Joseph Schreyvogel
Das Sonntagsblatt
Joseph Schreyvogel

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Philosophische Betrachtungen über einen Besenstiel

(Nach Swift.)

Das Sonntagsblatt Nro. 117

Sonntag, den 28. März 1809.

Betrachtet diesen Besenstiel! Er gehörte einst einem stolzen Baume, unter dessen Schatten der Wanderer sich erquickte; jetzt liegt er verachtet in einem schmutzigen Winkel, von Niemandem gesucht, als von der Küchenmagd, die seiner zum Auskehren bedarf. Wie wandelbar ist das Schicksal der Kinder der Natur! Wäre ein Bewußtsein im Besenstiel, müßte er sich nicht über den, auf seine Vernunft stolzen Menschen beschweren, der das Holz, aus Eigennutz, und um kleinlicher Zwecke willen, so unbarmherzig verunstaltet? Die Zweige, die sonst voll Saft, mit Blättern und Blüten prangend, die Krone des Stammes zierten, sind jetzt, zu dürren Reisern herabgewürdigt, an das untere Ende dies Stieles gebunden, um – traurige Bestimmung! – alles rein zu kehren, während sie selbst immerwährend schmutzig sind. Keine Spur ihrer ehemaligen Schönheit ist übrig geblieben, und selbst die Jahrbücher der Geschichte schweigen von dem einst so üppig blühenden Baume. O Besenstiel, welch ein armseliges Ding bist du geworden! Nur wenige Tage wird eine angerauchte Magd sich deiner bedienen, bis du, abgenutzt zu einem Stummel, zur Tür hinaus oder in den Ofen hineingeworfen sein wirst!

Wenn ich dich so ansehe, dann werde ich gereizt zur großen Frage: Was ist der Mensch? – Und voll Demut rufe ich aus: ein Besenstiel! – In Fülle und Kraft, fähig immer hinauf höher zu streben, geschmückt mit den Locken der Jugend, die gleichsam das Laub sind dieses vernünftigen Baumes, setzt die Natur den Menschen in die Welt, und er gedeiht zur Freude der Geister, bis Unverstand und Unmäßigkeit mit schneidenden Instrumenten seine Äste herunter hauen, und der dürre Stamm, kahl und von seinen Wurzeln getrennt, auf die Erde fällt. Und wie an den Besenstiel fremde Äste gebunden werden, so setzt der Mensch eine Perücke von falschen Haaren auf sein kahles Ende, und dankt Gott, wann er noch die Augen einer Küchenmagd auf sich zieht!

O Mensch mit der großen gepuderten Perücke, der du dich prahlst, Ordnung und Reinlichkeit im großen Palaste der Welt zu erhalten, bist du mehr als ein Besenstiel, der stolz ist auf den Raub von Birken, die seine Krone nicht erzeugt hat, und die bedeckt sind mit Staub, der immer Staub bleibt, wäre er auch der Kehricht aus dem Putzzimmer der schönsten Prinzessin. Darum denke an den Besenstiel, wenn dich die Eitelkeit anwandelt. Siehe! Wie an dem Besen das Oberste zu Unterst gekehrt ist, so bist auch du ein verkehrtes Geschöpf, dessen Seele von niedrigen Neigungen regiert wird, und das seinen eigenen Kopf mit Füßen in den Staub tritt. Erkenne mit Bescheidenheit dein Los an, in der Hand höherer Wesen ein Instrument zu sein, den Schmutz der Welt fortzuschaffen. Erdreiste dich nicht, alles zu meistern, alles besser zu wissen und besser zu machen, und allem Jammer abzuhelfen!

Bilde dir nicht ein, du kehrest den Unflat weg, wann du ihn nur weiter trittst! Und wenn du am Ende deiner Tage, wie der Bruder Besen, ein Sklave der Weiber wirst, so klage das Schicksal nicht an, das dich über lang oder kurz zum Hause hinaus, oder in den Ofen wirft, damit du deinen Nachkommen und Verwandten noch zur Erwärmung dienen mögest.

Darum o Mensch, denke oft an den Besenstiel!


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