er fortwährend an ihrer Seite. In der Ruine ließ er ihren Arm nicht fahren, und was Leonore am meisten beängstigte, war der Umstand, daß Frau von Breteuil auf halbem Wege zurückgeblieben, weil ihr die Höhe zu steil, und daß das übrige Gefolge sich wie geflissentlich fortwährend entfernt hielt. Endlich sah Leonore sich in einem runden, ziemlich wohlerhaltenen Thurmgemach ganz allein mit dem Grafen und dieser zog die einzige, durch starke alte Beschläge vor dem Auseinanderfallen bewahrte Thür hinter sich zu.

» Ma foi,« sagte Artois, den Arm um ihre Taille schlingend, »ich bin nie mit einem schönen Kinde allein, ohne in der ersten Viertelstunde eine Gunstbezeugung, oder eine Ohrfeige erhalten zu haben! Leonore ist mir zu gut, um mir die letztere zu geben.«

Er zog sie an sich und wollte sie küssen.

»Monseigneur!« rief Leonore aus und suchte sich, glühend vor Zorn, loszureißen.

Er ließ sie fahren und sah sie mit funkelnden Blicken an. Sie war wunderbar schön in ihrem Zorn, wie ein beleidigter Cherub.

»Du bist magnifique, blendend!« sagte er und nahte sich ihr wieder.

»Rühren Sie mich nicht an, oder –

» Quelle niaiserie!«

Er umschlang sie wieder; sie stieß ihn zurück.

»Ich werde um Hülfe schreien!«

»Man wird Dir nicht helfen!«

»Wenn Sie mich beleidigen – mein Bruder wird Sie tödten!«

Artois lachte.

»Dein Bruder? er ist vernünftiger als Du. Er weiß, was ich für ihn thue, wenn Du meine Freundin wirst.«

Leonore hatte sich abermals losgerissen, aber im Ringen war ihr das Billet Condé's aus dem Busen gefallen. Artois nahm es auf; sie konnte ihn nicht daran verhindern, denn ihre Sinne wankten so, daß sie sich an der Mauer stützen mußte, um sich aufrecht zu erhalten.

Die letzten Worte des Grafen hatten ihr einen Dolch in's Herz gestoßen.

Artois las das Billet. Dann lachte er laut.

»Jetzt begreife ich Deine Sprödigkeit! Condé, dieser abscheuliche Spitzbube hat mir Dein Herz gestohlen. Aber Du thust sehr unklug, ihm zu glauben. Das ist nichts als ein Complott gegen mich. Als ich Dich zuerst gesehen hatte, Leonore, und mit ihm heimfuhr, war ich so unvorsichtig, meine Bewunderung für Dich zu lebhaft auszusprechen. Aber, was willst Du? Wenn das Herz voll, fließt der Mund über. Ich wette, in demselben Augenblicke auch hat dieser Schelm von Condé beschlossen, Dich mir zu entführen. Liebst Du ihn? Seid ihr deutschen Mädchen so leicht erobert? o pfui!«

Leonorens Fassung war am Ende. Entrüstet rief sie aus:

»Ich glaube, Sie predigen Moral – in diesem Augenblicke – nein, Monseigneur, die deutschen Mädchen sind nicht leicht erobert, und am wenigsten von einem eiteln Thoren, der sich für unwiderstehlich hält, einem Menschen ohne Loyalität und Sitte, einem Unverschämten, wie Sie!«

»Verfluchter Condé – das ist Dein Werk!!« Artois knirschte mit den Zähnen und setzte hinzu: »Du bist eine Thörin, ich schwöre es Dir – Condé betrügt Dich, Du wirfst Dich weg, indem Du das Werkzeug seiner Rache wirst – er kann immer noch nicht vergessen, was ich seiner Frau auf dem Maskenballe zu Versailles gethan, und seitdem –«

»Er ist verheirathet?« schrie Leonore auf und Todtenblässe überzog ihr Gesicht.

Dieser Ausruf ermuthigte Artois wieder.

»Das wußtest Du nicht? ja, thörichtes Sind, er ist freilich verheirathet, mit Niemand Geringerem, als meiner sehr schönen Cousine, Louise Marie Therese Bathilde von Orleans – er hat Dir am Ende gar versprochen, Dich zu heirathen? Ha, ha, ha – nun siehst Du, daß er ein Lügner ist!« –

Leonore hatte ihr bleiches Gesicht in ihren Händen geborgen. Artois ergriff noch einmal ihren Arm.

»Fort« – sagte sie – »versperren Sie mir nicht länger den Weg – oder ich werde Ihnen etwas sagen, das mir ihn frei macht!«

»Und was wirst Du mir sagen, zürnende Diane?,

Leonore war auf's Aeußerste gebracht. Sie fühlte eine Kraft des Zornes in sich, als ob sie den dreisten Roué mit dem impertinenten Lächeln erdrosseln könne.

»Daß Du und Deine Landsleute mich in einen Abgrund von Schande haben blicken lassen, von dem mein Herz nichts ahnte, daß ich jetzt den Sinn von Reden verstehe, die ich nicht faßte, die ich für Phrasen lächerlicher Freiheits-Schwindler hielt; ja, mir ist, als sehe ich sie jetzt, die weltentiefe Kluft von Elend, Schmach und Frevel, die Du und Deinesgleichen unter dem Boden der Menschheit ausgehöhlt haben sollen! Ich begreife jetzt euere Revolution. Sie will jene Kluft füllen und nimmt dazu euere Rechte, euere Anmaßungen, euere vom Volke erpreßten Schätze, euere Leiber selbst, euere Köpfe! Wehe über euch, Frevler! wie viel Köpfe, wie viel Jahre voll blutiger Arbeit wird sie bedürfen, den unermeßlichen Abgrund zu füllen, die Dämonen da unten zu ersticken, deren Erzeuger ihr waret! Und Du stehst lachend da in Deinem Uebermuthe, Du Thor und ahnst nicht, daß an Dir und Deinen Brüdern die Sünde der Jahrhunderte gerächt wird, daß über Dir der Fluch der Menschheit schwebt, daß er Dich verfolgen und umtreiben wird durch alle Welt, das rastlos wandernde Gespenst der Ruchlosigkeit Deiner im Grabe verfluchten Ahnen!«

Die Worte sprudelten über Leonorens Lippen, ohne daß sie selbst fast wußte, was sie sagte – ihr Zorn wirkte wie eine Eingebung von oben. Sie schritt stolz, marmorbleich, wie eine Erscheinung an Artois vorüber, riß die Thür auf, flog einige verfallene Stiegen hinab und verließ, ohne irgend Jemanden von dem Gefolge des Grafen zu begegnen, die Ruine. Ein Fußsteig führte hinter der Burg in den Wald, der die Berghöhen bedeckte. Ihm folgte sie und war nach wenig Augenblicken im Gebüsch verschwunden.


VIII.

Sehen wir uns jetzt, während so Leonore verzweifelt ihr Heil in der Flucht sucht, nach ihrem Bruder um.

Nachdem Joseph, wie wir oben erzählt haben, die ganze Wahrheit über die Lage seiner Familie erfahren, hatte er sich ein heiliges Gelöbniß auferlegt, das Haus seiner Väter wiederzuerwerben, koste es, was es wolle. Wie oft waren nicht aus der fernen Fremde, weit über's Meer, die Blicke seines Geistes zurückgekehrt zu diesem väterlichen Dach mit seinen Wappen und kleinen Thürmen und Giebeln, an die sich alles knüpfte, was von Stolz in seiner Seele war. Und in der Erinnerung an diesen Adelsitz, den die Phantasie ihm weit größer, stattlicher, imponirender malte, als er sich in den Blicken eines Fremden je gespiegelt haben würde, lag Trost, Erquickung, Erhebung für Joseph in den demüthigendsten und drückendsten Lagen seiner abenteuerlichen Fahrt; ihn zu verlieren, das schien ihm ein Schlag, als wenn der Herold sein Wappen zerbreche, als wenn sein Name begraben werde und ausgetilgt für alle Zeit, als wenn er nun nichts mehr sei, als der heimatlose Adoptivsohn eines – Kaufmanns!

Er hatte für's Erste das Herrenhaus von Windschrot gemiethet, und, da er mit Gold reichlich versehen war, so wurde es ihm leicht, jede Ahnung der Wahrheit von seiner jungen Frau entfernt zu halten und ihrer ferneren Bewirthung einen Anstrich von angemessenem Wohlstand zu geben.

Auf dem Feste der Emigranten war Frau von Breteuil es gewesen, welche ihn sondirt hatte, um seine Gesinnung in Beziehung auf das »Glück« kennen zu lernen, welches Leonore in den Augen Karl's von Artois gemacht hatte. Was man durch das Geplauder des Kastelans von Schönbornslust über die Verhältnisse der Windschrot erfahren, war hinreichend, Artois den Entschluß fassen zu lassen, nicht allein Condé zum Trotz Leonorens Eroberung zu machen, sondern auch sie als erklärte Freundin bei sich zu behalten.

Die Andeutungen der Frau von Breteuil in diesem Sinne empörten Joseph im ersten Augenblicke. Aber er verbarg seine Entrüstung und fing an zu rechnen und endlich warf der ungemessene Ehrgeiz, der leidenschaftliche Stolz seines Herzens das entscheidende Gewicht in die Wagschale. Artois' Vermittlung – das war der kürzeste, der beste, ja der einzige Weg, auf welchem seine alte angestammte Baronie wiedererlangt werden konnte; und hing er nicht an ihr, daß er eher seine Seele dem Bösen, als sie dahingegeben hätte? Eher sterben, sagte er und fluchte dabei, um seine brutale Energie zu erhitzen – als wie ein Habenichts schamroth mit einer geldstolzen Frau zu den geldstolzeren holländischen Muhmen und Oheimen zurückzukehren!

Er traf ein Abkommen mit seinem Gewissen. Er willigte in nichts, als daß seine Schwester einige Zeit bei Frau von Breteuil zum Besuche zurückbleibe. Für diese Gefälligkeit wollte Frau von Breteuil den Grafen von Artois zu einem dringenden Schritte bei dem Kurfürsten veranlassen, auf daß dieser die Baronie Windschrot ihrem ehemaligen Erben gegen Erstattung der Kaufsumme wieder ausliefern lasse. In der That schrieb auch noch am Morgen nach dem Feste, während Leonore noch schlief, Artois einen Brief in diesem Sinne an den Herrn von Dominique, den alles vermögenden Minister des Kurfürsten Clemens Wenzeslaus zu Trier.

Joseph hatte allein, zu Fuße, den Heimweg von dem Schlosse der Emigrirten nach Windschrot zurückgelegt. Was er dachte und empfand während seiner nächtlichen Wanderung, ist schwer zu sagen. Aber gewiß ist, daß er die beiden folgenden Tage in höchst düsterer und ungeselliger Laune war. Er ging unruhig umher, er blieb keine Viertelstunde an derselben Stelle und war so barsch, so schwarzgallig, daß er Christinen immer unheimlicher wurde und sie am Ende ihn schüchtern bat, er möge mit ihr heimkehren, da es ihr durchaus nicht in Windschrot gefalle.

»Gefällt es Dir nicht hier, Christine? ich bedauere es, aber ich kann Dir nicht helfen! Es ist unmöglich auf all' Deine einfältigen Capricen Rücksicht zu nehmen. Wir werden nach dem Tode Deiner Aeltern immer in Windschrot leben – darauf mach' Dich gefaßt!«

Während Joseph so zu seiner Christine sprach, und zwar in einem Tone, den die arme kleine Frau zum ersten Male in ihrem Leben von ihm hörte – es war gegen die Abendzeit des zweiten Tages nach dem Feste – öffnete sich die Thüre und ein Fremder trat in das Zimmer.

Der Mann war bejahrt, bleich und hager, hoch von Wuchs, aber durch das Alter bereits etwas gekrümmt. Sein Antlitz war tief durchfurcht, heftige Leidenschaften und Begierden, die furchtbar in diesen ursprünglich schönen Zügen gehaust haben mußten, hatten ihre Spuren darauf zurückgelassen. Zudem war das Gesicht entstellt durch einen abscheulichen grauen Stoppelbart, während das Haar lang und wirr um seinen Kopf hing. Seine Kleidung war abgerissen und von äußerster Dürftigkeit.

»Wer hat den Bettler hereingelassen? Fort mit Euch!« rief Joseph zornig.

»Sephchen – mein Söhnchen – kennst Du mich nicht mehr!« sagte der Fremde und wollte die Hand Joseph's ergreifen.

Dieser stand bleich, zitternd, wie an den Boden genagelt.

Der alte Baron Windschrot – denn Niemand anders als er war es – zeigte sich dadurch nicht aus der Fassung gebracht. Daß seine Angehörigen bei seinem Erscheinen Zeichen unangenehmer Ueberraschung verrathen, war ihm schon öfter in den legten Jahren seines rühmlichen Lebenslaufes vorgekommen. Er suchte dann immer durch desto größere Heiterkeit zu beweisen, daß er sich durch so etwas nicht beleidigt fühle, sondern daß er es in äußerster Menschenfreundlichkeit ganz übersehe und vergebe. Es war gewiß liebenswürdig von dem alten Manne, so viel Selbstverleugnung und Gutmüthigkeit den Schwächen und Unarten seiner Lieben gegenüber zu beweisen. Aber Joseph schien kein Gefühl dafür zu haben.

»Um Gottes willen – was wollt Ihr hier?«

»Was sollt ich wollen, Söhnchen? Dich wieder sehen, Dich meiner vollen Verzeihung versichern. Du hast Dich gewiß danach gesehnt, guter Junge! ich kann es mir denken! Ja, Joseph, mein Sohn, mein theurer Sohn, ich bringe Dir meinen vollen Segen!«

»Christine, entferne Dich« – sagte Joseph zu seiner Frau.

»Ist das Deine Frau, Joseph? ein allerliebstes Geschöpf – bleib, bleib, meine gute Tochter« – sagte der Alte und wollte ihre Hand küssen.

Christine war zu Tode erschrocken – sie hatte genug verstanden, um sich einer Ohnmacht nahe zu fühlen, und hatte nicht die Kraft, aufzustehen und das Zimmer zu verlassen.

Joseph trat zwischen sie und seinen Vater und sagte barsch:

»Laßt sie, Vater – Ihr erschreckt sie.«

»Nun, wenn sie schreckhaft ist, meinetwegen, aber morgen muß sie mir einen Kuß geben!«

Er ließ sich in einen Armsessel nieder, legte Hut und Stock auf den Tisch vor sich hin und plauderte weiter.

»Laß mir Essen und Trinken holen, Joseph. Ich komme direct aus dem Cachot – nun, was hast Du?«

Joseph stampfte auf den Boden – daß der Alte nun gar noch dieses vermaledeite französische Wort gebrauchte, welches auch Christine verstand, der es ein lautes Oh! des Entsetzens auspreßte. Es war um aus der Haut zu fahren!

»Dann, wenn ich mich gestärkt habe, will ich Dir danken für das, was Du an mir gethan, lieber Sohn. Der Kurfürst – dieses blutige Ungeheuer von einem Tyrannen – ließ mir sagen, als mir diesen Morgen die Freiheit angekündigt wurde: auf die Verwendung des Grafen Artois für Restitution der Domäne Windschrot an Dich könne er nicht eingehen; um aber dem Grafen von Artois seine Gefälligkeit zu beweisen und besonders auch aus Egards gegen Dich und die natürlichen Wünsche Deines kindlichen Herzens habe er in landesväterlicher Milde beschlossen, meine Untersuchungssache niederschlagen zu lassen und mir die Freiheit zu schenken! Da hab' ich mich denn auf die Strümpfe gemacht – et me voila, theurer Sohn! Du wirst entzückt sein über diese glückliche Abwickelung meiner verdrießlichen Proceßsache.«

Joseph antwortete nichts. Er war niedergeschmettert. Seine kleine Christine verstand denn doch Deutsch genug, um die ganze Situation zu durchschauen; und war es nicht, als ob der böse Feind den schrecklichen Papa antrieb, so viel französische Worte als möglich zu gebrauchen, wie um ihr das Verständniß erst recht leicht zu machen!

»Aber wo ist Leonore, Joseph?« fragte jetzt der alte Herr.

Joseph antwortete nicht.

»Wo ist meine Tochter?« wiederholte Baron Windschrot sehr laut.

Christine, der Leonorens lange Abwesenheit längst räthselhaft geworden, sah ihren Gatten mit dem Ausdruck größter Spannung an.

»Sie ist in Schönbornslust, wo sie bei einer Dame zum Besuch geblieben,« gab Joseph mürrisch zur Antwort.

»In Schönbornslust – in diesem Emigrantennest? in der Herberge der Frivolität, dem Refugium der Tyrannei? Weißt Du, daß die schlangenhaarige Verruchtheit dieser Capets und wie sie heißen mögen, mit ihren Haupte an die Wolken stößt?« rief der alte Jakobiner aus. »Das ist kein Aufenthalt für ein so schönes Geschöpf! Joseph, was soll Leonore in der Höhle des Löwen? gib mir Rechenschaft. Weshalb verwendet dieser Artois sich für Dich und meine Freiheit? He? Antwort!«

Joseph war immer blässer geworden: er konnte sich nicht länger bezähmen – weshalb auch – er war ja ganz, ganz entlarvt, umsonst hätte er versucht, seiner Frau noch irgend etwas zu verhehlen. So warf er jede Rücksicht ab.

»Vater,« schrie er wie im furchtbarsten Zorne – »Ihr verlangt Rechenschaft, von mir Rechenschaft, den Ihr elend gemacht habt? – Ihr fragt nach Eurer Tochter, die das Opfer Eurer ungeheuern –«

Der Alte erhob sich, begrub beide Hände in den Seitentaschen seiner Beinkleider, intonirte mit lauter Stimme den unsterblichen Gesang:

» Allons enfans de la patrie
Le jour de gloire est arrivé –

und verließ das Zimmer, um sich in Küche und Vorrathskammer jetzt selbst nach einer Erquickung umzusehen. Er fand auch bald, was einen hungrigen Wanderer befriedigen konnte. Ueber den Anrichtetisch in der Küche gebeugt, auf dem ein kalter Rehziemer alle seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, schien er Sorge und Müdigkeit vergessen zu haben. Plötzlich hörte er hinter sich einen lauten Schrei ausstoßen. Er wandte sich um – Gertrude stand da, zu Tode erschrocken über seinen Anblick, aber gerötheten Gesichts, bestäubt wie von langer Wanderung, helle Schweißtropfen auf der Stirn.

»Herr im Himmel – was ist das – Sie, gnädiger Herr – Sie hier?«

»Nun ja – ist das solch ein Wunder, daß ich in meinem eigenen Hause bin?«

Gertrude athmete tief auf.

»Verzeihen Sie, ich war nur so überrascht – ich konnte es nicht denken – ich bin so außer mir – stellen Sie sich vor, das Fräulein ist fort – ganz fort – Niemand weiß, wo sie ist –«

»Leonore – meine Tochter?«

»Als sie so lange ausblieb, dachte ich, sie könne doch nicht ohne mich und ohne eine Hülfe sein, – darum machte ich mich auf nach Schönbornslust und nun denken Sie sich meinen Schreck – als ich ankomme, höre ich, sie ist fort, seit gestern Nachmittag – auf einer Spazierfahrt hat sie die Emigranten verlassen und jeder glaubt, sie sei nach Hause zurückgekehrt – die sind alle ganz unbesorgt um sie – aber ich meinte, ich sollte in den Boden sinken, als ich das hörte!«

Erschrocken sprang der alte Baron in die Höhe und eilte zu Joseph zurück, um ihm die beunruhigende Nachricht mitzutheilen.

»Da sieh, Junge, was Du angerichtet hast,« platzte er heraus – »das arme Geschöpf hat sich am Ende verirrt, oder aus Verzweiflung in die Mosel gestürzt! Gott steh Dir bei, wenn mein Argwohn sich bestätigt, wenn Du eine Intrigue eingefädelt hast, welche das Mädchen in den Tod trieb. Ich würde Dich erdrosseln, Bube, mit meinen eigenen alten Händen!«

Wir müssen es zur Ehre Joseph's bekennen, daß er über seine Schlechtigkeit in diesem Augenblicke die tiefste Reue empfand. Eine Angst bemächtigte sich seiner, wie er in seinem Leben nicht gefühlt.

»Vater, Vater!« rief er, an allen Gliedern zitternd – »sprecht nicht so furchtbare Worte aus – ich läge ja zehntausendmal lieber selbst auf dem Grunde des Stromes!«

Er stürzte hinaus, in's Dorf, er sandte Boten aus, zuerst einen in das Stift der Tante, dann nach allen Richtungen – besonders dem ersten aber sandte er seine Hoffnungen nach – Leonore mußte sich zu ihrer Tante begeben haben – das war ja das Natürlichste!

Und doch brachte er eine fürchterliche Nacht, eine Nacht voll Sorge, voll Gewissensqual, voll Verzweiflung zu!

Endlich dämmerte der Morgen – aber er brachte keine Spur der Verschwundenen. Christine war in Thränen aufgelöst. Der Alte fluchte. Joseph ging umher wie ein Gespenst. Der Mittag kam, der Abend. Die Boten kehrten heim, einer nach dem andern – jedem folgenden schlug das Herz Joseph's in stürmischer Erwartung entgegen – aber keiner brachte Nachricht. Niemand hatte Leonoren gesehen – der letzte Bote kam – auch bei der Tante war sie nicht!

»Du hast sie ermordet, Du trägst die Schuld an ihrem Tode!« schrie der Alte und erhob drohend die Arme.

Joseph stieß einen Schrei aus und stürmte fort, trotz Dunkelheit und Nacht. Er wollte zu Artois.


IX.

Wo war Leonore?

Sie war nach ihrer Flucht lange fortgewandert, ohne zu ermüden. Sie folgte dem Fußpfade, den sie eingeschlagen und der durch den Wald in einer Richtung führte, in welcher ihr Windschrot zu liegen schien. Zorn und Entrüstung trugen sie und ihr Fuß hob sich elastisch und federkräftig zu raschen Schritten. So war sie gewiß eine gute Stunde weit gekommen. Da fühlte sie, daß ihre Kräfte sie plötzlich und vollständig verließen. Und mit der Abspannung bemächtigte sich eine grauenhafte Trostlosigkeit ihrer Seele. Auf einem gefällten Baumstamme ausruhend, blickte sie thränenlos, aber Verzweiflung im Herzen, auf das gelbe Moos zu ihren Füßen. Ihr Inneres war zerrissen, ihr Stolz zu Boden getreten, der reine Schmelz ihrer Jungfräulichkeit von der Sünde angehaucht – es stand kein Götterbild mehr im Tempel ihres Herzens, das nicht von seinem Throne gestürzt, das nicht als eitel Thon zu Staub und Scherben zerschmettert wäre!

Sie hatte nichts, nichts auf Erden mehr, das sie nicht verachten mußte!

Dieser Bruder! Und wie hatte sie ihn geliebt, was nicht für ihn gethan, geopfert, geduldet – welch' ein Mensch war er!

Diese Helden in der vollen Glorie, welche sie um ihre Häupter leuchten gesehen hatte – diese Söhne des heiligen Ludwig – sie hatten das gleißende Scharlachkleid abgeworfen – und standen nun da, jammervolle Wichte, zu erbärmlich, um nur mit Anstand den Fluch tragen zu können, den ein ganzes Volk ihnen nachschleuderte.

Und ihr Vater!

Und sie selbst! so adelstolz und doch – auf welchem Boden aufgewachsen! so hochfliegend in ihren Gedanken, und jetzt so gedemüthigt!

Es ging eine ganze Welt vor ihren Augen in Trümmer, die Welt ihres Herzens, die Welt ihrer Liebe. Leonore durchlebte eine furchtbare Stunde.

Der Tag neigte sich zu Ende. Es ward tiefe Dämmerung im Walde. Leonore sah auf und erschrak. Wohin sollte sie sich wenden? Ihr graute vor dem Heimkehren nach Windschrot. Sie wollte ihren Bruder nicht wiedersehen – nie, nimmer! Aber wo sollte sie die Nacht bleiben, um den Tag zu erwarten, an dem sie sich zu ihrer Tante flüchten wollte?

Ihr Seelenschmerz war zu groß, als daß er sich hätte durch Thränen erleichtern können; aber was er nicht vermochte, vollbrachte die mädchenhafte Angst, welche sich jetzt ihrer bemächtigte; sie begann zu weinen, stieß einen Hülfeschrei aus und versuchte dann mit dem Rest ihrer Kraft auf dem Fußsteige, den sie gekommen, weiter zu eilen.

Plötzlich blieb sie stehen. Sie war zu Tode erschrocken über ein lebendes Etwas, das in geringer Entfernung von ihr im dichten Unterholz stand und sich bald erhob, bald niederduckte – es kam auf sie zu – es sprang, es hüpfte – ein wunderliches Wesen, eine Alraungestalt – da stand es vor ihr.

»Heda, wer ist das?« rief es – Leonore erkannte in diesem Augenblick den wunderlichen Alten, den der Förster in seinem Dienste hatte.

Bertram pfiff, daß es durch die Waldung gellte; gleich darauf schlug in der Ferne ein Hund an.

»Gott steh uns bei,« sagte der seltsame Bursch; »Sie sind das, Fräulein? Sie? – Was hab' ich nicht schon erlebt im Walde: manches sonderbare Geschöpf, bei dem der Mensch sich kreuzigt und das er still gehen läßt: aber ich habe mich nie über solch einen stummen Waldgänger so verwundert, wie ich es jetzt thue.«

»Du hast wohl Recht,« antwortete sie, sich fassend; »ich habe mich verirrt im Walde. Zeig mir den Weg nach irgend einem Hause.«

»Das will ich thun, Fräulein. Meine Marderfallen sind in Ordnung. Wir haben nur fünf Minuten bis zu Haus.«

»Zu welchem Hause?«

»Zum Forsthause!«

»Dahin kann ich nicht mit Dir gehen –«

Leonore wurde unterbrochen. Ein schöner Wolfshund kam durch's Gebüsch gesprungen, sein Herr folgte bald darauf und Philibert stand vor ihr. Er sah sie so verwundert an, daß er kein Wort hervorbrachte.

»Verirrt, Herr,« sagte Bertram, »wir müssen sie im Forsthause einquartiren, aber sie will nicht, das Fräulein!«

»In der That – aber wenn Sie nicht wollen –« stotterte Philibert verwirrt.

»Geben Sie mir Ihren Arm – ich bin todtmüde,« sagte Leonore – »ich fühle, ich kann nicht anders, als Ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen.

»So lauf, lauf, Bertram, und sag meiner Mutter, welchen Gast wir ihr bringen,« befahl der Förster Bertram sprang davon und ließ Beide allein.

»Ihre Mutter ist bei Ihnen? welch' großes Glück ist das! Gehen wir!«

»Es ist in der That wunderbar, es ist mir wie ein Traum, daß ich Sie vor mir sehe,« sagte Philibert, als er Leonoren den Arm reichte – »ich war in diesem Augenblicke so lebhaft mit Ihnen beschäftigt – und wann wäre ich das nicht?« setzte er leiser hinzu. »Es war mir, als ob eine Gefahr Sie bedrohe. Ich wußte, daß Sie den Tag über nicht in Windschrot waren –«

»Wie sind Sie so genau über Das unterrichtet, was dort vorgeht?« fragte Leonore mit schmerzlichem Lächeln – »ich habe das vorgestern Morgen schon bei Ihrem Zusammentreffen mit meinem Bruder gesehen – und ich muß Ihnen danken!«

Beide schwiegen verlegen.

Nach wenigen Minuten war das alte Forsthaus erreicht, dessen Lichter hell durch das Dunkel schimmerten. An der Thür empfing sie Philibert's Mutter, eine freundliche, lebhafte Frau, im besten Alter, mit tausend Entschuldigungen für Alles, was ihr mangele, einem solchen Gaste Ehre zu erweisen. Für Leonore war sie ein großer Trost. Diese ergab sich nun gern in ihr Schicksal, das sie in die Wohnung des jungen Mannes geführt – ja, es lag ihr etwas Beruhigendes, Trostreiches darin, in Philibert's Nähe zu sein. Sie weigerte sich aber, sein Zimmer zu betreten, und ließ sich am flackernden Herdfeuer nieder, weil sie sah, daß hier der Mutter Aufenthalt; Philibert setzte sich ihr gegenüber. Er blickte schweigend bald auf sie, bald in die Flammen. Keine unbescheidene Frage kam über seine Lippen.

Es war ein ruhiges, stilles Bild: der kräftige junge Mann mit den edeln Zügen volle Intelligenz und Selbstbewußtsein, und das schöne Mädchen ihm gegenüber, über dessen marmorbleiche Wangen die Flamme einen rosigen Schein warf. Und doch, was ging nicht vor in den Seelen Beider! Philibert verrieth mit keinem Worte die stürmisch-freudige Bewegung seines Innern.

Leonore wußte dem Hausherrn unendlichen Dank für dieses schonende Betragen, das ihr so wohl that. Es war ihr, als ob seine Gegenwart den Schmerz und den Groll, der sich um ihre Seele geklammert, aufthaue und löse. Er schien ihr so groß, so rein, so edel im Vergleich mit den Männern, die sie in diesen Tagen umgeben – sie wußte es sich nicht zu erklären, aber es lag ein Zauber für sie in seinem Wesen, der ihr nach und nach alles Andere fern rückte, was nicht er war. Sie hatte ein unendlich wohlthuendes Gefühl von Sicherheit unter seinem Dache.

Leonore fand es unmöglich, etwas von dem Mahle zu genießen, welches die Mutter Philibert's geschäftig für sie improvisirt hatte. Sobald das Zimmerchen geordnet war, in welchem sie die Nacht zubringen sollte, zog sie sich dahin zurück. Ruhend, ermüdet, zwischen Traum und Wachen schwebend, hörte sie noch lange den eintönigen Gesang des Nachtwindes, der durch die Nadeln der Edeltanne pfiff, welche vor ihrem Fenster stand. Der Mondschein lag hell auf den Waldwipfeln draußen, und wenn sie halb geschlossenen Auges in die grüne Welt voll stummen Lebens blickte, war es ihr, als schaue sie immer tiefer und tiefer in eine neue, unentdeckte, vom Fuß des Menschen nie betretene Schöpfung hinein. Da waren hohe Berge und üppige, riesenhafte Pflanzen, Blumen, Bäume, kristallhelle Springbrunnen und schmelzende, schwermüthige Stimmen niegesehener Wundervögel, die sich auf dunkeln, himmelanstrebenden Palmenästen wiegten.

Eine verhaltene, ahnungvolle Stimmung, ein gedämpftes und mattes Licht, eine Spannung und Erwartung lag auf der jungfräulichen Schöpfung – da flatterte plötzlich ein Rauschen durch die Blätter von Wipfel zu Wipfel, die großen Daturaglocken und Purpurkelche läuteten, die Vögel stießen laute Schreie aus, das Licht war strahlender und glühender – eine helle Gestalt schritt den Abhang eines Berges hinunter und bog die Zweige der Gebüsche vor sich auseinander und kam immer näher – ein »stummer Waldgänger« – wie Bertram am Abende gesagt. Er kam auf das Forsthaus zugeschritten, er nahm bekannte Züge an – es waren die Züge Philiberts – dann verwischten sie sich wieder – es war ein fremdes und dann wieder wie bekanntes Wesen, das herrschte in diesen Regionen und dem die zauberhafte Schöpfung wie einem König huldigte.

Als Leonore am andern Tage erwachte und in die morgensonnenhelle Waldlandschaft vor ihrem Fenster blickte, über der die Erinnerung ihrer Traumgesichte schwebte, fühlte sie sich um einen tiefen und unauslöschlichen Eindruck reicher. Sie fühlte aus der Natur ein Etwas sie anwehen, welches sie früher nie empfunden. Eine Sehnsucht stieg in ihr empor nach einer innern Harmonie mit dem stillen ruhedurchtränkten Leben und Weben der Natur. Sie hätte die nächste schöne Waldblume um ihre träumerische Bewußtlosigkeit beneiden mögen. Ja diese völlige Bewußtlosigkeit, die nicht dachte, nicht sich erinnerte, nicht grämte, lockte sie. – Sie fühlte, es lag in dieser Natur eine Poesie, welche durch keine zerstörte Illusionen zernichtet werden könne. Ihre Poesie war bisher nur die der Geschichte gewesen, die Poesie des Glanzes und der Macht, welche so oft nur die Poesie des Theaters ist, und welche Leonoren in unvorsichtiger Schwärmerei an den Rand eines Abgrundes gelockt hatte. Dieser Morgen aber war der Wendepunkt ihres Lebens!

Als sie ihr Zimmer verlassen und heruntergegangen war, empfingen ihre Wirthe sie mit derselben schonenden, von aller Neugier fernen Herzlichkeit, wie am Abend zuvor. Philibert besonders schien es stillschweigend als einen ganz natürlichen Umstand zu betrachten, daß sie in seinem Hause sei. Leonore beruhigte sich von Stunde zu Stunde mehr. Es war auffallend, wie wenig endlich ihr Herz sich noch sträubte, ihm Alles anzuvertrauen, was sie ihm nothgedrungen anvertrauen mußte. Und wie hatte sie gestern noch vor diesem Augenblicke gezittert!

Etwas kam hinzu, jenes innere so natürliche Sträuben zu besiegen. Leonore fühlte, nachdem sie ein wenig von dem Frühstück genossen, welches Philibert's Mutter ihr geschäftig neben der Herdflamme auftrug, sich in hohem Grade körperlich angegriffen. Sie war viel zu sehr wie an allen Gliedern gelähmt, und wie innerlich gebrochen, um nur noch die Kraft zur Unwahrheit, zum Erfinden falscher Thatsachen als Erklärungen ihrer Flucht zu haben.

Sie wartete ab, daß das schlichte alte Mütterchen, für welches ihre Mittheilungen nicht waren, sich entfernte und dann sagte sie Philibert, daß sie nicht heimkehren könne; daß ihr Bruder sich gegen sie in einer Weise betragen habe, die es ihr unmöglich mache und daß auch ihr Bruder wünschen werde, nie wieder ihren Augen zu begegnen. Sie fing an bitterlich zu weinen bei diesen Worten. Sie setzte nur noch hinzu, daß ihre einzige Zuflucht das Kloster ihrer Tante sei, und daß sie nicht anders könne, als von ihm, Philibert, begehren, sie dorthin zu bringen, wo sie eine traurige Verirrung ihres Herzens abbüßen wolle.

Philibert hörte sie stillschweigend an und brachte kein Wort über seine Lippen, obwohl er ein paar Mal zu reden versuchte. Er ging, um Bertram nach dem nächsten Orte zu senden und von dort einen Wagen zu schaffen. Als er zurückkehrte, war sie in den Garten gegangen und hatte sich auf die Steinbank einer Geisblattlaube gesetzt, um allein zu sein, denn eine vollständige Erschöpfung fing an, sich bei ihr geltend zu machen.

Philibert machte sich in ihrer Nähe zu schaffen und wandte kein Auge von ihr. Tausend Dinge lagen ihm auf dem Herzen, die er ihr hätte sagen mögen – aber er wagte es nicht, sie anzureden gegen die Gedanken, welche in diesem Augenblicke ihre schmerzerfüllte Seele bewegen mußten, kam ihm Alles so klein und nichtig vor, was er ihr sagen konnte – ja frivol und gefühllos sogar! Und doch lag sein ganzes Herz in diesen Dingen.

Leonore fühlte sich immer mehr unwohl. Sie zog sich zurück und war bald gezwungen, sich niederzulegen. Als der im nächsten Flecken bestellte Wagen gegen Mittag ankam, war es ihr unmöglich, sich zu erheben und abzureisen. Auch litt Philibert's Mutter, die sich voll Sorgfalt um sie bewegte, dies durchaus nicht. Leonore war in einem Zustande äußerster Nervenerschöpfung, der in ein Nervenfieber überzugehen drohte.

Bertram mußte mit dem Wagen zurück, um einen Arzt aufzutreiben. Dann sollte er auch Gertruden mit den Sachen ihrer Herrin aus Windschrot holen. Er machte sich eiligst wieder auf den Weg, aber es war schon Dämmerung geworden, als er sich dem Gute näherte. Ungefähr einen Büchsenschuß weit vom Hofthore desselben kam ihm Joseph entgegengestürzt, mit allen Zeichen furchtbarster Aufregung. Er wollte eben zu Artois, seine Schwester von ihm zurückzufordern. Bertram hielt ihn zurück und richtete seinen Auftrag aus.

Joseph hörte ihn an, wie ein Verbrecher ein Begnadigungsdecret anhören mag. Stumm, aber in zitternder Hast zog er den seltsamen kleinen Waldmenschen in's Haus, rief seinen Vater herbei, und während der Jagdgehülfe seine Botschaft wiederholte, ließ er selbst es sich nicht nehmen, Leonorens Sachen einzupacken und ihr obendrein von Christinens Eigenthum zu senden, was er irgend willkommen glaubte.

Als Bertram und Gertrude endlich abgefertigt und auf dem Wege zum Forsthause waren, wandte Joseph sich zu Christinen und sagte mit einem Gesicht, auf dem eine stille Resignation ausgeprägt lag:

»Gott sei Dank, daß sie gefunden ist! Ich hätte mir sonst eine Kugel durch den Kopf gejagt! – Jetzt laß einpacken, Frau – noch diese Nacht. Morgen in aller Frühe reisen wir!«

In der That saß Joseph schon am Vormittage des folgenden Tages neben seiner jungen Frau, die noch immer sehr rothgeweinte Augen hatte, im Reisewagen. Einen Versuch, Leonoren wiederzusehen, hatte er nicht gemacht. Auch hat man niemals eine Silbe wieder von ihm gehört!

Auch der alte Baron Windschrot machte sich früh am andern Tage auf die Wanderung mit jugendlich raschem Schritte. Er begab sich in die Wälder zum Forsthause hinauf, und sein Erscheinen bewegte Leonoren so freudig, daß sich von diesem Augenblicke an die Wendung ihres Leidens zur Besserung datirte.

Philibert's Mutter aber widersetzte sich dennoch mit großem Eifer Leonorens Abreise zu ihrer Tante. Es war, als habe die freundliche Matrone, die ihren Sohn wie ihren Augapfel liebte, durchschaut, was in dem Herzen desselben vorging, und wache besorgt über seinem Glücke. Und dies Durchschauen war freilich nicht schwer – sein verändertes Wesen, seine Unruhe, seine Schwermuth sprachen deutlich genug!

»Philibert,« sagte sie eines Morgens, als sie allein mit ihm war und indem sie seine Hand ergriff, »weshalb bist Du so still und verzagt? Mein kecker Junge ist ja sonst nicht blöde! Soll ich mir denn durchaus ein Herz fassen und für Dich reden?«

Philibert erröthete.

»Nein, mein gutes Mütterchen – wenn Ihr mir Euern Segen dazu gebt –«

»Den hast Du, Kind –«

»Dann will ich's selbst versuchen, ob ich's herausbringe!«

Es war zwei Tage nachher. Leonore ging schon wieder an die Luft und wandelte im Garten auf und ab. Sie war sehr blaß und ihre Blicke glitten träumerisch über die Blumenkelche, in denen die Thautropfen des Morgens funkelten. Sie dachte mit tiefem Zagen an die Abreise – aus dem sichern Friedensbann, der sie hier in der Waldeinsamkeit umgab, sich loszureißen, um in die Welt zurückzukehren, das schien ihr das schwerste Opfer, welches sie dem Leben und einem unerbittlichen Schicksale bringen sollte.

Sie dachte auch an Philibert. Während des Aufenthaltes in seinem Hause hatte sie sich immer mehr dem Eindruck hingegeben, den seine Erscheinung auf sie machte. Sie glaubte tiefe Blicke in sein Herz geworfen zu haben. Hinter seiner Bescheidenheit verbarg sich ein tiefer Verstand, ein warmes, sinniges Gemüth, und vor Allem rührte Leonore Philibert's liebevolles Betragen gegen seine Mutter. Nach und nach verkettete sich seine Erscheinung auf's Engste mit all' jener Poesie, welche ihr aus diesem stillen Waldleben entgegenquoll und deren Zauber sie jetzt mit einer früher ungeahnten Gewalt fesselte.

In dieser Stimmung war Leonore, als sie plötzlich Philibert vor sich stehen sah. Verlegen bot er ihr den Morgengruß.

»Ich muß Ihr kleines Zauberreich zu einer Zeit verlassen, wo es gerade in seiner schönsten Blüthe steht,« sagte sie. »Alle Ihre Blumen haben um die Wette ihre schönsten Kelche aufgeschlagen.«

»Leonore, Sie sind sehr grausam gegen mich,« nahm Philibert das Wort »Ich hatte mich so getrost in mein Schicksal gefunden, ich hatte mich angeschickt, hier das Leben eines Weisen zu führen, der von der Welt nichts mehr erwartet und die Entsagung des Einsiedlers als die echte Philosophie des Herzens betrachtet, das glücklich sein will. Aber ach, es war der Traum eines Knaben, der keine inneren Erfahrungen hat: eine männliche Leidenschaft hat mich jetzt gelehrt, daß das Glück des Menschen nicht anders sein kann als das Glück desjenigen, nach dessen Bilde er erschaffen ist. Er will eine Welt besitzen, eine Welt für sich – eine Unendlichkeit für sich.«

»Das ist viel, ungeheuer viel verlangt –« sagte Leonore.

»Aber nicht zu viel, nichts Unerreichbares!«

»Und wie wollen Sie so etwas auf Erden zu erreichen hoffen?«

»Ich darf es freilich nicht zu erreichen hoffen – ich wag' es nicht zu hoffen – aber –«

»Aber –«

»Sie hätten mir nicht den Blick in diese Unendlichkeit öffnen sollen, um ihn rasch wieder zu verhüllen.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Nicht?« Er sah sie mit einem tiefen, innigen Blicke an und sagte weich: »Geben Sie mir Ihre Hand – ich wage sonst nicht zu reden.«

Sie reichte ihm die Hand, zitternd, erbleichend, aber sie bezwang sich und erwiederte seinen Blick offen und fest.

»Diese Welt für mich, eine Welt voll unergründlichen Reichthums, voll ewiger Gedanken, voll der Unendlichkeit, in deren Anschauen ich das Glück der Gottheit hätte, sind Sie Leonore. Bleiben Sie bei mir, Leonore!«

Leonore schlug die Augen zu Boden, aber sie schien nicht überrascht, sie entzog ihm ihre Hand nicht. Er kniete vor ihr. Sie legte ihre andere Hand auf seine Schulter und sagte leise:

»Lassen Sie mich allein. Ich muß eine Stunde allein sein, bevor ich das wichtigste Wort meines Lebens ausspreche!«

Er küßte ihre Hand, eine heiße Thräne fiel darauf; dann erhob er sich und ging.

* * *

Die Stunde war verflossen. Philibert betrat den Garten wieder. Leonore war nicht da. Als er forschend sich umschaute, sah er sie am Arme ihres Vaters den Weg daherkommen, der von Windschrot, durch den Wald zum Forsthause heraufführte. Der alte Baron hatte es sich zu nutze gemacht, daß sein Sohn die Behausung seiner Ahnen für die nächste Zeit in Miethe genommen: er wohnte in Windschrot und kam täglich um eine bestimmte Stunde Leonoren zu besuchen. Diese war ihm jetzt entgegengegangen, er eilte rasch mit ihr heran und schon von Weitem rief er mit einer so fröhlich lauten Stimme, als ob er alle Vögel des Waldes von ihren Zweigen aufschrecken wollte:

»Sie sind ja ein ganz excellenter Mensch, Sie, Gott segne Sie, Wolfskron, ich willige mit allen Leibeskräften ein, ich gebe Euch meinen Segen zehntausendmal, meinen besten väterlichen Segen!«

Nach diesen Worten umarmte er Philibert mit einer merkwürdigen Inbrunst und versicherte, er sei, so lange er denken könne, nicht so fröhlich gewesen, und jetzt solle ein Leben beginnen, wie bei den Engeln im Himmel!

Leonore stand blutroth vor Scham und Verlegenheit hinter dem alten Baron, während dieser so stürmisch seine rührende Freude an den Tag legte, einmal wieder in seiner vollen Würde anerkannt zu werden und als Vater fungiren zu können!

»Ich habe den Vater hergebracht, um für mich zu antworten, Philibert,« sagte sie. »Ich hoffe, dafür erlauben Sie ihm, immer bei uns zu bleiben – nicht wahr?«

»Ja, bei uns, Leonore,« versetzte Philibert und schloß sie in seine Arme – »bei uns; welch' süßes Wort!«



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