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Als es sieben Uhr vom Turm der alten Krönungskathedrale schlug, stand ich in meiner Verkleidung unten im Flur des Hauses, in dessen zweitem Stock ich wohnte. Mit Herzklopfen wartete ich und folgte dem Rasseln der heranrollenden und vorüberrollenden Wagen. Meine Spannung wuchs mit den schwindenden Minuten. Endlich machte mich das plötzliche Halten eines dieser Wagen zusammenfahren. Ich riß die Haustüre auf. Ein verschlossener Reisewagen hielt vor der Treppe, mit zwei Extrapostpferden bespannt; von dem Bedientensitz stieg ein Mann in einem Mantel wie der meinige.

»Steigen Sie rasch auf, Herr Bartholdi,« sagte er, nach meinem Handkoffer greifend, um ihn unter dem Sitze unterzubringen, »nur rasch!«

»Wie, du bist es, Baptiste?« fragte ich, verwundert einen der Bedienten des Herrn Mounier erkennend – ich begriff nicht, wie er der Begleiter der fremden Dame aus Nanzig sein könne.

»Nun freilich!« versetzte er, »hier haben Sie die Reisetasche mit dem Gelde – nur hinauf, nur hinauf!« fügte er, mir eine schwere lederne Kuriertasche in die Hand schiebend und mich zugleich auf den Sitz befördernd, hinzu.

»Allez Postillon!« rief er dann aus – die Pferde zogen an, und der Wagen rollte davon.

»Wie, du bleibst zurück, Baptiste?« wollte ich sagen – aber das Rasseln übertönte meine Stimme und Baptiste entschwand meinen Augen.

Es war ja auch natürlich, daß Baptiste zurückblieb. Ihn ging ja die Reise nichts an – der kluge Onkel Peter hatte ihn wohl nur abgeschickt, um den Wagen von der Wohnung der Dame bis zu der meinigen nicht ohne Bedienten zu lassen ... freilich, ich sah im Grunde nicht ein, weshalb er mich nicht lieber zu der Wohnung der Dame beschieden hatte, um da einzusteigen ... vielleicht war sie sehr weit und er hatte mir den Weg ersparen wollen; und was kümmerte es mich auch, da ich mich in meinem weißen Mantel und auf meinem Bedientensitz, der gar bequem und mit einem kleinen Verdeck versehen war, so wohl untergebracht sah und nicht die geringste Sorge, aufgehalten zu werden, empfand!

Der Wagen rollte fort, durch die Straßen von Rheims, durch die Vorstädte, in die offene Landschaft hinein... aber seltsam, sofern ich recht orientiert war, hatte der Postillon nicht die Richtung eingeschlagen, welche ich mir vorstellte, daß der Wagen nehmen müsse, um nach Nanzig zu kommen; unsere Chaussee wandte sich mehr südwärts. Aber es beunruhigte mich nicht, vielleicht war die Chaussee über Chalons nach dem Osten ebenso wie die Eisenbahn von Militärtransporten und Heerzügen eingenommen, und wir waren gezwungen, einen Umweg zu machen.

Der Abend dämmerte allmählich herauf; es war volle Dämmerung, als wir vor der ersten Poststation hielten, wo die Pferde gewechselt wurden.

Ich stieg von meinem Hochsitze, um den Postillon abzulohnen und im Bureau für die frischen Pferde zu zahlen. Während der Postbeamte den Betrag berechnete und eintrug, ging ich, mich der Dame im Innern des Wagens vorzustellen, ihr zu danken und mich nach etwaigen Wünschen zu erkundigen. Der Wagen war verschlossen; da ich aber nicht zögern durfte, meiner Reisegefährtin für ihre außerordentliche Güte zu danken, so klopfte ich an das aufgezogene Fenster.

Es wurde herabgelassen. Ich sah im Innern zwei weibliche Gestalten sitzen. Die eine stieß einen leisen Schrei aus, als ich mein Gesicht über den Schlag beugte – während die andere beide Hände erhob und zusammenfuhr, wie bei einem plötzlichen Schrecken.

Der Schrei – dies: »Mon Dieu! Vous? C'est-vous?« traf auch mich wie ein elektrischer Schlag.

Es war die Stimme Henriettens, die das ausrief – und so konnte ich nur im Echo antworten:

C'est-vous? Henriette?!

»Wer anders!« sagte sie, »aber um aller Heiligen willen – Sie – wie kommen Sie in diesem Kostüme ...?«

»C'est pour n'y pas croire,« rief das Henriette begleitende Mädchen, ihre Kammerjungfer, dazwischen, indem sie die Hände zusammenschlug.

»Mein Gott,« sagte ich, tief Atem schöpfend, »ich bin eben auf der Flucht – man will die Deutschen nicht aus Rheims lassen – auf meines Oheims Rat habe ich diese Verkleidung gewählt – im Wagen einer Dame aus Nanzig, der mich abholen würde, solle ich entkommen – eben will ich dieser fremden Dame danken – und ich sehe Sie – Sie, Henriette!«

Henriette war so überrascht, daß sie gar nicht antworten konnte – sie zitterte am ganzen Körper.

»Aber Baptiste,« fiel das Kammermädchen ein, »stieg ja mit uns ein – hat er Ihnen denn nichts gesagt ... wo ist er?«

»Er hat mir nichts gesagt, er hat mich nur rasch statt seiner aufsteigen lassen – er selbst ist zurückgeblieben.«

Der Postbeamte kam, mir sein Papier zu überreichen – ich zahlte, mit zitternder Hand in meine Reisetasche voll Fünf- oder Zwanzigfrankenstücke greifend.

Henriette gewann währenddessen ihre Fassung wieder.

»Und uns sagte Baptiste nur, er werde halten und einen Freund mit aufsteigen lassen, der bis zur nächsten Station mitzufahren wünsche! – Es ist das Wunderbarste, was ich je erlebt habe!« sagte sie.

»Und für mich gewiß nicht minder,« rief ich aus. »Aber auch das Glücklichste! Und Sie, Henriette, Sie zürnen mir nicht, daß ich nicht Baptiste bin? Sie weigern sich nicht, mich weiter so unter Ihre Flügel zu nehmen und über die Grenze zu bringen?«

»Nein, nein,« flüsterte sie kaum hörbar; »steigen Sie ein!«

»Noch will ich es nicht – es könnte hier auffallen ...«

»Sie sollen die Nacht nicht draußen zubringen!«

»Lassen Sie uns erst diesen Ort verlassen haben – dann machen Sie mich glücklich durch diese Erlaubnis! Aber was soll ich dem Postillion sagen – wohin geht unsere Reise?« »Nun, nach Genf, zu meiner Tante.«

»Bis Troyes mit der Post,« fiel das Kammermädchen ein; »dort, meinte Herr Mounier, werden die Eisenbahnen wieder zu benützen sein.«

»Wohl denn, also auf Troyes zu,« sagte ich dem Postillion, der die frischen Pferde einspannte, und eilte, meinen Hochsitz wieder einzunehmen.

Ich brauche meine Erregung nicht zu schildern. Mir war, als führe ich nicht nach Troyes, nicht nach Genf, sondern direkt in die offenen Himmelstore hinein.

Als ich nach einer Viertelstunde im Wagen an Henriettens Seite saß, gelang es uns bald genug, über die List in Klarheit zu kommen, die Oheim Peter angewandt hatte, um uns in diese glückliche Situation zu bringen. Er hatte ganz einfach Baptiste bestochen – Baptiste hatte sicherlich sehr wenig Arg dabei gehabt, als er sich so bestechen ließ – sich beiseite zu drücken, um an seiner Statt einen armen jungen Deutschen fahren zu lassen, der sich auf diese Art aus dem Lande retten wollte – es war gewiß kein großes Verbrechen! Von meinen Beziehungen zu Henriette ahnte Baptiste ja nichts, und wohl ebensowenig davon, daß ich mit einer fremden Dame aus Nanzig davonzugehen glaubte. Aber weshalb hatte mir der Oheim nicht klaren Wein darüber eingeschenkt, mit wem ich die Reise machen solle? Hatte er mir bloß eine Überraschung zugedacht? Schwerlich! Es war eher anzunehmen, daß er befürchtet, bei mir auf Gewissensskrupel zu stoßen, daß ich mich weigern werde, so gleichsam mit Herrn Mouniers Töchterlein hinter des Vaters Rücken auf und davonzugehen! Hatte dies den Onkel Peter bewogen, so heimlich zu sein, so hatte er freilich insofern recht gehabt, als ich nicht ohne Henriettens Einwilligung gegangen sein würde ... und ob diese erteilt worden wäre ... wer kann das wissen?

Jedenfalls waren wir sehr glücklich, daß die Sachen sich so gefügt, wie sie es hatten. Wir schwelgten in dem Glücke, uns wieder gefunden zu haben, wir plauderten unaufhörlich, und wir benützten die Augenblicke, wo die Kammerjungfer Henriettens in einen kleinen Schlummer versank – vielleicht auch nur sich so stellte – um uns die süßesten Geständnisse zu machen. Henriette mußte wieder und wieder hören, wie herzbrechend schwer es mir geworden, ihr jene Erklärungen auf der Treppe zu machen, zu denen mir nur ein gewisser innerer Zorn die Kraft gegeben, die Empörung darüber, daß sie denken könne, auch ich sei imstande, mein Herz nach dem Schein des Goldes zu wenden, wie eine Sonnenblume nach der Sonne. Meine deutsche Ehrlichkeit, mein reines Gefühl für sie hätten darüber gar nicht fortkommen können, und so hätte ich ihr jene Dinge vorgeschwindelt, die mich nicht allein rächen, sondern mir auch den Weg zu ihrem Herzen von der Barrikade frei schaffen sollten, die ihn mir abschnitt: ihrem bösen Glauben an den Eigennutz aller Männer; und sie, Henriette, versicherte mich dann ein Mal über das andere, wie sehr, wenn ich mich hatte rächen wollen, mir dies gelungen – wie tief sie meine Geständnisse verletzt, – aber mit welchem Triumph sie sehr bald erkannt, daß ich sie ganz abscheulich belogen habe.

Und während wir so durch die längst eingebrochene Nacht dahinrollten, das, was hinter uns lag, besprachen, unsere Hände gefaßt hielten, und in dem Dunkel der dämmernden Sommernacht unsere Züge zu erkennen suchten, hielt mich eine gewisse Verzagtheit ab, das zu besprechen, was vor uns lag. Ich fürchtete, daß, wenn ich die Rede darauf brächte, Henriette mir meine Hoffnungen zerstören, den Plan, den ich schon gemacht, mißbilligen könne – ich schwieg also lieber und gab mich rückhaltlos dem Glücksgefühl des Augenblickes hin.

Wir erreichten Troyes in der Frühe des Morgens. Die Eisenbahn, die Truppen aus dem Süden brachte, war für Reisende, welche in entgegengesetzte Richtung zogen, zur Verfügung; so verließen wir den Wagen und vertrauten uns dem Dampfroß an, das uns nun den Jurabergen zuführte. In Genf waren wir am folgenden Morgen; wir mußten, da es viel zu früh war, um die Tante Mounier in ihrer Ruhe zu stören, in einem Hotel absteigen. Henriette schloß sich mit ihrer Zofe ein, den Reiseanzug zu wechseln, ihr Haar zu ordnen – ich ging, um mir statt meiner Livree einen Anzug zu kaufen, in welchem ich anständig vor der Tante erscheinen konnte. Gegen zehn Uhr standen wir dann Arm in Arm vor dem stillen großen Hause, zu dem uns ein Lohndiener geführt hatte. Als wir eingelassen waren, betraten wir einen düstern Flur – wurden eine Treppe hinaufgeführt, die mit dunklen Teppichen belegt war; dann in einen Salon, der ein braun gebohntes Eisenholzgetäfel und Ölgemälde in glänzenden, schwarzen Rahmen enthielt – das ganze Haus mit seiner lautlosen Stille, seinen verhängten Fenstern, seiner altfränkischen Einrichtung machte einen Eindruck von Strenge und Würde; es roch, möchte ich sagen, nach altgenferischem Puritanismus.

Durch eine sich uns gegenüber öffnende Türe schritt leise die Tante herein. Sie war eine magere, hochgewachsene Dame, die Herrn Mounier auffallend ähnlich sah. Hätte man ihm die Spitzenhaube aufgesetzt, welche sie trug und die ihr etwas Nonnenhaftes gab, man hätte sie verwechseln können! Sie umarmte ihre Nichte und küßte sie auf die Stirne.

»Ich bin durch ein Telegramm deines Vaters auf dein Kommen vorbereitet,« sagte sie; »aber,« fuhr sie, ihre Blicke auf mich wendend, fort, »dieser Herr da, wer ist er?«

»Ihrer Nichte Bräutigam,« sagte ich keck, Henrietten die Antwort ersparend ... ich bin so glücklich, Henriettens Herz und auch schon die Einwilligung ihres Vaters gewonnen zu haben ...«

»Ah – und Ihr Name?«

Ich nannte meinen Namen; die Tante kannte ihn, sie kannte auch meinen Oheim; so reichte sie mir mit freundlichem Lächeln die Hand.

»Sie sehen,« fuhr ich fort, »ich bin ein Deutscher, und das hat mich in Gefahr gebracht, mein ganzes Glück zu verlieren – der Krieg, der eben ausgebrochen, hat Herrn Mounier veranlaßt, sein meinem Onkel fest gegebenes Wort zu brechen: das hat mir nichts anderes übrig gelassen, als Henriette zu entführen; wir haben im Vertrauen auf Sie beschlossen, uns in Ihren Schutz zu flüchten!«

Die Tante horchte hoch auf.

»Sie haben sie entführt?« sagte sie mit einem finsteren Zusammenziehen der Stirnfalten.

Henriette sah mich in ängstlicher Spannung an – sie wäre vielleicht mich berichtigend eingefallen – da ich es verhindern wollte, antwortete ich rasch:

»So ist es, verehrtes Fräulein – ich hoffte die Gerechtigkeit bei Ihnen zu finden, daß mir nichts anderes übrig geblieben, zu tun. Unsere Herzen hatten sich gefunden, Herr Mounier hatte meinem Oheim sein Wort gegeben; nun kommt der Krieg und das Band soll zerrissen, das gegebene Wort ungültig sein, weil Henriette Französin ist und ich ein Deutscher bin. Ich bitte Sie, ist das ein Grund? Leben wir nicht in Einer Gemeinschaft des Glaubens, und dieser gleiche evangelische Glauben, diese Verbrüderung durch unsere Konfession, steht sie nicht über der zufälligen und vorübergehenden Trennung durch politische Ereignisse und politische Meinungen?«

Demoiselle Mounier sah mich groß an – sie setzte sich in einen Armsessel am mittleren Fenster des Salons und winkte uns, auf zwei hoch- und steiflehnigen Stühlen, die ihm gegenüber standen, Platz zu nehmen.

»Was sagst du dazu, Henriette?« fragte sie, sich an ihre Nichte wendend.

»Ich denke darüber ganz wie Herr Bartholdi!« versetzte Henriette halblaut und verlegen in ihren Schoß niederblickend.

Die Tante sah uns ernst, aber nicht unzufrieden an.

»Nun, es freut mich,« sagte sie, »daß ihr keine moderne und frivole Menschen seid, die an religiöse Pflichten und Verhältnisse nicht mehr denken und nicht mehr glauben, und in ihren ernstesten Lebenslagen nicht mehr religiös empfinden. Ich bin eurer Ansicht, daß mein Bruder mehr Gewicht hätte legen müssen auf das, was die konfessionelle Verbrüderung ihm in dieser Sache eingeben mußte, und daß wir in der reinen Lehre Verbundenen unsere Zusagen und Versprechungen nicht gelöst betrachten dürfen, um der wilden Erhitzung dieser bedauernswerten Franzosen zu gehorchen, welche der Gott, von dem sie sich abgewandt haben und den sie nicht mehr kennen, strafen wird!«

Ich frohlockte innerlich, während die Tante so sprach; ich sah, ich hatte die gestrenge alte Dame von der richtigen Seite zu fassen gewußt. – –

Henriette hatte unterdes der Tante beide Hände ergriffen und zog eine nach der anderen an ihre Lippen.

»Ach, liebe teure Tante, du wolltest also dem Vater vorstellen ...«

»Das will ich, mein Kind, beruhige dich,« sagte sie. »Ich sollte strenger mit diesem jungen Herrn da sein, der so rasch zu dem leichtsinnigen Auskunftsmittel geschritten ist, mit dir durchzugehen ...«

»Ach, Tante, wenn du wüßtest, wie ...«

»Einerlei, mein Kind,« unterbrach die Tante sie, eine weitere Enthüllung, auf die einzugehen ihr nicht angemessen scheinen mochte, abschneidend, »es ist nun einmal geschehen ...«

»Und wirst du dem Vater standhalten, Tante, wenn er grausam und eigensinnig und hartnäckig ...«

»Still, still,« fiel die Tante ein; »du mußt als eine gute Tochter nicht voraussetzen, daß dein Vater etwas von dem allen sein könne! Aber wenn auch, er würde immer die Einsicht haben, daß geschehene Dinge nicht zu ändern sind. Ihr seid nun einmal hier. Ein Fräulein Mounier kann nicht von einem jungen Mann entführt, in die Schweiz gereist sein ... Das wird dein Vater, wie jeder andere Mensch, der weiß, welches die Stellung deiner Familie in Genf ist, einsehen. Ich glaube nicht, daß jemand auf Erden ist, der ihr nachsagen könnte, sie habe von den Zeiten Calvins an bis auf diese Tage bösen Jungen ein Recht gegeben, ihr etwas nachzusagen, was wider Sitte und Anstand ist, oder Ärgernis in der Gemeinde erregt. Also beruhige dich. Du brauchst nicht zu befürchten, daß dein Vater mir widerspreche, wenn ich ihm sage, daß du hier angekommen seiest, begleitet und beschützt auf deiner Flucht aus den Kriegsunruhen in deiner Heimat von jemand, der dich begleiten durfte, weil er in kurzer Frist dein Mann sein wird.«

Demoiselle Mounier sprach diese Worte mit einer großen Würde, ja einer gewissen Feierlichkeit – und ich, ich sah, daß ich trotz aller Klugheit, womit ich meinen Vortrag bei dieser gestrengen Dame, diesem würdigen Familienorakel, eingerichtet, doch nicht so klug war, wie Onkel Peter – ich sah jetzt erst die ganze Bedeutung seiner Kriegslist ein, womit er mich in Henriettens Wagen nach Genf spediert hatte!

Sie war vollständig gelungen, diese Kriegslist. Die Tante sorgte für unsere Unterbringung in den Gastzimmern ihres stillen Hauses und dann für unsere Erquickung. Wir saßen in dem dunklen Salon beim Frühstück, als wir unterbrochen wurden durch den Eintritt eines behäbigen, älteren Herrn, welcher kam, sich nach der Tante Befinden zu erkundigen. Es war der Doktor Glanier, wie sie ihn vorstellte, ihr Hausarzt und wie es schien, langjähriger Freund.

»Doktor,« sagte die Tante, nachdem sie ihn gebeten bei uns Platz zu nehmen, »ich stelle Ihnen hier meine Nichte Henriette Mounier aus Rheims vor. Dieser junge Herr ist ihr Bräutigam. Er heißt Theodor Bartholdi aus S. in Deutschland, ein Neffe des langjährigen Prokuristen meines Bruders ...«

»In der Tat,« dachte ich, während Doktor Glanier uns beglückwünschte, »diese Tante Mounier ist das bewunderungswürdigste Familienorakel, das mir je vorgekommen. Sie macht mit einer merkwürdigen Sicherheit faits accomplis, und scheint auch nicht die Möglichkeit vorauszusetzen, daß man sich dem nicht beugen könne. Ich möchte die Physiognomie des Herrn ›Müller‹, wie Onkel Peter sagte, sehen, wenn er dies alles erfährt!« – – Bis heute aber ist mir das Glück, meines künftigen Schwiegervaters Physiognomie wiederzusehen, nicht geworden. Ich bin, nachdem wir in Genf noch einige Besuche bei den Verwandten der Familie Mounier gemacht – es war der Tante Wunsch, daß wir uns ihnen sofort vorstellten – am zweiten Tage, nach einem schmerzlichen Abschiede von Henrietten, weiter und in meine Vaterstadt gereist. Dort wurde ich eingekleidet, als Reservist in mein früheres Regiment eingestellt, zum Unteroffizier befördert, und endlich, nach einigen Wochen greulichen Biwakierens vor dem jungfräulichen Metz, in dem Quartiere in dieser guten alten Stadt untergebracht, in dem ich jetzt, sehr behaglich vor Wetter und Wind geschützt, meine häufigen Mußestunden dazu anwende, Briefe an Henriette zu schreiben, von der ich erfahre, daß nach den deutschen Siegen und vielleicht nach einigen Niederlagen, die er in einer lebhaften Korrespondenz mit der Tante erlitten, Vater Mounier in sehr versöhnlicher Stimmung sei, und ich dreist wagen dürfe, mir, wenn wir bis nach Rheims kommen sollten, ein auf sein Haus lautendes Quartierbillett geben zu lassen. Doch hat Onkel Peter vorgezogen, sobald das Verbot der französischen Behörden, welches die Deutschen an der Abreise hinderte, aufgehoben war, sich auf und davon zu machen. Er hat Baptiste als seinen Bedienten mitgenommen; beide mochten vorziehen, die ersten Kriegsstürme vorüberbrausen zu lassen. Aber ich hoffe sicherlich, daß Onkel Peter zurückkehrt, und, wenn einmal überall der Frieden wiederhergestellt ist, nicht unterläßt, an unserem Hochzeitsfeste zu erscheinen und die ihm obliegende Pflicht zu erfüllen: den Toast auf seinen treuen, langjährigen Freund, den Brautvater, auszubringen.


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