Ossip Schubin
Maximum
Ossip Schubin

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Maximum.

Roman aus Monte Carlo

von

Ossip Schubin.


A                      

Madame Olga de Okolicsanyi

née princesse Lobanow-Rostowski


Monte Carlo!

Monte Carlo, Ende April – üppig blühende Blumenbeete, die aus smaragdgrünem Rasen herauslachen – Palmen mit braungeschuppten Stämmen und etwas zerzausten, graugrünen Blätterkronen, die sich gegen einen türkisblauen Himmel abheben, glitzernde Glasbauten, phantastische Gebäude jeder Art, alle freundlich einladend, bunt bewimpelt, dazwischen herumwandelnd Menschen, die eine Spur zu auffallend gekleidet sind und auf der Welt nichts zu tun haben, als sich zu unterhalten, – in der Luft ein Geruch von Rosen, Pittosporum und frischgewässertem Rasen – dazu ein Singen und Seufzen von Waldteufelschen Walzermelodieen – der schönste Fleck auf Erden, ein Stück Paradies, das der Teufel in Pacht genommen hat, um sein tollstes Unwesen darauf zu treiben – das ist Monte Carlo – Monte Carlo, wie es zwei junge Leute aus der verglasten Galerie des Hotels de Paris erblicken, wo sie, an einem kleinen, mit einladendster Sauberkeit und Präzision gedeckten Tischchen sitzend, auf ihr soeben bestelltes Frühstück warten und indessen an den Horsd'oeuvres naschen, die der Oberkellner vor sie hingestellt hat.

Beide derselben gesellschaftlichen Sphäre und demselben Beruf angehörend, beide Diplomaten, wie es bereits im Fremdenbuch des Hotels de Paris eingetragen stand, waren sie doch gänzlich verschieden in Nationalität, Neigungen und Charakter.

Der eine – er mochte um ein paar Jahre mehr zählen als sein Kollege – hatte dunkles, über der Stirn bereits gelichtetes Haar, feine, aber einigermaßen ermüdete Züge, einen hoch hinaufgezwirbelten Schnurrbart, ein Monocle im linken Auge und etwas überlegen Weltmännisches, Blasiertes im ganzen Wesen. Er war ein Preuße mit einer russischen Fürstin zur Mutter und hieß Gerhard von Siehrsburg; der andere, ein junger Riese mit kurzgestutztem, krausem, blondem Haar, schöngeschnittenem, sonnverbranntem Gesicht, dunkelblauen Augen und frischen, roten Lippen, zwischen denen, wenn er lächelte, zwei Reihen kerngesunder, weißer Zähne hervorblitzten, war der Sohn einer Engländerin und eines Österreichers und hieß Friedrich Graf Ulenberg. Seine Freunde nannten ihn Freddy.

Wenn Siehrsburg mit seiner überlegenen und abstrapazierten Vornehmheit etwas für die Menschenklasse, die er vertrat, ziemlich allgemein Bezeichnendes, Typisches besaß, so hatte Freddy Ulenberg im Gegenteil etwas sehr Persönliches an sich, und zwar ganz besonders in seinen Augen. Nicht um sich vor dem Blindwerden zu retten, hätte sich Freddy darein gefügt, die Welt so nüchtern, kritisch und gleichgültig anzusehen, wie dies Siehrsburg tat und wie sich's für jeden echten Stutzer schickt. Seine Augen strahlten im Gegenteil eine wahre Fülle von Wohlwollen aus.

Das war sehr altmodisch und paßte schlecht für einen Gesandtschaftsattaché im letzten Dezennium des neunzehnten Jahrhunderts; aber dafür wurde jedem behaglich, auf den sich Freddys Augen richteten – und das war schließlich auch etwas.

Man sah es diesen Augen an, daß sie ein wahres Genie dazu besaßen, an allem Häßlichen vorüberzusehen, wenn sie nicht das Mitleid dabei festhielt, daß sie im Gegenteil alles Schöne mit doppelt so viel Begeisterung genossen als andre Menschen, ja daß sie alles, was sie umgab, geradezu in einer gewissen Verklärung erblickten, und da dem Ausspruch eines tiefen Denkers gemäß die Welt nur durch unsre eigenen Vorstellungen geschaffen wird, so hatten die blauen Augen vielleicht recht.

Jedenfalls hatten sie Freddy Ulenberg geholfen, das Leben sehr schön und die Menschen viel besser zu finden, als er nach dem vielen Schlechten, das er von ihnen gehört, erwartet hatte. Sie hatten dem jungen Ulenberg auch geholfen, sich bei allen Leuten, denen er noch begegnet war, sehr beliebt zu machen – und dies nur, weil sie der deutlichste äußere Ausdruck seines innersten Wesens waren. Sein innerstes Wesen war wirklich liebenswert. Die erhöhte Gefühlstemperatur, der warmherzige Optimismus, die sich bei andern Leuten infolge eines leichten Rausches einstellen, waren ihm sozusagen angeboren – der Rausch war bei ihm chronisch – in Gemütssachen war er nie ganz nüchtern. Da er aber Recht und Unrecht instinktiv sehr genau zu unterscheiden wußte, wenn es sich ihm zur persönlichen Auswahl anbot, und sich sein Blick nur mitleidig trübte, wenn es das Unrecht andrer zu verurteilen galt, so waren die Nachteile, die dieser unzurechnungsfähige Zustand mit sich brachte, nicht groß.

Vorläufig dachte er weder an Recht noch Unrecht, atmete mit voller Lunge die duftige Luft, die ihn umwehte, freute sich an dem farbigen Bilde, das sich vor ihm ausbreitete, und strahlte sein optimistisches Wohlwollen in der freigebigsten Weise auf seine menschliche Umgebung aus, die es leider momentan sehr wenig verdiente.

Rings um die beiden Freunde drängte sich eine Fülle von Menschen, fast an allen Tischen saßen Leute, und um die Tische, an denen niemand saß, lagen die Sessel schief angelehnt, die Hinterbeine in der Luft, was bewies, daß diese Tische von vorsichtigen Gästen vorausbestellt worden waren.

In diesem Menschenwirrwarr entdeckte Freddy jeden Augenblick etwas Neues, Merkwürdiges und Bewunderungswürdiges.

Der kritische Siehrsburg befleißigte sich eifrigst, seine Illusionen beinahe so rasch zu vernichten, als sie aufsproßten. In den Pausen dieser anstrengenden Beschäftigung fand er noch Zeit, Abhandlungen über die Frauen im allgemeinen zu halten und eine sehr genaue Schilderung von derjenigen zu entwerfen, die er eines Tages für würdig erachten würde, seinen Namen zu tragen. Dies alles zu Freddys besonderer Erbauung und Belehrung. Denn Gerhard von Siehrsburg bemühte sich sehr eindringlich mit der Erziehung seines Freundes, nebenbei liebte er es, seinen Geist leuchten zu lassen.

Trotz seines sich lichtenden Haarwuchses war er noch ziemlich jung. Das bewies am besten die Phrase, womit er alle seine Vorträge einzuleiten pflegte, nämlich: »Wenn man, wie ich, das Leben hinter sich hat.«

So begann er auch diesmal wieder: »Wenn man, wie ich, das Leben hinter sich hat, so weiß man, daß für einen vernünftigen Menschen eine Verstandesheirat der einzige wünschenswerte Ehebund ist. Die Leidenschaft ist Gift für die Ehe – ein korrosives Gift – ich würde nie eine Frau heiraten, in die ich verliebt wäre – aus Prinzip nicht. Ebenso würde ich mir grundsätzlich keine zu schöne Frau wählen. Das, worauf ich halte, ist Vornehmheit in Sitte und Erscheinung, nebenbei Pünktlichkeit und ausgesprochener Ordnungssinn . . .«

»Ja, ja, ich weiß schon,« unterbrach ihn lachend der junge Freund.

»Aber es scheint dich nicht sehr zu interessieren,« entgegnete etwas empfindlich Siehrsburg.

Freddy kraute sich leicht hinter dem Ohr, dann sagte er aufrichtig: »Nein, nicht sehr,« und in augenscheinlicher Angst, den Freund verletzt zu haben, fügte er hinzu: »Weißt du, ich will mich ja nicht messen mit dir, was Erfahrung und Weisheit anbelangt; aber ich behaupte doch, daß diese Vorausbestimmungen im ganzen wenig Zweck haben: man hält sich ebensowenig daran, wie an ein präliminiertes Reisebudget, es kommen immer unvorhergesehene Ausgaben, die alle Vorausberechnungen umstoßen.«

Siehrsburg, dem es als eine gänzlich unbefugte Vorlautheit erschien, daß sich Freddy auch einmal erlaubt hatte, eine leidlich gescheite Ansicht über irgend etwas zu äußern, zuckte unzufrieden die Achseln, und Freddy fuhr fort: »Sieh dir doch die junge Frau an, die dort an dem Tischchen neben dem großmächtigen Rosenbukett sitzt, in dem blauen Kleid und dem großen Federhut, sie ist ganz allein, die Ärmste, die ist doch reizend.«

»Nicht übel,« äußerte, sein Monocle einklemmend, Siehrsburg kalt.

»Wie könnte ich nur erfahren, wer sie ist?« meinte Freddy eifrig und wichtig.

»Geh zu ihr hin und frag sie, sie wird dir's sagen,« erklärte Siehrsburg, »es wird ihr sehr schmeicheln, daß du's wissen willst, besonders wenn du sie zum Frühstück einladest.«

»Woraus schließest du das?« ereiferte sich Freddy. »Sie kann doch nicht gut einfacher gekleidet sein, noch sich ruhiger betragen.«

»Sie hat Angst, hinausgeworfen zu werden, wenn sie sich muckst,« erklärte Siehrsburg.

»Du gehst zu weit in deinem ewigen Mißtrauen,« sagte Freddy ärgerlich; »willst du vielleicht von jeder Frau schlecht denken, die ganz ruhig und harmlos im Hotel de Paris frühstückt, nur weil sie allein ist?«

»Von jeder,« entschied Siehrsburg.

»Ich kann diese Generalisationen nicht leiden!« rief Freddy, worauf Siehrsburg, offenbar eine große Genugtuung darüber empfindend, ihn dermaßen aus dem Häuschen gebracht zu haben, ihm die Hand auf den Arm legte und phlegmatisch dozierte: »Verlaß dich auf meine Erfahrungen, mein Junge. Wenn man einmal das Leben hinter sich hat, wie ich . . .«

Aber Freddy horchte nicht mehr auf ihn, es war wie ein Sonnenstrahl über sein Gesicht gezogen. Den Hals vorgestreckt, ein lustig neugieriges Lächeln auf den Lippen, beobachtete er ein sehr junges Mädchen, das soeben auch ohne Begleitung, wie die Dame in dem großen Federhut, aber mit viel weniger zur Schau getragener Bescheidenheit, im Gegenteil sehr sicher und unbefangen, die Hände tief in den Taschen eines weißen Wolljäckchens vergraben, das Kinn in der Luft, eingetreten war und sich nun mit der Sachkenntnis eines Stammgastes nach einem Tisch umsah, an dem es sich würde niederlassen können.

»Deine Erfahrungen in Ehren,« erklärte Freddy, der sich trotz seiner Gutmütigkeit stets sehr daran freute, wenn es ihm einmal gelang, einen Sieg über die weitausgreifende Weisheit Siehrsburgs verzeichnen zu können, »aber ich lasse mir den Kopf abschneiden, wenn auch nur das geringste gegen die junge Dame dort einzuwenden ist, obgleich sie ohne Begleitung in Monte Carlo herumspaziert. Ich sage mir einfach, welch sonderbarer Zufall!«

Mitleidig und herablassend blickte sich Siehrsburg, der mit dem Rücken gegen die Eingangstür saß, nach der Dame um.

Plötzlich sprang er auf, das Monocle fiel ihm aus dem Auge. »Herr Gott, das ist ja Kitty, meine Schwester Kitty!« rief er, indem er entsetzt auf sie zueilte. »Was machst denn du hier allein im Paris, Kitty?«

Ohne sich von dem Entsetzen, das ihm ihr plötzliches, unbewachtes Erscheinen einflößte, auch nur im mindesten eingeschüchtert zu fühlen, ja sich offenbar daran ergötzend, erwiderte sie ruhig: »Das ist wirklich nett, daß ich dich treffe; eigentlich erwartete ich dich; aber verdirb mir nicht die Freude an unserm geschwisterlichen Wiedersehen durch dein finsteres Gesicht. Zwischen einer Gouvernante, die von früh bis Abend Ada Negri übersetzt, und einer Großtante, die keinen andern Gedanken hat als den Spieltisch, lernt man für sich selber sorgen.«

Freddy bat den Freund, ihn vorzustellen, was Siehrsburg sofort besorgte.

Freddy machte eine tiefe Verbeugung, Kitty nickte mit dem Kopfe, dann: »Darf ich mich hier häuslich niederlassen, Gerhard?« fragte sie. »Erwartet ihr niemand? Es ist wirklich kein andrer Tisch frei.«

Freddy schob ihr bereitwilligst einen Sessel zu, und Gerhard fragte: »Wo ist denn eigentlich Tante Rina?«

»O, die ist momentan für die Welt verloren,« erzählte Kitty – der Kellner hatte ihr indessen ein Kuvert vorgelegt, und sie naschte im Plaudern eifrig an den Oliven, Tomaten und andern säuerlichen Leckerbissen, die in länglichen Schüsselchen herumstanden. »Heute nacht im Traume ist ihr eine scharlachrote Frau erschienen, die ihr zugerufen hat: ›Dreiundzwanzig . . . dreiundzwanzig . . . setzen Sie dreiundzwanzig!‹ Da ist denn Tante Rina gleich bei der Eröffnung ins Kasino gestürmt und setzt auf dreiundzwanzig. Arme Tante Rina! Sie weiß ganz genau, daß sie beim ersten Losdrehen des Roulettes auf dreiundzwanzig setzen muß, aber nicht, an welchem Tisch. Ich riet ihr, auf alle Tische zu setzen; das leuchtete ihr ein, doch zweifelte sie, ob sie zur rechten Zeit die nötigen Kräfte würde auftreiben können . . . das heißt die nötige Anzahl Vertrauenspersonen, die unisono mit ihr setzen müßten. An einem der Roulettetische sollte ich sie vertreten. Ich bedankte mich . . . ich war schon zu hungrig, um mein Frühstück noch weiter hinauszuschieben, erklärte ihr infolgedessen, ich wolle voraus ins Paris, einen Tisch sichern und das Frühstück bestellen.«

»Ein wahres Glück, daß ich da war,« erklärte Gerhard, der sich gern für unentbehrlich hielt. »Ich bin zwar sehr böse auf dich, Kitty; aber wenn du versprichst, es gewiß nicht wieder zu tun, so will ich dir verzeihen. Sollten wir aber nicht auf die Tante warten, Kitty? Können wir bald auf sie rechnen, oder wird es noch ein Weilchen dauern, ehe ihr das Geld ausgeht?«

»In der Beziehung läßt sich nichts Bestimmtes voraussagen,« meinte Kitty mit humoristischem Ernst, »denn wenn sie mit ihrem eigenen Geld fertig ist, so borgt sie sich welches von ihren Nachbarn; das tut sie sogar mit Vorliebe, weil es heißt, daß man mit geborgtem Geld am sichersten gewinnt; und sie ist so bekannt in den Spielsälen, daß jeder bereit ist, ihr etwas zu leihen. Übrigens, wer weiß, vielleicht hat sie unterdessen das Maximum gewonnen.«

»Dann will ich sie holen, eh' sie es wieder verliert,« erklärte Siehrsburg. »Du mußt inzwischen Kitty chaperonieren, Ulenberg. Es ist nicht ganz korrekt, euch so allein zu lassen, aber – man wird euch für Geschwister halten – auf Wiedersehen!«

Damit eilte der junge Pessimist fort.

Freddy fühlte sich sehr stolz und nicht wenig verlegen darüber, ein so schönes junges Mädchen beschützen zu dürfen – auch Kitty war ein klein wenig eingeschüchtert. Erst häufte sie aus Befangenheit zweimal so viel Oliven auf ihren Teller, als sie in drei Tagen hätte aufessen können, und dann wurde sie geistreich, was bei manchen Menschen eine ganz besonders stark ausgeprägte Form von Befangenheit ist.

Sie fragte Freddy ernsthaft, ob der Oberkellner, ein wulstlippiger Südfranzose mit einer zurückweichenden Stirn und stark ausgebildetem Hinterkopf, nicht aussehe wie ein weißgewaschener Neger, wozu Freddy lachte, und dann fragte sie ihn, ob der ovale große Tisch am Ende der Galerie, der mit prunkhaften Frucht- und Dessertaufsätzen, und einem großartigen Blumenarrangement verziert, außerdem reichlich mit Rosenblättern bestreut war, nicht für eine großfürstliche Familie reserviert sei, worüber er ihr keine Auskunft geben konnte.

Als gleich darauf die Gäste, für die die Tafel bestimmt war, erschienen und sich als durchaus nichts Großfürstliches, sondern als eine Gesellschaft von sehr laut und mit einem außerordentlich häßlichen Akzent schnatternden, auffällig und kostspielig gekleideten Südfranzosen herausstellten, fragte Kitty den Attaché, ob die Herrschaften nicht alle wie langsam an der Sonne zergehende, lebensgroße Schokoladefiguren aussähen, und ob er nicht auch fände, daß man sehr viel Geld haben müsse, um mit dem nötigen Schwung geschmacklos zu sein.

Freddy sah ihr voll in ihr reizendes Gesichtchen, dann, etwas zögernd, erwiderte er: »Und glauben Sie nicht, gnädiges Fräulein, daß es einem, um geistreich zu sein, an einer kleinen Portion Grausamkeit nicht fehlen darf?«

Sofort eingeschüchtert errötete sie bis in die Stirn hinaus, ein begütigendes Wort schwebte ihm auf den Lippen, als eine sehr sonderbare Erscheinung neben Gerhard von Siehrsburg den Schauplatz betrat, etwas Kolossales, etwas wie ein mit roter Seide und schwarzen Spitzen bespannter Heuschober, oben aus dem schön dekorierten Heuschober herausragend ein dicker Kopf mit drei Fleischwülsten unter dem Kinn und einer gepufften Puderfrisur über der Stirn und auf der Puderfrisur ein bedenklich hin und her wackelndes sehr kleines Kapotthütchen.

Mit großen, feierlich staunenden Augen betrachtete Kitty dieses Ungeheuer, dann, ein mutwilliges Lächeln unterdrückend, bemerkte sie: »Liebe Tante Rina, wenn ich nicht soeben von Graf Ulenberg wegen meiner Bosheit empfindlichst gerügt worden wäre, so würde ich sagen, dein Hut sitzt dir wieder einmal auf dem Kopf wie ein Sonntagsreiter auf einem ausgeborgten Pferd; wenn ich ihn anseh', erwarte ich ein Unglück.«

Die Eingetretene zuckte zu diesem Ausfall nur die Achseln, sie hatte sich momentan über ernstere Dinge zu grämen als darüber, ob ihr Hut gerade oder schief sitze.

Siehrsburg stellte Ulenberg seiner Tante, Ihrer Exzellenz der Frau Staatsrätin von Jeljàgin, vor. Die Staatsrätin sagte: »Ist mir sehr anjenehm,« und Kitty fragte die Tante, ob denn wirklich Nummer dreiundzwanzig herausgekommen sei.

»Um Gottes willen, bring die Tante nicht auf ihre Rouletteabenteuer, Kitty,« warnte Siehrsburg die Schwester.

Aber das Unglück war geschehen. Ein Strom entrüsteter Beredsamkeit floß ungestüm über die kleine Tafel hin, an der sich die Staatsrätin soeben mit einem asthmatischen Pusten niedergelassen und die der Kellner den Damen zu Ehren mit einem Rosenstrauß verziert hatte.

»Das ist es ja,« erzählte sie, »herausgekommen ist dreiundzwanzig, dreimal ist es herausgekommen hintereinander, und ich hab's versäumt, c'est à se pendre, nicht wahr? Aber was wollen Sie? An allem ist diese Crêvecoeur schuld! – Crêvecoeur – das ist so ein künstlich rothaariges Frauenzimmer, das sich Komtesse de Crêvecoeur nennt. Sie bildet sich vielleicht jetzt selbst ein, daß sie so heißt« – dies zu den beiden jungen Leuten als erklärenden Kommentar, dann immer im selben Tempo – »jedenfalls weiß niemand, wie sie anders heißt, aber das ist Nebensache. Ein gräßliches Weib! Sie ist geizig und hat einen Hund, bringt sich immer einen ganzen Kirchhof voll Knochen in der Tasche vom Restaurant mit, um den Hund damit zu füttern. Und mit den Knochen kommt sie ins Kasino, und immer sitzt sie neben mir beim Roulette – 's ist ein Verhängnis, ein reines Verhängnis! Blaue Flecken bekommt man von ihren Knochenpaketen. – Ich habe sehr lange geschwiegen, aber heute hat sie mich erbost – ich habe Objektionen gemacht, ganz höfliche Objektionen, sie hat sich eine Bemerkung über meine Korpulenz erlaubt – meine Korpulenz. . . . Da bin ich heftig geworden und habe mich etwas lauter über ihre Knochenvorräte beklagt. Das hat sie geniert – kein Wunder – sie ist wild geworden und hat mir gedroht, eine Stecknadel in mich hineinzustoßen, wenn ich nicht still wäre. Da bin ich noch heftiger geworden, und sie hat wirklich ihre Nadel aus ihrem Hut gezogen und mich heimtückisch unter dem Tisch damit gestochen; aber ich habe sie angezeigt – ja, ich habe sie angezeigt – für einen Monat hat man ihr die Spielsäle verboten. Recht geschieht ihr! Aber was hilft das alles – unterdessen ist dreiundzwanzig herausgekommen, dreimal ist es herausgekommen, und ich habe es versäumt! Ich bitte dich, Gerhard, laß mir eine Flasche Champagner servieren, es ist das einzige, was mich vor einer Migräne retten kann.«

Trotz der Verzweiflung der Staatsrätin verlief die kleine Mahlzeit sehr heiter. Zum Schluß lud Madame Jeljàgin die beiden Herren für den nächsten Nachmittag zum Tee in die Villa Garibaldi; für heute fühlte sie sich zu angegriffen, um sie zu empfangen.

*           *
*

»Hm, eine spaßige Frau, meine Tante!« meinte Siehrsburg, während er nach der Trennung von den Damen, eine gute Zigarre rauchend, mit Freddy auf dem Damm neben dem Meere am Fuß der Kasinogärten bummelte. Dabei sah er Freddy unsicher von der Seite an. Offenbar war er etwas verlegen. Zu einem so nobeln Diplomaten, wie er es war, paßte diese Tante allerdings schlecht.

Auf Freddy jedoch schienen die Absonderlichkeiten der Staatsrätin keinen tiefen Eindruck gemacht zu haben. Er sagte einfach: »Ein bißchen stark ist sie, sie sollte Marienbad brauchen; aber eine sehr liebenswürdige, amüsante, originelle Frau!«

Siehrsburg musterte ihn jetzt noch einmal und zwar ziemlich scharf. Nein, nicht eine Spur von Ironie! Offenbar sagte Freddy nur, was er meinte. Da passierte etwas ganz Seltenes. Siehrsburg war gerührt.

Für Leute mit lächerlichen Verwandten ist es entschieden vorteilhaft, Freunde zu haben, die Optimisten sind.

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*

Trotz dieser optimistischen Auffassung Freddys hatte Siehrsburg es natürlich nicht über sich gewonnen, die nächsten vierundzwanzig Stunden verstreichen zu lassen, ohne seinem Kollegen mitzuteilen, daß er ein großes Unrecht beginge, wenn er seine, Gerhards, oder Kittys Familie nach diesem einen Original von Tante beurteilen wollte. »Meine Eltern sind wirklich ganz korrekte Menschen,« versicherte er ihm. Daß sie Kitty so unbewacht bei der alten Dame gelassen hätten, sei allerdings merkwürdig, fügte er hinzu, aber bei Kitty habe das nichts zu bedeuten, die könne man als Regimentstochter von ein paar Bataillonen Gardegrenadieren chaperonieren lassen, so käm's aufs selbe heraus; »wenn man, wie ich, sein Leben hinter sich hat, so weiß man das zu beurteilen,« erklärte er.

Die Eltern befanden sich gerade im Übersiedeln von einem Posten zum andern – der Vater Siehrsburgs war nämlich Gesandter – und da benützten er und seine Gattin den freien Moment, um eine Erholungsreise durch die kleinen italienischen Städte zu machen, wo sie sich hauptsächlich damit beschäftigten, alte Möbel einzukaufen und für Correggio zu schwärmen. Kitty hatten sie der Bequemlichkeit halber mit ihrer Gouvernante in Monte Carlo deponiert bei ihrer Großtante, der Staatsrätin, die übrigens eine gute Person und gegen die außer ihrem Umfang und ihrer Spielwut nicht viel Bedenkliches einzuwenden war.

Sie war nicht immer so dick gewesen, sondern hatte einst zu den gefeiertsten Schönheiten von Petersburg gehört. Die Sage ging, daß ihr Großfürsten, der Kaiser Nikolaus und sogar Franz Liszt zu Füßen gelegen hätten. Das freilich war längst vorbei! Die Beleibtheit war plötzlich gekommen. Eine Zeitlang hatte die Staatsrätin abwechselnd mit Marienbad und Hungerkuren dagegen gekämpft, dann aber sich in ihre Korpulenz ruhig als in etwas Unvermeidliches gefunden und sich dem Spiel ergeben, um sich für den Verlust ihrer Anbeter zu trösten. Vermögliche Witwe, unabhängig, hatte sie in Monte Carlo eine Villa gekauft, und zwar aus dem Nachlasse eines bankrotten Spielers samt dem Strick, an dem er sich aufgehängt hatte. Der Strick hatte bei dem Ankauf die great attraction ausgemacht – er hatte die Verpflichtung, der Staatsrätin Glück zu bringen. In der ersten Saison nach Ankauf der Villa Garibaldi war der Strick auch dieser Verpflichtung nachgekommen, das Glück hatte sich eingestellt; in der letzten Zeit hatte es nachgelassen, Rina Andrejewna verlor fast immer, obschon sie Nummern träumte und die Vorsicht gebrauchte, immer in etwas Schmutziges zu treten, ehe sie sich ins Kasino begab!

*           *
*

Sie spielte, ihr Diener spielte, ihre Köchin spielte . . . die Kammerjungfer, die nicht spielte, hatte eine Liebschaft mit einem der drei Soldaten des Fürsten von Monaco. Die Zustände in der Villa Garibaldi waren dementsprechend.

Seit mehreren Tagen hatte man nicht mehr zu Hause speisen können, weil sich die Köchin beim Bleigießen, das ihr Lieblingsorakel war, die Hand verbrannt hatte.

Kitty war ganz unbewacht – aber . . . und darin hatte Siehrsburg recht – bei ihr hatte das weiter nicht viel zu bedeuten. Sie war eines von jenen auserlesenen Geschöpfen, denen der Teufel auf ehrerbietige Distanz ausweicht. Er hat keine Versuchung auf Lager, die er gut genug fände, ihnen anzubieten.

Sehr reizend, ohne gerade eine Schönheit zu sein, mit einer ungemein biegsamen Gestalt und durchsichtig zarten Haut bei leuchtend braunem Haar und hellen, dunkel umwimperten grauen Augen, fesselte sie am meisten durch die kindliche Offenheit ihres Blicks und die Geradheit ihres Wesens. Seelengut und über die Maßen lebhaft, hatte sie die Vorlautheit eines sehr begabten Kindes, das von seinen Angehörigen ein wenig zu viel verwöhnt und bewundert worden ist. Aber das tat dem Liebreiz ihres Wesens keinen Eintrag. Es strich einem immer wie Waldluft um die Wangen, wenn sie in der Nähe war! . . . Das behauptete Freddy von ihr. Nebenbei behauptete er auch, noch nie ein so entzückendes Mädchen gesehen zu haben, und schwankte fünf Minuten zwischen zwei neuen Krawatten, ehe er den nächsten Tag mit seiner Ausrüstung für den five o'clock der Staatsrätin fertig war und sich mit seinem Freunde nach der Villa Garibaldi begab.

Diese Villa war eine rote Backsteinstruktur, die zwischen immergrünen Steineichen und immerblühenden Rosenhecken auf die Straße hinaussah, die nach Mentone führt, und über die Straße hinüber aufs Meer.

Eine graue Steinmauer umfaßte den Garten und bemühte sich vergebens, den tollen Blütenunfug im Zaum zu halten, den allerhand Sträucher zu Füßen der immergrünen Bäume trieben. Das Ungestüm dieses Blütenwirrwarrs wuchs der ehrwürdigen Mauer massenhaft über den Kopf, Äste von weißen und roten Rosen, gelbem und rosa Geißblatt, Jasmin und Flieder hingen über den Rand der Mauer bis in die Straße herab, und Heliotrop, rosa Geranien und reichentwickelte Margueriten schienen geradezu durch die Mauer hindurchzuwachsen.

Als sich die beiden Freunde der Villa näherten, erblickten sie bereits von weitem Kitty durch das von Geißblatt und Rosen umrankte Gartenportal. Freddys Besuch zu Ehren hatte sie sich eine altkluge Würde angeschafft, die ihr unbeschreiblich drollig zu Gesicht stand, und ein himmelblaues Sommerkleidchen mit breitem, spitzenbesetztem, weißem Halskragen angelegt, in dem sie überaus lieblich aussah.

Sie stellte die jungen Herren ihrer Gouvernante, Miß Sinclair, vor, die sich, in einer zwischen zwei blühenden Rhododendronbäumen aufgemachten Hängematte ausgestreckt, wie gewöhnlich mit Fußschmerzen und Ada Negri beschäftigte.

Sie war früher Gesellschafterin bei der unter so traurigen Umständen verschiedenen Gräfin Lena Retz gewesen und fühlte sich dementsprechend sympathisch berührt von allem Tragischen.

Die Staatsrätin befand sich noch nicht zu Hause – natürlich. Eigentlich benützte sie nur die Stunden, während deren das Kasino gesperrt war, zu einem flüchtigen Gastspiel in ihrem eigenen Heim.

Kitty tat ihr Möglichstes, sie würdig zu vertreten. Sie machte Freddy mit den besonderen Schönheiten des Gartens bekannt, worauf sie beide Herren aufforderte, in den Salon zu spazieren – ein großes, mit feuerrotem Stoff bespanntes Gemach, das hauptsächlich mit Großfürsten und Großfürstinnen dekoriert war, das heißt mit deren eigenhändig unterschriebenen Bildnissen. Soeben hatte sie zwischen selbigen Bildnissen das Konterfei ihrer Mutter hervorgesucht, als Frau von Jeljàgin hereinstürmte. Sie zerfloß förmlich in Entschuldigungen ob ihrer Unpünktlichkeit, dann wendete sie sich an Kitty mit der Frage, ob der Diener die neuen Teetassen bereits aus Nizza gebracht habe. Die letzten Teetassen hatte er nämlich bei einem Anfall hochgradiger Gedankenvertiefung in ein merkwürdiges Rouletteproblem zerschlagen.

Die Staatsrätin hatte ihm seine Ungeschicklichkeit nicht weiter verübelt, erstens, weil sie sehr gutmütig war, und zweitens, weil das Zerschlagen von Porzellan für glückbringend gilt, sie hatte ihn nur nach Nizza geschickt um neue Tassen. Sein unverhältnismäßig langes Ausbleiben erklärte sie sich durch die Vermutung, daß er gewiß in irgend einer heimlichen Spielhölle, wie es deren in der Umgebung von Nizza zu Dutzenden gibt, festgehalten worden sei.

Um ihre Gäste zu bewirten, entschloß sie sich, ein paar Sevrestassen herausholen zu lassen, von denen ihr der Kaiser Nikolaus ein Dutzend geschenkt hatte, und zwar pâte tendre Dubarry – in einem mit purpurfarbenem Samt ausgeschlagenen Etui.

Sie forderte die Anwesenden nur auf, etwas vorsichtig mit diesen Raritäten umzugehen, da sie sie mit ihrem Schmuck und andern Kostbarkeiten für ihre Vente aufhebe, das heißt für den Tag, wo sie den letzten Pfennig verspielt haben und sich in der Lage sehen würde, ihre Habseligkeiten zu versteigern.

Dieses schauerliche Zukunftsbild entlockte ihr erst Tränen, dann lachte sie darüber, als handle es sich um etwas Komisches.

Da sich der Diener im Laufe des Nachmittags nicht zeigte, und die Köchin ihre rechte Hand noch immer nicht bewegen konnte, verfügte man sich gemeinschaftlich zum Diner ins Hotel de Paris.

*           *
*

So hatte es angefangen. Das war nun vierzehn Tage her. Heute ist Freddy Kittys glücklicher Bräutigam – gestern abend hat er sich mit ihr verlobt. Wie das gekommen ist – ja, wie das eben kommt!

Den Tag nach Freddys erstem Besuch in der Villa Garibaldi hatten die jungen Leute eine Partie nach Beaulieu gemacht, zu Wagen, nur Kitty und die jungen Herren allein. Miß Sinclair hatte sich von dem Vergnügen ausgeschlossen, weil sie weder mit ihrer Übersetzung noch mit ihren Fußschmerzen fertig war, und die Staatsrätin hatte auf das Vergnügen verzichtet, weil einmal ein Fiaker mit ihr zusammengebrochen war und sie seit der Zeit kein Mietkutscher von Monte Carlo mehr fahren wollte.

O, diese erste Fahrt! Wenn sich Freddy daran erinnern will, so taucht anfangs nichts anderes in seiner Seele auf als ein Schwall von Schellengeklingel und jungem, frischem Lachen in einer Wolke von Staub und Rosenduft, in die ein salzig würziger Meerhauch hinaufstreift. Erst nach einer Weile hört er zwischen dem lustigen Lachen und Schellengeklingel Kittys fröhliches Gezwitscher und Gerhards kritische Betrachtungen, und aus der rosenduftigen Staubwolke taucht die Landschaft vor ihm auf, die weiße Straße, die sich breit und glatt hinzieht zwischen hochansteigenden Bergen und einem schroffen Abhang, dessen Fuß das Meer umspült, das leuchtende, farbensatte Mittelländische Meer, das aussieht, als habe man Opale, Saphire und Türkise in Sonnenstrahlen aufgelöst; abwechselnd rosig gelblich, dunkelblau und hellblau schimmernd, wogt's im vollen Sonnenglanz mit einem breiten Silberbesatz am Ufer; zwischen das Schellengeklingel, das die Köpfe der flinken Gebirgspferdchen umschwirrt, hört man den leichten Hufschlag ihrer eilig dahintrabenden Füße. Wie vom Winde fortgefegt, jagt das leichte, weißangestrichene Korbwägelchen dahin, an blühenden Rosenhecken und an grauen Olivenwäldern vorbei, an Villen – immer wieder Villen – Villen mit Stuckverzierungen, mit Sgraffitverzierungen und Villen aus primitivem Rohbau, an Bauernhäusern mit grasgrünen Bretterjalousieen, alle mit blühenden Schlinggewächsen umkränzt, mit Rosen und Geißblatt und am häufigsten mit etwas reichlich blaurot Blühendem, das nach dem Manne, der das Gewächs an die Riviera verpflanzt hat, le Bougainvillea heißt.

Quer durch Eze, wo gerade Jahrmarkt gehalten und viel Pfefferkuchen und moussierendes Getränk verkauft wird, dann immer noch zwischen dem blauen Meer und den silbergrauen Olivenwäldern weiter – weiter bis nach Beaulieu, wo man sich zum Vesperbrot aufhält, auf der Terrasse der »Reserve«, der kleinen Dependance eines sehr großen Hotels, Marsala trinkt und Biskuits knabbert, plaudert, lacht und Pläne für neue Landpartien entwirft . . .

Man machte noch sehr viele Landpartieen, fast jeden Tag unternahm man eine neue Ausfahrt, so lange, bis Siehrsburg durch einen guten Freund in Nizza die weltberühmt schöne Senora Otero kennen lernte, von welchem Augenblick an er nicht mehr oft zu haben war – und da Freddy nicht gut mit Kitty allein in der Gegend herumkutschieren konnte, so mußte er von da an auf die Ausfahrten verzichten. Er entschädigte sich für den Ausfall dadurch, daß er jeden Nachmittag in die Villa Garibaldi kam, um Kitty im Lawn-Tennis zu unterrichten.

Der Lawn-Tennisplatz in der Villa Garibaldi war ein wahres Gedicht von einem Lawn-Tennisplatz. Rings umschlossen von sehr alten immergrünen Steineichen, denen rote und weiße Rosen mutwillig bis in ihre ehrwürdigen alten Kronen hinaufkletterten, und um deren Füße Rhododendronsträucher mit ungeheuren amethystfarbenen Blütenbüscheln spielten. Hoch oben zwischen dem Schwarzgrün der Steineichen ein Viereck von blauem Himmel, und von allen Seiten hereinbrechend der Duft der Blütenüberschwemmung, die jedes Jahr der Frühling der Riviera bringt.

Es war wirklich ein wunderschöner Platz, eigentlich viel zu schön, um Lawn-Tennis darauf zu spielen, das fanden wenigstens Kitty und Freddy, die zumeist, anstatt ihre Bälle durch die Luft zu jagen, einträchtig auf einer Marmorbank beisammen saßen und einander, entweder jeder von sich selber oder einer vom andern, vorerzählten.

In den Büschen schluchzte eine Nachtigall, und gelbe und weiße Schmetterlinge flatterten paarweise über die amethystfarbenen Rhododendronbüsche hin.

Die Lerchen sangen in der Luft, die Rosen dufteten, und von fern hörte man das leise An- und Aufschwellen des Meeres.

Und die beiden saßen nebeneinander auf der weißen Marmorbank und plauderten und lachten und lachten und plauderten den ganzen Nachmittag hindurch, und niemand kümmerte sich um sie. Ach, wie schön das war! –

Kitty war immer so erstaunlich klug – sie sagte oft die merkwürdigsten Dinge, und einmal hatte sie etwas gar zu Kluges gesagt. Kaum, daß die vorlaute Weisheit ihren hübschen Lippen entschlüpft war, so hätte sie sie wieder einfangen mögen – aber es war zu spät. Eine große Verlegenheit bemächtigte sich ihrer. Sie sah steinunglücklich aus, und Freddy legte, ohne weiter zu bedenken, was er tat, den Arm um sie und küßte sie – um sie zu trösten. Und Kitty küßte ihn auch, aber gleich darauf fing sie an bitterlich zu weinen. Da zog er sie lächelnd noch ein wenig enger an sich heran und flüsterte ihr zu: »Aber, Kitty, meine süße, kleine Braut!« Und dann küßten sie sich erst recht – aber Kitty hatte aufgehört zu weinen.

So war's gekommen, und gleich darauf hatte Freddy der Staatsrätin seine Verlobung mitgeteilt! Er begegnete ihr, als er mit Kitty den Lawn-Tennisplatz verließ. Sie war soeben von ihrer Nachmittagssitzung im Kasino zurückgekehrt und hatte zweimal auf dreiundzwanzig gewonnen. Infolgedessen befand sie sich in gehobener Stimmung. Auf Freddys etwas befangen herausgestotterte Mitteilung streckte sie ihre kurzen, dicken Arme in die Höhe, wollte erst lachen, dann weinen, worauf sie sich vor Kitty hinstellte, ihr mit dem Zeigefinger drohte und rief: »Wer so etwas gedacht – nein, wer so etwas gedacht hätte von dem Kind! Sie ist ja ein Kind . . . ein Kind.« Dann, als Kitty anfing, verlegen zu werden, schloß sie erst sie, dann Freddy liebevoll an ihre umfangreiche Brust, und zwar mit solchem Ungestüm, daß sie sich hierauf niedersetzen und fünf Minuten pusten mußte, ehe sie wieder zu ihrem normalen Atem gelangte. Zum Schluß betrachtete sie noch mit feuchten Augen Kitty und sagte schwärmerisch: »Hüten Sie mir mein Kleinod. Sie ist wirklich reizend. Gerade so wie die Kleine sah ich aus, als ich achtzehn Jahre zählte. Nur war ich schlanker.«

Aber selbst diese überraschende und betrübende Versicherung war nicht im stande, den Bräutigam aus seinem Himmel zu reißen. Er bat um die Adresse der Eltern Kittys, damit er bei dem Gesandten um ihre Hand anhalten könne.

Die Staatsrätin versicherte ihm, es sei nicht nötig, binnen wenigen Tagen würden die Eltern ohnehin in Monte Carlo erscheinen, und indessen nehme sie die Verantwortung auf sich.

Da sich die Köchin von ihren Brandwunden endlich einigermaßen erholt hatte, so forderte Madame Jeljàgin den Bräutigam auf, in der Villa Garibaldi zu speisen. Sie schickte sofort in das Hotel de Paris um ein pâté de foie gras und um Gerhard Siehrsburg, damit er an dem kleinen Verlobungsdiner teilnehmen möge.

Gerhard zeigte bei dieser Gelegenheit mehr Herz, als ihm Leute, die ihn nur oberflächlich kannten, zugetraut hätten. Er drückte Freddy die Hand, küßte Kitty sehr innig und meinte: »Bedank dich bei mir, du kriegst den anständigsten Menschen zum Mann, der mir je begegnet ist, und ich hab' euch bekannt gemacht!«

Freddy errötete über das Lob, und Kitty sagte: »Hm . . . das weiß ich besser als du!« worauf Gerhard sie ein zweites Mal küßte. Er war wirklich sehr nett und benahm sich den ganzen Abend großartig, er lachte der Staatsrätin nicht ins Gesicht, als sie sich nach dem Diner an den Flügel setzte und, mit ihren kurzen Fingern die Begleitung dazu trommelnd, die verliebtesten russischen Romanzen zu singen begann, so gut sie diese aus ihrer schweratmenden Brust heraus zu stöhnen vermochte. Er hörte sogar geduldig zu, erst als die Staatsrätin bei dem süßen, träumerischen »Oh, dites-lui« der Fürstin Kotschubey geradezu beängstigend lyrisch wurde, forderte er sie auf, eine Partie Pikett mit ihm zu machen, worauf sie bereitwilligst einging.

Draußen schien der Mond voll und hell, wie eine große, glänzend polierte Silberscheibe schien er aus dem tiefblauen Himmel heraus. Er streute schwarze Schattenfetzen und helle Lichtflecke durch den Garten und zeichnete flimmernde weiße Ränder um die alten Steineichen herum. Hand in Hand, quer durch Schatten und Licht wandelten die beiden seligen jungen Menschen.

Immer mächtiger und süßer schwebte der Duft aus den Blütenbüschen empor wie ein Weihrauch, den der Frühling dem jungen Liebespaar darbrachte; sie traten bis an die Mauer des Gartens und blickten zwischen den Zypressen hinaus auf das nur leise rauschende Meer, über das der Vollmond einen breiten Silberstreifen gezogen hatte, quer über die dunklen Wellen wie eine breite, leuchtende Brücke, gerade in den Himmel hinein!

Und plötzlich fing Kitty an zu weinen, und als Freddy sie besorgt fragte, was ihr fehle, konnte sie nur erwidern: »Ich bin zu glücklich, zu glücklich, wie hab' ich's mir denn verdient, so glücklich zu sein!«

Da konnte Freddy sie nur küssen und immer wieder küssen und flüstern: »Und ich, Kitty – erst ich, mein Herzblatt, mein Liebling, wie verdiene ich dich!«

Und die steifen, immergrünen Blätter der Steineichen horchten und regten sich nicht, durch das junge, zarte Frühlingslaub hingegen zog zärtlich und mitleidig ein Schauern und Beben, fast als hätte es Angst um das wunderschöne, große Glück des wonnetrunkenen jungen Liebespaares.

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