Joseph Schreyvogel
Das Sonntagsblatt
Joseph Schreyvogel

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Der Apollo-Saal

Das Sonntagsblatt Nro. 55

Sonntag, den 17. Jan. 1808

Armida erwies mir am vorigen Donnerstag die Ehre, mich zu einer Partie in den neuen Saal einzuladen. Um 10 Uhr abends versammelte sich die Gesellschaft in ihrem Hause. Unsere vortreffliche Wirtin, ihre liebenswürdige Cousine, das blauäugige Fräulein Suptil, ein Herr von Dünschen mit seiner jungen Gemahlin, beide Herren Platt, ihre Nichte, Sibilla Plump, und deren Busenfreundin, Fräulein Esther Süß, ein Herr Rittmeister Kräftig, der Dichter Schneck und der dicke Herr Baron von Magenheim, – dies waren die interessanten Personen in deren Begleitung ich das Glück haben sollte, die Zaubereien des Herrn Wolfssohn zu bewundern. Wir wurden sämtlich in drei geräumige Wagen gepackt, und mir ward die Auszeichnung zu Teil mit Armiden selbst, der niedlichen Frau von Dünschen und dem Herrn Rittmeister in Gesellschaft zu fahren. In weniger als fünfzehn Minuten hatten zwei rasche arabische Hengste uns, vom Graben bis zur Zieglergasse unweit der Mariahilfer Linie, gebracht; dort wurden wir durch eine lange Reihe von Equipagen aufgehalten. Es gab vielfältigen Lärm und Spektakel auf der Gasse; der Geist der Fiaker sprach sich in sinnreichen Schimpfworten aus. Unser Wagen konnte nur langsam vorwärts gehen; und kam einigemal fast nicht vom Fleck.

»Dummer Kerl!« schrie ein Fiaker dem andern zu; »bist du schon wieder besoffen? Soll ich dir zu Gefallen, die gnädigen Fräuleins in den Schnee werfen?«

»Halts Maul, du schäbiger Seppel!« antwortete der andere; »werden die rechten sein! deine Fräulein!«

»Nur nicht grob, er lumpiger Kutscher, Er!« rief eine Weiberstimme.

»Die Entree ist recht lebhaft«, bemerkte Frau von Dünschen; »ich glaube, der Unternehmer wird seine Rechnung finden. Auch ist es gut, daß er sich für die Person fünf Gulden zahlen läßt, denn da kann man sicher sein, nur anständige Gesellschaft zu finden.«

»Halt! Halt! Halt!« kreischten die Frauenzimmer in dem Fiaker. »Wir liegen schon im Graben! – Gehen wir lieber zu Fuß, ehe wir den Hals brechen.«

Ein Kavallerist sprengte, bei dem Lärm, herbei, gab dem Fiaker einige flache Hiebe, und stellte dadurch plötzlich die Ruhe und Ordnung wieder her, so daß nun ein Wagen dem andern folgen konnte. Gleichwohl währte es noch beinahe eine halbe Stunde, bis die Reihe des Aussteigens an uns kam. – Endlich haben wir die Schwelle des Hauses betreten, dachte ich, wo ein geschickter Bandagenmacher, uns gegen ein mäßiges Legegeld, über die Wirklichkeit hinaus, in ein schöneres Dasein versetzen wird. – Aber schon in den Vorzimmern, wo die Leute ihre Mäntel zur Verwahrung abgaben, ward unsere Stimmung, die auf nichts als auf Zauberei gestellt war, gewaltsam gestört. Wir hörten nämlich ein lautes Fluchen und Schelten der Herren und Damen, welche nicht schnell genug bedient wurden. Da wir die Winterbedeckung unseren eigenen Bedienten zum Aufbewahren gegeben hatten, und unsere Gesellschaft vollzählig beisammen war: so verließen wir diese unmusikalischen Vorzimmer so schnell als möglich, gingen durch zwei oder drei Kabinette und traten nun in einen mäßig großen, sehr hell erleuchteten Saal. Von der offenen Seite dieses Saales führt eine Terrasse, durch drei theatralisch verzierte Bogen, in den eigentlichen Tanzsaal. Der Anblick von dieser Terrasse hinab, ist überraschend und schön. Man sieht unter sich eine Allee von grünen Bäumen; man sieht weiße Statuen, welche in verschiedenen Attitüden Lichter empor halten; man erblickt zwischen diesen Bäumen und Bildsäulen das bunte Gewühl der Tanzenden, und hört eine rauschende Musik, welche von den Grotten am äußersten Ende des Saales herübertönte. Da die Beleuchtung unten merklich schwächer als oben ist, so glaubt man von der Höhe der Terrasse wirklich in einen Garten hinabzusehen. Niemand wurde so sehr davon entzückt als der Dichter Schneck.

»Aufwärts, aufwärts strebt mein Geist! zu den Göttern hinauf!« rief er, und streckte die Arme empor. Unglücklicher Weise aber stieß er dabei mit den Händen an die Decke, die hier sehr niedrig aufliegt, geriet in Verwirrung, kam ins Stolpern, wollte sich an dem eisernen Geländer festhalten; dies gab aber nach, – und Herr Schneck, statt zu den Göttern aufzufliegen, fiel auf die Nase. »Das ist eine fatale Zauberei!« sagte er, indem er sich langsam aufrichtete; »man kann sich nicht einmal auf das hiesige Eisen verlassen.« Armida geriet bei dieser Szene in Verlegenheit, sie gab dem Rittmeister den Arm. – »Im Speisesaal treffen wir uns wieder«, sagte sie, und ging die Terrasse hinab. Die andern folgten ihrem Beispiele.

Unten im Saale teilte sich die Gesellschaft und jeder ging wohin es ihm beliebte. Frau von Dünschen erbarmte sich des armen, beschämten Schneck und ließ sich von ihm in den zweiten Saal führen, der auch für seine empfindsame Seele wie geschaffen ist. Denn hier findet man Springbrunnen und labyrinthische Gänge, Boskette und andere englische Gartenpartien, ein persisches Zelt mit einem Billard und ein chinesisches mit der Kredenz. Man findet auf einem Berge den Tempel des Apollo, Höhlen in Felsen gehauen, kurz eine vollständige Natur im Kleinen, so allerliebst und so täuschend wie kindische Gemüter sie nur immer wünschen können. Selbst der Mondschein fehlte nicht und leuchtete mit so magischem Silberlichte, daß Fräulein Ester Süß bis zu Tränen gerührt wurde. Fräulein Plump wollte ihrer Freundin zu Gefallen, sich gleichfalls bis zur Entzückung hinaufarbeiten; während sie aber den Berg zum Tempel des Apollo hinaufklimmte, machte sie einen Fehltritt, – und wäre beinahe rückwärts wieder herabgerollt, wie es bei einer so steilen Anhöhe leicht möglich ist. Sie fiel jedoch nicht, sondern kehrte sich schnell und geschickt um, und rannte in vollem Galopp den Hügel hinab. Dadurch kam sie aber so sehr in den Schuß, daß sie eine ganze englische Partie umrannte und mit ihrem Shawl zehn der höchsten Bäume niederriß. Herr von Dünschen erhob hierbei zum ersten Male seine Stimme und sagte nur mit sehr ernsthafter Miene: »Hm! Hm! Hm!«

Nach diesem zweiten Schreck verfügten wir uns in den Speisesaal, wo wir den dicken Herrn Baron von Magenheim an dem für uns bestimmten Tisch in seinem übelsten Humor fanden, denn ein Fasan und eine Flasche Erlauer, die er zur Probe verzehrt hatte, schienen seine schönsten Hoffnungen für diesen Abend völlig zerstört zu haben. »Was hilft mir alle Zauberei«, sagte er, »wenn mir das Essen nicht schmeckt.« –

Wir setzten uns zur Tafel. Anfangs wurde wenig gesprochen; nachdem aber der Wein seine Wirkung getan hatte, kam die Gesellschaft in größeres Leben, und jetzt fing eigentlich die Zauberei erst an. Alle waren zufrieden, der Baron ausgenommen, der gegen jede Speise eine gründliche Kritik anzubringen wußte. »Hier ißt man sich nur hungrig«, sagte er, indem er einen zweiten Fasan mit Unwillen, aber großer Schnelligkeit verzehrte. »Was sagen Sie, Herr von Dünschen, zu diesem Souper?« fragte er seinen Nachbar. »Hm! Hm!« antwortete dieser mit seiner gewöhnlichen Amtsmiene.

»Der Wein«, sagte der Rittmeister, »hat wenig Geschmack, aber viel Geist.«

Sobald Herr Schneck dieses Urteil hörte, griff er zur Flasche. »Das ist eben das Wahre«, sagte er; »der Geist belebt, aber der Geschmack läßt nichts aufkommen.«

»Hundert Austern!« schrie Herr Magenheim dem Aufwärter zu.

»Die Austern müssen gut sein«, sagte Frau von Dünschen, »da sie in den kühlen Quellen lebendig aufbewahrt werden können.«

Die ganze Gesellschaft ward stumm bei dieser Bemerkung. »Meinst du nicht auch, mein Schatz«, fragte die schöne Frau ihren Herrn Gemahl.

»Hm!« meinte Herr von Dünschen.

»Apropos der Quellen«, rief Fräulein Suptil, »haben Sie die chinesischen Goldfische bemerkt?«

»Und die Angeln, und die romantischen Fischernetze?« setzte die gefühlvolle Ester hinzu.

»Und haben Sie die Vögelein singen hören?« seufzte Herr Schneck. »Ach, wenn ich ein Vögelein wär!«

Nachdem viel gegessen, und noch mehr getrunken war, stand die Gesellschaft vom Tische auf, und erhitzt vom Wein und Gespräch, zeigte jeder Lust, an der Seite einer Schönen, sich der Bezauberung hinzugeben. Ich trieb mich lange untätig umher, und fühlte eher Langeweile, als die Wirkung der Zauberei. Erst später ward meine Stimmung fröhlicher, als ich unvermutet Herrn Robert Morfeld mitten im Tanzsaal antraf. Trotz dem Podagra, das ihm den Winter über heftig zusetzt, und ihm seinen Freunden entzieht, hatte er nicht unterlassen können, einen Ort zu besuchen, welcher, dem Vorgeben nach, einzig in Europa, ja in der Welt sein soll. »Die Leute, welche solche prahlerische Urteile fällen«, sagte Morfeld, »müssen nirgend gewesen sein. Ich habe viel gesehen, aber solche Lächerlichkeiten, wie in diesem Saale hat sich noch niemand zu Schulden kommen lassen; aber im Ungeheuern zu exzellieren, ist auch kein Verdienst An das Außerordentliche sollte sich nur der Verstand, und ein gereifter Geschmack wagen.«

»Lieber Freund«, antwortete ich, »dieses Urteil wollen wir ja nicht laut werden lassen; man würde Ihre Mißbilligung dem Podagra und Ihren üblen Launen, nicht aber den Fehlern der Anstalt Schuld geben.«

»Gleichviel!« erwiderte Morfeld, »mich wenigstens sieht der Apollo-Saal nicht wieder.«

»Auch mich nicht«, sagte ich.

Während unseres Gespräches entstand ein Zusammenlaufen unter den Leuten. Ich erkundigte mich nach der Ursache und hörte, es gäbe in der Rosenallee großen Spaß, – ein Herr sei im Schlafe mit dem Kopf durch die Wand gestoßen. – Ich verstand den Spaß nicht und ging, um an Ort und Stelle das Nähere zu erfahren. Hier fand ich denn, daß die Nachricht buchstäblich wahr sei. Herr von Magenheim hatte sich nämlich in der Rosenallee mit Fräulein Ester in eine Nische gesetzt, – vielleicht um zu seufzen, war aber eingeschlafen, und hatte die Wand, die nur aus Leinwand besteht, vermöge seiner Korpulenz eingestoßen. Er konnte in der Schlaftrunkenheit den Kopf nicht sogleich wieder zurückziehen; eine Menge Leute umringten ihn, und einige Spottvögel fanden ein Vergnügen daran, ihn noch tiefer in das Loch hineinzuschieben. Fräulein Ester sah der seltsamen Szene zu, und rang weinend die Hände. – Ich befreite den Baron aus seiner Gefangenschaft, und führte ihn und die Schöne zur Kredenz, wo ich beiden Tee geben ließ. Gleich darauf fand sich Armida ein, und nach und nach kamen auch die übrigen Glieder der Gesellschaft wieder zusammen. Jeder erzählte seine Abenteuer. Die Wahrheit zu sagen, es war den meisten sehr übel gegangen. Armida konnte kaum sprechen. Sie hatte mit dem Herrn Rittmeister sich in der Rosenallee niedergesetzt, und das darin herrschende, zur Schwärmerei einladende Helldunkel kaum zu loben angefangen, als der Dampf der Lampen und die feuchte Luft ihnen Kopfschmerzen und einen heftigen Katarrh verursachten. – Herr von Dünschen war so unglücklich gewesen, an dem Spiritus im Tempel des Apollo sich die Finger zu verbrennen, so wie seine Begleiterin, sich an einem Stein in der Grotte die Nase blutig zu stoßen. – Herr Platt der Ältere wollte durch ein Glas Punsch seine Donna mehr ins Feuer bringen, sie war aber etwas ungeschickt und begoß den schönen Mahagonitisch, worüber Herr Platt mit dem Aufwärter in lauten Wortwechsel geriet, – Fräulein Plump, welche die Schwäne fangen wollte, war ins Wasser gefallen, und Herr Schneck schien nach der durchwachten Nacht alle Aufgedunsenheit seiner Poesie verloren zu haben, – so sehr verkümmert zeigte sich jetzt seine prosaische Gestalt. – Kurz, die meisten Herren und Damen unserer Compagnie hatten irgendeine Fatalität erfahren, wodurch der Entzückung, in welche – nicht sowohl die Schönheiten des Saales, als vielmehr der Wein sie versetzte, schnell ein Ende gemacht wurde. Wir fuhren daher alle sehr nüchtern und entzaubert nach Hause.


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